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Kinder und Jugendliche von neun bis achtzehn Jahren erzählen in Gesprächen mit dem Autor aus ihrem Leben, von ihren Gedanken, Gefühlen und Wünschen. Sie sprechen über ihre Sorgen und Ängste, über Freude und Glück. Sie beantworten Fragen wie: Was möchtet ihr der Generation eurer Eltern und Großeltern sagen? Wie denkt ihr über die aktuellen Krisen? Wie seht ihr eure persönliche Zukunft? Ergänzend schildern einige Erwachsene ihre Sicht auf die Situation von Kindern und Jugendlichen. Das Buch gibt einen authentischen und bewegenden Einblick in die Lebens- und Gedankenwelt von jungen Menschen. Ihre größte Sorge gilt der Klimakrise und dem Krieg in der Ukraine. Weitere wichtige Themen sind Schule, Corona, die Nutzung der digitalen Medien, Mobbing, die eigene psychische Gesundheit und das Verhältnis zu den Eltern. Über allem schwebt das Gefühl, als Angehörige der jungen Generation nicht genügend ernst genommen zu werden.
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Seitenzahl: 197
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Oliver von Flotow war nach dem Studium der Mathematik und Informatik lange in Entwicklung und Management innerhalb der Medizintechnik tätig. Heute arbeitet er als Autor und Fotograf und engagiert sich ehrenamtlich in der Erlanger Bürgerstiftung, insbesondere im schulischen Bereich.
Hört uns endlich zu! ist nach Krieg ist immer dumm und Auszeit sein drittes Buch zu zeitgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Themen.
Der Reinerlös aus dem Verkauf dieses Buches fließt dem Oliver von Flotow Stiftungsfonds zu. Mit den Mitteln dieses innerhalb der Bürgerstiftung Erlangen errichteten Fonds werden Kinder und Jugendliche in den Bereichen Bildung, Erziehung und Gesundheit unterstützt.
„Ich denk mir manchmal, wieso Menschen, wieso die ganze Welt nicht einfach Freunde sein können.“
Elias, neun Jahre
„Du wirst von den älteren Generationen unterschätzt in deinen Fähigkeiten, deiner Art und Weise zu denken und Dinge differenziert zu sehen.“
Elena, achtzehn Jahre
Vorwort
Einführung
Das wird nichts!
Werden wir dann berühmt?
Die Neun- bis Dreizehnjährigen
Blumen oder Gras
Wenn ich traurig bin
Engerlinge und Mäuse
Einfach aufhören mit so was
Glücklich!
Ich fände gut, dass er verreckt
Schokoladeneis mit Kirsche
Frieden auf Erden
Das böse Family Link
Freundschaftsabbruch
Zu viel Vorsicht für mich
Man darf ja so viele Kinder machen, wie man will
Ich wünschte, ich hätte es nicht erlebt
Die Schildkröte und das Mitspracherecht
Ich schäme mich irgendwie
Am besten Demokratie!
Die Erwachsenen
Lebenslust und Lebensfreude
Daddeln und die Suche nach der Identität
Wenn was ist, ruf an, ich komm
Eine kurze SMS zum Geburtstag
Untergegangen
Die Vierzehn- bis Achtzehnjährigen
Konnte nicht verstehen, was passiert
Der ist eigentlich ein Der
Manche brauchen einen Schubs
Mehr Respekt!
Schlechte Eltern
War 'ne geile Zeit
Zwölf Sprachen
Der neue Karl Lagerfeld
Manchmal muss man einfach warten
Und der Vater ist sonst wo
Boah, bist du fett!
Go to hell? – Yeah, exactly!
