Hitlers Wähler - Jürgen W. Falter - E-Book

Hitlers Wähler E-Book

Jürgen W. Falter

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Beschreibung

Welche Bevölkerungsgruppen erwiesen sich in der Weimarer Republik als besonders anfällig, welche als mehr oder weniger resistent gegenüber der NSDAP? Von welchen Parteien wanderten Wählerinnen und Wähler überdurchschnittlich häufig zu den Nationalsozialisten ab? In welchem Ausmaß entschieden sich Arbeiter und Frauen, Arbeitslose und frühere Nichtwähler für sie? Jahrzehntelang kursierten nur Spekulationen über die typischen NSDAP-Wähler. Jürgen W. Falter analysiert in der aktualisierten und deutlich erweiterten Neuausgabe dieses Buchs, das zu den Standardwerken zur Geschichte des Nationalsozialismus zählt, die soziale Zusammensetzung, die Geschlechterverteilung, die regionale Ausbreitung und die Konfessionszugehörigkeit von »Hitlers Wählern«. Anhand umfangreicher Daten zu den Reichstags- und Reichspräsidentenwahlen bietet das Buch mit den Mitteln der historischen Wahlforschung Erklärungsversuche, die die Erfolge der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei an den Wahlurnen begreiflich machen.

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Jürgen W. Falter

Hitlers Wähler

Die Anhänger der NSDAP 1924–1933

Überarbeitete und erweiterte Neuauflage

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Welche Bevölkerungsgruppen erwiesen sich in der Weimarer Republik als besonders anfällig, welche als mehr oder weniger resistent gegenüber der NSDAP? Von welchen Parteien wanderten Wählerinnen und Wähler überdurchschnittlich häufig zu den Nationalsozialisten ab? In welchem Ausmaß entschieden sich Arbeiter und Frauen, Arbeitslose und frühere Nichtwähler für sie? Jahrzehntelang kursierten nur Spekulationen über die typischen NSDAP-Wähler. Jürgen W. Falter analysiert in der aktualisierten und deutlich erweiterten Neuausgabe dieses Buchs, das zu den Standardwerken zur Geschichte des Nationalsozialismus zählt, die soziale Zusammensetzung, die Geschlechterverteilung, die regionale Ausbreitung und die Konfessionszugehörigkeit von »Hitlers Wählern«. Anhand umfangreicher Daten zu den Reichstags- und Reichspräsidentenwahlen bietet das Buch mit den Mitteln der historischen Wahlforschung Erklärungsversuche, die die Erfolge der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei an den Wahlurnen begreiflich machen.

Vita

Jürgen W. Falter war von 1993 bis 2012 Inhaber des Lehrstuhls für Innenpolitik und Empirische Politikforschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Von 2012 bis 2019 hatte er dort eine Forschungsprofessur am Institut für Politikwissenschaft inne. Seit 2001 ist er Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.

Inhalt

Vorwort

Einleitung zur Neuauflage

Zur Rezeption des Buches in der Öffentlichkeit

Was wurde bestätigt, und was muss revidiert werden?

Wählerwanderungen

Konfession und NSDAP-Wahl

Soziale Trägerschichten

Der Volksparteicharakter der NSDAP

Arbeitslosigkeit

Ergänzungen und weiterführende Fragestellungen

Politische Geographie

Lokal- und Regionalstudien

Wahlkampfuntersuchungen

Einzelaspekte

Fazit

1.Die Bedeutung der nationalsozialistischen Wahlerfolge für den Zusammenbruch der Weimarer Republik

1.1Warum es wichtig ist, die Wahlerfolge der NSDAP zu untersuchen

1.2Wann hörte die Weimarer Republik zu existieren auf?

1.3Welche Rolle spielten die Wahlen beim Zusammenbruch der Weimarer Republik?

2.Die Wahlentwicklung 1919–1933 und die Reaktion der Zeitgenossen

2.1Die Gründungsphase der Weimarer Republik und das erste Auftreten der NSDAP bei Reichstagswahlen

2.2Niedergang und Konsolidierung der NSDAP während der »Goldenen Jahre« der Weimarer Republik

2.3Aufstieg der NSDAP und Niedergang der Weimarer Republik nach 1928

2.4Die beiden Reichstagswahlen von 1932: Die NSDAP wird stärkste Partei im Reichstag

2.5Machtergreifung und Märzwahl 1933

3.Zeitgenössische und moderne Erklärungsversuche der nationalsozialistischen Wahlerfolge

3.1Zeitgenössische Erklärungsversuche

3.2Neuere wissenschaftliche Erklärungsversuche: die klassen-, die massen-, die milieu- und die interessentheoretische Variante

3.2.1Die klassentheoretische Position

3.2.2Die massentheoretische Position

3.2.3Die Theorie des »politischen Konfessionalismus«

3.2.4Der NSDAP-Wähler als »homo oeconomicus«?

4.Aussagemöglichkeiten und Grenzen der historischen Wahlforschung über die Weimarer Republik

4.1Welche Informationen stehen dem Wahlhistoriker zur Verfügung?

4.2Typische Fehler wahlhistorischer Untersuchungen über den Nationalsozialismus

4.3Methodische Anforderungen an historische Wahluntersuchungen

5.Wählerwanderungen zur NSDAP 1924–1933

5.1Zeitgenössische Rekonstruktionsversuche: Woher kamen die Wähler der NSDAP?

5.1.1Vermutungen und Hypothesen über die Wechselwähler zur NSDAP

5.1.2Weimarer Kommentatoren über den Beitrag der Jung- und Nichtwähler zu den Wahlerfolgen der NSDAP

5.2Methodische Probleme der Analyse von Wählerwanderungen

5.3Wahlbeteiligungsanstieg und NSDAP-Wachstum

5.3.1Der einfache, statistisch unbereinigte Zusammenhang von Wahlbeteiligungsanstieg und NSDAP-Gewinnen

5.3.2Der Einfluss der Wahlbeteiligung in unterschiedlichen sozialen Kontexten

5.3.3Haben möglicherweise alle Parteien von der steigenden Wahlbeteiligung profitiert?

5.3.4Die Veränderung von Wahlbeteiligung und NSDAP-Stimmen unter Berücksichtigung der anderen Parteien

5.3.5Waren vor allem frühere Nichtwähler für den Anstieg der NSDAP-Stimmen verantwortlich?

5.4Der Zustrom von Wählern anderer Parteien zur NSDAP

5.4.1Einfache Zusammenhangsanalyse

5.4.2Das Zusammenwirken der verschiedenen Parteigewinne und -verluste

5.4.3Aus welchen politischen Lagern stammten die Wähler der NSDAP?

5.4.4Stabilität der Blöcke, Instabilität der einzelnen Parteien?

5.5Zwischenstationen auf dem Wege zur NSDAP

5.6Die Hindenburg-Wahl von 1925 und das Referendum gegen den Young-Plan als Vorbereitungsetappen auf dem Weg zu den NSDAP-Wahlerfolgen

5.7Hätte ein anderes Wahlsystem den Aufstieg der NSDAP verhindern können? Ein Exkurs

5.7.1Was hätte eine Fünf-Prozent-Klausel nach heutigem Muster bewirkt?

5.7.2Hätte ein System der Mehrheitswahl nach englischem oder französischem Muster die NSDAP-Erfolge verhindert?

6.Zur Demographie und Konfession der NSDAP-Wählerschaft

6.1Geschlecht

6.1.1Waren vor allem die Frauen für die Wahlerfolge der NSDAP verantwortlich?

6.1.2Die Ergebnisse der amtlichen Sonderauszählungen nach dem Geschlecht

6.1.3Das Wahlverhalten von Männern und Frauen in unterschiedlichen sozialen Kontexten

6.2Alter

6.2.1Die einfache Zusammenhangsanalyse liefert keine klaren Befunde

6.2.2Vor allem ältere Wähler scheinen die NSDAP unterstützt zu haben

6.3Die regionale Ausbreitung der NSDAP

6.4Ortsgröße und Nationalsozialismus

6.5Konfession und NSDAP-Wahl

6.5.1 Die konfessionelle Spaltung des Wahlverhaltens

6.5.2Hitler war vor allem in evangelischen Gebieten erfolgreich

6.5.3Protestanten waren im Schnitt doppelt so anfällig gegenüber der NSDAP wie Katholiken

6.5.4Auch im Zusammenspiel mit anderen Einflussfaktoren behält die Konfession ihre Bedeutung

6.5.5Katholizismus als Resistenzfaktor

6.5.6Als guter Katholik kann man nicht NSDAP wählen: Die Haltung des Episkopats

7.Soziale Trägerschichten

7.1Zeitgenössische Interpretationen

7.2Die Anfälligkeit von Arbeitern gegenüber dem Nationalsozialismus

7.2.1Der statistisch unbereinigte Einfluss des Arbeiteranteils auf das Abschneiden der NSDAP

7.2.2Der Einfluss des Arbeiteranteils auf das Abschneiden der NSDAP nach Kontrolle von Konfession und Urbanisierung

7.2.3Die Beziehung zwischen Arbeiteranteil und NSDAP-Wahlerfolgen in überwiegend ländlichen und städtischen Kreisen

7.2.4Wie häufig haben Arbeiter NSDAP gewählt?

7.2.5Die Arbeiter waren eine der Hauptzielgruppen der NSDAP-Propaganda

7.3Die Angestellten

7.3.1Angestellte galten immer schon als besonders anfällig gegenüber der NSDAP

7.3.2Wo viele Angestellte lebten, hatte es die NSDAP vergleichsweise schwer

7.3.3Angestellte haben vermutlich nicht überdurchschnittlich häufig NSDAP gewählt, sondern eher unterdurchschnittlich

7.4Die Beamten

7.5Die Selbständigen und Angehörigen der Freien Berufe

7.5.1Vom Parzellenpächter bis zum Stahlmagnaten – ein Berufsstand von enormer sozialer Spannweite

7.5.2Evangelische Selbständige: Die Gruppe mit der höchsten NSDAP-Affinität

7.5.3Landbevölkerung und NSDAP-Wahl: Ein Exkurs

7.6Rentner, Pensionäre und Hausfrauen

7.6.1Die Rentner, Pensionäre und Altenteiler

7.6.2Die Hausfrauen und sonstigen wahlberechtigten Familienangehörigen ohne eigenen Hauptberuf

7.7Exkurs: Der Einfluss des Anteils binnenmarkt- und exportorientierter Beschäftigter auf die Wahlchancen der NSDAP

7.8Die relative Anfälligkeit der verschiedenen Berufsgruppen gegenüber dem Nationalsozialismus – eine Zusammenfassung

7.9Die soziale Zusammensetzung der NSDAP-Wählerschaft

8.Arbeitslosigkeit und Verschuldung

8.1Das Zusammenspiel statischer und dynamischer Faktoren

8.2Arbeitslosigkeit und NSDAP-Wahlerfolge

8.2.1Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und NSDAP-Wahlerfolgen auf Kreis- und Gemeindeebene

8.2.2Unterschiede zwischen erwerbslosen Arbeitern und Angestellten

8.2.3Der Einfluss der Arbeitslosigkeit auf die Wahl von NSDAP und KPD in Gebieten unterschiedlicher sozialer Zusammensetzung

8.2.4Die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen und der Stimmenanstieg der NSDAP – auf Kreis- und Gemeindeebene ein eher negativer Zusammenhang

8.2.5Das Wahlverhalten der Arbeitslosen

8.3Der Einfluss der Verschuldung in Landwirtschaft und Gewerbe auf die Wahlerfolge der NSDAP

8.3.1Die Verschuldung in Landwirtschaft und Gewerbe: Ein Indikator der Wirtschaftskrise

8.3.2In stärker verschuldeten Regionen hatte es die NSDAP etwas leichter

9.Der Einfluss von Presseklima und Parteiorganisation auf das Wachstum der NSDAP

9.1Die gängigen Erklärungsmodelle sind unvollständig

9.2Hat die politische Färbung der Tages- und Wochenpresse einen messbaren Einfluss auf die nationalsozialistischen Wahlerfolge ausgeübt?

