Hochzeit - Elias Canetti - E-Book

Hochzeit E-Book

Elias Canetti

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Beschreibung

"Die Sprache der Menschen in diesem Stu?ck ist so, dass sie Verwirrung jeder Art ausdrückt, dass eine Figur nicht wirklich versteht, was die andere meint, jede nur sich selbst ausdrückt … Es ist so, wie wenn Menschen in fremden Sprachen zueinander sprechen würden – ohne sie zu kennen; nur glauben sie, dass sie die Sprache kennen, wodurch eine neue Dimension des Nichtverstehens entsteht." Elias Canetti über sein Theaterstück "Hochzeit"

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Über das Buch

»Die Sprache der Menschen in diesem Stück ist so, dass sie Verwirrung jeder Art ausdrückt, dass eine Figur nicht wirklich versteht, was die andere meint, jede nur sich selbst ausdrückt … Es ist so, wie wenn Menschen in fremden Sprachen zueinander sprechen würden – ohne sie zu kennen; nur glauben sie, dass sie die Sprache kennen, wodurch eine neue Dimension des Nichtverstehens entsteht.« Elias Canetti über sein Theaterstück Hochzeit

Elias Canetti

Hochzeit

Impressum

ISBN 978–3–446–25343–8

Als Theatermanuskript gedruckt 1932; in Buchform erschienen 1964; uraufgeführt 1965

Text nach Band II der Canetti-Werkausgabe

© 2015, 2016 Elias Canetti Erben Zürich, Carl Hanser Verlag München

Umschlaggestaltung: S. Fischer Verlag / www.buerosued.de

Cover: Veza und Elias Canetti, Wien 1937

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de. Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/HanserLiteraturverlage oder folgen Sie uns auf Twitter: www.twitter.com/hanserliteratur

Hochzeit

Personen

Vorspiel

Die Hochzeit

Personen

Vorspiel

Die Gilz, Hausbesitzerin

Toni, ihre Enkelin

Lori, ein Papagei

Thut, Professor

Leni, seine Frau

Der Säugling

Anita, ein besseres Mädchen

Peter Hell, junger Herr mit Blumenstrauß

Gretchen, Geschäftsfrau

Max, ein Mann

Franz Josef Kokosch, Hausbesorger

Seine sterbende Frau

Seine blödsinnige Tochter Pepi

Die Hochzeit

Oberbaurat Segenreich, Brautvater

Johanna, die Brautmutter

Christa, die Braut

Karl, ihr Bruder im dritten Semester

Mariechen, das Jüngste, vierzehnjährig

Direktor Schön, ein Freund

Horch, ein Idealist

Witwe Zart

Dr. Bock, Hausarzt, achtzigjährig

Gall, Apotheker

Monika Gall, seine Frau

Rosig, Sargfabrikant

Anita

Pepi Kokosch

Toni Gilz

Michel, der Bräutigam

Vorspiel

in fünf Bildern

1. Bild

2. Bild

3. Bild

4. Bild

5. Bild

1. Bild

Die Gilz, Hausbesitzerin, ihre EnkelinToni, Lori, ein Papagei.

Eine freundlich gebückte, weißhaarige Frau sitzt an einem altdeutschen Tisch und strickt. Ihre Stube hat Butzenscheiben. Eine Katze spielt mit dem Wollknäuel. Ein Papagei faucht. Herein läuft lustig ein junges Mädchen, blondgezopft, blauäugig, mit zärtlichen, weiblichen, etwas vollen Bewegungen.

Toni: Großmutterle! Großmutterle!

Die Gilz: Bist du es, Kind?

Toni: Ja, i bins, I bin so glaufn. Auf der Stiegen steht ein Mann, der ist ganz bsoffen. Er hat mich küssen wollen.

Die Gilz: Aber, aber, Kind!

Toni: I kann doch nix dafür! Dem sein Mund hat nach Wein gschmeckt. I bin eh gleich furtglaufn.

Die Gilz: Jetzen hast du dich doch net küssen lassen, Kind?

Toni: Die Pussi spielt wieder mit der Wolln! Willst du wohl! Ksch! Ksch!

Die Gilz: Laß die Katz in Ruh!

Toni: Geh i mag di net!

Die Gilz: Was hast du nur alleweil mit der Katz?

Toni: Zache Viecherln sans'. Siebn Leben habens'. Wie's fallt, immer fallts auf d' Füß. Was s' mit der Wolln hat! Alleweil die Wolln. Stricken kanns' do net. Jetzt bist scho alt, Pussi!

Die Gilz: Laß die Katz in Ruh!

Toni: Jetzen gibts kane Pussi net, Pussi! Jetzen schaut a jeder glei weg. Wird einem ja übel, wann mr nur hinschaut! – Großmutterle, wie fühlst dich heuten?

Die Gilz: Besser.

Toni: Besser?

Die Gilz: Vül besser.

Toni: Ja, aber Großmutterle, gestern hast gsagt, du fühlst dich so schlecht. Sterbensübel is dir. Und die Kreuzschmerzen was d' ghabt hast. Du machst es nimmer lang hast gsagt. Keine Luft kriegst alleweil net und das böse Herz. Ein Herz mueß mr haben hast gsagt, ohne ein gesundes Herz kommt ein Mensch net weit und der Doktor meint auch.

