Hurra, wir werden Unterschicht! - Peter Mersch - E-Book

Hurra, wir werden Unterschicht! E-Book

Peter Mersch

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Beschreibung

Seit einigen Jahren sind in den westlichen Industrienationen gesellschaftliche Veränderungen zu beobachten, die von einer Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und dem Herausbilden einer neuen "Unterschicht" geprägt sind. Als Ursache für diesen auch "Brasilianisierung des Westens" genannten Prozess gilt allgemein die Globalisierung unter dem neoliberalen Paradigma des freien Marktes. Peter Mersch zeigt dagegen auf, dass diese Entwicklung ganz entscheidend auch reproduktiv und damit aus sich selbst heraus erfolgt. Seit der weiblichen Emanzipation und der sie begleitenden Individualisierung haben Frauen die freie Wahl zwischen produktiven und reproduktiven Tätigkeiten. In den Industrienationen ist aber die Wirtschaft marktwirtschaftlich organisiert, die gesellschaftliche Reproduktion dagegen sozialistisch. Bei Letzterer kommt es dann zwangsläufig zur "Tragik der Allmende" und damit zum Phänomen des demographischen Wandels. Vereinbarkeitsmaßnahmen werden daran nur unwesentlich etwas ändern können. In modernen Gesellschaften vermittelt sich sozialer Erfolg ganz wesentlich über Bildung. Weil aber Frauen nun umso weniger Kinder in die Welt setzen, je gebildeter und beruflich erfolgreicher sie sind, und sich Gleichgebildete meist untereinander paaren, werden die Kompetenzen einer Generation nicht mehr ausreichend an ihre Nachkommen weitergegeben. Die Folgen: Die Generationengerechtigkeit wird verletzt, und die entwickelten Länder "brasilianisieren" sich in Richtung Entwicklungsländer. Das Fazit des Autors ist: Die Emanzipation der Frauen macht eine Angleichung der Organisation von Wirtschaft und Nachwuchsarbeit zwingend erforderlich. Der Individualisierung auf Seiten der Frauen müssen die entsprechenden Institutionalisierungen nun noch folgen. Das Buch zeigt detailliert auf, was zu tun ist.

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Inhaltsverzeichnis

Bevölkerungsschrumpfung

1.1 Deiche bauen

1.2 Der demographische Wandel

1.3 Fertilitätstheorien

1.4 Problemfall Mehrkindfamilie

1.5 Warum sich die demographische Krise verschärft

Evolution

2.1 Leben und Energie

2.2 Leben und Fortpflanzung

2.3 Die Evolutionstheorie

2.4 Paarungssysteme und sexuelle Selektion

2.5 Paarungs- versus Reproduktionserfolg

2.6 Nichtbiologische Evolutionen

2.7 Individual- versus Gruppenselektion

2.8 Die „Soziobiologie“ des Wohlfahrtstaates

2.9 Demographisch-ökonomisches Paradoxon

2.10 Gesellschaftliche Adaptionsfähigkeit

Familie

3.1 Kernfamilie

3.2 Ganzes Haus

3.3 Ernährermodell

3.4 Familienmodell bei weiblicher Emanzipation

Reproduktion

4.1 Wissensgesellschaft

4.2 Humankapital

4.3 Marktwirtschaft und Reproduktion

4.4 Staat und Unternehmen

4.5 Produktivität und Reproduktivität

4.6 Unternehmen und Reproduktion

4.7 Staat und Reproduktion

4.8 Sind Frauen heute emanzipiert?

4.9 Sind Frauen heute benachteiligt?

4.10 Reproduktion und Wirtschaftsentwicklung

4.11 Warum Mutti doch die Beste ist

4.12 Individualisierungsthese

4.13 Kollektivaufgaben

4.14 Die Tragik der Allmende

4.15 Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion

Familienpolitik

5.1 Kindergeld

5.2 Steuererleichterungen für Familien

5.3 Steuererhöhungen für Kinderlose

5.4 Vereinbarkeit von Familie und Beruf

5.5 Zukunftsvorsorge durch Kinder oder Sparen

5.6 Erziehungsgehalt

5.7 Zuwanderung

Was tun?

6.1 Nachwuchsarbeit als Kollektivaufgabe

6.2 Familienmanagerin

Bevölkerungsplanung

Literatur

Vorwort

Seit einigen Jahren sind in den entwickelten Ländern gesellschaftliche Veränderungen zu beobachten, die von einer Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse, Langzeitarbeitslosigkeit, wachsender sozialer Ungleichheit, Armutsszenarien und der Herausbildung eines abgehängten Prekariats beziehungsweise einer „Unterschicht“ charakterisiert sind.

Als Ursache dieses Prozesses, der in der Soziologie den Namen „Brasilianisierung“ trägt, und für den ein Zukunftsbild einer Gesellschaft skizziert wird, bei dem am Ende eine zahlenmäßig kleine herrschende Klasse einer großen dienenden Klasse gegenübersteht, wird meist die Globalisierung unter dem neoliberalen Paradigma des freien Marktes vermutet, wodurch es weltweit zu einer Angleichung der Arbeitskultur an die Standards der Entwicklungsländer wie etwa Brasilien komme. Gemäß dieser Auffassung hat die Brasilianisierung des Westens also primär ökonomische Ursachen.

Im Prinzip stellt man sich den Ablauf so vor: Die Globalisierung macht es leicht möglich, Arbeiten in Entwicklungsländer mit sehr niedrigen Lohnniveaus und unzureichenden Arbeitsstandards – zum Beispiel bezüglich Kinderarbeit oder Umweltschutz – zu verlegen und die Arbeitsergebnisse dann zu deutlich niedrigeren Kosten und oft auch schneller in die Abnehmerländer zu transportieren. In den entwickelten Ländern gehen hierdurch zahlreiche Arbeitsplätze verloren, was immer mehr Arbeitnehmer zu Lohnzugeständnissen und in prekäre Arbeitsverhältnisse zwingt. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Gewinner dieses Vorgangs sind die herrschenden Klassen in den beteiligten Ländern und ein wenig auch die Arbeitnehmer in den Entwicklungsländern, Verlierer die Arbeitnehmer in den entwickelten Ländern, deren Arbeitskultur sich dabei zunehmend „brasilianisiert“, und natürlich die entwickelten Staaten selbst, denen Steuern auf Arbeitseinkommen verloren gehen, während gleichzeitig die sozialstaatlichen Ausgaben steigen, so dass sie zu Abstrichen bei wohlfahrtsstaatlichen Leistungen und im Bildungssystem gezwungen sind. Die drastisch angestiegenen Gewinne der herrschenden Klassen werden dagegen zu erheblichen Anteilen in Steueroasen verschoben.

Das vorliegende Buch möchte diesen Erklärungsansatz nicht generell anzweifeln, aber doch in seiner Bedeutung etwas relativieren. Denn eine seiner Kernaussagen ist, dass die Brasilianisierung des Westens ganz entscheidend durch reproduktive Prozesse mitverursacht wird. Viele der eingangs erwähnten Erscheinungen wie die Herausbildung eines abgehängten Prekariats beziehungsweise einer „Unterschicht“ lassen sich nämlich – wie im Laufe des Buches gezeigt wird – nicht nur als Folge eines aus dem Ruder gelaufenen freien globalen Marktes, sondern vor allem eines fortgesetzten negativen Zusammenhangs zwischen Kinderzahl und sozialer Position beziehungsweise Bildungsniveau interpretieren1.

Der von verschiedenen Autoren prognostizierte Zerfall der Bürgergesellschaft in den entwickelten Ländern würde gemäß den hier vorgetragenen Thesen somit auch und gerade von innen heraus stattfinden. Und für diese Behauptung wird im Laufe des Buches eine Fülle an Belegen vorgetragen.

Das erste Kapitel Bevölkerungsschrumpfung beschäftigt sich mit dem Phänomen des demographischen Wandels, für den insbesondere die folgenden Erscheinungen charakteristisch sind:

Es werden weniger Kinder in die Welt gesetzt, als für eine zahlenmäßige Bestandserhaltung der Bevölkerung erforderlich wären.

Der Geburtenrückgang ist in erster Linie auf das Verschwinden von kinderreichen Familien und weniger auf die Zunahme der Kinderlosigkeit zurückzuführen.

Gebildete beziehungsweise sozial erfolgreiche Bevölkerungskreise setzen im Durchschnitt deutlich weniger Kinder in die Welt als sozial schwache und bildungsferne Schichten

2

.

