Land ohne Kinder - Peter Mersch - E-Book

Land ohne Kinder E-Book

Peter Mersch

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Beschreibung

Die Menschen in Deutschland werden immer älter, gleichzeitig werden immer weniger Kinder geboren: Deutschland altert mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. Bislang konzentrieren sich fast alle Vorschläge zur Anhebung der Geburtenrate auf eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Peter Mersch stellt dar, dass solche Maßnahmen zwar wünschenswert sind, aber keine ausreichenden Effekte erzielen werden, zumal sie die eigentliche Ursache der Kinderarmut nicht ausreichend adressieren. Er schlägt stattdessen den neuen Beruf der „Familienmanagerin“ vor: speziell ausgebildete Erzieherinnen, deren Leistung entsprechend der Zahl der von ihnen aufgezogenen Kinder vergütet wird. Die Finanzierung der Familienmanagerinnen könnte über zusätzliche, nach Einkommensgruppen und Kinderzahl gestaffelte Abgaben erfolgen. Damit würde die Lücke zur Rentenversicherung geschlossen und jeder Erwerbstätige verpflichtet, für Nachfolger der eigenen Person zu sorgen, sei es durch das Aufziehen eigener Kinder oder indirekt über Abgaben. Der Autor zeigt auf, dass die qualitative Verbesserung der kindlichen Erziehung in modernen Wissensgesellschaften einen Standortvorteil darstellt. Die Familienmanagerinnen könnten hier neue Maßstäbe setzen. 2. unveränderte Auflage der Erstausgabe aus 2006

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Inhaltsverzeichnis

Was auf uns zukommt

Überalterung

Überfremdung / Fremdenfeindlichkeit

Vereinzelung

Fehlende Liebe

Depressive Stimmung

Zusammenbruch der Rentenversicherung

Weniger Unternehmer

Rückgang der Binnennachfrage

Verlagerung von Arbeitsplätzen

Sinkender Wohlstand

Sinkendes Bildungsniveau

Jugendarbeitslosigkeit und -proteste

Verschlechterung der Volksgesundheit

Rentenversicherung

Arbeitsteilung

Humanvermögen

Staatliche Fürsorgepflicht

Das deutsche Rentensystem

Emanzipation der Frauen

Heimchen am Herd

Belastung des Arbeitsmarktes durch Frauen

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Vereinbarkeit von Familie und Freizeit

Die Opportunitätskosten der Kindererziehung

Von Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen

Von Hostessen und Prostituierten

Gesucht werden: Mütter

Ehe-Risiken

Fragwürdiges Ehe- und Familienrecht

Vom Schuldprinzip zum Schuldenprinzip

Der Kinderwunsch von Männern

Was nicht funktioniert

Kindergärten und Ganztagsschulen

Mehr Rente für Eltern

Mehr Kindergeld

Elterngeld

Die Familienmanagerin

Ökonomie statt Familie

Familienmanagerin als Beruf

Auswahl und Qualifikation

Bezahlung

Einstieg in andere Berufe

Finanzierung

Finanzierungsbeispiel

Rekrutierung

Vorteile für kinderlose Frauen

Aufgaben

Weiterbildung

Urlaub

Freizeit

Wahlrecht

Wohnort

Kinder als Konsumenten

Arbeitsmarktentlastung

Sonstige Kosten

Familienmanagerin und Wissensgesellschaft

Abgrenzung: Pronatalistische Maßnahmen im Dritten Reich

Alternative: Erziehungsgehalt

Alternative: Zukunftsvorsorge durch Kinder oder Sparen

Für und Wider

Scheidung

Scheidung mit Beteiligung einer Familienmanagerin

Scheidung ohne Beteiligung einer Familienmanagerin

Zerrüttungsprinzip

Die Alten

Anreize für einen späteren Renteneintritt

Zusätzliche Arbeiten für ältere Menschen

Rationalisierung

Rationalisierungspotenzial

Komplexitätsreduzierung

Chancen für den Osten

Natürliche Lebensmittel für gesunde Kinder

Familienurlaub auf dem Bauernhof und an der See

Bevölkerungsplanung

Steuerung der Bevölkerungsentwicklung

Einwanderungsland

Schlussbemerkung

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Prozentsatz der Frauen mit ... Kindern

Abbildung 2: Zuwanderungen pro Jahr 1991 – 2002

Abbildung 3: Lebenserwartung von Männern um 1900 und 2000

Abbildung 4: Lebenserwartung von Frauen um 1900 und 2000

Abbildung 5: Anzahl der Geburten pro 1.000 Einwohner (alte BRD)

Abbildung 6: Arbeitslosenquoten in Deutschland

Abbildung 7: Finanzierungsbeispiel Familienmanagerin

Abbildung 8: Anteil der Pflegebedürftigen nach Altersgruppen – 2000

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt Lenore Steller für die kritische Durchsicht des Manuskripts und zahlreiche Anregungen, ohne die das Buch in dieser Form nicht hätte entstehen können.

Peter Mersch

Für Spätzchen

Vorwort

Wir stehen in Deutschland – und in ähnlicher Weise in ganz Europa – vor einer Katastrophe biblischen Ausmaßes. Das Schlimme daran: Wir sehen zwar alles ganz klar auf uns zukommen, es gibt aber keine Erfahrungen, auf die wir zurückgreifen könnten, um die Gefahr noch abzuwenden. Denn eine vergleichbare Situation hat es in der Geschichte der Menschheit noch nie vorher gegeben1.

Noch sind nur die ersten Vorboten der bevorstehenden Katastrophe erkennbar, wie zum Beispiel zunehmende Arbeitslosigkeit, Verarmung und Abstriche bei sozialen Leistungen. Die meisten Politiker vertreten noch die Meinung, man müsse nur wieder die Wirtschaft ankurbeln und die Arbeitslosigkeit bekämpfen, dann würden sich auch alle anderen Probleme praktisch wie von selbst lösen. Dabei handelt es sich allerdings um eine reine Symptombekämpfung: Das eigentliche Problem sitzt viel tiefer und betrifft das Fundament der Gesellschaft, nämlich ihre Menschen.