Jeden Tag neue Scheiße
Wenn's blöd läuft, kann's jederzeit vorbei sein
Willst du hier rein, dann zeig mal deinen Geldbeutel
Man muss nicht jeden Tag Aktivist sein
Nachbetrachtungen
Dank
Anhang
Doch noch ein paar Zahlen …
Die Konvention über die Rechte des Kindes
Anmerkungen
auf schwankigen beinen
stakst sehnender wunsch
zaghaftes drängen
umklammert
den sichernden zaun
unter der schonung schwächeln die fasern
stärkt sich der wille zu wagendem sprung
gehorchen, befolgen
beschränken den tag
freies verirren
erschimmert
noch schemenhaft fern
erhellendes werden
sucht hungrig nach kraft
wachsame sinne
entnebeln
die schleiernde zeit
unter der schonung wittern die fasern
stark ist der wille, gewagt ist der sprung
Oliver von Flotow
Als Sozialforscher bemühe ich mich seit vielen Jahren, mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen ins Gespräch zu kommen, um ihnen eine öffentliche Stimme zu verleihen. Während der fast drei Jahre der Coronapandemie wurde deutlich, wie sehr die Interessen und Bedürfnisse der jungen Generation zur Seite geschoben werden, wenn es um das Wohlbefinden älterer Bevölkerungsgruppen geht. Das hat bei Jugendlichen völlig zu Recht ein tiefes Gefühl der Vernachlässigung hinterlassen.
Umso mehr freue ich mich, dass Oliver von Flotow sich ausführlich mit jungen Leuten unterhalten und ihre persönliche Lebenssituation eingefangen hat. Herausgekommen ist eine interessante und sehr lebendige Dokumentation der heutigen Lebenslage junger Leute. Es wird deutlich, in welch einer angespannten gesellschaftlichen Situation die jungen Menschen sich sehen. Für sie ist es abseits von spektakulären Aktionen oft nicht leicht, breite und nachhaltige Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Kinder und Jugendliche von neun bis achtzehn Jahren erzählen in Gesprächen mit dem Autor aus ihrem Leben, von ihren Gedanken, Gefühlen und Wünschen. Sie sprechen über ihre Sorgen und Ängste, über Freude und Glück. Sie beantworten Fragen wie: Was möchtet ihr der Generation eurer Eltern und Großeltern sagen? Wie denkt ihr über die aktuellen Krisen? Wie seht ihr eure persönliche Zukunft? Ergänzend schildern einige Erwachsene ihre Sicht auf die Situation von Kindern und Jugendlichen.
Am meisten Sorgen machen den Befragten die Klimakrise und der Ukrainekrieg. Die kompetente Nutzung der elektronischen Medien, die Nachwirkungen der Coronapandemie, Schule und Mobbing haben für sie eine große Bedeutung. Bei den 14- bis 18-Jährigen kommen Themen wie Politik, Respekt, geschlechtliche Identität und die Sicht auf die eigene Zukunft hinzu. Die persönlichen Themen insbesondere bei den Jüngeren sind das Verhältnis zu den Eltern, Freundschaften, psychische Gesundheit und die kleinen und großen Freuden und Kümmernisse des Alltags. Zwei Jugendliche aus der Ukraine erzählen vom Krieg und seinen Auswirkungen auf ihr Leben. Über allem schwebt das Gefühl, als Angehörige der jungen Generation nicht genügend ernst genommen zu werden.
Es erscheinen inzwischen glücklicherweise immer mehr wissenschaftliche Studien über die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen. Sie sind ihrem Wesen nach aber meist nüchtern und distanziert angelegt. Das Buch Hört uns endlich zu! nähert sich dem Thema von der persönlichen und emotionalen Seite und möchte damit einen weiten Leserkreis für die Anliegen junger Menschen sensibilisieren. Genau das ist Oliver von Flotow mit dieser anschaulichen und authentischen Dokumentation voll gelungen.
Klaus Hurrelmann
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann ist Senior Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin.
Dezember 2022. Noch ist keine Zeile dieses Buches geschrieben.
Ich stelle das Projekt in einer achten Klasse vor und erzähle den Schülerinnen und Schülern einer Mittelschule, was ich damit erreichen will. Dass mir ihre Meinung wichtig ist und dass ich sie darin unterstützen möchte, ihre Situation und ihre Interessen deutlich zu machen. Dass ich in Gesprächen mit ihnen erfahren möchte, was sie bewegt.
Und füge hinzu: Vielleicht haben ein paar von euch ja Lust, bei dem Buch mitzumachen.
Kurze Stille.
„Die Erwachsenen interessieren sich ja sowieso nicht für uns.“
Ein etwa 14-jähriger Junge, nennen wir ihn Niko, lehnt sich zurück und sieht mich gelangweilt-herausfordernd an. So wie: Mach dir keine Mühe, das wird nichts!
Ob er recht hat?