Alle drei Phänomene können gemäß der ökonomischen Fertilitätstheorie (und einigen alternativen Ansätzen) wesentlich auf die im Rahmen der weiblichen Emanzipation drastisch angestiegenen biographischen und ökonomischen Opportunitätskosten von Kindern für Frauen zurückgeführt werden. In patriarchalischen Gesellschaften, in denen die Rolle der Frauen meist von vornherein festliegt, bestehen entsprechende Hindernisse dagegen nicht.

Empirische Studien deuten an, dass ein negativer Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kinderzahl für Männer zurzeit noch weniger ausgeprägt ist als für Frauen, allerdings dürfte für sie im Rahmen der zunehmenden Bildungshomogamie bei Paaren3 eine sukzessive Angleichung hin zu den aktuell bei den Frauen vorfindbaren Verhältnissen stattfinden.

Im Kapitel Evolution werden zunächst die evolutionstheoretischen Grundlagen vermittelt und die Prinzipien „Variation“, „Selektion“ und „Vererbung“ erläutert. Es wird gezeigt, dass das Evolutionsprinzip ein von jeder Absichtlichkeit oder höherer Zweckmäßigkeit freies Optimierungsverfahren ist, welches es Populationen erlaubt, ihre fortlaufende Anpassung an sich gleichfalls verändernde Umgebungen sicherzustellen. Erst durch die natürliche Selektion erhält die Evolution so etwas wie eine Richtung.

Generationengerechtigkeit bedeutet, dass die heutige Generation der nächsten Generation die Möglichkeit gibt, sich ihre Bedürfnisse mindestens im gleichen Ausmaß wie die heutige Generation zu erfüllen. Dazu muss sie aber insbesondere alle Merkmale, die ihr im Leben behilflich waren, an die nächste Generation weitergeben, denn dann dürften die Nachkommen im Schnitt gleich gut oder sogar besser als ihre Eltern an diejenige Umwelt angepasst sein, in der die Selektion stattfand.

Die Kompetenzen der nächsten Generation werden in erster Linie durch diejenigen der vorangegangenen Generation bestimmt, die tatsächlich Eltern sind. Aus Sicht der nächsten Generation kommt es deshalb vor allem darauf an, dass die Gesamtheit ihrer Eltern im Durchschnitt möglichst kompetent ist. In modernen Gesellschaften verfügt aber üblicherweise die Teilmenge der Eltern innerhalb einer Generation über durchschnittlich geringere Kompetenzen als die gesamte Generation, denn der Anteil der Kinderlosen steigt mit dem Bildungsniveau und das durchschnittliche Bildungsniveau von Eltern fällt mit der Zahl ihrer Kinder.

Der nächsten Generation einer etwa vom Fischfang lebenden Population dürfte es letztendlich ziemlich egal sein, ob sie ausstirbt, weil ihr See längst leergefischt ist, dessen Wasser verseucht wurde, sie zahlenmäßig zu klein ist, um die schweren Fischerboote zu bewegen, oder sie nicht die geistigen Kompetenzen besitzt, um unter den gegebenen Verhältnissen Fische zu fangen.

Ein erstes wesentliches Resultat des vorliegenden Buches ist folglich: Die natürliche Selektion ist ein Verfahren, mit der die Natur Generationengerechtigkeit implementiert4. Verletzt eine Population mit ihrem Reproduktionsverhalten das Prinzip der natürlichen Selektion, dann verletzt sie auch das Prinzip der Generationengerechtigkeit: Die Populationsentwicklung ist dann nicht länger nachhaltig.

Das Evolutionskapitel beschäftigt sich weiter mit der sexuellen Selektion, die neben der natürlichen Selektion für die Evolution von großer Bedeutung ist, und bei der es darum geht, dem anderen Geschlecht im Vorfeld der Paarung Erfolgsmerkmale zu signalisieren und geeignete Partner zu wählen.

Für menschliche Kulturen lässt sich nun aber weltweit beobachten, dass Frauen bei der Partnerwahl eher erfolgreiche und wohlhabende Männer, Männer dagegen eher hübsche und jüngere (und damit fruchtbare) Frauen bevorzugen. Das menschliche Paarungsverhalten bestand offenbar zu allen Zeiten darin, dass Männer um sozialen und beruflichen Erfolg konkurrierten, wodurch sich ihre Chancen bei den wohlgeratensten und gesellschaftlich angesehensten Frauen erhöhten. Ein wohlhabenderer Mann konnte anschließend eine größere Zahl an Nachkommen ernähren. Der Selektionsmechanismus menschlicher Gesellschaften orientierte sich somit zu allen Zeiten am sozialen Erfolg, wie es gemäß der Evolutionstheorie auch zu erwarten ist.

In modernen bildungsdurchlässigen Gesellschaften korreliert ein späterer beruflicher Erfolg sehr stark mit dem erreichten Bildungsniveau. Bildung ist nun das höchste Gut und zum entscheidenden Kriterium für den sozialen Erfolg geworden.

Doch gleichzeitig zeigen sich eine Reihe neuer Phänomene:

In Folge des allgemeinen Einsatzes leistungsfähiger Kontrazeptiva ist Paarungserfolg nicht länger gleichzusetzen mit Reproduktionserfolg. Beispielsweise haben erfolgreiche Männer zwar auch heute noch häufiger Sex und mehr Sexualpartnerinnen als weniger erfolgreiche Männer, keineswegs aber mehr Kinder.

Im Rahmen der Gleichberechtigung der Geschlechter scheint sich ein „gleiches oder ähnliches Bildungsniveau“ als ein entscheidendes sexuelles Selektionskriterium herauszukristallisieren, wie aus der zunehmenden Bildungshomogamie bei Paaren auszulesen ist.

Auch in modernen Gesellschaften orientiert sich der Selektionsmechanismus somit noch immer am sozialen Erfolg, jetzt aber ganz entscheidend über den Bildungserfolg vermittelt.

Im Kapitel Bevölkerungsschrumpfung wurde nun aber für moderne, „gleichberechtigte“ Gesellschaften ein negativer Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kinderzahl festgestellt, welcher wesentlich auf die in Folge der beruflichen weiblichen Emanzipation deutlich angestiegenen Opportunitätskosten von Kindern für Frauen zurückgeführt werden konnte.

Verstärkt wird dieser Effekt durch die Aufhebung einer biologisch bedingten Asymmetrie zwischen den Geschlechtern: Ein Mann kann seine Erfolgsmerkmale im Prinzip an umso mehr Nachkommen weitergeben, je beruflich erfolgreicher er ist und umso mehr Geld er verdient, bei einer Frau dürfte es bereits aus biologischen Gründen genau umgekehrt sein. Paaren sich in „gleichberechtigten“ Gesellschaften in erster Linie Frauen und Männer mit gleichem oder ähnlichem Bildungsniveau, dann können Erfolgsmerkmale nicht mehr in ausreichendem Umfang an die nächste Generation weitergegeben werden, da die Frauen nun der Engpass sind.

Mit anderen Worten: Solche Gesellschaften verletzen trotz aller Erfolgsorientierung das Kriterium der natürlichen Selektion und damit auch das Prinzip der Generationengerechtigkeit. Sie dürften auf lange Sicht ihre Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde Umgebungen und Anforderungen (zum Beispiel Globalisierung, Wissensgesellschaft) verlieren.

Ein zweites Resultat des vorliegenden Buches ist deshalb: Die berufsorientierte weibliche Emanzipation hat massiv in den seit mehreren Millionen Jahren etablierten und der Anpassung an eine sich wandelnde Umwelt dienenden empfindlichen sexuellen Selektionsmechanismus der biologischen Art Mensch eingegriffen und ihn in seiner Wirkungsweise zerstört.

Im Rahmen der weiteren Ausführungen wird darauf hingewiesen, dass praktisch alle gesellschaftlichen Veränderungen und Maßnahmen das Potenzial besitzen, in den reproduktiven Selektionsmechanismus einzugreifen. Je nachdem, ob die Richtung der Veränderung dabei die natürliche Selektion unterstützt oder eher ins Gegenteil verkehrt, wird die Maßnahme – übliche Tabuisierungen ignorierend – als eugenisch oder dysgenisch bezeichnet. Eugenische Maßnahmen wirken sich folglich positiv auf die Generationengerechtigkeit aus, dysgenische Maßnahmen dagegen negativ.

Im Kapitel Familienpolitik werden verschiedene familienpolitische oder sonstige gesellschaftliche Maßnahmen auf eugenische beziehungsweise dysgenische Effekte hin untersucht. Dabei zeigt sich, dass unter anderem Kindergelderhöhung, Erziehungsgehalt, bedingungsloses Grundeinkommen und Zuwanderung allesamt vorwiegend dysgenische Wirkungen haben dürften, Steuersenkungen für Familien, Steuererhöhungen für Kinderlose und eventuell auch Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dagegen eher eugenische.