9.2.1Die Presselandschaft am Ende der Weimarer Republik

9.2.2Ein »rechtes« Presseklima hat den Aufstieg der NSDAP begünstigt

9.3Der Zusammenhang von Mitgliederzuwachs und Wahlentwicklung

9.3.1Wahl- und Organisationsentwicklung beeinflussen sich gegenseitig

9.3.2Der Zusammenhang zwischen Wahl- und Mitgliederentwicklung bleibt auch nach Kontrolle anderer Einflussfaktoren erhalten

9.4Der Einfluss von Milieu und Tradition

9.4.1Die Hochburgen der NSDAP als möglicher Indikator für die Wirksamkeit lokal- und regionalspezifischer Einflüsse

9.4.2Der Einfluss linker und rechter politischer Traditionen auf das Abschneiden der NSDAP

10.Fazit und Ausblick

10.1Die NSDAP: Eine »Volkspartei des Protests«

10.2Perspektiven zukünftiger Forschung

Anhang

Tabellen im Anhang

Methode

Die »Ökologische Regression«

Verzeichnis der Tabellen

Tabellen im Anhang

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Übersichten

Abkürzungsverzeichnis

Parteien

Wahlen

Sonstige Abkürzungen

Literatur

Anmerkungen

Vorwort

Als ich mich Ende der 1970er Jahre mit dem Thema dieses Buches zu beschäftigen begann, wusste ich nicht, wie wenig gesichert damals unsere Kenntnisse über die NSDAP-Wähler1 waren und welch unendliche Mühe es kosten würde, die für eine fundierte Untersuchung notwendigen Daten zusammenzutragen, in eine auswertungsfähige Form zu bringen, und welche enormen methodischen und forschungspraktischen Probleme sich auftürmen würden. Mit der Eingabe und Korrektur möglichst vieler Wahl- und Sozialdaten über die Weimarer Republik war es nicht getan. Da gab es zwischen 1920 und 1933 eine nicht abreißende Kette von Verwaltungs-, Gebiets- und Grenzreformen, die zeitraubende Anpassungen der Untersuchungseinheiten notwendig machten, um diesen Zeitraum wahlanalytisch überhaupt in den Griff zu bekommen. Auch waren wichtige Informationen nicht für die Ebene der Stadt- und Landkreise, sondern allein für jene der Finanzamts- und Arbeitsamtsbezirke oder der Dekanate verfügbar. Überdies hatte das Statistische Reichsamt auf eine Ausweisung der Wahlergebnisse von 1932 auf Gemeindeebene verzichtet, was wiederum eine Auswertung der Reichstagswahlen auf einer feineren Analyseebene als der Stadt- und Landkreise erschwerte. Dennoch war die Faszination des Gegenstandes so groß, dass es mich nach Ausflügen in andere Forschungsbereiche immer wieder zum Thema zurücktrieb und schließlich auch zur Abfassung dieser Studie motivierte.

Denn gesicherte Erkenntnisse über die Wähler des Nationalsozialismus zu gewinnen, ist auch heute noch aus mindestens zwei Gründen von Bedeutung: zum einen aus historischer »Neugier«, um zu erfahren, welchen sozialen Schichten und politischen Lagern die 17 Millionen Wähler der NSDAP entstammten und was so viele Deutsche dazu getrieben hatte, für die bis dahin unmenschlichste aller totalitären Parteien zu stimmen; zum anderen aus demokratietheoretischen Erwägungen, um Informationen über die Anfälligkeit und Resistenz bestimmter Wählergruppen gegenüber extremistischen Bewegungen und die Bedingungen politischer Stabilität und Instabilität von demokratischen Systemen in Krisenzeiten zu erlangen.

Ziel dieses Buches ist es darzustellen, wer die NSDAP wählte, wo und unter welchen Umständen sie besonders erfolgreich war und wie ihre enormen Wahlerfolge zwischen 1928 und 1933 am besten erklärt werden können. Sein Aufbau ist daher eher systematisch als chronologisch, seine Fragestellung richtet sich weniger auf eine Ablaufgeschichte der letzten Weimarer Reichstagswahlen als auf eine möglichst umfangreiche und exakte Rekonstruktion der Wählerbasis des Nationalsozialismus. Die Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur und dem bisherigen Forschungsstand, die ich intensiv in vielen Aufsätzen zum Thema geleistet habe, erfolgt aus diesem Grunde nur insoweit, als sie unmittelbar diesem Erkenntnisziel dient.

Adressat ist nicht der wahlhistorische Fachmann, sondern in erster Linie der gebildete, historisch interessierte Leser. Dies bedingt eine bestimmte Darstellungs- und Argumentationsweise. Dass der Wahlhistoriker eine komplexe Realität nur unter Einsatz komplizierter Auswertungsverfahren adäquat erfassen kann, ist einleuchtend. Nur diese sind dem heutigen Forschungsstand angemessen. Um jedoch die Wählerbewegungen zur NSDAP in einer auch für »Nichtspezialisten« nachvollziehbaren Weise darzustellen, bietet das Buch in seinen Tabellen und Übersichten fast ausschließlich leicht verständliche Prozentverteilungen statt Korrelationskoeffizienten und (ebenfalls mit Prozentwerten arbeitende) Kontrastgruppenvergleiche statt multipler Regressionsanalysen. Für den wahlhistorischen Spezialisten findet sich die unumgängliche Statistik in einem gesonderten Tabellenanhang, der die Ergebnisse der multiplen Regressionsanalysen enthält. Um schließlich die Nachprüfung älterer Hypothesen und Forschungsergebnisse zu ermöglichen, ist es nötig, auch die Resultate einfacherer Zusammenhangsanalysen darzustellen. In den einzelnen Kapiteln soll daher stets vom Einfachen zum Komplexen, von der Untersuchung der Beziehung zweier Merkmale zur Analyse vielschichtiger Einflusskonstellationen geschritten werden.

Viele Resultate dürften den Leser überraschen, andere bestätigen nur längst Bekanntes. Es ist unausweichlich, dass durch Untersuchungen wie die vorliegende eine Reihe älterer Annahmen durch angemessenere Auswertungsverfahren und Daten lediglich untermauert wird, so die Erkenntnis, dass vom Katholizismus oder dem sozialistischen Arbeitermilieu gegenüber der »Ansteckung« durch den Nationalsozialismus eine gleichsam immunisierende Wirkung ausging. Andere werden modifiziert. Dies gilt etwa für die vielfach unterstellte überdurchschnittliche Affinität von Frauen, Nichtwählern oder Landbewohnern zur NSDAP oder auch die gerne übersehene Tendenz eines nicht unbedeutenden Anteils von SPD-Wählern, den Nationalsozialisten die Stimme zu geben. Wieder andere werden als Legenden entlarvt. Das trifft beispielsweise für die gängigen Annahmen über die NSDAP-Anfälligkeit von Arbeitern und Angestellten zu, ferner für die vielfach unterstellte Neigung von Arbeitslosen, mehrheitlich für die NSDAP zu stimmen. Dass einige Ergebnisse in scheinbar abgeschwächter Schreibweise dargestellt werden, beruht nicht auf einer allgemeinen Unsicherheit gegenüber diesen Forschungsresultaten. Es wird vielmehr von mir als bewusstes Stilmittel benutzt, um auf Erkenntnisse hinzuweisen, die wegen der methodischen Eigentümlichkeiten der wahlhistorischen Forschung nicht über jeden Zweifel erhaben sein können. Das gilt insbesondere für die Schätzung individuellen Wählerverhaltens aus Daten, die nur für territorial definierte Untersuchungseinheiten zur Verfügung stehen.

Manche als gesicherte Wahrheit gehandelte Hypothese gerät durch die vorgestellten Untersuchungsergebnisse ins Wanken, manche gern gepflegten Narrative und manche wissenschaftlichen oder volkspädagogischen Vorurteile werden erschüttert. Die NSDAP erweist sich so keineswegs als die reine Mittelschichtbewegung, als die sie fast ein halbes Jahrhundert lang gehandelt wurde. Vielmehr repräsentiert sie – stärker als jede andere große Partei jener Jahre – von ihrer Wählerbasis her gesehen eine Art »Volkspartei des Protests« oder, wie man angesichts des relativen Übergewichts vor allem der evangelischen Selbständigen unter ihren Wählern plakativ formulieren könnte, eine »Volkspartei mit Mittelstandsbauch«.2

Neben der Kontrolle der gängigen Annahmen und Theorien über die Wählerbasis des Nationalsozialismus wird auch Aspekten nachgegangen, die bislang von der historischen Wahlforschung noch nicht systematisch untersucht worden sind. Dazu gehören etwa die Einbindung der Volksentscheide und der Reichspräsidentenwahlen, der Verschuldung des Mittelstandes und der Wahlsystemfrage in die Ursachenkette der nationalsozialistischen Wahlerfolge. Ferner werden erstmals einige Hypothesen überprüft, die vor allem von Richard Hamilton als Alternativen zur »klassischen« Mittelschichttheorie entwickelt worden waren. Hierzu zählen (a) die von einem »rechten« Presseklima auf die NSDAP-Erfolge ausgehenden Effekte, (b) der Einfluss der Organisationsentwicklung der Partei, dem durch die Verbindung von Wahl- und Mitgliedschaftsdaten nachgegangen wird, und (c) die Wirkung lokaler und regionaler politischer Traditionen. Vor allem letztere scheinen für den Wahlerfolg der NSDAP von beträchtlicher Bedeutung gewesen zu sein. Dies legt es nahe, die künftige Forschung – nun aber systematisch koordiniert und theoretisch angeleitet – wieder stärker auf die lokalen und regionalen Bedingungen des nationalsozialistischen Aufstiegs auszurichten.