Zumindest war es nicht so, als ich 2017 mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen Gespräche geführt habe. Ihre Berichte über Kindheit, Flucht und Neubeginn in meinem Buch Krieg ist immer dumm sind damals auf großes Interesse gestoßen. (1) In den folgenden Jahren wurde ich immer wieder gefragt, ob ich nicht eine Fortsetzung schreiben wolle. Es wäre doch interessant, wie sich die jungen Menschen entwickelt haben und wie ihre Integration verlaufen ist.
Ja, durchaus. Aber ich suchte nach neuen Themen.
2018 begann Greta Thunberg mit ihrem Skolstrejk för klimatet.1 Unvergessen ihr Auftritt auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen im Jahr darauf. Ihr wiederholtes und eindringliches How dare you! habe ich noch gut im Ohr. (2)Fridays for Future wurde schnell zu einer weltweiten Bewegung. Wären Gespräche mit jungen Menschen über den Klimawandel das gesuchte neue Thema? Ich zögerte. Zu einseitig.
Und dann kam Corona.
Und dann – wieder zwei Jahre später – der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Aussage Krieg ist immer dumm des 2017 neunjährigen Nils war wieder ganz aktuell geworden. Erneut suchten Menschen Zuflucht bei uns. Ich lernte ukrainische Kinder kennen, erlebte sie eingeschüchtert und bedrückt, aber auch unbeschwert und lustig. Sah und spürte die Auswirkungen eines Stücks Geschichte in unmittelbarer Nähe.
Immer wieder beschäftigt mich die Frage, welchen Einfluss unser Zeitgeschehen auf die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen hat. Es erscheinen zwar regelmäßig Studien, Aufrufe und Bücher zur Situation der jungen Generation, manche von ihnen schaffen es auch vorübergehend in die Medien, aber zumindest die Studien sprechen überwiegend in Zahlen, Tabellen, Formeln und Diagrammen, bleiben ihrem Wesen entsprechend meist wissenschaftlich nüchtern und distanziert. (3) (4) (5) (6) Mit Hört uns endlich zu! möchte ich diese Distanz überbrücken und die Leserinnen und Leser emotional näher an das Leben junger Menschen heranführen. Denn sie haben uns viel zu sagen, insbesondere in einer Zeit dauerhafter und mehrfacher Krisen. Sehen Kinder und Jugendliche die Folgen von Corona ähnlich wie ihr Umfeld? (7) (8) Wie denken sie über den Klimawandel und den Ukrainekrieg?
Oder allgemein: Was beschäftigt sie, was macht sie glücklich? Was macht ihnen Sorgen, welche Hoffnungen und Pläne haben sie? Was gibt ihnen Kraft, was macht ihnen Mut?
Abseits spektakulärer Aktionen ist es für Jugendliche oft nicht leicht, die öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen. Zwar ist ihr Recht auf freie Meinungsäußerung seit 1989 in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen dokumentiert, immerhin ein Anfang, jedoch nicht ausreichend für eine breite, gelebte Praxis. (9) Hinzu kommt, dass viele Kinder ihre Rechte wahrscheinlich nur vom Namen her oder gar nicht kennen. (10) Trotz bestehender Kinder- und Jugendparlamente, einer Fülle von Initiativen und ähnlicher Formate haben junge Menschen immer noch wenig direkten Einfluss auf Entscheidungen der Politik, obwohl damit doch auch über ihre Zukunft bestimmt wird. So bleibt ihnen – wenn sie sich überhaupt für politische oder gesellschaftliche Themen interessieren – oft nur die Resignation oder der Weg auf die Straße. Auf der sich manche von ihnen festkleben.
Dieses Buch gibt Kindern und Jugendlichen eine Stimme und soll sie ermutigen, ihre Gefühle, Bedürfnisse und Interessen deutlich zu machen. Sie brauchen Aufmerksamkeit, gute Argumente – nicht selten reichen selbst diese nicht – und Durchhaltevermögen. (11) Und: Sie brauchen erwachsene Unterstützer und Mitstreiter. Engagierte Menschen, die ihnen zuhören, sie ernst nehmen, ihre Standpunkte breiter bekannt machen und sich mit demokratischen Mitteln für sie einsetzen.
Hört uns endlich zu! möchte dazu beitragen, Kinder und Jugendliche bei der Vertretung ihrer Interessen zu stärken.
