Hochzeit machen ist nicht schwer ... - Hanna Berghoff - E-Book

Hochzeit machen ist nicht schwer ... E-Book

Hanna Berghoff

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Beschreibung

Ganz überraschend springt Marina in einem Hochzeitskleid in Ronjas Cabrio und bittet Ronja, sie so schnell wie möglich vor ihrem Verlobten zu retten. Obwohl Ronja nicht die geringste Lust hat, die junge Frau bei sich aufzunehmen, kann sie Marinas Charme nicht widerstehen und nimmt sie auf den Gutshof ihrer Familie mit. Dort halten sie alle für verheiratet, und weil Ronjas Großmutter schwer herzkrank ist, kann Ronja den Irrtum nicht aufklären, ohne ihr Leben zu gefährden. So müssen Ronja und Marina ein Ehepaar spielen, das sie nicht sind. Daraus entsteht die eine oder andere turbulente Situation, doch gerade, als Ronja dabei ist, sich an den Gedanken zu gewöhnen, mit Marina verheiratet zu sein, stellt sich heraus, dass alles noch viel weniger so ist, als sie angenommen hatte. Was hat Marina eigentlich im Sinn?

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Seitenzahl: 312

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Hanna Berghoff

HOCHZEIT MACHEN IST NICHT SCHWER . . .

Roman

© 2020édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-319-7

Coverfoto: iStock.com/typo-graphics

1

»Schnell! Ich bitte Sie! Schnell! Fahren Sie los!«

Ronja blickte milde ausgedrückt etwas erstaunt auf die junge Frau im Hochzeitskleid, die gerade in ihr offenes Cabrio gesprungen war.

»Bitte!« Voller Verzweiflung umfasste die blonde Schönheit Ronjas Arm mit beiden Händen. »Fahren Sie!«

»Aber . . .« Ronja schaute sich um, ob sie auf der Straße, an deren Rand sie geparkt hatte, etwas entdecken könnte, was diese junge Braut in solche Panik versetzt haben konnte.

»Hilfe! Bitte, helfen Sie mir!« Die etwas über schulterlangen blonden Locken streiften Ronjas Gesicht, als die Frau den Kopf herumwarf, als ob sie gleich in heftiges Schluchzen ausbrechen würde.

»Wer kann einer Jungfrau in Nöten schon so eine Bitte abschlagen?«, murmelte Ronja zwischen Verwunderung und Unverständnis schwankend, blinkte und fuhr langsam aus der Parklücke auf die Straße hinaus. Sobald sie sich in den Verkehr eingefädelt hatte, beschleunigte sie, blieb aber innerhalb der vorgeschriebenen Geschwindigkeitsbegrenzung.

»Können Sie nicht schneller fahren?« Mit weit aufgerissenen Augen blickte die Blonde hinten über das heruntergeklappte Verdeck hinaus.

»Nicht in der Stadt«, sagte Ronja. »Das Auto mag zwar schnell aussehen, aber es kann auch langsam fahren.«

»Wenn er uns einholt . . .«, murmelte die junge Frau, den Blick nun in ihren Schoß gesenkt.

»Wer?« Ronja warf einen kurzen Blick auf sie. Sehr nett, dachte sie. So was springt einem nicht jeden Tag in den Wagen.

»Mein Mann«, antwortete die junge Frau mit tränenunterdrückter Stimme. »Nein, nicht mein Mann, mein Verlobter. Gerade eben wollten wir heiraten.«

Ronja hob die Augenbrauen. »Und Sie sind weggelaufen?«

Die junge Frau nickte. »Er . . . Er . . . Es wäre nicht gutgegangen.«

»Das ist Ihnen erst vor dem Altar eingefallen?« Auf einmal musste Ronja lachen. »Ich dachte, so was passiert nur in Filmen.«

»Ich . . . Ich . . . Ich dachte . . . Aber es geht nicht.« Wieder senkte die junge Frau schamhaft den Kopf, und der weiße Schleier legte sich über ihre Wange.

»Und was wollen Sie jetzt machen?«, fragte Ronja. »Oder – da Sie schon einmal in meinem Auto sitzen – wo soll ich Sie hinfahren?«

»Ich weiß nicht.« Leicht runzelte sich die jugendlich glatte Stirn. »Nach Hause kann ich nicht zurück.« Sie hob ihre Hände. »Und ich habe auch gar kein Geld bei mir.«

Ronja schmunzelte über die kindliche Ratlosigkeit in dem hellen, fast schneeweiß geschminkten Gesicht. »Das sind allerdings keine guten Voraussetzungen. Haben Sie denn gar keine Familie, wo Sie hinkönnen? Freunde, Bekannte, Verwandte?«

»Nein.« Sie atmete tief durch. »Niemand, der ihm nicht gleich Bescheid sagen würde.«

»Das ist nicht gut.« Ronja begann zu überlegen.

»Sie sagen es«, bestätigte die junge Frau. »Ich . . . Ich . . . Vielleicht könnten Sie mich bei der Bahnhofsmission absetzen oder so was.«

»In dem Kleid?« Ronja lachte leicht. »Ich kann mir kaum vorstellen, was die sagen würden.«

»Aber . . . Aber . . .« Hilflose blaue Augen streiften Ronjas Profil. »Ich muss doch irgendwohin!«

Nachdenklich schaute Ronja sie an und atmete dann tief durch. »Nun ja, ich habe eine ziemlich große Wohnung.« Bist du verrückt? dachte sie sofort. Du weißt, dass du niemand in deiner Wohnung vertragen kannst. Aber nun hatte sie es bereits ausgesprochen. »Da könnten Sie sich erst einmal ausruhen«, schränkte sie ein.

