High Sein - Jörg Böckem - E-Book

High Sein E-Book

Jörg Böckem

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Beschreibung

Drogen nehmen kann großartig sein: überwältigend, aufregend, lustig, belebend, euphorisierend, inspirierend, identitätsstiftend. Und Drogen nehmen kann auch verheerend sein: niederschmetternd, stumpf und elend; es kann uns einsam machen oder apathisch, ängstlich oder aggressiv, depressiv oder verzweifelt. »High Sein« ist ein modernes Aufklärungsbuch für Jugendliche, das von echten Experten verfasst ist: Einem Ex-Junkie, einem Wissenschaftler und zwei Jugendlichen, die wissen, was in ihrer Altersgruppe wirklich passiert.

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Seitenzahl: 461

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Jörg Böckem & Henrik Jungaberle mit Immanuel Jork & Julia Kluttig

HighSein

Ein Aufklärungsbuch

Mit Fotos von Fabian Hammerl & Kathrine Uldbæk Nielsen

1. Auflage, März 2015

© 2015 by Rogner & Bernhard GmbH & Co. Verlags KG, Berlin

ISBN 978-3-95403-086-6www.rogner-bernhard.de

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Internet, auch einzelner Text- und Bildteile.

Gestaltung & Satz: Andreas Brüggmann Lektorat: Ida Thiemann Umschlagmotiv: Fabian Hammerl & Kathrine Uldbæk Nielsen Herstellung: Leslie Driesener, Berlin

Gesetzt aus der Melior von Herrmann Zapf (1957) und der Radiant von Robert Hunter Middleton (1938) 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Einleitung

1 Drogen

2 Wohin soll die Reise gehen?

3 Die Drogen und ich

4 High sein

5 Down sein

6 Das erste Mal

7 Das zweite Mal

8 Das letzte Mal

9 Drogenfestspiele und Subkulturen

10 Smart und fit mit Drogen

11 Sex on the Rocks

12 Umgangsregeln

13 Was tun, wenn’s brennt?

14 Dealer, Magier und das Internet

15 Gesetze und Politik

16 Was es gibt und wie es wirkt

Tabak (Nikotin)

Alkohol

Psilocybin (Pilze)

Koffein

Amphetamin

Medikamente

Kokain & Crack

Cannabis

Heroin

Ecstasy (MDMA)

Ketamin

Inhalanzien

LSD

Am Ende

Anhang

Links & Quellen

Register

Danke!

Das Beste

Die US-amerikanische Fernsehserie Breaking Bad dreht sich um die Verwandlung des biederen Chemielehrers Walter White in den Drogendealer Heisenberg. Walter möchte mit dem Geld, das er mit der Drogenproduktion verdient, seine Lungenkrebsbehandlung bezahlen und seine Familie für den Fall seines Todes finanziell absichern. Mit der Zeit verändert sich Walters Persönlichkeit; er benutzt, manipuliert und tötet schließlich Menschen.

Breaking bad heißt so viel wie auf die schiefe Bahn geraten. Das beschreibt ganz gut das Bild, das die meisten Menschen von Drogen haben: Drogen sind schlecht, irgendwie böse, sie verderben einen Menschen; wer sich auf Drogen einlässt, ruiniert über kurz oder lang sein Leben. Dieses Bild ist falsch. Aber es ist nicht ganz falsch, denn Stoffe, die die Wahrnehmung und das Erleben verändern, können tatsächlich das Beste und das Schlechteste in einem Menschen hervorholen. Das Beste? Ja, auch das.

Drogen nehmen kann großartig sein: überwältigend, aufregend, inspirierend, lustig, euphorisierend, sinnlich, identitätsstiftend, entspannend oder entlastend. Berauschend eben. Drogen vermögen unsere Sinne zu schärfen oder zu trüben, sie können unsere Perspektive verändern, unsere Beziehungen und unsere Sexualität, unser Denken, Fühlen und Handeln – zum Guten und zum Schlechten. Klar, Drogen nehmen kann auch einfach nur langweilig und öde sein. Und natürlich ziemlich beschissen: niederschmetternd, stumpf und elend; es kann uns einsam machen oder apathisch, ängstlich oder aggressiv, überheblich oder unberechenbar, depressiv oder verzweifelt. Drogen können süchtig machen, unsere Gesundheit, Beziehungen und Zukunft ruinieren, uns ins Krankenhaus, in die Psychiatrie oder schlimmstenfalls ins Grab bringen. Können sie. Stimmt. Müssen sie aber nicht. Keine Droge führt automatisch auf direktem Weg zu Verfall, Elend und Sucht.

Wer nicht abstürzen will, muss allerdings die Anforderungen, die Rausch und Drogen wie Alkohol oder Cannabis an uns stellen, verstehen und bewältigen. Aber wie ist das möglich? Indem man sich informiert, klar. Aber wie bei jedem Hobby, jeder anderen menschlichen Tätigkeit spielt auch Übung eine wichtige Rolle – also das Lernen aus Erfolgen und Fehlern, im Idealfall nicht nur den eigenen: Deshalb lohnt es sich anzuschauen, wie andere mit Drogen und Rausch umgehen, wie sie darin erfolgreich sind oder warum sie scheitern. Bei den legalen Drogen wie Alkohol sind solche Beispiele noch einigermaßen einfach zu finden und zu beobachten. Bei den illegalen Drogen dagegen ist es schwierig, Menschen mit einem kontrollierten, unschädlichen Umgang kennenzulernen oder etwas über sie und ihre Strategien zu erfahren. Noch schwieriger scheint es, sie mit einem nüchternen, kritischen Abstand und ohne Vorurteile zu betrachten.

Aus diesem Grund haben wir wissenschaftliche Informationen und Forschungsergebnisse, also Daten und Fakten, eng mit persönlichen Erlebnissen und Überzeugungen von jungen Frauen und Männern verknüpft, die wir interviewt haben. Anhand ihrer Erfahrungsberichte möchten wir die Bandbreite der unterschiedlichen Motivationen und Vorlieben, der Konsummuster und Risiken, der Wirkungen und Nebenwirkungen der verschiedenen Drogen anschaulich machen.

High Sein ist ein Buch für Jugendliche und Erwachsene, das niemanden erschrecken, verurteilen oder bevormunden will. Es ist ein Buch für Abenteurer und Ängstliche, für Erfahrene und Einsteiger, für Experimentierfreudige und Abstinente, für Neugierige und Vorsichtige. Ein Buch für jeden, der sich ein umfassendes Bild von Drogen aller Art, von Rausch und Sucht, von Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken machen will. Eine Art Augenöffner oder Wegweiser – idealerweise. Und ein Einsteigerbuch für alle, die tiefer forschen wollen.

Unsere Grundlage für die Beschäftigung mit Drogen, mit positiven und negativen Konsumformen und Rauschzuständen ist die Überzeugung, dass Menschen, auch junge Menschen, das Potenzial haben, mit psychoaktiven Substanzen – so lautet der wissenschaftlich korrekte Begriff für Drogen – bewusst und positiv umzugehen. Das heißt nicht, dass wir ein naives Bild von Menschen oder Drogen haben. Die Zahl der Menschen, die weltweit an den Folgen des Drogenkonsums und auch des Verbots von Drogen zugrunde gehen, bietet allen Grund zur Vorsicht und Skepsis.

Menschen sind unterschiedlich. Sie unterscheiden sich in ihren Bedürfnissen und Vorlieben, ihren Stärken und Schwächen, ihren Hoffnungen und Ängsten. Sie leben in unterschiedlichen sozialen Schichten und Gruppen, ihre Beziehungen zu Familie, Freunden und Partnern unterscheiden sich, sogar die chemischen Abläufe in ihren Gehirnen. Zugegeben, das ist keine überraschende Erkenntnis. Aber eine wichtige: Wie eine Droge wirkt, welchen Nutzen sie hat oder welchen Schaden sie anrichtet, wie aufregend oder bedrohlich wir einen bestimmten Rauschzustand empfinden, welche Droge uns fasziniert oder abschreckt und wie hoch das Risiko, süchtig zu werden, ist, hängt nicht zuletzt von diesen Unterschieden ab. Davon handelt dieses Buch.

Wir wollen niemandem vorschreiben, was er tun oder lassen soll. Stattdessen möchten wir versuchen, jedem Leser die Möglichkeit zu geben, seine Entscheidungen gut informiert und unter Abwägung der Risiken zu treffen. Denjenigen, die Drogen nehmen, möchten wir helfen zu verstehen, was da Merkwürdiges, Wunderbares oder Erschreckendes mit ihnen geschieht und wie das ihr Leben beeinflussen kann; wir möchten sie dabei unterstützen, einen klaren Blick dafür zu entwickeln, wann und in welcher Weise der Konsum bedrohlich werden und außer Kontrolle geraten kann, ihnen Hinweise geben, wie sie dem Kontrollverlust und dem Absturz entgegenwirken können, und aufzeigen, welche Hilfsangebote es gibt, wenn ein Gegensteuern aus eigener Kraft nicht mehr möglich ist. Denen, die sich um den Drogenkonsum von Freunden oder Verwandten Gedanken machen, möchten wir erklären, welche – guten und weniger guten – Gründe es gibt, sich für eine Droge zu entscheiden, welche Faszination, welchen Reiz Drogen und Rausch auf zahlreiche Menschen ausüben und welche Wege es gibt, als Freund oder Freundin damit umzugehen.