Die Gilz: Heut is besser.

Toni: Großmutterle, weißt noch, gestern mit die gschwollenen Füß, nicht aufstehn hast können!

Die Gilz: Heut kann i.

Toni: Großmutterle, i glaub, du lüegst. Weil gehn kannst ja do net.

Die Gilz: I kann scho.

Toni: Geh zeig!

Die Gilz: I wüll net.

Toni: Sigst es, so redst alleweil daher!

Die Gilz: In mein Haus kann i redn wiar i wüll.

Papagei: Haus. Haus. Haus.

Toni: Jö, die Lore! Fangst schon wieder an, Rabenvieh!

Papagei: Haus. Haus. Haus.

Toni: Großmutterle, die deinige Hausbesorgerin unten, die stirbt a schon. Grad hab i einigschaut. Die schaut aus, sag i dr, zum Wegschaun, an Totenschädel is schener.

Die Gilz: Die is scho alt.

Toni: Die liegt jetzen schon eine ganze Wochen im Sterben und bringt's net zusamm. Der Hausbesorger, was ihr Mann is, betet und schreit, so verzweifelt ist dir der Mensch.

Die Gilz: Kein Wort bringt die nicht mehr heraus. Die is scho gar alt.

Toni: Was glaubst, wie alt ist sie, Großmutterle?

Die Gilz: Die muß scho sein: bald 75!

Toni: Da bist du do jünger, Großmutterle?

Die Gilz: I bin 73. Kannst ausrechnen. Die ist gleich zwölf Jahr älter.

Toni: Zwei Jahr willst sagen.

Die Gilz: Zwölf. 75 und 73, das macht 12.

Toni: Zwei macht des. Du kannst ja net rechnen, Großmutterle.

Die Gilz: I scho. Du net. Des macht zwölf!

Toni: Na, zwei.

Die Gilz: Zwölf! Zwölf!

Toni: I wer do net lüegn, weil du's bist, Großmutterle.

Die Gilz: Den Rechenlehrer mecht ich kennen, den was du ghabt hast.

Toni: Weißt was, mir fragen wem andern! Den Professor vom Gymnasium der was nebenan wohnt.

Die Gilz: Na.

Toni: Sigst es!

Die Gilz: In mein Haus kann i rechnen, wiar i wüll.

Papagei: Haus. Haus. Haus.

Toni: Großmutterle, herst was? Na, du herst ja nimmer nix.

Die Gilz: I her scho.

Toni: Des glaub i dr net. Geh sag, was herst denn jetzen?

Die Gilz: An Dunner her i.

Toni: In Dezember an Dunner! In Dezember an Dunner! Ja, Großmutterle, du bist scho ganz taub. Des is do d' Musi von der Hochzeit im ersten Stock. Die Christa Segenreich hat heut ihre Hochzeit.

Die Gilz: Hochzeit gibts kane. I her an Dunner.

Toni: I mecht aa so a Musi, wann i heiraten tu. Die haben glei sechs Musikanten auf einmal.

Die Gilz: Is net wahr!

Toni: Herst?

Die Gilz: An Dunner her i.

Toni: Jetzen bist du schon ganz taub.

Die Gilz: In mein Haus kann i hern was i wüll.

Papagei: Haus. Haus. Haus.

Toni: Weißt, schad is scho, Großmutterle, daß du des nimmer erleben wirst, wann i heiraten tu. Dafür krieg ich des Haus, gell, Großmutterle, und mein Mann was sein wird und ich, mir gedenken denn alleweil dein.

Die Gilz: Was hast gsagt, Kind?

Toni: Gell, das Haus, des krieg i, Großmutterle?

Die Gilz: I kann di gar net verstehn. I her nix.

Toni(lauter): Wannsd' amal nimmer da bist, das Haus!

Papagei: Haus. Haus. Haus.

Die Gilz: Die Lore schreit grad so. Ich versteh nix.

Toni: Das Haus, sag i, das Haus!

Papagei: Haus. Haus. Haus.

Toni: Jetzt hörst scho auf, tepperter Papagei, gscheckerter!

Die Gilz: Was hast alleweil mit dem Lorle, so lieb is'.

Toni: Net schmecken kann ichs, das Luder, wanns d' nimmer da bist, ich erwürgs! Verstehst mi net, das Haus! Das Haus!

Papagei: Haus. Haus. Haus.

Toni: I kumm do alleweil auf Besuch. I schau alleweil nach dir. Die Resl, die kommt nie! Da mecht i doch das Haus zum wenigsten, das d' mir das Haus laßt. Die Resl die brauchts net, das Haus! Die Resl die hat scho an Mann!

Papagei: Haus. Haus. Haus.

Toni: Verstehst no net? (weinend) Das Haus! Haus! Haus!

Papagei: Haus. Haus. Haus.

Toni: Jeden Tag is dieselbe G'schicht mit dem Papagei, Haus! Haus! Haus!

