Hollywoods Kriege - Elisabeth Bronfen - E-Book

Hollywoods Kriege E-Book

Elisabeth Bronfen

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Beschreibung

Über die Darstellung von Krieg im Hollywood-Film Amerikas traumatische Kriegsgeschichte wird am ehesten verständlich, wenn man sie durch die Linse von Filmen erfasst. In den Erzählungen von Schlachten und Feldzügen, von Frontereignissen und dem Schicksal Daheimgebliebener kann Krieg für uns erfahrbar gemacht werden. In ihrer brillanten Analyse zentraler Klassiker von ›All quiet on Western Front‹ bis zu den aktuellen Produktion wie ›Flags of our Fathers‹ gelingt es Elisabeth Bronfen, Hollywood als zentralen Ort zu dechiffrieren, an dem die großen nationalen Erzählungen in Umlauf gebracht werden, damit das Publikum sich auf Phantasien, Ideologien und Ängste einlassen kann – und die flexibel genug sind, sich dem wechselnden politischen Klima anzupassen.

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Elisabeth Bronfen

Hollywoods Kriege

Aus dem Amerikanischen von Regina Brückner

FISCHER E-Books

Inhalt

Für Isabel Capeloa Gil [...]Einleitung1. Das offene Kapitel vom amerikanischen BürgerkriegDie gewaltsame Geburt einer NationRückkehr zum Bürgerkrieg auf der LeinwandDie Rekonfiguration des Bürgerkrieges im Schatten von VietnamDen Bürgerkrieg am Vorabend des 21. Jahrhunderts neu denken2. Die Heimat und deren UnbehagenHeimatfronten: Der häusliche KriegsschauplatzDas Zuhause im KriegHeimische KriegslagerZurück zu Hause3. KriegsentertainmentTruppen im SwingBusby Berkeleys ShowtruppenSoldaten in TheaterschminkeDie Reinszenierung des Entertainments an der FrontÄrger in der Camp Show4. Die Choreographie der SchlachtEin nachträgliches BetrachtenPathosformeln der SchlachtDer D-Day auf der LeinwandDas Recycling der Pathosformeln des D-Day5. Den Krieg berichtenBezeugen heißt BeweisenDer Regisseur als KorrespondentG. I. Joe als KorrespondentDas Erzählen als Beweisführung6. KriegsgerichtsdramenDer Krieg im Gericht: Verhandlungen der GewaltKriegsgericht als VerschleierungVerurteilung als ethische AnklageDie Politik des Gerichtsverfahrens7. Die fortwährende Heimsuchung durch den KriegDas Melodrama der HeimkehrDie Reinszenierung des Krieges in der Heimat im Film NoirRückkehr zum Ort des KriegesDas Weitergeben von KriegsgeschichtenSchlussEin autobiographisches Präludium als EpilogListe der erwähnten Filme nach Kapiteln1. Das offene Kapitel vom amerikanischen Bürgerkrieg2. Die Heimat und deren Unbehagen3. Kriegsentertainment4. Die Choreographie der Schlacht5. Den Krieg berichten6. Kriegsgerichtsdramen7. Die fortwährende Heimsuchung durch den KriegSchluss

Für Isabel Capeloa Gil und Daniela Janser

Einleitung

Die letzte Sequenz von Lewis Milestones All Quiet on the Western Front (Im Westen nichts Neues, 1930) findet ein besonders eindrückliches Bild vom Gespenst des Krieges, das umgeht und uns heimsucht. Nahtlos bewegen wir uns von einer Nahaufnahme der Hand des Protagonisten Paul Baumer, der soeben von einem feindlichen Scharfschützen tödlich getroffen wurde, zu einer ergreifenden Überblendung. Auf der Leinwand kann der Tod rückgängig gemacht werden, die jungen Männer, die in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges starben, können wiederauferstehen. Noch einmal sehen wir Paul und seine Kameraden in die Schlacht marschieren. In einer Montage werden ihre Körper über die Kreuze eines riesigen Friedhofes gelegt, wodurch sie visuell mit den Insignien verschmelzen, die ihre eigene Grabstätte kennzeichnen. Die Zukunft, auf die sie sich zubewegen, ist von unserem Wissen über den Untergang überschattet, der sie erwartet, dem historischen Massensterben in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges, aus dem der Film seine Autorität bezieht. Die jungen Männer auf der Leinwand sind Wiedergänger, Schauspieler, die untote Soldaten spielen, die nicht in ihren Gräbern ruhen wollen. Der Zauber dieser Wiederbelebung ist ein düsterer. Diese letzte Bildsequenz blendet über in Dunkelheit, während das Platoon noch weitermarschiert und stetigen Schrittes seine eigenen Gräber durchquert. Sie sind ins Leben zurückgekehrt, um für immer in den Kampf zu marschieren. Doch sie haben auch eine Botschaft an die Überlebenden. Als sich Paul an der Kamera vorbeibewegt, dreht er sich, schaut über seine Schulter und fixiert uns mit seinem Blick. Sieben seiner Kameraden tun es ihm gleich.

Die visuelle Dopplung, die die Montage herstellt und den Soldaten eine geisterhafte Präsenz verleiht, von denen wir wissen, dass ihre Körper unter den Kreuzen, über die sie marschieren, begraben liegen, ist jedoch noch komplizierter. Diese letzte Bildsequenz verdoppelt eine frühere Szene. Die erste nächtliche Begegnung des Platoons mit feindlichem Beschuss wurde mit exakt der gleichen Einstellung von Paul und seinen Freunden eingeführt, vorwärtsmarschierend und über ihre Schultern zurückblickend. Beim ersten Mal wurde der Blick jedoch gegen eine Einstellung des Lastwagens geschnitten, der sie in diesen Teil des Niemandslandes gebracht hatte und dann zurück zum Feldlager fahren soll. Schon hier war der Blick der Soldaten zutiefst ambivalent und deutete eine ungewisse Vorausahnung des bevorstehenden Kampfes an, eine Sehnsucht danach, mit dem Lastwagen zurückzufahren anstatt sich vorwärtszubewegen, ja sogar ein Gefühl, allein der Gefahr überlassen zu sein, nachdem man sie an der dunkler werdenden Front zurücklässt und die einzige noch bleibende Sicherheit die Befehle des kriegserfahrenen Truppenführers sind. Wenn diese Einstellung am Ende von AllQuiet on the Western Front wiederholt wird, hat sich die Bedeutung ihres Blickes verändert. Wir sehen nur die wiederauferstandenen Toten, die zurückblicken. Da uns der Gegenschuss verweigert wird, der uns zeigen würde, was die Soldaten sehen, wird deutlich, dass ihr Blick ganz explizit uns gilt.

Die Texttafel am Anfang des Filmes verlautbart: »Diese Geschichte ist weder eine Anklage noch ein Schuldbekenntnis, und am wenigsten ist sie ein Abenteuer, denn der Tod ist kein Abenteuer für diejenigen, die ihm ins Auge blicken.« Der wieder zum Leben erweckte Paul und seine Kameraden mögen uns vielleicht nicht anklagen, aber ihr Überleben als gespenstische Körper auf der Leinwand appelliert an uns, auf sie zurückzuschauen. Wir sehen uns hier mit einem eigenartigen Zusammenfallen von Zeit und Raum konfrontiert, einem Verschwimmen von Referenz und Bildoberfläche. Mit diesen Männern, die für immer in den Kampf ziehen, verschmelzen Antizipation des Todes und die Wiederauferstehung von den Toten. Das Vorher und Nachher der Schlacht sind in einer Einstellung eingefangen, während jeglicher tatsächliche Horror ausgelassen und lediglich als Fluchtpunkt aller kinematographischer Repräsentationen von Krieg evoziert wird. Die Montage hält die Soldaten in der Schwebe zwischen Leben und Tod. Sie sind weder völlig verschwunden noch vollständig zurückgekehrt. Aber mit ihrem Blick ergreifen sie von uns Besitz, rufen uns an, eine Kriegserfahrung anzuerkennen, die wir nur mittels Stellvertreter teilen können, in der Dunkelheit des Kinos. Milestones Schluss enthält keine Erlösung von ihrer Geschichte. Er verweilt stattdessen bei ihrer Forderung, man möge von ihnen Notiz nehmen, bei dem Anspruch, den sie auf unsere Aufmerksamkeit und unser Mitgefühl erheben.

Ich beginne meine Einleitung mit diesem Moment aus einem klassischen Kriegsfilm, weil er das auf den Punkt bringt, worum es in meinem eigenen Vorhaben geht. Mein gesamtes Buch dreht sich genau um diesen gespenstischen Blick. Ich behaupte, dass das Kino als ein privilegierter Ort der Erinnerung fungiert, an dem die amerikanische Kultur kontinuierlich die traumatischen Spuren ihrer historischen Vergangenheit wiederverhandelt und dabei zeitgenössische soziale und politische Fragen im Lichte vergangener militärischer Konflikte neu zu fassen versucht. Als geteilter Denkraum hält das Kino eine Reflektion der und über die Vergangenheit aufrecht. Tatsächlich ist im Laufe des 20. Jahrhunderts Hollywood zu dem Ort geworden, an dem die amerikanische Kultur über ihre Verstrickung in die traumatische Geschichte des Krieges nachdenkt, indem es personalisierte Narrative von Übergangsriten bietet, die die sich immerfort verschiebenden Anteile an diesem kollektiven Gespräch über nationale Identität wiedergeben und reflektieren. Meine Untersuchung der vielfältigen und merkwürdigen Verbindung Hollywoods mit militärischen Konflikten zielt wiederum darauf, die Anziehungskraft zu erklären, die diese Re-imagination des Krieges auf der Leinwand stets hatte; die Ansprüche, die diese Rückkehr zum Krieg und des Krieges immer noch an uns stellt, uns nicht anklagt oder über uns urteilt, sondern fasziniert, auch wenn sie dabei einen dringenden Appell an uns richtet. Wenn viele der Lektüren der Filme, die ich in diesem Buch anbiete, sich auf deren Anfangs- oder Schlusssequenzen konzentrieren, dann tun sie dies, um den Gedanken zu verdeutlichen, dass die Auflösungen, die für persönliche Konflikte gefunden werden, für eine nationale Erfahrung von (oder das Verlangen nach) Heilung einstehen. Die nationale Selbst-Identität, die durch Gewalt wiedererlangt wird, ist alles andere als eine private Angelegenheit.