Zurück in die achte Klasse. Habt ihr irgendwelche Fragen?
Als erste trauen sich die Mädchen aus der Reserve, möchten wissen, wie viele Seiten das Buch haben wird und wo man es dann kaufen kann. Was ich denn fragen werde, wie lange so ein Gespräch dauert und ob das dann alles „ins Buch kommt“.
Schließlich fragt die Lehrerin, wer sich vorstellen kann, bei dem Buchprojekt mitzumachen.
Vorsichtig recken sich einige Finger.
Niko ist auch dabei.
1 Schulstreik für das Klima.
In einer vierten Klasse. Die Klassenleiterin hat mir kurzfristig ermöglicht, das Buchvorhaben vorzustellen.
Die Kinder kennen mich aus einem anderen Projekt und sehen mich erwartungsvoll an. Ich versuche einen altersgemäßen Einstieg: Welche Jahreszeit habt ihr am liebsten? Viele Meldungen. Der Sommer liegt in Führung, gleich danach kommt der Winter. Im Sommer darf es aber nicht zu heiß sein. Weil es bei uns immer heißer wird, kommen jetzt Moskitos zu uns. Die sind gefährlich. Und die Eisbären haben immer weniger Platz am Nordpol. Weil das ganze Eis schmilzt. Das liegt daran, dass so viele Autos rumfahren und die Luft verpesten. Die Menschen müssten viel öfter mit dem Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen. Eine Schülerin weiß auch, warum sich die Atmosphäre immer weiter aufheizt: Das liegt daran, dass ein Teil von der Wärme von der Sonne nicht wieder ins Weltall zurückkann.
Also gefangen ist?
„Ja, genau!“
Dann sprechen wir über das geplante Buch und darüber, wie die Kinder mitmachen können. Darüber, dass wir uns, wenn die Lehrerin es erlaubt, vielleicht sogar während der Unterrichtszeit zusammensetzen dürfen. Ein Mädchen fragt, ob sie sich auch einen anderen Namen geben könne, das wäre dann nicht so peinlich.
Na klar, das geht.
Sie nickt zufrieden.
Die Kinder sind begeistert, dass man das Buch vielleicht in jedem Buchladen und im Internet kaufen kann, dass es vielleicht ganz viele Leute lesen. Sie sehen sich schon als Stars.
Ich versuche, die Erwartungen zu dämpfen.
Jenny und Arman, beide zehn, und Elias, neun Jahre.
Arman ist ehrlich. Er hat sich auch aus Neugier für unser Gespräch gemeldet. Jenny möchte etwas verändern, aber: „Zuerst sollen die anderen sprechen.“
Also geht es mit Elias weiter: „Mein Vater möchte wissen, was wir Kinder sagen. Ich soll es ihm erzählen, damit er versuchen kann, etwas zu ändern.“
Jetzt, Jenny, du bist dran!
„Ich möchte, dass meine Eltern – die sind herzensgute Menschen, aber sie haben halt nicht so viel Zeit für mich – deswegen möchte ich gerne, dass die das Buch lesen. Sie haben gesagt, sie lesen es auf jeden Fall, sie kaufen es, auch wenn es tausend Euro kostet. Und ich wollte halt vor allem über Krieg und Klimawandel sprechen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wäre der: NIE wieder Krieg. Weil da hat man schon sehr Angst. Arman hat es ja selbst miterlebt, das ist echt schlimm.“
Arman spricht nicht so gerne darüber. „Ich finde, Krieg ist ein sehr, sehr schlimmes Thema. Ich hab’s ja damals erlebt, aber nur so halb-halb, weil ich war drei Jahre alt, als ich von Afghanistan nach hier geflüchtet bin. Es war das Schlimmste, was ich erlebt habe. Durch den Krieg …“, er stockt, setzt neu an: „Nichts zu wissen hier, nichts zu kennen, keine Sprache damals, nur Afghanisch. Dann hab ich aber schnell Deutsch gelernt, weil ich hier im Kindergarten war. Jetzt hab ich einen Ausweis, wir alle haben einen Ausweis, Gott sei Dank, wir haben eigentlich alles, damit wir leben können. Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie alles für mich gemacht haben, dass sie mich in die Schule gebracht haben, dass sie mir, als mich jemand geprügelt hat, geholfen haben und solche Sachen.“
Jenny möchte über das Klima reden, aber Arman lässt sich nicht ablenken. „Meine Mutter war als Kind nicht einmal in einer Schule. Meine Familie wollte eigentlich nicht nach Deutschland. Sie haben nur gesagt, wir möchten nach Europa gehen, damit es uns besser geht als in Asien.“
Und jetzt bist du zufrieden?