Auch ist es keineswegs so, dass wir es nur mit einer einzigen Veränderung (zum Beispiel der gestiegenen Lebenserwartung) zu tun haben, sondern mehrere ineinander greifende und sich gegenseitig verstärkende Entwicklungen führen zu einer Beschleunigung von Vorgängen, aus denen es kaum noch ein Entrinnen gibt.

Hier nur einige wenige Fakten und daraus folgende Konsequenzen:

Die Menschen werden immer älter. Dies ist zum Teil ein Erfolg des medizinischen Fortschritts, aber auch einer insgesamt stärker geschützten Lebensweise.

Lag die Lebenserwartung für einen im Jahr 1950 in Westdeutschland geborenen Jungen noch bei 64,6 Jahren, so erhöhte sich dieser Wert für einen in 2000 geborenen Jungen auf 74,8 Jahre. Bei Frauen nahm die Lebenserwartung im gleichen Zeitraum von 68,5 auf 80,7 Jahre zu.

Zusammen mit der gleichzeitig gesunkenen Geburtenrate wird dies unter anderem zur Folge haben, dass in 2030 jede dritte (34,4 Prozent) in Deutschland lebende Person 60 Jahre oder älter sein wird.

Es werden immer weniger Kinder geboren. Jede Frau müsste im Durchschnitt 2,1 Kinder in die Welt setzen, damit die Bevölkerungszahlen stabil bleiben, tatsächlich liegt die sogenannte Fertilitätsrate

2

zurzeit bei 1,36, betrachtet man nur die deutsche Bevölkerung ohne Zugewanderte, dann sogar noch deutlich darunter.

Älter werdende Menschen sind in vielen Belangen bedürfnisärmer. Sie benötigen keine neuen Autos mehr, die sie sowieso nicht fahren dürfen, keine teuren Konsumgüter oder Modeartikel, und die alten Möbel tun es in der Regel auch noch, zumal alternde Menschen in der Regel weniger häufig umziehen. Und wenn, dann siedeln sie gleich in den warmen Süden über, wodurch sie ihr Geld ins Ausland transferieren. Auch fehlen die Enkelkinder, denen sie das Geld in der einen oder anderen Form zukommen lassen könnten. Eine sinkende Anzahl junger Menschen hat deshalb eine abnehmende Binnennachfrage zur Folge.

Die geringere Anzahl an nachrückenden jüngeren Personen wird noch stärker für die Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen des Staates und der Wirtschaft benötigt werden, weswegen sie noch weniger Kinder in die Welt setzen werden. Eine geringere Anzahl an Menschen setzt also auch bezogen auf ihre eigene Populationsgröße zu wenige Kinder in die Welt, wodurch sich der Effekt der Überalterung verstärken wird.

Viele Menschen leiden bereits in jungen Jahren unter chronischen Erkrankungen mit schweren Spätfolgen. Zu nennen sind insbesondere: Übergewicht, Kopfschmerzen, Diabetes, Essstörungen, Hyperaktivität, Depressionen, rheumatische Erkrankungen. Einige der genannten Krankheiten haben in den letzten Jahrzehnten epidemische Ausmaße angenommen. Eine erhebliche Anzahl der nachrückenden jüngeren Menschen ist also nur bedingt leistungsfähig

3

.

Viele junge Menschen entstammen zugewanderten Familien, sprechen schlecht Deutsch und schließen die Schule entweder mit keinem Abschluss oder lediglich mit einem Hauptschulabschluss ab. Andere Kinder scheinen kaum erziehbar zu sein, so dass den verzweifelten Eltern gar eine Super-Nanny

4

zu Hilfe eilen muss. Ein nennenswerter Anteil der schwindenden jüngeren Generation ist also gleichzeitig schlecht ausgebildet oder verhaltensauffällig und in einer modernen Informations- und Wissensgesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland nur bedingt einsatzfähig.

Gerade begabte Frauen und Männer entscheiden sich zunehmend für eine berufliche Karriere und eine lebenslängliche Kinderlosigkeit. Im günstigsten Fall werden ein oder zwei Kinder in die Welt gesetzt. Dies führt zu der bedenklichen Situation, dass sich vor allem die gesellschaftlichen Leistungsträger zu wenig reproduzieren. Die heute aufwachsenden Kinder haben meist keine oder nur wenige Geschwister und werden im Erwachsenenalter einen geringeren Kinderwunsch verspüren

5

.

Frauen entscheiden sich heute häufig eher für eine Langzeitarbeitslosigkeit als für Kinder, weil sie glauben, ihren Kindern unter den heutigen wirtschaftlich unsicheren Rahmenbedingungen nicht genügend Sicherheit und Wohlstand bieten zu können. Auch glauben sie – und das mit Recht –, dass eigene Kinder die weitere Jobsuche eher behindern werden.

Viele ältere Menschen sind geistig oder körperlich so gebrechlich, dass sie sich nicht mehr selbst versorgen können. Sie benötigen folglich die Hilfe anderer. Diese „anderen Menschen“ werden in den nächsten Jahrzehnten zahlenmäßig abnehmen oder dringend für andere gesellschaftliche Aufgaben benötigt. Es ist deshalb denkbar, dass Menschen nicht mehr so lange am Leben erhalten werden können, wie dies medizintechnisch machbar wäre, ein Punkt, der an den ethischen und moralischen Grundfesten unserer Gesellschaft rütteln wird.

Der bereits entstandene Nachwuchsmangel wird in den nächsten Jahren mit voller Wucht auf den Arbeitsmarkt treffen, während gleichzeitig ein deutlich größerer Bevölkerungsteil in Rente geht. Dies dürfte nicht nur das Rentensystem unfinanzierbar machen, sondern den Bedarf an ausländischen Arbeitskräften erhöhen. Diese können aber nicht aus den von ähnlichen Nachwuchssorgen betroffenen europäischen Nachbarländern kommen, sondern nur aus Ländern mit einem erheblichen Überschuss an jüngeren Menschen, insbesondere also aus muslimischen Ländern, in denen Frauen oft noch als reine Gebärmaschinen gehalten werden. Hierdurch besteht die Gefahr der zunehmenden fundamentalistischen Unterwanderung der liberalen westlichen Gesellschaft. Dies hätte die ironische Konsequenz, dass die Stärkung der Stellung der Frauen in den westlichen Industrienationen indirekt zu einer Durchsetzung dieser Gesellschaften mit extrem frauenfeindlichen Ideologien führt.

