Hipster wird's nicht - Uli Hannemann - E-Book

Hipster wird's nicht E-Book

Uli Hannemann

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Beschreibung

Schlauchschals, Stofftaschen, merkwürdige Mützen und dummes, unpolitisches Geschwätz: So nimmt der 44jährige Thomas seine jungen Mitbewohner wahr, als der Eigenbrötler umständehalber in eine Berliner Hipster-WG einziehen muss - ein Scheitern an allen Fronten schon bei der Vorstellungsrunde. Wo ist nur sein altvertrauter Kiez abgeblieben? Statt der Bäckerei um die Ecke gibt es Cafés, die Chai Latte anbieten, ein Neuseeländer entwickelt Dönervariationen und das »Zille-Eck« ist neuer Szenetreff. Ein rasend komischer Clash der Kulturen und Generationen!

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Die im Roman dargestellten Ereignisse und Personen sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Geschehnissen sowie lebenden, toten oder kranken Personen wären rein zufälliger Natur. Sämtliche Aphorismen sind frei erdacht und ihren angeblichen Erfindern mutwillig untergeschoben. Orte, Organisationen und Markennamen sind zu verschiedenen Teilen real und fiktiv. Das Buch ist aus Zauberpapier, das sich nach dem dritten Verleihen von selbst auflöst. Der Gerichtsstand des Autors ist Berlin-Neukölln.

Mehr über unsere Autoren und Bücher:www.berlinverlag.de

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe1. Auflage 2014

ISBN 978-3-8270-7686-1© 2014 Uli HannemannFür die deutsche Ausgabe© 2014 Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehaltenCovergestaltung: ZERO Werbeagentur, München,unter Verwendung eines Bildes von © FinePic®, MünchenDatenkonvertierung: psb, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

»Hipster im 2er-Pack mit Streifenbund und optischer Knopfleiste. Je in Grundfarbe mittelblau. 95 % Baumwolle, 5 % Elasthan. Maschinenwäsche.« (Ulla Popken GmbH)

1

»Der Kreis ist die Gerade des unentschlossenen Mannes.«

(Konfuzius)

Meine Muschi hat Hunger! Und Durst!

Die Leuchtreklamen der Imbissbuden spiegeln sich in den Regenpfützen wider, ebenso wie flackerndes Blaulicht: ein Streifenwagen, ein Rettungswagen, dazu ein Löschzug. Entweder trifft zu spät Hilfe ein oder zu viel oder beides. Da kommt man sich als Verunglückter schon regelrecht verarscht vor und das ist das, was man in dieser Situation neben Anrufen von Meinungsforschern so ungefähr am wenigsten gebrauchen kann. Den Zweck des Löschzugs habe ich sowieso nie verstanden, die Verletzten brennen doch nicht. Oder nur ganz selten.

Ich brenne jedenfalls nicht. Eher fühle ich mich weitgehend ausgelöscht. Zwanzig Meter weiter zerrt ein behelmter Feuerwehrmann den achtgängigen Schrotthaufen, der mein Fahrrad war, unter einem dunkelblauen SUV hervor und von der Fahrbahn. So ist er immerhin nicht ganz umsonst zum Unfallort gekommen.

»Seine Birne ist ja ganz schön Matsch«, höre ich über mir eine Polizistin sagen. Ich will das aber gar nicht hören. Aus dem Zusammenhang heraus – Ich, Straße, Feuerwehr, Blut (Ketchup?), Kopfschmerzen! – fürchte ich nämlich, sie meint mich. Das wiederum macht mich auf derlei laienhafte Diagnosen gerade so allergisch. Wenigstens hat die Notversorgung durch die Profis schon begonnen. Ich habe eine Infusionsnadel in jedem Arm und mache Schockpipi in meine von Annabel frisch gewaschenen Jeans.

»Hölme schützen«, brummt ihr Kollege. »Dit merkta sich in Ssukunft.«

»Welche Zukunft?«, fragt die Kollegin und tippt sich durch den Kurzmitteilungsspeicher meines Taschentelefons. Zu ihren Worten fehlt noch, dass sie mir wie einem Stück Dreck in die Seite kickt.