Die Begriffseinteilung ist aber zusätzlich noch in der Lage, einen Beitrag zu einer grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Problemstellung mit enormen ethischen Implikationen zu liefern: Wo sollte der Wohlfahrtsstaat helfend eingreifen, und wo sollte er sich tunlichst zurückhalten?

Die Ergebnisse des vorliegenden Buches lassen eigentlich nur einen Schluss zu: Es ist absolut sinnvoll und ethisch sogar geboten, Menschen in Not zu helfen, und sie nach Möglichkeit in die Lage zu versetzen, sich und ihre Nachkommen aus einem selbst erwirtschafteten Einkommen zu unterhalten. Konkret: Einen Behinderten als wertlos aus der Gesellschaft auszurangieren, ist Sozialdarwinismus der finstersten Sorte, ihm zu helfen, ein eigenständiges Leben in Würde zu führen, dagegen human und erstrebenswert.

Auf der anderen Seite verletzen wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen, die eine einseitige Erhöhung der Geburtenziffern in sozial schwachen und bildungsfernen Schichten zur Folge haben, die Generationengerechtigkeit. Bei gesellschaftlichen Verhältnissen, die es als normal ansehen, wenn arbeitslose und schlecht ausgebildete Paare unter Sozialhilfebedingungen fünf oder mehr Kinder in die Welt setzen, während Paare mit hoher Bildung zu Kinderlosigkeit tendieren beziehungsweise dazu regelrecht verdammt sind, dürfte es sich deshalb um Menschenrechtsverletzungen handeln.

Üblicherweise werden gegen die hier vorgetragenen evolutionstheoretischen Überlegungen Einwände erhoben, hinter denen eine Theorie steckt, die in unserer Gesellschaft auf breiteste Akzeptanz stößt, ohne je offen ausgesprochen zu werden. Und diese Theorie lautet in etwa wie folgt:

Menschen kommen als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Menschliche Säuglinge sind folglich zunächst einmal alle gleich. Mit entsprechenden Bildungsmaßnahmen und Förderprogrammen können sie dann zu beliebiger Kompetenz geführt werden. Die Weitergabe menschlicher Kompetenzen erfolgt also nicht über Gene, sondern über kulturelle Mechanismen. Das gilt im Wesentlichen auch für die beiden Geschlechter. So kommt man nicht als Frau zur Welt, sondern wird dazu gemacht. Sind zu einem späteren Zeitpunkt intellektuelle Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen feststellbar, dann ist das in erster Linie die Folge einer unterschiedlichen Sozialisation.

Es ist somit egal, wer in einer Gesellschaft Kinder bekommt. Wenn sozial schwache und bildungsferne Schichten mehr Kinder bekommen als Schichten mit hohem sozioökonomischem Status oder Bildungsniveau, dann müssen deren Kinder eben gezielt gefördert werden.

Diese Theorie, die im Rahmen der Ausführungen kulturistische Evolutionstheorie genannt wird, kann jedoch widerlegt werden. Mehr noch: Sie scheint nicht nur die Generationengerechtigkeit zu verletzen, sondern auch erhebliche weitere negative ethische Implikationen zu besitzen.

Wie das Kapitel Reproduktion zeigen wird, avanciert das Humankapital in modernen Gesellschaften zur wichtigsten Ressource. Gleichzeitig verschiebt die Globalisierung die Machtverhältnisse zwischen Staaten und Unternehmen, denn letztere können es sich nun zunehmend aussuchen, wo sie die von ihnen benötigen Humanressourcen einkaufen. Hierdurch geraten Nationalstaaten bezüglich ihrer wichtigsten Ressource in ein Lieferantenverhältnis gegenüber den global operierenden Unternehmen, und damit in eine zunehmende Standortkonkurrenz untereinander. Genau hier könnte nun die eingangs erwähnte ökonomische Theorie der Brasilianisierung des Westens und der Welt ansetzen.

Allerdings gibt es für Nationalstaaten auch Alternativen, die deutlich werden, wenn man die Strategien sich dem Wettbewerb ausgesetzter Unternehmen betrachtet, denn diese investieren zum Teil erhebliche Summen in ihre Reproduktion, die dort den Namen Forschung & Entwicklung trägt.

Anders als Staaten betrachten Unternehmen reproduktive Tätigkeiten als nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu finanzierende Investitionen. So arbeiten in den Forschungslabors der Pharmakonzerne häufig die qualifiziertesten und bestbezahlten Mitarbeiter, denn was hier verpasst wird, kann später nur noch schwer aufgeholt werden. Ein neues Medikament bedarf nicht selten ähnlich langer Entwicklungszeiten, wie sie in der gesellschaftlichen Reproduktion üblich sind. Und anders als Staaten erwarten ökonomisch denkende Unternehmen dabei nicht, dass ihre Mitarbeiter die kostenintensiven und möglicherweise erst nach mehr als zwanzig Jahren Gewinn erwirtschaftenden Reproduktionsarbeiten auf eigene Rechnung zu erbringen haben.

Die Empfehlung, ein Staat solle im Rahmen der Globalisierung verstärkt in die Bildung seiner Bürger – und damit in die gesellschaftliche Reproduktion – investieren, ist auch von anderen schon häufiger erhoben worden, allerdings dürfte sie – rein auf die Bildung beschränkt – zu kurz greifen, denn entsprechende Maßnahmen dürften gemäß den im Kapitel Evolution erzielten Ergebnissen in ihrer Wirkung so lange verpuffen, wie gesellschaftsweit ein negativer Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kinderzahl bestehen bleibt. Mit Bildung allein lassen sich die ungünstigen Effekte einer negativen beziehungsweise dysgenischen Selektion wohl nur mildern, keineswegs jedoch neutralisieren5.

Im Kapitel Familie wird die historische Entwicklung der menschlichen Reproduktionseinheit „Familie“ beschrieben. Dabei wird deutlich, dass das bislang weltweit dominierende patriarchalische Ernährermodell ganz wesentlich auf unbezahlter Familienarbeit basiert, eine Eigenart, die in den modernen Familienmodellen, welche von einer grundsätzlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der paritätischen Aufteilung von Familienarbeit zwischen den Geschlechtern ausgehen, nicht angetastet wird. Größere Familien, die gemäß Kapitel Bevölkerungsschrumpfung für eine bestandserhaltende Bevölkerungsentwicklung unerlässlich sind, sind hierdurch in aller Regel auch heute noch dazu gezwungen, während der so genannten Familienphase zum Ernährermodell zurückzukehren, was für die daran beteiligten Frauen meist zu einem Verzicht auf wesentliche Errungenschaften der weiblichen Emanzipation, insbesondere Berufstätigkeit und ökonomische Unabhängigkeit, führt. Gerade für moderne, gebildete Frauen dürfte deshalb die Gründung einer größeren Familie heute keine ernsthafte Option mehr sein, was sich auch empirisch belegen lässt. Ein Ergebnis des Kapitels ist: Es existiert zurzeit kein befriedigendes Familienmodell für größere Familien unter den Rahmenbedingungen der Geschlechtergleichberechtigung. Allerdings wird das vorliegende Buch ein solches vorschlagen.

Das Kapitel Reproduktion wendet sich weiter der Individualisierungsthese und dem Verhältnis von Individual- und Kollektivaufgaben zu. Es zeigt auf, dass Individualisierungsprozesse fast immer mit einer gleichzeitigen Institutionalisierung einhergehen, in deren Rahmen kollektive Aufgaben zum Teil oder in Gänze an Dritte verlagert werden. Dieser Schritt ist aber im Rahmen der weiblichen Emanzipation und der sie begleitenden Individualisierung auf Seiten der Frauen bislang unterblieben. Stattdessen wurde die Reproduktionsorganisation des Patriarchats im Wesentlichen unverändert beibehalten.

In modernen Gesellschaften ist die Wirtschaft (Produktion) meist marktwirtschaftlich organisiert, die gesellschaftliche Reproduktion dagegen sozialistisch. Oder anders ausgedrückt: Aufwendungen beim Aufziehen von Nachkommen sind individuell zu erbringen, der Nutzen aus dieser Tätigkeit wird dann aber sozialisiert, weswegen es innerhalb der gesellschaftlichen Reproduktion unter den Rahmenbedingungen der Geschlechtergleichberechtigung und der freien Wahlmöglichkeit von Frauen zwischen produktiven und reproduktiven Tätigkeiten zwangsläufig zur „Tragik der Allmende“ kommen wird, und dies umso mehr, als die in der Reproduktion eingesparten zeitlichen Aufwände auch noch gewinnbringend beruflich eingesetzt werden können, was wiederum gut ausgebildeten und beruflich qualifizierten Frauen und Männern besonders gut gelingen dürfte.