„Ja. Aber manchmal kommt dann doch wieder eine Traurigkeit, die kommt einfach rein und ich kann’s nicht mehr loswerden.“
Möchtest du uns sagen, was dir dann wehtut?
„Dann habe ich irgendwie gar keine Lust mehr auf alles. Ich möchte dann wieder in meine Heimat gehen, ich weiß nicht, warum, es mal dort angucken. Aber ich hab echt Glück, dass ich in Deutschland lebe, ich finde es hier schön.“
Jenny fragt, wie er sich entscheiden würde, wenn er die Wahl hätte zwischen Afghanistan und Deutschland.
„Wenn da nicht Krieg wäre, dann würde ich dort hingehen. Es war damals ein ganz, ganz schönes Land, ohne Krieg und so. Aber es ist halt so schlimm geworden wegen den Taliban und alles. Also Krieg und Klima, das nervt mich. Politik, einfach nervig!“, sagt er angewidert.
Elias hat aufmerksam zugehört. Er überlegt: „Ich denk mir manchmal, wieso Menschen, wieso die ganze Welt nicht einfach Freunde sein können.“
„Ja!“, ruft Arman. „Kein Rassismus! Niemand soll getötet werden wegen seinem Aussehen, wegen seinem Verhalten, wegen dieser Religion, das ist Schrott!“
Endlich kommt Jenny zu Wort, das Klima ist ihr sehr wichtig. „Ich möchte, dass das Meer besser geschützt wird, weil so viele Schildkröten, Fische, Wale, was weiß ich, darin schwimmen. Die sterben alle nur wegen uns. Ich finde, es ist ganz wichtig, Erwachsene zu haben, denen man vertrauen kann, aber wenn dann genau diese Menschen den größten Scheiß bauen, dann ist das doch … Die Menschen sagen immer, ja, okay, wir müssen was gegen den Klimawandel machen. Aber sie machen ja nichts! Ich meine, was ändert sich denn? Warum machen sie nichts? Und wir Kinder dürfen dann alles ausbaden!“
„Ja“, stimmt Elias zu. „Ich möchte auch an dem Klimawandel etwas verändern. Dass nicht so viele Tiere aussterben.“
Jenny hat viele Ideen. Mit einer Freundin hat sie überlegt, man könnte doch für jedes größere Haus drei Bäume pflanzen. Oder „man könnte auch mal probieren, wie Tiere zu leben, ich meine, wir sind Tiere! Oder man könnte mehr Tiere züchten, aber nicht solche blöden Zuchten, wo die in kleine Käfige gesperrt sind, sondern gefälligst mal richtig große! Dann müssen sie halt ihr Scheißgeld für diese riesigen Käfige ausgeben, ist doch egal, Hauptsache die Tiere überleben! Wenn diese Politiker schon diese Massen Geld haben, was fangen die eigentlich damit an? Aus dem Fenster rausschmeißen!“
Jennys Empörung bringt Arman nicht aus der Ruhe. „Sie sollen auch Schulen bauen, damit wir eine Bildung haben.“ Und nach kurzem Nachdenken: „Da gab’s so eine Aktion, in einem Land, das habe ich in den logo!-Nachrichten gehört, da dürfen an einem Tag in der Woche nur Fahrräder fahren. Da hab ich so gestaunt, wow, was machen die da für schöne Arbeit und wir in Deutschland machen das nicht.“
„Warum kann man die Häuser nicht einfach höher bauen?“, fragt Elias, „dann würde nicht mehr so viel Fläche gebraucht.“
Die Diskussion läuft jetzt fast ohne mein Zutun, ganz so, wie ich es mir gewünscht habe. Allerdings muss ich aufpassen, bei jeder Idee nicht gleich wieder in die typische Erwachsenenrolle zu rutschen und zu allem und jedem allerlei Bedenken zu äußern.