Betrachtet man den Staat als einen lebenden Organismus und die in ihm wohnenden Menschen als seine Zellen, dann haben wir es hier mit einer Situation zu tun, bei der

ein Großteil der Zellen alt und verbraucht ist (zu viele alte Menschen),

ein Teil der jüngeren Zellen angeschlagen ist (krank, erschöpft, überfordert),

zu wenige jüngere Zellen nachwachsen, die die alten ersetzen können (zu wenige Kinder),

die jüngeren Zellen oft von minderer Qualität sind (schlecht ausgebildet, verhaltensauffällig),

zunehmend Teile des Organismus durch Implantate ersetzt werden müssen (Zuwanderer).

Einem solchen Organismus fehlt etwas, was für jedes Lebewesen von entscheidender Bedeutung ist: die Fähigkeit der inneren Erneuerung. In der Natur würde ein solches Lebewesen bald eingehen.

In diesem Buch wird deutlich gemacht, dass nicht die zunehmende Lebenserwartung, sondern in erster Linie der fehlende und weniger qualifizierte bzw. belastbare Nachwuchs – oder wirtschaftwissenschaftlich ausgedrückt: das sinkende Humanvermögen6 – für die sich abzeichnende Entwicklung verantwortlich gemacht werden muss.

Darüber hinaus wird gezeigt, dass das Aufziehen von Kindern nur bedingt mit unserer spezialisierten und stressreichen Arbeitswelt und den heute weit verbreiteten Ansprüchen an die Freizeitgestaltung vereinbar ist und dass daher ein Großteil der Probleme rührt. Gerade begabte Frauen scheinen unbewusst zu spüren, dass sie nur maximal ein oder zwei Kinder in die Welt setzen können, weil alles andere zu stark zulasten der Kinder oder, abstrakter ausgedrückt, zulasten der Qualität gehen würde.

Es wird deshalb der Vorschlag gemacht, das Aufziehen von Kindern zu professionalisieren, damit diese Aufgabe auch für intelligente und gebildete junge Frauen wieder attraktiv wird. Anders gesagt: In einer arbeitsteiligen Welt wird das Aufziehen von Kindern zunehmend zu einer weiteren Spezialaufgabe, die wie jede andere Tätigkeit von vergleichbarer gesellschaftlicher Bedeutung bezahlt werden muss. Gleichzeitig adressiert der Vorschlag neben der quantitativen Komponente auch qualitative Aspekte einer anzustrebenden Erhöhung des Humanvermögens, insbesondere die Verbesserung von Bildung und Gesundheit der aufzuziehenden Kinder.

Daneben werden verschiedene Optionen diskutiert, welche Rolle zukünftig den Alten in unserer Gesellschaft zukommen könnte.

Das Buch will gleichzeitig daran erinnern, dass jede Krise – und sei sie noch so bedrohlich – auch neue Chancen bieten kann. Eine Informations- und Wissensgesellschaft wie die Bundesrepublik Deutschland lebt entscheidend von den Kompetenzen ihrer Menschen und Unternehmen. Und in diesem Rahmen ist es auf Dauer viel weniger entscheidend, ob irgendeine Mikrochip-Fabrik nun in Leipzig oder Singapur gebaut wird, sondern ob die Menschen gesund, leistungsstark, gebildet und motiviert sind.

Auf etwas, wo bereits das Fundament nicht trägt, kann man nicht bauen. Dieser Aspekt wurde in den letzten Jahrzehnten zu wenig beachtet. Und so war es möglich, dass eine Lebensmittelindustrie unser Land mit Junk-Food überschüttete, während gleichzeitig das Kinderkriegen vor allen Dingen denen überlassen wurde, die ohnehin kaum noch etwas zu verlieren hatten, was wiederum dazu führte, dass eine erhebliche Zahl der aufwachsenden Kinder zwischen Kassiererinnen-Job und Arbeitssuche mit minderwertiger Nahrung und wenig Bildung versorgt wurde.

Die demographische Krise wird viele Länder treffen, Deutschland besonders früh und hart. Vielleicht bietet dies die Chance, auch besonders frühzeitig die notwendigen Weichen für die Zukunft zu stellen.

Sollte dies nicht gelingen, wird unser Land in den nächsten Jahrzehnten in Depression versinken. Ein Land benötigt Kinder, um optimistisch zu bleiben und an die Zukunft zu glauben. In dem Moment, wo die Kinder von den Straßen verschwinden, gehen Freude und Zuversicht verloren.

Frankfurt, im April 2006

Peter Mersch

1 Allerdings schreibt Jared Diamond in „Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“, 7. Auflage, 2006, Seite 221 über den Untergang der Maya: „Auf der anderen Seite dürfte sich in der Abnahme auch die Tatsache widerspiegeln, dass die Geburtenrate oder der Anteil überlebender Kinder im Lauf mehrerer Jahrzehnte sank. Die Entvölkerung war also vermutlich sowohl auf eine höhere Sterblichkeit als auch auf eine geringere Geburtenrate zurückzuführen.“

2 Wikipedia: Fertilitätsrate, http://de.wikipedia.org/wiki/Fertilit%C3%A4tsrate

3 Mersch, Peter: Migräne – Heilung ist möglich, 2006

4 RTL: Die Super Nanny – Erziehungsnot in Deutschland: Viele Eltern haben Stress mit ihren Kindern und kommen mit dem eigenen Nachwuchs nicht mehr klar. Die Super Nanny hilft!

5 Schirrmacher, Frank: Minimum – Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft, 2006, Seite 95

6 Kaufmann, Franz-Xaver: Schrumpfende Gesellschaft – Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen, 2005, Seite 72 ff.

1 Was auf uns zukommt

Im Vergleich zur demographischen Katastrophe ist der Zusammenbruch des Kommunismus unwichtig.7

Die Menschen in Deutschland – und fast überall sonst auf der Welt – werden immer älter, während gleichzeitig immer weniger Kinder in die Welt gesetzt werden. Mit anderen Worten: Deutschland altert mit unvorstellbarer Geschwindigkeit.