All dies macht deutlich: Die Geburtenschwäche der entwickelten Länder hat nichts mit Egoismus oder einem allgemeinen Werteverfall zu tun, sondern ist ökonomisch bedingt.

Ein weiteres Resultat des vorliegenden Buches ist deshalb: Die Gleichberechtigung der Geschlechter macht eine völlige Neuorganisation der gesellschaftlichen Reproduktion erforderlich.

Zwar sind patriarchalische Gesellschaften mit der aktuellen Organisation der gesellschaftlichen Reproduktion kompatibel, nicht jedoch Marktwirtschaften, die von einer Gleichberechtigung der Geschlechter ausgehen. In diesem Fall dürfte es notwendig werden, die marktwirtschaftliche Organisation der Produktion (Wirtschaft) auf die gesellschaftliche Reproduktion auszuweiten6. Dies hätte dann insbesondere die Professionalisierbarkeit von Familienarbeit mit eigenen Kindern zur Folge7.

Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden das Problem dagegen nicht lösen können, da es einen anderen Hintergrund hat8. Wird der aktuelle Zustand der unterschiedlichen und vor allem inkompatiblen Organisationsweisen von Wirtschaft und Reproduktion beibehalten, wird es zwangsläufig zu einer Plünderung des Humanvermögens kommen. Der langfristige Zusammenbruch unserer Gesellschaft wäre dann unvermeidlich.

Im Prinzip wird hier behauptet, die aktuelle Organisation der gesellschaftlichen Reproduktion bewirke in Marktwirtschaften unter der Voraussetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter eine Brasilianisierung der Gesellschaft von innen heraus. Dies ist vergleichbar mit der Behauptung, die Menschheit selbst verursache die globale Erwärmung. In beiden Fällen ist in erster Linie die nächste Generation betroffen, es geht also letztendlich um Fragen der Generationengerechtigkeit.

Beide Behauptungen lassen sich durch empirische Daten sehr weit bestätigen, obwohl es natürlich jeweils noch Unsicherheiten gibt, was Kritiker veranlassen könnte, die Hypothesen zurückzuweisen. Es sollte dann allerdings die Frage erlaubt sein: „Und was ist, wenn die Behauptungen doch zutreffend sind, und man nicht reagiert, obwohl es noch möglich wäre?“

Als Gegenmaßnahme für die erkannte Fehlsteuerung wird im Laufe des Buches zunächst einmal vorgeschlagen, die Nachwuchsarbeit (ähnlich wie zurzeit bereits Altersversorgung und Schulbildung) als gesellschaftliche Kollektivaufgabe zu verstehen, die prinzipiell von allen Bürgern anteilsmäßig in direkter oder indirekter Form zu erbringen ist. Ferner wird angesichts einer Erdbevölkerung von ca. 6,7 Milliarden Menschen den Bürgern empfohlen, sich in Zukunft nicht mehr zu vermehren, sondern bestenfalls zu ersetzen, und zwar ganz besonders dann, wenn die Versorgung des eigenen Nachwuchses nicht selbst erwirtschaftet werden kann. Eine solche Regelung sollte zwar nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt, jedoch als anzustrebende Norm klar kommuniziert werden.

Als Grundlage für ein zukunftstaugliches Fortpflanzungsverhalten wird deshalb die folgende Handlungsmaxime und modifizierte verantwortete Elternschaft vorgeschlagen:

Jedem steht es in unserer Gesellschaft frei, Kinder in die Welt setzen. Doch bitte beachten Sie: Die Welt ist bereits überbevölkert und hat ihre maximale Tragekapazität erreicht. Ein unkontrollierter Bevölkerungszuwachs sollte deshalb unbedingt vermieden werden. Beschränken Sie sich nach Möglichkeit auf maximal zwei Kinder pro Paar. Der Staat wird Maßnahmen ergreifen und fördern, die für eine möglichst optimale Vereinbarkeit einer kleineren Familie mit bis zu zwei Kindern mit einem Beruf und für einen relativ fairen Familienlastenausgleich sorgen werden.

Allerdings ist die Gesellschaft auf eine insgesamt bestandserhaltende Reproduktion angewiesen. Wenn viele Menschen kinderlos bleiben, kann eine solche nicht gewährleistet werden. Deshalb ist es in unserer Gesellschaft zusätzlich Ihre Aufgabe, als Paar zwei Kinder aufzuziehen, als Einzelperson ein Kind. Damit leisten Sie Ihren Beitrag zu einer bestandserhaltenden gesellschaftlichen Reproduktion. Sie müssen das aber nicht selbst tun, sondern Sie können die Aufgabe zum Teil oder in Gänze anderen Fachleuten überlassen. Dafür müssen Sie dann aber regelmäßig einen bestimmten Betrag abführen, damit diese das auch in der entsprechenden Qualität für Sie tun können.

In einem zweiten Schritt wird sodann vorgeschlagen, die marktwirtschaftliche Organisation der Produktion in Teilen auf die Reproduktion zu übertragen.

Damit eine Gesellschaft auch in der Zukunft noch weiter existieren kann und das Prinzip der Generationengerechtigkeit eingehalten wird, bedarf es einer nachhaltigen Bevölkerungsentwicklung, mit anderen Worten, einer sowohl quantitativ als auch qualitativ bestandserhaltenden Reproduktion. Deshalb muss jeder Bürger für einen Nachfolger seiner eigenen Person sorgen, entweder durch direktes Aufziehen eines Kindes oder alternativ dazu durch Abführen von Unterhalt. Gemäß Kapitel Was tun? würden mit diesen Zahlungen dann professionelle und entsprechend gut ausgebildete, staatlich angestellte Familienfrauen oder auch -männer, so genannte FamilienmanagerInnen, finanziert, die für das Aufziehen ihrer Kinder vergütet werden. Der Staat übernähme dabei die Kapazitätsplanung. Über die Zahl der beschäftigten FamilienmanagerInnen könnte er die Bevölkerungsentwicklung in ganz engen Grenzen halten. Werden mehr Kinder in herkömmlichen Partnerschaften geboren, dann sänken die Einnahmen aus den Unterhaltszahlungen und es würden weniger FamilienmanagerInnen neu eingestellt. Sänke die Zahl der in herkömmlichen Partnerschaften geborenen Kinder, dann würde die Entwicklung genau anders herum sein. Die FamilienmanagerInnen würden somit für einen automatischen Ausgleich zu niedriger Fertilitätsraten sorgen. Gleichzeitig würde ihre hohe Qualifikation zu einer Anhebung der Geburtenzahlen in Familien mit hohem Bildungsniveau führen.

Bei dem gerade Gesagten handelt es sich um eine völlige Neudefinition der gesellschaftlichen Nachwuchsarbeit, und zwar weg vom Prinzip „jeder macht es so, wie er lustig ist“ hin zu einer planerischen und menschenwürdigen Vorgehensweise, die den begrenzten Ressourcen dieser Erde gerecht wird. Moderne Gesellschaften könnten dann sogar – wie das Kapitel Bevölkerungsplanung zeigen wird – die eigene Bevölkerungsentwicklung beherrschen, ohne dabei in Persönlichkeitsrechte eingreifen zu müssen. In der Folge wären dann globale Bevölkerungskonferenzen vorstellbar, in denen Nationalstaaten – um die Tragfähigkeit der Erde besorgt – ihre jeweiligen zukünftigen Bevölkerungsentwicklungen untereinander abstimmten.

Leider spielen reproduktive gesellschaftliche Prozesse in den Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften so gut wie keine Rolle. Meist beschränkt man sich in diesem Zusammenhang auf familiensoziologische und demographische Fragestellungen. Damit wird man aber der Mächtigkeit der gesellschaftlichen Reproduktion nicht gerecht. Selbst Themen wie Generationengerechtigkeit sind ohne die Berücksichtigung reproduktiver Prozesse kaum ernsthaft zu behandeln. Und auch die Evolutionstheorie macht unmissverständlich klar, dass die großen Veränderungen in der Natur reproduktiv erfolgen.

Eine weitere Kernaussage des vorliegenden Buches ist deshalb: Es fehlt eine Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion.

Ich gebe zu, dies ist ein komplexes Thema, da eine solche Disziplin ja generationenübergreifende Gesichtspunkte behandeln müsste, die ganz leicht den eigenen Erfahrungshorizont sprengen können. Auch ist die gesellschaftliche Reproduktion letztendlich eine Transformation der Bevölkerung auf sich selbst und damit eine Operation von hoher Abstraktheit. Ferner würden viele Fragestellungen vor allem Rechte von Menschen tangieren, die zurzeit noch nicht geboren sind, folglich auch kein Stimmrecht haben. Auf der anderen Seite erkennen wir aber auch zunehmend in vielen anderen Wissenschaftsdisziplinen, dass sich die Menschheit solchen Themen endlich zuwenden muss, möchte sie noch ein wenig auf diesem Planeten verweilen.