High Sein ist so facettenreich wie das Team, das an diesem Buch gearbeitet hat: Dr. Henrik Jungaberle ist Drogen- und Präventionsforscher. Sein wissenschaftliches Interesse gilt vor allem dem positiven Umgang mit psychoaktiven Substanzen und wie man diese positive Wirkung stärken und erhalten kann. Er steuert zu High Sein unter anderem Zahlen, Fakten und Zitate aus seinen Forschungsprojekten bei. Im Projekt RISA am Universitätsklinikum Heidelberg hat er zehn Jahre lang 318 Schüler und Schülerinnen sowie 40 Erwachsene begleitet und deren Erfahrungen mit so unterschiedlichen Substanzen wie Alkohol, Tabak, Cannabis, Ecstasy, Ayahuasca, LSD oder Methadon beleuchtet. Außerdem hat er REBOUND mitentwickelt, ein auf Kurzfilmen basierendes Aufklärungsprogramm für junge Menschen, Schulen und Jugendeinrichtungen, das dabei hilft, die eigenen Stärken zu klären und einen bewussten Umgang mit Drogen zu erlernen.

Jörg Böckem ist freier Journalist und Autor; er arbeitet unter anderem für das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und das Zeit Magazin und hat vier Bücher zu Drogen und Sucht geschrieben. In seinem Bestseller Lass mich die Nacht überleben – mein Leben als Journalist und Junkie hat er auch seine eigene langjährige Heroinabhängigkeit und seine Erfahrungen mit Entgiftung und Therapie beschrieben. In den vergangenen Jahren hat er mehr als 100 Lesungen und Vorträge an Schulen und Universitäten gehalten und mit Schülern und Studenten über das Thema Drogen diskutiert. Die Fragen, die ihm im Laufe der Jahre gestellt wurden, haben dieses Buch mitgeprägt. Unterstützt werden die beiden von den jungen Autoren Julia Kluttig und Immanuel Jork. Sie gehören zu den Gewinnern des Schülerzeitungs-Wettbewerbs 2013 des Spiegel und haben nach ihrem Abitur 2013 Praktika bei Stern und View absolviert. Immanuel studiert seit Oktober 2013 Kulturwissenschaften und Kunstgeschichte an der Universität Leipzig und ist seither in der Kulturmetropole Sachsens nicht nur in den Genuss von Wissenschaft gekommen. Julia studiert seit Oktober 2014 Kommunikationsdesign an der Hamburger Technischen Kunstschule, nebenbei schreibt sie für zeit.de, das Online-Angebot der Zeit. Ihre Erfahrungen mit Drogenrausch beschränken sich auf alkoholisierte Nächte und einen Sommerurlaub in Amsterdam.

Die Gestaltung dieses Buches haben zwei Fotografen und ein Kommunikationsdesigner in einem mehrfach bewährten Team gemeinsam konzipiert und umgesetzt: Kathrine Uldbæk Nielsen ist Absolventin der Kopenhagener Fotoschule Fatamorgana. Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit vor allem mit Porträts, Dokumentation und Inszenierung. Aktuell arbeitet sie an einer Porträtserie über ihre umfangreiche Familie und einer Dokumentation über den Aufbau einer Künstlerfreistätte. Fabian Hammerl arbeitet seit 2000 als Fotograf für deutsche und internationale Kunden und Magazine. Für die Realisierung freier fotografischer Projekte und im Rahmen des Künstleraustausches, u.a. mit der Sichuan University in Chengdu, verbringt er viel Zeit in China und Japan. Andreas Brüggmann hat in Werbeagenturen u.a. für VW, Die Zeit, Stern, Deutsche Telekom und lange Zeit an Theatern gearbeitet (Deutsches Schauspielhaus in Hamburg, Münchner Kammerspiele, Thalia Theater Hamburg). High Sein ist eines von zahlreichen Projekten, die er darüber hinaus gestaltet. Sein Interesse gilt vor allem der Kommunikation, also dem Zusammenspiel von Inhalt, Text, Fotos und Grafik.

1 Drogen

Im Frühjahr ist Drogensaison; zumindest in deutschen Medien. Jedes Jahr im Mai legt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung den offiziellen Drogen- und Suchtbericht vor. In diesen Wochen sind die Schlagzeilen der Zeitungen dann meist voll von Horrormeldungen, von Drogentoten und Rauschgiftdelikten, von besorgniserregenden Zuwachsraten bei den Erstkonsumenten und von gefährlichen neuen Substanzen, die sich auf dem Vormarsch befinden. Sicher, vieles davon hat seine Berechtigung. Jeder Drogentote ist einer zu viel, das Gleiche gilt für durch Drogen ausgelöste Psychosen, Unfälle unter Drogeneinfluss und vieles mehr. Aber das ist nur eine Seite.

»Der Tanz durch die Nacht kann also schnell zum Tanz in den Tod werden.«

Die Süddeutsche Zeitung über die Gefahren von Ecstasy, 28. Oktober 2013

»Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.«

Paracelsus (1493–1541), Arzt und Naturforscher

»Die Gefahren des Drogenkonsums können genauso groß sein wie die Gefahren in anderen Lebensbereichen. Es gibt keinen nennenswerten Unterschied zwischen Reiten und Ecstasy.«

David Nutt (*1951), Drogenforscher und bis 2009 Vorsitzender des Drogensachverständigenrats der britischen Regierung

Rund 35 Prozent aller deutschen Jugendlichen unter 20 Jahren haben Erfahrungen mit illegalen Drogen. Statistisch gesehen gilt Drogenkonsum in der Jugend damit als normales Verhalten.

Liest man einige der Schreckensmeldungen in der Presse, drängt sich die Frage auf, ob die Millionen Konsumenten von Cannabis, Ecstasy und Co., die in dem Bericht erfasst werden, alle einen Schaden haben. Sind die vollkommen dämlich, sich auf so etwas einzulassen? Oder krank? Verantwortungslos, im höchsten Maße leichtsinnig oder einfach selbstmordgefährdet? Manche von ihnen sind tatsächlich krank und selbstmordgefährdet, unglücklicherweise. Der weitaus größere Teil aber eher nicht. Im Gegenteil: Vielen gelingt es, Drogen zu nehmen, Spaß damit zu haben und sogar davon zu profitieren, ohne Schaden zu nehmen. So wie Hunderttausende in Deutschland als Hobby Fußball spielen, sich manchmal verletzen, durchaus auch schwer, aber trotzdem unter dem Strich mehr Positives als Negatives aus dem Sport ziehen. Wir glauben, dass man das eine, nämlich ernsthaften Schaden zu nehmen, am ehesten vermeiden kann, wenn man das andere versteht: versteht, wie Menschen funktionieren, weshalb sie tun, was sie tun. Genauso wichtig ist es, Drogen zu verstehen, ihre Wirkungsweisen und Eigenheiten, also was sie tun und wie sie es tun, wodurch Nutzen und Schäden entstehen und auf welche Experimente man besser verzichten sollte. In diesem Kapitel möchten wir deshalb einen Überblick über unterschiedliche Drogen, ihre Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken geben, den wir in den nächsten Kapiteln weiter vertiefen werden.

Was sind Drogen?

Drogen bestehen aus Molekülen, die im menschlichen Körper mit anderen, körpereigenen Molekülen zusammenspielen. Sie bewirken eine zeitweilige Veränderung unserer Wahrnehmung, unseres Erlebens und Verhaltens. Das trifft in verschiedenem Ausmaß auf Kaffee, Alkohol, Cannabis, Heroin, LSD und Hunderte weiterer Stoffe zu.

DMT ist ein starkes Halluzinogen, das vor allem tagtraumartige innere Bilder erzeugt.