Die Tatsache ist schon seit vielen Jahren bekannt und dokumentiert, trotzdem wird politisch darauf kaum reagiert. Ein Hauptargument ist, dass sich dagegen kaum etwas tun lasse, weil es sich bei demographischen Entwicklungen um Naturprozesse (biologische Prozesse) handelt, die man politisch nicht beeinflussen8, sondern an die man sich lediglich anpassen kann, auch wenn dies schmerzlich ist. Politiker neigen dazu, nur das als Problem anzuerkennen, wofür es eine erkennbare Lösung gibt, und folglich wird die Entwicklung ignoriert.

Daneben gibt es andere Stimmen, die verstärkt ökonomische und soziale Ursachen für den Bevölkerungsschwund verantwortlich machen9. Eine solche Auffassung würde politische Gegensteuerungen ermöglichen.

Für welche Auffassung man sich auch immer entscheiden mag: Wenn nichts geschieht oder die beschlossenen Maßnahmen nicht greifen, werden die mittelfristigen Auswirkungen gewaltig sein10:

Das flache Land entvölkert sich, nur die Regionen um die Großstädte bleiben attraktiv und müssen den Unterhalt für den Rest der Republik erwirtschaften. Immobilienkapital entwertet sich in großem Umfang, die Binnennachfrage stagniert. Die öffentlichen Haushalte sind nicht mehr auszugleichen, ihre Kreditwürdigkeit sinkt. Soweit lassen sich die Wirkungsketten mit einiger Sicherheit voraussehen. Welche politischen und sozialen Weiterungen daraus entstehen, lässt sich nur ahnen: zunehmende Verarmung, Abwanderung, soziale Unruhen, neue extremistische Parteien, kollektiver Vertrauensverlust, vielleicht auch kollektive Erstarrungserscheinungen.

Oder etwas allgemeiner formuliert11:

Der unaufhaltsame, sich von Tag zu Tag beschleunigende Verfall unserer Bevölkerung, die Überalterung unserer Gesellschaft, die graue Revolution wird das Antlitz Europas stärker verändern als die Französische, die Russische oder die osteuropäische Revolution, wird größere gesellschaftliche Veränderungen anrichten als der Erste und Zweite Weltkrieg zusammen.

Das vorliegende Buch ist so strukturiert, dass im ersten Kapitel die möglichen oder wahrscheinlichen Konsequenzen der Entwicklung näher betrachtet werden, und zwar unter der Prämisse, dass sich die Fertilitätsraten in der Zukunft nicht wesentlich ändern werden.

Die Kapitel 2-4 beleuchten einige Hauptursachen der Entwicklung, während sich die Kapitel 5-9 mit möglichen Maßnahmen zur Gegensteuerung beschäftigen. Kapitel 10 und 11 diskutieren schließlich ergänzende Maßnahmen, die in erster Linie als Ausblick zu verstehen sind.

Überalterung

Das Problem der gesellschaftlichen Überalterung besteht aus zwei Komponenten:

Die Menschen werden aufgrund des medizinischen Fortschritts bei gleichzeitig geringeren physischen Belastungen (beispielsweise sind die meisten Menschen Wind und Wetter nur noch selten ausgesetzt) und einer geringeren Gefährdung immer älter.

Auf der anderen Seite werden in den meisten Industrieländern immer weniger Kinder in die Welt gesetzt. In Deutschland beträgt die Fertilitätsrate

12

zurzeit 1,36. Stabile Bevölkerungsgrößen setzen eine Fertilitätsrate von 2,1 (= durchschnittlich 2,1 Kinder pro Frau) voraus.

In nackten Zahlen drückt sich das Problem so aus13:

Geht man von einem Rentenalter von 60 Jahren aus, dann kamen in 1985 auf 100 Erwerbstätige 35 Rentner, während dieses Verhältnis in 2030 auf 71 Rentner und in 2050 auf 78 Rentner pro 100 Erwerbstätige ansteigen wird. Heute liegt der Wert bei 45.

Geht man von einem Rentenalter von 65 Jahren aus, dann kamen in 1985 auf 100 Erwerbstätige 24 Rentner, während dieses Verhältnis in 2030 auf 49 Rentner und in 2050 auf 55 Rentner pro 100 Erwerbstätige ansteigen wird. Heute liegt der Wert bei 32.

In 2030 wird jede dritte Person (34,4 Prozent) in Deutschland 60 Jahre oder älter sein.

Gab es 1985 noch 19,8 Millionen Frauen in einem gebärfähigen Alter, so wird diese Zahl in 2030 auf 16,3 Millionen und in 2050 auf 14,2 Millionen sinken. Aktuell sind 19,6 Millionen Frauen in diesem Alter.

Wurden in 1964 noch 1,36 Millionen Kinder geboren, so wird diese Zahl im Jahr 2050 auf 548.000 bis 450.000 sinken

14

. In 2005 wurden 680.000 Kinder geboren.

Das Statistische Bundesamt schreibt zur Basis der aufgeführten Schätzwerte15:

Für den Zeitraum von 2002 bis 2050 wurden die Ergebnisse der mittleren Variante der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung herangezogen. Dieser Variante liegen folgende Annahmen zugrunde:

Die Geburtenhäufigkeit bleibt während des gesamten Zeitraums der Vorausberechnung bei 1,4 Kindern pro Frau.Die Lebenserwartung bei Geburt steigt bis 2050 für Mädchen auf 86,6 Jahre und für Jungen auf 81,1 Jahre; die "fernere" Lebenserwartung beträgt 2050 für 60-jährige Frauen 28 weitere Lebensjahre und für gleichaltrige Männer etwa 24 Lebensjahre.Der Außenwanderungssaldo der ausländischen Bevölkerung beträgt 200.000 jährlich; die Nettozuwanderung der Deutschen geht von etwa 80.000 im Jahr 2002 schrittweise zurück bis zum Nullniveau im Jahr 2040.