Obwohl die Bilder und Narrative, die die Filmindustrie liefert, die Vergangenheit den kulturellen Bedürfnissen der Gegenwart entsprechend neu denken, tun sie dies, indem sie unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, wie Kriegserfahrungen ihr wirkungsvollstes Nachleben in dramatischen Spektakeln gefunden haben, die immer nur Annäherungen an tatsächliche Ereignisse sein können. Wir bewältigen unsere gewaltsame politische Vergangenheit zuallererst dadurch, dass wir uns mit den Repräsentationen auseinandersetzen, die geprägt haben, wie wir den Krieg begreifen. Wie David Slocum bemerkt, reflektiert und formt der Kriegsfilm ständig, wie wir Krieg in der tatsächlichen Welt sehen und verstehen, so dass man sich an filmische Narrative über militärische Konflikte immer in ihrer intrinsischen Beziehung zur politischen Beteiligung der Vereinigten Staaten an tatsächlichen gewaltsamen Konflikten annähern muss. Filme geben der nationalen Anwendung von Gewalt im Namen von Ordnung und Zivilisation einen Rahmen.[1]

Ich bin weniger an den weitreichenden Implikationen interessiert, die dies für das Verständnis von Militärgeschichte und Gegenwartspolitik hat. Stattdessen geht es in diesem Buch um die ästhetische Erfahrung dieser gegenseitigen Implikation von tatsächlichen historischen Ereignissen und Hollywoods Darstellung militärischer Konflikte. Vor allem ist mir der Raum wichtig, der die Leinwand umgibt und der sowohl der Frage der Referenzialität (Ereignisse, die implizit hinter der filmischen Wiedergabe liegen) als auch der Affekte, die beim Publikum hervorgerufen werden (das vor den auf die Leinwand projizierten Ereignissen sitzt), eine hohe Komplexität verleiht. Wir werden in ein visuelles Kriegsdrama hineingezogen, von dem wir wissen, dass es sich dabei um eine nachträgliche Rekonzeptualisierung handelt. Kriegsfilme bieten eine Rekodierung des tatsächlichen militärischen Konfliktes, den sie gemäß nachfolgender Einschätzungen der Ereignisse durch Wissenschaftler, Journalisten und Militärstrategen reinszenieren, auch wenn sie diese in Abhängigkeit von den vorhandenen Technologien und gängigen visuellen Stil- und Dialogkonventionen kinematographisch refigurieren.

Wegweisend für meinen theoretischen Ansatz ist daher Robert Burgoynes Insistieren darauf, dass wir zur Kenntnis nehmen müssen, wie Kriegsfilme grundsätzlich zweistimmig sind. Sie nutzen das Genregedächtnis, um Erinnerungen an die Vergangenheit in die Gegenwart zu transportieren, sie reimaginieren und rekonzeptualisieren Geschichte aus der Position des zeitgenössischen Jetzt heraus.[2] Der Prozess des Aufarbeitens ist eine Form des Durcharbeitens, sowohl psychologisch als auch ästhetisch gesehen. Indem das Kino als Denkraum fungiert, spannt die Kinoleinwand über ein historisches Ereignis nicht nur eine Gegenwart, zu der es zu sprechen beansprucht, sondern illustriert auch, dass die Gegenwart für eine Vergangenheit spricht, die sich nur mittels Stellvertreter und nur nachträglich artikulieren kann; an einem anderen Ort, in einem anderen Medium. Als solches schwebt die Kinoleinwand zwischen einem Damals und Heute, zwischen den Truppen, die »dort drüben« kämpfen, und denjenigen, die zu Hause auf ihre Berichte warten, zwischen dem realen Kampf auf dem Schlachtfeld und seiner Wiedererschaffung im Kino. Die Ereignisse des Krieges, auf die in den Filmen verwiesen wird, ebenso wie die Auswirkungen, die sie hatten, gehören unweigerlich einer realen Geschichte an, sie beziehen ihre Autorität aus dem schrecklichen tatsächlichen Gemetzel, auf das sie sich berufen. Unser Zugang zu dieser Zerstörungserfahrung, wenn sie auf der Leinwand wieder eingefangen wird, ist jedoch genauso unweigerlich auf unsere Fähigkeit der Imagination verwiesen und angewiesen. Wir haben es immer mit Berichten zu tun, die aus einem Kriegsgebiet zu uns kommen, sowie mit unserem Bedürfnis, über etwas zu kommunizieren und zu urteilen, von dem wir kein unmittelbares Wissen aus erster Hand haben.

In diesem Buch behaupte ich durchgehend, dass Filme, in denen es um Repräsentation von Krieg geht, in besonderem Maße selbstreflexiv sind. Die sonderbar unverwüstliche Allianz zwischen militärischem Spektakel und filmischer Reinszenierung, aber auch zwischen der Art und Weise, wie wir Krieg auf der Leinwand neu erfassen und wie uns dies hilft, ihn in der realen Welt zu verstehen, liegt daran, dass beide von ihrer Fähigkeit zur Bewegung leben. Die Mobilität der Kamera, Zeugnis der technischen Innovationen des Mediums, zusammen mit der visuellen Bewegung durch die Montage, wird eingesetzt, um die choreographierten Bewegungen der Schauspieler im Raum korrespondierend zu der industriellen Mobilisierung in den Kriegsgebieten und an der Heimatfront zu zelebrieren. Die bewegten Bilder auf der Leinwand werden bewusst eingesetzt, um die Zuschauer zu mobilisieren, indem der Raum der Leinwand in den Kinosaal hinein ausgedehnt wird und die Zuschauer bedingungslos in die leidenschaftliche Darstellung hineingezogen werden. Diese Prämisse meiner Arbeit, die Analogie zwischen militärischem und filmischem Spektakel, nehme ich von Samuel Fuller, selbst Veteran des amerikanischen Militäreinsatzes in Europa während des Zweiten Weltkrieges, dessen berühmte Worte lauten: »Film ist wie ein Schlachtfeld: Liebe, Hass, Action, Gewalt, Tod … mit einem Wort: Emotion.« Ich schlage aber auch vor, seinen Satz umzukehren, und vertrete die Auffassung, dass Filme, die sowohl die Erfahrung als auch die Auswirkungen des Krieges erneut einzufangen wissen, als Kino par excellence verstanden werden können.[3]

Tatsächlich ist eine weitere Grundannahme dieses Buches, dass die Reinszenierung des Schauspiels des Krieges – sei es eine Schlacht, die Kriegsanstrengungen an der Heimatfront, die inneren Kämpfe, die im Kriegsgebiet oder nach der Rückkehr aus dem Krieg geführt werden, oder der Krieg, der in Gerichtssälen wieder wachgerufen wird – unsere Aufmerksamkeit darauf lenkt, dass Krieg überhaupt nur repräsentiert werden kann. Das liegt nicht einfach daran, dass die Truppen für eine politische Idee oder eine Nation einstehen, noch ist der Grund darin zu finden, dass wir, um den Krieg zu verstehen, eine Erzählung brauchen, in der Individuen im Mittelpunkt stehen, deren persönliche Teilhabe abstrakte Konflikte konkret macht. Die Gleichsetzung von militärischem Spektakel und filmischer Reinszenierung, um die es mir geht, basiert auch auf der ästhetischen Dimension, die die Übertragung der starken Emotionen, die Krieg hervorruft, innehat. Kriegsfilme sind sich darüber bewusst, dass sie vergangene Erfahrungen zwar nicht ausschließlich, aber doch zu einem sehr großen Teil, für ein Publikum wieder aufsuchen, das nicht dabei war. Durch das Teilen von personalisierten Geschichten, die auf der Leinwand dramatisiert werden, haben wir Zugang zu einem Wissen über die Vergangenheit aus zweiter Hand, das vor allem affektiv ist. Die Erfahrung anderer wird zu unserer eigenen, weil sie in Genre-Codes und visuellen Ikonographien refiguriert wird, mit denen wir vertraut sind, verkörpert durch Stars, mit denen wir uns identifizieren. Angeregt von Ulrich Kellers Arbeit über Kriegsfotografie vertrete ich die Auffassung, dass die Zeugnisse und Evidenzen, die Hollywood in seinen erneuten Aufnahmen vom Krieg ablegt, immer zwischen authentischem Bericht und ästhetischer Umarbeitung schweben. Wenn Filme die viszerale Intensität des Kampfes heraufbeschwören – das brutale Gemetzel und die Zerstörung von Leben zusammen mit all dem physischen Schmerz und der psychischen Qual, die jeder Kampf verursacht –, dann greifen sie im Sinne eines Genregedächtnisses auf Konventionen vorangegangener narrativer Genres und visueller Ikonographien in anderen ästhetischen Medien zurück, die sich mit Repräsentation des Krieges befassen, wie zum Beispiel der Malerei oder der Literatur.