Das vorliegende Buch versucht, zu einer solchen Theorie einen Beitrag zu leisten. Durch die Verbindung von Erkenntnissen aus Soziologie, Evolutionsbiologie, Soziobiologie, Anthropologie, Ökonomie, Politologie und Demographie gelingt es unter anderem, das Problem des demographischen Wandels in einem ganz neuen Licht darzustellen.

Einige der auf den nächsten Seiten präsentierten und in diesem Vorwort stark verdichteten Befunde zum Zustand unserer Gesellschaft sind so schwerwiegend9, dass es mir nicht immer leicht fiel, sie zu Papier zu bringen. Manche Formulierungen mögen respektlos klingen10, allerdings möchte ich auch ein wenig wachrütteln, denn die Sorge ist groß. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr.

Überalterung und Unterjüngung, Kinderlosigkeit, Armut unter Kindern, Langzeitarbeitslosigkeit, Herausbildung einer „Unterschicht“, Gewalt an Schulen, schlechte PISA-Resultate, vernachlässigte Kinder, Staatsverschuldung, Abbau des Sozialstaates, Verlust an Kultur und vieles andere mehr dürften alle eine gemeinsame Ursache haben und letztendlich nur Ausprägungen ein und desselben Problems sein1112.

Unsere Gesellschaft definiert sich überwiegend über die Wirtschaft: wenn es der Wirtschaft gut geht, dann geht es uns allen gut. Bislang sahen das nur die Männer so, seit wenigen Jahrzehnten nun auch die Frauen. Das vorliegende Buch zeigt aber unmissverständlich: dies ist ein Irrtum. Die Bevölkerung ist das Fundament, nicht die Wirtschaft. Wenn die wichtigste Ressource in modernen Wissensgesellschaften das Humankapital ist, also die Kompetenzen und das Wissen der Menschen und damit diese selbst, dann ist der Zustand der Bevölkerung von größerer Bedeutung als der der Wirtschaft.

Und um unsere Bevölkerung ist es schlecht bestellt. Sehr schlecht.

Frankfurt, im Mai 2007

Peter Mersch

1 Im Rahmen der Ausführungen wird allerdings gezeigt, dass sich einige Folgerungen der reproduktiven Brasilianisierungsthese empirisch belegen lassen, was für die ökonomische Brasilianisierungsthese in vergleichbarer Weise nicht der Fall ist.

2 Dieser Punkt spielt innerhalb der öffentlichen Diskussion zum demographischen Wandel so gut wie keine Rolle. Im Rahmen des vorliegenden Buches wird aber der Nachweis geführt, dass es sich im Vergleich zu den rückläufigen Geburtenzahlen hierbei um das gravierendere Teilproblem des demographischen Wandels handelt.

3 Gleiches oder ähnliches Bildungsniveau in Paaren.

4 Woraus sich unmittelbar ein Dilemma ergibt: Die Anwendung der Evolutionstheorie auf menschliche Gesellschaften gilt allgemein als Sozialdarwinismus, die Duldung oder gar Förderung eines gesellschaftlichen Reproduktionsverhaltens, welches den Prinzipien der Evolutionstheorie zuwiderläuft, missachtet dagegen die Generationengerechtigkeit.

5 An dieser Stelle sollen von vornherein einige mögliche Missverständnisse ausgeräumt werden:

Aus der im vorliegenden Buch aufgestellten Behauptung, dass Bildungsmaßnahmen die durch das aktuelle Reproduktionsverhalten der Bevölkerung bewirkten dysgenischen Effekte nicht wieder aufheben könnten, folgt keineswegs, dass solche Maßnahmen nun zu unterlassen seien. Im Gegenteil: Alles was zur Verbesserung der Situation beitragen kann, sollte getan werden. Nur sollte man sich nicht zu viel davon versprechen. Viel wichtiger wären Maßnahmen, die qualifizierte Menschen dazu bewegen können, wieder vermehrt Nachwuchs in die Welt zu setzen.

Ferner soll an keiner Stelle suggeriert werden, ein persönliches Abgleiten etwa in die Langzeitarbeitslosigkeit sei ein Zeichen für mangelhafte Qualifikationen und damit letztendlich selbstverschuldet. Das Buch beschreibt einen Prozess, bei dem sich eine Gesellschaft reproduktiv zunehmend selbst beschwert. Am Ende werden aus hochqualifizierten Konzertpianisten und Schauspielern Sozialhilfeempfänger, weil sich die Gesellschaft vor lauter Sozialhilfeempfängern Konzertsäle und Schauspielhäuser (und Kultur generell) nicht mehr leisten kann.

Und schließlich argumentiert das gesamte Buch – ähnlich wie die Evolutionstheorie – statistisch und nicht einzelfallbezogen. Es ist durchaus möglich, dass eine konkrete arme und „bildungsferne“ Familie intelligente Kinder hat. Und es ist auch möglich, dass es diese dann trotz ihrer Intelligenz nur zu einem Hauptschulabschluss schaffen. Die statistischen Aussagen, dass hohe Intelligenz mit hohem Bildungsniveau und beruflichem Erfolg korreliert und intelligente Eltern mit höherer Wahrscheinlichkeit intelligente Kinder bekommen, sind für moderne Gesellschaften dennoch gültig.

6 Es ist ja keineswegs so, dass die Gesellschaft all dies nicht wüsste. Deutschland war jahrezehntelang in einen marktwirtschaftlichen und einen sozialistischen Staat geteilt. Der sozialistische Teil musste eine Mauer bauen, um zu verhindern, dass insbesondere die qualifiziertesten Bürger in den effizienteren marktwirtschaftlichen Westen abwandern.

Im Patriarchat gibt es eine ähnliche Mauer: Die Rollenvorgabe für Frauen als Hausfrau und Mutter. Diese Mauer ist mittlerweile gefallen und nun wandern die qualifiziertesten Frauen massenhaft in den effizienteren marktwirtschaftlichen Teil „Produktion“ ab, um dort ihr Glück zu versuchen. Niemand kann sie daran hindern, und niemand wird es ihnen verübeln.

7 So naheliegend und banal diese Aussage letztendlich ist, so sehr stellt sie gleichzeitig einen Tabubruch in unserer Gesellschaft dar.

8 Die Individualisierung auf Seiten der Männer hatte die Staatenbildung und das staatliche Gewaltmonopol zur Folge. Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu grotesk, wenn in unserer Gesellschaft allgemein angenommen wird, man könne eine so fundamentale Veränderung wie die Individualisierung der Frauen mit ein paar Vereinbarkeitsmaßnahmen und Krippen in den Griff bekommen.

9 Einem Unternehmen mit vergleichbaren Organisationsmängeln würde man den Rat erteilen, den Geschäftsbetrieb zwecks Vermeidung weiterer Verluste baldmöglichst einzustellen.

10 Womit ich natürlich vielen die Gelegenheit gebe, einzelne Sätze aus dem Zusammenhang zu reißen, und auf dieser Basis dann weite Teile des Buches zu kritisieren.

11 Folgt ein Entwicklungsland in seinem reproduktiven Verhalten dem Prinzip der natürlichen Selektion, dann hat es Chancen, sich zu „evolvieren“ und ein „entwickeltes“ Land zu werden. Widerspricht ein entwickeltes Land in seinem Reproduktionsverhalten der natürlichen Selektion, dann hat es gute Chancen, zu „brasilianisieren“ und ein Entwicklungsland zu werden. Die jeweiligen Prozesse dürften dabei aber so langsam voranschreiten, dass sie kaum als solche wahrgenommen werden.

Die Evolutionsprinzipien beschreiben, wie auf der Erde aus Chaos Ordnung entsteht. Ändert man deren Richtung, dann dürfte Ordnung wieder in Chaos übergehen, und es werden sich ähnliche Effekte zeigen, wie diejenigen, die gerade beschrieben wurden.

12 Stark vereinfachend könnte man in diesem Sinne sagen: Hartz IV ist eine Begleiterscheinung des demographischen Wandels. Weitere Symptome dieser Art werden folgen.

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Möglicherweise fragen Sie sich: „Books on Demand? Hat der Autor für sein Manuskript keinen ordentlichen Verlag finden können?“

Doch es gibt drei Gründe für meine Entscheidung, einen privaten und zwei eher öffentliche.

