Hundertfünfzig Jahre Commerzbank 1870-2020 - Dieter Ziegler - E-Book

Hundertfünfzig Jahre Commerzbank 1870-2020 E-Book

Dieter Ziegler

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Beschreibung

150 Jahre Commerzbank: Die erste wissenschaftlich fundierte Gesamtdarstellung

Die Commerzbank, 1870 von Kaufleuten und Privatbankiers in Hamburg gegründet, widmete sich zunächst der Finanzierung des Außenhandels und der mittelständischen Wirtschaft, ehe sie im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu einer führenden, international agierenden Geschäftsbank aufstieg. Anhand vieler, zum Teil bisher unerschlossener archivalischer Quellen beschreiben Stephan Paul, Friederike Sattler und Dieter Ziegler den Weg der Bank von den Anfängen bis in die Gegenwart. Sie widmen sich dabei den Erschütterungen durch die Finanzkrisen 1931/32 und 2008/09 ebenso wie den Herausforderungen der Digitalisierung des Bankgeschäfts in jüngster Zeit: ein faszinierendes Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte.

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Seitenzahl: 1423

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STEPHAN PAULFRIEDERIKE SATTLERDIETER ZIEGLER

HUNDERTFÜNFZIGJAHRECOMMERZBANK1870 – 2020

Herausgegeben von derEugen-Gutmann-Gesellschaft e. V.

Siedler

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte dieses E-Book Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung dieses E-Books verweisen.Hinweis zu den Abbildungen im Text: Sofern nicht anders angegeben, stammen die Abbildungen aus dem Historischen Archiv der Commerzbank, Frankfurt am Main.Herausgegeben von derEugen-Gutmann-Gesellschaft e. V.www.eugen-gutmann-gesellschaft.deCopyright © 2020 Eugen-Gutmann-Gesellschaft e. V., Frankfurt am MainCopyright © 2020 Siedler Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenProjektkoordination sowie Bild- und Textredaktion: Dr. Detlef Krause und Dr. Katrin Lege, Eugen-Gutmann-Gesellschaft e. V., Frankfurt am MainLektorat: Dunja Reulein, BambergLithographie: Regg Media GmbH, MünchenUmschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, MünchenUmschlagabbildung unter Verwendung von Bild 1 – 3 (v. l.): Historisches Archiv der Commerzbank, Frankfurt am Main, und Bild 4 (v. l.): Julia Schwager, KönigsteinSatz und Tabellen: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenISBN 978-3-641-26180-1V001www.siedler-verlag.de

Inhalt

Geschäftsmodell und Governance als Leitgedanken durch 150 Jahre Geschichte

I Die Commerzbank 1870 bis 1945Entwicklung und Behauptung als Filialgroßbank

1. Der Finanzplatz Hamburg und die Gründung der Commerz- undDisconto-Bank 1870

2. Von Hamburg nach Berlin: DerWegzur kleinen Berliner Großbank (1873 bis 1914)

2.1 Eigentümerstruktur und Governance

2.2 Das Geschäftsmodell

3. Die Filialgroßbank (1914 bis 1929)

3.1 Die Commerzbank im Ersten Weltkrieg

3.2 Fusionen, Übernahmen und Filialneugründungen

3.3 Eigentümerstruktur und Governance

3.4 Die Fortentwicklung des Geschäftsmodells

4. Die Katastrophe 1931 / 32

4.1 Die Bankenkrise

4.2 Die Sanierung

5. Konsolidierung unter den Bedingungen einer Diktatur (1933bis 1939)

5.1 Eigentümerstruktur und Governance

5.2 Die Anpassung des Geschäftsmodells

5.3 Die Commerzbank und die »Arisierung«

6. Expansion auf tönernen Füßen (1938 bis 1945)

6.1 »Wer marschiert hinter dem ersten Tank?« – die Commerzbank eher nicht

6.2 »Bankenrationalisierung« und Großbankenfrage

6.3 Die Commerzbank am Abgrund

IIDie Commerzbank 1945 bis 1989:Neuanfang, Wirtschaftsboom und Internationalisierung

1. Der Neuanfang (1945 bis 1958)

1.1 Verlagerung, Entnazifizierung und Dezentralisierung

1.2 Von den Filialgruppen zu den Nachfolgeinstituten

1.3 Der Höfermann’sche Umweg: Der verzögerte Zusammenschluss von 1958

1.4 Grundzüge der Geschäftsentwicklung 1952 bis 1958

2. Wachsen mit dem »Wirtschaftswunder« (1958 bis 1973)

2.1 Eigentümerstrukturen und Corporate Governance

2.2 Kernelemente des Geschäftsmodells

2.3 Geschäftspolitik in der Praxis: Die Hinwendung zu den Kunden

2.4 Die Bank als Organisation

2.5 Grundzüge der Geschäftsentwicklung 1958 bis 1973

3. Die Ölpreiskrise von 1973 / 74 und ihre Folgen (1973 bis 1979)

3.1 Das Problem des »Recyclings« der Ölgelder

3.2 Eigentümerstrukturen und Corporate Governance

3.3 Weiterentwicklung des Geschäftsmodells

3.4 Geschäftspolitik in der Praxis: »Beratung aus einer Hand«, Euromarktorientierung und forcierte Internationalisierung

3.5 Die Bank als Organisation

3.6 Grundzüge der Geschäftsentwicklung 1973 / 74 bis 1979

4. Krise, Konsolidierung und neuer Aufbruch (1980 bis 1989)

4.1 Eigentümerstrukturen und Corporate Governance

4.2 Das Geschäftsmodell zwischen kurzfristigen Anpassungen und strategischer Neuausrichtung

4.3 Geschäftspolitik in der Praxis: Auf dem Weg zum Allfinanz-Verbund

4.4 Die Bank als Organisation

4.5 Grundzüge der Geschäftsentwicklung 1980 bis 1989

IIIDie Commerzbank 1989 bis 2019: Zwischen Expansion und Konsolidierung

1. Geografische Expansion als Erfolgsrezept? (1989 bis 1994)

1.1 Umbrüche in Europa und Deutschland als Initialzündung

1.2 Geschäftsexpansion in Ostdeutschland

1.3 Wechsel an der Spitze und Suche nach mehr Rentabilität

1.4 Filialkonsolidierung in Westdeutschland und Zentrale-Reform

1.5 Strategie der fokussierten Präsenz in West- und Osteuropa

1.6 Strategische Allianzen in Europa, Allfinanz-Kooperation im Inland

2. Expansion in das Investmentbanking als Ausweg? (1995 bis 2000)

2.1 125 Jahre Commerzbank: Jubiläum »ohne Ruhekissen«

2.2 Investmentbanking als Hoffnungsträger

2.3 Der Heimatmarkt als Sorgenkind: Erneute Reformen und Innovationen im Privatkundengeschäft

2.4 Die Commerzbank vor der Jahrtausendwende

3. Refokussierung und Expansion in der Mittelstands- und Immobilienfinanzierung als Werttreiber? (2000 bis 2006)

3.1 Governance, Shareholder-Aktivismus und gescheiterte Fusionspläne

3.2 Stabwechsel und Versuch der Krisenbekämpfung mit »CB 21«

3.3 Privatkundensäule: Ausbau des Geschäfts mit vermögenden Privatkunden und Eingliederung des Asset Managements

3.4 Firmenkundensäule: Restrukturierung und Aufbau der Mittelstandsbank

3.5 »Quantensprung« für das Geschäftsmodell: Übernahme der Eurohypo

4. Auf dem Weg zum »Nationalen Champion«? (2007 bis 2009)

4.1 Die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit

4.2 Erste Krisenbelastungen, Generationswechsel und Planspiele zur Schaffung eines »Nationalen Champions«

4.3 Entscheidung zum Kauf der Dresdner Bank vor Kulmination der Finanzmarktkrise

4.4 Verlustschocks und Teilverstaatlichung, Verschmelzung und Abschmelzung

5. Fortschritte und Rückschritte: Auf der Suche nach einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell (2010 bis 2019)

5.1 Integration im Plan, »Megakapitalerhöhung«, Belastungen aus der Staatsschuldenkrise

5.2 Paradigmenwechsel, »eine neue Bank«, »nachhaltig erfolgreich«?

5.3 »Commerzbank 4.0«, DAX-Abstieg, Fusionsdiskussion, »Commerzbank 5.0« – eigenständig in die Zukunft?

Anhang

Anmerkungen

Abkürzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Archiv- und Literaturverzeichnis

Register: Personen, Firmen, Institutionen

Autoren

Geschäftsmodell und Governance als Leitgedanken durch 150 Jahre Geschichte

Als die Commerzbank im Jahr 1995 ihr 125-jähriges Jubiläum feierte, verzichtete sie auf die Erstellung einer wissenschaftlichen Studie über ihre bisherige Geschichte und publizierte stattdessen eine Festschrift mit werbendem oder werblichem Charakter, für die sie prominente Autoren außerhalb der Bank wie den ehemaligen Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff oder den Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer gewonnen hatte. Ganz anders beging die Deutsche Bank ihr Jubiläum im gleichen Jahr, als sie eine Festschrift vorlegte, die höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügte und auch heute noch als das Standardwerk zur Geschichte einer deutschen Filialgroßbank gelten darf. Im Gegensatz dazu sind Leser, die an der Geschichte der Commerzbank interessiert sind, weiterhin auf deren Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum von Volkmar Muthesius, Hans Kurzrock und Herbert Wolf aus dem Jahr 1970 angewiesen. Ähnlich wie die Deutsche Bank-Festschrift aus dem gleichen Jahr von Fritz Seidenzahl entsprach diese Arbeit jedoch schon damals in keiner Weise wissenschaftlichen Ansprüchen.1 Sie präsentierte vielmehr eine über weite Strecken geschönte und, was die Jahre des NS-Regimes betrifft, sogar apologetische Sicht auf die ersten 100 Commerzbank-Jahre. Damit war sie aber keine Ausnahme unter den während des Kalten Krieges in Auftrag gegebenen Unternehmensfestschriften.