Ich meine damit nicht, dass wir durch die Leinwand vom realen Schrecken des Krieges abgeschirmt werden, wenn er auf diese projiziert wird, sondern dass diese Gewalt, sowohl die physische als auch die psychische, in der ästhetischen Formalisierung gefasst [contain] ist, und zwar in einem doppelten Sinn. Die tatsächliche Wirkung des Krieges wird eingeschränkt, wenngleich auch die visuelle und narrative Refiguration die emotionale Intensität beinhaltet, die aus ihm folgt; sie hat die Fähigkeit, das abzuwehren, was sie auch trägt und enthält; das zu erhalten, was sie im Zaume hält. Wenn demzufolge das Wiedereinfangen des Krieges in der kodifizierten Sprache des populären Kinos als Schutzdichtung fungiert, die Gewalt vermittelt, indem deren volle Wirkung abgeblockt und ihre Kraft in die Konventionen von Genrenarrativen transponiert wird, so ist dieses apotropäische Schild immer auch befleckt. Auch wenn dies nur indirekt geschieht, so artikuliert sich in der Vermittlung durch das Kino auch immer genau die Gewalt, die es refiguriert; Kino ist Zeugnis des realen Horrors, der sie durchdringt, wenn auch in einer bekömmlicheren Form. Während die ästhetische Formalisierung gar nicht anders kann, als das tatsächliche Grauen des Krieges in Schach zu halten, hat uns ein geteiltes Wissen um vergangene nationale Gewalt weiterhin im Griff. Hollywoods beständige imaginäre Rekonzeptualisierungen vergangener und gegenwärtiger Kriege sind Teile unseres kulturellen Besitzes und fungieren als eine unserer markantesten Maßeinheiten nationaler Identitäten. Ich rücke in meiner Diskussion das Thema der Heimsuchung in den Vordergrund, da ich der Überzeugung bin, dass diese Repräsentationen auch von uns Besitz ergreifen. Wir mögen zwar keinen direkten Zugang zu der Erfahrung des Krieges haben, aber die Kraft der ästhetischen Reformalisierung Hollywoods liegt in der Tatsache begründet, dass es uns unmöglich ist, den realen Referenten, der dem Spiel von Licht und Schatten auf der Leinwand anhaftet, zu ignorieren. Diese Ereignisse trugen sich tatsächlich zu und beharren darauf, erinnert zu werden, wenn auch nur als Repräsentationen.

Hollywoods hartnäckige Verbindung mit militärischen Konflikten bezeugt demzufolge, dass vergangene Kriege keineswegs ein abgeschlossenes Kapitel sind. Indem wir dazu aufgefordert werden, ständig die politische Gewalt zu reimaginieren, die Amerika definiert und geformt hat, nehmen wir implizit an einer kulturellen Heimsuchung teil. Zu erinnern heißt schließlich, der Vergangenheit wieder Leben einzuhauchen, indem wir zu ihr zurückkehren. Sicherzustellen, dass die Erfahrung des Krieges nicht verlorengeht, bedeutet, sie wieder zu einem Teil der Gegenwart zu machen. Jedes Mal, wenn Hollywood einen Kriegsschauplatz wieder aufsucht, wird ein gegebener militärischer Konflikt in einen Dialog mit denen gebracht, die ihm vorangingen, und denen, die ihm nachfolgen. Die Narrative vom Krieg, die Hollywood bietet, mögen sich um die Rückkehr zum Kampf drehen, um das zum Abschluss zu bringen, was offen geblieben war. Sie mögen die Logik eines vergangenen Militäreinsatzes nostalgisch heraufbeschwören, um die Verworrenheit eines gegenwärtigen zu verdeutlichen. Oder die Kriegserzählungen des Kinos mögen stattdessen die Zukunft imaginieren und zu diesem Zweck vergangene Kriege umarbeiten. Die zukünftige Welt mag entweder als ein Ort projiziert werden, an dem ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit endgültig einen Abschluss finden, oder, in unserer optimistischsten Auffassung des nationalen Versprechens, als die Imagination einer Zeit, in der wir die Möglichkeit eines jemals wieder ausbrechenden Krieges überwunden haben. Für die Analogie von militärischem Spektakel und einer fortwährenden filmischen Wiederbelebung einer nationalen Geschichte der Gewalt ist Folgendes entscheidend: Wenn wir nicht vergessen können, wie sich Kriege in das Gewebe sowohl persönlicher als auch kollektiver Identität eingeschrieben haben, dann liegt das zum Teil daran, dass wir nicht vergessen wollen. So schrecklich die Blutbäder und das Gemetzel, die Krieg anrichtet, auch sind, dieser massenhaften Zerstörung individuellen Lebens, und in einigen Fällen sogar ganzer Lebensweisen, zu gedenken, ist eine kulturelle Schuld, auf die wir uns dauerhaft eingestellt haben; es ist eine Verpflichtung, die wir denjenigen gegenüber schuldig sind, im Sinne einer nachträglichen Reparation, die im Kampf für die Nation ihr Leben ließen.

In der Tat erhebt Hollywoods beständige Verbindung mit militärischem Konflikt Ansprüche auf die Vergangenheit und macht Aussagen über die Vergangenheit, sowie zugleich Kriege, die auf der Leinwand zur Wiederaufführung gelangen, auch Ansprüche an uns stellen, an uns appellieren. Darin liegt ihre Anziehungskraft. Wir sind nie unvoreingenommen, wenn wir mit der filmischen Rekonzeptionalisierung unserer nationalen Gewalterfahrung konfrontiert werden. Wir werden dazu aufgerufen zu reagieren, egal wo wir politisch stehen und wie wir diese historischen Ereignisse im Nachhinein bewerten mögen. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, eine Gruppe von Filmen als Gespenster des Krieges zu behandeln, und führe dabei, wie ich weiter unten im Detail ausführen werde, das konventionelle Kriegsfilmgenre mit Dokumentarfilmen, Melodramen, Musicals und dem Film Noir zusammen. Das Anliegen des gesamten Buches ist es, darauf aufmerksam zu machen, wie kriegerischer Konflikt und seine Auswirkungen sowohl als gespenstische Erscheinung als auch als bedrohliche Möglichkeit auf der Leinwand sichtbar werden. Filme, die von militärischen Konflikten an verschiedenen thematischen Orten handeln, schweben zwischen Vergangenheit und Gegenwart (so wie Milestones geisterhafte Soldaten) und stellen Gedenken und Projektion einander gegenüber. Von filmischer Reinszenierung zu sprechen erlaubt es mir, mein kritisches Augenmerk darauf zu richten, wie das Kino als Denkraum dienen kann, in dem Geschichte wiederholt wird, aber mit einem bedeutenden Unterschied, indem unter den Vorzeichen einer gegenwärtigen Verpflichtung an den Ort der Geschichte zurückgekehrt wird, um darüber nachzudenken, was nötig sein mag, um sich persönlich und kollektiv von dieser Schuld zu erlösen. Aus diesem Grund bewege ich mich über den klassischen Kriegsfilm hinaus und schließe auch Melodramen an der Heimatfront, Musicals über Truppenbetreuung und Berichte von Kriegskorrespondenten sowie Filme über die Urteile, die ein Kriegsgericht über Kriegsverbrechen fällt, mit in meine Untersuchungen ein. Das Erscheinen des Krieges, der auf der Leinwand zurückkehrt, beschwört auch die Gefahr des Krieges für uns herauf, so dass wir unsere Haltung zu dieser traumatischen Vergangenheit verhandeln können. Ich unterstreiche, dass die filmischen Narrationen vom Krieg unweigerlich eine nachträgliche Wiederholung und eine Refiguration nach sich ziehen und Geschichte vollführen, indem diese unter den Vorzeichen gegenwärtiger Belange rekonzeptualisiert wird. Es gibt nichts vor dieser nachträglichen Rückerinnerung. Sogar die akkurateste dokumentarische Aufzeichnung eines Kampfes ist eine Repräsentation. In der Tat können diejenigen, die im Krieg waren, erst dann ihre Handlungen verstehen, wenn der Kampf vorüber ist. Inmitten des Nebels des Krieges gibt es keine Betrachtung für sie, keinen freien Blick, nur Erfahrung. Das erklärt, warum die Reinszenierungen Hollywoods selbst für Veteranen so wichtig sind. Auf der Leinwand ist es ihnen möglich, den Krieg zu sehen, den sie in Mark und Bein erinnern. Das Präfix »re« – das in diesem Fall sowohl eine zeitliche als auch eine räumliche Verschiebung markiert und die Erneuerung der Vergangenheit als eine Reaktion auf diese bezeichnet – ist der entscheidende Punkt.

Hollywoods Kriege unterscheidet sich von anderen wissenschaftlichen Publikationen zum Kriegsfilm, wie etwa Robert Eberweins The Hollywood War Film, Guy Westwells War Cinema. Hollywood on the Front Line oder James Chapmans War and Film dadurch, dass es ausdrücklich keine kritische Geschichte des Kriegskinos ist, sondern ein Buch über Hollywoodkino und Krieg als Geschichte einer anhaltenden Heimsuchung. Es versucht nicht, eine chronologische Untersuchung verschiedener Phasen des Kriegsfilms zu bieten, noch geht es um den »Combat Film« als ein eigenständiges Hollywoodgenre, wie dies Janine Basinger in ihrem Buch The World War II Combat Film ausgiebig untersucht hat. In Anbetracht meines Vorschlags, Hollywood als bevorzugten Ort kultureller Übermittlung zu begreifen, interessiert mich stattdessen allgemeiner die Faszination am Krieg, die das Kino in die kulturelle Zirkulation eingebracht hat. Da ich die Art und Weise hervorhebe, mit der Hollywood ein Verständnis vom Krieg als unabgeschlossenes Kapitel anspricht, nährt und aufrechterhält, das unaufhörlich die Gegenwart heimsucht, beschränke ich mich weder auf einen bestimmten Krieg noch auf einen Abschnitt der Filmgeschichte, noch untersuche ich, wie Filmkritiker diese Filme bewertet haben, als sie in die Kinos kamen. Stattdessen sollen die vergleichenden Analysen, die ich in jedem einzelnen der sieben Kapitel dieses Buches vornehme, thematische Verbindungslinien aufspüren, vom frühen Kino bis in die Gegenwart. Ich nehme das Erbe der Geschichte ernst, indem ich diese Korrespondenzen durch die Orte ihrer Wiederkehr sichtbar mache. Meine Entscheidung, thematische Analogien einer historischen Chronologie vorzuziehen, leitet sich aus meiner Überzeugung her, dass das unverwüstliche Nachleben von Bildern und Narrativen durch die Tatsche bestimmt ist, dass unsere kritische Betrachtung vergangener Repräsentationen nie von den Refigurationen abgelöst werden kann, die sie im Laufe der Zeit anschließend durchlaufen haben. Ich behaupte, weil sich gegenwärtige Kriegsfilme mit vorangegangenen kinematographischen Formalisierungen des Krieges beschäftigen, können wir diese früheren Filme nur durch die Brille der Gegenwart lesen.