Papagei: Haus! Haus! Haus! (Beide immer lauter, sie überschreien sich, das Mädchen läuft schluchzend weg)

Die Gilz(hat während des Lärms zu stricken aufgehört, die eine Hand ans Ohr gelegt und ihre Enkelin mit der verständnislosesten Miene von der Welt angeblickt. Kaum ist das Mädchen weg, verstummt der Papagei. Die Alte hebt sich, schleicht mühselig zum Käfig und steckt einen Finger in den Schnabel des Vogels): I leb alleweil no.

2. Bild

Professor Thut, dreißigjährig, seine gleichaltrige Frau Leni, ein gemeinsamer Säugling.

Ein Schlafzimmer. Vor dem kleinen weißen Gitterbett ihres Kindes stehen beide Eltern, sie flüstern laut und geschäftig. Der Professor versucht sich zu beugen, es gelingt ihm nicht recht. Er ist ziemlich groß und für seine Jugend steif. Seine kleine Frau beugt sich unaufhörlich und fährt unaufhörlich zurück. Sie hat etwas vom Kind an sich, das sie behütet; doch ist sie sehr wach.

Leni: Bitte, bitte!

Thut: Soll ich dir das erklären, Magdalena?

Leni: Bitte, bitte.

Thut: Du hörst mich bis zu Ende an!

Leni: Ja. Mein kleiner Schelm!

Thut: Verhalte dich ruhig. Du weckst ihn auf.

Leni: Ich ihn aufwecken? Ich mein Süßes aus dem Schlaf wecken?

Thut: Du hörst mich also an, Magdalena? Vorerst eine Frage: Was denkst du dir, wenn du ihn siehst?

Leni: Im Schlaf?

Thut: Ganz recht, im Schlafe, so wie er jetzt vor dir liegt. Was also denkst du dir?

Leni: Ich denke eigentlich immer dasselbe.

Thut: Und das wäre?

Leni: Daß er dir furchtbar ähnlich sieht.

Thut: Dieser Meinung bin auch ich. Er hat zum Beispiel meine Augen.

Leni: Wie er schläft!

Thut: Weck ihn nicht auf! Du bist heute wieder zerstreut, Magdalena.

Leni: Hast du schon so eine kleine Hand gesehen?

Thut: Nein. Du hast recht. Aber um fortzufahren: er hat meine Augen.

Leni: Ja.

Thut: Wenn ich ihn sehe, denke ich an mich, wie ich war, vor dreißig Jahren.

Leni: Du erinnerst dich noch?

Thut: Ich glaube mich an einiges zu erinnern. Ich wüßte manchen, der mein Gedächtnis notwendig hätte.

Leni: Du bist so gescheit. Meinst du mich?

Thut: Vielleicht meine ich dich. Wir sprachen von unserem Kinde.

Leni: Ja, er muß Minister werden.

Thut: Eine Frage: hältst du das für so notwendig? Das Buch der Geschichte weiß von Attentaten zu erzählen.

Leni: Dann Hausbesitzer.

Thut: Du kommst immer von unserem Thema ab, Magdalena. Wenn ich ihn sehe, sagte ich eingangs, denke ich an mich, wie ich war, vor dreißig Jahren.

Leni: Spaßig.

Thut: Wer oder was ist spaßhaft?

Leni: Aber das Kind natürlich.

Thut: Ich hoffe, du hörst mir zu. Da das Kind mir so ähnlich sieht, müssen wir etwas für das Kind tun. Du kannst sterben. Ich kann strenggenommen auch sterben. Das Kind darf nicht mit leeren Händen dastehen.

Leni: Warum sollen wir sterben?

Thut: Unterbrich mich nicht, Magdalena! Das Kind darf nicht mit leeren Händen dastehen. Dies zu verhindern eröffnen sich meiner bescheidenen Meinung nach zwei Perspektiven. Römisch Eins: eine Versicherung, Römisch Zwei: ein Haus. Ich persönlich neige zu Römisch Zwei. Was Römisch Eins betrifft, so ist es männiglich bekannt, daß eine Versicherungsgesellschaft zusammenbrechen kann. Für Römisch Zwei hingegen spricht der Umstand, daß ein Haus auf festem Grunde steht. Ein Haus ist wie das Ehrenwort des Mannes: Unverbrüchlich. Es ist vielleicht auch dir bekannt, daß die Engländer ihr Heim als ihr Schloß zu bezeichnen pflegen. Ich frage: was verstehen sie unter ihrem Heim? Die richtige Antwort lautet: Unter Heim verstehen sie ihr eigenes Haus.

Leni: Sei mir nicht böse, daß ich dich unterbreche. Aber welches Haus meinst du eigentlich?

Thut: Denk einmal nach! Strenge dein kleines Hirn ein wenig an! Ich wäre bereit zu wetten, daß du es nicht errätst.

Leni: Wart mal, nein. Ich weiß wirklich nicht.

Thut: Ich meine dieses.

Leni: Dieses?

Thut: Dies Haus und kein anderes.

Leni: Dieses Haus willst du kaufen? Von unserem Sparbuch? Spaßig. So viel haben wir längst nicht.

Thut