Immerhin war es noch Vormittag, im Laufe des Tages konnte sich einiges ergeben. Vielleicht fand sie sogar eine Unterkunft für die junge Dame. Oder alles renkte sich wieder ein. Junge Leute bekamen ja schon manchmal kalte Füße, wenn es ernst wurde. Möglicherweise rief sie ihn gleich an, und dann stand er stammelnd und rotgesichtig vor der Tür, entschuldigte sich, flehte sie inständig an, ihn zu heiraten, und schon war alles wieder in Butter.

»Danke.« Ein scheues Lächeln überzog das nun etwas entspanntere Gesicht. »Haben Sie vielen Dank. Sie sind meine Lebensretterin.«

»Wollen wir mal nicht gleich übertreiben«, wehrte Ronja etwas schroff ab. »In Lebensgefahr waren Sie ja nun wirklich nicht.«

»Sie wissen ja nicht –« Vertraulich lehnte die Braut sich gegen sie. »Sie wissen ja nicht, wovor Sie mich bewahrt haben.«

Ronja versuchte, ihre Schulter etwas in die andere Richtung zu bewegen, weil ihr so viel Nähe unbehaglich war, zumal noch mit einer Fremden, aber das blonde Köpfchen schien wie mit ihrem Arm verschmolzen.

Glücklicherweise waren sie nun an Ronjas Wohnung angelangt. Schnell fuhr sie in die Tiefgarage und machte den Motor aus. »Wir sind da«, sagte sie hastig und nutzte die Gelegenheit, als ihre Begleiterin aufblickte, um aus der Fahrertür zu schlüpfen.

»Ich wusste nicht, dass diese alten Häuser auch Tiefgaragen haben«, bemerkte die verkrachte Hochzeiterin erstaunt, als Ronja ihr die Beifahrertür öffnete, damit sie aussteigen konnte.

Mit diesem Kleid war das gar nicht so einfach. Ronja reichte ihr die Hand, um ihr zu helfen. »Einige Hausbesitzer haben das gemacht«, sagte sie. »Auch wenn es eine Menge kostet.«

»Entschuldigen Sie, ich bin so einfach in Ihr Leben gesprungen.« Die junge Frau lachte. »Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich sollte mich vielleicht erst einmal vorstellen.« Sie streckte erneut die Hand aus, die Ronja gerade erst losgelassen hatte. »Ich heiße Marina.«

Obwohl Ronja froh war, endlich zu wissen, wie ihre unerwartete Begleiterin hieß, zögerte sie. Irgendwie ging ihr das alles viel zu schnell. »Ronja«, sagte sie endlich, nahm die Hand kurz und ließ sie dann sofort wieder los, als sie ein Kribbeln verspürte. Vorhin, als sie Marina die Hand beim Aussteigen gereicht hatte, war das nicht so gewesen, aber jetzt auf einmal . . .

»Ronja.« Es war, als ließe sich Marina den Namen auf der Zunge zergehen. »Sehr erfreut.«

Ronja lachte leicht. »Dem kann ich mich anschließen.« Immer noch lächelnd musterte sie Marina etwas genauer. »Bei so einem italienischen Namen habe ich mir bisher immer eine rassige schwarzhaarige Schönheit vorgestellt. Sie werfen meine ganzen Vorstellungen über den Haufen.«

»Ja, besonders rassig bin ich wohl nicht.« Marina schmunzelte, und kleine Grübchen bildeten sich auf ihren Wangen.

Ronja konnte gar nicht hinschauen. Schnell wandte sie sich zum Fahrstuhl. »Das habe ich nicht gesagt.«

»Aber gedacht«, erwiderte Marina. »Wie auch immer, der Name hat wohl nicht mehr viel mit Italien zu tun. In meiner Familie jedenfalls nicht. Niemand stammt von da.«

»Nun ja, so selten ist er ja auch nicht«, wiegelte Ronja ab. »Da gibt es sicher nicht nur blonde, sondern auch rothaarige, mausgraue oder kastanienbraune Marinas.«

»Mausgraue Marinas?« Marina runzelte die Stirn.

»Entschuldigung. Ich denke manchmal nicht nach, bevor ich etwas sage.« Möglicherweise war das Blond gar nicht echt, kam es Ronja in den Sinn. So genau hatte sie nicht darauf geachtet. Und nun war die junge Frau beleidigt, weil ihre Haarfarbe aus der Tube kam und sie ursprünglich tatsächlich mausgrau war.

»Ah, so sehen Sie gar nicht aus.« Marina lächelte sie im Fahrstuhl an, und Ronja wünschte sich, er wäre größer gewesen. Viel größer. »Sie denken bestimmt ganz viel. Daher die vielen Falten auf der Stirn.«

Es war, als wollte sie darüberstreichen, aber Ronja wich aus. »Das ist einfach nur das Alter. Wenn Sie mal so alt sind wie ich –« Sie lachte abwehrend.

»Sie sind doch nicht alt«, protestierte Marina sofort. »Wenn Sie ein Mann wären, hätten Sie bestimmt graue Schläfen. Das mag ich.«

»Ihr Mann . . .« Ronja räusperte sich. »Ihr Verlobter ist älter?«

»N-nein.« Marina zögerte, als ob sie gar nicht wüsste, wie alt ihr Verlobter war.