Ich folge hier Mieke Bal, die überzeugend dazu aufgerufen hat, das Recycling von Bildern der Vergangenheit zu untersuchen, die diese in der Kultur der Gegenwart erfahren haben, und damit eine Art und Weise, Geschichte zu lesen, unternimmt, die sie »preposterous« nennt. Während das Wort »preposterous« wörtlich »wider die Natur, Vernunft oder den gesunden Menschenverstand« bedeutet, wendet sie den Begriff auf kongeniale Weise. Auf diese »preposterous«-Art und Weise auf die visuelle Kultur der Vergangenheit durch spätere Refigurationen, die unser Bild dieser Vergangenheit gefärbt haben, hindurchzuschauen, bedeutet, den Blick auf das zu richten, was verborgen bleibt, wenn man sich auf konventionellere intertextuelle Einflüsse beschränkt. Solche Re-visionen von Kunstwerken der Vergangenheit »lassen Vergangenheit und Gegenwart weder zusammenfallen, wie in einem schlecht durchdachten Präsentismus, noch vergegenständlichen sie die Vergangenheit und bringen sie in unsere Reichweite, wie im problematischen positivistischen Historismus«. Stattdessen zieht diese Umkehr, »die das, was chronologisch zuerst kam (›pre‹) als Nacheffekt hinter (›post‹) dessen späteres Recycling stellt«, eine bestimmte Art und Weise, Geschichte zu machen, nach sich, »eine mögliche Art und Weise, mit der ›Vergangenheit heute‹ umzugehen«.[4] Bals Begriff der »preposterous history« auf das Recycling von Kriegen in Hollywood zu übertragen, ermöglicht es mir zu verdeutlichen, wie uns die Bilder vergangener Kriege ständig einholen, auch wenn sie zugleich nie vollständig unter den gegenwärtigen Moment subsumiert oder von ihm eingenommen werden können. Eben weil diese Bilder davon zeugen, dass die Geschichte nicht abgeschlossen ist, sind sie alles andere als in ihrer historischen Zeit fixiert. Sie hallen immerfort wider in den nachfolgenden Repräsentationen, die sie erzeugt haben. Eine »preposterous history« zu kartographieren, indem man das, was voranging, als Nacheffekt von späteren Visualisierungen behandelt, ist besonders auf den Krieg bezogen nützlich. Denn – wie Milestones finale Bildsequenz nahelegt – wir können nur die Vorausahnung eines Kampfes und die anschließende Bewertung des Ereignisses begreifen, während die tatsächliche Erfahrung des Gemetzels in den Bereich einer traumatischen Realität gehört, die sich einem begrifflichen Verstehen entzieht.

Meine eigene spezifische Herangehensweise an die beunruhigende, aber faszinierende Interferenz zwischen militärischem Spektakel und Hollywoodkino besteht darin, diese Filme als Naht zwischen einer kollektiven Re-imagination der traumatischen Geschichte des Krieges und einer kritischen Intervention in diese zu behandeln, die immer schon durch ihre Repräsentationen zu uns gelangt ist. Indem ich die Poetik des Gespenstischen in den Vordergrund rücke, möchte ich auf die Art und Weise aufmerksam machen, mit der eine affektiv aufgeladene Reinszenierung der Vergangenheit auf der Leinwand starke Emotionen in eine ästhetische Form transferiert, so dass ihre traumatische Wirkung erfasst werden kann, und zwar im doppelten Wortsinne: aufgehalten und verstanden. Wir brauchen ästhetische Formalisierung, um der Unbegreifbarkeit des Krieges eine kohärente Bedeutung zuzuweisen, auch wenn wir wissen, dass dies ein verhandelbarer Prozess der Signifikation ist, der ein fortwährendes Angleichen an aktuelle kulturelle Belange verlangt. Zu erinnern beinhaltet auch immer die Möglichkeit, zu vergessen. Wenn ich davon ausgehe, dass Hollywood einen symbolischen Ersatz für eine historische Vergangenheit bietet, die wir nur durch deren nachträgliche Repräsentationen begreifen können, dann will ich über diese Filme weder urteilen (was Aufgabe zeitgenössischer Filmkritiker ist), noch will ich über die Kriege schreiben, die von ihnen als Phantome auf die Leinwand zurückgebracht werden. Meine Intuition führt mich stattdessen dazu, die Transferierung kontingenten historischen Wissens in eine ästhetische Form genauer zu betrachten. Wenn die Geschichte des Krieges in kohärente Narrative transformiert werden muss, um Sinn zu ergeben, dann bedeutet diese Reformulierung auch ein gewisses Maß an Regulierung. In meinem eigenen »preposterous« Atlas der Verbindung Hollywoods mit militärischen Konflikten geht es daher um einen gespiegelten Blick: Ich möchte auf die nachfolgenden affektiven Wirkungen, die jede ästhetische Rekonzeptualisierung der gewaltsamen Geschichte des Krieges hervorbringen kann, aufmerksam machen und gleichzeitig die Evidenz, die solch eine Reinszenierung produziert, kritisch reflektieren.

Das rhetorische Unterfangen dieses Buches besteht aus einem Crossmapping von sieben Kapiteln, die als ›Tafeln‹ verstanden werden. Jede dieser Tafeln kartographiert Korrespondenzen zwischen Filmen, die thematische Aspekte des Krieges »preposterously« durch das beständige filmische Recycling lesen, das diese erfahren haben. In ihrer Gesamtheit ergeben diese Kapitel eine Art Atlas, im Sinne eines Buches mit einzelnen Karten, die durch ein gemeinsames kritisches Anliegen nebeneinandergestellt und zusammengehalten werden.[5] Obwohl Stanley Cavell nie über Kriegsfilme geschrieben hat, hat sein Insistieren auf die philosophische Kraft des Kinos – er behandelt vor allem das klassische Hollywoodkino als einen der bevorzugten Orte, an dem die amerikanische Kultur über sich selbst nachdenkt – mein eigenes Denken stark geprägt. Aus seinem Werk übernehme ich besonders die Bedeutung, die er der Montage als leitende Kraft des kognitiven Mappings beimisst. Hollywoods Rekonzeptualisierungen des Krieges zu kartographieren heißt auch, unerwartete Verbindungen herzustellen, die nicht auf dem Nachweis eindeutiger intertextueller Beziehungen beruhen müssen. Stattdessen liegt mein Interesse darin, Ereignisse in Filmen herauszulösen und in Beziehung zu setzen, denen Bedeutung zugemessen werden muss, weil sie thematisch miteinander korrespondieren. Vor allem aber schließe ich mich Cavells Insistieren darauf an, die konzeptuellen Konsequenzen solch aufgedeckter Verbindungen zu erforschen. Was wird durch eine thematische Korrespondenz, die sich über die Zeit erhalten hat, sichtbar? Welchen Dingen müssen wir dadurch Bedeutung beimessen? Zugleich folge ich ihm in der Frage, vorausgesetzt, man findet solche Analogien und Ähnlichkeiten, welche Unterschiede bemerkt werden wollen, wenn eine vorangegangene ästhetische Formalisierung recycelt wird.[6]

Die Crossmappings, die ich in diesem Buch unternehme und in denen ich Hollywood als einen Denkraum verstehe, der unaufhörlich Refigurationen der traumatischen Vergangenheit des Krieges produziert, um diese Vergangenheit im Lichte seiner kulturellen Nachwirkungen neu zu begreifen, sind ebenso Aby Warburgs Gedächtnisprojekt verpflichtet. Sich mit der doppeldeutigen Bewegung beschäftigend, die Teil ästhetischer Formalisierungen flüchtiger, aber ergreifender Emotionen ist, schreibt er: »Unter dem dunkel surrenden Flügelschlag des Vogel Greif erträumen wir – zwischen Ergreifung und Ergriffenheit – den Begriff vom Bewusstsein.«[7] Was ich von Warburgs Mnemosyne-Atlas, jener Reihe von Tafeln in seiner Bibliothek, auf denen er das kulturelle Überleben der Pathosformeln der Antike kartographiert hat (und deren Arrangement er unaufhörlich änderte), übernehme, ist seine Behauptung, dass jede Erfahrung von Kunst eine produktive Spannung zwischen einem Zustand des Überwältigtwerdens von der ästhetischen Erfahrung und der Fähigkeit, sie zu begreifen, in sich trägt. Zugleich ist jedes Kunstwerk, dessen Pathos den Betrachter einholt, auch wenn es diese Intensität beinhaltet und eindämmt, selbst eine ästhetische Formalisierung einer früheren Erfahrung überwältigender Emotion. Es hat bereits das Pathos eingefangen, indem es seine Intensität in ein formalisiertes Bild übertrug. Ich nutze das Konzept der Pathosformel für meine Diskussion des Er- und Begreifens der unbegreiflichen Intensität des Krieges auf der Leinwand, weil sich dieser kritische Terminus zwischen dem Verstehen einer starken Emotion durch das Nutzen der eigenen imaginativen Fähigkeiten und der Möglichkeit einer begrifflichen Darstellung dieser bewegt. Er erlaubt es mir zu untersuchen, wie Filme über die Raserei und den Terror des Krieges die Intensität starker Emotionen durch ästhetische Formalisierung zu erfassen wissen.

Meine eigene kritische Wiederaufnahme von Warburgs Terminologie ist jedoch auch Didi-Hubermans Untersuchung des Überlebens von Pathosformeln als ein ergreifendes Symptom kultureller Heimsuchung geschuldet. Er legt nahe, dass das Kartographieren der emotionalen Intensität, die in der Bewegung einer Ausdrucksgeste verkörpert ist, »ein Wissen in Erweiterungen, in assoziativen Beziehungen, in immer wieder erneuerten Montagen, und nicht mehr länger geraden Linien, in einem begrenzten Korpus, in gefestigten Typologien«[8] beinhaltet. Zu behaupten, dass mit jeder weiteren Wiederbelebung einer Bildformel dieselbe emotionale Intensität Ausdruck erhält, die ursprünglich in ihr enthalten war, setzt ein unbewusstes Gedächtnis voraus, das stets neu hervorbricht. Die Bildformeln, die immer wieder auftauchen, gelten als Beweis dafür, dass wir immer noch von der Vergangenheit heimgesucht werden. Zugleich ist solch ein Überleben von Spuren der Vergangenheit durch die unaufhörliche Wiederkehr vergangener Pathosformeln am besten kartographiert, indem man unkonventionelle oder unerwartete Korrespondenzen aufspürt. Es geht dabei um ein eher transversales Wissen um die unerschöpfliche Komplexität einer Geschichte, die uns zwingt, sie immer wieder aufzusuchen, weil sie darauf drängt, zur Kenntnis genommen zu werden. Was ich von Didi-Huberman für meinen eigenen Atlas von Hollywoods Pathosformeln des Krieges übernehme, ist daher die hermeneutische Geste der Montage und die Art und Weise, mit der sie ein »Verlangen, das Gedächtnis zu refigurieren, indem sie sich verweigert, Erinnerungen – Bilder von der Vergangenheit – in einem geordneten, oder schlimmer noch, endgültigen Narrativ zu fixieren«,[9] artikuliert.