Mit anderen Worten: Die Geburtenrate wurde optimistisch noch mit 1,4 Kindern pro Frau angenommen. Davon scheint man aber nicht mehr ausgehen zu können, denn aktuell ist die Zahl bundesweit bereits auf 1,36 gesunken16, in einigen Bundesländern liegt sie sogar deutlich darunter.

Fazit: Deutschland wird – sofern keine gravierenden Änderungen eintreten – spätestens in 2030 ein Land voller alter Menschen sein, mehr als jede dritte Person wird über 60 Jahre alt sein. Ob die dann in Deutschland aufwachsenden Kinder im Erwachsenenalter hier noch leben wollen oder nicht lieber irgendwo sonst auf der Welt ihr Glück versuchen werden, kann man zurzeit nicht voraussehen. Die im Osten Deutschlands bereits stattfindende Landflucht spricht aber eine klare Sprache. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass gerade die Leistungsträger frühzeitig in Länder auswandern werden, die über bessere Rahmenbedingungen verfügen17:

Die jungen Hoffnungsträger wandern scharenweise aus in andere Länder, wo sie bessere Entfaltungsmöglichkeiten vorfinden.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich halte die Tatsache, dass die Menschen immer älter werden, für ein erschwerendes, aber letztendlich lösbares Problem: Viele alte Menschen können immer noch gesellschaftlich wichtige Aufgaben übernehmen, dazu werden verschiedene Vorschläge im Kapitel Die Alten auf Seite → gemacht. Die wirklich schwerwiegende Komponente des Überalterungsproblems stellt die zunehmende Kinderlosigkeit dar. Eine Gesellschaft mit vielen alten Menschen reift, eine Gesellschaft ohne Kinder stirbt dagegen.

Franz-Xaver Kaufmann dazu18:

Je mehr die Bevölkerung altert, desto wichtiger ist eine Fertilität, die das Reproduktionsniveau nicht wesentlich unterschreitet.

Und an anderer Stelle19:

Nicht das Altern, sondern der absehbare und sich voraussichtlich beschleunigende Rückgang unserer Bevölkerung ist das zentrale demographische Problem.

Allerdings darf bezweifelt werden, dass dies auf Dauer auch so von der Bevölkerung gesehen wird. Wenn die demographische Entwicklung unverändert weiter geht, wird sich eine zunehmende Intoleranz gegenüber alten Menschen herausbilden. Bei verstärkter ökonomischer Belastung des erwerbstätigen Teils der Bevölkerung werden ältere Menschen empfindliche Einbußen bei der medizinischen Betreuung erfahren. Dies wird sowohl für medikamentöse Therapien, medizinische Eingriffe, physikalische Therapien als auch Pflegedienste gelten. Die Veränderungen werden an grundsätzlichen ethischen und moralischen Wertvorstellungen unserer Gesellschaft rütteln. Es ist nicht auszuschließen, dass sich gleichzeitig ein offener Altenhass entwickeln wird, in dessen Rahmen zum Beispiel jede größere Grippewelle mit Verlusten bei der älteren Bevölkerung als Geschenk Gottes gefeiert wird.

Sucht man nach den Gründen für den Fertilitätsrückgang, dann fällt zunächst der deutliche Anstieg des Anteils der Frauen ohne Kinder auf. Mittlerweile ist davon auszugehen, dass jede dritte Frau zeitlebens ohne Kinder bleiben wird.

Herwig Birg dazu20:

Die Risiken langfristiger Festlegungen im Lebenslauf sind am größten, wenn eine Entscheidung über den Schritt zum ersten Kind getroffen werden muss. Die Übergänge vom ersten zum zweiten und vom zweiten zum dritten Kind unterscheiden sich grundlegend von diesem ersten Schritt, denn der Wechsel zur Elternschaft ist irreversibel, er ist wie ein Übergang von einer Welt in eine andere, während der Zuwachs einer Familie durch ein weiteres Kind als ein Ereignis aus der gleichen Welt erfahren wird, nicht als Übergang in eine neue. Deshalb erhöhte sich der Anteil der Kinderlosen vom Frauenjahrgang 1940 bis zum Jahrgang 1965 kontinuierlich von 10,6% auf 32,1%.

Des Weiteren ist auch der Anteil der Frauen mit einem Kind und der von Frauen mit drei und mehr Kindern zurückgegangen. Der geringere Rückgang bei den Familien mit vier und mehr Kindern beruht auf dem hohen Anteil Zugezogener. Bereits Anfang der 90er Jahre hatten 42 Prozent der Kinder, die als vierte oder weitere Kinder zur Welt kamen, ausländische Eltern21. Lediglich der Anteil der Frauen mit zwei Kindern blieb über die verschiedenen Geburtenjahrgänge hin konstant. Dies wird in der folgenden Tabelle zusammengefasst22:

Von 100Frauen haben … Kinder

Jahrgangkeine1234 u. m.Geburtenrate194010,626,434,118,510,41,97194513,030,434,614,08,01,78195015,829,434,313,17,41,70195521,924,933,512,57,31,61196026,021,632,412,47,71,57196532,117,631,211,18,11,48

Abbildung 1: Prozentsatz der Frauen mit ... Kindern

Einerseits mag die sichere Empfängnisverhütung und die Legalisierung der Abtreibung bei dieser Entwicklung eine wesentliche Rolle gespielt haben. Hierdurch wurden die Frauen in die Lage versetzt, eine Empfängnis auf sichere und durch sie gesteuerte Weise zu verhindern. Ihnen standen damit zum ersten Mal die gleichen biographischen Optionen wie Männern zur Verfügung, und das ganz ohne Triebverzicht (siehe dazu den Abschnitt Die Opportunitätskosten der Kindererziehung auf Seite →). Die Pille und die Legalisierung der Abtreibung waren also letztendlich die technischen Voraussetzungen für gesellschaftliche Veränderungen, wie die stärkere Selbstbestimmung und Berufstätigkeit der Frauen.