Ungefähr ab dem 15. Lebensjahr erkrankte ich sehr schwer an Migräne, die mir zwar noch erlaubte, mein Mathematikstudium zu Ende zu führen, doch danach wurde es für mich zunehmend schwieriger. In vielen Jahren verbrachte ich mehr als 100 Tage schmerzgekrümmt in abgedunkelten Räumen. An eine wissenschaftliche Karriere war unter diesen Umständen nicht zu denken. Ende dreißig erwähnte dann zum ersten Mal ein Arzt, ich sei gemäß dem aktuellen Stand der Medizin austherapiert und eventuell komme auch eine Frühverrentung in Frage. Just zu diesem Zeitpunkt fand ich aber zufällig die Lösung meines Problems und der dritte Teil meines Lebens konnte beginnen.

Im Prinzip können Sie mich also mit einer Hausfrau vergleichen, die bis zum vierzigsten Lebensjahr ein paar Kinder großgezogen hat und nun noch etwas anderes machen möchte. Man beginnt dann nämlich quasi bei Null. Immerhin kann ich mir aufgrund meiner eigenen Lebenserfahrung nun recht gut vorstellen, wie es solchen Müttern nach Beendigung ihrer Familienphase ergehen mag.

Eine andere unmittelbare Konsequenz daraus war aber: Ich bin sozusagen ein Nobody und mir fehlen all die netten Kontakte in die Verlagsindustrie, die man halt braucht, um ein aktuelles Thema relativ zeitnah veröffentlichen zu können. Denn ein Verlag interessiert sich ja weniger für die Inhalte, sondern in erster Linie für Auflage. Und Auflage erzielen Sie heute vor allem durch Bekanntheit, optimalerweise gestützt durch eine häufige Präsenz in den Medien. Wenn also etwa Johannes B. Kerner demnächst ein Buch mit dem Titel „Meine Art, Kaffee zu kochen“ schreiben würde, dann wäre das vermutlich sehr bald ein Bestseller, nicht etwa, weil nun Herr Kerner einen besseren Kaffee kocht als Sie, sondern weil wir ihn aus dem Fernsehen kennen und dort schätzen gelernt haben.

Ein anderer und mehr öffentlicher Grund war: Zahlreiche Themen sind in Deutschland – und in vielen anderen Ländern ebenso – komplett tabuisiert. Die Gesellschaftswissenschaften haben sich sogar ihr eigenes Denkgebäude mit Tabus zugezimmert. Was früher die römische Inquisition war, leistet die Wissenschaft vielerorts nun selbst.

So habe ich Ende letzten Jahres eine deutlich kürzere und etwas sachlichere Fassung des vorliegenden Buches bei einer renommierten gesellschaftswissenschaftlichen Zeitschrift zur Veröffentlichung eingereicht, worauf ich zwei Gutachten erhielt, ein positives und ein negatives. Beide können Sie auf den folgenden Seiten in ungekürzter Form nachlesen. Natürlich folgte man der sehr „kompetenten“ und „durchdachten“ Argumentation des zweiten, negativen Gutachtens und lehnte die Veröffentlichung ab. Doch bitte urteilen Sie selbst:

Positives Gutachten

Der vorgelegte Beitrag behandelt den Geburtenrückgang in Industrieländern aus demographischer, d.h. aus fertilitätstheoretischer, evolutionstheoretischer und familienpolitischer Sicht. Die Ausführungen sind außerordentlich faktenreich. Die zahlreichen Verweise und Quellenangaben sind in diesem Zusammenhang sehr hilfreich. In den ersten vier Kapiteln wird ein interessanter theoretischer Bogen von den ökonomischen Fertilitätstheorien über sozialpsychologische Theorien hin zur Evolutionstheorie gespannt. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Sichtweisen und Beurteilungen des demographischen Wandels ist in diesem Zusammenhang ebenso wichtig wie der informative Überblick über die verschiedenen fertilitätstheoretischen Ansätze. In Kap. 3 wird überzeugend dargestellt, dass die reproduktive Selektion gegenläufig zur natürlichen Selektion der Evolution verläuft, da eine negative Korrelation zwischen verschiedenen Erfolgsparametern und der Fertilität vorliegt. Es wird gefolgert, dass für die deutsche Bevölkerung ein den Evolutionsprinzipien widersprechendes Reproduktionsverhalten gegeben ist. Die Ausführungen beschränken sich aber nicht nur auf Deutschland. Im 4. Kapitel wird der langfristige Geburtenrückgang unter den Aspekten der „Soziobiologie des Sozialstaates“ analysiert. Auch in diesem Kapitel werden eine Fülle interessanter Fakten diskutiert, die dem Fertilitätsforscher vielleicht bekannt sind, aber in diesem Zusammenhang und unter dieser Sichtweise zu durchaus neuen Erkenntnissen führen. Aufbauend auf den in diesem Kapitel genannten Argumenten werden in Kap. 5 familienpolitische Schlussfolgerungen hergeleitet und Vorschläge im Hinblick auf eine Erhöhung der Fertilität gemacht. In diesem Zusammenhang wird einerseits eine eindeutige Position bezogen, andererseits werden die verschiedenen bekannten familienpolitischen Maßnahmen sehr sorgfältig abgewogen. Es wird zu recht darauf verwiesen, dass bis heute unklar ist, ob zwischen der Frauenerwerbsquote und der Fertilität eine positive oder negative Korrelation besteht. Auch werden die Wirkungen einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter den aktuellen Rahmenbedingungen sorgfältig hinterfragt. Der Lösungsvorschlag („Nachwuchsarbeit“ als gesellschaftliche Kollektivaufgabe und Mütter als Familienberufstätige) ist im Rahmen der Argumentation nur konsequent, aber auch nicht neu (was auch nicht gesagt wird). Kinder werden als „commodities“ im Sinne der Beckerschen familienökonomischen Theorie betrachtet. Der Aspekt der hohen Kinderlosigkeit, speziell in Deutschland, wird leider etwas ausgeblendet. Es werden nicht nur zu wenige Kinder geboren, sondern speziell der Anteil der Kinderlosen ist sehr hoch. Diejenigen, die Kinder bekommen, haben häufig zwei oder drei. Die Fokussierung der Familienpolitik auf Mehrkindfamilien (wie in Frankreich) ist eine Möglichkeit, die Reduzierung der Kinderlosigkeit eine weitere. Der Artikel kann mit viel Gewinn gelesen werden. Er bietet eine Fülle an theoretischen und empirischen Hintergrundinformationen. Der Beitrag ist sehr sorgfältig recherchiert, und das Thema wird insgesamt sehr differenziert behandelt. Der Beitrag ist dadurch wesentlich umfassender, als der kurze Titel erwarten lässt. Die eingefügten Beispiele verdeutlichen die Sachverhalte zusätzlich. Es fragt sich jedoch, ob die zweifelsohne interessanten Beispiele mit den Giraffen und dem fiktiven Pharmaunternehmen zum Verständnis wirklich erforderlich sind, zumal der Beitrag doch sehr verständlich geschrieben ist. Die genannten Lösungsvorschläge in Kap. 5.5 enthalten zahlreiche interessante Argumente, die die Diskussion um geeignete familienpolitische Maßnahmen sicherlich bereichern. Abschließend noch ein kurzer Hinweis zum Titel: Da es sich in erster Linie um einen fertilitätsspezifischen Artikel handelt, sollte dieser Bezug vielleicht auch im Titel zusätzlich deutlich werden. Mit diesen Anmerkungen möchte ich den vorgelegten Artikel zur Veröffentlichung empfehlen.

Negatives Gutachten

Der vorliegende Text will vordergründig auf die Gefahren des sich fortsetzenden Bevölkerungsrückgangs in den „fortgeschrittenen Industrienationen“ aufmerksam machen, die er – ein wenig verkürzend – als „fehlende Bestandserhaltung“ in quantitativer (Bevölkerungsschrumpfung „auf Null“) und in qualitativer (Verlust an „Kompetenzen und Qualifikationen“) Hinsicht sieht, und er stellt ein bevölkerungspolitisches Konzept vor, mit dem die Bevölkerungsentwicklung nach Meinung des Autors grundsätzlich politisch steuerbar werde und somit die Bestandserhaltung – quantitativ wie qualitativ – gesichert werden könne („professionelle Mutterschaft“). Es wird jedoch im Zuge der Argumentation des Autors deutlich, dass es ihm dabei nicht so sehr um die wissenschaftliche Analyse der Ursachen oder Folgen des Bevölkerungsrückgangs geht, sondern in erster Linie um ein bevölkerungspolitisches Programm, das lediglich wissenschaftlich, und zwar überwiegend mit fragwürdigen soziobiologischen Spekulationen verbrämt wird. Letzteres erweist sich als die entscheidende Schwachstelle des Textes, so dass eine Veröffentlichung in einer seriösen wissenschaftlichen Fachzeitschrift nicht befürwortet werden kann. Wenn man dem Artikel etwas Positives abgewinnen möchte, könnte man ihn als populärwissenschaftlich bezeichnen, und dem Autor wäre anzuraten, ihn in einem dementsprechenden Medium zu veröffentlichen. Doch wären auch diesbezüglich noch berechtigte Vorbehalte angebracht: Eher müsste man den Artikel als pseudowissenschaftlich einstufen, dessen Veröffentlichung schlechthin äußerst fragwürdig wäre.