Natürlich kann eine Untersuchung wie die vorliegende nicht ohne vielfache Unterstützung durchgeführt und niedergeschrieben werden. Mein Dank gilt zuallererst den Mitarbeitern und wissenschaftlichen Weggefährten der damaligen Jahre. Besonders nennen möchte ich Hartmut Bömermann, Dirk Hänisch, Andreas Link, Jan-Bernd Lohmöller, Johann de Rijke, Torsten Schneider, Jürgen Winkler und Rainer Zitelmann sowie Manuela Dörnenburg, Bettina Husemann und Achim von Malotki. Sie alle haben in den Jahren vor dem erstmaligen Erscheinen von Hitlers Wähler entweder am NS-Projekt, das von der Stiftung Volkswagenwerk und der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert wurde, mitgearbeitet oder, als Beschäftigte an meinem damaligen Berliner Lehrstuhl, mich bei meinen Forschungen durch Rat, Tat und Kritik unterstützt. Ohne sie wäre das Buch in der vorliegenden Form vermutlich nicht fertig geworden. Mein Dank gilt ferner der Stiftung Volkswagenwerk und der Freien Universität Berlin, die mir durch die Gewährung eines großzügigen Akademiestipendiums und zweier regulärer Forschungssemester den nötigen Freiraum für die Durchführung der umfangreichen Berechnungen und die Abfassung des Manuskriptes boten. Ohne solche Förderung und regelmäßige Freistellungen von der Lehre wäre in der Massenuniversität Grundlagenforschung im historisch-sozialwissenschaftlichen Bereich kaum möglich.

Einleitung zur Neuauflage

Es sind mittlerweile seit dem Erscheinen von Hitlers Wähler fast 30 Jahre vergangen. Die Erstauflage ist längst vergriffen, aber immer noch wird das Buch von vielen als ein, nein das Standardwerk über die Wähler der NSDAP bezeichnet und nach wie vor in Seminaren und auszugsweise auch im Schulunterricht verwendet. Seither sind zwar mehrere empirische Analysen über einzelne Aspekte des NS-Wählerverhaltens in Aufsatzform erschienen. Monographien zum Thema gibt es jedoch fast ausschließlich in Form von lokalen und regionalen Untersuchungen. Das für die Neuauflage verfasste ausführliche Einleitungskapitel versucht die mittlerweile erschienene Literatur, soweit dem Verfasser bekannt und zugänglich, aufzuarbeiten und daraufhin zu analysieren, wie weit die in Hitlers Wähler berichteten Befunde dadurch bestätigt oder ergänzt werden und inwieweit sie modifiziert werden müssen. Hauptsächlich handelt es sich um ergänzende Aspekte, zum Beispiel um Wahlkampfstudien, Untersuchungen zum Einfluss der Verbreitung des öffentlichen Rundfunks auf die NSDAP-Wahlerfolge, um Untersuchungen zum Verhältnis von Wirtschaftskrise und Regierungspopularität oder um die Berücksichtigung Raum-Zeit-definierter Einflüsse. In einigen Fällen handelt es sich um die Analyse der vorliegenden, vom Verfasser und seinen damaligen Mitarbeitern für Hitlers Wähler erarbeiteten Daten aus einer anderen Perspektive, etwa wenn es um den längsschnittlichen Effekt des Anstiegs der Arbeitslosigkeit geht oder auch um die Verwendung abweichend definierter Konzepte wie des Begriffs der Volkspartei. Schließlich erlaubt das Heranziehen weiter- oder auch neu entwickelter statistischer Verfahren einen vertieften Einblick in die den nationalsozialistischen Wahlerfolgen zugrundeliegenden Ursachenkonstellationen, was uns in die Lage versetzt, das damalige Geschehen besser erklären und damit auch verstehen zu können.

Die weitaus meisten in der Zwischenzeit erschienenen Studien bestätigen die in Hitlers Wähler dargelegten Ergebnisse. Aus diesem Grunde erschienen eine vollständige Neubearbeitung des Textes und eine Neuberechnung der dort referierten Auszählungen und statistischen Analysen nicht als notwendig. An einigen Stellen, etwa beim Vergleich von Mitglieder- und Wahlentwicklung, wurde auf eigene, sozusagen druckfrische Forschungsergebnisse zurückgegriffen, die ich in meinem soeben erschienenen Buch Hitlers Parteigenossen in großer Ausführlichkeit referiere. Wo es sinnvoll erschien, wurde der Text inhaltlich und – häufiger – stilistisch überarbeitet, wurden Fußnoten durch Hinweise auf neuere Literatur ergänzt. Im Kern aber handelt es sich bei dieser Neuauflage eines von manchen Rezensenten schon kurz nach Erscheinen als »Klassiker« apostrophierten Werkes um die 1991 publizierte Fassung. Was sich mittlerweile auf diesem Gebiet in der Forschung getan hat, wie das im Lichte von Hitlers Wähler einzuordnen ist und welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn wir aus der inzwischen erschienenen Literatur ziehen können, ist in der nachstehenden Einleitung zur Neuauflage beschrieben.3

Zur Rezeption des Buches in der Öffentlichkeit

Bei seinem Erscheinen erfuhr Hitlers Wähler eine relativ breite Rezeption, zunächst in den überregionalen Medien (Spiegel, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit usw.), bald auch in wissenschaftlichen Organen. Das Echo war durchweg positiv, teilweise sogar geradezu überschwänglich: Ein »Pionierwerk«, das »zu den bedeutendsten sozialwissenschaftlichen Leistungen der jüngeren Zeit« zähle, nannte es Eckhard Jesse in seiner 1993 in der Zeitschrift für Parlamentsfragen erschienenen Rezension.4 Ein Pionierwerk nannte es auch Armin Pfahl-Traughber in seiner Besprechung in der Politischen Vierteljahresschrift.5 Die Historikerin Merith Niehuss bezeichnete die im Buch enthaltene Analyse der Bedeutung des Presseklimas, der Stärke und Entwicklung der Parteiorganisation und der politischen Tradition für die Wahlerfolge der NSDAP als »richtungsweisend und auch innovativ«.6 Auf einige kritische Anmerkungen ihrer in Geschichte und Gesellschaft erschienenen Besprechung will ich gleich noch eingehen. Der deutsch-amerikanische Historiker Konrad Jarausch, der selbst mit einer Reihe von bemerkenswerten Untersuchungen über nationalsozialistische Unterorganisationen hervorgetreten war, attestierte in einer Besprechung für das Journal of Modern History der Untersuchung, sie stelle »für alle möglichen Aspekte […] wahrscheinlich das letzte Wort« dar und werde vermutlich ein Standardwerk werden.7 Der britische Historiker Peter Stachura hob den »dichten und herausfordernden Charakter von Falters exzellenter Monographie« hervor.8 Richard Hamilton, von dem die ausgezeichnete Untersuchung Who Voted for Hitler? stammte, forderte: »Hitlers Wähler sollte Pflichtlektüre für jeden werden, der sich mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus beschäftigt«,9 und die amerikanische Historikerin Margaret Lavinia Anderson stimmte in ihrer Besprechung für die German Studies Review geradezu eine Eloge an, wenn sie von »absolut fesselnder Lektüre« (»unfailingly absorbing reading«) sprach und formulierte: »Hitlers Wähler vereint die Faszination detektivischer Arbeit mit der Tugend exemplarischer Pädagogik.«10

Das ist ein Auszug aus den mir zugänglichen Besprechungen von Hitlers Wähler.11 Ich habe dabei keine mir bekannte negative Kritik ausgelassen. Die substanziellen Ergebnisse der Untersuchung wurden, so zumindest mein Eindruck, in keiner der mir zugänglichen Rezensionen infrage gestellt. Wohl aber wurde Kritik an bestimmten Aspekten geübt, auf die ich im Folgenden kurz eingehen möchte. So hielt Eckhard Jesse in seiner ansonsten rundum positiven Besprechung des Buches meine im Anschluss an Thomas Childers gewählte Charakterisierung der NSDAP als »Volkspartei des Protestes« oder – in leicht ironischer Verfremdung – als »Volkspartei mit Mittelstandsbauch« für »nicht ganz glücklich gewählt«, da der Begriff Volkspartei doch auch eine normative Dimension umfasse. Diese Kritik ist legitim. Sie entspringt Jesses Wissenschaftsverständnis, das sich von meinem empirisch-analytisch orientierten Ideal von Wissenschaft grundlegend unterscheidet. Diesem zufolge werden Begriffe einzig durch ihre Verwendungsregeln definiert, also durch ihre semantische Dimension oder Denotation, d. h. ihre lexikalische Bedeutung, nicht durch ihre pragmatische oder konnotative Dimension, also das, was sie beim Leser oder Zuhörer möglicherweise an Assoziationen auslösen.12 Ich selbst hatte in Hitlers Wähler den Volksparteibegriff ausdrücklich und ausschließlich auf die soziale Zusammensetzung der NSDAP-Anhänger beschränkt. Wenn andere mit dem Begriff der Volkspartei etwas anderes, in Jesses Fall Positives, Erwünschtes, verbinden oder intendieren, legen sie andere Verwendungsregeln für den Begriff »Volkspartei« zugrunde.

Armin Pfahl-Traughber moniert, Hitlers Wähler beschäftige sich nicht mit Motiven, also dem Anteil, den Protest und Ideologie als Bestimmungsgründe der Wahl der NSDAP hätten. Das ist einerseits richtig, da sich meine Untersuchung weitgehend auf die Auswertung statistischen Materials beschränkte. Andererseits übersieht der Rezensent aber, dass die in Hitlers Wähler explizit und durchgängig erfolgende Überprüfung von Erklärungsansätzen wie dem des Extremismus der Mittelschicht, des politischen Konfessionalismus oder des massentheoretischen Ansatzes implizit durchaus auf Motive eingeht. Denn diese Ansätze enthalten auch Aussagen über die hinter der Wahl der NSDAP stehenden Beweggründe. So gehen etwa Theodor Geigers Vorstellung von der »Panik im Mittelstand« oder Seymour Martin Lipsets Hypothese vom Extremismus der Mitte durchaus von bestimmten Motivlagen aus, welche die Wahl der NSDAP begünstigten. Bei Theodor Geiger spielt das bereits im Begriff der Panik eine Rolle, von der sowohl der alte als auch der neue Mittelstand angesichts der Entwicklung der Gesellschaft und der Krisen des Kapitalismus befallen gewesen seien. Lipset nennt als Motiv der Mittelschicht, sich der NSDAP zuzuwenden, das Anliegen, ihren Platz in der Gesellschaft zu bewahren oder wiederherzustellen. Im massentheoretischen Ansatz spielt das Verlangen nach Bewältigung der gesellschaftlichen Großkrisen, die die Weimarer Republik kennzeichneten, insbesondere der Weltwirtschaftskrise, eine ausschlaggebende Rolle für die Radikalisierung der Wählerschaft. Laut der Theorie des politischen Konfessionalismus sind es vor allem der Mangel an tief sitzenden Parteibindungen innerhalb des bürgerlich-protestantischen Wählerblocks und das Fehlen eines umfassenden Weltbildes, wie es die katholischen und sozialistischen Parteien ihren Wählern zur Verfügung stellten, welche die Angehörigen des protestantisch-bürgerlichen Lagers anfällig für die Versprechungen des Nationalsozialismus machten. Mit der partiellen Widerlegung dieser drei Erklärungsansätze, die sich zwar in ihren positiven Aussagen als relativ erklärungsstark erwiesen, mit ihren negativen Aussagen darüber, was nicht der Fall gewesen sei, jedoch nicht mit den Daten übereinstimmen, ist auch eine Widerlegung von Aussagen über die in diesen Ansätzen implizit oder explizit enthaltenen Vorstellungen von den wahlleitenden Motiven verbunden. Insofern spielen auch in einer Untersuchung wie Hitlers Wähler, die sich weitgehend auf die Auswertung von Wahlstatistiken und Zensusmaterial beschränkt, die hinter den individuellen Verhaltensentscheidungen wirkenden Motivlagen durchaus eine Rolle. Was allerdings nicht möglich erscheint, ist eine darüber hinausgehende Beschäftigung mit der Frage, ob es eher Protest oder eher Ideologie waren, die das Wählerverhalten zugunsten der NSDAP bestimmten. Das hätte eine ganz andere Studie erfordert, die wiederum das Problem gehabt hätte, kaum repräsentative Aussagen über die Gefühlswelt der Weimarer Wählerschaft treffen zu können.

Recht ähnlich ist die Anmerkung von Konrad Jarausch, Hitlers Wähler versäume es, qualitative Aspekte wie den Wahlkampf oder die Verwendung und Wirkung politischer Symbole zu adressieren. Auf die menschliche Dimension werde zu wenig geachtet, Menschen würden auf Kollektive reduziert und blieben daher stumm. In die gleiche Richtung zielt die Anmerkung von Peter Reichel, der in seiner Rezension in der Wochenzeitung Die Zeit vom 20.3.1992 einerseits Hitlers Wähler zubilligt, »genauere und verlässlichere Kenntnisse über die Soziologie der NSDAP-Wähler« zu liefern, aber bemängelt, dass »die buchhalterische Nüchternheit dieses dichten und raffinierten Zahlenwerks […] nichts mehr spüren [lässt] von der Dramatik und Zerrissenheit der späten Weimarer Jahre, dem Elend und Leid von Millionen Menschen […]«. Derartige Einwände kann man einerseits als eine Art Stilkritik verstehen, der zufolge man Fleisch an das Knochengerüst der statistisch ermittelten Strukturen bringen sollte – indem man beispielsweise typische Vertreter der unterschiedlichen, im Buch untersuchten sozialen und beruflichen Kategorien zu Wort kommen ließe, also etwa eine Industriearbeiterin, einen protestantischen Landwirt, eine Wählerin aus dem katholischen Milieu, einen arbeitslosen Angestellten oder einen Wähler, der von der SPD zur NSDAP wechselte. Damit hätte man ohne Zweifel die Darstellung farbiger gestalten können. Aber wer könnte garantieren, dass es sich wirklich um typische Vertreter der jeweiligen Kategorie handelte? Wäre das mangels zeitgenössischer Umfragen nicht eher dem Zufall der schriftlichen Überlieferung entsprechender Aussagen geschuldet als einer systematischen Analyse von Arbeitern, Angestellten usw. über ihre Beweggründe, für die NSDAP zu stimmen (oder auch nicht)? Ein solches Unterfangen würde eine ganz andere Art von Untersuchung erfordern, nämlich eine systematische Inhaltsanalyse von Äußerungen entsprechender Wähler bzw. Nichtwähler der NSDAP. Eine in diese Richtung gehende Untersuchung versuche ich in dem gegenwärtig noch laufenden Forschungsprojekt über die Motive, sich der NSDAP als Mitglied anzuschließen oder auch wieder aus ihr auszutreten, zu leisten. Für die Wähler dürfte die Materiallage deutlich unergiebiger sein als für die NSDAP-Mitglieder. Was einzelne Berufsstände, etwa Lehrer, Ärzte oder Juristen, und ihre Haltung zum Nationalsozialismus angeht, erscheint eine derartige Vorgehensweise deutlich einfacher und, wie Konrad Jarausch, Michael Kater und andere gezeigt haben, auch vielversprechender zu sein. Der Wunsch mancher Rezensenten, der Autor hätte doch bitte ein anderes Buch schreiben sollen, erscheint zwar legitim, eine substantielle Kritik jedoch stellt er nicht dar.

Mehrfach taucht in den wissenschaftlichen Rezensionen die Kritik auf, trotz aller methodischer Raffinesse seien die Ergebnisse von Hitlers Wähler nicht so arg unterschiedlich von denen, die etwa Thomas Childers in seinem Buch The Nazi Voter einige Jahre zuvor präsentiert hätte. Dieser Auffassung sind etwa Merith Niehuss und Margaret Lavinia Anderson. So schreibt Niehuss, dass Childers bereits 1983 die statistischen Daten mithilfe des Verfahrens der ökologischen Regression analysiert und meine Erkenntnisse über Arbeiter und NSDAP teilweise vorweggenommen habe.13 Ersteres ist falsch: Childers hat seine Daten nicht mit dem sehr speziellen Verfahren der ökologischen Regression analysiert, sondern mit einfachen multiplen Regressionen gearbeitet. Sie waren obendrein noch in seiner Buchpublikation (seltsamerweise nicht in der seinem Buch zugrunde liegenden Harvard-Dissertation) mit einem gravierenden statistischen Fehler behaftet, da er als erklärende Merkmale des NSDAP-Anteils den Prozentsatz sowohl der Protestanten als auch der Katholiken in dieselben Regressionsgleichungen aufnahm, was aufgrund sogenannter Multikollinearitätseffekte zu verzerrten und manchmal auch unplausiblen Ergebnissen führen musste. So errechnete er für die Beziehung zwischen Protestanten- und Katholikenanteil auf der einen und dem Prozentsatz der NSDAP-Stimmen auf der anderen Seite jeweils eine positive Korrelation, was logisch unmöglich ist, da Katholikenanteil und Protestantenanteil nahezu perfekt negativ miteinander korrelieren. Oder anders ausgedrückt: Gemeinden mit einem sehr hohen Protestantenanteil weisen gezwungenermaßen einen sehr kleinen Katholikenanteil auf und umgekehrt, da die Anteile beider Konfessionen zusammengezählt beinahe 100 ergeben. Überdies erstreckt sich die Untersuchung von Childers, anders als Hitlers Wähler, nicht auf das gesamte Reichsgebiet, sondern nur auf einige 100 Städte, aus denen ihm geeignetes Zahlenmaterial vorlag. Wenn man seine Untersuchung der NSDAP-Wählerschaft heranziehen möchte, sollte man sich auf seine allerdings nur sehr schwer zugängliche Dissertation stützen. Die in seinem Buch publizierten Ergebnisse stellen kein geeignetes Vergleichskriterium dar, weil sie einerseits verzerrt und andererseits nicht für das Reichsgebiet repräsentativ sind.

Soweit ein Blick auf die mir derzeit zugänglichen Besprechungen von Hitlers Wähler. Zweifellos gibt es mehr, und sicher sind mir nicht alle bekannt geworden, doch stimmt der Tenor der mir vorliegenden Rezensionen darin überein, dass es sich um eine unsere Kenntnisse über die nationalsozialistische Wählerschaft substanziell erweiternde Untersuchung handele, die das Zeug zu einem Standardwerk habe. Als solches wird es augenscheinlich auch bis heute angesehen, wie man aus vielen Referenzen und Zitaten schließen kann. Mehrere Rezensionen unterstreichen ausdrücklich den Wert des Datensatzes, der im Rahmen des Forschungsprojektes »Die Wähler der NSDAP 1924–1933 in Deutschland und Österreich« in jahrelanger Arbeit erstellt und über das von der GESIS betriebene Zentralarchiv für historische Sozialforschung der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde. Richard Hamilton spricht von einer »außergewöhnlichen Datengrundlage«. Alle künftigen Untersuchungen der Weimarer Wählerschaft müssten von diesem Datenersatz aus beginnen, was sie mehrheitlich auch tun.

Im Folgenden will ich anhand der zwischenzeitlich erschienenen wissenschaftlichen Literatur zum Thema prüfen, inwieweit die in Hitlers Wähler erarbeiteten Erkenntnisse auch heute noch Gültigkeit besitzen, wo sie ergänzt und wo sie revidiert werden müssen. Zwar sind auch noch nach der Publikation von Hitlers Wähler einige Analysen aus meiner Feder zum Thema NSDAP-Wählerschaft erschienen. Zum einen jedoch sind es nicht viele, da ich mich bald anderen Themenfeldern zuwandte und mich in den letzten sieben Jahren schwerpunktmäßig nicht mit den Wählern, sondern mit den Mitgliedern der NSDAP befasste. Zum anderen liefert eigentlich nur eine einzige nach 1991 erschienene Untersuchung Resultate, die nicht bereits in Hitlers Wähler oder in einer der zwischen 1978 und 1991 erschienenen einschlägigen, spezielleren Fragestellungen gewidmeten Analysen publiziert wurden.14

Was wurde bestätigt, und was muss revidiert werden?

Das Ziel von Hitlers Wähler war es »darzustellen, wer die NSDAP wählte, wo und unter welchen Umständen sie besonders erfolgreich war und wie ihre enormen Wahlerfolge zwischen 1928 und 1933 am besten erklärt werden können« (HW 1991, S. 12). Der Schwerpunkt der Analyse bezog sich damals auf die einzelnen Reichstagswahlen zwischen 1924 und 1933 und auf einzelne Wahlpaare. Längsschnittlich untersucht wurden beispielsweise das Verhältnis von Anstieg der Arbeitslosigkeit und Entwicklung der NSDAP-Stimmen oder auch die Wählerwanderungen zwischen den Parteiblöcken und die Netto-Fluktuationen zur NSDAP sowie das Verhältnis von Hindenburg-Stimmen 1925 und der Wahl Adolf Hitlers bei der Reichspräsidentenwahl 1932. Unberücksichtigt blieb der aus der Politischen Geographie und der politischen Ökonometrie stammende Aspekt der sogenannten räumlichen Autokorrelation. Da dieser Aspekt von Bedeutung für die Haltbarkeit der Ergebnisse sein kann, wie Stögbauer15 in seiner Dissertation aus dem Jahre 2001 nachweist, soll darauf in einem späteren Abschnitt dieser Einleitung intensiver eingegangen werden.