Das heißt allerdings nicht, dass es bisher keinerlei wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Commerzbank gegeben hat. Gerade in den letzten Jahren sind vielmehr mehrere Monografien, in erster Linie Dissertationen, erschienen, die einzelne Aspekte der Geschichte der Bank beleuchten. Zu nennen wären hier unter anderem Thomas Weihes Geschichte der Personalpolitik während der Weimarer Republik und des »Dritten Reichs«, Ingo Looses und Christoph Kreutzmüllers Studien zur Rolle der deutschen Großbanken im besetzten Polen bzw. in den besetzten Niederlanden während des Zweiten Weltkriegs und Simon Gonsers Analyse des Einstiegs der Großbanken in das Privatkundengeschäft in den späten 1950er Jahren.2 Alle genannten Studien besitzen eine breitere Perspektive, stellen aber die Geschichte der Commerzbank in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen. Anders ist das bei Detlef Krauses Dissertation, die als eine breit angelegte, gründlich recherchierte und ohne Einschränkung wissenschaftlichen Standards entsprechende Geschichte der ersten rund 50 Jahre der Commerzbank anzusehen ist. Eine ähnliche Qualität besitzt Nicolai M. Zimmermanns kürzlich abgeschlossene Dissertation über die Commerzbank und ihre Kunden in den Jahren 1924 bis 1945, die, obgleich thematisch etwas enger gefasst, gewissermaßen eine Fortsetzung von Krauses Studie darstellt.3 Insofern kann die Geschichte der Commerzbank bis zum Vorabend der Bankenkrise von 1931 als insgesamt gut und für die Jahre 1931 bis 1945 als in einigen wichtigen Aspekten weitgehend erforscht gelten. Für die Jahre seitdem sieht die Literaturlage dagegen deutlich schlechter aus. Allerdings gilt für alle drei Großbanken des ausgehenden 20. Jahrhunderts, dass dessen erste Hälfte einschließlich der NS-Zeit mittlerweile besser erforscht ist als die Jahrzehnte danach.

Als die Commerz- und Disconto-Bank im Jahr 1870 gegründet wurde, war für die Zeitgenossen kaum absehbar, dass der Ort der Gründung, die Freye und Hansestadt Hamburg, die zu diesem Zeitpunkt zwar dem Norddeutschen Bund, nicht aber dem Deutschen Zollverein angehörte, nur ein Jahr später Teil eines deutschen Nationalstaats sein würde. Entsprechend dürften sich die Gründer auch nicht vorgestellt haben, dass ihre Bank etwa 50 Jahre später über ein weite Teile dieses Reichs erfassendes Filialnetz verfügen sollte und die Zentrale, unabhängig vom juristischen Firmensitz, nach Berlin verlegt worden sein würde. Außerdem sprach 1870, aber auch 1920 nur wenig dafür, dass die Commerzbank seit 1932 nur noch eine von drei reichsweit operierenden Großbanken und seit 2009 sogar nur noch eine von zwei bundesweit tätigen deutschen Großbanken sein würde. Tatsächlich sind von den zahlreichen zwischen 1848 und 1873 in den deutschen Staaten gegründeten privaten Aktienkredit- und Notenbanken heute – abgesehen von einigen wenigen regionalen Instituten – lediglich die Deutsche Bank und die Commerzbank übrig geblieben. Auch der Aufstieg von Sparkassen und Genossenschaftsbanken, deren Geschäftsmodelle denen der privaten Aktienkreditbanken im Lauf des 20. Jahrhunderts immer ähnlicher wurden, konnte die Stellung von Deutscher Bank, Commerzbank und bis zur Wende zum 21. Jahrhundert auch der Dresdner Bank nicht ernsthaft gefährden. Demnach haben die Verantwortlichen bei der Commerzbank scheinbar alles richtig gemacht.

Wenn man genauer hinschaut, muss man allerdings ein wenig Wasser in den Jubiläumssekt gießen. Denn ihre lange Lebensdauer verdankt die Commerzbank nicht nur dem Engagement ihrer Beschäftigten und dem Geschick ihrer jeweiligen Unternehmensführungen, sondern auch der Zufall – etwa wenn zum richtigen Zeitpunkt ein geeigneter Übernahmekandidat zur Verfügung stand, um den nächsten Expansionsschritt gehen zu können – und das Glück spielten eine nicht unbeträchtliche Rolle. Neben dem Beinahezusammenbruch aufgrund der Substanzverluste nach dem Zweiten Weltkrieg und der anschließenden, am Ende aber nur vorübergehenden Zerschlagung in ein knappes Dutzend Regionalinstitute musste die Commerzbank auch zweimal in Friedenszeiten während ihrer 150 Jahre währenden Geschichte durch den Steuerzahler vor dem Untergang gerettet werden. Die Expansion der 1920er und der 2000er Jahre hatte die Commerzbank einerseits davor bewahrt, von einer größeren Konkurrentin übernommen zu werden. Andererseits waren die Fusionen mit der Mitteldeutschen Privat-Bank (1920), der Mitteldeutschen Creditbank (1929) und die weiteren in dieser Zeit erfolgten Übernahmen kleinerer Banken sowie der Erwerb der Eurohypo (2005 / 06) und die Fusion mit der Dresdner Bank (2008 / 09) mit solch hohen Risiken behaftet, dass die Bank die Wirtschafts- und Finanzkrisen der Jahre 1931 / 32 und 2008 / 09 aus eigener Kraft nicht überstanden hätte. Dank der Übernahmen im Vorfeld der Krisen war die Commerzbank »too big to fail«, sodass die Folgen einer unterbliebenen Staatsintervention sehr wahrscheinlich noch verheerender für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft und damit noch teurer für den Steuerzahler als ohnehin schon ausgefallen wären.

Es ist deshalb ein Ziel dieser Geschichte der Commerzbank, die Faktoren Geschick, Gelegenheit und Glück für den Unternehmenserfolg zu identifizieren, wobei das Geschäftsmodell und dessen Anpassung an die im Lauf der letzten 150 Jahre oft sehr radikal wechselnden Rahmenbedingungen einen Schwerpunkt der Darstellung bilden werden. Geschäftsmodelle und ihre laufenden Modifikationen fallen aber nicht vom Himmel. Es wird deshalb untersucht werden, zu welchen Zeitpunkten und mit welchen Motiven sie von wem gestaltet wurden. Insofern dient der Begriff des Geschäftsmodells in der folgenden Darstellung als analytische Strukturierungshilfe im Sinne einer Leitperspektive.

Im Mittelpunkt eines Geschäftsmodells steht die strategische Geschäftsidee zur Wertschaffung. Praktisch bedeutet dies, dass das Geschäftsmodell eine Antwort auf die Frage zu geben hat, worin die Nutzenstiftung im Angebot der Unternehmung für ihre Kunden liegt, während es gleichzeitig gewährleistet, dass die Ressourcen des Unternehmens möglichst effizient eingesetzt werden können. Dazu müssen die marktlichen Gelegenheiten zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber Konkurrenten in den Augen der Nachfrager bestimmt werden. Im vorliegenden Fall hatte sich die Commerzbank z. B. um die Wende zum 20. Jahrhundert durch die Übernahme eines Privatbankhauses in Frankfurt und Berlin Zugang zu den beiden wichtigsten Kapitalmärkten des Reichs verschafft, sodass sie ihren Kunden in Hamburg eine deutlich breitere Palette an Finanzdienstleistungen anbieten konnte als zuvor. Damit konnte sie einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den beiden wichtigsten Konkurrentinnen auf ihrem Heimatmarkt, der Deutsche Bank-Filiale Hamburg und der Norddeutschen Bank, ausgleichen, die über diesen Zugang schon seit Längerem verfügten. Der Abgrenzung von der Konkurrenz zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen diente auch der mehrfach von der Commerzbank beschworene »eigene Weg«, so beim Aufbau statt Kauf von Filialen bzw. Niederlassungen in Ostdeutschland und Osteuropa nach der Maueröffnung. Er war jedoch zugleich auch durch die vielfach stark limitierten (Kapital-)Ressourcen der Bank erzwungen.

Vor allem eine Spezialisierung kann zu einem Nettonutzenunterschied für den Kunden führen, wenn der Nachfrager aufgrund bestimmter, sonst nicht verfügbarer Qualitätsmerkmale der Leistung dieser eine bessere Preis-Nutzen-Relation als den Konkurrenzangeboten beimisst, den Anbieter als einzig relevanten ansieht und sich zumindest innerhalb bestimmter Bandbreiten des Preises binden lässt. So konnte die Spezialisierung der Commerzbank auf die Außenhandelsfinanzierung dazu führen, dass mittelständische Unternehmen, als das Exportgeschäft in den 1920er Jahren für sie eine immer größere Bedeutung gewann, von den Sparkassen und Kreditgenossenschaften abwanderten, die über die notwendige Expertise nicht verfügten, während die konkurrierenden Großbanken an dieser Kundenklientel nur wenig Interesse zeigten und an Standorten ohne größere Industriekunden nicht durch Filialen präsent waren. In dieser Tradition stand auch der Aufbau der »Mittelstandsbank« in den frühen 2000er Jahren. Hier konnte sich die Commerzbank eine beachtliche Marktposition durch die strategische Konzentration auf ein spezielles Segment des Firmenkundengeschäfts und die klare Ausrichtung der (Mitarbeiter-)Ressourcen hierauf erarbeiten.

Über Erfolg oder Misserfolg eines bestimmten Geschäftsmodells entscheidet am Ende der ökonomische Erfolg der Unternehmung, der auf unterschiedliche Art und Weise gemessen werden kann. Während früher bestimmte absolute Gewinnziele bei den meisten Unternehmensleitungen im Vordergrund standen, wird heute – und dies macht die zweite Perspektive der Wertschaffung aus – zunehmend auf Steigerungen des Unternehmenswerts geachtet. Das insoweit zentrale Element der Wertschaffung wird durch drei Faktoren beeinflusst. Aus den unternehmerischen Zielvorstellungen der Eigentümer leitet sich zunächst das jeweilige Selbstverständnis der Unternehmung ab. Bei Unternehmen in Streubesitz, wie der Commerzbank während des weitaus größten Teils ihrer Existenz, ist das nicht immer leicht zu bestimmen. Aber für die Mehrheit der zwölf Gründerfirmen des Jahres 1870 lässt sich eindeutig nachweisen, dass das vorrangige Ziel keineswegs die unmittelbare Gewinnerzielung durch Dividenden und Kurssteigerungen der Commerzbank-Aktie war, sondern der mittelbare Gewinn, der sich dadurch ergab, dass die Commerzbank bestimmte Finanzdienstleistungen anbot, auf deren Bereitstellung die im Außenhandel engagierten Gründer dringend angewiesen waren. Die »Bedarfsdeckung« ist heutzutage vollständig aus dem Zielkatalog der Commerzbank verschwunden. Das Institut und die Mitglieder seiner Leitungsgremien werden in der Öffentlichkeit vor allem anhand des Marktwerts des Hauses beurteilt. Da private Investoren eine zahlenmäßig nur noch untergeordnete Rolle spielen, hängt das Schicksal der Commerzbank davon ab, ob die institutionellen Investoren an die für die Werterzielung gewählte Strategie tatsächlich glauben.

Das Geschäftsmodell erhält seine Impulse zweitens durch externe Einflüsse in Form der Ausprägung der jeweiligen Rahmenbedingungen. Dazu können sowohl gesamtwirtschaftliche Entwicklungen als auch technische, politisch-rechtliche oder demografisch-gesellschaftliche Entwicklungen gehören. Nach der Finanzkrise musste und muss die Commerzbank Antworten auf den Dreiklang von Niedrigzinsphase, Ausbau der Regulierung und Digitalisierung finden.