»So alt wie Sie?«, fragte Ronja.

»Ein bisschen älter«, sagte Marina, nun anscheinend sicherer. »Ein paar Jahre.«

»Also auch noch sehr jung.« Da Marina kleiner war als sie, lächelte Ronja fast etwas gönnerhaft auf sie hinunter.

»Sie waren doch auch mal jung.« Marina wirkte leicht eingeschnappt. »Alle tun immer so, als wäre Jugend eine Schande.«

Diesmal lachte Ronja laut auf. »Ganz bestimmt nicht! In dieser jugendverliebten Gesellschaft? Genießen Sie es, solange Sie noch so jung sind wie jetzt. Das geht schnell vorbei.«

»Ich hoffe, dann sehe ich immer noch so gut aus wie Sie.« Marina warf von unten herauf einen koketten Blick in Ronjas Gesicht.

Ronjas Mundwinkel zuckten belustigt. »Ich habe mich gut gehalten für mein Alter, meinen Sie?«

Die Fahrstuhltür öffnete sich, und Ronja trat hastig hinaus. Noch mehr von diesen schmeichelnden Blicken konnte sie kaum ertragen. Sie konnte sich nicht erinnern, dass junge Leute heutzutage so begeistert vom Alter waren. Marina musste da irgendwie aus der Art geschlagen sein.

Sie ging zur Wohnungstür und schloss auf.

»Gibt es keine anderen Wohnungen hier?«, fragte Marina erstaunt, während sie mit ihren Blicken nach weiteren Türen suchte.

»Nein.« Ronja öffnete die Tür und hielt sie für Marina auf. »Nur diese.«

»Die ganze Etage?« Marina wirkte schwer beeindruckt. Fast etwas verwirrt betrat sie die Wohnung.

»Es ist die oberste Etage«, sagte Ronja, schloss die Tür hinter ihr und wies mit der Hand auf eine Wendeltreppe, die aus dem unteren Teil der Wohnung nach oben führte. »Dort oben geht es noch weiter.«

Marina blieb überwältigt stehen. »Zwei Etagen?«

»Anderthalb.« Ronja lächelte abwesend. »Oben gibt es auch Schrägen.« Sie ging weiter ins Wohnzimmer. »Kann ich Ihnen irgendetwas anbieten? Was trinken Sie gern?«

»Oh, ich . . . Sie haben nicht zufällig einen Jogginganzug oder so etwas?« Mit beiden Händen strich Marina über ihr weitausladendes Kleid. »Darin kann ich kaum sitzen.«

»Aber Sie konnten springen.« Wieder lachte Ronja. Marina brachte so etwas jugendlich Frisches in ihre Welt, dass sie heute schon mehr gelacht hatte als im ganzen letzten Jahr. »Natürlich«, fuhr sie fort. »Warten Sie.«

Sie ging in den Flur und zog einen Jogginganzug aus dem Schrank, den sie Marina brachte. »Ich bin etwas breiter in den Hüften als Sie, aber bei einem Jogginganzug sollte das wohl nichts ausmachen.«

»Ich glaube, wir haben die gleiche Größe«, erwiderte Marina. »Der passt auf jeden Fall.« Sie warf einen Blick die Wendeltreppe hinauf. »Wo kann ich mich umziehen?«

»Wo Sie wollen«, sagte Ronja. »Hier im Badezimmer oder oben im Schlafzimmer.«

»Ich finde so eine Galerie wunderbar.« Marina legte den Kopf in den Nacken und schaute geradezu sehnsüchtig in die Höhe.

»Bitte«, bemerkte Ronja zuvorkommend. »Lassen Sie sich nicht abhalten.«

Obwohl das Kleid die ganze Wendeltreppe ausfüllte, ging Marina hinauf und gab dabei immer wieder kleine begeisterte Laute von sich.

Ronja schmunzelte. Sie lebte schon so lange in dieser Wohnung, dass sie nichts Besonderes mehr daran fand, aber am Anfang – Ihr Gesicht verschloss sich, und sie ging zur Bar hinüber, nahm zwei Gläser und schätzte die Reihe der Flaschen nach Brauchbarkeit ab.

Für etwas Hartes war es noch viel zu früh, aber einen Cocktail konnte man immer vertragen. Sie mixte etwas in einem Krug zusammen und füllte eines der Gläser halb, nahm es und ging zu der großen, altertümlichen Fenstertür, die auf den schmalen Balkon hinausführte.

Normalerweise betrat sie ihn nie, sie betrachtete ihn mehr als Dekoration. Diese alten Häuser waren zu der Zeit, als sie gebaut wurden, nicht mit Balkonen versehen worden, damit man darauf Grillfeste veranstaltete. Man fragte sich oft, warum sie überhaupt Balkone hatten.

»Das ist ja toll!« Marinas helle Stimme ließ Ronja herumfahren.

Marina stürzte an ihr vorbei, riss die Fenstertür auf und sprang auf den Balkon hinaus. Sie beugte sich begeistert über die Brüstung und schaute hinunter.

Wie in einem Reflex folgte Ronja ihr, weil ihr Herz vor Schreck für einen Schlag ausgesetzt hatte. Dieses Kind! So hoch war die Brüstung nicht, dass man nicht hinunterfallen konnte.