Es gibt jedoch eine weitere Verbindungslinie zwischen meinem eigenen Projekt und Warburgs Diskussion des Überlebens von Pathosformeln, beachtet man, dass seine emotionale und intellektuelle Reaktion auf die Ereignisse des Ersten Weltkriegs indirekt in sein Projekt des Mnemosyne-Atlas eingeschrieben sind. Obwohl er selbst nie das alltägliche Grauen in den Schützengräben erlebt hatte, ordnete er seine Forschung neu, um das zu begreifen, was er die große Psychomachia von Monstra und Astra nennen sollte, indem er der irrationalen Raserei, die sich am wirklichen Kriegsschauplatz ausagierte, seine konzeptuelle Arbeit mit Bildern eingefangener gewaltsamer Leidenschaft entgegenstellte. Die Inszenierung eines wiedererworbenen Gedächtnisses war seine Antwort auf das kulturelle Nachleben des tatsächlichen Grauens des Ersten Weltkrieges. Wie Didi-Huberman bemerkt: »Warburg realisierte schnell, dass Krieg psychisch, kulturell und politisch das Schweigen der Waffen überlebte oder überdauerte. Der Krieg war vorbei, und dennoch war es ein endloser Krieg: vorbei in den Augen von Klio (Geschichte), aber endlos in den Augen von Mnemosyne (Gedächtnis). Nicht zu beenden als ein Krieg des Trauerns, aber auch als ein Krieg der Bilder.«[10] Ich folge Warburgs Intuition, dass einer der angebrachtesten Wege, um die Nachwirkungen der Krieges auf unsere Kultur aufzuspüren, darin liegt, die Repräsentationen des Krieges zu kartographieren, durch die diese Leidenschaft immer wieder überlebt. Mein Atlas unterscheidet sich natürlich von seinem dadurch, dass die Re-imagination der Vergangenheit, mit der ich mich beschäftige, nicht in verkörperten Gesten innerhalb fester Rahmen zu finden ist, sondern in bewegten Bildern. Die Pathosformeln, die ich kartographiere, beziehen sich nicht auf das Überleben einzelner leidenschaftlicher Bewegungen, sondern auf das Recycling von Handlungsabläufen und Körpern von Filmstars, das heißt auf thematische Häufungen und Figurenkonstellationen, die das intensive Pathos des Krieges verkörpern, seine physische, psychische und ideologische Bewegung. Indem ich Hollywood als einen Denkort behandle, an dem kulturelle Energien, die Amerikas traumatische Geschichte betreffen, erhalten, transformiert, wieder in Umlauf gebracht und neu gedacht werden, interessiere ich mich für das Aufdecken des Wandels von Pathosformeln des Krieges, die immerwährende Affekte in wirksame kinematographische Zeichen übertragen.

Ich nutze meine Kapitel-Tafeln dazu, die Korrespondenzen des Nachlebens der Pathosformeln des Krieges zu kartographieren (und betone dabei ihren gemeinsamen Willen, zu formalisieren und eine ästhetische Form zu verleihen, statt historische Chronologien und intentionale Einflüsse aufzuzeigen), und behaupte damit eine affektive Reaktion seitens eines textuell konstruierten, impliziten Zuschauers. Bei der kritischen Intervention, die ich vorschlage, geht es um einen nachträglichen Seh-Effekt, der filmischen Texten eine Handlungsmacht beimisst, die über konkrete Intentionen eines Autors hinausgeht. Diese Handlungsmacht kann nicht allein auf den Regisseur, das Drehbuch oder den Produzenten zurückgeführt werden. Sie entsteht in der Summierung aller Teile, die den Text eines Filmes in einem historischen Kontext, der im Nachhinein betrachtet wird, ausmachen. Geleitet von meinem eigenen Verständnis vom nachträglichen Betrachten dieser Filme lese ich die kinematographischen Repräsentationen des Krieges daher mit dem Wissen um den Platz, den sie in unserem kulturellen Imaginären eingenommen haben, also im Lichte des beständigen kulturellen Nachlebens, das sie sichtlich gehabt haben. Bei den Korrespondenzen, die ich in jedem einzelnen und zwischen den sieben Kapiteln, aus denen mein Atlas besteht, entfalte, geht es um das Bestreben, einen Denkraum zu eröffnen, in dem die vielfältige und zugleich kuriose Angleichung von militärischem und kinematographischem Spektakel qua Erinnerung kritisch wieder-erzählt werden kann. Meine eigene Neuanordnung und Montage von Texten (oder Momenten in Texten) wiederholt den Anspruch an die Gedächtnisarbeit, auf die sich mein Projekt gründet: auf ein Jahrhundert kinematographischer Repräsentationen des Krieges aus der Position meines heutigen kritischen Anliegens heraus zurückzublicken.

Die Vergangenheit, die uns heimsucht, ist auch eine Vergangenheit, deren wir nie vollends Herr werden können. Die Vergangenheit auf der Leinwand wieder aufzuführen heißt, das kulturelle Gedächtnis, das für die zeitgenössische Gesellschaft prägend war, präsent zu machen. Aus diesem Grund ist die Erinnerung an die Vergangenheit immer schon eine Reinszenierung. Ich interessiere mich für das Konzept der Reinszenierung, weil es unseren Wunsch hinterfragt, die Grenzen zwischen fiktionaler Re-konzeption und historischer Wahrheit zu sichern, indem es den Prozess der Imagination ins Spiel bringt. Iain Calman und Paul A. Pickering sprechen von einer affektiven Wende, um ein zweifaches Begehren zu beschreiben: »von der buchstäblichen Wiedererschaffung der Vergangenheit zu lernen, und zugleich eine Sehnsucht danach, Geschichte somatisch und emotional zu erfahren.«[11] Aus ihrer Arbeit stammt der für mich wichtige Gedanke, dass eine affektive Begegnung mit dem schmerzvollen Leid des Krieges, das auf der Leinwand reinszeniert wird, die Distanz zwischen dem Jetzt und dem Damals verringert. Ich teile mit ihnen (und mit Bal) die Einsicht, dass der Affekt, den sich eine Theatralisierung zunutze macht, eine Authentizität produziert, die stärker ist als alle Fragen nach Realismus und Plausibilität.

Mein eigenes Projekt stellt jedoch eine doppelte Bewegung in den Vordergrund, die in jener affektiven Wende impliziert ist, auf der Reinszenierungen zur vollen Entfaltung kommen. Ich habe diese Einleitung mit der Abschlusssequenz aus All Quiet on the Western Front begonnen, um zu verdeutlichen, dass uns der Krieg und Filme über den Krieg heimsuchen. Wenn wir die Ereignisse, die auf der Leinwand wiederauferstehen, immer erst im Nachhinein betrachten können, dann ist unser Blick zurück auf den Krieg ein Blick durch seine nachfolgenden Repräsentationen auf der Leinwand. Die Reinszenierung verdoppelt das vergangene Ereignis und die Bilder, die bereits von ihm existieren und es refiguriert haben. Speziell im Falle der kinematographischen Repräsentationen des Krieges bleibt ungewiss, was zuerst kam, das Ereignis oder die Bilder. Man könnte sagen, dass die Refiguration des Ereignisses in unserer Vorstellung zwar nicht dem tatsächlichen Stattfinden des militärischen Ereignisses, wohl aber seiner Konzeptualisierung vorausgeht. Ich behandle Hollywood nicht wie eine Zeitmaschine, um Behauptungen darüber aufzustellen, wie die hier diskutierten Filme über die Vergangenheit und von ihr sprechen. Stattdessen behandle ich die kinematographischen Re-Konzeptualisierungen des Krieges als aufgeladene Bilder, die durchtränkt sind von ihrer eigenen Geschichte der Verarbeitung historischer und persönlicher Gewalt.[12] Es geht mir nicht um eine historische Analyse der Auswirkungen, die Kriegsfilme gehabt haben, sondern um eine Analyse der affektiven Wenden, die ihre Re-Konzeption in unserer Vorstellung genommen haben. In meinem Atlas von Hollywoods Verbindung mit militärischem Konflikt kartographiere ich die Wirkungen des Krieges im doppelten Wortsinn. Ich behandle Geschichte als einen kulturellen Nachlass und beschäftige mich zugleich mit den Konsequenzen, die das Annehmen dieses Erbes hat. Die traumatische Geschichte des Krieges zu bewältigen beinhaltet für mich auch, sowohl die Art und Weise zu betrachten, mit der das Kino mehr als ein Jahrhundert lang über den Krieg nachdenkt, als auch das, was uns die Geschichte seiner Repräsentationen auf der Leinwand heute zu sagen hat.