Nachhaltige Unterschiede zwischen einzelnen Unternehmungen, die sich in Ergebnisdivergenzen niederschlagen, sind drittens auf die Ausstattung mit bestimmten Ressourcen zurückzuführen. Im Gegensatz zu Produktionsfaktoren im Sinne von »Commodities« (wie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Kapital usw.), zu denen alle Marktakteure in gleicher Weise Zugang haben, besitzen Ressourcen einen unternehmungsspezifischen Charakter. Als zentrale Ressource zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen wird das in einer Unternehmung versammelte Wissen angesehen. Da dieses niemals statisch ist, sondern sich nicht zuletzt durch die gewonnenen Erfahrungen pfadabhängig fortentwickelt, resultiert Überlegenheit gegenüber der Konkurrenz in erster Linie aus Wissensvorsprüngen, die dann die Identifikation von zu Innovationen führenden Handlungsmöglichkeiten erlauben. Ressourcen können ihre Wirkung für Märkte aber nur dann entfalten, wenn sie zielgerichtet aktiviert werden. Eine besonders anspruchsvolle Aufgabe der Unternehmensleitung ist es daher, Produktionsfaktoren mit unternehmenseigenen Merkmalen zu versehen. Das darf allerdings nicht zum internen Selbstzweck ohne Wettbewerbsbedeutung geschehen, sich nicht in einem l’art pour l’art erschöpfen. Vielmehr müssen die Unterschiede gegenüber Konkurrenten in marktfähigen Produkten oder Leistungen erkennbar sein, sich hierin widerspiegeln. Dazu muss die Unternehmung eine adäquate Corporate Governance besitzen, die ein Geschäftsmodell nicht nur gegen interne Widerstände durchzusetzen in der Lage ist, sondern es auch weiterzuentwickeln und veränderten Rahmenbedingungen anzupassen vermag. Ist sie unzureichend – das lehrt der Ausflug der Commerzbank in das Investmentbanking – , kann sie das Geschäftsmodell existenziell bedrohen. Die Corporate Governance ist deshalb die zweite analytische Strukturierungshilfe, an der sich die Beiträge in diesem Buch orientieren.

Die folgende Geschichte der Commerzbank wird von drei Autoren in drei Zeitabschnitten erzählt. Der Beitrag von Dieter Ziegler behandelt die erste Hälfte der 150-jährigen Geschichte der Commerzbank, wobei das Jahr 1945 natürlich nicht wegen des Jubiläums als Zäsur gewählt wurde. Der zweite Beitrag von Friederike Sattler umfasst die Jahre der Besatzung und die der »alten« Bundesrepublik, die, wie erwähnt, bankenhistorisch deutlich schlechter aufgearbeitet sind als die Jahrzehnte zuvor und deshalb relativ zum ersten Zeitabschnitt etwas ausführlicher behandelt werden. Während diese beiden Teile überwiegend auf der Grundlage der der wissenschaftlichen Öffentlichkeit frei zugänglichen Akten im Historischen Archiv der Commerzbank erarbeitet wurden, war das bei dem dritten Teil von Stephan Paul (mit Fabian Schmitz und Falk Liedtke), der die Jahre seit der Wiedervereinigung behandelt, nicht durchgehend möglich. Da sich die Commerzbank bei den Nutzungsregeln ihres Archivs mit Ausnahme der kundenbezogenen Akten an die für die öffentlichen Archive gültigen Regeln hält, waren die Akten der Commerzbank für diesen Zeitabschnitt nur teilweise einsehbar. Es waren allerdings genug, um die Entwicklungen, wie sie in der zeitgenössischen Berichterstattung dargestellt wurden, durch interne Unterlagen der Bank auf ihre Richtigkeit hin überprüfen und gelegentlich auch ergänzen oder korrigieren zu können.

1945 und die folgenden Jahre der Besatzungszeit stellen mit dem Zusammenbruch des »Dritten Reichs« und der Aufteilung des verbliebenen Reichsgebiets in vier Besatzungszonen einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Commerzbank dar. Denn die Bank stand vor einem Substanzverlust, den sie ohne fremde Hilfe nicht hätte ausgleichen können. Die Vermögensverluste waren nicht nur aufgrund der Gebietsverluste, der entschädigungslosen Enteignungen und des Bombenkriegs gewaltig, sondern auch das Engagement in der Staatsfinanzierung vor und während des Krieges trug seinen Teil dazu bei. Denn an eine Rückzahlung seitens des Staats war 1945 bis auf Weiteres nicht zu denken. Damit war die Situation für die Commerzbank noch dramatischer als nach der Bankenkrise von 1931, als das Reich in Verbindung mit der Reichsbank durch ihre Sanierungshilfen den Fortbestand der Bank hatte sichern müssen. Darüber hinaus bedrohten nach dem Zweiten Weltkrieg – wie schon 1932 / 33 – auch noch ordnungspolitische Bedenken den Fortbestand des deutschen Modells einer Universalgroßbank und damit auch der Commerzbank als Unternehmen.

Bis 1931 erscheint die Geschichte der Commerzbank dagegen wie eine anhaltende Erfolgsgeschichte. Als vergleichsweise spät gegründete Hamburger Aktienkreditbank gelang es ihr, sich auf dem Hamburger Finanzmarkt zu etablieren, ohne dass sie ihre unternehmerische Selbstständigkeit hätte gefährden müssen. Ein wichtiger Faktor dabei war eine – nach einigen Rückschlägen – personell glückliche Besetzung des Vorstands, der sich nach und nach von der Bevormundung durch den aus den Gründern der Bank bestehenden Verwaltungsrat befreien konnte. Dem Vorstand gelang es bis zur Jahrhundertwende, den Aktionsradius der Bank vorsichtig, aber konsequent regional zu erweitern, um gerade noch rechtzeitig das zum Überleben als eigenständiges Institut notwendige Standbein in Berlin zu schaffen. Während die Übernahme des Frankfurter Bankhauses Dreyfus mit seiner Berliner Niederlassung nur bedingt den erhofften Erfolg brachte, konnte sich die Commerzbank wenig später mit der Übernahme der Berliner Bank auch auf dem Berliner Finanzmarkt etablieren. Während sie sich in dieser Zeit mit weiteren Filialgründungen an anderen Plätzen noch weitgehend zurückhielt, erweiterte sie ihre Ressourcenbasis durch die Errichtung von Depositenkassen auf ihren Heimatmärkten. Die Funktion dieser Kassen bestand vor allem in der Sammlung von Einlagen eines überwiegend bürgerlichen Publikums durch ein wohnortnahes Angebot aller von dieser Klientel nachgefragten Finanzdienstleistungen.

Im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs gab die Commerzbank ihre Zurückhaltung auf und begann, Privatbankhäuser und kleinere Aktienbanken in der Provinz aufzukaufen und in Filialen oder Depositenkassen (außerhalb Hamburgs und Berlins) umzuwandeln. Eine Strategie ist dabei zunächst nur bedingt zu erkennen. Die Übernahmen erfolgten zu dieser Zeit eher nach dem Zufallsprinzip. Größere Banken waren zunächst nicht darunter, denn im Gegensatz zu den Konkurrentinnen Deutsche Bank oder Dresdner Bank reichten dafür die Ressourcen nicht aus. Dank der zu Beginn der 1920er Jahre an Fahrt aufnehmenden Inflation konnte dieses Vorgehen aber durch den gezielten Versuch ergänzt werden, in wichtigen Industrieregionen wie dem Ruhrgebiet und Sachsen durch die Übernahme bedeutenderer Banken Fuß zu fassen. Im Jahr 1920 konnte die Commerzbank mit der Übernahme der Mitteldeutschen Privat-Bank einen spektakulären Erfolg erzielen. Diese kaum kleinere Bank hatte den Zeitpunkt verpasst, um sich auf dem Berliner Finanzmarkt noch etablieren zu können, und sah sich nun durch Filialgründungen Berliner Großbanken auf ihrem Heimatmarkt existenziell bedroht.

Mit der Übernahme dieser regional bedeutenden Bank hatte sich die Commerzbank endgültig unter den Berliner Filialgroßbanken etabliert. Dabei ließ sie es aber nicht bewenden, sondern führte bis zur Stabilisierung der Währung 1923 / 24 ihren aggressiven Expansionskurs fort. Zu diesem Zeitpunkt besaß die Commerzbank das dichteste Filialnetz aller deutschen Banken, wobei dieses Netz südlich des Mains und östlich der Oder allerdings noch recht lose geknüpft war. Im Norden, im Westen und in Mitteldeutschland war die Commerzbank aber auch an zahlreichen kleineren Orten präsent, wo sie hoffen konnte, mittelständische Kunden zu erreichen, die den örtlichen Sparkassen und Genossenschaftsbanken geschäftlich entwachsen waren.

Tatsächlich war die Commerzbank von Beginn ihrer Existenz an eine Bank für den Mittelstand, den Handel und die kleinere und mittlere Industrie. Anfangs gab es dazu auch keine Alternative. Denn in Hamburg fehlten um 1870 noch größere Industriebetriebe, während der Verwaltungsrat ohnehin vor allem daran interessiert war, dass die Commerzbank ihren geschäftlichen Schwerpunkt in der Finanzierung des Überseehandels behielt, wie es von den Gründern beabsichtigt gewesen war. Als auch in Hamburg die Industrialisierung einsetzte, war ihr allerdings die Norddeutsche Bank deutlich voraus, die dank ihrer engen Verbindung zur Berliner Disconto-Gesellschaft über wesentlich mehr Ressourcen und den Zugang zum Berliner Kapitalmarkt verfügte. Der Schritt nach Berlin war insofern konsequent, aber auch dort blieb es bei der mittelständischen Kundschaft, die sie von der Berliner Bank, einer im Berliner Vergleich bestenfalls mittelgroßen Bank, ererbt hatte. Die großen Unternehmen hatten dort längst ihre Hausbankverbindung zu den vor Ort etablierten größeren Banken geknüpft. So musste sich die Commerzbank in den großen Emissionskonsortien mit der Rolle eines einfachen Mitglieds mit einer bescheidenen Quote oder gar als Unterbeteiligte begnügen.

Dieses Geschäftsmodell funktionierte aber durchaus zufriedenstellend, auch wenn es sehr personalintensiv war und Umsatz und Gewinn je Beschäftigtem deutlich hinter der Konkurrenz lagen. Allerdings wurden die größeren Berliner Banken für ihre Politik, sich weitgehend auf größere, aber vergleichsweise wenige Kunden zu beschränken, in den 1920er Jahren auch heftig kritisiert. Denn mit der Übernahme der Provinzaktienbanken durch die Berliner Großbanken waren viele kleinere Unternehmen in der Provinz von der Kreditversorgung abgeschnitten, weil die Ressourcen der Großbanken nicht ausreichten, um neben den Kreditwünschen ihrer Premiumkunden auch noch die der traditionellen Klientel der übernommenen Provinzbanken zu befriedigen. Zeitgenossen diagnostizierten deshalb in Deutschland ein Phänomen, das in Großbritannien als »Macmillan Gap« bekannt werden sollte. Wie keine andere Berliner Bank schien die Commerzbank etwas gegen diese Tendenz zu unternehmen, weshalb sie fast durchweg unter dem Radar der öffentlichen Bankenkritik blieb.