»Der Balkon ist nur zur Zierde da«, sagte sie, blieb hinter Marina stehen und fragte sich, wie irgendein Mensch es fertigbrachte, in einem Jogginganzug so gut auszusehen. Sie schluckte. »Gehen wir wieder hinein? Ich habe Cocktails gemixt.«

Marina wandte sich mit strahlenden Augen kurz zu ihr zurück, dann beugte sie sich fast noch weiter über die Brüstung. »Das ist unglaublich, was man von hier sehen kann!«

»Nicht.« Ronja trat schnell einen Schritt vor. »Kommen Sie wieder rein. Bitte.«

»Haben Sie Angst?« Marina lachte, drehte sich um, stützte sich rückwärts auf der flachen Deckplatte des Geländers ab, dass sich ihre kleinen, festen Brüste deutlich unter dem Joggingoberteil abzeichneten, und hüpfte mit einem mühelosen Satz auf die Balustrade. Etwas mit den Beinen schlenkernd saß sie wie Pippi Langstrumpf darauf.

»Könnten Sie bitte da runterkommen?«, bat Ronja mühsam. Ihre Stimme klang gepresst.

Auf einmal wurde Marina ernst. »Sie haben wirklich Angst«, stellte sie fest. »Sind Sie nicht schwindelfrei?«

»Es geht«, sagte Ronja. »Aber solche akrobatischen Kunststücke würde ich in dieser Höhe nicht veranstalten.«

»Na gut.« Lachend sprang Marina auf den Balkon zurück. »Ich will ja nicht, dass Sie einen Herzinfarkt bekommen.« Sie lief an Ronja vorbei wieder in die Wohnung hinein. »Wie war das jetzt mit den Cocktails?«

Erleichtert folgte Ronja ihr, ging zur Bar und füllte das zweite Glas mit der Mischung aus dem Krug. »Hier, bitte.« Sie streckte den Arm aus, um Marina den Cocktail zu reichen.

»Mhm, sehr gut«, urteilte Marina, nachdem sie probiert hatte. »Sie wissen wirklich, wie man so etwas zusammenmischt.«

»Nichts Besonderes.« Ronja lächelte leicht. »Es gibt Schwierigeres.«

»Ich habe es noch nie versucht.« Marina begab sich lässig zu Ronjas Couch und ließ sich darauf nieder, zog die Beine unter sich und schaute Ronja an. »Aber ich denke, man kann da auch viel falschmachen.«

»Dann muss man das Ergebnis ja nicht trinken«, sagte Ronja, folgte ihr und setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel. »Man schüttet es einfach weg.«

»Och, all die guten Sachen . . .?« Marina sah richtig betrübt aus.

Ihr Gesichtsausdruck veranlasste Ronja fast dazu zu lachen. »Sie sind ein sehr sparsamer Mensch, scheint mir.«

»Na ja . . .« Marina schaute sich um. »So etwas wie das hier könnte ich mir nicht leisten.«

»Wenn Sie so alt sind wie ich, können Sie es vielleicht«, antwortete Ronja lächelnd.

»Jetzt reiten Sie schon wieder auf Ihrem Alter herum.« Marina protestierte energisch. »Wie alt sind Sie denn, dass Sie sich wie Methusalem fühlen?« Fragend öffnete sie die Augen.

»Ja, ich gebe zu, neunhundert Jahre sind es noch nicht«, erwiderte Ronja schmunzelnd, »aber wenn ich Sie so anschaue, merke ich doch, wie groß der Unterschied ist.«

»Ist alles relativ«, behauptete Marina. »Ich komme mir manchmal uralt vor. Und ich finde, Sie wirken ziemlich jung.«

»Oh danke.« Ronja verneigte sich leicht spöttisch lächelnd. »Das ist sehr nett von Ihnen.«

»Können wir nicht Du sagen?« Marina hob auffordernd ihr Glas. »Wir könnten darauf anstoßen.« Glockenhell lachte sie auf. »Ich kenne kaum Leute, die ich sieze, das ist ganz ungewohnt für mich.«

»Kann ich mir vorstellen«, sagte Ronja. »Wenn Sie wollen . . . Ich habe nichts dagegen.« Sie lächelte freundlich. »Unsere Vornamen kennen wir ja schon.«

»Ja, aber so über den Tisch hinweg geht das nicht«, behauptete Marina, sprang mit entschlossener Miene von der Couch auf und kam zu Ronja herüber. »Da gehört ja auch noch ein Kuss dazu.« Sie beugte sich über Ronja und schaute ihr tief in die Augen.

Ronja spürte, wie Panik sie ergriff. Sie wäre am liebsten geflohen. Diese junge Frau kam ihr zu nah. Viel zu nah.

»Nun komm schon«, sagte Marina, stieß mit ihr an, und ihre Lippen näherten sich Ronjas unaufhaltsam.

Ronjas Rücken wurde steif. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, und wenn sie es gewusst hätte, wäre sie zu sehr zur Salzsäule erstarrt gewesen, um handeln zu können.

So trafen Marinas Lippen auf ihre – und nicht nur ihre Lippen. Marina war offenbar darauf aus, keinen harmlosen Schwesternschaftskuss auszutauschen, sondern einen richtigen.

Ronja presste ihre Lippen zusammen, als sie Marinas Zungenspitze spürte, und Marina zog sich sofort zurück.

»Oh, entschuldige«, sagte sie. »Da bin ich wohl zu weit gegangen.« Ihre wunderschönen blauen, fast fliederfarbenen Augen – noch nie hatte Ronja so eine Farbe gesehen – nahmen Ronjas Bild beinah zärtlich in sich auf. »Ich mag dich nämlich, weißt du?«

»Wolltest du nicht vor gut einer Stunde noch einen Mann heiraten?« Ronja fühlte, dass ihre Stimme etwas krächzend klang.

»Ach, ich bin da nicht so festgelegt. Ich mag alle Menschen – irgendwie«, meinte Marina wegwerfend. »Kommt nicht drauf an, ob Mann oder Frau.«

»Ah, bi.« Ronjas Mundwinkel verzogen sich etwas nach unten.

»Nicht dein Ding?«, fragte Marina.

»Nein.« Ronja schüttelte den Kopf.

»Aber du magst Frauen.« Das war keine Frage, das war eine Feststellung.

Ronja hob die Augenbrauen. »Ich glaube nicht, dass dich das irgendetwas angeht.«

»Du brauchst gar nichts zu sagen.« Marina schmunzelte leicht. »Ich habe es gespürt. Du magst Frauen.«

»Es wäre mir ganz lieb«, erwiderte Ronja und stand auf, »wenn du jetzt irgendjemanden anrufen würdest, der dich hier abholen kann. Ich . . . Ich war gerade dabei, aufs Land zu fahren.«

»Und diese coole Wohnung hier ganz leer und allein zurückzulassen?« Marina ließ ihren Blick schweifen.

»Nein«, sagte Ronja und schüttelte ziemlich heftig den Kopf. »Du kannst nicht hierbleiben. Wenn ich fahre, informiere ich den Sicherheitsdienst, dass ich nicht da bin und dass niemand in der Wohnung sein darf.«

Ein feines Lächeln schlich sich auf Marinas Lippen. »Dann nimm mich doch einfach mit.«

Mit vor Überraschung weit geöffneten Augen starrte Ronja sie an. »Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein!«

»Warum nicht?« Marina schien völlig entspannt. Sie lächelte erneut und legte leicht den Kopf schief. »Wo sollte ich denn sonst hin?«

Das ist dein Problem, hätte Ronja am liebsten gesagt, aber das konnte sie nicht. Jemanden einfach so im Stich zu lassen lag nicht in ihrer Natur, selbst wenn es gegen ihre eigenen Interessen verstieß. »Hast du denn wirklich«, sie räusperte sich, »niemanden?«

Marina zuckte die Schultern. »Sagte ich doch schon. Sobald ich irgendwo auftauche, wo man mich kennt . . .« Sie ließ den Rest offen.

Also konnte Ronja sich jetzt im Geist ausmalen, was dann passieren würde, auch wenn sie nicht genau wusste, worum es ging. »Er wird sich schon wieder beruhigen«, behauptete sie etwas lahm.

»Dann können ein paar Tage auf dem Land«, Marinas Lächeln hatte einen so berauschenden Effekt auf Ronja, dass sie wegschauen musste, »ja nicht schaden.«

Innerlich atmete Ronja tief durch, obwohl sie es sich äußerlich nicht erlaubte. »Ein paar Tage«, erwiderte sie, »aber nicht mehr.« Sie musterte Marina prüfend. »Du hast doch sicherlich auch noch etwas anderes hier in der Stadt zu tun als . . .«, ihre Mundwinkel zuckten, »zu heiraten. Oder auch nicht. Musst du nicht arbeiten?«

»Oh, erst einmal habe ich Urlaub.« Marina lachte leicht. »Flitterwochen, du verstehst? Das war ja schließlich«, sie seufzte entsagungsvoll, »eingeplant.«

Ronja ergriff den Strohhalm sofort. »Da ist doch bestimmt schon alles gebucht. Könntest du da nicht –?«

Mit einer hilflosen Geste öffnete Marina ihre Arme. »Ich habe weder Geld noch die Tickets. Hat alles er.« Sie hob die Augenbrauen. »Ich kann ihn ja wohl kaum danach fragen.«

Ronja kam sich ziemlich in die Ecke gedrängt vor. Diese junge Frau hatte auf alles eine Antwort, die Ronja nur einen Ausweg ließ. »Na gut«, sagte sie. »Fahren wir aufs Land.«

2

»Frau Baronin! Das ist ja eine Überraschung. Wir hatten Sie erst am Wochenende erwartet.« Ein ehrwürdiger alter Diener in einer klassischen Livree begrüßte Ronja etwas konfus, als sie vor dem alten Gutshaus hielten. »Wenn Sie Bescheid gesagt hätten, hätten wir etwas vorbereitet.«

»Danke, Johann, ich brauche nichts«, entgegnete Ronja freundlich. »Aber diese junge Dame hier«, sie wies auf Marina, während sie ihre ledernen Autohandschuhe abstreifte, »benötigt ein Zimmer. Für ein paar Tage«, fügte sie fast etwas warnend hinzu.

»Aber natürlich.« Johann nickte ernsthaft. »Ich werde Annie gleich anweisen, dass sie es herrichtet.«

»Da haben wir uns auf der ganzen Fahrt unterhalten, und davon hast du mir gar nichts erzählt?« Marina lachte, als sie ausstieg und ihr Hochzeitskleid zusammenraffte.

Ronja hatte darauf bestanden, dass sie es mitnahm. Sie wollte nicht, dass Marina einen Grund hatte, in ihre Wohnung zurückzukehren, um es zu holen.

Statt des Jogginganzugs trug Marina nun eine Jeans und ein T-Shirt von Ronja. »Frau Baronin?«

»Das hat keine Bedeutung.« Ronja winkte ab. »Ich trage den Titel nicht. Aber Johann besteht darauf, mich so zu nennen. Ich kann es ihm nicht abgewöhnen.«

»Und das ist dein Gut hier?«, wunderte Marina sich weiter. Sie schaute sich überwältigt um. »Wie groß ist das?«

»Die Größe hat ebenfalls keine Bedeutung«, erwiderte Ronja schon etwas genervt. »Es ist unser Familiensitz. Meine Großmutter lebt noch hier, sonst hätte ich es längst verkauft.«

»Verkauft?« Marina sah sie staunend an. »So etwas Schönes?«

»Ja«, erwiderte Ronja knapp und ging mit schnellen Schritten auf die große Eingangstür zu. »Es ist heutzutage nicht mehr rentabel.«

Marina folgte ihr mit dem bauschigen Kleid in den Armen. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte sie. »Ich meine, dass so etwas einer einzigen Familie gehört.«

»Alter Adel hat eine Menge Nachteile«, erklärte Ronja mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Johann kehrte zurück und blieb ruckartig stehen, als er das Kleid in Marinas Armen sah. »Aber . . .« Seine Gesichtszüge erhellten sich, als ginge gerade die Sonne auf. »Frau Baronin . . .« Er strahlte Ronja an. »Warum haben Sie nichts davon gesagt? Dann hätten wir doch ein Fest ausgerichtet.« Er ging schnell auf Marina zu und nahm ihr das Kleid ab. »Gnädige Frau.« Tief verbeugte er sich vor ihr. »Herzlich willkommen auf Schöneichen.«

Ronja war so verblüfft, dass sie nicht sofort reagieren konnte. »Es ist nicht –«, setzte sie an, aber Johann konzentrierte sich nun nur noch auf Marina.

»Dann brauchen wir ja kein separates Zimmer«, sagte er, und es schien fast, als ob er zwinkerte. »Wir machen das große Herrschaftszimmer fertig.« Marina wirkte auch überrascht, aber Johann gab ihr gar keine Gelegenheit dazu, etwas zu erwidern. »Kommen Sie, gnädige Frau«, fuhr er fort. »Ich zeige es Ihnen. Damit Sie sich ein wenig frischmachen können.«

Fast, als wäre sie in Trance, folgte Marina ihm die große, mit wertvollen Schnitzereien verzierte Holztreppe in die nächste Etage hinauf, und Ronja blieb völlig entgeistert zurück.

Als wollte sie einen bösen Traum loswerden, schüttelte sie heftig den Kopf. »Na, den Irrtum müssen wir aber sofort aufklären.« Sie atmete tief durch und hob entschlossen die Augenbrauen zu einem fast angriffslustigen Blick.

Dann schritt sie ebenfalls die Treppe hinauf und begab sich den Gang hinunter zu ihrem eigenen Zimmer. Dort legte sie die Stadtkleidung ab und zog sich ein paar dem Landleben gewachsene Schuhe an ebenso wie eine rustikale Hose und Bluse. So fühlte sie sich weitaus besser. Sie hatte heute einen Termin mit ihrem Bankier gehabt und war deshalb recht geschäftsmäßig gekleidet gewesen, was sie ziemlich hasste.

Als sie ihr Zimmer wieder verließ, kam ihr Johann schon sehr aufgeregt entgegen. »Sie sollen bitte sofort zur Frau Baronin kommen, Frau Baronin.«

Manchmal musste Ronja darüber schmunzeln, dass Johann sowohl ihre Großmutter als auch sie Frau Baronin nannte und man deshalb hin und wieder nicht genau wusste, wer gemeint war. Heute war ihr jedoch nicht nach Schmunzeln zumute. »Geht es ihr nicht gut?«, fragte sie besorgt.

Johann verzog schuldbewusst die vielen Runzeln in seinem verhutzelten Gesicht. »Sie hat sich leider sehr über die Neuigkeit aufgeregt. Glücklicherweise ist der Arzt gerade da und hat ihr gleich ein Beruhigungsmittel gegeben.«

»Sie haben doch nicht etwa –?« Ronja schaute ihn missbilligend an. »Das war ein bisschen überstürzt.«

»Ich weiß, Frau Baronin.« Johann sah ziemlich unglücklich aus. »Aber wir haben uns alle so gefreut, und die Frau Baronin hat gefragt, was der Grund der Freude ist. Da musste ich es ihr doch sagen.«

»Wirklich, Johann . . .« Ronja schüttelte tadelnd den Kopf. »Hätten Sie mich doch vorher gefragt.«

Johann schaute sie nur an, und allein dieser Ausdruck in seinem Gesicht, das ihr seit Kindertagen vertraut war, besänftigte Ronja.

Sie lächelte. »Ist schon gut«, sagte sie und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. »Dann werde ich jetzt mal zu Großmutter gehen.« Und ihr sagen, dass es nicht stimmt, fügte sie in Gedanken hinzu. Das würde ihre Großmutter nicht freuen. Aber sie konnte sie ja schließlich nicht in dem Glauben lassen, dass Marina –

Fast hätte Ronja ungläubig aufgelacht. Wie konnte überhaupt irgendjemand glauben, dass sie und Marina . . .? Manchmal zimmerten die Leute sich ihre eigene Welt zurecht, und sie wollten nichts anderes hören. Das war einfach nur ärgerlich. Nun musste sie das alles erst einmal wieder geradebiegen.

Als sie in den Räumen ihrer Großmutter ankam, hielt sie direkt hinter der Tür der Arzt auf, den Ronja schon seit vielen Jahren kannte und der das Vertrauen ihrer Großmutter besaß, das nicht einfach zu erringen war. Von einem anderen Arzt ließ sie sich nicht behandeln.

»Sie hätten es ihr ruhig ein bisschen schonender beibringen können«, begrüßte er Ronja mit einem strafenden Blick. »Sie wissen doch, dass Ihre Großmutter ein schwaches Herz hat. Sie hat sich so gefreut, dass es beinah stehengeblieben wäre. Gut, dass ich gerade da war.«

»Johann hätte das nicht sagen sollen«, erwiderte Ronja leise mit einem Blick auf das Bett, auf dem ihre Großmutter lag und offensichtlich schlummerte. »Es stimmt nämlich gar nicht. Marina ist nicht . . . Ich meine . . . Wir sind nicht verheiratet. Ich habe sie heute erst kennengelernt, und es hat sich zufällig so ergeben, dass sie mitgekommen ist. Aber sie wird in Kürze das Gut wieder verlassen, und wahrscheinlich werden wir sie nie mehr wiedersehen.«

»Ach du je.« Dr. Werding riss entsetzt die Augen auf. »Das dürfen Sie Ihrer Großmutter auf keinen Fall sagen!«

Ronjas Stirn runzelte sich verärgert. »Wieso nicht? Ich kann doch nicht –«

»Hören Sie . . .« Er legte ihr eine Hand auf den Arm. »Wenn Sie das tun und das Herz Ihrer Großmutter noch einmal einer solchen Belastung ausgesetzt wird, dann könnte es wirklich stehenbleiben. Es war schon beim ersten Mal heute knapp, das sagte ich doch schon. Ich kann das nicht erlauben. Das Risiko ist zu groß.«

»Aber . . .« Ronja schaute zu der schlafenden Gestalt ihrer Großmutter in der Art von voluminösem Kleid, das sie gern trug, hinüber. »Es stimmt nicht«, flüsterte sie dem Arzt zu. »Es wäre eine Lüge!«

»Dann ist es eben eine.« Er zuckte die Schultern. »So schlimm ist das nicht. Johann sagte, die junge Frau wäre sehr nett. Also . . .«

»Also bereitet er das Herrschaftszimmer für uns vor«, wisperte Ronja. »Das geht nicht. Wir kennen uns überhaupt nicht!«

Er hob die Augenbrauen. »Es gibt wirklich Schlimmeres, als mit einer hübschen jungen Frau im selben Zimmer zu übernachten.«

»Haben Sie eine Ahnung!«, zischte Ronja unterdrückt. »Das geht auf keinen Fall!«

»Tun Sie, was Sie wollen«, erwiderte er mit wütend blitzenden Augen. »Aber wenn etwas passiert, haben Sie die Verantwortung. Ich habe Sie gewarnt.«

»Ronja . . .« Leise meldete sich ihre Großmutter vom Bett. »Da bist du ja, mein Schatz.« Sie versuchte, sich aufzurichten.

»Nicht, Großmutter.« Ronja ging schnell zu ihr hinüber. »Bleib liegen. Dr. Werding sagt, dass du dich nicht anstrengen darfst.«

»Ach, warum bin ich nur so eine schwache alte Frau?«, schimpfte ihre Großmutter ärgerlich. »Dabei war es eine so große Freude für mich.« Sie lächelte ihre Enkelin glücklich an. »Endlich hast du wieder jemanden gefunden. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben.«

»Großmutter . . .« Ronja verzog das Gesicht.

»Aber du hättest wirklich etwas sagen können«, fuhr ihre Großmutter tadelnd fort. »Ich weiß, ihr jungen Leute seid heutzutage nicht mehr so förmlich, aber in unserer Familie war es immer üblich, eine Hochzeit anders zu feiern. Nicht in der Stadt, sondern hier bei uns auf dem Gut, mit allen Nachbarn und Leuten. Die werden sehr enttäuscht sein, wenn wir das nicht nachholen.«

Innerlich stöhnte Ronja auf. »Das hat doch Zeit, Großmutter«, erwiderte sie, während sie sich mühsam zur Ruhe zwang. »Erhol dich erst einmal. Dann können wir darüber reden.« Sie warf einen Blick zu Dr. Werding hinüber, und er nickte ihr wohlwollend und auch ein wenig dankbar zu. »Ruh dich aus«, lächelte sie ihre Großmutter an. »Mach dir jetzt keine Gedanken mehr.«

»Ich möchte mir gern so viele Gedanken machen.« Ihre Großmutter lächelte zurück. »Und deine Braut so bald wie möglich kennenlernen. Heute beim Abendessen bin ich bestimmt wieder erholt genug. Dann kannst du sie mir vorstellen.«

Ronja fing einen warnenden Blick von Dr. Werding auf. »Ja«, nickte sie schicksalsergeben. »Beim Abendessen.«

»Dann lass mich jetzt noch ein bisschen ruhen, Kind.« Die Augenlider ihrer Großmutter wurden schwer. »Bis heute Abend.« Ihre Stimme versickerte, und ihre Atemzüge zeigten an, dass sie erneut eingeschlummert war.

