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Mit diesem Band findet die Young Adult Enemies-to-Lovers Fantasy Romance Trilogie »Die Meerjungfrauen von Eriana Kwai« ihren epischen Abschluss. Ein uraltes Monster unter König Adaros Kontrolle erhebt sich aus der Tiefe und stürzt Menschen und Meerjungfrauen in einen erbarmungslosen Krieg, der alles zu verschlingen droht. Gefangen zwischen den Fronten, müssen Meela und Lysi einen Weg finden, dass beide Völker Frieden miteinander schließen, bevor eine Seite die andere auslöscht. In diesem Finale stehen Meela und Lysi vor ihrer größten Prüfung – und der Ausgang wird nicht nur ihr gemeinsames Leben, sondern das ihrer ganzen Welt für immer verändern. Inhaltswarnung:Ice Kingdom: Die Bestimmung enthält Themen und Szenen, die im Kontext eines fiktiven Krieges stehen. Diese Darstellungen können emotional belastend wirken.
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Seitenzahl: 453
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhaltsverzeichnis
Über das Buch
Inhaltswarnung
Über Tiana Warner
Von Tiana Warner außerdem lieferbar
Kapitel 1 ~ Meela: Riffe, ein Rossia pacifica und die Reinas
Kapitel 2 ~ Lysi: Ausgangssperre
Kapitel 3 ~ Ben: Kodiak, Alaska
Kapitel 4 ~ Lysi: Deiopeas Versprechen
Kapitel 5 ~ Meela: Wracks in der Beringsee
Kapitel 6 ~ Ben: Perseus’ letztes Monster
Kapitel 7 ~ Meela: Die Kori Maru
Kapitel 8 ~ Lysi: Rubin, Smaragd und Amethyst
Kapitel 9 ~ Meela: Erianas Blut
Kapitel 10 ~ Meela: Die Gesetze der Fae
Kapitel 11 ~ Ben: Mythen und Götter
Kapitel 12 ~ Lysi: Das atlantische Königreich
Kapitel 13 ~ Meela: Eisige Bedrohung
Kapitel 14 ~ Lysi: Kommando Nord
Kapitel 15 ~ Ben: Militärtechnik
Kapitel 16 ~ Meela: Erianas Gabe
Kapitel 17 ~ Lysi: Blut auf dem Eis
Kapitel 18 ~ Meela: Rückkehr in die Beringsee
Kapitel 19 ~ Ben: Der Eid
Kapitel 20 ~ Meela: Eisen auf der Haut
Kapitel 21 ~ Lysi: Flammenmeer
Kapitel 22 ~ Meela: Die geheime Insel
Kapitel 23 ~ Lysi: Utopias Befreiung
Kapitel 24 ~ Meela: Tochter der Eriana
Kapitel 25 ~ Lysi: Die Geheimnisse der Nereiden
Kapitel 26 ~ Meela: Ohrenbetäubende Stille
Kapitel 27 ~ Ben: Jets und Helis
Kapitel 28 ~ Lysi: Königin Evagore
Kapitel 29 ~ Meela: Gaelas Bestimmung
Kapitel 30 ~ Meela: Das Pazifische Königreich
Kapitel 31 ~ Ben: Der Hafen von Eriana Kwai
Danksagung
Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen
Über das Buch
Mit diesem Band findet die Young Adult Enemies-to-Lovers Fantasy Romance Trilogie »Die Meerjungfrauen von Eriana Kwai« ihren epischen Abschluss.
Ein uraltes Monster unter König Adaros Kontrolle erhebt sich aus der Tiefe und stürzt Menschen und Meerjungfrauen in einen erbarmungslosen Krieg, der alles zu verschlingen droht. Gefangen zwischen den Fronten, müssen Meela und Lysi einen Weg finden, dass beide Völker Frieden miteinander schließen, bevor eine Seite die andere auslöscht.
In diesem Finale stehen Meela und Lysi vor ihrer größten Prüfung – und der Ausgang wird nicht nur ihr gemeinsames Leben, sondern das ihrer ganzen Welt für immer verändern.
Inhaltswarnung
Ice Kingdom: Die Bestimmung enthält Themen und Szenen, die im Kontext eines fiktiven Krieges stehen. Diese Darstellungen können emotional belastend wirken.