Auch wenn der Verfasser dieses Gutachtens soziobiologischen Argumentationen eher skeptisch gegenübersteht, ginge es nicht an, derartige Beiträge aus der Fachdiskussion auszugrenzen. Dass sich der Autor auf solche Beiträge bezieht, darf nicht vorgängig bereits im Reviewverfahren Gegenstand der Kritik sein. Auch geht es nicht darum, das Vortragen bevölkerungspolitischer Erwägungen und Konzepte zurückzuweisen, weil der Verfasser dieses Gutachtens möglicherweise andere politische Vorstellungen präferiert. Die Kritik richtet sich vielmehr gegen den durchgängig sehr platten und simplifizierenden Argumentationsstil, gegen das Konstruieren von (sozio)biologischen „Sachverhalten“ auf rein spekulativer Grundlage, gegen das unreflektierte Ableiten von Verhaltensnormen aus evolutionstheoretischen Konstrukten, gegen die zahlreichen politisch tendenziösen und polemischen Schlussfolgerungen aus den dargelegten soziobiologischen Betrachtungen und somit insgesamt gegen den wissenschaftlich nicht akzeptablen Umgang mit der Evolutionstheorie.

Was vor allem gegen die wissenschaftliche Seriosität des Artikels spricht, ist die Instrumentalisierung soziobiologischer Betrachtungen für die politischen Zwecke des Autors13. Es sei dem Autor zugestanden, kulturelle Praktiken und damit einhergehende soziale Verhaltensmuster (sozio)biologisch zu erklären – aber die Grenze des wissenschaftlich Vertretbaren wird überschritten, wenn diese Betrachtungen mit Werturteilen verquickt werden und Verhaltensnormen daraus abgeleitet werden. Und genau das geschieht durchgängig und charakterisiert den Text entscheidend. Ein seriöser Wissenschaftler kann nicht sagen, das Reproduktionsverhalten laufe „der Evolutionstheorie zuwider“, weil die Evolutionstheorie als wissenschaftliche Theorie keine Vorgaben für adäquates Reproduktionsverhalten machen kann. Aber genau diese Behauptung bildet die zentrale These des Beitrags.

Ein wenig klingt das so, als wenn in einem Mordfall ein Gutachten zu dem Ergebnis kommt, die Tote sei vergewaltigt, erdrosselt, erstochen und anschließend in den Rhein geworfen worden, ein zweites dagegen eine natürliche Todesursache ausgemacht haben will.

Sie werden verstehen, dass ich mir weitere Stellungnahmen dieser Art ersparen wollte und mich deshalb für ein Medium entschieden habe, welches seriöse wissenschaftliche Resultate unzensiert veröffentlicht.

Ja und dann gibt es schließlich auch noch das Geschwindigkeitsargument. Das vorliegende Buch wurde verfasst, binnen weniger Wochen redigiert und lektoriert, und kurze Zeit darauf konnte man bereits die ersten Exemplare über die einschlägigen Internet-Buchhandlungen bestellen.

Alles nur im Dienste der Wissenschaft und für Königin und Vaterland.

Peter Mersch

13 Anmerkung dazu: Ich bin weder in einer politischen Partei, einer religiösen Organisation noch in sonst einem Verein, sondern ein ganz normaler und unabhängiger Mensch, der sich seine Gedanken über die Zukunft seines Heimatlandes und der Menschheit insgesamt macht.

1 Bevölkerungsschrumpfung

1.1 Deiche bauen

Nehmen wir einmal an, eine schwere Sturmflut würde den Norden Deutschlands in Mitleidenschaft ziehen, Deiche an mehreren Stellen beschädigen und weite Teile Hamburgs überschwemmen. Was wäre Ihr anschließender Rat?

Vermutlich würden Sie empfehlen, die Schwachstellen ausfindig zu machen und eine Verstärkung der Deiche zu veranlassen. Also ziemlich genau das, was einige in New Orleans schon lange vor Hurrikan Katrina vorhatten.

So weit so gut. Doch nun stellen wir uns einmal vor, die globale Erwärmung käme so, wie es von einigen Klimaforschern befürchtet wird, und die Meeresspiegel würden aufgrund des vollständigen Abschmelzens des Grönlandeises überall auf der Welt um sechs oder sieben Meter ansteigen (Stöber-Kuhn 2006)14.

Würden Sie immer noch auf Deiche setzen? Rund um ganz Europa? Ich denke, wir sind uns einig, dies ist eine Illusion. Wenn die Meeresspiegel allgemein um sechs Meter ansteigen, braucht es ganz andere Vorkehrungen, als zur Abwehr seltener, aber besonders starker Sturmfluten.

Vermutlich würden Sie deshalb fragen: „Lässt sich die globale Erwärmung stoppen oder wenigstens verlangsamen?“

Vielleicht ließe man Sie diese Frage aber erst gar nicht stellen. Denn denkbar wäre auch das folgende Szenario:

Nach den ersten leichten Meeresanstiegen hat man rund um Europa damit begonnen, die Deiche zu verstärken, damit auch eine Erhöhung des Meeresspiegels um 25 cm verkraftet werden kann. Und mit diesen Deichbauten wird nun richtig Geld verdient. Eine ganze Deichbau-Industrie entsteht. Zusätzlich sind an verschiedenen Hochschulen ganze Institute ausschließlich mit den Folgen des Klimawandels und der Kunst des Deichbaus beschäftigt. Täglich werden Dissertationen abgegeben, die genau diese Themen haben. Und all diese Experten und Unternehmen werden in erster Linie ein Interesse haben: Dass es mit dem Deichbau so weitergeht wie bisher. Und deshalb werden sich bald die Stimmen derer mehren, die im Klimawandel eine „Chance“ sehen und wittern.

An Ihrer Frage wird dann längst niemand mehr ein Interesse haben. Im Gegenteil, viele werden daran interessiert sein, genau diese Grundsatzfrage nicht zu stellen.

Und damit wären wir auch schon bei der Überalterung respektive Unterjüngung der entwickelten Länder beziehungsweise beim so genannten demographischen Wandel und der mit ihm einhergehenden Bevölkerungsschrumpfung. Wenn die Fertilitätsrate (die durchschnittliche Zahl der Kinder pro Frau) einer Bevölkerung unter den Wert 2,1 auf die nicht mehr bestandserhaltenden Werte von 1,9 oder 2,0 sinkt, dann kann man über Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder einen stärkeren Familienlastenausgleich nachdenken. Das ist angemessen. Bei Fertilitätsraten von 1,9 oder 2,0 reden wir von einer langfristigen leichten Schrumpfung der Bevölkerung oder – im übertragenen Sinn – von seltenen schweren Sturmfluten beziehungsweise einer ganz leichten Erhöhung des Meeresspiegels.

Nun ist aber die Fertilitätsrate in Deutschland – und in vielen entwickelten Ländern sieht es nicht viel besser aus – seit Jahrzehnten auf Werte um 1,4 gesunken, und damit reden wir nicht mehr über Sturmfluten, sondern über den baldigen Anstieg des Meeres um sechs Meter.

Doch was ist die öffentliche Antwort darauf? Sie ahnen es schon: Deiche bauen! Und natürlich sind gleichzeitig längst ganze Industrien und Forschungsinstitute entstanden, die neue Geschäftsoptionen wittern und keine Gelegenheit auslassen, vom demographischen Wandel als Chance zu reden. Ihre Chance? Nein, deren Chance!

Das vorliegende Buch wird zeigen, dass das Problem des demographischen Wandels viel zu groß ist, als dass es mit den klassischen familien- oder bevölkerungspolitischen Maßnahmen (das heißt, Deiche bauen) in den Griff zu bekommen wäre. Dies zeigt auch allein schon dessen globale Existenz und zwar ganz unabhängig von den jeweils ergriffenen Maßnahmen. Die Meeresspiegel steigen nämlich nicht nur bei uns, sondern überall auf der Welt.

Derweil stellt sich in der öffentlichen Debatte zum Thema eine bemerkenswerte Konzeptionslosigkeit ein. Je nach Interessenlage oder Kenntnis beziehungsweise Unkenntnis der Datenlage wird die Situation nämlich als schlimm, weniger schlimm, nicht schlimm oder gar als Chance dargestellt.