Konzentriert man sich auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen, dann dürften sich vor allem die folgenden Punkte negativ auf die Geburtenraten ausgewirkt haben:

Rentenversicherung (siehe

Kapitel

Rentenversicherung

auf Seite

)

Frauenemanzipation (siehe

Kapitel

Emanzipation der Frauen

auf Seite

)

Scheidungsgesetze (siehe

Kapitel

Ehe-Risiken

auf Seite

)

Dabei betreffen die ersten beiden Punkte beide Elternteile, da eigene Kinder nicht nur aktuelle wirtschaftliche Nachteile zur Folge haben, sondern auch zu Beeinträchtigungen bei der Altersversorgung führen. Die deutschen Scheidungsgesetze mit ihrer deutlichen Benachteiligung von alleinverdienenden Ehemännern beeinflussen dagegen vor allem den Kinderwunsch von Männern negativ.

Insgesamt besagen die aktuellen Geburtenraten, dass sich Generationen nur noch zu zwei Dritteln ersetzen23:

Wenn – wie dies seit drei Jahrzehnten in der Bundesrepublik mit kleinen Schwankungen kontinuierlich der Fall ist – sich eine Frauengeneration über die Generationen hinweg nur noch zu etwa zwei Dritteln ersetzt, so bedeutet dies, dass 1.000 Frauen nur noch 667 Töchter und 444 Enkelinnen und 296 Urenkelinnen bekommen.

Die Beispielrechnung macht unmittelbar klar, dass einmal angelaufene Prozesse zu einem späteren Zeitpunkt kaum noch umstimmbar sind. Auch wenn die 444 Enkelinnen eine Geburtenrate von 3,0 hätten, würden daraus nur wieder 667 Urenkelinnen entstehen und eben nicht 1.000.

Überfremdung / Fremdenfeindlichkeit

Der Begriff der „Überfremdung“ hört sich zunächst politisch motiviert an24. Er soll aber im Kontext dieses Buches genauso neutral verstanden werden, wie der Begriff der „Überalterung“. Dieses Buch beschäftigt sich nicht mit der politisch korrekten Verwendung von Begriffen, sondern mit der Beschreibung und Lösung von Problemen.

Beide Begriffe – Überalterung und Überfremdung – bedingen sich gegenseitig. Auf der einen Seite macht die zunehmende Alterung der Gesellschaft einen ständigen Zustrom an Zuwanderern erforderlich, so dass25

Deutschland und die EU selbst nach konservativsten Berechnungen ein solches Maß an Zuwanderung erleben werden, dass die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft bis aufs Äußerste herausgefordert sein wird.

Hohe Anforderungen an die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft bzw. schlussendlich die Überforderung der Integrationsfähigkeit sind andere Formulierungen für den Begriff der „Überfremdung“: Irgendwann ist ein Punkt erreicht, wo ein zu hoher Anteil an Zuwanderern gesellschaftlich nicht mehr verkraftet werden kann. Eine unverblümte Fremdenfeindlichkeit wird nur eine der direkten Folgerungen sein26.

Verzichtet man dagegen auf eine Verstärkung der Zuwanderung, wird unsere Gesellschaft zwangsläufig „überaltern“. Alte Menschen werden dann einen so hohen Anteil an der Gesamtbevölkerung haben, dass sie von der jüngeren Generation nur noch als störend empfunden werden27:

Den Alternden werden Schuldgefühle gemacht werden. Und sie werden sich schuldig fühlen, weil sie da sind.

Als Konsequenz aus der demographischen Krise hat die Gesellschaft also die Wahl zwischen einer verstärkten Alten- oder einer verstärkten Fremdenfeindlichkeit. Wahrscheinlich wird beides eintreten.

In diesem Abschnitt sollen aber in erster Linie die Konsequenzen einer verstärkten Zuwanderung diskutiert werden.

Wenn Deutschland zunehmend älter wird, immer weniger Kinder geboren werden, während gleichzeitig anhaltend mehr alte Menschen in Rente gehen, dann ist eine nahe liegende Handlungsoption, die fehlenden Arbeitskräfte durch Zuwanderer zu ersetzen.

Tatsächlich aber geschieht dies bereits seit vielen Jahren. Ohne die regelmäßige Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland, hätte die Einwohnerzahl in Deutschland längst abgenommen.

Herwig Birg dazu28:

Deutschland war im 19. Jahrhundert ein Auswanderungsland, jedes Jahr zogen 100 bis 200 Tausend Menschen nach Übersee, die meisten in die Vereinigten Staaten und nach Südamerika. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Deutschland über 12 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge auf. In der Zeit hohen Wirtschaftswachstums wandelte es sich von einem Auswanderungs- in ein Einwanderungsland; das ist in der Zeit niedrigen Wachstums so geblieben. Es überholte dabei – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – die klassischen Einwanderungsländer USA, Kanada und Australien: Auf 100 Tausend Einwohner und oft auch in absoluten Zahlen übertrifft die Zahl der Zuwanderungen die der klassischen Einwanderungsländer um ein Vielfaches.

Und weiter29:

Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts werden in Deutschland jedes Jahr mehr Zuwanderer aus dem Ausland registriert als Geburten im Inland – eine Entwicklung, die sich im 21. Jahrhundert wegen der permanent sinkenden Geburtenzahl verstärkt fortsetzen wird. So deutlich diese Zahlen den Übergang zu einem Einwanderungsland dokumentieren, sie sagen nichts über den besonders wichtigen Sachverhalt aus, dass es sich um die Zuwanderung meist wenig qualifizierter Menschen aus Ländern der Dritten Welt handelt, während die Wanderungsbilanz mit den europäischen Ländern oder den USA negativ ist.

Mit anderen Worten:

Die Zahl der Zuwanderer übertrifft seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die Zahl der Geburten.

Überwiegend wandern weniger qualifizierte Menschen aus Ländern der Dritten Welt zu, während die Abwanderer dagegen häufig besonders qualifiziert sind.

Deutschland übertrifft bei der Zuwandererzahl die meisten anderen Länder bei weitem und hat selbst die klassischen Einwanderungsländer hinter sich gelassen.

Franz-Xaver Kaufmann schätzt die relative Qualifikation der Zugewanderten wie folgt ein30:

Man muss deshalb den Beitrag, den die Zuwanderung zur Minderung der skizzierten Investitionslücke in Humankapital bisher geleistet hat, als deutlich unterproportional zur Zahl der Zuwanderer einschätzen.