Über Tiana Warner
Tiana Warner wohnt in British Columbia (Kanada).
Bekannt wurde die Schriftstellerin durch ihre Trilogie „Mermaids of Eriana Kwai“, die sie auch als Comic-Adaption veröffentlicht hat.
Tiana ist ein Outdoor-Fan und reitet schon seit frühester Kindheit. Außerdem ist sie eine engagierte Unterstützerin von Tierrettungsinitiativen. Sie hat einen Abschluss in Informatik und hat lange als Programmiererin gearbeitet.
Von Tiana Warner außerdem lieferbar
Zusammen unterwegs: Die Roadtrip-Vereinbarung
Küsse am Set
Die Meerjungfrauen von Eriana Kwai
Ice Massacre: Im Schatten der Tiefe
Ice Crypt: Der Ruf der Macht
Ice Kingdom: Die Bestimmung
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
1. Auflage
E-Book-Ausgabe 2025 bei Ylva Verlag, e.Kfr.
ISBN (E-Book): 978-3-69006-069-1
ISBN (PDF): 978-3-69006-070-7
Dieser Titel ist als Taschenbuch und E-Book erschienen.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Copyright © der Originalausgabe 2017 bei Rogue Cannon Publishing
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2025 bei Ylva Verlag
Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.
Übersetzerin: Charlotte Herbt
Übersetzungslektorat: Kati Krüger
Korrektorat: Tanja Eggerth
Satz & Layout: Ylva Verlag e.Kfr.
Grafiken vermittelt durch Freepik
Coverdesign: Ronja Forleo
Kontakt:
Ylva Verlag, e.Kfr.
Inhaberin: Astrid Ohletz
Am Kirschgarten 2
65830 Kriftel
Tel: 06192/9615540
Fax: 06192/8076010
www.ylva-verlag.de
Amtsgericht Frankfurt am Main HRA 46713
Kapitel 1 ~ Meela
Riffe, ein Rossia pacifica und die Reinas
Nach drei Tagen als Meerjungfrau hatte ich immerhin eines gelernt – wie man überlebt. Ich konnte schwimmen, tauchen und mich unter Wasser verständigen. Alles, was darüber hinausging, brauchte noch Zeit.
Lysi und ich ließen uns gerade irgendwo zwischen Eriana Kwai und den Aleuten im trüben Wasser treiben und sie brachte mir bei, was ich über Strömungen und Wasserschichten wissen musste.
»Schwimm immer mit der stärksten Strömung, außer etwas Großes ist im Weg.«
»Etwas Großes?«
»Wale. Haie. Glaub mir, mit denen willst du dich nicht anlegen.«
»Ups«, machte ich und stieß dabei eine große Luftblase aus. Ich erinnerte mich nur zu gut an die Angst, die ich gehabt hatte, als eine Schule Orcas unser Schiff beinahe zum Kentern gebracht hatte.
»Außerdem solltest du wirklich nur dann tiefer als bis zur Dämmerungszone hinuntertauchen, wenn du genug Zeit hast, langsam wieder aufzutauchen«, fuhr Lysi fort. »Zu schnell hochzukommen ist verdammt schmerzhaft.«
Ich folgte ihr in eine schnelle, warme Strömung, die intensiv nach Plankton schmeckte. In der Tiefe unter uns keckerte etwas.
»Wir sind über einem Korallenriff«, sagte Lysi. »Wenn du dich konzentrierst, kannst du den Meeresgrund spüren.«
»Korallen?!«
Begeistert schaute ich nach unten. Ob ich mich je an all den Zauber des Ozeans gewöhnen würde?
Und dann sah ich es: das niedlichste Lebewesen aller Zeiten. Ich jauchzte und flitzte los.
»Mee, wo willst du …?«, rief Lysi mir nach.
Das kleine Ding versuchte abzuhauen, aber mit einer schnellen Bewegung, die ich mir gar nicht zugetraut hatte, streckte ich meine Hand aus und fing es ein.