Und noch ein Vorschlag von Jenny: „Warum kann man nicht ein Gebäude für alle machen, also ein wirklich riesiges Gebäude?“
„Weil das einstürzt“, meint Elias trocken.
„Ich hab noch eine Idee. Die Welt ist so groß und das Meer ist noch größer …“ Jenny zögert, sie ist sich wohl nicht so sicher, ob das wirklich eine gute Idee ist. „Und … ich finde, man könnte auch vielleicht unter Wasser Städte bauen, vielleicht … aber … aber nicht zu viele! Vielleicht ganz nah an der Küste, ein bisschen im Wasser, aber vielleicht nur ein ganz paar Häuser, weil sonst nehmen wir ja auch den Tieren den Platz weg.“
Elias kann mit solchen Ideen nicht so viel anfangen, er bleibt Realist: „Ich hab vor, diesen Sommer fünf Töpfe voll mit Blumen oder Gras zu bepflanzen.“
Marisol, zehn, Max, fast zehn, das ist ihm wichtig, und Ida, neun Jahre.
Wir dürfen für unser Gespräch in das Büro der Konrektorin, sie hat gerade Unterricht. Ein kleiner runder Tisch, genau richtig.
Die Kinder sehen mich gespannt an. Alle drei finden, dass sich die Erwachsenen dafür interessieren, was sie denken und fühlen – meistens. Wünscht ihr euch vielleicht noch ein bisschen mehr?
„Ja“, meint Ida. „Vielleicht auch, wenn man Schnupfen hat, dass sie eine gute Besserung wünschen und so was.“
„Also, ich wünsch mir das nicht so oft“, sagt Marisol. „Manchmal denke ich, ist ja egal. Aber manchmal finde ich es schön, wenn sie mir zum Beispiel viel Erfolg bei einer Probe wünschen.“
Und wie ist das, wenn ihr etwas erlebt habt, das euch beschäftigt, oder etwas gesehen habt, das ihr unbedingt loswerden wollt?
Max berichtet von einem Buch, das er gelesen hat. Da wollte er seiner Familie unbedingt erzählen, was darin passiert ist. „Hab ich gemacht bei meinen Eltern! Die haben sich sehr dafür interessiert!“
Die drei Kinder sind aus der Klasse, in der wir neulich bei der Vorstellung des Buchprojekts eine ganze Schulstunde über das Klima gesprochen haben. Würdet ihr eure Gedanken zum Klimawandel gerne mit noch mehr Erwachsenen teilen?
„Ja“, antwortet Ida. „Wenn man das mit jemandem teilt, dann weiß man, dass so Gedanken auch jemand anderes hat und dass jemand anderes auch einen hört.“
Wir haben neulich viel über die schmutzige Luft gesprochen. Wie ist das aber mit den Tierarten, die nicht mehr genug Platz zum Leben haben?
Ida kennt sich da gut aus. „Ich finde es schlecht, wenn irgendwelche Tiere aussterben. Wir sind doch für die verantwortlich. Zum Beispiel Wölfe. Die Jäger schießen Rehe ab, damit es nicht zu viele werden. Aber wenn sie die Wölfe nicht ausgerottet hätten, dann müssten die Jäger das gar nicht machen.“
Max findet, man sollte der Natur freien Lauf lassen, die kann das nämlich alles gut alleine regeln. Und alle drei sagen, dass es nicht gut ist, dass die Menschen immer mehr werden, weil, wie Ida hinzufügt, „die so viel Müll produzieren. Sie versuchen zwar, dass es immer weniger wird, aber trotzdem bleibt es. Und bei der Herstellung von Sachen wird CO2 in die Luft geschossen, das kann man dann nicht so einfach wieder einsammeln. Am besten fürs Klima wäre, wenn man einen Garten hat und gleich daraus die Sachen isst. Oder, was auch gut ist, wenn man im Winter keine Erdbeeren isst, weil die aus anderen Ländern importiert werden.“
„Die schmecken auch längst nicht so gut wie im Sommer“, findet Max. Er erzählt, dass alle in seiner Familie im Winter Geburtstag haben. „Auch ich. Und auf den Kuchen kommen meistens Erdbeeren drauf. Das ist nicht so gut wegen dem CO2, wenn die mit dem Flugzeug ankommen.“
Ida erzählt: „Wir schauen oft logo!, das sind so Nachrichten für Kinder. Da hab ich mal gesehen, dass im Urwald ganz viele Bäume gefällt werden und dass die das CO2 dann nicht mehr aus der Luft filtern können.“ Sie zögert einen Augenblick. „Und da hab ich auch erfahren, dass überlegt wird, ob Panzer in die Ukraine geschickt werden sollen.“
Ich erkläre den Kindern, dass man sich inzwischen für die Lieferung von Panzern entschieden hat.2 Findet ihr das gut?