Das galt auch noch für die ersten Monate nach der akuten Bankenkrise vom Juli 1931, als Regierung und Öffentlichkeit ihr sogar zutrauten, die angeschlagene, aber deutlich größere Dresdner Bank zu übernehmen. Dabei hatte die Commerzbank nur zwei Jahre vor der Krise schon die Mitteldeutsche Creditbank übernommen, womit die beiden kleinsten unter den Berliner Großbanken näher an die Konkurrenz herangerückt waren. Im Zuge der Neuordnung des Bankwesens im Jahr 1932 übernahm sie dann auf Druck von Regierung und Reichsbank mit dem Barmer Bank-Verein die bedeutendste unter den verbliebenen Provinzialgroßbanken mit einem dichten Filialnetz in den preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen. Obwohl der Bank-Verein ein grundsätzlich gesunder Übernahmekandidat gewesen war, setzte die Fusion eine erste Sanierung voraus, wodurch das fusionierte Institut mehrheitlich in den Besitz der öffentlichen Hand geriet. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde dann sogar eine zweite Sanierung notwendig, die die Regierung jedoch geheim zu halten verstand, weil die NSDAP die Rettungsmaßnahmen der Regierung Brüning 1932 heftig kritisiert hatte und deshalb einen Ansehensverlust bei ihrer Anhängerschaft befürchten musste.

Die Großbankenkritik wurde dann von den Nationalsozialisten rassistisch überformt, sodass im Grundsatz bei der Commerzbank alles beim Alten blieb, allerdings die jüdischen Mitarbeiter, einschließlich Vorständen und Aufsichtsräten, sukzessive aus der Bank verdrängt wurden. Dabei ging die Bank äußerst pragmatisch vor, entließ auch ohne gesetzliche Verpflichtung »nichtarische« Mitarbeiter, um regimekonformes Verhalten zu demonstrieren und andere nur schwer zu ersetzende Mitarbeiter halten zu können. Überhaupt war die nationalsozialistische Machtübernahme die Stunde der Opportunisten: Fast alle Mitglieder des Vorstands traten 1933 als »Märzgefallene« der NSDAP bei, ein »Überzeugungstäter« war aber wohl keiner von ihnen. Das war auch nicht nötig, denn die Regierung gestattete 1936 die Reprivatisierung der Commerzbank, was vielleicht nicht in erster Linie, aber auch als ein Vertrauensbeweis der Regierung in das Commerzbank-Management verstanden werden kann.

Pragmatismus kennzeichnet auch die Geschäftspolitik der Commerzbank während der Diktatur. So verhielt sie sich sowohl bei der »Arisierungs«-Vermittlung als auch bei der Expansion in die vor und während des Krieges besetzten Gebiete lange Zeit sehr vorsichtig und musste wiederholt feststellen, dass ihr die forscher auftretende Konkurrenz zuvorkam. Ähnliches galt für die Beteiligung an der Finanzierung von Aufrüstung und Autarkiewirtschaft. Trotz aller Bedenken, sich nicht zu sehr von einem Schuldner abhängig zu machen, investierte sie nach einer Übergangszeit einen wachsenden Teil der ihr zufließenden Ressourcen in die kriegsvorbereitenden Maßnahmen der öffentlichen Hand; und auch bei der Expansion in die besetzten Gebiete trat sie – nach den anfänglichen Rückschlägen in Österreich und der Tschechoslowakei – in den Niederlanden und im Baltikum sehr entschieden auf und versuchte, die Chancen zu nutzen, die die Raub- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten ihr eröffnete. Mit dem Zusammenbruch des »Dritten Reichs« brach dann aber auch das deformierte Geschäftsmodell der Commerzbank zusammen.

Der Neuanfang der Commerzbank nach Kriegsende war geprägt von der alliierten Bankenpolitik, die in den westlichen Besatzungszonen zwar nicht zu einer vollständigen Zerschlagung, aber zu einer Aufgliederung der früheren Großbanken in mehrere Filialgruppen führte. Ihre Geschäftstätigkeit kam nach der Währungsreform von 1948 wieder in Gang, musste aber streng auf die einzelnen Länder beschränkt werden. Erst 1952 konnten drei rechtlich eigenständige Nachfolgeinstitute der Commerzbank etabliert werden, von denen sich die Bankverein Westdeutschland AG in Düsseldorf mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik rasch zum stärksten Institut der Commerzbank-Gruppe entwickelte. Obwohl das Kredit- und Versicherungsgewerbe noch nicht dem freien Wettbewerb ausgesetzt wurde, sondern die Zinssätze weiterhin der Regulierung unterlagen, entfaltete sich zwischen den Nachfolgeinstituten der früheren Großbanken, den Sparkassen und den Genossenschaftsbanken in den 1950er Jahren ein lebhafter Wettbewerb. Trotz ihrer relativ schlechten Startbedingungen, vor allem in Süddeutschland, gelang es den Nachfolgeinstituten der Commerzbank, sich zu behaupten und den Abstand zur Konkurrenz der beiden anderen Großbankennachfolgeinstitute bis Ende 1957 sogar zu verkleinern. Dem lag eine vergleichsweise risikofreudige Geschäftspolitik zugrunde, die um den raschen Ausbau des Kreditgeschäfts mit der prosperierenden bundesdeutschen Industrie bemüht war.

Nach dem im Herbst 1958 beschlossenen und rückwirkend zum 1. Juli 1958 vollzogenen Zusammenschluss der drei Nachfolgeinstitute zur neuen Commerzbank AG gelang ein rascher wirtschaftlicher Wiederaufstieg. Angesichts der wachsenden Konkurrenz durch die Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Realkreditinstitute, die besonders vom Sparwillen der Bevölkerung und vom allgemeinen Bauboom profitierten, konnten die drei wiederbegründeten Großbanken dem Verlust von Marktanteilen allerdings nur durch die gezielte Ausweitung ihres Privatkundengeschäfts hin zum Mengengeschäft mit breiten Kundenkreisen entgegenwirken. Für die Commerzbank ging es bei der in den 1960er Jahren in einem wahren Kraftakt vorangetriebenen Verdichtung und Erweiterung ihres Filialnetzes, bei der die Gewinnung von Marktanteilen, nicht die Frage der Rentabilität im Mittelpunkt stand, freilich nicht nur um die bessere Erreichbarkeit von privaten Kunden, sondern immer zugleich auch um die Gewinnung neuer Firmenkunden. Denn die Sparkassen hatten längst begonnen, sich ihrerseits verstärkt dem Industriefinanzierungsgeschäft zuzuwenden, vor allem im gewerblichen Mittelstand, den auch die Commerzbank als ihre traditionelle Zielgruppe fest im Visier hatte. Um die Firmenkunden bei Im- und Exportgeschäften sowie ersten ausländischen Direktinvestitionen zu unterstützen, baute die Commerzbank ferner ihre Verbindungen zu Korrespondenzbanken überall auf der Welt und ihr Netz an eigenen Auslandsstützpunkten – von Repräsentanzen über Beteiligungen und Joint Ventures bis hin zu ersten Auslandstöchtern und -filialen in London, Luxemburg und New York – zügig weiter aus. Anders als die Deutsche Bank, aber ganz ähnlich wie die Dresdner Bank trat sie dabei früh auch im eigenen Namen auf, nicht nur in Kooperation mit anderen westeuropäischen Banken. Gleichwohl schmiedete die Commerzbank mit dem französischen Crédit Lyonnais eine enge Kooperation, die zur Europartners-Gruppe ausgebaut wurde.

Auf die doppelte Expansionsstrategie der 1960er Jahre, sowohl hinsichtlich der Kundenkreise als auch des Geschäftsstellennetzes im In- und Ausland, folgte nach dem Ende der außerordentlichen Nachkriegsprosperität eine Phase der Konsolidierung im Mengengeschäft und der forcierten Internationalisierung im Firmenkundengeschäft. Gestützt auf eine Vielzahl neuer Produkte wurde das Mengengeschäft zu einem kundengruppenspezifisch ausdifferenzierten Privatkundengeschäft weiterentwickelt. Das Firmenkundengeschäft wiederum stützte sich nach der Ölpreiskrise von 1973 / 74, die das Problem des »Recyclings« der auf die internationalen Finanzmärkte strömenden Einnahmen der Öl exportierenden Länder aufwarf, zunehmend auf die nun massiv anschwellenden und weitgehend unreguliert bleibenden Euromärkte in London, Luxemburg und andernorts. Dies gilt sowohl für die Außenhandelsfinanzierungen als auch die mittel- und langfristigen Investitionskredite. Neben privaten und staatlichen Unternehmen nahmen vor allem die in Zahlungsbilanzschwierigkeiten steckenden Industrieländer Großbritannien, Frankreich und Italien sowie Schwellen- und Entwicklungsländer in Lateinamerika und Asien in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre vermehrt Eurokredite in Anspruch. Dieses lukrative Geschäft wollte sich auch die Commerzbank nicht entgehen lassen und schaltete sich deshalb im großen Stil in die Vergabe von Großkrediten und Staatsfinanzierungen über die Euromärkte ein, zunächst vor allem über ihre Tochtergesellschaft in Luxemburg und ihre Filiale in London, dann auch über eine neue Filiale in Tokio und eine neue Tochtergesellschaft in Singapur. Die Zinsänderungsrisiken gerieten angesichts der überaus liquiden Geld- und Kapitalmärkte zunehmend aus dem Blick. Erst mit dem Beginn der zweiten Ölpreiskrise im Januar 1979 nahm das Risikobewusstsein wieder zu. Doch die Versuche, die Risiken des internationalen Geschäfts durch eine Rückbesinnung auf den bundesdeutschen Mittelstand auszubalancieren, kamen zu spät, denn mit der im Herbst 1979 eingeleiteten Wende der amerikanischen Geld- und Währungspolitik zogen die kurzfristigen Zinsen an den internationalen Finanzmärkten kräftig an. Da sich die Commerzbank im langfristigen Großkreditgeschäft jedoch an relativ niedrige Festzinsen gebunden hatte, geriet sie nun in schweres Fahrwasser.