»Lysi! Schau!«
Sie hatte mich eingeholt und strich sich einige verfilzte, mit Seetang durchwirkte Strähnen ihres kupferblonden Haars zurück. »Kannst du bitte aufpa… Oh, der ist echt süß!«
Es war ein pflaumengroßer lila Oktopus – vielleicht aber auch ein Kalmar – mit riesigen Glupschaugen und winzigen Saugnäpfen an den Tentakeln. Fast hätte ich ihn für ein Kinderspielzeug gehalten, wenn er nicht geschwommen wäre – und auch noch auf diese kuriose Weise, indem er mit den kleinen Flügelchen an seinem Kopf wedelte.
»Was ist das?«
»Ein Stummelschwanzkalmar.«
Ich hielt mir das winzige Kerlchen direkt vors Gesicht und starrte es an. »Sogar sein Name ist niedlich.«
»Spürst du, wie kraftvoll seine Saugnäpfe sind?« Sie legte eine Hand unter meine und lenkte meine Aufmerksamkeit so zurück auf unsere heutige Einheit ihrer Einführung ins Leben als Meerjungfrau.
Ich schloss die Augen. Unter Wasser sollte ich mich weniger auf meine Sehkraft verlassen und mehr auf meine anderen Sinne. Auch aus größter Entfernung konnte ich alles um mich herum riechen, schmecken, hören und spüren – und so dessen Größe, Form und sogar die einzelnen chemischen Bestandteile bestimmen. Wenn ich mich konzentrierte, nahm ich jeden noch so kleinen Wirbel in der Strömung wahr. Erst war es mir schwergefallen, auf das zu achten, was jenseits des ständigen Rauschens und Gluckerns lag, aber allmählich wurde ich darin immer besser.
Ich riss die Augen auf. »Ich kann spüren, wie seine Saugnäpfe saugen!«
Lysi lachte. Ich hörte inzwischen auch viel besser als ein Mensch, und ihr Lachen perlte wunderbar warm durch mich hindurch. Jedes Mal tanzte mein Herz vor Freude.
Sie hielt immer noch meine Hand und sah mir direkt in die Augen.
»Deinen Herzschlag spür ich auch«, sagte ich. Auch ihr Herz schlug nämlich schneller, wenn sie mich berührte.
Ihre Wangen wurden ganz rot. Ich genoss den Anblick unserer Hände, meine Hand in ihrer, braune Haut auf weißer. Noch vor drei Tagen hätte ich gedacht, dass ich das nie wiedersehen würde.
Es fühlte sich immer noch etwas merkwürdig an, dass wir jetzt endlich zusammen sein durften. Es gab niemanden, der uns verbot, Händchen zu halten, uns zu lieben, miteinander zu reden – denn außer uns war hier einfach niemand.
Unsere Situation war glücklich, aber auch ziemlich frustrierend. Sicher, Adaros Armee hatte uns noch nicht aufgestöbert, dabei war sie auf seinen Befehl hin bestimmt schon hinter uns her, schließlich war es ihm selbst nicht gelungen, uns zu töten. Allerdings hatte unsere Isolation den entscheidenden Nachteil, dass wir der Rebellengruppe kein Stück näher kamen. Wie sollten wir denn Verbündete finden, wenn es hier nichts gab außer Fische?
Bei dem Gedanken an Adaro, der nicht nur unbehelligt davongekommen war, sondern jetzt auch noch Sisiutl hatte – die heilige Legende meines Volkes, das machtvolle Wesen, das eigentlich mir gehören sollte –, stieg der Druck in meinen Augen und die Welt verfärbte sich rot. Ich hatte mich in ein Ungeheuer verwandelt. Ich ließ es zu. So sah ich im dunklen Wasser besser, konnte leichter mit meiner Umgebung verschmelzen und mit den neuen Schwimmhäuten zwischen meinen Fingern war ich auch wendiger.
Die Strömung änderte sich. Unter uns bewegte sich etwas Großes. Seine Form und Bewegungen sagten mir nichts. In einer einzigen Bewegung ließ ich Lysi los und den Tintenfisch frei und tauchte ab. Ich schlug etwas heftiger mit der Schwanzflosse als beabsichtigt und musste die Hände ausstrecken, um nicht mit dem Gesicht voran gegen den Meeresgrund zu prallen. Meine Haare trieben vor mein Gesicht. Ich strich sie zurück, damit sie sich nicht um meinen Hals legten.
Fische – große, hässliche orangefarbene Viecher mit Unterbiss – stoben auseinander, als ich mich unbeholfen voran hangelte. Mit meinen Fingern spürte ich die Oberfläche des Felsens und den Sand so wunderbar intensiv. Ich folgte den Schwingungen, die mir verrieten, dass sich irgendwo dort vorn ein Fisch versteckte, der so groß war wie mein Oberkörper. Ungeduldig wurde ich schneller. Halb schwimmend, halb laufend huschte eine Garnele davon. Sie erinnerte mich an ein stolz galoppierendes Pferd.
»Hab dich!«
Bevor ich es erreichte, schoss mein Ziel schon wieder davon. Der Fisch war merkwürdig flach und mit den Augen oben auf dem Kopf sah er aus, als wäre er auf die Seite gekippt.
Das Meer war ein faszinierendes, endloses Wunder.
»Was war das?«
Ehe Lysi mich einholen konnte, sah ich links von mir ein paar faszinierende Pflanzen, die ich mir unbedingt näher ansehen musste.
»Was ist das?«
Handtellergroße moosartige Knäuel, Seesterne und kleine weiße Bäumchen mit flauschigen Spitzen klammerten sich am Felsen fest.
Ich stupste ein Knäuel an – das gar nicht moosartig war. Was ich für Flaum gehalten hatte, fühlte sich mehr nach Nadeln an. Ich fragte mich, ob ich eine Art Seeigel entdeckt hatte. Die Nadeln bewegten sich und schlossen sich um meinen Finger, als wollten sie ihn packen.
»Ein Federstern«, sagte Lysi atemlos.
Ich wandte mich dem nächsten Knäuel zu. Das hatte glatte Tentakel, die sich in der Strömung wiegten.
»Eine Seeanemone«, sagte Lysi, noch bevor ich sie danach fragen konnte.
Ich tippte die Anemone an. Sie war tatsächlich weich. Ihre klebrigen Tentakel legten sich wie Klebeband um meine Finger.
»In dem Hohlraum in der Mitte verdaut sie …«
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich ein silbriges Aufblitzen. Ein Heringsschwarm, der so groß war wie ein ganzes Haus, schwamm an uns vorbei, der Strömung entgegen.
Sie schossen davon, noch bevor ich bei ihnen war.
Ich nahm die Verfolgung auf und achtete darauf, mit meinem Fischschwanz in langen, kräftigen Bewegungen zu schlagen.
»Warte, Mee! Du musst … Oh, um Himmels willen!«
Ich stürzte mich in die Wolke aus Fischen und griff nach ihnen, als sie auch schon in alle Richtungen davonstoben. Sie waren schnell, aber ich war schneller. Vielleicht auch zu schnell. Ich kam bei meinen Bewegungen selbst nicht mehr mit, und so fand ich mich mitten in einer Fischexplosion wieder, ohne recht zu wissen, was ich eigentlich mit ihnen anfangen wollte. Mit beiden Händen schnappte ich je einen, ehe ich ihnen in den Nacken biss, wie Lysi es mir beigebracht hatte.
Eine Hand packte mich am Arm und zog mich weg.
»Du kannst nicht einfach so in einen Fischschwarm reinplatzen«, meinte Lysi. »Wir treiben sie beim Jagen immer an die Oberfläche und dort zusammen, weißt du das nicht mehr?«
Ich reichte ihr einen Hering. »Hat doch trotzdem geklappt.«
»Aber wenn du mit anderen zusammen jagen würdest, hättest du denen mit der Aktion alles versaut.«
Das war ein Argument. Die Heringe flitzten tatsächlich in alle Richtungen davon.
»Schau zu und lerne.« Sie schwamm los, schlug einen weiten Bogen um die Heringe und trieb sie so zusammen.
In meinem ganzen Leben war mir nichts untergekommen, das sich so elegant bewegte wie Lysi. Noch nicht einmal ein Adler im Flug kam an sie heran. Weder an die fließenden Bewegungen und kräftigen Schläge ihres Fischschwanzes, noch an ihren schlanken Oberkörper oder an die kupferblonde Mähne, die um sie herum trieb.
Wie konnte jemand nur derartig perfekt sein, fragte ich mich nicht zum ersten Mal.