Geschichte als nicht abgeschlossenes Kapitel zu betrachten ermöglicht es, die Aufmerksamkeit auf unaufgelöste Konflikte zu lenken, in der Hoffnung, dass aus diesem erneuten Aufsuchen der Vergangenheit ein kathartischer Nutzen gezogen werden könne. Egal ob die kollektive Schuld dadurch gelindert wird oder nicht, und auch wenn jede imaginative Rekonzeptualisierung das vergangene Ereignis nie vollständig einfangen kann, die affektiven Wendungen, die die Rekonzeptualisierungen des Krieges auf der Leinwand ermöglichen, drücken eine kulturelle Sehnsucht nach einem Abschließen aus. Meine Untersuchung kinematographischer Repräsentationen des Krieges unterscheidet sich von deren tatsächlicher historischer Reenactments (die Calman und Pickering behandeln) darin, dass ich implizit mit einem psychoanalytischen Bezugssystem arbeite, indem ich die Reinszenierung, die das Gedächtnis leistet, als einen Ausdruck kultureller Heimsuchung behandle. Indem Ereignisse reinszeniert werden, die die Geschichte des Krieges zurück ins Bewusstsein der Öffentlichkeit befördern, wird genau die Wunde wieder aufgerissen, die dadurch geheilt werden soll. In diesem Buch benutze ich durchgehend diese psychoanalytische Erkenntnis der doppelten Artikulation, die psychische Symptome hervorbringen, um dafür zu argumentieren, dass ästhetische Refigurationen der Schrecken des Krieges uns apotropäisch vor traumatischen Erfahrungen schützen, die zu schlimm sind, um uns mit ihnen direkt zu konfrontieren. Die Phantasiearbeit, so verstehe ich Freud, dient als eine Schutzdichtung, die diesem bedrohlichen Wissen über den Umweg ästhetischer Formen eine Stimme verleiht. Ich berufe mich auf die Rhetorik des Fetischs, weil sie am deutlichsten illustriert, dass es um einen Repräsentationsmodus geht, der explizit anerkennt, dass er nie vollständig dem entspricht, was er repräsentiert. Phantasien schützen das Subjekt gegen schädigende Wirkungen, genau das Erkennen, das die Übersetzung von Affekten in Fiktion auch ermöglicht. Die doppelte Artikulation, um die es hier geht, ist derart, dass Rekonzeptualisierung einen psychischen Kompromiss bietet. Ich fasse Freud neu, wenn ich argumentiere, dass Hollywoods kinematographische Kriege das Wissen um das Trauma tatsächlicher Kriege ausblenden, auch wenn sie indirekte Artikulationen seiner Kraft aufbieten.

Ich bin Freuds Denken aber auch thematisch verpflichtet. Als er seine zeitgemäßen Gedanken über den Krieg bereits ein Jahr nach Beginn des Ersten Weltkrieges verfasste, machte er auf die vielfältige und sonderbare Allianz zwischen der Welt der Fiktion und der Welt des Krieges aufmerksam. Während wir dazu neigen, unsere Sterblichkeit in Friedenszeiten in unseren alltäglichen Überlegungen auszuklammern, kann ihre Allgegenwart in Zeiten des Krieges nicht länger verleugnet werden; »man muß an ihn glauben«, erklärt er. »Die Menschen sterben wirklich.« Im Krieg kann der Tod nicht mehr länger als zufälliges Ereignis gesehen, sondern muss als Notwendigkeit wahrgenommen werden. Erstaunlich ist die Schlussfolgerung, die er aus der veränderten Einstellung zum Tod zieht, die der Krieg hervorruft: »Das Leben ist freilich wieder interessant geworden, es hat seinen vollen Inhalt wiederbekommen.«[13] Seine eigene Haltung ist voller Ambivalenz. Wenn zur Anerkennung der Sterblichkeit als unumgängliche Wahrheit menschlicher Existenz gezwungen zu sein dem Leben seinen vollen Inhalt wiedergibt, dann basiert das Ausschließen des Todes aus dem Frieden implizit auf einem Mangel. Zudem führt Freud seine erstaunliche Behauptung damit ein, dass er die Welt der Fiktion als den Ort bezeichnet, an dem wir in Friedenszeiten Kompensation für die Leugnung des Todes finden, auf die sich zivilisierte Kultur gründet. »Dort finden wir noch Menschen, die zu sterben verstehen, ja die es auch zustande bringen, einen anderen zu töten«, schreibt er. »Dort allein erfüllt sich uns auch die Bedingung, unter welcher wir uns mit dem Tod versöhnen könnten, wenn wir nämlich hinter allen Wechselfällen des Lebens noch ein unantastbares Leben übrig behielten.«[14] Die Kompensation, die Phantasie ermöglichen kann, erweist sich selbst als doppelzüngig. Der Tod, den wir im alltäglichen Leben ungestraft verleugnen wollen, kann in der Welt der Fiktion ein Heim finden, weil diese das Wissen um unsere Sterblichkeit mit unserem Verlangen nach Immunität vor dem Tod vereinbar macht. Daraus lässt sich folgern, dass die Welt des Krieges dann vermittelbar wird, wenn wir sie als eine Welt der Fiktion behandeln. Darin liegt auch der Reiz der reichhaltigen und sonderbaren Verbindung Hollywoods mit dem militärischen Konflikt.  

Der psychoanalytischen Einsicht folgend, dass auch wenn sich die traumatische Erfahrung von Tod und Zerstörung im Krieg direkter Repräsentation entzieht, sie dennoch eine indirekte Artikulation in der Welt der Fiktion finden kann, muss ich auf Fredric Jamesons Arbeit zum politischen Unbewussten rekurrieren. Als jemand, der Freuds Traumatheorie ausgiebig studiert hat, betont er die Auffassung, dass Geschichte im Sinne von tatsächlichen Ereignissen, die sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zutrugen, diametral zu ihrem Begreifen in unserer Vorstellung entgegengesetzt ist. Geschichte ist, so erklärt er, »was schmerzt, was das Begehren zurückweist und individueller wie kollektiver Praxis […] unerbittliche Schranken setzt.« Wahrnehmbar nur in ihren Wirkungen kann Geschichte nie direkt als eine verdinglichte Kraft begriffen werden. »Wirklich braucht in diesem ultimativen Sinn Geschichte als Grund und unüberschreitbarer Horizont keine besondere theoretische Rechtfertigung«, schließt er, »wir dürfen sicher sein, daß ihre Notwendigkeiten und Entfremdungen uns nicht vergessen werden, wie gerne wir sie auch ignorieren möchten.«[15] Krieg ist natürlich eine besonders schmerzliche Manifestation des Kampfes, der unterhalb der Bewegung der Geschichte als universelle Kategorie strömt – die innere Kraft oder der Wille zur Macht, der sie vorantreibt. In einem jüngeren Aufsatz, »War and Representation«, zählt Jameson den Krieg zu den kollektiven Realitäten wie Nation, Gemeinwillen, oder Multitude, und nennt ihn »eine Mannigfaltigkeit an Bewusstsein, so unvorstellbar wie real, in der Tat eine kollektive Realität«. Während kollektive Totalitäten wie Krieg Repräsentation ebenso wie Konzeptualisierung völlig übersteigen, erklärt er, dass sie »eine ständige Verlockung und Frustration für erzählerische Ambitionen darstellen, gleichermaßen für konventionelle wie experimentelle«.[16] Wir haben zu den realen Gräueln des Krieges nur durch die textuellen Effekte, die er produziert, Zugang, auch wenn er sich ihrem Zugriff entzieht. Jede Behauptung, der Krieg lasse sich nur repräsentieren, bedeutet auch, auf die verschiedenen Formen hinzuweisen, die der unmögliche Versuch, den Krieg zu repräsentieren, auf der Leinwand angenommen hat, so wie es Jameson vorschlägt.

In der Gesamtstruktur meiner Argumentation sollte jedes der sieben Kapitel als eine Tafel gedacht werden, die thematische Verbindungen zwischen Filmen und ihre Korrespondenzen zu theoretischen Konzepten kartographiert. Ich spreche von meinen Crossmappings als einem »preposterous« Atlas der vielfältigen und merkwürdigen Verbindung Hollywoods mit militärischem Konflikt, um deutlich machen, dass ich mein Buch als eine Sammlung von Landkarten verstehe, die es dem Leser erlauben, sich zwischen den sieben Tafeln hin und her zu bewegen, während in jedem einzelnen Kapitel Verbindungspunkte eingetragen sind. Die Reihenfolge der Kapitel ist von meiner eigenen kritischen Intuition vorgegeben, nicht eine Geschichte des Kriegsfilmes zu erzählen, sondern bestimmte Aspekte der Übertragung des Krieges auf die Leinwand ausfindig zu machen. Das erste Kapitel hat das nicht abgeschlossene Kapitel des Bürgerkriegs zum Gegenstand, um zu erörtern, wie populäres Kino Geschichtsstunden erteilt, die sowohl den gewaltsamen Kampf, auf dem Amerika erneut gegründet wurde, neu schreiben, als auch die filmischen Repräsentationen dieses nationalen Narrativs, bei dem jeder neue Regisseur Aspekte ins Spiel bringt, die sein Vorgänger ausgelassen hat.[17] Als meinen Ausgangspunkt habe ich das jüngste Beispiel, Martin Scorseses Gangs of New York gewählt, um durch diese Umkehrung der Chronologie deutlich zu machen, wie sich die Rückstände früherer Filme in die Filmsprache dieses neuesten Filmes eingeschrieben haben. Ich betone den Aspekt der Wiederholung nicht zuletzt deshalb, weil wir den Bürgerkrieg im Nachhinein betrachtet inzwischen selbst als einen Moment historischer Wiederholung verstehen – ein Krieg, der zwischen Brüdern geführt wurde, um das zu Ende zu bringen, was aus dem Unabhängigkeitskrieg offengeblieben war, nämlich den Ausschluss der Afroamerikaner aus der Verfassung.