Die meisten Autoren – insbesondere Demographen und Ökonomen – betrachten die Entwicklung mit Sorge (Kaufmann 2005a; Miegel 2006a; Birg 2005b; Sinn 2005). Es gibt aber auch andere Stimmen, die in der Bevölkerungsschrumpfung und dem Geburtenrückgang etwas Positives sehen (Hondrich 2005; Hondrich 2007). Immerhin werden ja viele Menschen auf diese Weise von zeitaufwändigen Erziehungsaufgaben befreit und können sich ganz der produktiven Arbeit oder anderen gesellschaftlichen Aufgaben widmen (Schwentker 2006: Kittlaus 2006; Vogelskamp 2005). Auch wird reklamiert, in einer schrumpfenden Gesellschaft käme die Natur wieder vermehrt zu ihrem Recht (Joffe 2006: 55). Ebenso wird gefragt, ob für das Glück der Deutschen eine Zahl von 80 Millionen Einwohnern unerlässlich sei, und ob nicht gar die Schrumpfung der weißen Bevölkerung, die mehr als drei Viertel der Ressourcen des Planeten verbraucht, für die Erde eher ein Segen als ein Unglück sei (Gerster/Nürnberger 2004b: 106). Manche Autoren sehen dagegen überhaupt kein Problem (Müller 2005: 103ff.; Bosbach 2004; Strange 2006, Horx 2007) oder auch nur einen interessengeleiteten Verteilungskampf innerhalb der aktuellen Generation (Butterwegge/Klundt 2003: 74), während wiederum andere auf die besondere Gefahr eines fortgesetzten, massiven Bevölkerungsrückgangs hinweisen, weil dabei wachsende Umstrukturierungs- und Anpassungserfordernisse mit sinkenden Anpassungskapazitäten zusammentreffen (Kaufmann 1990: 6).

Die Ambivalenz im Umgang mit dem Thema findet ihren Ausdruck im Begriff demographischer Wandel.

Ungünstigerweise dürfte sich ab 2030, wenn die gesellschaftliche Unterjüngung ihrem Höhepunkt zustrebt, auch das fossile Zeitalter seinem Ende zuneigen15. Produktivitätssteigerungen, wie wir sie in den letzten 200 Jahren gewohnt waren, könnten dann der Vergangenheit angehören. Und wenn wir Pech haben, könnte die globale Erwärmung zeitgleich ebenfalls mit voller Härte zuschlagen. Eine schwindende Zahl an Erwerbstätigen dürfte sich dann gewaltigen Aufgaben und Herausforderungen gegenübersehen. Selbst ohne den demographischen Wandel würde es für die nächste Generation nicht einfach werden.

Leider sind im Rahmen der Debatte wichtige Fragen längst unter den Tisch gefallen, nämlich: „Kann man das demographische Problem lösen? Kann man die Geburtenrate in unserer Gesellschaft auf gesicherte Weise so anheben, dass die Bevölkerung weder wächst noch schrumpft?“

Das vorliegende Buch wird diese Fragen stellen. Und um es gleich vorweg zu sagen: Ja, das Problem lässt sich lösen (wenn es nicht bereits zu spät dafür ist), jedoch nicht so, wie es bislang versucht wurde. Allerdings wird die Analyse auch zeigen, dass die geringe Zahl an Nachkommen nur das kleinere Übel ist, und dass sich hinter dem demographischen Wandel ein zweites, viel größeres Problem verbirgt, welches bei Nichtbehandlung die entwickelten Staaten restlos ruinieren dürfte. Deshalb soll zunächst einmal erläutert werden, was der demographische Wandel eigentlich überhaupt ist.

1.2 Der demographische Wandel

Die fortgeschrittenen Industrienationen befinden sich auf dem Weg hin zu Wissensgesellschaften: Nicht mehr die Ressourcen Arbeit, Kapital und Rohstoffe spielen die entscheidende Rolle, sondern die geistigen Fähigkeiten und das theoretische Wissen ihrer Menschen.

Gleichzeitig entwickeln diese Staaten ein demographisches Problem: Die Lebenserwartung steigt, während die Geburtenrate sinkt.

Dieses als demographischer Wandel bezeichnete Problem drückt sich allgemein in zwei unabhängigen Teilaspekten aus:

Es werden zu wenige Kinder geboren

, oder wissenschaftlich ausgedrückt: die gesellschaftliche Reproduktion ist insgesamt

mengenmäßig nicht bestandserhaltend

.

Analysen zeigen: Der Geburtenrückgang in Deutschland ist wie auch in den USA und in den übrigen europäischen Ländern einschließlich der Länder Nordeuropas in erster Line das Ergebnis des zunehmenden Verschwindens der Mehrkindfamilie mit drei oder mehr Kindern (Bertram/Rösler/Ehlert 2005: 10) und weniger das Resultat einer zunehmenden Kinderlosigkeit.

Bliebe die deutsche Fertilitätsrate auch in der Zukunft konstant bei den heutigen Werten (ca. 1,4), würde die deutsche Bevölkerung nicht von 80 auf zum Beispiel 50 Millionen schrumpfen, sondern langfristig auf Null. Bei einer angenommenen Generationendauer von 30 Jahren würden bei ausgeglichenen Zuwanderungen und Abwanderungen in Deutschland in 300 Jahren etwa nur noch ca. 1 Million Menschen leben. Ähnliches gilt für die meisten anderen modernen Länder. Zurzeit weiß niemand, wie eine solche Entwicklung verhindert werden kann.

In sozial schwächeren beziehungsweise bildungsfernen Schichten werden mehr Kinder geboren als in gebildeten beziehungsweise sozial stärkeren Schichten

. Wissenschaftlich ausgedrückt: Es besteht ein negativer Zusammenhang zwischen Kinderzahl und sozialer Position beziehungsweise Bildungsniveau (Kopp 2002: 89). Dieser Zusammenhang besteht in analoger Weise auch länderübergreifend und nennt sich dann

demographisch-ökonomisches Paradoxon

(Birg 2003: 30). Mit anderen Worten: In reichen und entwickelten Ländern werden pro Frau viel weniger Kinder geboren als in armen, unterentwickelten Ländern.

Auch bei dieser Erscheinung könnte man von einer fehlenden Bestandserhaltung sprechen, diesmal aber nicht bezüglich der Zahl an Menschen, sondern den Kompetenzen und Qualifikationen.

Insgesamt kann also von einer fehlenden quantitativen und qualitativen Bestandserhaltung der Bevölkerung gesprochen werden.

Wir können zusammenfassen:

Es werden in Deutschland zu wenige Kinder geboren.

Der Hauptgrund dafür – und das ist ganz wichtig für die weiteren Ausführungen – ist das zunehmende Verschwinden der Mehrkindfamilie mit drei oder mehr Kindern.

Darüber hinaus werden in sozial schwächeren und bildungsfernen Schichten mehr Kinder geboren als in gebildeten Bevölkerungskreisen.

Sie werden jetzt vielleicht einwenden, der letzte Punkt sei doch egal, alle Menschen seien schließlich gleich. Das vorliegende Buch wird jedoch zeigen, dass es sich bei diesem Befund um das eigentliche Hauptproblem des demographischen Wandels handelt. Eine etwas geringere Zahl an Nachkommen ist dagegen möglicherweise sogar noch nicht einmal so schlecht.

1.3 Fertilitätstheorien

Demographen, Ökonomen und Sozialwissenschaftler machen sich seit vielen Jahren Gedanken darüber, wie das weltweit und auch historisch sehr unterschiedliche Fortpflanzungsverhalten der Menschheit zu erklären ist. Ich möchte hier nicht bei Adam und Eva, beziehungsweise den Theorien von Thomas Robert Malthus anfangen, sondern einige wesentliche neuere Modelle vorstellen, von denen zahlreiche Experten der Ansicht sind, sie könnten speziell das aktuelle Reproduktionsverhalten der entwickelten Länder recht gut erklären.

Begonnen werden soll mit der ökonomischen Theorie der Fertilität. Bitte lassen Sie sich nicht von Wörtern wie Konsumnutzen von Kindern oder Humankapital irritieren: Ökonomen reden so. Sie verwenden Worte in einem bestimmten Kontext, wie dies andere Wissenschaften auch tun.

Wenn Sie zum Beispiel eine Eigentumswohnung besitzen und diese vermieten, dann erzielen Sie damit einen Einkommensnutzen. Soll die Wohnung später einmal Teil Ihrer Altersversorgung werden, dann besitzt sie zusätzlich einen Sicherheitsnutzen