»Und dann musst du sie umkreisen«, rief Lysi.
Weit weniger elegant folgte ich ihr. Ich ignorierte die Hitze, die mir in die Wangen gestiegen war. Dass mein Hirn immer noch versuchte, statt eines Fischschwanzes zwei strampelnde Beine zu bewegen, half auch nicht gerade. Ich versuchte, mich davon nicht unterkriegen zu lassen – und ich hoffte, dass Lysi mich nicht so genau beobachtete wie ich sie.
Wir trieben den Heringsschwarm in Richtung Wasseroberfläche. Die Fische stießen aneinander, drängten ins Zentrum und schoben andere dabei an den Rand. Es sah aus wie ein pulsierender, silbriger Ball. Ziemlich hübsch.
»Und jetzt kannst du dir gefahrlos einen schnappen«, sagte Lysi und langte zu.
Wellen näherten sich von hinten. Wir drehten uns um. Eine Delfinschule schwamm auf uns zu.
Ich fing zwei weitere Fische, dann tauchten wir auf und überließen die Heringe den Delfinen.
»Kannst du den Ungeheuermodus bitte wieder abstellen?«, fragte Lysi. »Du machst mir Angst.«
Ich schenkte Lysi ein Grinsen, bei dem ich meine nadelspitzen scharfen Zähne zeigte, ehe ich sie zurückzog. Der Druck schwand aus meinen Augen, als das Blut zurückwich, meine Haut verlor den Seetangton wieder und die Schwimmhäute zwischen meinen Fingern zogen sich zurück.
»Du verwandelst dich viel zu oft«, meinte Lysi.
Ich zuckte mit den Schultern. »Hab nur grad an was gedacht.«
»Adaro ist weit weg.«
Bei der Erwähnung seines Namens drohten meine Augen schon wieder, sich rot zu verfärben. »Noch.«
Lysi griff nach meiner Hand. »Und noch können wir ganz beruhigt sein. Ich mag deine grünen Augen doch so gern. Und dein echtes Lächeln – nicht das Ich köpf dich gleich-Grinsen.«
Ich verzog das Gesicht. »Solange ich einen gewissen Jemand köpfen darf.«
Ihn köpfen, ihm einen Speer durch den Leib rammen, ihn vergiften, ihn ersticken, Haie auf ihn hetzen …
Ich holte tief Luft – der Atemzug reichte für die nächsten drei Stunden – und tauchte unter. Lysi und ich hielten uns weiter an den Händen. Während wir schwammen, malte ich mir gedanklich immer neue Methoden aus, Adaro umzubringen.
»Du weißt, dass das unmöglich ist«, meinte Lysi.
Instinktiv wollte ich ihr widersprechen, dabei hatte sie recht. Adaro hatte jetzt Sisiutl als Bodyguard, die angeblich unzerstörbar war. Dabei war er selbst vorher schon immun gegen Eisen. Gemeinsam waren sie unbesiegbar.
Das war zutiefst beunruhigend, aber ich weigerte mich, mich davon unterkriegen zu lassen. Ich würde einen Weg finden, seine Herrschaft zu beenden.
»Hoffentlich beinhaltet der Plan der Reinas die größte Armee aller Zeiten«, murmelte Lysi.
Die Reinas. So nannte sie die mysteriöse Rebellengruppe wegen irgendeines Codes, den sie von ihnen aufgeschnappt hatte. Allerdings wussten wir weder, wo sie waren, noch wer und wie viele sie waren, noch wie sie wirklich hießen. Lysi wusste lediglich, dass sie bei einem Attentat auf Adaro aufgetaucht waren, und war ihnen dann noch einmal in der Nähe von Eriana Kwai begegnet. Dabei hatten die Reinas Lysi aufgefordert, zu ihnen zu kommen und sich ihnen anzuschließen.
»Solange sie ihn mir überlassen«, meinte ich.
»Klar, bestimmt.« Lysi lächelte mich an.