Wählerwanderungen

Ein erstes wichtiges Ergebnis von Hitlers Wähler war die Erkenntnis, dass die Wählerwanderungen von anderen Parteien und aus dem Nichtwählerlager zur NSDAP sehr viel komplexer verliefen als lange Zeit angenommen. Mit anderen Worten: Von ihrer parteipolitischen Herkunft her gesehen war die Wählerschaft der NSDAP erheblich heterogener zusammengesetzt als vermutet. So allgemein wie im vorangehenden Satz formuliert, erfahren die mittels des Verfahrens der ökologischen Regression von mir berechneten Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den einzelnen Wahlpaaren durch die wenigen mir bekannten, seit 1991 erschienenen Untersuchungen eine weitgehende Bestätigung. King u. a. (2008) arbeiten mit einer modifizierten, weiterentwickelten Form der ökologischen Regressionsanalyse. Auch gruppieren sie die Parteien etwas anders und untersuchen die Übergangswahrscheinlichkeiten nicht für das Reich insgesamt, sondern getrennt für überwiegend katholische und überwiegend evangelische Kreise, die sie nochmals nach dem Grad der Arbeitslosigkeit unterteilen.16 Das macht einen genauen Vergleich ihrer Ergebnisse mit den in Hitlers Wähler berichteten Übergangswahrscheinlichkeiten und Haltequoten unmöglich. Als generelles Ergebnis aber können wir festhalten, dass sie für die Wahlpaare 1930/Juli 1932, Juli 1932/November 1932 und November 1932/März 1933 tendenziell recht ähnliche Wählerwanderungen wie in Hitlers Wähler ermitteln. So stellen sie fest, dass im Juli 1932 die NSDAP substantielle Unterstützung von früheren Wählern der extremen Rechten erhielt, worunter sie in erster Linie die DNVP verstehen. Außerdem stammte laut ihren Ergebnissen ein nicht unbedeutender Teil der neuen Wähler der NSDAP vom Juli 1932, aber auch schon von 1930 aus dem bisherigen Nichtwählerlager. Entsprechend formulieren sie: »Die Tabellen bestätigen teilweise die Politische Konfessionalismus-Hypothese Burnhams, wie sie von Falter entwickelt wurde, wenn auch nicht in allen regionalen Untergliederungen gleichermaßen.«17 In einer ähnlichen Größenordnung wie in Hitlers Wähler ermittelt bewegen sich schließlich auch nach ihrer Analyse die 1933 von der DNVP wie auch der KPD zur NSDAP wechselnden Wähler.

Zu teilweise abweichenden Ergebnissen hinsichtlich des Wahlbeteiligungsanstiegs auf den NSDAP-Zuwachs kommen scheinbar O’Loughlin u. a. (1994), wenn sie konstatieren, dass es anders als bei Falter (1986) bereits bei der Reichstagswahl 1930 einen »starken und konsistenten Einfluss der Wahlbeteiligung […] auf nationaler Ebene« auf den Anstieg der NSDAP-Stimmen gegeben habe.18 Tatsächlich liegt lediglich der von mir ermittelte bivariate Zusammenhang auf Reichsebene nahe null. Berücksichtigt man jedoch die Veränderungen anderer Parteien, ermittle auch ich im multivariaten Schätzmodell einen positiven Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Wahlbeteiligung bzw. dem Rückgang des Nichtwähleranteils und dem Zuwachs der NSDAP-Stimmen für das Wahlpaar 1928/1930 (HW 1991, S. 430, 432). Dieser reichsweite Zusammenhang gilt, wie auch O’Loughlin u. a. feststellen, nicht für alle Kontexte gleichermaßen. Zwar ergibt sich sowohl für die ländlich-katholischen Kreise als auch für die städtisch-katholischen, städtisch-gemischten und städtisch-evangelischen Kreise für dieses Wahlpaar jeweils eine positive Korrelation zwischen dem Anstieg der Wahlbeteiligung und dem NSDAP-Wachstum. Für die ländlich-evangelischen und ländlich-gemischten Kreise dagegen lässt sich für das Wahlpaar 1928/30 kein statistischer Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligungsanstieg und NSDAP-Zuwachs feststellen (HW 1991, S. 90).19

Nicht direkt mit dem Zusammenhang von Wahlbeteiligungsanstieg und NSDAP-Zuwachs beschäftigen sich van Riel und Schram (1993). Ihr Augenmerk gilt der Regierungspopularität und deren Abhängigkeit von verschiedenen strukturellen und konjunkturellen Variablen. Zwischen dem Wahlbeteiligungsanstieg und dem Rückgang der Regierungspopularität stellen sie einen relativ engen Zusammenhang fest, ohne dies für die einzelnen Wahlpaare zu spezifizieren. Weil der Rückgang der Regierungspopularität und der Zuwachs der NSDAP bei Wahlen eng zusammenhängen, kann dieses Ergebnis als ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung bisheriger Nichtwähler für die wachsenden Wahlerfolge der Hitlerbewegung, wie die Nationalsozialisten auch auf dem Stimmzettel genannt wurden, interpretiert werden.

Konfession und NSDAP-Wahl

Dass die NSDAP es bei Wahlen in überwiegend katholischen Regionen schwerer hatte als in evangelischen Gebieten, war durchaus bekannt, wurde aber sowohl vom massentheoretischen als auch vom klassentheoretischen Erklärungsmodell bestenfalls am Rande behandelt. Lediglich die Theorie des politischen Konfessionalismus machte diesen so augenscheinlichen Zusammenhang zwischen Konfessionsverteilung und NSDAP-Wahlerfolgen zum Thema. Wie stark der Einfluss des Konfessionsfaktors für die Wahlerfolge der NSDAP tatsächlich war, wurde nur von wenigen reichsweiten Untersuchungen der NSDAP-Wählerschaft zu ermitteln versucht.20 Dass der Katholiken- bzw. der Protestantenanteil der wichtigste Prädiktor der NSDAP-Wahlergebnisse überhaupt war, der in seiner statistischen Erklärungsleistung andere Merkmale wie den Arbeitslosen- oder Mittelschichtanteil bei weitem übertraf, war weitgehend unbekannt oder blieb unbeachtet. Viel wichtiger war vielen Historikern des Nationalsozialismus die lange Zeit unterstellte Klassenbasis oder, anders formuliert, der – wie man lange Zeit auf Basis unzureichender empirischer Belege vermutete – außerordentlich hohe Anteil an Mittelschichtangehörigen unter den Wählern der NSDAP. Dabei erwies sich kein demographisches oder soziales Merkmal in Hitlers Wähler als enger und stärker verknüpft mit dem NSDAP-Anteil in den Kreisen und Gemeinden des Deutschen Reiches als der jeweilige Prozentsatz der Katholiken bzw. Protestanten. Ein hoher Protestantenanteil ging im Schnitt mit einem hohen NSDAP-Stimmenanteil einher und umgekehrt ein hoher Katholikenanteil fast immer mit einem niedrigen Prozentsatz an NSDAP-Stimmen.

Natürlich gab es Abweichungen vom allgemeinen Trend, so etwa im Südschwarzwald oder im Bereich des ehemaligen Fürststiftes Kempten. Aber über alle Kreise und Gemeinden hinweg erwiesen sich Protestanten im Schnitt bei Wahlen mehr als doppelt so anfällig gegenüber der NSDAP wie Katholiken. Auch im Zusammenspiel mit anderen Einflussfaktoren behielt der Konfessionsfaktor seine Bedeutung. Er erwies sich in so gut wie allen für Hitlers Wähler berechneten Regressionsgleichungen als erklärungskräftigster Einflussfaktor des NS-Stimmenanteils überhaupt. Nur rund 15 Prozent der Katholiken, aber knapp 40 Prozent der Nicht-Katholiken, worunter in erster Linie Protestanten zu verstehen sind, gaben bei der Juliwahl 1932 ihre Stimme der NSDAP, so die Schätzung des Wahlverhaltens der Angehörigen der beiden Konfessionen, die in der Weimarer Republik noch über 95 Prozent der Gesamtbevölkerung umfassten.21 Wenn man bedenkt, dass das Merkmal »Katholizismus« sowohl gläubige als auch nicht-gläubige Mitglieder der katholischen Kirche und unter den Gläubigen sowohl kirchengebundene als auch der Kirche entfremdete Katholiken umfasste, belegen diese statistischen Beziehungen den spätestens ab der Reichstagswahl 1930 auftretenden starken, nicht von anderen Merkmalen determinierten Einfluss des Katholizismus auf die Wahlerfolge der NSDAP.

Die seit dem Erscheinen von Hitlers Wähler publizierte Literatur bestätigt diesen Zusammenhang weitestgehend. Zu unterscheiden sind dabei Analysen, die sich ausschließlich auf Gebietsebene, der sogenannten Aggregatebene, bewegen und solche, die versuchen, anhand von Merkmalsverteilungen auf Aggregatebene das individuelle Wählerverhalten mithilfe geeigneter statistischer Verfahren zu schätzen. Unbestreitbar und nach wie vor unbestritten ist der in Hitlers Wähler festgestellte negative statistische Zusammenhang zwischen Katholikenanteil und NSDAP-Stimmenanteil in den Kreisen und Gemeinden des Deutschen Reiches. So betrug der von uns festgestellte Korrelationskoeffezient zwischen dem Anteil der in den Stadt- und Landkreisen des Deutschen Reiches lebenden Protestanten und dem Prozentsatz der NSDAP-Stimmen bei der Juliwahl 1932 hohe 0,76. Ein ähnliches Muster zeigte sich bei den Reichspräsidentenwahlen von 1925 und 1932, in denen in beiden Fällen Hindenburg als Kandidat antrat und die Wahl gewann. Im zweiten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl 1925 gab es einen klaren negativen statistischen Zusammenhang zwischen den Anteilswerten Hindenburgs und dem Prozentsatz der Katholiken in den Stadt- und Landkreisen; im zweiten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl 1932 wurde aufgrund einer fast totalen Umkehrung der Wählerkoalitionen, die Hindenburg 1925 und 1932 unterstützten, ein starker positiver Zusammenhang zwischen den Hindenburg-Stimmen und dem Prozentsatz der Katholiken in den untersuchten Gebietseinheiten gemessen, während Hitler in den katholischen Regionen im Schnitt sehr schlechte Wahlergebnisse erzielte.

Die weitaus meisten nach 1991 publizierten Untersuchungen zur NSDAP-Wählerschaft bleiben mit ihren Aussagen auf der Aggregatebene. Lediglich die bereits erwähnte Untersuchung von King u. a. aus dem Jahre 2008 und der im nachfolgenden Abschnitt referierte Beitrag von Spenkuch und Tillmann versuchen, mithilfe fortgeschrittener statistischer Verfahren individuelles Wählerverhalten (gemeint ist das Verhalten von Gruppen bzw. Kategorien von Wählern) zu bestimmen. Die oben aufgeführten Schätzwerte von King u. a. für die NSDAP-Wahl von Katholiken und Protestanten stellen dabei nur ein Randprodukt ihrer komplexen, sich mit dem Einfluss ökonomischer Interessen auf die Wahl der NSDAP beschäftigenden Untersuchung dar. Ich werde auf Letzteres noch zurückkommen.

Explizit mit dem Einfluss des religiösen Faktors auf die Wahlerfolge der NSDAP auf Reichsebene beschäftigen sich zwei in den Jahren 2014 und 2019 publizierte Untersuchungen.22 In ihrer außerordentlich komplexen, sorgfältig durchgeführten, sich auf ökonometrische Verfahren stützenden Untersuchung belegen Spenkuch und Tillmann, dass Konfession in der Tat eine überaus bedeutsame Rolle für den Wahlerfolg der Nationalsozialisten spielte und den Einfluss aller verfügbaren sozioökonomischen Variablen minimierte. Katholiken votierten ihren Ergebnissen zufolge signifikant seltener als Protestanten für die NSDAP. Stattdessen stimmten sie weit überwiegend für die Zentrumspartei oder die Bayerische Volkspartei.

Da die überwiegend katholischen Kreise ländlicher gewesen seien, einen größeren Anteil von Arbeitskräften in der Landwirtschaft und niedrigere Arbeitslosenraten aufwiesen, als das in den überwiegend evangelischen Kreisen der Fall war, sei es notwendig, den Einfluss dieser Merkmale zu kontrollieren, um den Effekt der konfessionellen Zusammensetzung auf das Wahlverhalten bestimmen zu können. Tatsächlich gingen die Partialkorrelationen zwischen Konfession und NSDAP-Wahl nicht zurück, wenn man zusätzliche Kontrollvariablen einfüge, ganz im Gegenteil.23 Die religiöse Zusammensetzung eines Kreises erkläre im Falle der Novemberwahl 1932 etwas mehr als 40 Prozent der Varianz des NSDAP-Stimmenanteils; alle anderen Variablen zusammengenommen fügten lediglich nochmals zusätzliche 41 Prozent an Erklärungskraft hinzu. Dabei sei der von der Konfession ausgehende Effekt tatsächlich kausaler Natur gewesen. Im November 1932 sei die Wahrscheinlichkeit von Katholiken, für die NSDAP zu stimmen, rund 28 Prozentpunkte geringer gewesen als die von Protestanten. Nach Auffassung von Spenkuch und Tillmann war ceteris paribus die Wahrscheinlichkeit der Wahl der NSDAP durch Protestanten mindestens zweieinhalb Mal so hoch wie die von Katholiken. Damit bestätigen sie weitestgehend die in Hitlers Wähler herausgearbeiteten Ergebnisse in Bezug auf den konfessionellen Faktor.

Ähnlich wie ich in Hitlers Wähler argumentieren die Verfasser dabei mit der Existenz einer im deutschen Katholizismus vorherrschenden positiven Wahlnorm zugunsten des Zentrums bzw. der Bayerischen Volkspartei. Von der katholischen Kirche aus sei erheblicher Druck ausgegangen, für eine dieser beiden Parteien zu stimmen, während die protestantische Kirche politisch neutral geblieben sei. Für diese These sprächen fünf Argumente: Zum einen seien die konfessionellen Differenzen beim NS-Wählerverhalten dort erheblich geringer gewesen, wo die offizielle Position der Kirche durch einen Priester unterminiert wurde, der offen mit den Nationalsozialisten sympathisierte. Zweitens seien konfessionelle Differenzen in der Wahl der NSDAP auch dort erheblich geringer gewesen, wo vor dem Aufstieg der Nationalsozialisten Katholiken nicht der Empfehlung der Kirche gefolgt wären, ihre Stimme der Zentrumspartei oder der BVP zu geben. Drittens sei der konfessionelle Effekt in ländlichen Gebieten stärker als in Städten gewesen, wo die Kirchen weniger Einfluss ausüben konnten und der Konformitätsdruck höchstwahrscheinlich geringer gewesen sei. Diese Beobachtung entspricht bis auf die Märzwahl 1933 den in Hitlers Wähler referierten Verteilungen (HW 1991, S. 182). Und viertens sollten Katholiken und Protestanten trotz der Warnungen der katholischen Kirche vor den Gefahren des Sozialismus mit gleicher Wahrscheinlichkeit linke Parteien unterstützt haben, was bedeuten würde, dass die Kirche zwar in der Lage gewesen sei, Gläubige von der Wahl der NSDAP abzuhalten, aber nicht von der Wahl der KPD. Die von ihnen analysierten Daten stützten diesen letzteren Punkt. Für die KPD liefern die Auszählungen in Hitlers Wähler eine zumindest tendenzielle Bestätigung dieser These, nicht jedoch für die SPD. Zwischen SPD-Wahl und Katholikenanteil bestand durchgängig über sämtliche Reichstagswahlen der Weimarer Republik hinweg ein mittlerer bis starker negativer statistischer Zusammenhang. Fünftens hätten sich die konfessionellen Differenzen im Verhalten gegenüber der NSDAP nach der Märzwahl von 1933, als die katholischen Bischöfe ihre Opposition gegenüber Hitler aufgaben, in ihr Gegenteil verkehrt. Von historischem, über den Sonderfall der NSDAP-Wahl hinausreichendem Interesse ist die von ihnen unternommene (empirische!) Zurückführung der Verhaltensunterschiede von Protestanten und Katholiken in der Weimarer Republik auf die Aufteilung des Reichsgebiets in konfessionell homogene Einheiten im Gefolge des Augsburger Religionsfriedens von 1555.

Während sich die Untersuchung von Spenkuch und Tillmann auf mehrere Reichstagswahlen bezieht, konzentriert sich die Analyse von Frøland u. a. auf die Reichstagswahl von 1930, die sie als eine Art kritische Wahl für die NSDAP betrachten. Zwar steht im Mittelpunkt ihrer Untersuchung die Frage, ob die NSDAP eine Arbeiterpartei, eine bürgerliche Partei oder eine Volkspartei war. Weil sie aber herausfinden, dass das Ausmaß, in dem verschiedene soziale Gruppen für die NSDAP stimmten, vom Anteil der Protestanten und Katholiken in den entsprechenden Stadt- und Landkreisen abhing, stellen ihre Ergebnisse einerseits eine klare Bestätigung, andererseits eine Ergänzung und Modifizierung der Konfessionshypothese dar. Methodisch etwas weniger raffiniert als Spenkuch und Tillmann untersuchen sie in erster Linie die statistischen Interaktionseffekte von Religion und sozialen Gruppen auf die Wahl der NSDAP und gelangen zu dem Ergebnis, dass die Interaktion zwischen Religion und sozialen Gruppen von signifikanter Erklärungskraft für die Wahrscheinlichkeit, für die NSDAP zu stimmen, gewesen sei. Außer für Arbeiter im engeren Sinne hing das Wahlverhalten der von ihnen untersuchten sozialen Gruppen bei der Reichstagswahl 1930 weitestgehend davon ab, ob sie in einem überwiegend katholischen oder einem überwiegend protestantischen Kreis lebten.

Nicht empirisch, sondern kulturalistisch argumentiert Robert Steigmann-Gall in einem im Jahre 2000 erschienenen Essay, in dem er der Frage nachgeht, ob das protestantische Wahlverhalten für Hitler eher ein Abfall vom Glauben oder eine besondere Form der Religiosität gewesen sei.24 Dass Protestanten weitaus stärker als Katholiken zwischen 1930 und 1933 der NSDAP ihre Stimme gaben, unterstellt er richtigerweise. Das beinahe vollständige Aufgehen der protestantischen Wählerschaft in den Jahren 1932 und 1933 in der NSDAP habe dazu geführt, dass nur noch die katholische Wählerschaft des Zentrums und die überwiegend areligiöse Wählerschaft der marxistischen Parteien intakt geblieben seien. Das habe die NSDAP zu einer Art protestantischer Zentrumspartei werden lassen. Der NSDAP sei es gelungen, zur lang ersehnten Sammlungsbewegung des protestantischen Deutschlands zu werden und die protestantischen Wähler in einer rechten ideologischen Volkspartei zu vereinen. Es könne ausgeschlossen werden, dass die Hitlerbewegung ausschließlich oder auch nur hauptsächlich von Protestanten gewählt worden sei, die ihren Glauben verloren hätten. Der NSDAP sei es vielmehr gelungen, die stärkste Unterstützung von denjenigen Protestanten zu erhalten, die Deutschland vor einer Dechristianisierung behüten wollten. »Der Nationalsozialismus konnte als ein Versuch angesehen werden, Gott gegen die säkularisierte Gesellschaft zu bewahren.«25 Empirische Belege dafür liefert Steigmann-Gall nicht. Es handelt sich folglich eher um eine interessante These, die des (mit Sicherheit sehr schwierig zu führenden) empirischen Beweises bedarf.

Mit dieser These muss man nicht einverstanden sein, sie belegt aber die Breite der Auseinandersetzung mit dem mittlerweile kaum mehr bestrittenen Phänomen einer weit überdurchschnittlichen Affinität von Protestanten zur NSDAP bei Wahlen. Andere Erklärungen für den starken Zuspruch, den die NSDAP in protestantischen Regionen erhielt, stellen auf die staatskirchliche Tradition insbesondere des Lutheranertums und die damit einhergehende Obrigkeitsverbundenheit vieler Protestanten ab. In Hitlers Wähler hatte ich argumentiert, vor allem die Abwesenheit einer positiven Wahlnorm, über die das katholische Deutschland verfügt habe, sei dafür verantwortlich gewesen, dass die Protestanten sich leichter von ihren traditionellen Parteien im Verlauf der Wirtschaftskrise abwendeten. Das wiederum impliziere, dass Katholiken im Falle der Abwesenheit einer solchen Wahlnorm, die ja durch vielfältige Netzwerke des katholischen Milieus immer wieder kommuniziert und verstärkt wurde, genauso anfällig für die Versprechungen des Nationalsozialismus gewesen seien wie Protestanten. Tatsächlich belegt die Mitgliederentwicklung der NSDAP nach der Märzwahl von 1933 und vor allem nach Abschluss des Konkordats mit dem Vatikan, dass die katholische Resistenz gegenüber dem Nationalsozialismus trotz des Fortbestehens einzelner Inseln des Widerstands schnell nachließ.26

Die große Bedeutung des Konfessionsfaktors für das Abschneiden der NSDAP bei Wahlen unterstreichen auch die Untersuchungen, bei denen der Konfessionseinfluss nicht im Mittelpunkt ihrer Fragestellung steht. Dazu gehören beispielsweise die von John O’Loughlin und seinen Mitarbeitern, insbesondere seinem Schüler Colin Flint, zwischen 1994 und 2004 veröffentlichten Analysen, deren Hauptanliegen sichtlich der Nachweis ist, dass die Variable »Raum« einen eigenständigen zusätzlichen Effekt auf das Abschneiden der NSDAP bei Wahlen hatte.27 Es handelt sich hierbei um Vertreter der Politischen Geographie, die mit erheblichem empirischen und statistischen Aufwand belegen, dass je nach geographischem Raum, in dem sich das politische Verhalten abspielt, die Wirkung von sozialen Merkmalen wie der Konfession oder auch der Berufsstruktur, der Arbeitslosigkeit oder der Wahlbeteiligung variiert. Was den Einfluss der Konfession auf die NS-Wahl angeht, schreiben O’Loughlin und seine Mitautoren in ihrer Publikation aus dem Jahre 1995 beispielsweise, dass das Zusammentreffen regionaler Trends der NS-Wahl und des Prozentsatzes der Protestanten klar und eindeutig die »Politische Konfessionalismus«-Theorie Burnhams bestätige und »weitere Evidenz für die Bedeutung der Religion als eines Prädiktors des deutschen Wahlverhaltens« liefere. Für die Reichstagswahl 1930 berechneten sie etwa für den Zusammenhang zwischen dem Protestantenanteil und dem Anteil der NSDAP-Stimmen eine Korrelation von 0,609, was mit den Ergebnissen früherer Untersuchungen übereinstimme. In Hitlers Wähler komme ich für diese Wahl auf einen Wert von –0,55 für den Zusammenhang zwischen Katholiken- und NSDAP-Wähleranteil; in Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik errechneten wir einen Korrelationskoeffizienten zwischen Protestanten- und NSDAP-Anteil von +0,57. Auch was die Veränderung des NSDAP-Stimmenanteils von Wahl zu Wahl angeht, entsprechen sich die in Hitlers Wähler berichteten und die von den Vertretern der Politischen Geographie um O’Loughlin ermittelten Regressionskoeffizienten größenordnungsmäßig überraschend gut – trotz unterschiedlich spezifizierter Regressionsmodelle. In ihrem Aufsatz aus dem Jahre 1994 schließlich konstatieren O’‘Loughlin und seine Mitautoren: »Religion als der zweifelsohne konsistenteste Prädiktor der NSDAP-Wahl und ganz bestimmt auch der am wenigsten kontroverse bleibt in unserem Modell durchgängig erklärungskräftig.« Ungeachtet aller regionalen Besonderheiten erweise sich »lediglich die Konfessionsvariable als konsistent positiv und signifikant über alle Regionen hinweg«.28

In den letzten Jahren hat sich eine ausgesprochen rege, ökonometrisch orientierte Richtung von NS-Studien entwickelt, in deren Mittelpunkt der Einfluss von Konjunkturdaten, Arbeitslosigkeit oder auch der Verschuldung von Gewerbe und Landwirtschaft auf die Wahl der NSDAP steht.29 Diese Studien zeichnen sich gemeinhin durch hohe statistische Raffinesse aus. Im Folgenden geht es zunächst darum, ob und inwieweit der Faktor Konfession in diesen Untersuchungen behandelt wird und welchen Stellenwert die Konfession als Erklärungsfaktor der Wahlerfolge der NSDAP darin einnimmt.

Stögbauer (2001) befasst sich mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, insbesondere der Arbeitslosigkeit, auf das Abschneiden der Parteien in der Endphase der Weimarer Republik. Dabei stützt er sich sowohl auf ökonometrische als auch auf raumbezogene statistische Verfahren, die der Geographie entlehnt sind. Auf den Einfluss der Konfession geht er zwar nicht direkt ein, berücksichtigt sie aber in seinen Voraussagemodellen als eine der Kontrollvariablen und kommt, nicht ganz überraschend, zu einem negativen Effekt des Katholikenanteils auf die NSDAP-Stimmenanteile. Eine etwas andere Perspektive nehmen van Riel und Schram (1994) in ihrer bereits erwähnten, sieben Jahre davor erschienenen Analyse ein, in der sie die Beziehung zwischen ökonomischen und strukturellen Variablen auf der einen und der Regierungspopularität auf der anderen Seite untersuchen. Zwischen dem Katholikenanteil und der Regierungspopularität stellen die Autoren eine starke positive Beziehung fest, was von ihnen darauf zurückgeführt wird, dass das Zentrum an allen Regierungen der Weimarer Republik bis ins Jahr 1932 beteiligt war. Auch hier erweist sich folglich die konfessionelle Färbung der Untersuchungseinheiten als ein entscheidender Prädiktor des Wahlverhaltens während der letzten Jahre der Weimarer Republik. Zu revidieren gibt es in dieser Hinsicht in Hitlers Wähler nichts, zu ergänzen vielleicht sind die von den Politischen Geographen immer wieder betonten regionalen Unterschiede in der Auswirkung verschiedener erklärender Merkmale, darunter auch der Konfession, für das Abschneiden der NSDAP. Was allerdings die hinter diesen regionalen Differenzen stehenden Ursachen sind, beantworten auch die Politikgeographen trotz aller methodischer Raffinesse nicht. Aus sozialhistorischer Sicht zumindest muss man somit davon ausgehen, dass die von ihnen eingeführten Raumvariablen in erster Linie doch nur als Platzhalter für unbestimmte, aber einflussstarke, in ihren und unseren Regressionsgleichungen nicht explizit berücksichtigte Einflussfaktoren zu interpretieren sind.

Soziale Trägerschichten

Lange Zeit galt die NSDAP als eine überwiegend, wenn nicht sogar fast ausschließlich von Angehörigen der Mittelschicht unterstützte Bewegung. Arbeiter hätten nur selten NSDAP gewählt, und falls doch, habe es sich in erster Linie um sogenannte atypische Arbeiter gehandelt, also Arbeiter aus eher handwerklichen Kontexten, aus dem tertiären Sektor, Heimarbeiter und Arbeiter in der Landwirtschaft. Entgegen der realen statistischen Verteilung der verschiedenen Arbeitertypen in der Weimarer Republik wurden (zumindest implizit) als typisch folglich vor allem Industriearbeiter aus Großbetrieben mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad angesehen. Tatsächlich aber waren die weitaus meisten Arbeiter in der Weimarer Republik eher in handwerklich geprägten Branchen und kleinbetrieblichen Kontexten beschäftigt. Demnach waren die als typisch apostrophierten Arbeiter in Wirklichkeit eher atypisch. Das allerdings sagt nichts aus über die Richtigkeit der These, diejenigen Arbeiter, die die NSDAP bei Wahlen unterstützten, seien eher in handwerklichen und kleinbetrieblichen Arbeitskontexten beschäftigt gewesen.

Ein zunächst überraschendes Ergebnis von Hitlers Wähler war die Feststellung einer Nullkorrelation oder, anders ausgedrückt, eines statistischen Nicht-Zusammenhangs zwischen dem Arbeiteranteil und dem Prozentsatz der NSDAP-Stimmen auf Stadt- und Landkreisebene bei den zwischen 1928 und März 1933 stattfindenden Reichstagswahlen. Erst eine Aufgliederung nach Arbeitern, die in der Landwirtschaft und in Handwerk und Industrie tätig waren, zeigte für erstere einen positiven und für letztere einen schwach negativen statistischen Zusammenhang. In Kreisen mit einem höheren Anteil an Landwirtschaftsarbeitern schnitt die NSDAP vor allem ab der Juliwahl 1932 deutlich besser ab als in Kreisen mit nur wenigen im Agrarsektor beschäftigten Arbeitern; bei einem hohen Prozentsatz von Arbeitern in Handwerk und Industrie verhielt es sich umgekehrt. Der Anteil der Arbeiter im Dienstleistungssektor schließlich korrelierte 1930 ganz schwach positiv und ab der Juliwahl 1932 schwach negativ mit dem NSDAP-Stimmenanteil. Die Korrelationskoeffizienten fielen dabei so niedrig aus, dass man eher von einem Nicht-Zusammenhang als von einem statistischen Zusammenhang sprechen sollte. Die Aufgliederung der im sekundären Sektor Beschäftigten in Industrie- und Handwerksarbeiter schließlich brachte für die Industriearbeiter die erwartete, wenn auch wiederum recht niedrige negative Korrelation. In Gebieten mit einem niedrigen Industriearbeiteranteil schnitt die NSDAP etwas besser ab als in Kreisen mit einem hohen Industriearbeiteranteil. Allerdings waren mit Ausnahme der Märzwahl 1933 die Beziehungen erneut nur schwach ausgeprägt. Die Korrelation zwischen dem Anteil der Arbeiter im Handwerk und dem Prozentsatz der NSDAP-Stimmen schließlich lag buchstäblich bei null, sodass man auch in diesem Falle von einem Nicht-Zusammenhang ausgehen musste.

Diese Beziehungen gelten nur auf Gebietsebene. Eine Schätzung der NSDAP-Anfälligkeit von Arbeitern und Nicht-Arbeitern mithilfe sogenannter ökologischer Regressionsanalysen ergab, dass nach 1928 stets prozentual etwas weniger Arbeiter als Nicht-Arbeiter für die NSDAP gestimmt hatten. Doch waren die Affinitätsunterschiede von Arbeitern und Nicht-Arbeitern gegenüber der NSDAP vergleichsweise gering. So stimmten im Juli 1932 laut Hitlers Wähler schätzungsweise 31 Prozent aller Wahlberechtigten für die Liste der NSDAP; unter den Arbeitern waren es 27 Prozent. Bezieht man die aus der Arbeiterschaft stammenden Rentner, Hausfrauen und sonstigen wahlberechtigten Familienangehörigen ohne eigenen Hauptberuf mit ein, lag der Anteil der aus Arbeiterhaushalten stammenden NSDAP-Wähler je nach Wahl zwischen einem Drittel und rund 40 Prozent (HW 1991, S. 225).

Eine generelle Kritik an der Verwendung des Arbeiterbegriffes stammt von Manfred Küchler, der zwar die Auszählungsergebnisse in Hitlers Wähler nicht infrage stellt, aber moniert, dass sich hinter dem dort benutzten Arbeiterbegriff sehr unterschiedliche Berufe und soziale Lagen verbergen würden.30 Zwar sei es aus Vergleichszwecken unumgänglich, sich auf die Definitionen der Volks- und Berufszählungen des Statistischen Reichsamtes von 1925 und 1933 zu stützen, doch sei der dort verwendete, versicherungsrechtlich definierte Arbeiterbegriff sehr unpräzise und umfasse neben den Arbeitern im eigentlichen Sinne, worunter Küchler vor allem Industriearbeiter in größeren Betrieben versteht, auch sehr atypische Arbeiterberufe wie Friseure oder Hausangestellte. Aus diesem Grunde schließt Küchler, dass die NSDAP nicht nur keine Arbeiterpartei gewesen sei, sondern dass die Auszählungsergebnisse streng genommen die These vom unteren Mittelstand als der Hauptunterstützerschicht der Nationalsozialisten bestätigten. Ob man sich dieser Interpretation anschließt, hängt in erster Linie von der gewählten Definition sowohl des Arbeiterbegriffes als auch des Begriffs »unterer Mittelstand« ab. Zweifellos findet sich mittelständisches Bewusstsein auch bei Berufstätigen, die in der Reichsinvalidenversicherung versichert waren und deswegen als Arbeiter gezählt wurden. Selbst viele Facharbeiter, die ja häufig besser verdienten als untere Angestellte und Beamte, dürften sich von der Lebenshaltung und ihrer sozialen Selbsteinschätzung her eher zur unteren Mittelschicht als zum Proletariat gezählt haben. Doch lässt sich umgekehrt mit Theodor Geiger, einem der führenden Soziologen der Weimarer Republik, argumentieren, dass nicht nur die Arbeiter im engeren Sinne, sondern auch die weitaus meisten unteren Angestellten und Beamten, die Stenotypistinnen und Verkäuferinnen, die Amtsboten und Zugschaffner, von ihrem Einkommen und ihren sonstigen Lebensumständen her zum Proletariat gezählt werden mussten, auch wenn sie das nicht unbedingt wahrhaben wollten, sondern sich häufig als etwas Besseres dünkten.31 Setzte man anstelle des Begriffs »Arbeiter« die Begriffe »Proletarier« und den von Geiger für untere Angestellte und Beamte benutzten Terminus »Proletaroide« ein, wäre die NSDAP sowohl von ihren Wählern als auch von ihren Mitgliedern her gesehen eine – trotz der geringeren Zustimmungswerte durch das Industrieproletariat – schwerpunktmäßig von diesen beiden Gruppen unterstützte Partei gewesen.

Küchler stützt sich bei seinen Überlegungen nicht auf eigene Auswertungen des vorliegenden statistischen Materials. Anders King u. a. (2008): Sie kommen für die Wahlen 1930–1933 zu dem Ergebnis, dass der Arbeiteranteil in protestantischen Regionen unabhängig davon, ob die Arbeitslosenrate hoch oder niedrig war, mit dem NSDAP-Stimmenanteil keinen signifikanten statistischen Zusammenhang aufwies. Dagegen lagen die Wahlergebnisse in überwiegend katholischen Gebieten mit einem überdurchschnittlichen Arbeiteranteil und hoher Arbeitslosigkeit unter dem Reichsdurchschnitt. Eine Arbeiterkategorie, die sie als »domestic workers« bezeichnen, habe in den protestantisch geprägten Regionen überdurchschnittlich stark die NSDAP bei Wahlen unterstützt. In katholischen Kreisen dagegen sei diese Gruppe loyal zum Zentrum und zur SPD gestanden. »Domestic Worker« ist ein relativ unbestimmter Begriff, der leicht in die Irre führen kann, wenn man sich nicht die etwas eigenwillige Definition von King u. a. vor Augen hält. Es geht dabei nicht in erster Linie um Hausangestellte, Köche, Chauffeure und Lohndiener, sondern um »agricultural laborers« und »peasant workers«, also um Landarbeiter. Deren Unterstützung für die NSDAP bei den Reichstagswahlen von 1930 und 1932 sei in den protestantischen Kreisen geradezu in die Höhe geschossen. Für Landarbeiter in den katholischen Gebieten habe das nicht in gleicher Weise gegolten. Dieses Ergebnis entspricht der Tendenz nach den in Hitlers Wähler erarbeiteten Erkenntnissen (HW 1991, S. 214).32

Eine weitere Bestätigung erfahren die in Hitlers Wähler erarbeiteten Resultate zur Affinität von Arbeitern gegenüber der NSDAP durch Stögbauer (2001), dessen Beitrag sich allerdings primär auf die Rolle der Arbeitslosigkeit für die NS-Wahlerfolge konzentriert. Wie andere bezieht auch er den Anteil der Arbeiter in seine Regressionsgleichungen mit ein und gelangt für 1933 zu einem fast identischen Schätzwert für den Anteil der Arbeiter unter den Anhängern der NSDAP wie Hitlers Wähler, nämlich einem standardisierten Regressionskoeffizienten von -0,25 bzw. – in einem etwas anders spezifizierten Modell – von -0,22. Der in Hitlers Wähler referierte Wert liegt bei -0,25 (HW 1991, S. 433). Das bedeutet mit anderen Worten, dass (nach statistischer Kontrolle von Urbanisierung und Konfession) die NSDAP im Mittel dort etwas schlechter abschnitt, wo viele Arbeiter lebten.

In einer sich auf Baden und die bayerische Pfalz beziehenden Analyse aus dem Jahre 2000 gelangt Colin Flint zu der Erkenntnis, dass es der NSDAP in Nordbaden gelang, sowohl Arbeiter als auch frühere Nichtwähler zu mobilisieren. Zwischen dem Anteil der Arbeiter im tertiären Sektor und dem Anstieg der NSDAP-Stimmen habe es in Nordbaden eine positive Beziehung gegeben. In Südbaden seien es dagegen eher Mittelschichtwähler gewesen, die für die NSDAP gestimmt hätten. In einer weiteren Untersuchung, die 2001 erschien, stellt Flint fest, dass es in Norddeutschland keine Evidenz für eine Unterstützung der NSDAP durch die Mittelschicht gegeben habe. In dieser Formulierung ist das Ergebnis sicherlich falsch und ein Resultat der gewählten Methode; denn dass keine norddeutschen Mittelschichtwähler für die NSDAP gestimmt haben sollen, ist nicht nur unplausibel, sondern widerspricht auch geradezu eklatant den vorliegenden Daten.

Industriearbeiter hätten sich im Gegensatz zu den Arbeitern in Handel und Transport gegenüber dem Nationalsozialismus als vergleichsweise immun erwiesen. Sie hätten in großer Zahl für die KPD gestimmt, so O’Loughlin u. a. (1994). In dieser Allgemeinheit ist die Aussage wohl richtig und widerspricht auch nicht den Ergebnissen von Hitlers Wähler. Allerdings basiert sie zum einen auf einem relativ kühnen Schluss von der Aggregat- auf die Individualebene des politischen Handelns oder, anders ausgedrückt, von der Ebene der Stadt- und Landkreise auf einzelne Gruppen von Wählern, in diesem Falle die Industriearbeiter. Zum anderen darf eine derartige Vergleichsaussage – ebenso wenig wie eine schwache oder mittelstarke negative Korrelation – nicht so gedeutet werden, als hätten gar keine oder nur sehr wenige Industriearbeiter NSDAP gewählt. Tatsächlich dürfte jeder dritte Landarbeiter und jeder vierte im sekundären oder tertiären Sektor beschäftigte Arbeiter im Juli 1932 der NSDAP seine Stimme gegeben haben. Das würde zwar, wie King u. a. (2008) herausgearbeitet haben, eine im Falle der Landarbeiter überdurchschnittliche und im Falle der übrigen Arbeiter unterdurchschnittliche Affinität zur NSDAP bedeuten. Es würde aber alles andere als eine vollständige oder auch nur sehr weitgehende Immunität der einen oder anderen Gruppe gegenüber dem Nationalsozialismus implizieren.

Während die Vertreter der Politischen Geographie es für erwiesen halten, dass die Anfälligkeit der sozialen Schichten gegenüber der NSDAP von Region zu Region variiert, sind Frøland, Jakobsen und Berrefjord (2019) der Auffassung, dass der Einfluss der Schichtvariablen auf den NSDAP-Stimmenanteil abhängig sei vom jeweiligen (analytisch konstruierten, nur teilweise mit einer bestimmten Region identischen) Konfessionskontext.

Ein weiteres, recht unerwartetes Ergebnis von Hitlers Wähler war die unterdurchschnittliche Neigung von Angestellten, NSDAP zu wählen. Bisher war die Forschung immer vom Gegenteil ausgegangen, was für die Mitgliederrekrutierung der Nationalsozialisten auch stimmen dürfte, nicht aber für das Wahlverhalten der Angestellten.33 So erwies sich spätestens ab der Juliwahl 1932 der Zusammenhang zwischen dem Prozentsatz der Angestellten in den Kreisen und dem Anteil der NSDAP-Stimmen als negativ. Das gilt vor allem für ländliche Regionen, während für die stärker urbanisierten Kreise der Korrelationskoeffezient bei null lag, was auf einen fehlenden Zusammenhang beider Merkmale hindeutet. Große Unterschiede gab es zwischen evangelischen und katholischen Gebieten. In ersteren fiel das NSDAP-Ergebnis im Schnitt umso schwächer aus, je mehr Angestellte in einem Kreis lebten; in letzteren war die Beziehung beider Merkmale weniger eindeutig und bis zur Juliwahl 1932 sogar positiv. Katholische Angestellte scheinen insgesamt etwas häufiger NSDAP gewählt zu haben als evangelische Angestellte. Auch nach Kontrolle des Katholikenanteils, des Urbanisierungsgrades und des Prozentsatzes der Arbeiter war laut Hitlers Wähler der Effekt des Angestelltenanteils auf den NSDAP-Stimmenanteil im Mittel aller Kreise durchweg negativ.

King u. a. (2008) kommen zu dem Ergebnis, dass Angestellte in überwiegend protestantischen Regionen nicht häufiger als der Durchschnitt für die Nationalsozialisten stimmten. Das stimmt mit den Ergebnissen von Hitlers Wähler tendenziell überein. Die darin berichteten, durch ökologische Regression gewonnenen Resultate legen sogar den Schluss nahe, dass nicht-katholische Angestellte der NSDAP nur unterdurchschnittlich häufig die Stimme gaben, während katholische Angestellte der NSDAP genauso viele Stimmen gaben wie der Durchschnitt aller Wähler (HW 1991, S. 241).

Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt O’Loughlin in einem Beitrag aus dem Jahre 2000. Nach seinen Berechnungen beeinflusste der Anteil der beschäftigten Angestellten die Stärke des Wahlerfolgs der Nationalsozialisten in positiver Weise. Mit diesem Ergebnis steht O’Loughlin allerdings relativ allein. So berichten Spenkuch und Tillmann (2014), dass zumindest die besser ausgebildeten Angestellten in geringerem Maße NSDAP wählten. Frøland u. a. (2019) fanden heraus, dass die Nationalsozialisten in überwiegend evangelischen Kreisen mit einem hohen Anteil von Angestellten weniger Stimmen erhielten als in protestantischen Kreisen mit einem geringeren Prozentsatz von Angestellten. In katholischen Kontexten dagegen sei das Verhältnis umgekehrt gewesen: Wo viele Angestellte lebten, habe die NSDAP überdurchschnittlich stark abgeschnitten, wo wenige Angestellte lebten, hätten ihre Wahlergebnisse tendenziell unter dem Durchschnitt gelegen. »Die stärkste Unterstützung unter Katholiken erfuhr die NSDAP in Bezirken mit vielen Angestellten […] Handelt es sich um evangelische Angestellte, so scheint es, dass sie stärker reformistische Parteien unterstützten, darunter die SPD.« Und schließlich ermittelten Adena u. a. (2015) in einem Beitrag, der einer ganz anderen Fragestellung gewidmet war, nämlich ob die Verbreitung von Radiogeräten den Aufstieg der NSDAP bei Wahlen begünstigte, zwar für die Wahlen von 1930 eine schwache positive Beziehung zwischen dem Angestelltenanteil und dem NSDAP-Zuwachs gegenüber der Vorwahl. Für die Wahlen vom Juli 1932 und vom März 1933 jedoch ist nach ihren Berechnungen die Beziehung zwischen Angestelltenanteil und NSDAP-Anstieg negativ, was nichts anderes bedeutet, als dass der Stimmenzuwachs der NSDAP im Schnitt geringer ausfiel, wenn überdurchschnittlich viele Angestellte in einem Kreis wohnten.

Etwas anders sah es bei den Beamten aus. Zwar wurde in Hitlers Wähler für die Reichstagswahl 1930 ein schwacher positiver Zusammenhang zwischen Beamtenanteil und NSDAP-Stimmenanteil festgestellt, und auch der Stimmenzuwachs der NSDAP zwischen 1928 und 1930 hing positiv mit dem Anteil von Beamten, die in einem Kreis lebten, zusammen. Das galt ab der Juliwahl 1932 dann nicht mehr. Allerdings änderten sich nach Kontrolle von Urbanisierung, Arbeiteranteil und Konfession die statistischen Beziehungen zwischen beiden Merkmalen. Vor allem in städtischen Kontexten übte der Prozentsatz der Beamten unter den Wahlberechtigten einen zwar nicht besonders starken, aber doch spürbaren Einfluss auf die Wahlerfolge der NSDAP aus.