Die prinzipiell schon im Sommer 1979 erkannte Notwendigkeit zur Ertragssteigerung im klassischen Kreditgeschäft durch eine flexiblere Zinsgestaltung war nur auf längere Sicht erreichbar. Um die veritable Ertragskrise zu meistern, waren also kurzfristige Entlastungsmöglichkeiten gefragt, wozu die Kündigung problematischer Kreditlinien ebenso zählte wie der Verkauf von Beteiligungen und das Aussetzen der Dividendenzahlung an die eigenen Aktionäre. Die zeitgleich angekündigte »Strategie für die achtziger Jahre« stand im Zeichen der Rückgewinnung von Ertragskraft: Erreichen wolle man dieses Ziel durch eine nachhaltige Verbesserung der Zinsmarge im Kreditgeschäft, insbesondere durch Rückbesinnung auf die mittelständischen Firmenkunden im Inland, durch eine flexible, zunehmend auf eigene Schuldverschreibungen setzende Beschaffung von Refinanzierungsmitteln und eine Intensivierung sowohl des Provisionsgeschäfts im Wertpapier- und Auslandsbereich als auch im Eigenhandel mit Wertpapieren. Zusätzlich erschwert wurden diese Bemühungen durch die Verschuldungskrise vieler Schwellen- und Entwicklungsländer, deren Terms of Trade sich durch die Wende in der amerikanischen Geld- und Währungspolitik massiv verschlechtert hatten, sodass sie ihre Gläubigerbanken immer häufiger um den Aufschub von Zins- und Tilgungszahlungen bitten mussten. Auch die Commerzbank war mit dem Problem der wachsenden Rückstände wichtiger Schuldner befasst und musste sich an den immer neuen Umschuldungsverhandlungen beteiligen. Von politischer Seite wurden die Bemühungen zur Entschärfung der Probleme mit weiteren Liberalisierungsschritten für die Kapitalmärkte unterstützt, sodass Kredite für hoch verschuldete Länder nach und nach in handelbare Wertpapiere umgeschichtet und damit aus den Bankbilanzen herausgebracht werden konnten. Dies beförderte die Ausrichtung der Geschäftsbanken auf das Wertpapiergeschäft und stärkte ihre Bereitschaft, sich von Industriebeteiligungen zu trennen, um die Risikopuffer zu erhöhen und auch Investitionsmittel flüssig zu machen, die für die Festigung der eigenen Position im kommenden europäischen Binnenmarkt, den Einstieg in das internationale Investmentbanking und die Umsetzung der in den späten 1980er Jahren immer intensiver diskutierten Allfinanz-Strategie gebraucht wurden. Die von der eigenen Ertragskrise wie der internationalen Schuldenkrise gebeutelte Commerzbank hatte in dieser Hinsicht lange auf eine noch engere, durch wechselseitige Kapitalverflechtung untermauerte Zusammenarbeit mit dem Crédit Lyonnais gehofft, zu der es jedoch nicht kam.

Die drei Jahrzehnte seit der Wiedervereinigung waren dadurch geprägt, dass die Commerzbank mehrere Expansionsversuche in unterschiedliche Richtungen unternahm, um sich als eigenständige Großbank zu behaupten. Damit sollte vor allem das latente Hauptproblem des Konzerns kompensiert werden: das chronisch defizitäre Privatkundengeschäft. Statt einer durchgreifenden Sanierung dieses Geschäftsfelds wurden immer wieder andere »Ventile« gesucht, um die Ertragskraft der Bank zu stärken. Hierdurch wurden die bestehenden Probleme jedoch nur verschoben statt gelöst, weil man im Vergleich zum Wettbewerb meist zu spät in die betreffenden Märkte hineinging oder keine ausreichenden Ressourcen zur Erlangung nennenswerter Wettbewerbsvorteile (einschließlich Managementkompetenz) besaß. Daher folgte auf Expansion immer wieder Konsolidierung – besonders ausgeprägt nach der Finanzmarktkrise, unter der die Commerzbank in besonderer Weise litt, weil sie auf dem Höhepunkt der Krise die Dresdner Bank erworben hatte. Im darauffolgenden Jahrzehnt wurde das Geschäftsmodell zwar mehrfach modifiziert, dennoch besteht am Ende der Betrachtungsperiode Unsicherheit darüber, ob es die Grundlage bietet, dauerhaft eigenständig agieren zu können.

Gegen Ende der 1980er Jahre erschien dem Vorstand eine geografische Expansion als Erfolgsrezept. Die Bank hatte sich strategisch die Geschäftsausweitung im anstehenden europäischen Binnenmarkt auf die Fahnen geschrieben, als – unerwartet für das Management wie für die gesamte Öffentlichkeit – die Öffnung des ostdeutschen (und osteuropäischen) Markts erfolgte. Während man in Westdeutschland schon die Notwendigkeit einer Konsolidierung des Filialnetzes eingeleitet hatte, wurde nun in Ostdeutschland und Osteuropa expandiert. In Westeuropa ging man dagegen (und im Gegensatz etwa zur Deutschen Bank) den Weg der Kooperation, da die Ressourcen für eine eigenständige Erschließung der Märkte in West und Ost nicht ausreichten.

In der Mitte der 1990er Jahre wurden die Probleme im inländischen Filialgeschäft – auch aufgrund der zuvor gestarteten Expansion – immer größer, was weiter gehende Konsolidierungsschritte erforderlich machte. In dieser Situation erschien das Investmentbanking als Hoffnungsträger, da es hohe Renditen und starkes Wachstum bei geringer regulatorischer Kapitalbindung versprach. Um hier trotz ihres späten Starts rasch zu expandieren, erwarb die Commerzbank Asset-Management-Gesellschaften in den USA, Asien und Europa.

Nach der Jahrtausendwende zeigten sich jedoch schon bald die Schattenseiten dieser Expansion. Die übernommenen Investment Banks waren »an der langen Leine« gelassen statt adäquat integriert worden. Führungs- und speziell Entgeltkultur passten nicht zur traditionellen Commerzbank und erwiesen sich als signifikante Risikotreiber. Vor dem Hintergrund der entstandenen Ertragsbelastungen war die Bank zur Konsolidierung im Investmentbanking gezwungen und konzentrierte sich zudem auch geografisch wieder stärker. Es folgte zum einen eine Rückbesinnung auf das traditionelle Geschäft mit mittelständischen Unternehmen, das durch die Gründung einer eigenen organisatorischen Einheit, der »Mittelstandsbank«, forciert wurde. Zum anderen bedeutete die vollständige Übernahme der Eurohypo eine deutliche Veränderung des Geschäftsmodells, in dem das Immobilien- und das Staatsfinanzierungsgeschäft erheblich größere Bedeutung erfuhren. Die Bilanzsumme stieg um über ein Drittel, die Commerzbank wurde zweitgrößtes deutsches Kreditinstitut und fühlte sich vor Übernahmen geschützt.

Das neue Geschäftsmodell schien zunächst erfolgreich zu sein, sodass die Bank durch weitere Fusionen zu einem »Nationalen Champion« aufzusteigen hoffte, der auch von der Bundesregierung für notwendig gehalten wurde. Ein Zusammenschluss mit einer anderen deutschen (Groß-)Bank wurde als unausweichlich angesehen, um vor allem im Privatkundengeschäft eine hinreichende Größe zu erlangen. Nach Abwägung unterschiedlicher Alternativen entschied man sich schließlich für den Kauf der Dresdner Bank. Dieser wurde unter großem Zeitdruck und ganz kurz vor dem Kulminationspunkt der Finanzmarktkrise – dem Lehman-Debakel (15. September 2008) – beschlossen. Dabei nahm man einen großen Unsicherheitsbereich über die tatsächliche Lage der Dresdner Bank in Kauf. Die kurz darauf nicht nur, aber nicht zuletzt aufgrund der Krise auftretenden dramatischen Verluste brachten die Commerzbank an den Rand des Abgrunds, sodass sie zum zweiten Mal in ihrer Geschichte während Friedenszeiten auf Staatshilfe angewiesen war.

Nach der Überwindung der akuten Krise wechselten sich Fort- und Rückschritte ab. So konnte einerseits ein großer Teil der Staatshilfe zurückgezahlt werden, andererseits traten neue Belastungen durch die Staatsschuldenkrise auf. Während sich die Situation des Privatkundengeschäfts verbessert hatte, wurde die »Mittelstandsbank« aufgrund ihrer rückläufigen Erträge wieder aufgelöst. Die Digitalisierung des Instituts schritt schnell voran, sein Marktwert sank jedoch kontinuierlich, sodass die Commerzbank aus dem DAX 30 abstieg. Mit der Strategie »Commerzbank 4.0« konnte die Kundenzahl deutlich gesteigert werden, die Erträge blieben aber hinter den Zielen zurück. Von der Politik getrieben, führte man im Frühjahr 2019 Fusionsgespräche mit der Deutschen Bank, die aber schon nach einem guten Monat beendet wurden. Um nicht nur Getriebene in der nationalen und internationalen Bankenkonsolidierung zu sein, sondern Eigenständigkeit und Gestaltungskraft zu wahren, bemüht sich die Commerzbank aktuell darum, ihr Geschäftsmodell nachhaltig zukunftsfähig zu machen.

Wenn eine geschichtswissenschaftliche Arbeit publiziert wird, deren empirische Basis wesentlich auf unveröffentlichten Quellen beruht, benötigen die Autoren eine intensive Beratung einschließlich wichtiger Hinweise auf einzelne Akten oder ganze Aktenbestände für die Beantwortung bestimmter Fragestellungen. Den Archivmitarbeitern kommt deshalb in fast jedem Fall eine besondere Bedeutung zu, die den Lesern im Allgemeinen verborgen bleibt. Deshalb gilt unser sehr herzlicher Dank den Mitarbeitern des Historischen Archivs der Commerzbank sowie der Eugen-Gutmann-Gesellschaft, vor allem Frau Monika Kunzendorf, Frau Dr. Katrin Lege und Herrn Dr. Detlef Krause. Darüber hinaus danken wir allen ehemaligen und heutigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Commerzbank, die uns für Gespräche zur Verfügung standen. Unser Dank gilt aber auch dem Referatsleiter beim Bundesarchiv in Berlin, Herrn Dr. des. Nicolai M. Zimmermann, der uns nicht nur sein noch nicht veröffentlichtes Dissertationsmanuskript zur Verfügung gestellt hat, sondern auch bei der Recherche in seinem Hause behilflich war. Um »Betriebsblindheit« zu vermeiden, aber auch um einzelne Interpretationen auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen, haben sich drei ausgewiesene Spezialisten für die jeweils von den Autoren behandelten Zeitabschnitte bereit erklärt, die Manuskripte vor der Veröffentlichung kritisch zu lesen und zu kommentieren. Dafür sei Prof. Dr. Johannes Bähr (Frankfurt am Main), Prof. Dr. Christopher Kopper (Bielefeld) und Prof. Dr. Bernd Rudolph (München) ganz herzlich gedankt.