Sie schien nicht zu verstehen, wie wichtig mir das war. Ganz abgesehen von meinen persönlichen Rachegelüsten ging es hier um die Herrschaft über Erianas Wirt. Die Macht über die doppelköpfige Schlange wurde über das Blut weitergegeben; wer ihren Herrn tötete, bekam damit automatisch die Kontrolle über sie. Ich war zwar froh, dass es Rebellen gab, die ihn töten wollten, hatte aber furchtbare Angst, dass jemand anderes ihn vor mir erwischte.
»Haben die Reinas dir denn irgendwas über ihren Plan erzählt?«, fragte ich. Das war einer der vielen Punkte, die mir Sorgen machten.
»Dafür hatten wir nicht genug Zeit.«
Als ich schwieg, fügte sie hinzu: »Ich weiß, dass sie aus der Mondlosen Stadt stammen – also aus dem Südpazifik – und dass sie in einer nordwestlichen Strömung unterwegs waren, als wir uns begegnet sind. Darum glaube ich, dass sie auf dem Weg nach Utopia waren.«
Ich nagte an meiner Unterlippe. Wahrscheinlich war Adaro gar nicht in Utopia. Wahrscheinlich war er irgendwo an der Front im Kampf gegen andere Herrscher oder an der Pazifikküste oder im Golf von Alaska, wo er fröhlich Schiffe versenkte. Er konnte sonst wo sein.
Als ich vor etlichen Tagen auf Eriana Kwai auf der Suche nach einer Riesenschlange gewesen war, hatte ich die kleine Insel noch für riesig gehalten. Jetzt mussten wir ein ganzes Meer nach einer Rebellengruppe absuchen. Mit einem Mal schien mir die Welt überwältigend groß.
Ich malte mir aus, wie Adaro auf sein nächstes Ziel zu schwamm, während Sisiutl sich mit blutigen Reißzähnen hinter ihm her schlängelte.
Meine Zähne prickelten, aber ich kämpfte gegen das Bedürfnis an, mich zu verwandeln.
»Sie hätten dir wenigstens sagen können, wo du hinmusst«, meinte ich.
»Wahrscheinlich dachten sie, ich weiß das schon.«
»Oder sie haben dir nicht genug vertraut.«
»Na ja, sie wissen ja auch nichts über mich.«
»Und wir wissen nichts über sie. Was, wenn wir uns falsch entschieden haben? Jeder Tag, den wir sie suchen, bedeutet weitere Tote.«
»Ich weiß, Mee. Aber selbst wenn wir Adaro finden, können wir nicht einfach zu ihm hinschwimmen und ihn töten. Wir brauchen einen Plan. Wir brauchen Hilfe.«
Ich seufzte und stieß dabei eine weitere große Luftblase aus. Genervt schlug ich nach ihr. Lysi hatte recht. Ich brauchte die Hilfe der Reinas, wenn ich nicht vom Leviathan und Tausenden Soldaten getötet werden wollte. Die Schlange hatte zwar zwei Köpfe, aber deswegen konnte sie noch lange keine ganze Armee aufhalten, die sie umzingelte. Oder?
»Ich hab schon ein paar Ideen, wo sie sein könnten«, meinte Lysi.
»Und ich dachte schon, du willst einfach irgendwen fragen, ob sie irgendwo ein paar Verräter herumschwimmen gesehen haben.«
Sie warf eine Strähne ihres kupferblonden Haars zurück. »Ich hab nicht umsonst meine ganze Kindheit damit verbracht, verbotene Orte zu erkunden.«
»Und dafür bin ich unendlich dankbar, sonst hätten wir uns nämlich nie getroffen.« Ich küsste sie auf die Wange.
Lysi führte uns mithilfe mehrerer Strömungen auf dem unauffälligsten Weg nach Utopia, damit wir niemandem begegneten. Ein paarmal mussten wir Umwege machen. Lysi murmelte dann immer etwas vor sich hin wie »Nein, ich denke nicht« und »Ich musste es wenigstens versuchen«.
Es setzte mir zu, dass Adaro jetzt die Schlange hatte. Die Bewohner von Eriana Kwai waren nun nicht mehr sein einziges Ziel. Alle Menschen waren in Gefahr, sie wussten es bloß noch nicht. Nur Annith, Blacktail, Tanuu und ich kannten die wahre Geschichte von Erianas Wirt und wussten, wie die Herrschaft über die Schlange weitergegeben wurde.