»Das haben Sie gut gemacht«, lobte Dr. Werding, als Ronja zur Tür ging und das Zimmer verlassen wollte. »Es wäre jetzt wirklich zu viel für sie gewesen. Sie werden sehen, so ist es das Beste.«

»Davon«, Ronja verzog schief einen Mundwinkel, »bin ich nicht so überzeugt.«

»Steht dir gut«, begrüßte Marina sie lächelnd, als Ronja das sogenannte Herrschaftszimmer betrat, einen riesigen Raum mit hoher Decke, der das Schlafzimmer ihrer Eltern gewesen war und den sie seit Jahren nicht mehr benutzt hatten. Sie musterte Ronja von oben bis unten. »Du siehst wie die geborene Gutsherrin aus.«

Ronja war direkt hinter der Tür stehengeblieben und starrte sie nun an, als sähe sie ein Mondkalb.

»Entschuldige.« Marina verzog das Gesicht. »Johann hat mir das rausgelegt. Er meinte, es würde passen. Und das tut es auch.«

Ronja schluckte. »Das Kleid gehört meiner Mutter.«

»Sie wohnt normalerweise in diesem Zimmer?«, fragte Marina verwirrt.

»Sie ist . . .«, Ronja zögerte, »nicht mehr hier.«

»Ich ziehe es sofort aus«, bot Marina an. »Wenn du nicht willst, dass ich es trage.«

Einige Sekunden lang blieb Ronja stumm, dann rang sie sich zu einer Antwort durch. »Nein, behalt es ruhig an. Meine Großmutter möchte, dass wir mit ihr zusammen zu Abend essen, und da kannst du nicht in Jeans und T-Shirt am Tisch sitzen. Das mag sie gar nicht.«

»Sonst habe ich nur mein Hochzeitskleid.« Marina lachte verlegen. »Tut mir furchtbar leid, dass ich mich nicht besser auf meine Flucht vorbereitet habe.«

»Das konntest du ja nicht wissen«, erwiderte Ronja versöhnlich. Sie lächelte. »Das Kleid steht dir übrigens besser als meiner Mutter.«

»Danke.« Marina sah fast etwas erstaunt aus. »Es ist so Retrostil. Ich mag das.«

»Als meine Mutter es kaufte, war es nicht retro. Damals war das modern«, bemerkte Ronja schmunzelnd.

Marina lachte. »Natürlich. Ist alles etwas ungewohnt für mich.«

»Für mich auch.« Ronja seufzte. »Was das Abendessen betrifft . . .« Sie atmete tief durch und räusperte sich. »Meine Großmutter denkt, wir sind verheiratet.«

»Was?« Nun starrte Marina sie genauso an wie Ronja sie, als sie hereingekommen war.

»Tja.« Resigniert zuckte Ronja die Schultern. »Johann hat es ihr brühwarm erzählt. Er dachte offenbar, das wäre die Wahrheit. Und sie hat fast einen Herzanfall bekommen. Sie hat ein sehr schwaches Herz, und eigentlich muss man alle Aufregung von ihr fernhalten.«

»Oh, das tut mir leid«, entschuldigte Marina sich hastig. Ihr Gesichtsausdruck wirkte so betroffen, als ob sie selbst gerade eine Nachricht erhalten hätte, die eine ihrer Verwandten betraf. »Das habe ich nicht gewollt. Er war so«, sie lachte überrumpelt, »davon überzeugt, dass ich gar nichts sagen konnte. Ich dachte, wir erklären das später.«

»Das dachte ich auch.« Ronja atmete erneut tief durch. »Aber das geht im Moment nicht. Meine Großmutter . . .«, sie verzog besorgt das Gesicht, »würde das wahrscheinlich nicht überleben. Ich wollte es ihr vorhin schon sagen, aber der Arzt war bei ihr, und er meinte, er übernimmt keinerlei Verantwortung für eine weitere Aufregung dieser Art. Die Freude hat sie glücklicherweise nicht umgebracht, aber die Enttäuschung, dass es nicht so ist, wie sie jetzt denkt, würde es vielleicht tun.«

»Ach du liebe Güte.« Marina starrte sie entgeistert an. »Das . . . Das ist allerdings . . .«

»Ja.« Ronja ließ sich auf einen zierlichen Sessel sinken. »Das ist allerdings. Wir müssen diese Komödie wohl weiterspielen, solange wir hier sind. Ich werde unseren Aufenthalt so kurz wie möglich halten. Aber ein paar Tage habe ich versprochen.« Sie legte ihre Stirn in bekümmerte Dackelfalten.

»Na, das wird schon gehen«, bemerkte Marina entschlossen und kam zu ihr herüber. »Oder?«

Ronja blickte zu ihr hoch. »Es muss. Meine Großmutter ist alles, was ich noch habe, und ich möchte sie nicht vorzeitig ins Grab bringen.«

»Ich auch nicht. Auch wenn ich sie noch nicht einmal kenne.« Marina lächelte sie an. »Aber wenn sie deine Großmutter ist, ist sie bestimmt genauso nett wie du.«

Marinas Lächeln hätte Ronja vielleicht umgeworfen, wenn sie nicht schon gesessen hätte. Es war unglaublich, was dieses Lächeln in ihr auslöste. Dinge, von denen sie nichts wissen wollte.

Sie stand etwas abrupt auf. »Ich gehe nach draußen. Frische Luft schnappen. Immer wenn ich aus der Stadt komme, habe ich das Bedürfnis nach einem langen Spaziergang, um all diesen Smog loszuwerden und wieder richtig durchatmen zu können.«

»Ich hätte nichts gegen einen Spaziergang«, sagte Marina. Sie musterte Ronja fragend. »Oder willst du lieber allein sein?« Als Ronja nicht antwortete, fuhr sie nach einer kurzen Weile fort: »Schon gut. Ich sehe schon. Dann lass dich nicht aufhalten.«