Wie das erste Kapitel, das von einem Krieg handelt, der auf heimatlichem Boden ausgetragen wurde, wenden sich die nächsten beiden Kapitel der Art und Weise zu, wie Krieg unter den ideologischen Vorzeichen einer hochgelobten Idee von Heimat geführt wird. Kapitel zwei betrachtet die Heimatfront als Operationsbasis für die Mobilisierung der Frauen, die dazu aufgerufen wurden, ihren Anteil an einem im Ausland gefochtenen Krieg zu leisten. Aus den Filmen, die ich für mein Crossmapping ausgewählt habe, geht diese Heimatfront auch als Schauplatz innerer Konflikte hervor, von denen Soldaten dadurch, dass sie in den Krieg ziehen, befreit werden und der Kampf der Geschlechter durch die Gefechte im Ausland ersetzt wird. Im dritten Kapitel wird die Heimat als gefeiertes Ideal in Filmen über die Truppenbetreuung beschworen, die den Truppen in Trainingslagern, U S O-Kantinen und vor allem an der Front ein Gefühl von Heimat weit weg von zu Hause bietet. In der Lektüre dieser Filme geht es darum zu zeigen, wie die Truppenbetreuung die tatsächliche Schlacht widerspiegelt und das musikalische Auflebenlassen des Kampfgeistes dazu dient, den Zuschauer vor der Bühne und vor der Leinwand vor der wirklichen Gefahr abzuschirmen, die ständig an deren Rändern lauert. Während dieses Kapitel auf der Analogie zwischen den Nummern einer Musikshow und dem Kriegsspektakel basiert, behandelt mein nächstes Kapitel die Choreographie der Schlacht auf der Leinwand als eine spektakuläre Theatralisierung von Kampfeinsätzen. In Kapitel vier sind Filme gebündelt, deren Thema das kulturelle Überleben der Landung am Omaha Beach am D-Day in unserem kollektiven Bilderrepertoire ist. Ich untersuche hier den Authentizitätseffekt der Schlacht, der entsteht, wenn jeder Regisseur die ästhetische Formalisierung dieses symbolischen Wendepunktes im europäischen Kriegsgebiet aufgreift und refiguriert. Ins Zentrum des Buches habe ich somit die Frage gestellt, wie Filme die Hitze des Gefechts neu zu fassen suchen, während der Nebel des Krieges jegliche Klarsicht verhindert. Auch wenn ich betone, dass wir zu den Schlachten nur durch die Bilder, die wir von ihnen haben, Zugang erlangen, behandle ich diese historischen Reimaginationen einer tatsächlichen Schlacht als Beispiel für die größtmögliche Annäherung an das Reale der Geschichte, die Hollywood leisten kann.

Während mein Kapitel über die Choreographie der Schlacht um einen blinden Fleck in jeder kinematographischen Vermittlung des Krieges kreist, kehren die letzten drei Kapitel zu der Aussage zurück, die in der Schlusssequenz von All Quiet on the Western Front getroffen wurde. Hinsichtlich des Krieges gibt es Antizipation und nachträgliche Reflektion. So bewege ich mich von der unbegreiflichen Intensität des tatsächlichen Gemetzels der Schlacht zu Tafeln, die davon handeln, wie Krieg erinnert, über ihn gesprochen und er beurteilt werden kann und wie Erinnerungen an ihn immer wieder in den darauffolgenden Jahrzehnten auftauchen, wenn auch indirekt. Die letzten drei Kapitel meines Buches haben als ihren konzeptuellen Bezugsrahmen Michel Foucaults Insistieren, dass Krieg, als übergebliebene Kraft, in jeden Frieden, den er herbeigeführt hat, eingeschrieben ist. Krieg sei, so insistiert er, »der Motor der Institutionen und der Ordnung«. Er setzt sich unterhalb des Friedens fort, der selbst ein verschlüsselter Krieg ist: »eine Schlachtlinie zieht sich durchgängig und dauerhaft durch die gesamte Gesellschaft«.[18] Diese Kapitel wenden sich Filmen zu, die die Erfahrung des Krieges im Bezug zur Heimat neu fassen, aber nicht, wie in den ersten Kapiteln, im Sinne einer Gegenwelt, einem Zustand und Ort der Ausnahme, wodurch die gewöhnliche heimatliche Welt reflektiert und in Frage gestellt wird. Stattdessen zeige ich Korrespondenzen zwischen Filmen auf, in denen Berichte über Militäreinsätze im Ausland von einem Augenzeugen in die Heimat gebracht werden, zu einem Publikum, das solche Berichte benötigt. Zuerst betrachte ich in Kapitel fünf Filme über Kriegsberichterstatter und untersuche, wie ihr subjektiver Augenzeugenbericht die unbegreifliche Erfahrung des Krieges für die Daheimgebliebenen neu kodiert. Ihr Appell an das Mitgefühl derer, die nicht im Kriegsgebiet waren, steht in engem Zusammenhang mit meiner Diskussion der Kriegsgerichtsdramen in Kapitel sechs. Die Zeugenberichte, die in diesen Filmen aus dem Kriegsgebiet nach Hause gebracht werden, machen die schmale Grenze zwischen sanktionierter Gewalt im Kampf und Kriegsverbrechen deutlich und rufen nun das Publikum auf, über den Krieg zu richten, indem es zu seinem eigenen Urteil über das eines Gerichtes gelangt.

Ich greife die Gleichsetzung von Spektakel und Krieg wieder auf, die ich im Kapitel über die Choreographie der Schlacht diskutiert habe, und stelle hier ins Zentrum dieses Kapitels, wie der Gerichtssaal zur Szenerie eines erneuten Kampfes transformiert wird, nun zwischen Anklage und Verteidigung. In der Auflösung, die Kriegsgerichtsdramen bieten, wird die Tatsache problematisiert, dass Recht und Gesetz zwar Verfahren abschließen müssen, die aus dem Krieg offengeblieben waren, fiktionale Dramen aber aus ethischen Gründen darauf bestehen, dass die traumatische Geschichte niemals behoben werden kann. Kapitel sieben kehrt zur Frage des Krieges zurück, der in Zeiten des Friedens mit anderen Mitteln fortgesetzt wird. Es ist nicht nur die Welt des Film Noir, die das Verbrechen als die Stelle postuliert, an der Krieg ins Gewebe der zivilen Nachkriegsgesellschaft dringt, sondern es sind auch Filme über Soldaten, die von einer Kriegserfahrung verfolgt werden, die sie entweder nicht mit anderen teilen wollen oder können, die von dem kulturellen Überleben des Krieges Jahrzehnte, nachdem jegliches tatsächliche Kampfgeschehen geendet hat, zeugen. Sie fordern uns auf, jene nationale Geschichte der Gewalt anzuerkennen, über die wir nur zu gern hinwegsehen würden. Mit diesem letzten Kapitel kehre ich zu meiner Eingangsargumentation zurück, dass filmische Narrative über den Bürgerkrieg dabei helfen, den aktuellen Zustand der Nation in Bezug zu den Kriegen, die sie definiert haben, neu zu verhandeln, und dabei den komplexen psychischen Schutz, den Hollywoods Reinszenierungen des Krieges leisten, wieder ins Spiel bringen. Verstanden in Bezug zu den Heimsuchungen, die sie ausüben, enthüllen die letzten Filme, die ich in diesem Buch behandle – William Wylers The Best Years of Our Lives, zusammen mit einer Reihe von Film Noirs, und abschließend ein Crossmapping von Spike Lees Miracle at St. Anna und Clint Eastwoods Flags of our Fathers –, Krieg und seine Nachwirkungen als die imaginäre Geographie geteilter Geschichten, Figuren und Pathosformeln, die eine Nation zusammenhält. In diesen drei letzten Tafeln meines Atlasses geht es also darum, was es heißt, Krieg wieder aufzurufen, zu erinnern, während im Nachhinein bewusst eine Lücke im Wissen in die Heimsuchungen eingeschrieben wird, die auf der Leinwand wiederauferstehen.

Während diese Einleitung die theoretischen Positionen skizziert hat, die mein Projekt durchziehen, werde ich im Laufe der folgenden Diskussion theoretische Konzepte vor allem dann anführen, wenn sie zur Erhellung bestimmter Interferenzen und Ironien in den Filmen dienen. Darin folge ich meiner Intuition, solche theoretischen Annahmen neben die Filme zu stellen, die ich als eigenständige kritische Intervention ansehe: sei es als Unterstützung einer nationalen Kriegsanstrengung oder um entweder das Grauen der Schlacht oder die Korruption in der Kriegsmaschinerie aufzudecken. Die eigenwilligen Kartographien, die ich entwerfe, sollen vor allem die Filme selber zum Sprechen bringen – als historischen Beweis nicht nur für die Unbegreifbarkeit des Krieges, sondern auch für unsere ehrfurchtsvolle Faszination, unseren verzückten Schrecken. In Kriegsfilmen geht es, dafür werde ich wiederholt argumentieren, zuallererst um die Übermittlung des Krieges. Seine Reinszenierung auf der Ebene kinematographischer Repräsentation ist eine Wiederholung, die erzeugt, dass historische Realität als Narration vergangener Ereignisse rekonzeptualisiert wird, in einem Verlangen, Erlösung von ihr zu erfahren, aber auch – und das ist noch wichtiger – als eine Möglichkeit, zur Vergangenheit zurückzukehren, um diese neu zu denken. Die imaginäre Wiederaneignung geschieht vor allem auf der Ebene der Affekte, die von einem selbstreflexiven Modus ästhetischer Reformalisierung erzeugt werden. Wenn unser Zugang zum Krieg das ist, was Burgoyne unser Vermögen der historischen Reimagination nennt, dann geht es nicht nur um die sich ständig unserem Begreifen entziehende Referenz dieser Repräsentationen, sondern auch um die Emotionen und das Wissen, das diese tatsächlich vermitteln.

Dieses Buch will aufspüren, wie Hollywoods visuelles Wiederbeleben des Krieges eigene Pathosformeln entwickelt, um die unbegreifliche Intensität des Krieges zu begreifen. Das Kino repräsentiert diese unvorstellbare kollektive Realität, indem es das kulturelle Überleben unserer nationalen Geschichte der Gewalt auf zweifache Weise sichert. Die Filme, die ich für meine Untersuchung ausgewählt habe, erinnern den Krieg als formalisiertes Pathos. Indem sie sich dramatischer Visualisierungen militärischer Konflikte bedienen, die bereits zuvor genutzt wurden, um die überwältigende Erfahrung des Krieges einzufangen, an der Front und zu Hause, wird deren affektive Energie, die in ihnen gelagert ist, wieder freigesetzt. Es geht mir nicht darum zu sagen, dass kinematographische Repräsentationen historische Ereignisse verfälschen oder dass sie deren tatsächliche Auswirkungen verschleiern. Stattdessen erhebe ich viel stärker Anspruch auf den Authentizitätseffekt, der in Repräsentationen von etwas eingeschrieben ist, von dem wir wissen, dass es sich nicht repräsentieren lässt. Zu insistieren, dass wir uns immer schon im Bereich einer imaginären Umarbeitung bewegen, macht darauf aufmerksam, wie die filmischen Narrative, die Hollywood bietet, nicht nur damit in Verbindung stehen, wie wir militärischen Konflikt in der realen Welt verstehen. Ich behaupte auch, dass diese Filme ihre Wirkung durch die Emotionen erzielen, die sie mobilisieren. Indem sie frühere Pathosformeln des Krieges wiederbeleben und dabei bewusst jeglichen tatsächlich stattgefundenen militärischen Konflikt in Beziehung zu den Repräsentationen neu einfangen, die ihn bereits kulturell verbreitet haben, verneigen sie sich vor früheren Filmen. Sie wiederholen diese, oder sie verstehen sich als notwendige Interventionen, die frühere Repräsentationen korrigieren sollen. Aus beiden Fällen geht das Kino als ein Denkraum hervor, in dem das kulturelle Überleben des Krieges als ständiges Recycling seiner ästhetischen Formalisierungen nachverfolgt werden kann.