Welche Zukunft? Oh, das war jetzt echt gemein! Objektiv betrachtet dennoch eine gute Frage. Ich werde alte Optionen verabschieden müssen und dafür neue begrüßen dürfen: Zum Beispiel könnte ich, ganz praxisnah, als lebendes Anschauungsobjekt bei der Verkehrserziehung dienen.

So, liebe Kinder: Stellt doch dem, äh, Mann, den die netten Mitarbeiter vom DRK (Vielen Dank, die Herren! … Genau, unser Sergio macht das ganz richtig: Ihr dürft ruhig alle klatschen, das ist ganz toll von euch, die haben wirklich so einen schweren Beruf!) hier zu uns ins Klassenzimmer gefahren haben, einfach mal irgendeine Frage. (Ja, der sabbert. Ist doch nicht so schlimm, ist doch nur Spucke. Okay, und, äh … Vielleicht nicht zu nah ran, Sören. Und, Nicki, bitte nicht den »Stecker« aus seinem Arm ziehen. Nicki! Nick!!) Ganz egal was. Zum Beispiel, warum er so lieb, aber gleichzeitig auch so komisch guckt. (Ja, Linda: Ein bisschen wie ein toter Engel. Da hast du recht. Sehr schön!) Und unser Herr Hansen von der Verkehrspolizei erklärt euch dann, warum der Mann nur sinnloses Zeug antwortet. Aber dafür auf Englisch. Was – Achtung, aufgepasst: jetzt kommt’s! – übrigens gar nicht seine Muttersprache ist.

Die Kinder wundern sich. Und ich wundere mich ebenfalls über diese Ironie des Schicksals: Jahrelang habe ich gegen den Anblick erwachsener Radfahrer mit Fahrradhelmen polemisiert und entsprechend niemals einen getragen. Was habe ich gespottet – im Bekanntenkreis, am Tresen oder auf der Bühne. Das hat mir vor Jahren sogar einen meiner größten Erfolge eingebracht: den Gewinn der »Hammer Hackfresse«, der damals inoffiziellen NRW-Meisterschaft der Slammer in der Senioren-Klasse (über 30), mit dem Schmähgedicht Bi-ba-buntes Helmchen. Seitdem hängt die originale Totenmaske eines unbekannten Narren vom westfälischen Hof bei uns zu Hause an der Küchenwand. Eingraviert die Jahreszahl und mein Kampfname: Sieger 2001: Thomas68.

An den eigentlichen Unfallhergang erinnere ich mich nicht. Auch die weiteren Umstände kann ich nur raten, angelehnt an meine sonstigen Gewohnheiten: Vermutlich wollte ich von da nach dort oder von dort nach da, und zwar wie üblich ziemlich schnell. Dann kam ich dort nicht an. Oder da nicht. Und schnell schon gar nicht.

Jetzt bin ich jedenfalls hier. Ganz unten. Und zwar im doppelten Sinne: zum einen wie ein sterbender Käfer auf dem Rücken liegend und zum anderen downtown am Hermannplatz. Wie üblich führe ich keinerlei Identifikationspapiere bei mir, doch dafür haben die Bullen mein Handy gefunden. Erstaunlicherweise funktioniert es noch – hier zahlt sich meine Vorliebe für robuste Oldtimer aus, mit denen man nichts als telefonieren kann. Um meine Bezugspersonen zu ermitteln, checken sie die eingegangenen Mitteilungen.

Sie sind zu zweit. Eine junge Kollegin mit langen, zum Zopf geflochtenen, braunen Haaren. Neben ihr steht ein älterer Kollege, Schnauzbart, mit Bauch, der Ranghöhere der beiden.

Sie erledigt das Technische. Die jungen Leute eben. Nie und nimmer wäre er in der Lage, ein fremdes Mobiltelefon zu bedienen. Bei seinem eigenen weiß er inzwischen gerade mal, auf welchen Knopf er drücken muss, wenn Mutti anruft, kurz bevor es Essen gibt. Aber für exotische Sonderfunktionen wie Textnachrichten oder Tastensperre ist er beileibe nicht Nerd genug.