Übersetzt heißt dies mehr oder weniger: Eine bestimmte Anzahl an Zuwanderern ist insgesamt deutlich weniger qualifiziert als die gleiche Anzahl einheimischer Mitarbeiter. Das Humanvermögen wird durch zugewanderte Menschen nicht in gleicher Weise gesteigert wie durch in Deutschland aufgewachsene Menschen.

Dies drückt sich konkret zum Beispiel wie folgt aus31:

Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung in elf norddeutschen Städten zufolge gingen im Jahre 2003 22,6 aller ausländischen Schüler ohne Abschluss von der Schule; im Jahr zuvor waren es noch 15,1%. Dieser Anteil ist etwa dreimal so hoch wie derjenige der einheimischen Jugendlichen.

Die folgende Abbildung zeigt die Zahl der Zuwanderungen in die Länder Schweiz (CH), Deutschland (D), Spanien (ESP), Frankreich (F), Italien (ITA) und Großbritannien (GB) in Tausend im Zeitraum 1991 bis 2002 (Jahresdurchschnitte) 32:

Abbildung 2: Zuwanderungen pro Jahr 1991 – 2002

Herwig Birg fasst die Situation wie folgt zusammen33:

Stärker als in anderen Industrieländern werden fehlende Geburten durch Einwanderungen ersetzt: Schon vor dem Zusammenbruch des Ostblocks und der anschließenden starken Zuwanderung nahm Deutschland ein Mehrfaches an Migranten auf als vergleichbare Länder: Auf 100 Tausend Einwohner bezogen betrug die jährliche Zahl der Zuwanderungen zum Beispiel in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts in den USA 245, in Kanada 479, in Australien 694 und in der alten Bundesrepublik 1.022. In Deutschland werden pro Jahr im Mittel 700 Tausend Geburten und rund 800 Tausend Zuwanderungen registriert – bei rund 850 Tausend Sterbefällen und rund 600 Tausend Abwanderungen ins Ausland. Deutschland hat also mehr Zuwanderungen pro Jahr als Geburten im Inland, und zwar schon seit Jahrzehnten. Desinformation und Desinteresse haben zu einem falschen Selbstbild Deutschlands geführt: Es ist weltoffener als andere Länder.

Der Zuwanderungsstrom von außen wird im Inneren des Landes durch ein weiteres Phänomen ergänzt:

Zwischen 2000 und 2005 lag die Fertilitätsrate der deutschen Frauen schätzungsweise zwischen 1,2 und 1,3.

Im gleichen Zeitraum hatten die zugewanderten Frauen dagegen eine Fertilitätsrate von 1,9.

Mit anderen Worten: Es wandern nicht nur jährlich mehr Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland zu, als in Deutschland Kinder geboren werden, die zugewanderten Menschen setzen auch prozentual deutlich mehr Kinder in die Welt als die einheimische Bevölkerung; das heißt, die deutsche Bevölkerung reproduziert sich deutlich schlechter als der zugewanderte Bevölkerungsteil. Auch dies wird auf Dauer zu signifikanten Verschiebungen bei den Bevölkerungsmehrheiten führen.

Franz-Xaver Kaufmann dazu34:

Sollte sich die Zuwanderung in Deutschland im bisherigen Umfang fortsetzen, so würde der Anteil der Zugewanderten und ihrer Nachkommen nach einer Schätzung von Birg sich von 9% (1998) auf 19,6% (2030) und 27,9% (2050) erhöhen. In Ostdeutschland und manchen Großstädten könnte schon bald unter den Jüngeren die Zahl der Zugewanderten und ihrer Nachkommen überwiegen.

Ganz anders stellen sich die Prognosen dar, wenn man sich nicht an dem bisherigen Umfang der Zuwanderung orientiert, sondern an der Bevölkerungszahl bzw. an der Zahl der Arbeitskräfte35:

Wollte Deutschland bis zum Jahr 2050 die Bevölkerungszahl konstant halten, müssten wir jährlich 344.000 ausländische Menschen aufnehmen; also insgesamt bis zum Jahr 2050 rund 17 Millionen – das entspricht der Einwohnerzahl der Benelux-Staaten oder von Österreich plus Tschechien. Und doch ist diese gewaltige Zahl lediglich die untere Grenze, das Harmlos-Szenario: Denn noch dramatischer sieht es im Hinblick auf das Arbeitspotenzial aus (also der Deutschen, die älter als 15, aber jünger als 65 Jahre sind). Wollte man das Reservoir an Arbeitskräften konstant halten, wären jährlich 487.000 Zuwanderer nötig, was sich bis zum Jahr 2050 auf 24,3 Millionen Einwanderer summieren würde. …

Noch alarmierender werden die Zahlen, wenn es darum geht, das „potenzielle Unterstützungsverhältnis“ aufrechtzuerhalten, also die Zahl der Personen im arbeitsfähigen Alter, die auf je eine Person über 65 entfällt. Wäre es das Ziel, das heutige Verhältnis zu stabilisieren, müssten bislang nie dagewesene (und jeglichen vernünftigen Erwartungen widersprechende) Einwanderungszahlen erreicht werden: Deutschland müsste jährlich bis zu 3,6 Millionen Migranten gewinnen und so bis zum Jahr 2050 nicht weniger als 181 Millionen Zuwanderer ins Land holen – die heutige Bevölkerung Russlands.

Die Zahlen machen unmittelbar deutlich, dass es eine Veränderung im „potenziellen Unterstützungsverhältnis“ geben muss, oder anders ausgedrückt: Die Deutschen müssen zu einem späteren Zeitpunkt in Rente gehen als bisher.

In fast allen Industrieländern und insbesondere in der gesamten Europäischen Union ist die Fertilitätsrate in den letzten Jahrzehnten signifikant gefallen, so dass fast nirgendwo mehr bestandserhaltende Werte erreicht werden.

Ganz anders sieht dies in den ans Mittelmeer angrenzenden Nachbarländern der EU aus.