Schon aus der Zeit, bevor Menschen begonnen haben, ihr Wissen in Bild und Schrift zu dokumentieren, gibt es zahlreiche Hinweise auf die Nutzung von Drogen zur Heilung, zu gesellschaftlichen oder rituellen Zwecken. In den argentinischen Anden wurden bei Höhlengrabungen zwei ausgehöhlte Knochenpfeifen entdeckt (Chillums), in denen DMT-haltige Samen des Busches Anadenanthera geraucht worden waren: Ihr Alter konnte auf mindestens 4000 Jahre bestimmt werden. Sie lösen – wie das seit Jahrhunderten im Amazonas dokumentierte halluzinogene Schnupfpulver Yopo – vielschichtige, manchmal erschreckende, Aggression und Übelkeit bewirkende Visionen aus. Kulturen wie die der Tukano-Indianer haben ganz eigene Erklärungen dafür entwickelt: Bei der Einnahme hoher Dosen verwandeln sich die Schamanen in Jaguare, Tiere, die in der geistigen Welt des südamerikanischen Schamanismus eine wichtige Rolle einnehmen. Niedrige Dosen werden jedoch auch im Rahmen der Jagd und für Wettervorhersagen genutzt (die ja bekanntlich nicht sehr genau sein müssen).

In Teilen des Südseeraums wurde und wird aus dem Kava-Kava-Strauch, auch Rauschpfeffer genannt, ein psychoaktives Getränk bereitet. Kava wirkt entspannend, angstlösend, schmerzmindernd. An der Kava-Zeremonie auf Vanatu z.B. nahmen nur Männer teil, die sich im »Nakamal«. (Friedensort) trafen, um mit Hilfe der Substanz Streit zu schlichten. Es wurde so lange getrunken, bis einer der Kontrahenten umfiel. Wer durchhielt, hatte gewonnen, der Streit war beendet.

Anthropologen konnten nachweisen, dass die ausgelösten Rauschzuständeauch zur Konfliktlösung genutzt wurden. Rückstände auf 9000 Jahre alter Keramik, die in China gefunden wurde, deuten darauf hin, dass Menschen bereits in der Jungsteinzeit alkoholische Getränke konsumierten. Und ein historisches Bierrezept wurde von Archäologen in Mesopotamien gefunden: Es wird auf 3500 bis 5400v.Chr. datiert. Drogen begleiten die Menschheit also schon sehr, sehr lange.

Das Wort Droge stammt aus der Pharmakologie, also der Arzneimittellehre, und bezeichnete ursprünglich getrocknete Arzneipflanzen oder tierische Stoffe wie Schlangengifte oder Blutegel, die als Heilmittel verwendet wurden. Aus dieser Zeit stammt auch die Bezeichnung Drogerie für ein Geschäft, in dem solche Heilmittel angeboten werden. In England und den USA werden mit dem Wort »drugs« auch heute noch allgemein Medikamente bezeichnet. In Deutschland bezeichnen wir mit dem Wort Drogenormalerweise eine Substanz, die einen Rausch verursacht oder den Bewusstseinszustand verändert. Folgende Merkmale zeichnen ein High, also einen veränderten Bewusstseinszustand, aus. Sie können einzeln auftreten oder auch kombiniert:

Veränderung des

Denkens:

Denkprozesse werden bildhafter, assoziativer, unzusammenhängender

Veränderung des

Zeitempfindens:

Die Zeit vergeht subjektiv schnell oder langsam, unabhängig vom tatsächlichen Verstreichen der Zeit

Teilweiser

Verlust der Kontrolle:

Enthemmung, die unter anderem helfen kann, sexuelle Blockaden zu überwinden, aber auch sexuellen Übergriffen gegenüber wehrlos machen oder zu Aggressivität und höherer Gewaltbereitschaft führen kann

Veränderung der

Emotionalität:

Gefühle wie Freude, aber auch Angst oder Wut werden intensiviert oder gedämpft

Veränderung der

Körperwahrnehmung:

Deutlichere oder verminderte Wahrnehmung des eigenen Körpers oder seiner Bedürfnisse nach Schlaf oder Essen, das Gleiche gilt für das Schmerzempfinden

Wahrnehmungsveränderungen:

Fokussierung auf Details oder Überfrachtung mit Reizen, Intensivierung der Farbwahrnehmung, Verzerrungen und Illusionen

Veränderung des

Bedeutungserlebens:

Im Alltag als unwichtig Empfundenes steht plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, persönliche Werte und Überzeugungen können in Frage gestellt werden; dies schließt gelegentlich auch spirituelle Erfahrungen ein

Veränderung der

sprachlichen Ausdrucksfähigkeit:

vermehrtes Sprechbedürfnis oder auch Versagen der Sprachfähigkeit

Hypersuggestibilität:

Höhere Beeinflussbarkeit durch andere

Manchmal wird die Bezeichnung Droge auch für Tätigkeiten verwendet, die unsere Stimmung positiv beeinflussen, als lustvoll erlebt werden und zu einer Form von Sucht führen können – beispielsweise für Computerspiele, Sport oder Sex. »Musik ist meine Droge« oder »Snowboarden ist meine Droge«, heißt es dann zum Beispiel. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass alles, was Freude macht, dazu führen kann, dass wir nicht genug davon bekommen können und es immer und immer wieder erleben wollen, auch in ungesundem Maß. So kann Sucht entstehen.

Wenn wir in diesem Buch von Drogen sprechen, dann meinen wir allerdings nur psychoaktive Substanzen. Substanzen, die unsere Wahrnehmung, unsere Stimmung und unser Verhalten beeinflussen, indem sie chemische Prozesse in unserem Körper verändern. Darunter fallen auch viele Medikamente wie Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel oder Ritalin, das zur Behandlung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom) verwendet wird, und legale Drogen wie Alkohol, Nikotin oder Koffein. Die Wirkung der verschiedenen Substanzen unterscheidet sich stark, da auch die Wirkstoffe und Mechanismen unterschiedlich sind. Verallgemeinernd kann man sagen, dass Drogen an den Synapsen, also den Nervenenden des Gehirns wirken.

Drogen und ihre Wirkung

Folgende Drogengruppen lassen sich mit Blick auf ihre Wirkung unterscheiden:

Aufputschende Substanzen (Stimulanzien) euphorisieren, steigern die Leistungsfähigkeit, machen gesprächiger und verringern das Hungergefühl sowie das Schlafbedürfnis. Zu ihnen zählen Amphetamine (Speed, Crystal Meth), Kokain, Koffein, MDMA (Ecstasy), Nikotin oder Medikamente wie Ritalin.

Beruhigende Substanzen (Sedativa) reduzieren Ängste, euphorisieren, verringern die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit und erhöhen gleichzeitig das Schlaf bedürfnis. Zu ihnen zählen Alkohol, Opiate wie Heroin, Methadon oder Tilidin, Schlaf-, Schmerz- oder Beruhigungsmittel wie Tavor oder Valium und auch Cannabis.

Fantasieanregende Substanzen (Halluzinogene) können Wachträume erzeugen, traumähnliche Bilder, Erlebnisse oder Zustände hervorrufen und die Wahrnehmung gravierend verändern – das Sehen, Hören, Riechen, den Tast- und Geschmackssinn sowie das Gefühl für den eigenen Körper. Zu ihnen zählen LSD, Pilze, die den Wirkstoff Psilocybin enthalten, und Cannabis.

Viele Drogen lassen sich nicht eindeutig einer einzigen Kategorie zuordnen. Das gilt bei bekannten Drogen wie Cannabis, aber auch bei den sogenannten Research Chemicals, den neueren Substanzen wie Mephedron, die weltweit in Laboren entstehen. Cannabis beispielsweise hat beruhigende Eigenschaften, wirkt aber in höheren Dosen auch wahrnehmungsverändernd und fantasieanregend.

Die Wirkung von Drogen ist immer abhängig von der Dosis, aber auch von der Motivation desjenigen, der sie nimmt, und von der Situation, in der sie genommen werden. Cannabis beispielsweise wird von einigen Menschen als eine Art Liebesdroge (Aphrodisiakum) benutzt und wirkt dann alles andere als beruhigend, sondern eher enthemmend. Ecstasy wirkt in einem Club und im Zusammenspiel mit der passenden Musik aufputschend und euphorisierend, in einem psychotherapeutischen Umfeld dagegen eher beruhigend, es verstärkt dann Gefühle und Erinnerungen.

Ein weiteres Beispiel ist Alkohol: In kleinen Mengen wirkt er eher aufputschend, während größere Mengen meist die gegenteilige Wirkung haben und sogar zum Tod durch Vergiftung führen können. Andere Drogen wie Nikotin besitzen eine eher geringe Rauschwirkung, wenn sie in der üblichen Form als Zigaretten, in einer Shisha oder E-Zigarette geraucht werden. Da aber auch Nikotin nachweisbar das Erleben und Verhalten beeinflusst, vor allem in höherer Dosis und bei ständigem Gebrauch, wird es zu den aufputschenden Drogen gezählt.

Viele User berichten, dass sich die Wirkung von Drogen immer weniger unterscheidet und abflacht, je häufiger sie diese nehmen. Vor allem bei süchtigem Dauergebrauch geht es dann eher um das Wegmachen von negativen Zuständen, den Entzugserscheinungen, als um positive Erlebnisse. Den Rausch zu genießen spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Auf all diese unterschiedlichen Faktoren werden wir in den folgenden Kapiteln noch detaillierter eingehen.

Wie kommen Drogen in den Körper?

Menschen sind sehr erfindungsreich darin, die bewusstseinsverändernden Moleküle an den Ort im Körper zu schicken, an dem sie ihr Werk verrichten sollen. Dazu eignen sich unter anderem die meisten Körperöffnungen, die Schleimhäute und unsere Sinnesorgane, die einen besser, die anderen schlechter. Drogen können inhaliert, geraucht, getrunken, geschluckt, gespritzt, geschnieft, eingerieben, unter die Zunge gelegt oder als Pflaster auf die Haut geklebt werden. Auch über die Augen, den After oder die Vagina können die Substanzen in den Körper gelangen.

In der Heroinszene gilt die sogenannte Analinjektion, bei der die verflüssigte Droge mit einer Spritze ohne Nadel anal eingeführt wird, als risikoärmer als die Injektion in die Vene, vor allem im Gefängnis oder in anderen Situationen, in denen sterile Nadeln nicht zur Verfügung stehen.

Aufgrund zahlreicher hygienischer Probleme und der Gefahr einer akuten Überdosierung ist der Nadelgebrauch, also das Spritzen, die risikoreichste Form der Einnahme von Drogen. Alle Drogen gehen zuerst in den Blutkreislauf, dann ins Gehirn. Dort wirken sie, weil sie die körpereigenen Botenstoffe imitieren, weil sie ihnen ähnlich oder identisch mit ihnen sind oder weil sie deren Aufnahme an den Rezeptoren verhindern oder verstärken.

Wege in den Körper?

Drogen wie Alkohol, Nikotin, Cannabis oder Kokain kommen üblicherweise durch Trinken, Schlucken, Einatmen, Schnupfen oder Spritzen in den Körper. Manche Drogen können auch über die Haut, die Schleimhäute und die Augen aufgenommen werden. Im Körper werden sie verstoffwechselt und entfalten ihre Wirkung in Gehirn und Körper – um dann wieder abgebaut oder ausgeschieden zu werden.

Was machen Drogen im Gehirn?

Der Neurotransmitter aktiviert einen passenden Rezeptor. Dieser löst den Nervenimpuls aus.

Wie wirken Drogen im Körper?

Im Herbst 2006 fielen in Wien Vögel vom Himmel: Die Seidenschwänze hatten sich an überreifen Trauben und Beeren satt gefressen, die sich in Alkohol verwandelten, und kamen besoffen an Ästen und Scheiben zu Tode. Wissenschaftler halten den Verzehr der vergorenen Früchte nicht für ein Versehen, wobei die Tiere ihre Abstürze sicher nicht beabsichtigt hatten.

Warum gibt es Drogen? Und wie kommt es, dass natürliche oder künstlich hergestellte Moleküle das menschliche Bewusstsein so stark beeinflussen? Die Antworten auf diese Fragen finden sich in der Evolutionsgeschichte von Menschen und Tieren: Betrunkene Elche oder Dachse, die sich an gärendem Obst laben, oder auf Müllplätzen randalierende Braunbären – sie alle suchen rauschähnliche Zustände. Elefanten finden in den Rinden des Marulabaumes Käferlarven, deren Alkaloid sie in Trunkenheit versetzt. Die Käfer hatten es im Laufe der Evolution ausgebildet, um sich vor Fressfeinden zu schützen.

Eine These zur Entstehung von berauschenden Substanzen lautet also: Pflanzen und Pilze entwickelten Stoffe, die ihnen dabei helfen sollten zu überleben. Einige dieser Stoffe imitierten jene chemischen Substanzen, die im Gehirn der Tiere deren Wahrnehmung und Verhalten steuerten. Gelangten sie nun über das Essen in den Organismus, beeinflussten sie das Nervensystem. Die Effekte reichten von tödlichen Vergiftungen bis hin zu allerlei Veränderungen der Wahrnehmung und des Erlebens. Infolgedessen haben sich die Tiere evolutionär an diese Stoffe angepasst; es gibt Tierarten, die selbst solche rauscherzeugenden Stoffe enthalten, und andere, die sie erstaunlich differenziert nutzen: Junge Delfine wurden in einer BBC-Dokumentation dabei gefilmt, wie sie die Giftstoffe des Kugelfisches dosisgenau abmolken, miteinander teilten und den Fisch danach weiterschwimmen ließen. Genau wie Menschen entwickeln manche Tiere offensichtlich das starke Verlangen, Substanzen zu konsumieren, die Rauschzustände auslösen, und auch im Tierreich gibt es Übertreibung und Sucht: Ratten und Mäuse etwa zeigen verblüffend menschenähnliche Reaktionen auf Rauschmittel und werden auch von Kokain, Amphetaminen und Heroin abhängig – viel schneller übrigens unter den tristen, reizarmen Bedingungen eines Labors als in freier Natur.

High durch Krötenlecken: Die mittelamerikanische Aga-Kröte sondert wie ihre Verwandte, die Colorado-River-Kröte, über ihre Haut ein psychedelisch wirkendes Sekret ab. Das Sekret kann direkt von der Haut geleckt oder mit einer Rasierklinge abgeschabt, getrocknet und geraucht werden. Es enthält neben (Nor-)Adrenalin und Bufotenin vor allem 5-Methoxy-DMT, ein schnell und kurz wirkendes Halluzinogen. Da 10 Milligramm für einen ausgewachsenen Trip genügen, kann es zum Tod durch Überdosierung kommen.

Das Gehirn ist bei Tieren wie Menschen die Schaltzentrale, in der rauscherzeugende Stoffe wirken. Die entscheidende Rolle spielen dabei Neurotransmitter und die Rezeptoren, die für die Aufnahme dieser Botenstoffe zuständig sind. Neurotransmitter steuern das Verhalten von Menschen und Tieren auf der Ebene des Gehirns. Sie sind Botenstoffe, die Impulse wie beispielsweise sexuelle Lust, Euphorie oder Hunger auslösen, die dann unser Verhalten beeinflussen. Nervenzellen, sogenannte Neuronen, entlassen die Neurotransmitter in den synaptischen Spalt, der die einzelnen Neuronen voneinander trennt. Die Botenstoffe bewegen sich dann über den Spalt zum nächsten Neuron. Dort werden, abhängig vom jeweiligen Neurotransmitter, bestimmte Rezeptoren aktiviert. Der Effekt im Gehirn entsteht, indem der Rezeptor durch einen passenden Botenstoff aktiviert wird; damit werden indirekt auch Erleben und Verhalten verändert – man wird wach oder müde, sexuell aktiv, einfühlsam oder aggressiv. Haben die Botenstoffe ihre Signalwirkung entfaltet, werden sie an sogenannten Wiederaufnahme-Stellen (Re-Uptake-Sites) in das Neuron absorbiert. Auf diesen Prozess wirken Drogen ein: Sie verhindern beispielsweise, dass die Transmitter wieder in die Nervenzelle aufgenommen werden, oder verhalten sich selbst wie die körpereigenen Neurotransmitter und imitieren ihre Wirkung.

Die wichtigsten Neurotransmitter und damit die Schlüssel der chemischen Kommunikation im Gehirn sind Glutamat, GABA, die Endocannabinoide, Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, Acetylcholine, Adenosine, die Endorphine, die Substanz P und Cholecystokinin. Wer wütend wird, weil der Chef ihn nervt, dessen Gehirn wird mit Noradrenalin geflutet. Erfährt jemand, dass er Millionen im Lotto gewonnen hat, wird in dessen Gehirn der Botenstoff Serotonin ausgeschüttet. Ein Sinken des Cholecystokinin-Spiegels und das damit verbundene Hungergefühl triggert einen Gang zum Kühlschrank. Gewinnt die deutsche Fußballnationalmannschaft nach Jahrzehnten endlich den ersehnten WM-Titel, euphorisieren Endorphine und Dopamin die Fans und verschaffen ihnen ein Hochgefühl, als hätten sie selbst den Pokal gewonnen. Wer eine Treppe hinunterstürzt und sich den Knöchel bricht, darf darauf hoffen, dass Endocannabinoide und Endorphine den Schmerz betäuben. Steigt der GABA- und Adenosin-Level bei gleichzeitigem Fallen des Glutamatspiegels, treibt uns eine wohlige Müdigkeit ins Bett.

Die chemische Kommunikation der Neurotransmitter im Gehirn begleitet also unser gesamtes bewusstes Leben und beeinflusst ebenso unseren Schlaf und unsere Träume. Drogen verändern diese chemische Kommunikation. Psychoaktive Substanzen sind in der Lage, ähnliche Effekte im Gehirn auszulösen wie die im Gehirn vorhandenen Neurotransmitter – sie wirken entweder selbst wie diese Neurotransmitter oder verändern deren Wirkung. Das tun sie, indem sie deren Wiederaufnahme in die Nervenzelle, also das Recycling, verhindern. Das führt dazu, dass mehr Neurotransmitter zur Verfügung stehen und die Nervenzellen mit Signalen überfluten. Man kann sich die Wirkweise einiger Drogen wie beispielsweise Kokain oder Ecstasy wie Türsteher in einem Club vorstellen – die Rezeptoren sind die Tür, die Neurotransmitter die Clubbesucher. Der Türsteher bestimmt, wer durch welche Tür darf, wie weit die Tür geöffnet wird, wie viele Gäste auf einmal hineindürfen und wie voll es im Club wird. Unser Türsteher hat sogar noch mehr Einfluss darauf, was im Inneren des Clubs geschieht – er bestimmt, welcher DJ an die Turntables darf und damit, wie Musik und Stimmung aussehen, ob eher Trance, Heavy Metal, Reggae oder Techno angesagt ist. Ebenso hat es der Türsteher in der Hand, den Laden kollabieren zu lassen, indem er die Tür zu einem schon überfüllten Club weit aufreißt oder einfach niemanden mehr hinauslässt. Andere Substanzen wie Heroin oder Alkohol machen den Türsteher überflüssig, sie rennen die Tür zum Club ein, übernehmen selbst die Arbeit des DJ und bringen die aufgedrehten oder entspannten Gäste gleich mit.

Unterschiedliche Drogen verfolgen also unterschiedliche Strategien: Kokain, MDMA und andere Amphetamine blockieren die Wiederaufnahme der Botenstoffe in die Nervenzelle. Als Folge überschwemmt eine Woge natürlicher Botenstoffe das Gehirn und löst zum Beispiel Euphorie, gesteigerte Wachheit oder ein gesteigertes Redebedürfnis aus.

Opium, Heroin und Alkohol dagegen imitieren die natürlicherweise im Gehirn vorhandenen Neurotransmitter und deren Wirkung. Heroin beispielsweise passt noch besser in die dafür vorgesehenen Rezeptoren der Nervenzelle als das ursprünglich dafür vorgesehene Endorphin und verschafft dem Konsumenten ein Wohlempfinden, wie es ohne Drogen nur schwer zu erreichen ist. Stimulanzien geben einen Energieschub, erzeugen extreme Wachheit und vermindern das Bedürfnis nach Nahrung und Schlaf, indem sie Dopamin und Noradrenalin freisetzen und damit die »Fight or flight«-Reaktion auslösen – eine Art Notfallsystem des Körpers, das normalerweise bei Bedrohung oder in Stresssituationen anspringt. Tabak und Koffein sind hier am milderen Ende der Skala, während Kokain und (Meth-)Amphetamine den Körper extrem pushen, oft über ein alltagsverträgliches Level hinaus. Der Energieschub entsteht dadurch, dass die Notreserven des Körpers freigesetzt werden, die Substanzen verleihen also keine neue Energie. Alkohol, GHB und die Benzodiazepine aktivieren die GABA-Rezeptoren, was für das Gehirn bedeutet, dass es sich auf das Schlafen vorbereitet. Es gibt aber auch gegenläufige und ambivalente Effekte, besonders bei Alkohol, der durch die Freisetzung von Noradrenalin auch eine aktivierende Wirkung hat. Insgesamt aber verringern diese Substanzen Angst und auch soziale Scheu. Diese sogenannten »Depressanzien« können in hohen Dosen und unter Dauerkonsum starke körperliche Abhängigkeiten erzeugen.

Schließlich spielen die psychedelischen Substanzen wie Psilocybin, dem Wirkstoff in Magic Mushrooms, LSD und DMT mit sehr komplexen pharmakologischen Prozessen im Gehirn. Im Wesentlichen haben sie Einfluss auf die Serotoninrezeptoren. Dies ist allerdings nur einer von vielen Prozessen, die hinter diesen besonderen Rauschzuständen stecken.

Viele Drogen wie Cannabis oder Ketamin lassen sich nicht so einfach einordnen. MDMA, die reine Form von Ecstasy, liegt irgendwo zwischen einem Psychedelikum und einem Stimulans (dazu gehören die Amphetamine): Neben der typischen Wachheit und Energie verstärkt es prosoziale Verhaltensweisen und steigert das Mitteilungsbedürfnis enorm. Man redet also eventuell wie ein Wasserfall. Noch widersprüchlichere Tendenzen kann man bei Highs beobachten, die durch Cannabis erzeugt werden, der weltweit am häufigsten konsumierten illegalen Droge. Wir besitzen einen speziellen Rezeptor im Gehirn, mit dem die zahlreichen Wirkstoffe dieser Substanz interagieren – das endocannabinoide System. Typische Effekte von Cannabis sind neben Entspannung auch das gesteigerte Mitteilungsbedürfnis, die sogenannten Laberflashs, soziale Öffnung und intensive Körpergefühle durch sexuelle, aber auch ganz gewöhnliche Berührungen sowie ein gesteigerter Appetit und ebenso gesteigerter Genuss beim Essen.

Alkohol und Cannabis lösen also je nach Dosis und Zeitpunkt ihrer Wirkungsentfaltung andere, oft gegensätzliche Highs aus. Viele Menschen scheinen eine Vorliebe für solche Drogen zu haben, die sowohl beruhigende als auch stimulierende Wirkung besitzen.

Wie (un-)gefährlich sind Drogen?

Der britische Drogenforscher David Nutt, bis 2009 wichtigster Berater der britischen Regierung in Drogenfragen, hat zusammen mit zahlreichen Experten aus verschiedenen Ländern ein System entwickelt, um die Gefahren von Drogen umfassend einzuschätzen und miteinander zu vergleichen. Im Jahr 2013 versammelte er 40 Experten aus 20 europäischen Ländern, um 20 verschiedene psychoaktive Substanzen im Hinblick auf ihr Gefahrenpotenzial bewerten zu lassen. Die Wissenschaftler arbeiteten 16 unterschiedliche Gefahrenkriterien heraus. Die wichtigste Unterscheidung in dieser Liste von Gefahren besteht darin, das Risiko für die User selbst und für andere, also die Gesellschaft oder das direkte soziale Umfeld, getrennt zu betrachten. Das erweitert den Blick vom Einzelnen auf die anderen Menschen, die direkt und indirekt betroffen sind. Die gleiche Betrachtungsweise gilt natürlich auch, wenn man den Nutzen dieser Substanzen einschätzt – nur wurde das noch nie getan. Eine interessante Perspektive ergibt sich, wenn man die Gefahren für einen selbst und für andere zusammenfasst und die Ergebnisse für die einzelnen Drogen einander gegenüberstellt. Hier fällt auf, dass die Experten die Gefahren von Alkoholkonsum für andere als enorm hoch bewerten – verglichen etwa mit dem Konsum von Ecstasy. Nach Ansicht dieser Gruppe von Experten ist Alkohol mit Abstand die gefährlichste Droge. Eine Einschätzung, die angesichts von Schlägereien, Vergewaltigungen, Sachbeschädigungen und nicht zuletzt Autounfällen unter Alkoholeinfluss nachvollziehbar ist.

Mors in coitu oder Tod beim Sex: Von allen plötzlichen Todesfällen treten etwa 0,6 Prozent während des Geschlechtsverkehrs auf. Bei Männern wesentlich häufiger als bei Frauen und deutlich häufiger beim außerehelichen Verkehr, in ungewohnter Umgebung und mit jungen Partnern.

Bei der Risikobewertung von Drogen stellen sich laut Nutt verschiedene Fragen. Eine lautet: Sind Drogen gefährlicher als andere Risiko-Verhaltensweisen wie Bergsteigen, Gleitschirmfliegen, Bouldern, Reiten, Parcouring oder Sex? Das haben die Wissenschaftler den »externen Risikovergleich« genannt. Einen Sturm der Empörung löste Nutt in der britischen Boulevardpresse aus, als er die Gefahren des Reitens mit denen des Ecstasy-Konsums verglich. Er rechnete vor, dass statistisch bei 350 Kontakten mit Pferden ein ernsthafter Zwischenfall vorkäme, während die Risiken bei Ecstasy deutlich darunter lägen – bei einem ernsthaften Zwischenfall pro 10000 Kontakten. Im externen Risikovergleich schneidet also der Reitsport schlechter ab als Ecstasy-Konsum. Dieser Vergleich kostete Nutt seinen Regierungsposten.

Eine weitere Gefahrendimension ist das »relative Risiko«. Hier haben die Wissenschaftler die Gefahren von Alkohol, Cannabis und Co. miteinander verglichen. Ein Element bei diesem Vergleich ist die Sterblichkeitsrate – wie viele User sterben an den Folgen des Konsums der jeweiligen Droge?

In einem 2008 veröffentlichten Report zeigt das Advisory Council on the Misuse of Drugs (Kommission der britischen Regierung zu Drogenfragen) zum Beispiel, dass die Sterblichkeit bei Heroinkonsumenten im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung um das 20- bis 50-Fache höher ist. Warum ist das so?

Bei allen registrierten drogenbezogenen Todesfällen muss man von einer erheblichen Unsicherheit bezüglich der genauen Ursachen ausgehen. Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob viele dieser Todesfälle vermeidbar gewesen wären, wenn die Substanzen nicht in verunreinigter Form und unklarer Dosierung auf dem Schwarzmarkt erworben worden wären. Beim Dealer im Park gibt es nun mal keine geprüfte Liste der Inhaltsstoffe. Aber natürlich kann man auch mit sauberen, wohldosierten Substanzen tödliche Unfälle produzieren.

2012 starben weltweit 3,3 Millionen Menschen an den Folgen von Alkoholkonsum, mehr als zwei Drittel davon Männer. An Drogen- und Medikamentencocktails oder Kokainmischungen starben beispielsweise die Schauspieler River Phoenix, Heath Ledger und Philip Seymour Hoffman sowie die Musiker Elvis Presley und Michael Jackson.

Die Todesursachen sind vielfältig, die akuten unterscheiden sich von den indirekten und langfristigen. Bei einer Überdosis Heroin sterben Menschen meist an Atemdepression und Kreislaufversagen; beispielsweise kann der Blutdruck so weit sinken, dass der Herzschlag aufhört. Häufig ist die Todesursache auch eine Kombination mit Kokain, Cannabis, Alkohol oder Benzodiazepinen; sie kann in einigen Fällen auch mit einem tödlichen allergischen Schock enden. Indirekte Todesursachen sind Infektionen und Suizide. Bei letzteren muss man von einem Teufelskreis ausgehen: Psychisch instabile Menschen neigen eher dazu, Heroin zu konsumieren, und Heroinkonsum kann über den Umweg der gesellschaftlichen Isolation die Neigung erhöhen, das eigene Leben zu beenden. Oft geschieht dies dann bewusst oder halb bewusst auch mit Heroin. Auch bei Kokain ist die Mischung mit anderen Substanzen, oft mit Heroin und den Lokalanästhetika Lidocain und Tetracain, häufig Todesursache. Die Lähmung des zentralen Nervensystems oder Herzstillstand führen zum Tod, der wahrscheinlicher ist, wenn Kokain oder Kokainmischungen gespritzt werden. Kokainüberdosierungen können außerdem Gehirnblutungen auslösen und Krämpfe erzeugen, die sich in so schneller Abfolge vollziehen, dass Personen nicht wieder zu Bewusstsein kommen. Und wie bei Heroin gibt es auch bei Kokain tödlich verlaufende allergische Reaktionen. Herzprobleme und Blutgefäßkrankheiten können Komplikationen begünstigen. Bei Amphetaminen können vor allem Hirnblutungen und Herzstillstand auftreten, außerdem Hyperexie, eine Erhöhung der Körpertemperatur auf über 41 Grad, also extremes Fieber.

Zu den indirekten Todesursachen gehört auch Leberversagen infolge einer Hepatitis-C-Infektion durch den Gebrauch unsauberer Spritzen beim Konsum von Heroin, Kokain oder Amphetaminen.

Im Vergleich zu den Opiaten sind Todesfälle in Zusammenhang mit Ecstasy-Konsum selten, aber es gibt sie. Man muss davon ausgehen, dass häufig unklar ist, ob es sich bei der im Todesschein erwähnten Substanz »Ecstasy« auch tatsächlich um MDMA handelt oder um ein anderes Amphetamin oder eine Mischung verschiedener Substanzen. Wie bei anderen Amphetaminen sind Herzrhythmusstörungen bis zum Herzstillstand möglich. Als häufige Todesursache gilt außerdem Überhitzung, da MDMA entwässernd und temperatursteigernd wirkt, was durch extremes Tanzen unterstützt wird. Die erhöhte Temperatur kann dann zu tödlichem Organversagen führen. Eine seltenere Ursache ist ein durch MDMA bedingtes Abfallen des Natriumspiegels im Blut (Hyponatriämie) mit Todesfolge. Das geschieht häufiger bei Frauen, da diese Nebenwirkung durch Östrogen verstärkt wird.

Umstritten ist, ob Cannabisgebrauch akute Todesfälle auslösen kann. In jedem Fall sind sie äußerst selten und indirekt. Im Jahr 2014 behaupteten deutsche Forscher wohl zu Unrecht, den ersten direkten Todesfall durch Cannabis belegen zu können. Die Todesursache war Herzversagen. Cannabis ist eine der Drogen, bei denen die Wahrscheinlichkeit, durch den Konsum zu sterben, extrem gering bis kaum vorhanden ist.

Bei Heroin dagegen sieht die Sache anders aus: Jeder fünfzigste Heroinkonsument stirbt an den Folgen des Gebrauchs. Stellt man sich eine gewöhnliche Schulklasse mit 25 Schülern vor, dann bedeutet das einen Herointoten auf zwei Schulklassen – natürlich nur dann, wenn alle Schüler Heroin nehmen würden. Das relative Risiko ist also bei Heroinkonsum besonders hoch, bei Cannabiskonsum verhältnismäßig niedrig.

Der »Forever 27 Club« bezeichnet eine Reihe berühmter Musiker, die alle im Alter von 27Jahren an Drogen starben. Dazu gehören u.a. Jimi Hendrix, Jim Morrison und Amy Winehouse. Auch Kurt Cobain, der sich selbst erschossen hat, wird zu diesem Club gezählt, obwohl sein Drogenmissbrauch nicht die direkte Todesursache war.

Die Möglichkeit, direkt oder indirekt an Drogenkonsum zu sterben, ist wohl die extremste der möglichen negativen Folgen, aber nicht die einzige – Suchtentwicklung mit all ihren negativen Begleiterscheinungen auf Psyche, Körper und Sozialleben gehört ebenso dazu. Nach dem externen und dem relativen Risikovergleich stellt sich noch die Frage, wie einzelne Drogen abschneiden, wenn man Nutzen und Risiken miteinander abwägt. Zu diesem Thema gibt es leider nur wenige aussagekräftige Studien, so dass wir bei dieser Frage immer wieder auf Einzelfälle und subjektive Aussagen angewiesen sind.

Laura

16, Patientin im Come In!: Es hat sich angefühlt wie frisch verliebt sein, nur hundertmal stärker.

Laura ist eine der jungen Frauen und Männer, die wir über ihre Drogenerfahrung befragt haben und die so Beispiele für Wirkungen und Risiken, für gesunden, funktionierenden oder schädlichen Drogenkonsum und seine Folgen geben. Das Come In! ist eine Drogentherapieeinrichtung für Jugendliche bei Hamburg.

Mit dreizehn hab ich das erste Mal Drogen genommen, das war Gras. Ach, nein! Mit zwölf! Da hab ich das erste Mal getrunken, am Wochenende nach dem Jugendclub. Ich habe noch mit Kumpels rumgehangen, und die haben sich dann Alkohol geholt. Die waren schon sechzehn, siebzehn oder achtzehn, ich war meistens mit Älteren unterwegs. Wir haben dann »Saure Kirsche« getrunken. Das war mal was anderes, das erste Mal betrunken sein. Mein erster Rausch, ich habe viel geredet, auch über Dinge, über die ich sonst nicht so rede. Das hat mir gut gefallen. Und dann dieses Gefühl, toll! Mit meinem besten Freund, mit dem ich aufgewachsen bin, hab ich dann ein Jahr später im Nachbarort gekifft. Ich war sauneugierig, wollte es einfach ausprobieren. Wir haben dann in der Garage seiner Eltern Eimer geraucht. Der Rausch war besser als Alkohol, auf jeden Fall! Irgendwie entspannter. Wenn man zu viel trinkt, dann ist es auch irgendwie eklig, und man stinkt so nach Alkohol. Mit Gras war das nicht so. Irgendwann hab ich dann jeden Tag gekifft. Das Gefühl gefiel mir gut, ich konnte einfach abschalten und über ganz andere Dinge nachdenken.

Mit vierzehn hab ich auch das erste Mal Ecstasy genommen. In der Scheune. Ich bin in einer Kleinstadt in Thüringen aufgewachsen, in der Nähe von Erfurt. Der Papa eines Kumpels ist Bauunternehmer und hat uns eine alte Scheune überlassen, die wir dann renoviert und ausgebaut haben. Da haben wir häufig gechillt. Die Älteren haben sich dann ab und zu Teile geschmissen. Da ich ein neugieriger Mensch bin, wollte ich wissen, wie das wirkt. Also habe ich dann auch meine erste Ecstasy-Pille bekommen. Das war noch mal was ganz anderes! Wie soll man das beschreiben … Ecstasy halt! Ich war total überschwänglich, alles war einfach total gut und toll und viel schöner als vorher. Und ich hab so viel geredet! Zu der Zeit sind wir auch oft feiern gefahren, auf illegale Technopartys. Auf einer dieser Partys hab ich dann auch Speed gezogen. Um wach zu bleiben, aber auch, weil es alle genommen haben.

Speed ist eine Bezeichnung für Amphetamine und gehört wie MDMA in die Gruppe der Stimulanzien, es hat unter anderem enthemmende Wirkung. Crystal Meth gehört ebenfalls zu den Amphetaminen.

Danach sind wir wieder in unsere Scheune gefahren und haben eine After-Hour-Party gemacht. Zwei Tage lang. Speed war geil, weil man sofort wieder wach war und so einen Tatendrang und Laberflash hatte, wir haben alle drauflosgequatscht, auch richtig dumme Sachen, ohne darüber nachzudenken oder uns schämen zu müssen. Irgendwann hat mir das Speed am Wochenende nicht mehr gereicht. Einige Kumpels von mir nahmen Crystal Meth, das ist ja im Osten sehr weit verbreitet. Ich hatte gehört, die Wirkung sei viel krasser als Speed, und das war es auch! In der Scheune haben an dem Abend zwei Kumpel von mir aufgelegt, und da hab ich dann das erste Mal Meth gezogen. Da war ich gerade fünfzehn. Am Anfang war es nicht wirklich anders als Speed, aber dann hat es sich angefühlt wie frisch verliebt sein, nur hundertmal stärker! Ich habe mich so krass wohlgefühlt in meiner Haut. Ich war so selbstbewusst, ganz ohne Angst und auch viel aktiver. Auch aggressiver, ich habe mir nichts gefallen lassen. Das war gut. Und irgendwann hab ich es dann eben jeden Tag gemacht. Crystal ist deutlich billiger als Speed, zuerst ging das, da ich ziemlich viel Taschengeld bekommen habe. Als es dann immer mehr wurde, bin ich mit meinen Kumpels eingebrochen, in Läden oder die Keller unserer Nachbarn, und haben Kettensägen und Werkzeug verkauft.

Sascha

25, Student aus Mannheim: Mit Drogen war ich die verbesserte Version von mir.

Alles begann mit einer SMS: »Sascha, Lust, was zu zobbeln?« stand da. Die SMS kam spät am Abend von zwei Freunden, die ich aus der Realschule kannte. Ich war achtzehn Jahre alt und ging auf das Wirtschaftsgymnasium in einer süddeutschen Kleinstadt, die beiden anderen waren zwei Jahre jünger, seit Ende der Realschule hatte ich zu den beiden keinen engen Kontakt mehr. Da ich aus Kasachstan stamme und erst mit neun Jahren nach Deutschland gekommen bin, wurde ich in der Schule ein Jahr zurückgestuft, später bin ich noch einmal sitzen geblieben.

Drogen hatte ich noch nie genommen. Mit vierzehn hatte ich angefangen, Alkohol zu trinken, Bier und Wodka-Red-Bull. Nur hin und wieder an den Wochenenden, vielleicht zweimal im Monat, wenn ich mit Freunden abgehangen habe, oder auf Partys des Tischtennisvereins in unserem Dorf. Der Alkohol half mir, aus mir herauszugehen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und, vor allem, Mädchen anzusprechen. Das Ansprechen hat tatsächlich funktioniert, aber eine Freundin habe ich trotzdem nicht gefunden.

Als Teenager hatte ich nicht viele Freunde, ich bin ein sehr zurückhaltender, schüchterner Mensch. In den ersten Jahren auf der Realschule wurde ich heftig gemobbt – wegen meiner Sprachprobleme, meiner leichten Gehbehinderung, eine Folge der Mangelernährung in meiner Kindheit in Kasachstan, und weil ich übergewichtig war. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass die beiden mich gefragt haben, ob ich bei ihren Drogenexperimenten mitmachen würde – es war, als würde ich in einen exklusiven Club eingeladen. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, war aber sehr neugierig darauf, neue Bewusstseinszustände kennenzulernen. Wir würden Erfahrungen machen, die andere nicht hatten. Außerdem fühlte ich mich in dieser Gruppe sicher aufgehoben, die beiden waren nicht nur nett, sie waren auch gute Schüler, ernsthaft und verantwortungsbewusst, ihnen konnte ich vertrauen. Außerdem bestand keine Gefahr, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, wir würden nur legale Substanzen nehmen. Das war uns allen wichtig.

Am Wochenende haben wir uns zu dritt getroffen, in der Gartenlaube von Jakobs Eltern, Johannes hatte aus der Apotheke zwei frei verkäufliche Medikamente besorgt. Ein Hustenblocker und ein Mittel gegen Übelkeit. Johannes wusste, in welcher Dosierung und Mischung wir die beiden Mittel nehmen mussten. Dann haben wir zu dritt getrippt. Bei mir haben die Substanzen extrem eingeschlagen. Mit einem Mal begann der Raum zu morphen, der Baum vor dem Fenster wuchs in das Zimmer, die Gesichter meiner beiden Freunde begannen zu verschmelzen, aus den Wänden klang Musik, ich war komplett verschickt. Total abgefahren! Aber ich habe es nicht als bedrohlich oder so empfunden, im Gegenteil, es war aufregend und spannend. Ich habe mich mit den beiden anderen sehr wohlgefühlt. Der einzige Nachteil war, dass ich irgendwann einen Filmriss hatte und am nächsten Tag einen Mordskater, ich brauchte zwei Tage, um mich davon zu erholen. Aber das war es mir wert. Ich war auf den Geschmack gekommen.

Einige Monate später haben wir die hawaiianische Babyholzrose ausprobiert. Johannes hat die Samen im Internet bestellt. Er hatte sich vorher intensiv mit dem Thema beschäftigt und einen ganz guten Überblick darüber, was man wo bekommen konnte, in welcher Dosierung man es nehmen sollte und welche Wirkungen zu erwarten waren. Dieses Mal war die Wirkung nicht ganz so intensiv, vergleichbar mit einem leichten LSD-Rausch. Bei den anderen beiden hat es gar nicht angeschlagen.

In den Frühlingsferien haben wir dann wieder mit einem Medikamentencocktail experimentiert. Wir waren zu siebt und haben auf einer abgelegenen Wiese, die wir vorher eigens dafür ausgesucht hatten, gezeltet. Unsere Rauschwochenenden haben wir immer intensiv geplant und gut vorbereitet, für uns hatte das Eventcharakter. Etwas ganz Besonderes, das wir uns alle paar Monate gönnten. Im Laufe der Zeit kamen dann noch andere Mittel dazu, die wir im Internet bestellt haben – GBL, BZP, TMFPP und MDMA.

GBL, auch bekannt als Liquid Ecstasy, ist wie BZP eine synthetische Droge aus der Gruppe der Stimulanzien. TMFPP erinnert in seiner Wirkung an MDMA, den Wirkstoff in Ecstasy-Pillen.

Die Rauschzustände und Bewusstseinsveränderungen, die ich erlebte, waren fantastisch. Die Bilder in meinem Kopf, die verschickten Gefühle, die veränderte Wahrnehmung, das verschobene Zeitempfinden, das Gefühl zu träumen, obwohl ich wach war. Die Euphorie, die Leichtigkeit, der Spaß, den wir miteinander hatten! Die Rauscherfahrung hat uns als Gruppe eng zusammengeschweißt, wir haben sehr viel miteinander geredet, auch über sehr Persönliches. Vor allem das MDMA war eine unglaubliche Erfahrung: Alle in meinem Freundeskreis waren eher verklemmte, verschlossene Typen, die in schwierigen familiären Verhältnissen aufwuchsen. Das MDMA hat alle Wände niedergerissen, plötzlich konnten wir über all unsere Probleme reden, uns austauschen, wir fühlten uns eng verbunden. Außerdem fiel es uns leichter, zu tanzen und aus uns herauszugehen.

Drogen waren für mich auch immer ein Mittel, mich selbst zu modifizieren. Wegen der Mobbing-Erfahrungen in meiner Kindheit hatte ich ein Selbstwertproblem, die Drogen halfen mir, Defizite wettzumachen. Mit ihnen war ich die verbesserte Version von mir – der, der ich gerne gewesen wäre.

Nina

23, Studentin aus Göttingen: Cannabis ist eine großartige Pflanze, die mein Leben bereichert.

Das erste Mal gekifft habe ich mit dreizehn oder vierzehn, so genau weiß ich das nicht mehr. Ein paar Leute, die ich flüchtig kannte, haben gekifft, und ich habe zwei- oder dreimal mitgeraucht, aus Neugier. Aber dabei blieb es dann, an den Rausch kann ich mich kaum erinnern. Kiffen hat mich damals nicht so gereizt. Hauptsächlich deshalb, weil die Leute, mit denen ich gekifft habe, nicht zu meinen engen Freunden gehörten.

Ich bin in einer Kleinstadt im Ruhrgebiet aufgewachsen, in meiner Clique waren Drogen kein Thema. Alkohol dagegen schon. Meinen ersten heftigen Absturz hatte ich mit dreizehn, ich habe damals ziemlich viel getrunken, am liebsten Wodka Energy, das macht gleichzeitig fit, wach und besoffen. Eine krasse Kombi! Außerdem schmeckt der Wodka dann nicht so eklig.

Ich bin Einzelkind und behütet aufgewachsen, mein Vater ist Elektriker, meine Mutter arbeitet als Erzieherin. Zu Hause hatte ich keine großen Probleme, mein Vater war wie ein großer Bruder für mich, er ist ein ziemlicher Kindskopf geblieben. Für meine Mutter war das anstrengend, für mich war das toll.

Die Woche über habe ich nur selten getrunken, ich ging ja noch zur Schule, aber am Wochenende, wenn ich mit meinen Freunden feiern war, habe ich exzessiv gesoffen. Das ging über Jahre so. Ich fand das klasse und habe mir keine Gedanken darum gemacht. All der Blödsinn, den wir besoffen angestellt haben, war ziemlich lustig. Vielleicht wäre mein Abi etwas besser ausgefallen, wenn ich weniger getrunken hätte, wer weiß. Aber das hat mich nicht sonderlich interessiert. Wenn ich voll war, habe ich auch häufig einen Typen mit nach Hause genommen. Sex mit jemandem, den ich vorher nicht kannte, nicht zu wissen, was passiert – die Vorstellung hat mich gekickt! Als ich nach dem Abitur zum BWL-Studium nach Göttingen gezogen bin, ging mein Leben erst mal so ähnlich weiter. In den ersten Jahren habe ich eher noch mehr getrunken, es war meine Sturm-und-Drang-Phase, ich wollte mich ausprobieren, Spaß haben: so oft wie möglich krass geil feiern gehen, dann war alles cool. Es war eine intensive Zeit. Bis ich irgendwann gemerkt habe, das tut mir nicht gut. Irgendwie wurde es unangenehm, die ständigen Filmrisse, neben jemandem wach zu werden und mich nicht mehr daran zu erinnern, was wir in der Nacht getrieben haben. Der Alkohol hat mich nur noch abgefuckt, auch der Rausch war irgendwie scheiße. Ich dachte immer häufiger: »Wenn ich die letzten fünf Gläser nicht getrunken hätte, wäre der Abend cooler gewesen.« Irgendwie fühlte ich mich immer abgestumpfter, wenn ich besoffen war, und der nächste Tag war zuverlässig im Arsch. Am Ende war es verlorene Zeit. Und der Sex war besoffen eigentlich auch eher unbefriedigend.

Damals habe ich beschlossen, weniger zu trinken. Zu der Zeit hat sich auch mein soziales Umfeld verändert. Für meine neuen Freundinnen stand Feiern und die Sau rauszulassen nicht so im Vordergrund. Eine von ihnen, eine erfahrene Kifferin, hat mich dann ins Kiffen eingeführt.

Es war toll! Und der nächste Morgen war genauso toll, kein Kater, kein Filmriss, nichts! Eine wichtige Erfahrung für mich, die vieles verändert hat. In den ersten Monaten haben wir uns immer wieder an den Wochenenden zu dritt getroffen und gekifft. Erst nach zwei oder drei Monaten habe ich mir zum ersten Mal selbst Gras gekauft und allein gekifft.

Mittlerweile trinke ich nur noch selten, aber Kiff ist ein wichtiger Teil meines Lebens geworden. Zugegeben, eine Zeitlang habe ich es übertrieben. Als ich angefangen habe zu kiffen, habe ich schnell viele andere Kiffer kennengelernt und war bald fast ständig stoned – tagsüber, abends, am Wochenende, mindestens fünf Tage in der Woche. Es gab auch nüchterne Tage, aber die waren eher die Ausnahme. Ich war in einer schwierigen Phase, in einer Art Selbstfindungsprozess, wusste nicht genau, wo es hingehen sollte mit mir, meinem Leben und meinen Beziehungen. Neben dem Studium hatte ich bis zu drei Nebenjobs, ich war ziemlich gestresst. Außerdem war das BWL-Studium scheiße, ich fühlte mich wie ein Alien, gehörte da nicht hin und wollte weg. Wie oft und wie viel ich gekifft habe, war aber immer auch von den Leuten abhängig, mit denen ich zusammen war.

Als ich dann die Fachrichtung wechseln konnte und mit meinem Soziologiestudium anfing, habe ich das Kiffen mehr und mehr zurückgefahren. Die Uni machte mir auf einmal Spaß, ich wollte mein Studium auf die Reihe bekommen. Ich habe dann sogar für drei Monate das Kiffen ganz eingestellt. Das war eine Art Experiment: Ich wollte wissen, was sich in meinem Leben dadurch verändert. Außerdem hatte ich festgestellt, dass der Genuss beim Kiffen auf der Strecke blieb, wenn ich jeden Tag geraucht habe. Bekifft sein war irgendwann der Normalzustand, nichts Besonderes mehr, der Rausch wurde irgendwie stumpf.

Gras ist etwas Großartiges, Tolles, das unser Leben bereichern kann, aber nur, wenn Bekifftsein kein Dauerzustand ist. Nüchtern sein ist eben auch geil, und gerade der Wechsel macht es spannend. Ich will nicht ständig dicht durch die Gegend laufen. Ein Gramm reicht mir in der Regel für eine Woche, und das rauche ich nicht mal allein. Während der Woche steht das Studium im Vordergrund, da kiffe ich nur sehr selten. An unifreien Tagen liege ich dann mal mit einer Freundin in der Sonne und rauche einen Joint. Dann kann ich mich an jedem Blümchen erfreuen, das Gras erweitert meine Wahrnehmung, ich fühle die Natur und kann ihre Energie aufsaugen. Oder es hilft mir, nach einem krass anstrengenden Tag an der Uni abzuschalten. Aber dann rauche ich eben nur einen Joint, und das nicht jeden Tag.

Cannabis: Wer hat schonmal?

Früh übt die deutsche Kifferjugend? 1973 hatten weniger als ein Drittel der 18- bis 25-jährigen Männer und nicht einmal ein Fünftel der gleichaltrigen Frauen ein- oder mehrmals Cannabis probiert, 2004 waren es schon fast die Hälfte der jungen Männer und mehr als ein Drittel der jungen Frauen – von wegen wilde 70er. Zwischen 2004 und 2010 war die Zahl der Erstkonsumenten bei Männern und Frauen allerdings wieder rückläufig.

Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: »Cannabistrends 1975–2010«, 2014

2 Wohin soll die Reise gehen?

Eigentlich ist die Sache ganz einfach – wer das Risiko ausschließen will, aufgrund von Drogengebrauch in der Psychiatrie, im Krankenhaus, im Gefängnis oder in der Therapie zu landen, der lässt einfach die Finger von Drogen. Der sicherste Schutz vor Absturz, Sucht, Überdosis, Kontrollverlust und Ähnlichem ist Abstinenz. Punkt. Ist es wirklich so einfach? Der gleichen Logik folgend ist der sicherste Schutz vor Geschlechtskrankheiten und ungewollter Schwangerschaft, auf Sex zu verzichten. Zumindest auf solchen, an dem andere Menschen beteiligt sind. Und wer mit absoluter Sicherheit einen Verkehrsunfall vermeiden will, sollte möglichst sein Zimmer nicht verlassen. Zugegeben, dieser Vergleich ist etwas überzogen, aber ganz abwegig ist er nicht.

»Man geht die gleichen Wege des Denkens wie vorher. Nur scheinen sie mit Rosen bestreut.«

Walter Benjamin (1892–1940), deutscher Philosoph und Literaturkritiker, über seine Haschisch-Erfahrungen

»Man darf Drogen nicht glorifizieren. Ich kenne genug Leute, die von ihren Trips nicht zurückgekehrt sind. Die sprangen aus dem Fenster, mussten feststellen, dass sie keine Flügel hatten, und knallten auf den Bürgersteig.«

Paul McCartney (*1942), Musiker und Ex-Beatle

»Je früher die Menschen erkennen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Drogen nimmt, desto besser für uns alle. Es ist dann kein Skandal mehr oder so … Drogen zu nehmen ist, wie morgens nach dem Aufstehen eine Tasse Tee zu trinken.«

Noel Gallagher (*1967), britischer Musiker, ehemals Oasis

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