Sich die Vergangenheit anzueignen, so wie es nach meiner Lesart Hollywoods Beschäftigung mit militärischem Konflikt ständig tut, impliziert, nach der Aneignung des Wissens zu streben, das sie für uns bereithält. Selbst wenn wir Einfluss auf eine Geschichte der Gewalt nehmen, die nie verstummen wird, fesselt auch sie uns und gewinnt selbst an Einfluss, indem sie von unserer Vorstellungskraft und unserem Mitgefühl Besitz ergreift. In diesem Buch spreche ich von Gespenstern des Krieges, um zu unterstreichen, dass im Bereich ästhetischer Refiguration jedes Streben nach einem Abschließen mit der Vergangenheit beeinträchtigt wird. Sobald wir unser Vermögen aufrufen, vergangene und gegenwärtige Kriege zu reimaginieren, um sie in neuem Lichte zu betrachten, sorgen wir dafür, dass ihre Heimsuchungen andauern. Wenn die Vergangenheit wieder aufgesucht wird, dringt sie wieder in unsere Gegenwart ein. Auch wenn die visuellen Narrative des Krieges, mit denen uns Hollywood versorgt, einen kollektiven Wunsch nach Restitution artikulieren, ist Erlösung nicht in Sicht. Das Gespenst des Krieges vergisst uns nicht, egal wie sehr wir über diesen kulturellen Effekt lieber hinwegsehen würden.

1. Das offene Kapitel vom amerikanischen Bürgerkrieg

Martin Scorseses Film Gangs of New York, der zur Zeit der New Yorker Draft Riots im Jahre 1863 spielt, benutzt diesen Aufstand der amerikanischen Zivilbevölkerung als Hintergrund für sein Narrativ über die gewaltsamen Ursprünge der Stadt New York. In einer besonders ernüchternden Szene zeigt Scorsese die Ankunft einer Schar von Immigranten, die das Schiff verlassen, das sie über den Atlantik gebracht hat. Sie werden am Pier nicht nur von einem Politiker der Demokraten begrüßt, der sie als »unsere Zukunft« bezeichnet, weil er hofft, ihre Stimmen zu gewinnen, sondern auch von dem wütenden Hohn der einheimischen Arbeiter, die im Angesicht dieser neuen Welle billiger Arbeitskräfte um ihre Jobs fürchten. Auf sie warten aber auch Offiziere der Unionsarmee, die die jungen Männer aus der Menge herausgreifen und ihnen anbieten, sie sofort zu amerikanischen Staatsbürgern zu machen, um sie sogleich einberufen zu können. Die Kamera fährt entlang der Reihe Männer, die sich gerade freiwillig gemeldet haben und von denen ein jeder ein Päckchen mit seiner neuen Uniform erhält. Sie führt ihre Kreisbewegung fort und fängt eine andere Schlange aus Männern ein; diese nun sind vollständig uniformiert für den Krieg, nehmen ihre Musketen an sich und besteigen wieder ein Schiff, nun eines, das sie nach Tennessee bringen wird. Als sie auf Deck ankommen, werden die Särge derer, die bereits auf den Schlachtfeldern des Südens gefallen sind, auf den Pier hinabgelassen und somit signalisiert, was die Zukunft für diese »frisch gebackenen« Amerikaner bereithält. Während der Norden in den Süden einmarschiert, so stellt es die Schlagzeile einer Zeitung am Anfang des Filmes fest, fallen die Iren in New York ein, als wären auch sie eine Art Armee, mit der man auf heimischem Boden fertig werden muss. Eine Möglichkeit, dies zu tun, so legt es die Narration des Filmes zynisch nahe, besteht darin, sie nahtlos von der einen einmarschierenden Streitkraft zur anderen zu schieben.

1. Gangs of New York. Das Rekrutieren von Immigranten für den Krieg

In Gangs of New York sind die Demarkationslinien sogar noch komplexer gezogen. Nachdem die Verlustliste der Sechsten Armee des Potomac in Gettysburg eingetroffen ist, entfacht sich die Wut des Mobs aus Arbeitern verschiedener Ethnien an dem ersten Einberufungsgesetz in der Geschichte der Union. Ihre Gewalt richtet sich gegen die freien Schwarzen, die in der Stadt leben und die für den Krieg verantwortlich gemacht werden, der nun explizit ein Krieg gegen die Sklaverei ist. Sie richtet sich gegen die Politiker, die die Einberufung befürworten, aber auch gegen die Reichen, die sich für dreihundert Dollar von der Einberufung freikaufen können. Eingebettet in diesen nationalen politischen Kampf ist noch ein weiterer Krieg, der zwischen zwei New Yorker Banden tobt – den Einheimischen »Natives« britischer und holländischer Abstammung und den »Rabbits« irisch-katholischer Herkunft. Auch dies ist ein Bürgerkrieg, der jedoch zwischen Brüdern der Arbeiterklasse über die Frage ausgefochten wird, wem die Straßen von Five Points gehören, einem seinerzeit berüchtigten Slum in Lower Manhattan. Scorsese wählt als Genre das Melodrama, und sein Held ist Amsterdam (Leonardo DiCaprio), ein junger Mann, der vor kurzem nach Hause zurückgekehrt ist, um an dem Mann Rache zu üben, der seinen Vater, »Priest« Vallon, in einem früheren Bandenkrieg 16 Jahre zuvor getötet hatte. Die Parallelmontage imitierend, die D. W. Griffith in seinem eigenen melodramatischen Epos über den Bürgerkrieg, The Birth of a Nation (1915), perfektioniert hatte, verschweißt Scorseses Film die voneinander getrennten Schauplätze, an denen gerade zwei verschiedene Rebellionen in Bewegung gesetzt werden. Während am ersten Tag der Einberufung die Namen aus der Lostrommel gezogen werden und gewaltsame Demonstrationen gegen den Krieg ausbrechen, treffen sich die Mitglieder der Natives und der Rabbits, um die Bedingungen ihres persönlichen Kampfes festzulegen. Während der Mob am nächsten Morgen seine Waffen ergreift, um gegen einen Krieg zu protestieren, der aus seiner Sicht ein Krieg reicher Männer ist, bereiten sich Amsterdam und sein Gegner »The Butcher« auf ihren eigenen Krieg aus Rache und Vergeltung vor.

Eine Parallelmontage zeigt das Siebente Regiment durch die Straßen Manhattans marschieren, bis es einem wütenden Mob gegenübersteht, der den Befehl verweigert, sich aufzulösen, während die beiden Banden aufeinander zumarschieren, bis auch sie sich gegenüberstehen für eine Schlacht, die nichts mit dem offiziellen Bürgerkrieg zu tun hat. Für die Regierungstruppen sind die Banden ununterscheidbar von den New Yorker Rebellen, und genau in dem Moment, als die Rabbits im Begriff sind loszustürmen, eröffnet die Artillerie vom Kanonenboot Liberty und vom Panzerschiff Passaic, die am Fuße der Wall Street ankern, ihr Kanonenfeuer. Während die anderen Bandenkrieger beginnen, vor den sich nähernden Unionssoldaten zu fliehen, und ihre persönliche Fehde nahtlos unter einen nationalen Krieg subsumiert wird, der noch dazu den Schrecken moderner technologischer Kriegsführung auf ahnungslose Zivilisten entlädt, ersticht Amsterdam den Butcher in einer Geste, die plötzlich zu einem Anachronismus geworden ist: durch die Hand eines persönlichen, vollends vertrauten Feindes zu sterben. In dieser melodramatischen Narration schwört dieser edle Tod im Duell genau jene Nostalgie für eine verlorene Welt herauf, die, wie ich im Folgenden diskutieren werde, die meisten Filme über den Bürgerkrieg anstimmen. Aber wie seine Vorgänger besteht Scorsese auch darauf, dass gezeigt werden muss, dass jede exaltierte individuelle Kriegserfahrung im Kontext einer entsetzlichen Anonymität des Gemetzels geschieht. Nur dann erlangt sie die gesamte affektive Resonanz, die sie anstrebt. Wenn Amsterdam das Messer, mit dem es ihm gelungen ist, Rache zu üben, neben dem Grabstein »Priest« Vallons vergräbt, überträgt er, was eindeutig die elegische Botschaft des Filmes ist: »Mein Vater hatte mir gesagt, dass wir alle aus Blut und Leid erschaffen wurden, und dasselbe gilt auch für unsere wunderbare Stadt. Doch für uns, die wir diese furchtbaren Tage überlebt hatten, war es, als ob alles Bekannte und Vertraute gewaltsam weggefegt worden wäre. Und egal, was man unternehmen würde, um die Stadt wieder aufzubauen, es würde so sein, als ob es uns nie gegeben hätte.« Als die Kamera zurückfährt, sehen wir, dass Amsterdam den Butcher neben seinem Vater beerdigt hat, so dass die beiden Feinde im Tode vereinigt als Brüder ruhen. Noch bevor er und seine Geliebte, Jenny, aus dem Bild gegangen sind, verschwinden ihre Körper, als wären sie nie etwas anderes als gespenstische Gestalten gewesen. Die Kamera jedoch verweilt bei den verfallenen Grabsteinen der vergessenen Toten und zeigt uns die immer weiter wachsende Skyline New Yorks, bis sie enthält, was zum Zeitpunkt des Filmdrehs auch schon nicht mehr existierte: die Twin Towers.

Die gewaltsame Geburt einer Nation