Dafür ist er der Lebenserfahrenere.

Sie stehen direkt neben mir, während die Beamtin die Nachrichten im Speicher durchgeht. Bei der Muschi-Nachricht stutzt sie und blickt zu mir herunter. Sieht sie in mir die Urlaubsvertretung für den Katzenbesitzer und wähnt nun ein hungerndes Haustier in Not? Dafür sind die Kollegen von der Feuerwehr zuständig und noch wären die ja vor Ort. Nein, sie deutet die Message schon richtig, denn beim Lesen jeder weiteren Nachricht gewinnen ihre Wangen an Farbe. Ich glaube kaum, dass das am Widerschein der roten Leuchtreklame von Süper-Döner liegt.

»Hier ist noch so eine, schon wieder von dieser Larissa.« Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und flüstert dem Älteren ins Ohr: »Schpinno seikestern offansichich feuchontier käferchen.« Ich vernehme nur ein Mischmasch aus Vokalen, Konsonanten und solchen, die es werden wollen. Die Botschaft ist mir dennoch klar. Schließlich war sie mal für mich bestimmt.

Er zeigt ein schweinisches Grinsen. Matroschka: Über den Rand der ohnehin schon alptraumhaften Szene linst eine kleine böse Nebenphantasie.

In der Polizeikantine sitzen uniformierte Schnurrbartträger vor Kassler Nackensteaks, Kraut hängt wirr in den Barthaaren, fettige Münder schmatzen die Herrenwitze der Zukurzgekommenen. »seikestern … feuchontier …« Bäuche und Bärte wackeln vor unersättlichem Lachen. Fleischscheiben und Fleischfressen tanzen einen wilden Reigen. Wer ist hier eigentlich das tote und wer das lebende Schwein?

Kein Wunder, dass sie genervt wirkt. Zur Abwechslung hört sie die Mailbox ab, schüttelt den Kopf, dass der Zopf schlenkert, und referiert: »Ein Zeuge namens Schlicky oder so, Veranstalter eines Grunzburg-Slams oder so, bittet ihn« – erneut blickt sie zu mir herunter –, »bittet das Opfer, doch bitte im April nicht zu kommen. Das Feld oder so wäre schon voll und man wolle die Veranstaltung nicht verwässern, qualitativ und quantitativ …«

»Nennta einen Namen?«

»Leider nein. An Namen haben wir bislang nur …«

»Dit Frollein Larissa würdick ja jern ma kenn’lern’.« Er zwinkert.

Sie lässt sich nichts anmerken. Flucht nur innerlich. Immerhin ist er ihr Vorgesetzter und die haben ja bekanntlich immer den Längsten. Aber ein Ende dieser Prozedur muss her. Unbedingt. Ein Befreiungsschlag. Außerdem hat sie längst Feierabend, Hund muss raus, Tampon muss rein, im Fernsehen läuft ein alter Bayern-Tatort mit Udo Wachtveitl und dem mürrischen Ausländer, den sie insgeheim ganz ansprechend findet. Um nicht zu sagen affengeil. Sie zieht ein unerwartet kraftvolles Resümee.

»Wir haben hier also: etwa hundert explizite Ficknachrichten von der Zeugin Larissa, Familienname unbekannt, ein paar vernachlässigbare Einzeltexter und dann noch ungefähr zehnmal etwas in der Richtung Bringst du noch Milch mit? oder Kommst du heut noch mal nach Hause, verdammt? von einer anderen, mutmaßlich ebenfalls weiblichen, Kontaktperson – die letzte SMS ist eine halbe Stunde alt.«

Erstmals bringe ich wieder einen Laut hervor. Doch es ist kaum mehr als ein schwaches Stöhnen. »The Germans should …«, höre ich erstaunt aus meinem Mund. Das sind nicht meine Worte, das ist noch nicht mal meine Sprache. Warum spreche ich Englisch?

»Warum spreche ich Englisch?« Ich versuche mich mit dem Oberkörper ein kleines Stück von der Trage aufzurichten. »Please …?«

Doch sie hören mich nicht, sind mit ihrer Beratung beschäftigt. »Die rufenwa an«, entscheidet der Lebenserfahrenere. »Wie heißt die?«

2

»Und er faselte irgendwas von seiner Autonomie als Individuum.«

(Anonyme Freundinnen im Park über das Thema Betrug)

Sie heißt Annabel. Annabel ist gefährlich ruhig. Sie lauert. Krokodil im Wasserloch, gleich kommt das Gnu, das bin ich, dabei hat doch eigentlich sie die Hörner auf. Sie schreit nicht, weint nicht, stellt nur Fragen.

»Das mit Larissa ist sowieso lang vorbei«, behaupte ich, »außerdem war die Sache überhaupt nicht wichtig.«

Das stimmt. Wichtig ist nur Annabel. Wir ergänzen uns perfekt: Sie kleidet mich, nährt mich und unterhält mich – zum Ausgleich bin ich immer für sie da. Es sei denn, ich bin gerade weg. Zum Beispiel bei Larissa, was ich aber eher als logistisches Hindernis sehe denn als romantisches. Schließlich liebe ich nur Annabel oder glaube zumindest, sie zu lieben. Denn was ist das schon: Liebe? Eine Worthülse, gefüllt mit lauwarmer Luft, die jeder für sich selber definieren kann, wie er lustig ist. Ich deute sie jedenfalls so, dass ich für jemanden da bin, wenn ich nicht gerade weg bin. Mehr habe ich nicht zu geben, aber ich finde, das ist schon ziemlich viel.

»Vorbei« – kein schönes Wort. Eigentlich könnte sie ja ruhig auch anerkennen, was ich schweren Herzens nur für sie aufgegeben habe. Aber ungeachtet meiner eigenen, zugegebenermaßen begrenzten, Verlustgefühle leide ich natürlich auch mit Annabel. Mir ist schon klar, dass das für sie jetzt keine superangenehme Situation ist, die ich nun nach bestem Wissen und Gewissen wieder hinzubiegen habe. Einsicht ist mein zweiter Vorname. Thomas Einsicht Guttmann.

»Und was ist das hier? Thomasinchen!« Sie hält mein Handy in der ausgestreckten Hand. »Die hier ist gerade mal drei Tage alt: Bist du schon wieder bei deiner blöden Freundin? Komm und steck ihn mir rein!«

Okay, »lang« ist natürlich relativ. So mache ich gerade ein relativ langes Gesicht, ungefähr wie Pluto nach Aberkennung des Planetenstatus. Ex-Planet, Drecksplanet. Denn natürlich hat nicht die Polizei angerufen.

Der Unfall, die Polizistin, mein Handy: Das alles ist nur ein in Variationen (andere Straße, anderes Fahrzeug, andere Verletzungen) ständig wiederkehrender Tagtraum, eine Angewohnheit seit Kindheitstagen. Ertappt bei einem kleinen Ladendiebstahl, eine Drei in Religion, doch auf dem Heimweg verunglücke ich und alles andere ist auf einmal Nebensache. Die Mutter sitzt am Bett und weint. Buhuhu. Sie sorgt sich um mein Überleben. Auf der Stirn ein Lappen, überall Blut, ich kotze in den Putzeimer. »Scheiß auf die Drei«, schluchzt sie, was zeigt, wie unrealistisch meine Tagträume damals schon waren. Das hätte sie nie gesagt. Zum Glück, denn die Drei ist für mich persönlich eine ganz, ganz wichtige Zahl. Auf die scheißt niemand ungestraft.

Im Fall von Annabel ist das Motiv sehr ähnlich. Sie soll nicht sauer sein. Ich mag es nicht, wenn sie sauer ist. Ich will auch nicht, dass sie traurig ist. Mir wäre es ja viel lieber, sie würde mir vergeben, denn letztlich folge ich doch auch nur meiner Bestimmung. Schließlich bin ich ein Mann und ein Künstler. Der Mann sucht die Frau und der Künstler die Inspiration und der Mann im Künstler die Inspiration in der Frau. Diese Suche kann durchaus auch mal über eine Energieübertragung an den besonders im Genitalbereich sensiblen Hautstellen führen, das lässt sich trotz noch so guter Vorsätze nicht komplett vermeiden. Aber ich gebe mir rechtschaffen Mühe, für uns, ich war schon mal schlimmer.

»Du willst doch einfach nur rumficken«, sagt sie.

Habe ich eben zu laut gedacht? Vermutlich. Ihr pauschaler, die komplexen Zusammenhänge verkennender Vorwurf lässt darauf schließen. Dennoch versuche ich, mich in ihre monogame Dystopie hineinzuversetzen und eine angemessene Lösung für uns beide zu suchen. Mein Tagtraum wäre so eine Lösung, nur leider kennt sie ihn nicht, sonst könnte sie in diesem Moment so froh sein: Mein Fahrrad steht heil im Hof und ich bin auch nicht verletzt, allenfalls seelisch. Doch sie ist nicht froh, das spüre ich. Sie ist vielmehr sauwütend. Mein Heil suche ich im schnellen Gegenangriff.

»Wie kommst du eigentlich dazu, an meinem Handy rumzufummeln?« Ich bemühe mich erst gar nicht, den anklagenden Tonfall zu verbergen. Sie soll ruhig wissen, dass sie jetzt aber auch mal einen Fehler gemacht hat. Ihr Misstrauen kränkt mich nach all den Jahren, in denen ich ihr herzlich wenig Anlass dazu gegeben habe. Also höchstens manchmal, so wie jetzt.

»Das lag hier eben rum und ich hab’s dann mit meinem verwechselt.« Sie bleibt ruhig. Ich beneide sie um ihre Fähigkeit, mit der Mimik eines Reptils zu lügen. Die habe ich nicht, obwohl ich sie weitaus nötiger hätte. Gott hat die Fairness nicht mit Löffeln gefressen. Da ist es doch kein Wunder, dass ich nicht an ihn glaube.

»Wie lang geht das denn nun schon? Seit du deine Schlüppis nicht mehr bei KiK kaufst? Ich hab nämlich echt keinen Bock, dieses Schlampenfickscheiß-Epos bis zur Steinzeit durchzuscrollen.«

Sie weiß anscheinend nicht, wie lange. Das ist gut. Jetzt muss ich bloß noch geschickt pokern und aus dem halben Dauerbrenner einen lässlichen Ausrutscher basteln: Betrunken, nicht bei Sinnen, vollkommene Ausnahmesituation, gegen mein ausdrückliches Verbot direkt an den Schwanz gefasst, einmal, sagen wir, vor zwei Wochen und einmal vor drei Tagen und dann auch nicht wiedererkannt, weil so öde und unscheinbar, blablabla. Und war sowieso alles nicht schön und überaus belanglos …

»Zwei Wochen?«, sage ich und spreche versehentlich das Fragezeichen mit. »Zwei Wochen«, verbessere ich mich und hoffe, dass die Spanne ungefähr in den Rahmen des von ihr nachvollzogenen »Fickscheißes«, formerly known as »Mein süßes kleines Geheimnis«, passt. In der Methode habe ich Übung. Es ist nicht gerade die allererste Diskussion dieser Art.

Sie wirft einen leeren Blick nach draußen auf unsere Dachterrasse. Genauer gesagt, ihre Dachterrasse, denn wer zahlt, bestimmt die Possessivpronomen. Auf dem Geländer liegt Schnee, eine Amsel schaukelt in dem Strunk einer toten Balkonpflanze. Manche haben auch Ende Januar Spaß.

»Es ist nicht, was du denkst«, bemühe ich eine Floskel und lache unsicher, denn sie ist natürlich nur als Zitat aus einem schlechten Film gedacht: Türenklappkomödie mit nacktem Mann im Schlafzimmerschrank. Das wissen wir beide, das sind nun mal die gemeinsamen Codes einer langjährigen Beziehung.

»Weil du weißt, was ich denke«, sagt Annabel. Ihre Mundwinkel fangen an zu zittern. Scherbenalarm. Sie nimmt einen Teller vom Tisch, den blauen mit den tanzenden kleinen Hühnchen, und dreht ihn prüfend hin und her, bevor sie ihn achtsam wieder zurückstellt.