Stephan Paul

Friederike Sattler

Dieter Ziegler

November 2019

I Die Commerzbank1870 bis 1945

Entwicklung und Behauptung als Filialgroßbank

Dieter Ziegler

1. Der Finanzplatz Hamburg und die Gründung der Commerz- undDisconto-Bank 1870

Um 1870 war Hamburg der bedeutendste Überseehafen für die deutschen Staaten, aber fast während des gesamten 19. Jahrhunderts »fremdelte« die Stadt und insbesondere ihre großbürgerliche Oberschicht mit dem übrigen Deutschland. Das galt besonders für den mächtigen Nachbarn Preußen und seine agrarisch-feudale Führungsschicht. Deshalb war Hamburg ebenso wie die Hansestädte Bremen und Lübeck dem 1834 gegründeten Deutschen Zollverein nicht beigetreten. Preußen und damit auch der von ihm dominierte Zollverein betrieben zwar eine im kontinentaleuropäischen Vergleich liberale, aber keine konsequent freihändlerische Handelspolitik. Für die Stadt Hamburg, die zu diesem Zeitpunkt noch fast ausschließlich vom Handel, insbesondere vom Überseehandel lebte, war jedoch selbst ein moderater (Einfuhr-)Zollschutz eine Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Grundlage.

Auch den unter den Zollvereinsstaaten vereinbarten Münzkonventionen war Hamburg nicht beigetreten. Die Stadt hielt vielmehr an ihrer Verrechnungswährung, der Mark Banco der Hamburger (Giro-)Bank, fest. Dabei handelte es sich um eine Buchgeldwährung, die zwar auf Silber basierte, aber als Münzwährung nicht ausgeprägt wurde. Da die Eröffnung eines Kontos bei der Hamburger (Giro-)Bank an hohe Hürden (Mindesteinlagen und Mindesthöhen für einzelne Überweisungen) gebunden war, war die Hamburger Währung nur für den Groß- und Fernhandel von Bedeutung.1 Für Barzahlungen in der Stadt wurden vermutlich überwiegend (Silber-)Talermünzen der norddeutschen Zollvereinsstaaten oder zunehmend auch auf Taler lautende Banknoten genutzt. Seit 1856 war deshalb konsequenterweise auch in Hamburg der in allen norddeutschen Zollvereinsstaaten gültige Talerfuß als Landesmünzfuß anerkannt worden.2 Insofern wäre es anders als im Fall Bremens, das lange an seinem Taler als Goldwährungseinheit festgehalten hatte, für Hamburg vergleichsweise einfach gewesen, sich dem neuen Währungssystem des Zollvereins anzuschließen. Da aber nicht nur die 1619 gegründete Hamburger Bank, sondern auch die 1856 gegründeten Aktienkreditbanken, die Vereinsbank und die Norddeutsche Bank, in Mark Banco rechneten, sah die Stadt Hamburg bis zur Reichsgründung keine Veranlassung, sich von der vertrauten Währungseinheit zu trennen.

Die Kehrseite dieser Haltung war die enge Bindung an Großbritannien. Nicht von ungefähr wurde Hamburg als die »englischste Stadt« des Kontinents bezeichnet. Mit London verband Hamburg nicht nur die Außenhandelsorientierung mit ihrer konsequenten Freihandelspolitik, auch das politische System war trotz der englischen Monarchie den Vorstellungen der Hamburger näher als das preußische. Denn die politische Führungsschicht des Landes war nicht der adlige Großgrundbesitz, sondern das Großbürgertum der Londoner City, das seinen Reichtum ähnlich wie die Hamburger Oberschicht ausschließlich dem (Fern-)Handel verdankte.

Der Finanzplatz Hamburg war zum Zeitpunkt der Gründung der Commerz- und Disconto-Bank im Jahr 1870 zwar nur der viertbedeutendste im deutschsprachigen Raum, aber er war speziell. Frankfurt, Berlin und Wien verfügten jeweils über eine bedeutende Wertpapierbörse, die im Fall von Frankfurt und Wien wegen des Finanzierungsbedarfs der zum Deutschen Bund gehörenden Staaten nach den Napoleonischen Kriegen das Zentrum des jeweiligen Finanzplatzes bildete. Der Aufstieg des Finanzplatzes Berlin erfolgte etwas später, wobei die Börse ihren Aufschwung vor allem dem Handel mit Aktien der privaten, vor allem preußischen Eisenbahngesellschaften verdankte. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Berliner Börse aber auch zu einer Konkurrentin Frankfurts bei der Staatsfinanzierung, insbesondere nachdem Frankfurt 1866 von Preußen annektiert worden war. Sowohl in Frankfurt als auch etwas später in Berlin etablierten sich in den mittleren Vierteln des 19. Jahrhunderts die bedeutendsten deutschen Privatbankhäuser, die sich im Effektenhandel, dem Emissionsgeschäft, aber auch bei der Vermögensverwaltung engagierten, wie S. Bleichröder, Delbrück, Leo & Co., Robert Warschauer & Co. oder Mendelssohn & Co. in Berlin und M. A. Rothschild & Söhne, Gebr. Bethmann, Gebr. Sulzbach, B. H. Goldschmidt oder Lazard Speyer-Ellissen in Frankfurt. Nach der Jahrhundertmitte versuchten auch Aktienkreditbanken an diesen beiden Finanzplätzen Fuß zu fassen, aber die institutionellen Hürden waren hoch und die Zahl der erfolgreichen Gründungen entsprechend niedrig.

In Hamburg sah die Situation zu dieser Zeit grundlegend anders aus. Die Stadt verfügte zwar über die älteste (Waren-)Börse Deutschlands, aber erst gegen Ende des ersten Viertels des 19. Jahrhunderts nahm sie auch den Wertpapierhandel auf. Dabei dominierte der Handel mit Staatsanleihen, neben Anleihen der deutschen Staaten vor allem der skandinavischen Staaten und Russlands. Den Aktienhandel nahm die Hamburger Börse erst vergleichsweise spät auf. Folglich war ihre Bedeutung für den Finanzplatz im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts nicht mit derjenigen der Börsen in Frankfurt und Berlin vergleichbar. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begegnete die Hamburger Börse der Berliner Dominanz, ähnlich wie die Frankfurter Börse, vor allem durch Spezialisierung. Während sich die Frankfurter Börse auf US-, insbesondere Eisenbahnbonds spezialisierte, war die Hamburger Börse bei Schifffahrtsaktien und Kolonialanleihen führend.3

Die »Neue Börse« von 1841 in Hamburg, zwischen 1855 und 1880; Quelle: Handelskammer Hamburg, Hamburgensien-Sammlung.

Aufgrund der im Vergleich zu Frankfurt und Berlin untergeordneten Stellung der Börse gab es in Hamburg kaum Privatbankhäuser, deren Geschäftsschwerpunkt im Emissionsgeschäft und Effektenhandel lag. Der Finanzplatz war vielmehr durch Institute geprägt, die in Anlehnung an die Londoner City als »Merchant Banker« bezeichnet wurden. Dabei handelte es sich um Überseehandelsfirmen (»Merchants«), die auch die Außenhandelsfinanzierung in ihr Dienstleistungsangebot aufnahmen, wobei sich nicht wenige von ihnen nach und nach auf diesen jungen Geschäftszweig konzentrierten und den Warenhandel ganz aufgaben. Auch in Hamburg spielte für manche »Merchant Bankers« der Warenhandel um 1870 immer noch eine große, womöglich gar überragende Rolle, andere dagegen waren im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts auf dem Weg, sich ganz von ihm zu lösen.4 Im 20. Jahrhundert sollte sich das Bankhaus M. M. Warburg & Co. zu einer der bedeutendsten deutschen Privatbanken entwickeln und Max Warburg zu einem international hoch angesehenen »Money Doctor«5 aufsteigen. Aber um 1870 war M. M. Warburg & Co. noch eine Hamburger »Merchant Bank« unter anderen, auch wenn das Bankgeschäft dort bereits eine größere Bedeutung besaß als bei den meisten anderen Hamburger »Merchant Banks«.6

Die »Merchants Bank« waren nicht die einzige dem englischen Vorbild nachempfundene Institution des Hamburger Finanzmarkts um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Auch die erste Aktienkreditbank der Stadt, die 1856 gegründete Hamburger Vereinsbank, glich eher einer Londoner »Commercial Bank«7 als einer Universalbank, wie sie etwa zu derselben Zeit in anderen Teilen der deutschsprachigen Welt gegründet wurden. Denn das tendenziell auf längere Fristen angelegte Industriefinanzierungs- und auch das Effektengeschäft gehörten ausdrücklich nicht zum Geschäftsmodell der Vereinsbank. Die Bank wollte sich vielmehr dem kurzfristigen Kreditgeschäft, insbesondere dem Wechsel- und Warenlombard, sowie dem bargeldlosen Zahlungsverkehr widmen,8 wobei die Förderung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs als wichtiges Geschäftsfeld der Hamburger Vereinsbank vermutlich eine unmittelbare Konsequenz aus der unzureichenden Zahlungsmittelversorgung der Hamburger Wirtschaft aufgrund der fehlenden Notenbank gewesen war.

Um die Mitte der 1850er Jahre erlebte die deutsche (Industrie-)Wirtschaft einen bis dahin nie da gewesenen Aufschwung, von dem auch der (Außen-)Handelsplatz Hamburg erfasst wurde, sodass sich der Zahlungsmittelmangel hier besonders stark bemerkbar machte. Zur Erleichterung des Zahlungsverkehrs war zwar ursprünglich die Hamburger Bank gegründet worden. Aber deren Kundschaft bestand neben dem hamburgischen Staat vor allem aus den führenden Großkaufleuten der Stadt. Dem Zahlungsmittelmangel konnte sie in Anbetracht ihres sehr eng begrenzten Kundenkreises nicht abhelfen.9

Nachdem die Initiatoren für eine private Hamburger Notenbank zehn Jahre lang keinen Erfolg gehabt hatten10 und deshalb erkennen mussten, dass weitere Gesuche um eine Konzession für die Notenausgabe aussichtslos waren, gründeten sie mit der Norddeutschen Bank – die Gründung fand im gleichen Jahr wie die der Vereinsbank statt – eine zweite Aktienkreditbank ohne Notenausgaberecht.11 Ihr Geschäftsmodell unterschied sich aber insofern von demjenigen der Hamburger Vereinsbank, als sich die Norddeutsche Bank zu einer Emissionsbank für Staatsanleihen, darunter als Mitglied internationaler Konsortien auch für internationale Anleihen, insbesondere der skandinavischen Staaten, entwickelte. Das für deutsche Universalbanken typische Geschäft mit der Industriefinanzierung nahm aber auch die Norddeutsche Bank einstweilen noch nicht auf.12