Herwig Birg präzisiert36:

Trotz einer in den Vorausberechnungen unterstellten schnellen Abnahme der Geburtenrate und trotz angenommener hoher Auswanderungen wächst die Bevölkerung in diesen Anrainerstaaten des Mittelmeers von 1998 bis 2050 von 236 auf 394 Millionen. Gleichzeitig schrumpft sie in den 15 Ländern der Europäischen Union von 375 auf 296 Millionen, falls die Geburtendefizite nicht durch Einwanderungen ausgeglichen werden können.

Noch gravierender sehen die Unterschiede aus, wenn das gesamte südliche europäische Hinterland betrachtet wird. Hier gehen konservative Schätzungen davon aus, dass die Bevölkerungszahl im Zeitraum von 2000 bis 2050 von 587 auf 1.298 Millionen zunehmen wird37.

Bei unveränderter demographischer Entwicklung in Deutschland und seinen Nachbarländern dürften diese Bevölkerungen irgendwann in Europa vor leeren Räumen stehen.

Oder mit den Worten von Franz-Xaver Kaufmann38:

Der Bevölkerungsrückgang wird bald auch unsere Nachbarländer ergreifen und gleichzeitig einen Sog auf die noch „jungen“ und weit ärmeren Bevölkerungen anderer Weltteile ausüben. Was dann zu erwarten steht, lässt sich durchaus mit den Wirkungen der Völkerwanderung vergleichen.

Vereinzelung

Bezogen auf die alte Bundesrepublik Deutschland lässt sich die folgende Entwicklung festhalten:

Von 1970 bis 2004 erhöhte sich die Zahl der Ein-Personen-Haushalte von ca. 5,5 Millionen auf ca. 11,5 Millionen.

Von 1970 bis 2004 stieg gleichzeitig die Zahl der Zwei-Personen-Haushalte von ca. 6 Millionen auf ca. 10,5 Millionen.

Gleichzeitig kam es zu einer signifikanten Verringerung der Zahl der Familien mit drei und mehr Kindern. Bei einem Großteil der verbliebenen kinderreichen Familien handelt es sich um Zuwanderer, ein erheblicher Teil davon ist arm.

In Deutschland kommt es also mehr und mehr zu einer Vereinzelung von Menschen, die entweder als Single oder in einer Paarbeziehung ohne Kinder leben.

Und auch die aufwachsenden Kinder haben sehr häufig nur noch einen Bruder oder eine Schwester.

Martine und Jürgen Liminski ergänzen39:

Freilich gilt auch: Ohne Mehrzahl kaum oder gar keine Beziehungen. Bei einem Kind gibt es drei Beziehungen, bei zwei schon sechs, bei drei bereits zehn.

Daneben entwickeln sich vor allem die Großstädte stellenweise zu regelrechten Arbeitswelten, in denen für Kinder kein Platz mehr zu sein scheint.

Franz-Xaver Kaufmann dazu40:

Posttraditionale Lebensformen finden sich vor allem in Großstädten und städtischen Zentren, während Familien vorzugsweise im Stadtumland wohnen, soweit sie nicht ohnehin in einem eher traditionalen ländlichen Umfeld siedeln. Und es ist ebendiese Polarisierungstendenz, welche das besondere Ausmaß des Geburtenrückgangs in Deutschland mit erklärt. Es bilden sich hier zunehmend „kinderlose Milieus“, in denen das Fehlen von Kindern auch nicht mehr wahrgenommen wird. Kinderlose finden hier also Bestätigung unter ihresgleichen. Sie haben sich den Umgang mit Kindern abgewöhnt.

Und weiter41:

Die Polarisierung auf der Bewusstseinsebene wird auch durch eine aktuelle Studie im Auftrage der baden-württembergischen Landesregierung bestätigt. Ihr zufolge ist ein Teil der deutschen Bevölkerung dabei, sich von Kindern zu entfremden. „Der Anteil der Bevölkerung, der kaum Kontakte zu Kindern und Jugendlichen hat, wächst kontinuierlich und damit die Gefahr, dass die Interessen der nächsten Generation bei der gesellschaftlichen Meinungsbildung und den Entscheidungen in Politik und Gesellschaft zu wenig berücksichtigt werden.“

Viele Restaurants und Konsumtempel in Großstädten sind heute bereits so konzipiert, dass Kinder sich darin nicht wohlfühlen würden.

Noch deprimierender sieht es in der virtuellen Welt aus42:

Auf dem Bildschirm tummeln sich weit mehr Großstadt-Singles, kinderlose Männer und Alleinerziehende als in der Wirklichkeit. „Eine Geburtenrate von 0,48 Kindern pro Frau und 0,6 pro Mann macht das Filmleben der Primetime zur quasi kinderfreien Zone und potenziert den demographischen Niedergang des ‚wahren Lebens’ auf dem Schirm ins geradezu Apokalyptische“, lautet das Ergebnis einer Studie des Adolf-Grimme-Instituts zu Familienbildern im Fernsehen. Im Fernsehfilm gab es im Untersuchungszeitraum 2004 mehr als doppelt so viele Singles und dreimal so viele Alleinerziehende wie in der deutschen Realität.

Frank Schirrmacher sieht diesen Prozess sich gradlinig fortsetzen43:

Je kinderloser die Umwelt, je verwandtschaftsärmer die Netzwerke, desto schneller scheint sich der Mensch der Kinder zu entwöhnen.

Die zunehmende Vereinzelung hat aber auch wirtschaftliche Konsequenzen. Meinhard Miegel dazu44:

Bei gleichem Lebensstandard brauchen und verbrauchen nun einmal vier Ein-Personen-Haushalte sehr viel mehr als ein Vier-Personen-Haushalt. Die Menschen lassen sich ihre freiwillige oder unfreiwillige Vereinzelung etwas kosten. Ob diese Vereinzelung menschengerecht ist, soll dahingestellt bleiben. Viele haben sie selbst gewählt. Doch wirtschaftlich aufwändig ist sie allemal.

Auf der anderen Seite ist das Single-Dasein in den meisten Fällen mit deutlich niedrigeren Opportunitätskosten verbunden als alternative Lebensläufe. Obwohl diese Lebensweise gemäß Meinhard Miegel wirtschaftlich sehr aufwändig ist, ist sie für die Singles selbst wirtschaftlich die günstigste Alternative. Roland und Andrea Tichy erläutern dies so45: