Iberische Diktaturen - Ursula Prutsch - E-Book

Iberische Diktaturen E-Book

Ursula Prutsch

0,0

Beschreibung

Francisco Franco in Spanien und António de Oliveira Salazar in Portugal waren fast 40 Jahre lang an der Macht. Das schwierige Erbe der Diktaturen prägt die Geschichte der beiden iberischen Staaten bis heute - sei es durch zahlreiche Prozesse der Aufarbeitung, sei es durch revisionistische Beschönigung ihrer Herrschaft. Der vorliegende Band stützt sich auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Er beschreibt die Etablierung und Erhaltung von Machtstrukturen in Systemen, die auf Dauer ausgerichtet waren, jedoch gerade deshalb ein gewisses Maß an Flexibilität aufwiesen. Der Inszenierung von Geschichtsbildern und Identitäten, der Konstruktion von Feindbildern und vielfältigen Unterdrückungsmechanismen wird ebenso Raum gegeben wie dem kulturellen Leben unter Franco und Salazar. Der Band erzählt von Anpassung, Widerstand und Flucht ins Exil.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 467

Veröffentlichungsjahr: 2012

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ursula Prutsch

Iberische Diktaturen

Portugal unter Salazar, Spanien unter Franco

Mit freundlicher Unterstützung durch die Ludwig-Maximilians-Universität München

© 2012 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

E-Mail: [email protected]

Internet: www.studienverlag.at

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7065-5701-6

Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder

Satz: Studienverlag/Maria Strobl, [email protected]

Umschlag: Studienverlag/Dominika Nordholm

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at

Die Diktatur in Portugal

Ökonomische Krisen und politische Utopien

„Das Wissen, zu überdauern“ – das politische System des Estado Novo

„Einen Platz für jeden“ – Korporatismus im Estado Novo

Die Politik der „Bewegung“ – Legião Portuguesa und Mocidade Portuguesa

Die „neue Frau“ im Estado Novo – Genderrollen und Familienpolitik

Die Säulen der Ideologie: Katholizismus, Agrarromantizismus und der Nationalismus eines Kolonialreichs

Gute Bürger in einem „ethischen Organismus“: Bildungs- und Medienpolitik

Kulturelles Leben und Freizeitgestaltung im „Garten Europas“

„Im Dienste der Ordnung“ – der Repressionsapparat des Estado Novo

Salazar und die Juden, Widerstand und Exil

Das lange Ende einer Kolonialmacht

Das Erbe der Nelkenrevolution und die Transition zur Demokratie

Aufarbeitungsprozesse: Zwischen Revisionismus und Totalitarismusdiskurs

Spanien unter Franco

Ein polarisiertes Land – Spanien bis zum Beginn des Bürgerkriegs

Bürgerkrieg

Das politische System des Estado Nuevo

Die Falange – ihre Sozialpolitik und ihr Einfluss auf das Frauenbild

Das Militär, die katholische Kirche und das Opus Dei

Ideologie, Geschichtsbilder und Selbstinszenierung des Regimes

Schule und Universität im Franco-Regime

„Was nicht in der Zeitung steht, existiert nicht“: Propaganda, Zensur und Medien

Kunst und Kultur – einige Beispiele von Konformität und Widerständigkeit

Der Repressionsapparat des Franco-Regimes

Franco und die Juden, Feindbilder und Widerstand

Das „andere Spanien“ im Exil

Die letzten Jahre des Regimes – Zwischen Öffnung und Repression

Der verhandelte Umbruch – ein „Pakt des Schweigens“?

Prozesse der Vergangenheitsbewältigung und Demokratisierung

Das Portugal Salazars, das Spanien Francisco Francos – ein Resümee

Bibliographie

Die Diktatur in Portugal

Da es dem menschlichen Geist an Ausgeglichenheit mangelt,

ist auch die Ordnung nicht gegeben;

jemand muss sie zum Nutzen aller herstellen.

(António de Oliveira Salazar)1

Ökonomische Krisen und politische Utopien

Portugal zählt zu den ältesten Staaten Europas. Es erfuhr seit dem Mittelalter nur geringfügige territoriale Veränderungen und war der erste Staat, der mit der europäischen Expansion in den Atlantikraum und nach Afrika begann. Ab dem 15. Jahrhundert nahmen die portugiesischen Seefahrer für die Krone Kolonien in Afrika, Asien und Polynesien in Besitz. Zum Kolonialreich gehörten die Azoren, die Kapverdischen Inseln, die ebenfalls vor der Westküste Afrikas gelegene Inselgruppe São Tomé, Príncipe und Fernando Pó, Angola, Guinea und Mozambique, in (Latein)-Amerika Brasilien, in Asien (Ost)Timor, die indischen Enklaven Goa, Diu, und Damão, und in China schließlich die kleine Kolonie Macao.2

Aufgrund strikter Immigrationsregelungen, der Zwangschristianisierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung3 und der Einführung der Inquisition im Jahre 1536 erreichte das metropolitane Portugal im Laufe von Jahrhunderten in ethnischer und religiöser Hinsicht relative Homogenität. Oppositionelle und Nicht-Katholiken wählten ab dem Konzil von Trient zunehmend die außereuropäischen Kolonien als Zufluchtsorte. Wenn Portugals politische Eliten auch keine Forderungen und Widerstände von Minderheiten auszuverhandeln hatten, so sorgten die soziale Gegensätze im Agrarland bis zu den 1920er Jahren für eine Reihe von Krisen, die das Kolonialreich mehrmals an den Rand des Ruins brachten. Der Zucker- und Goldreichtum der größten Kolonie Brasilien brachte dem Hof und einer schmalen Oberschicht materielle Vorteile ein, die sich im Erwerb ausländischer Konsumgüter statt im Ausbau von Infrastruktur und Industrien manifestierten. Nachdem sich Brasilien 1822 vom Mutterland getrennt hatte, erhielt das afrikanisch-asiatische Kolonialreich als „neues Brasilien“ größere ideologische Bedeutung für das Mutterland.

Die französischen Okkupationsversuche und die englische Einflussnahme auf die portugiesische Politik, die Bedeutung der Freimaurer und der Exileliten förderten in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhundert liberale Ideen. Sie vermochten sich infolge der temporären Abwesenheit des Königshauses, das vor den napoleonischen Truppen nach Brasilien geflohen war4, zu entfalten. Der Liberalismus kulminierte in einer Revolte von Gewerbetreibenden in Nordportugal, die ebenfalls vom Brasilienhandel profitieren wollten. Der remigrierte König erließ 1826 eine Verfassung (Carta Constitucional), die abgesehen von einigen Abweichungen bis 1910 in Kraft war. Der liberale Konstitutionalismus setzte deutliche gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Akzente: So wurden die Grundlagen für eine moderne öffentliche Verwaltung und ein reformiertes Justizsystem gelegt. Der Zehent wurde abgeschafft, die Krongüter wurden in Staatsgüter umgewandelt, Universitäts- und Ordensländereien verstaatlicht und etwa 300 Männerorden aufgelöst.5 Gegen die versuchte Registrierung und Umzäunung von Bauernland regte sich heftiger Widerstand in der Landbevölkerung, der in der Region Minho von Frauen angeführt wurde.

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts prägten wiederum bürgerliche Eliten die Politik und verhinderten die Entwicklung eines parlamentarischen Systems. Die beiden nach 1851 gegründeten „Parteien“ der Regeneradores und Históricos, waren viel mehr durch Persönlichkeiten als durch Ideologien bestimmt. Sie hielten fast 50 Jahre lang das System der Rotation in der Regierungsausübung aufrecht, in dem eine Partei nach Gutdünken theoretisch unbegrenzt die Macht hatte. Kam sie ihren Verpflichtungen nicht mehr nach, bot der Monarch der anderen Partei die Regierungsgewalt an. Wahlen fanden erst nach der Regierungsumbildung statt. Die wahlberechtigte Bevölkerung das waren um 1850 ein Prozent, um 1900 drei Prozent legitimierten das System a posteriori.6

Das Wahlrecht war vom Einkommen abhängig und an die Lesefähigkeit gebunden, aber noch im Jahre 1910 betrug die Analphabetenrate 70 Prozent. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich ein schmales und zum Teil nobilitiertes, politisch immer einflussreicheres Bürgertum7, das den Aufbau eines ambitionierten Eisenbahn- und Kommunikationsnetzwerks mit Hilfe britischer Anleihen in Gang setzte, damit jedoch die Staatsverschuldung in die Höhe trieb und die Abhängigkeit von den Briten verstärkte. Obwohl die Bevölkerung rapide anstieg, lebten bis zur Jahrhundertwende nur 16 Prozent in urbanen Zentren. Die Industriearbeiterschaft überstieg die Zahl von 100.000 kaum; sie konzentrierte sich lediglich auf Lissabon und den Raum um Porto. Beinahe 60 Prozent der Bevölkerung waren in der Landwirtschaft tätig.8 Da Portugal fast ausschließlich Agrarprodukte und Fische exportierte und vor allem Fertigwaren importierte, litt es unter einer permanent negativen Handelsbilanz.9 Das prosperierende Brasilien zog überschüssige Arbeitskräfte meist junge Männer an, was wiederum demographische und familienpolitische Auswirkungen zeitigte.

Die modernisierungspolitischen Schwächen und seine außenpolitisch geringe Bedeutung versuchte Portugal nach der Wirtschaftskrise von 1870 durch neue koloniale Visionen wettzumachen. Zwar wurde der Handel mit afrikanischen Produkten wie Kaffee und Kakao, Elfenbein und Wachskerzen angekurbelt, dem portugiesischen Anspruch auf den Kongo erteilten die europäischen Großmächte am Berliner Kongress von 1885 allerdings eine klare Absage. Fünf Jahre später sorgten die kolonialen Interessen für eine nationale Krise, da Portugals Plan, Angola und Mozambique zu einem großen Kolonialreich zusammenzuführen, mit den Strategien der portugiesischen Schutzmacht Großbritannien kollidierte, Kairo und Kapstadt mit einer Eisenbahnlinie zu verbinden.