»Der ist zu schade für dich.«

Ich kann nichts dafür. Es ist die Biologie. Bei Versuchen mit Ratten haben Wissenschaftler festgestellt, dass bei einem Rattenmännchen der Spiegel des Belohnungshormons Dopamin nach wiederholter Paarung mit demselben Weibchen immer weiter in den Keller sinkt. Paart sich das Männchen jedoch mit einer ihm bis dahin unbekannten Partnerin, schnellt der Dopamin-Spiegel sofort wieder in die Höhe. Das erkläre ich ihr. Meine Stimme ist sanft, der populärwissenschaftlich gehaltene Vortrag mit klugen und geschmackvollen Scherzen garniert, weil ich weiß, dass der Vergleich an sich nicht unbedingt der Megabrüller ist.

»Stimmt. Du bist eine Ratte«, sagt sie. Sie scheint mich verstanden zu haben.

Oder vielleicht auch nicht so ganz, denn jetzt heult sie am Ende doch. Das wollte ich nicht. Ich möchte, dass Annabel fröhlich ist, jetzt auf der Stelle. Sie weiß doch, wie sehr ich ihr Lächeln mag, mit dem oberen mittleren Schneidezahn, der sich so vorwitzig vor seinen Nachbarn schiebt, als wolle er als Erster gucken, was es zum Essen gibt. Das finde ich bei aller Unregelmäßigkeit wirklich sauschön. Heulend hingegen sieht jeder Mensch irgendwie blöd aus, selbst Annabel.

An dieser Stelle keift mein innerer Chefankläger plötzlich los: Was mir einfiele, dem Opfer – er meint Annabel – in dieser Situation auch noch vorzuschreiben, ein fröhliches Gesicht zu machen. Das sei ja wohl die Höhe und Fremdgehen offenbar eine Art Hobby meiner durch und durch verkommenen Persönlichkeit.

Einspruch, Euer Ehren. In einer zerknitterten Robe rafft sich mein Pflichtverteidiger auf. Ein Alt-68er, dem eine fünfstellige Zahl THC-Konsumeinheiten tiefe Furchen der Vernunft und der Gelassenheit ins gemütliche Gesicht gegraben hat. Mit freundlichen Worten klärt er den Staatsanwalt über die Trennung von Staat und Kirche, den Unterschied zwischen Moral, Gesetz und Scharia sowie den chronologisch korrekten Ablauf der Ereignisse auf: So habe das Opfer vor langer Zeit sogar mit »diesem Laissez-faire-Programm«, wie er sich moralisch neutral ausdrückt, angefangen. Und zwar in Gestalt diverser in Gleitzeit parallel alternierender Verhältnisse mit ihrem Doktorvater, einem tunesischen Barmann sowie dem Angeklagten, als sie mit dem noch längst nicht offiziell zusammen war.

Eben, unterbricht der Nebenkläger: »Sie sagen es: ›noch nicht offiziell zusammen‹.« Erstens wäre es gerade unter diesen Umständen ja wohl reichlich abenteuerlich vom Beklagten, irgendwelche eheähnlichen Ansprüche abzuleiten. Zweitens habe das Opfer damals ganz klar alle Karten auf den Tisch gelegt: Wenn er, der Angeklagte, diese »Phase« seiner, des Opfers, »Findung« nicht zu ihrer beider, des Opfers sowie des Beschuldigten, »Besten« mitzumachen bereit sei, könne er eine mögliche gemeinsame Zukunft »gleich von vornherein knicken« (Zitate Opfer). Nach dieser Phase aber sei ein beiderseitiger Entschluss zu weitgehender Monogamie durchaus wünschenswert.

Die Schöffen, die sich auf einer harten Bank in meinem Nebenhirn drängeln, grummeln: Der Sachverhalt spricht klar gegen den Angeklagten. Zu allem Überfluss weigert sich der psychiatrische Gutachter, verletzte Eitelkeit als nie verjährenden Rachegrund sowie Eifersucht als Geisteskrankheit anzuerkennen.

Der Richter bin ich zum Glück selber.