Zum Zeitpunkt der Gründung des Norddeutschen Bundes existierten in Hamburg neben den »Merchant Banks« demnach drei größere Banken, wobei die Hamburger Bank nur noch ein Schattendasein fristete. Denn wie die erfolgreiche Gründung der zwei Konkurrentinnen zeigte, hatte sich die Hamburger Bank der veränderten Nachfrage nach Finanzdienstleistungen ihrer Kundschaft nicht hinreichend angepasst, wobei allerdings nur bedingt von einem Managementversagen gesprochen werden kann. Denn die Deckungsregeln im Giroverkehr ließen gar nichts anderes zu. Insofern kann es auch nicht verwundern, dass die Bank kurz nach der Reichsgründung im Zuge der Einführung der Mark als Reichsgoldwährung liquidiert wurde. Als ein Verlust wurde das Ende dieser traditionsreichen Bank zu diesem Zeitpunkt von den Hamburgern vermutlich nicht mehr betrachtet. Im Gegenteil, bereits 1872 hatte die Hamburger Handelskammer beim Senat beantragt, sich für die Errichtung einer Filiale der 1847 als Zentralnotenbank in Berlin gegründeten Preußischen Bank in der Stadt einzusetzen.13 Tatsächlich hatte sich die Preußische Bank während der Krisenwochen der Jahre 1866 und 1870 als »Lender of Last Resort« für die preußischen Banken bewährt.14 Um während der nächsten Krise ebenfalls von einer mit vergleichsweise wenig restriktiven Deckungsregeln für ihre Notenemission ausgestatteten Zentralnotenbank profitieren zu können, waren die Hamburger demnach sogar bereit, einer staatsnahen preußischen Institution die Tore der Stadt weit zu öffnen. Tatsächlich kam es aber zunächst nicht zur Errichtung einer Hamburger Filiale der Preußischen Bank. Denn nach der Reichsgründung war auch deren Zukunft in der Schwebe. Erst nachdem die Preußische Bank in die Reichsbank überführt worden war, wurde die Reichsbankhauptstelle Hamburg als Kopffiliale der Reichsbank im Gebäude der ehemaligen Hamburger Bank errichtet und der Finanzplatz damit auch an den reichsweiten und sehr leistungsfähigen Giroverkehr der Reichsbank angeschlossen.

Nachdem sowohl die Vereinsbank als auch die Norddeutsche Bank die Krisen der Jahre 1857 und 1866 leidlich überstanden hatten und sich nach Aufnahme eines eigenen Giroverkehrs auch als gegenüber der Hamburger Bank überlegene Konkurrenz etabliert hatten, setzte insbesondere die Norddeutsche Bank auf Expansion. Ende der 1860er Jahre hatte sich außerdem eine Gruppe von Berliner Privatbankhäusern zusammengefunden, um eine auf die Außenhandelsfinanzierung ausgerichtete neue Aktienbank zu gründen, die den englischen Banken ebenbürtig war.15 Denn die deutschen Banken, und das schloss die Hamburger »Merchant Banks« ein, waren nicht annähernd in der Lage, die Finanzierung des in den 1860er Jahren rasant wachsenden deutschen Außenhandels sicherzustellen. Da in Preußen seit 1848 keine Konzession für eine Aktienbank erteilt worden war, wandten sich die Initiatoren an mehrere der führenden Hamburger »Merchant Bankers«, um sie für eine Bankgründung in Hamburg zu interessieren. Da sich in der Hamburger Gruppe zahlreiche Gründer und Verwaltungsräte der Norddeutschen Bank sowie auch einige der Vereinsbank befanden, bestanden die Hamburger auf einer klaren Abgrenzung der Geschäftsfelder von Norddeutscher Bank und Vereinsbank auf der einen und der neu zu gründenden Internationalen Bank auf der anderen Seite. Eine solche Beschränkung war für die Berliner Gruppe jedoch nicht akzeptabel, und so zog sie sich wieder zurück, während die Hamburger das Projekt auf der Grundlage der Arbeitsteilung mit den etablierten Hamburger Aktienbanken weiter betrieben.

Im Gegenzug für die Selbstbeschränkung der Internationalen Bank stellte die Norddeutsche Bank Büroräume und Personal zur Verfügung und erklärte sich bereit, die Führung des Emissionskonsortiums sowie einen Anteil von 10 Prozent des Aktienkapitals zu übernehmen. Diese sehr ungewöhnlichen Zugeständnisse erfolgten sicherlich nicht in erster Linie, um den Gründern gefällig zu sein, sondern auf diese Weise konnte die Norddeutsche Bank sicherstellen, dass sich die Internationale Bank nicht zu einer Konkurrentin entwickelte, indem sie den vereinbarten Verzicht auf das reguläre Bankgeschäft in Hamburg unterlief. Insofern ist der Charakterisierung von Detlef Krause zuzustimmen, wenn er die Internationale Bank als Beteiligungsgesellschaft der Norddeutschen Bank für das Auslandsgeschäft bezeichnet. Das Aktienkapital der Internationalen Bank war mit 15 Mio. Taler (45 Mio. Mark) sehr hoch bemessen – auch wenn zunächst nur die Hälfte emittiert wurde und darauf nur 40 Prozent eingezahlt werden mussten – und sollte wohl sicherstellen, dass die Bank zur Förderung ihres einzigen Geschäftsbereichs, des Auslandsgeschäfts, Niederlassungen an mehreren Plätzen im Ausland errichten konnte. Tatsächlich erfolgte noch im Gründungsjahr 1870 die Eröffnung einer Filiale in London. Es sollte sich aber sehr schnell zeigen, dass die Vorbehalte der Berliner Gruppe berechtigt waren. Denn wegen des weitgehenden Verzichts auf das Inlandsgeschäft reüssierte die Internationale Bank nicht und wurde bereits neun Jahre nach ihrer Gründung liquidiert.16

Parallel zur Hamburger Gruppe verfolgte auch die Berliner Gruppe ihre Pläne zur Gründung einer Außenhandelsbank, nun aber nicht mehr in Hamburg, sondern in Berlin. Denn obwohl die Konzessionspflicht für Aktiengesellschaften in Preußen noch nicht aufgehoben war, waren die Chancen auf die Konzession für eine Aktienkreditbank in Berlin dank der Gründungsinitiative für die Internationale Bank deutlich gestiegen. Zum einen hatte der Norddeutsche Reichstag bereits begonnen, über die Abschaffung der Konzessionspflicht für Aktiengesellschaften zu debattieren, sodass die Verweigerung der Konzession wahrscheinlich nur eine aufschiebende und keine verhindernde Wirkung mehr gehabt hätte, und zum anderen war es der preußischen Regierung schließlich wichtig, das Feld der Außenhandelsfinanzierung nicht den Hamburgern allein zu überlassen und den aufstrebenden Finanzplatz Berlin nicht zu schwächen. Deshalb genehmigte das preußische Handelsministerium im März 1870, nur wenige Wochen nach der Gründung der Internationalen Bank in Hamburg, die geringfügig seinen Wünschen angepassten Statuten des als Deutsche Bank firmierenden Instituts in Berlin.17

Etwa zeitgleich hatte sich aber auch eine zweite Hamburger Gruppe von »Merchant Banks« zusammengefunden, deren Mitglieder kaum oder gar keine Verbindung zu den beiden bereits bestehenden Häusern hatten. Ihr Ziel war es, ein Institut zu gründen, um »den Handel durch die Zuführung von Kapitalien zu erleichtern«, indem »der Verkehr des Inlandes und die commercielle Verbindung Deutschlands mit dem Auslande« gefördert würden. Darüber hinaus sollten aber auch den »Mitgliedern der Hamburger Börse … bedeutende Geldmittel« zur Verfügung gestellt werden.18 Um dem Anspruch als Außenhandelsbank gerecht zu werden, bemühten sich die Gründer nicht nur um die Bankhäuser B. H. Goldschmidt in Frankfurt und Mendelssohn & Co. in Berlin, sondern auch um die sowohl mit Goldschmidt als auch mit dem zur Hamburger Gruppe gehörenden Bankhaus M. M. Warburg & Co. eng verbundene »Merchant Bank« N. M. Rothschild & Sons in London19 sowie um das New Yorker Bank- und Handelshaus L. E. Amsinck & Co., das Hamburger Wurzeln besaß und dessen Eigentümer wahrscheinlich ebenfalls über persönliche Beziehungen zu einzelnen Mitgliedern der Gründerinitiative für das als Commerz- und Disconto-Bank (im Folgenden: Commerzbank) firmierende Institut verfügten. Während die Rothschilds eine Beteiligung an der neuen Bank jedoch ablehnten, sagte Amsinck zu. Damit hatte die junge Bank im Gegensatz zu ihren Hamburger Konkurrentinnen eine direkte Verbindung zu dem aufstrebenden Finanzplatz jenseits des Atlantiks, auch wenn Amsinck & Co. nicht zu den führenden Häusern in New York gehörte.

Prospekt zur Zeichnung von Aktien der Commerz- und Disconto-Bank in Hamburg, Februar 1870

Von weit größerer Bedeutung als die Verbindung nach New York war zunächst jene nach Berlin, zu Mendelssohn & Co., die mit der Firma Paul Mendelssohn-Bartholdy über eine Dependance in Hamburg verfügte. Denn die Platzierungskraft von Mendelssohn war ein wichtiger Faktor für die erfolgreiche Emission der Commerzbank-Aktien. Besonders vertrauensvoll kann die Verbindung zu den Gründern der Commerzbank allerdings nicht gewesen sein. Denn die Mendelssohns hatten sich bereits an der Gründung der Norddeutschen Bank beteiligt und sollten sich noch während des Gründungsprozesses der Commerzbank auch an der Deutschen Bank beteiligen, indem die Hamburger Mendelssohn-Filiale aus Berlin angewiesen wurde, auch als Zeichnungsstelle für die Deutsche Bank-Aktien in Hamburg zu fungieren. In Berlin wusste man sehr wohl, dass die Gründer der Commerzbank sehr verärgert reagieren würden, wenn Mendelssohn fast zeitgleich Zeichnungen für die Aktien der Konkurrenzgründung entgegennehmen würde. So fragte Berlin in Hamburg nach: »Sagen Sie uns gefl., … was die Commerz- und Discontobank Collegen wohl für ein Gesicht machen würden?« Aber, so ließ man die Hamburger Filialleitung wissen: »Wenn sie (die Commerz- und Disconto-Bank-Kollegen, D. Z.) vernünftig sind, und die Sachlage erwägen, wie sie nun einmal ist und nicht geändert werden kann, so brauchen wir wohl nicht zu befürchten, von ihnen todtgeschlagen zu werden.«20

Trotz dieser Irritationen war das Ergebnis der öffentlichen Subskription ein voller Erfolg. Die zunächst aufgelegten 5 Mio. Mark Banco des insgesamt 20 Mio. Mark Banco betragenden Aktienkapitals wurde 135-fach überzeichnet. Obwohl abgesehen von der Zeichnungsliste der Gründer vom März 1870 Aktionärslisten nicht überliefert sind, kann man davon ausgehen, dass sich die Commerzbank nach ihrer Gründung weitgehend in Streubesitz befunden hat. Obwohl einzelne Gründer Aktien im Nominalwert von bis zu 2 Mio. Mark Banco zeichneten, verfügten diese Gründer anschließend deswegen über keine beherrschende Stellung, weil sie weder zum Zeitpunkt der Zeichnung noch danach beabsichtigt hatten, die zugeteilten Aktien auf Dauer zu halten. Insbesondere das Berliner Bankhaus Mendelssohn und das Frankfurter Bankhaus Goldschmidt, die jeweils Aktien im Nominalwert von 1 bzw. 2 Mio. Mark Banco gezeichnet hatten, werden dies in der Absicht getan haben, die Aktien auf ihren aufnahmefähigen Heimatmärkten zu platzieren. Ähnliches dürfte für das Hamburger Handelshaus Wm. O’Swald gelten, das seine Commerzbank-Aktien innerhalb eines Jahres bis auf einen kleinen Rest wieder verkauft hatte.21 Auch die Tatsache, dass Adolph B. H. Goldschmidt nur sieben Jahre, Albrecht Percy O’Swald nur zwei Jahre und die Repräsentanten von Mendelssohn & Co. zusammen nur vier Jahre ein Verwaltungsratsmandat bei der Commerzbank innehatten, deutet darauf hin, dass ihr Engagement nicht auf Dauer angelegt war. Bei der zweiten Hälfte des Aktienkapitals, das dem breiten Publikum zur Zeichnung angeboten worden war, war die breite Streuung allein schon durch die Überzeichnung sichergestellt, denn nur ein Bruchteil der gezeichneten Aktien konnte unter diesen Umständen auch tatsächlich zugeteilt werden.

Unter diesen Zeichnern waren auch Gründerfirmen der beiden Hamburger Konkurrentinnen, der Vereinsbank und der Norddeutschen Bank, darunter L. Behrens & Söhne, Schröder Gebr. & Co. sowie Joh. Ces. Godeffroy & Sohn, die zu den bedeutendsten »Merchant Bankern« der Stadt gehörten. Auch sie hatten nicht vor, Commerzbank-Aktien zu halten, sondern sie veräußerten die ihnen zugeteilten Aktien in einer konzertierten Aktion, um dadurch den Aktienkurs des Newcomers unter Druck zu setzen.22 Um dieses Störfeuer unbeschadet zu überstehen, konnten sich die Gründer der Commerzbank keinen Konflikt mit den Mendelssohns wegen deren Interessenahme bei der Deutschen Bank leisten. Trotz einer losen Verbindung seiner Bank zur Norddeutschen Bank missbilligte der Leiter der Hamburger Dependance Paul Mendelssohn-Bartholdy das Vorgehen gegen die Commerzbank auf das Schärfste. Gleichzeitig beruhigte er seine Berliner Verwandten, die wegen der durch den Kursverlust ausgelösten Unruhe an der Hamburger Wertpapierbörse besorgt waren, und betonte, dass ihm das Verhalten von Godeffroy und Schröder »wirklich sehr zuwieder [sic!]« sei, und empfahl, beim Verkauf der Commerzbank-Aktien weiterhin »so ruhig und sinnig wie möglich zu verfahren«.23

Obwohl Mendelssohn & Co. alle von ihnen gezeichneten Aktien platzierten und deswegen über keinen Eigenbesitz verfügten,24 war den Gründern der Commerzbank die Verbindung zu den Mendelssohns trotz des Ärgers über deren Liaison mit der Deutschen Bank so wichtig, dass sie die Seniorchefs von Mendelssohn & Co., Alexander Mendelssohn, und – nach dessen Tod 1871 – dessen Vetter Paul Mendelssohn-Bartholdy, in den Verwaltungsrat der Bank wählten. Nach dem Tod von Paul Mendelssohn-Bartholdy im Jahr 1874 wurde jedoch kein Repräsentant der Mendelssohns mehr neu gewählt, und gegen Ende der 1870er Jahre kappten die Mendelssohns sogar die geschäftliche Verbindung. Seitdem bildete die Norddeutsche Bank wieder ihre wichtigste Verbindung in Hamburg.25

2. Von Hamburg nach Berlin: DerWegzur kleinen Berliner Großbank (1873 bis 1914)

2.1 Eigentümerstruktur und Governance

Über die Eigentümerstruktur der Commerzbank ist nur wenig bekannt. Gesichert ist lediglich, dass die Gründer von Anfang an über keine Aktienmehrheit verfügten. Es kann aber als sehr wahrscheinlich angenommen werden, dass sie zunächst eine ausreichende Zahl von Aktien besaßen, um jeden Versuch, ihre Dominanz im Unternehmen über die Generalversammlungen zu beschränken, als aussichtslos erscheinen zu lassen. Im Lauf der Zeit scheint dann der Anteil der Gründer am Aktienkapital zugunsten einer immer breiteren Streuung des Aktienbesitzes deutlich zurückgegangen zu sein. Das älteste überlieferte Verzeichnis der zu einer Generalversammlung der Commerzbank erschienenen Aktionäre und Aktionärsvertreter stammt aus dem Jahr 1904 und legt eine deutliche Konzentration des Kapitalbesitzes nahe. Denn es waren nur gut 20 Personen anwesend.1

Schaut man jedoch genauer hin, erkennt man, dass solche Verzeichnisse von Aktionären und Aktionärsvertretern, die ihre Aktien für die Generalversammlung angemeldet hatten, in keiner Weise die Zusammensetzung der Aktionäre widerspiegeln. Abgesehen von der Tatsache, dass das für die Generalversammlung angemeldete Aktienkapital nur etwas mehr als 10 Prozent des Gesamtkapitals repräsentierte, war der Grund für die schwer zu ermittelnde Eigentümerstruktur das Depotstimmrecht, das es einem Aktionär erlaubt, einen Stellvertreter an seiner Stelle mit seinen Stimmrechten auszustatten. Bis zur Aktienrechtsreform 1937 war es den Banken gestattet, ihre Geschäftsbedingungen so abzufassen, dass sie diejenigen Aktien, die sie im Auftrag ihrer Kunden in ihren Depots verwahrten und für die die jeweiligen Inhaber kein Stimmrecht auszuüben gedachten, wie den Eigenbesitz für die Generalversammlung anmelden konnten. So war es theoretisch möglich, dass eine Bank ohne Eigenbesitz eine Stimmenmehrheit auf der Generalversammlung besaß. Praktisch trat dieser Fall allerdings nie ein, weil sich die Aktien jeder Aktiengesellschaft in Streubesitz auf zu viele Depots bei unterschiedlichen Banken verteilten, als dass eine Bank ohne Verbündete eine einfache Mehrheit auf sich hätte vereinigen können.

Über die Möglichkeit von Banken, dank des Depotstimmrechts Eigentümerrechte zu nutzen, auch wenn diese über keinen nennenswerten Eigenbesitz an anderen Gesellschaften verfügten, ist im Zuge der »Bankenmacht«-Diskussion fast während des gesamten 20. Jahrhunderts viel diskutiert worden. Weit weniger Aufmerksamkeit erlangte dagegen eine zweite Eigenart des Depotstimmrechts. Denn die Stimmrechtsermächtigung ermöglichte es, dass die Bankleitungen sich selbst kontrollierten. Weder das Aktiengesetz von 1884 noch das Bankdepotgesetz von 1896 untersagten es, das Stimmrecht für Bankaktien, die in den Depots der betreffenden Bank verwahrt wurden, durch »Strohmänner« ausüben zu lassen.2 Außerdem scheint es unter den großen Aktienbanken ein Gentlemen’s Agreement gegeben zu haben, dass man auf den Generalversammlungen der Konkurrentinnen die Stimmrechte, über die man aufgrund des Depotstimmrechts verfügen konnte, nicht zum Schaden der Konkurrentin einsetzte.

Natürlich war diese Entwicklung, die sich zwar deutlich vor 1904, aber auch nicht unmittelbar nach der Gründung der Commerzbank eingestellt haben dürfte, von den Gründern nicht intendiert worden. Im Gegenteil, die Gründer hatten sich an der Governance orientiert, wie sie sie in ihren als Personengesellschaften verfassten Unternehmen gewohnt waren, und die Statuten der Commerzbank entsprechend abgefasst. Dort entschieden die Eigentümer, in der Regel ein sehr kleiner Kreis von Personen, über alle wichtigen geschäftlichen Fragen. So sollte es im Prinzip auch bei der neuen Bank sein, nur dass der Kreis der Eigentümer größer war als bei den Gründerfirmen. Die zwölf Gründer sahen sich deshalb als eine Art Konsortium, das gemeinsam entschied; und das Organ, in dem das ohne konkurrierende Einflussnahme möglich war, war der Verwaltungsrat.

Zum Zeitpunkt der Gründung der Commerzbank hatte der Verwaltungsrat in fast allen Aktiengesellschaften in Deutschland noch eine andere Funktion als der spätere Aufsichtsrat. Die frühen deutschen Aktiengesellschaften waren von den Verwaltungsräten noch tatsächlich geleitet worden, die sich, ähnlich wie ein englisches Board of Directors, angestellter Manager für das Routinegeschäft bedienten. Zu Beginn der 1870er Jahre hatte sich daran nur insofern etwas geändert, als das kurz nach der Gründung von Deutscher Bank und Commerzbank erlassene Aktiengesetz des Norddeutschen Bundes dem Verwaltungsrat zwar seine Leitungskompetenz beließ. Weil aber die zuvor in Preußen gültige Konzessionspflicht für die Gründung von Aktiengesellschaften aufgehoben worden war, sollte der Verwaltungs- auch als Aufsichtsrat die zurückgenommene staatliche Aufsicht ersetzen.3

Der wichtigste Sicherungsmechanismus für die Dominanz des aus dem Gründerkreis bestehenden Verwaltungsrats war die Gewährleistung der Mehrheit auf der Generalversammlung. Offenbar waren die Gründer der Commerzbank nicht interessiert oder in der Lage, gemeinsam die Aktienmehrheit zu halten. Dennoch war es fast unmöglich, eine Mehrheit gegen sie zu organisieren. Um die theoretische Möglichkeit auszuschließen, dass ein Außenstehender versuchen könnte, eine dominante Stellung auf der Generalversammlung dadurch zu erlangen, dass er über den Kapitalmarkt größere Aktienpakete erwarb, bestimmten die Statuten, dass kein Aktionär auf der Generalversammlung mehr als zehn Stimmen abgeben durfte.4 Da jede Stimme Aktien im Nennwert von 5000 Mark Banco entsprach, machte es aus dieser Perspektive wenig Sinn, Aktien im Nennwert von mehr als 50 000 Mark Banco zu erwerben. Darüber hinaus hatten die Gründer ihre Stellung auch noch insofern abgesichert, als ihnen nach dem Statut für die Dauer von fünf Jahren unter Ausschluss anderer Aktionäre ein Verwaltungsratssitz garantiert war.5