„Ein bisschen nein, aber auch ein bisschen ja“, antwortet Ida. „Weil in der Ukraine, da sind ganz viele Kinder und Menschen, die brauchen Hilfe, von denen werden die Häuser zerstört, die haben teilweise keinen Strom mehr und denen muss auch irgendwie geholfen werden.“
Max wägt ab: „Das mit den Panzern hat Vorteile und Nachteile.“
Welche?
„Für die Ukraine ist es ein Vorteil, weil sie sich dann besser wehren können. Denen muss schon geholfen werden. Ein Nachteil ist, dass es immer mehr Zerstörung gibt.“
Denkt ihr viel über den Krieg in der Ukraine nach?
„Ja, manchmal“, sagen alle drei. Max ist traurig, dass es dort Krieg gibt. „Ich bin auch traurig“, sagt Ida. „Russland ist doch schon so groß, braucht das wirklich noch mehr?“
Marisol hat bisher wenig gesagt, ihr Blick ist ernst. „Also, wenn ich was machen könnte, dann würde ich gerne was machen, aber wir können ja nichts machen. Ich würde denen gerne Essen besorgen, Kleidung, etwas spenden. Meine Mutter hat einmal gespendet.“
„Mein Vater hat vor Weihnachten Geld gespendet“, erzählt Ida, „weil er hat sich gedacht, die Kinder in der Ukraine haben bestimmt kein schönes Weihnachten. Ich hab in logo! auch gesehen, da haben sie Geschenke bekommen und das wurde in den U-Bahn-Schächten gemacht, damit die Kinder auch ein bisschen Freude haben, und das finde ich sehr toll.“
Wir schweigen nachdenklich.
Dann sagt Ida: „Ich würde halt gerne irgendwie … man müsste ihn irgendwie zur Vernunft bringen. Aber wenn man mit dem Putin redet oder so, da könnte es ja sein, dass er noch wütender wird.“
„Und weitermacht“, ergänzt Marisol.
Habt ihr manchmal Sorgen, dass der Krieg noch größer wird?
„Ja“, sagt Marisol leise.
Ich versuche, sie an ein Mittel zu erinnern, das sie ganz bestimmt kennt. Was machst du, wenn du Sorgen hast? Hast du jemanden, mit dem du darüber sprechen kannst?
„Ja … manchmal.“
Würdest du gerne noch ein bisschen mehr darüber reden?
„Ja.“
Das ist auch ein Grund, warum wir hier darüber sprechen. Ihr sollt merken, dass ihr nicht allein mit euren Sorgen seid. Da sind nicht nur die Eltern, sondern da gibt es auch noch andere Erwachsene, die euch helfen. Und wenn das Buch fertig ist, kriegen ein paar Leute, die es lesen, vielleicht rote Ohren und sagen: Da müssen wir besser aufpassen und mit den Kindern mehr über solche Sachen sprechen.
Marisol findet das gut. „Also, ich denke, dass sich viele Erwachsene und auch Kinder für das Buch interessieren werden, weil es immer spannender wird, und die wollen bestimmt auch wissen, wie sich Kinder fühlen und so.“
Jetzt reden wir aber mal über Sachen, die euch trösten und fröhlich machen!
Marisol weiß gleich eine Antwort: „Also, wenn ich traurig bin, dann habe ich gerne eine Umarmung oder ich möchte was Tolles machen, was mich wieder fröhlich macht. Zum Beispiel, dass ich bei meiner Familie bin oder mit Freunden zusammen.“
„Bei mir hilft es“, sagt Ida, „wenn ich mit meiner Mutter oder anderen versuche zu klären, warum ich traurig bin. Oder wenn ich meine Katze streicheln kann. Die hört mir immer zu … außer sie hat Hunger.“