»Streifenhörnchen«, sage ich beschwichtigend. So nenne ich sie manchmal, seit sie in unserem ersten gemeinsamen Urlaub (Litauen, Regen, Auto geklaut, Blasenentzündung, Alkoholvergiftung) einen blau-weiß gestreiften Bikini trug, der sich leider mitsamt ihrem klapprigen Mazda und einer erst am Vortag traumhaft günstig erstandenen Batterie Wodkaflaschen auf Nimmerwiedersehen verabschiedete. Natürlich ist allein schon die Verwendung solcher Koseformen in sich ein ironischer Bruch, den nur wir beide verstehen. Eine Anspielung auf unsägliche Paare, die einander unsägliche Namen geben. Wir sind schließlich keine Idioten. Aber durch diesen Zitatfilter hindurch gedacht, hört sie das mit dem Hörnchen normalerweise schon ganz gern.

Behutsam lege ich ihr die linke Hand auf den Rücken, der wie von Krämpfen geschüttelt vibriert.

»Wir sind doch irgendwie beide Opfer«, behaupte ich ausgleichend. Ich habe gelernt, nicht immer nur an mich zu denken: Seite dreizehn im Knigge für den Beziehungsstreit. Die Seite ist schon voller Eselsohren, Tränen und Nutella. Ich streiche ein paarmal mit dem Daumen über die als spitze kleine Hügel aus ihrem schmalen Kreuz herausstechenden Wirbel – dabei versuche ich, mit der Bahn meiner Finger eine exakte geometrische Figur zu beschreiben. Im Eifer des Wiedergutmachungsgefechts merke ich erst nach einer halben Minute, dass ich gedankenverloren Hakenkreuze nachzeichne, selbstredend ohne jeden politischen Hintergrund. Von mir selbst erschrocken gehe ich fließend zum Haus-vom-Nikolaus über.

»Das – ist – das – Haus – vom – Ni – ko – laus«: Strich nach links, rechts hoch, links rüber, rechts hoch, rechts runter, gerade runter, links hoch, gerade runter, fertig. Leider fühlt sich die Geste unecht an, als streichelte ich einen Hund, damit er nicht beißt, und ein bisschen ist es ja auch so. Ich kann es zurzeit einfach nicht besser, dazu bin ich noch viel zu sehr bei mir und meinem Schrecken. Allerdings spekuliere ich darauf, dass sie es nicht merkt. Die Hoffnung erstirbt, als sie meine Hand mit energischem Schwung beiseitefegt. Durch den Tränenvorhang funkelt sie mich böse an.

»Lass den Müll! Ich scheiß auf Streifenhörnchen!«

Sie setzt sich auf einen der Barhocker, die in unserer Wohnküche stehen, versenkt den Blick in das grau-schwarze Krisselmuster der Arbeitsplatte und schweigt. Ihre kurzen schwarzen Haare wirken wie angeklatscht. Ein begossener Pudel, der nicht bellt und gerade auch nicht beißt. Ihr Phlegma macht mich wahnsinnig. Sie könnte mir doch wüste Beleidigungen an den Kopf werfen, um sich wenigstens ein kleines bisschen ins Unrecht zu setzen. Mir dadurch einen Ansatz verschaffen, für meine Position bloß einen kleinen Felsvorsprung, in den ich meinen Haken einschlagen oder meinen Tritt setzen könnte. Doch so etwas macht sie nie. Alles, was sie tut und sagt, ist immer wohl durchdacht, vielleicht von der fatalen Ausnahme abgesehen, dass sie mit mir zusammen ist. Das ist doch nicht normal. Sogar mit dem Teller wirft sie nicht, nur damit hinterher im Set keiner fehlt.

Weil mein Instinkt mir sagt, dass es gerade nicht an mir ist, mich aufzuregen, versuche ich, mich nicht darüber aufzuregen, und platziere mich zwei Hocker von ihr entfernt auf einen anderen. Sie auf einem Hocker, zwei dazwischen, ich auf dem nächsten: macht zusammen vier. Vier und wir zwei sind sechs – geschafft! Die Sechs ist nämlich eine Zahl, die ich nach Möglichkeit immer zu erreichen suche. Das gelingt mir auch fast durch die Bank, da lässt sich eigentlich immer irgendwas drehen. Und wenn es einmal wirklich nicht geht, dann tut es als nächstbeste Möglichkeit auch die Neun in ihrer Eigenschaft als auf dem Kopf stehende Sechs. Zusätzlich ist die Drei ihr gemeinsames Kind. Die Drei geht auch, die Drei ist super. Oder die Zwölf. Alle Vielfachen oder Teile von Sechs sind okay. Aber die Sechs ist natürlich am besten. Oder doch die Drei?

Weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, sage ich nichts und schaue möglichst betreten drein. Dackel, Dackel, Dackel. Ich fühle mich auch betreten. Das kenne ich schon. Hinterher tut mir nämlich immer alles leid. Gerne würde ich Annabel jetzt etwas Aufmunterndes sagen. Ich weiß bloß gerade nicht, was. Eben, dass es mir leidtäte? Zu inflationär. Dass ich das im Grunde gar nicht wollte? Das glaubt sie mir nicht. Dass es nie wieder vorkommen wird? Das glaube ich mir nicht. Dass es blöd von mir war? Das wissen wir beide, sonst wäre ich ja nicht aufgeflogen. Um meine ernste und nachdenkliche Miene aufrechtzuerhalten, stelle ich mir die Bundesligatabelle vor.

Nach einer gefühlten halben Ewigkeit – ich bin mittlerweile im Keller der Regionalliga Süd angelangt – hebt Annabel den Kopf. »Warum suchst du dir eigentlich immer solche Hilfsmuschis mit extra doofen Namen aus?«, sagt sie und schnieft. »Larissa, Bella, Tralala, Tatütata …«

Ich finde die Namen ja überhaupt nicht doof. Ganz davon abgesehen: Was, um Gottes willen, weiß sie von Bella? Bella aus Friedrichshain. Busen-Bella. Das ist doch bestimmt schon wieder drei Jahre her und lief so kurz, dass sie beim besten Willen nichts davon mitbekommen haben kann. Aber egal: Ihre Reaktion legt nahe, dass sie ihren Humor wiedergefunden hat. Alles halb so wild mit meinem kleinen Streifenhörnchen. Für sie würde ich mich ja auch gerne ändern, aber ich kann nun mal nicht aus meiner Haut: Die liegt so eng und rettungslos an mir an wie eine Zwangsjacke. Da muss ich manchmal einfach rumtoben, um mir ein wenig Linderung zu verschaffen. Aber zum Glück kann sie anscheinend doch noch alles richtig einordnen. Ich scheine dem Verhängnis einmal mehr von der Schippe gesprungen zu sein.

3

»Am Strand der Hoffnung sind alle Liegen von Gescheiterten besetzt.«

(Buster Keaton)

Als ich mit Rucksack und Reisetasche draußen vor der Tür von Annabels Wohnhaus stehe, kackt mir auch noch eine Amsel auf den Kopf. Drecksvieh, warum verpisst du dich nicht nach Süden? Im Rucksack mein Laptop, meine schmutzige Wäsche, zwei Paar Turnschuhe, ein paar CDs und DVDs, eine Magnumflasche Magenbitter Lauterbacher Tropfen (Sieg beim »Lauterbacher Loony«, 1999) sowie drei abgegriffene Ordner mit insgesamt viertausendfünfhundert Texten und Gedichten, die meisten davon selbst erfundene Aphorismen und Alternativversionen von Bi-ba-buntes Helmchen. In der Tasche klappert eine unbestimmte Anzahl Blechnasenbären.

Es ist immer noch Januar, keine gute Jahreszeit für einen gelungenen Start in die Obdachlosigkeit. Es ist auch immer noch derselbe Tag, an dem meine frische Exfreundin Annabel eine NSA-artige Erkundungsreise durch den Kurzmitteilungsspeicher meiner Mobilsprecheinrichtung unternommen hat. Ich bin wohl raus. Das hätte ich nicht gedacht. Nur wegen fast nichts und fast wieder nichts. Sie hätte wenigstens noch einmal meine Wäsche waschen können. Wo soll ich denn jetzt hin?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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