Bei dem Gedanken an meine Lieben daheim zog sich alles in mir zusammen. Ich war für immer von ihnen getrennt, das machte das Heimweh nur noch schlimmer.
Für sie musste ich Adaro besiegen. Seinetwegen lebte mein Volk seit Jahrzehnten in Armut – und jetzt war er gefährlicher als je zuvor. Ich packte Lysis Hand fester. Sie gab mir Halt in dieser Welt, die – zugegeben – etwas einsam und beängstigend war.
Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber mir kam es so vor, als wären meine Gefühle viel intensiver, seit ich eine Meerjungfrau war. Ich spürte meine Liebe zu meinem Volk und zu Lysi direkt unter meiner Haut – in jedem einzelnen Moment.
Der Himmel verdunkelte sich und kleine leuchtende Tierchen – laut Lysi waren es Ruderfußkrebse – stiegen aus der Tiefe auf. Irgendwo vor uns stöhnte lang und tief ein Wal.
Eine ganze Weile schwammen wir schweigend Richtung Westen. Ich dachte unentwegt an Adaro. Daran, wie sehr ich ihn hasste und wie befriedigend es sein würde, ihn endlich zu töten. Ich stellte mir vor, wie Sisiutl sich mir unterwarf, ihrer neuen Herrin. Mein Herz schlug schneller bei der Vorstellung, über ein derartig mächtiges Wesen zu herrschen.
Irgendwann spürte ich eine düstere Stimmung bei Lysi. Sie hielt den Blick stur geradeaus gerichtet, doch die Sorge in ihren makellosen Gesichtszügen war nicht zu übersehen.
»Was ist los?«
Sie warf mir schnell ein Lächeln zu, das ihre Augen nicht erreocjte. »Es gibt da auch noch andere, die ich gern finden würde.«
»Deine Freunde?«
Sie hatte mir von den Freunden erzählt, die sie in den letzten Wochen in Adaros Heer gefunden hatte. Ich kannte sie zwar nicht, aber es tat mir trotzdem weh, zu hören, dass sie nach den versuchten Attentaten entweder tot waren oder hatten fliehen müssen. Sie waren miteinander im Krieg gewesen und hatten Lysi beschützt. Sie waren ihr gute Freunde gewesen.
Wenn ich nachhakte, wich Lysi meinen Fragen aber immer aus. Sie meinte, wir hätten Wichtigeres, worum wir uns sorgen mussten. Dabei klang sie jedes Mal, als wäre ich gerade erst von einer schweren Krankheit genesen, obwohl ich ihr ständig versicherte, dass sie sich keine Sorgen um mich machen musste.
Und natürlich sagte sie auch jetzt: »Es ist wichtiger, die Reinas zu finden und diesen Krieg zu beenden.«
Ich runzelte die Stirn. Auch sie machte sich Sorgen um ihre Lieben. Wenigstens waren meine Eltern, meine Freundinnen und all die anderen auf Eriana Kwai. Ich wusste ganz genau, wo sie waren. Alle, die Lysi etwas bedeuteten, waren jedoch in sämtliche Himmelsrichtungen verstreut. Ihre Eltern waren in Utopia – zumindest waren sie das gewesen, als sie sie zuletzt gesehen hatte. Vor einigen Monaten oder vielleicht auch Jahren. Ihr Bruder kämpfte an der Westfront, wenn er denn noch lebte. Ihre wenigen überlebenden Kriegskameraden konnten sonst wo sein.
Ich drückte ihre Hand. »Wir finden sie.«
Sie wich meinem Blick aus. Sie verbarg etwas vor mir – aber was? Sorgte sie sich mehr um ihre Familie, als sie sich anmerken lassen wollte? Oder war da noch etwas anderes? Etwas, das mit ihren Freunden zu tun hatte?
Plötzlich packte sie mich am Arm, zog mich zu sich und riss mich so aus meinen Gedanken.
»He, was –«
Sie hielt mir den Mund zu. »Hör hin.«
Etwas trieb unter uns. Von der Form her ähnelte es einem Kalmar, der mindestens so groß war wie ich. War das auch einer? Ich richtete all meine Sinne auf unsere Umgebung.
Da. Etwas näherte sich aus Richtung Norden. Etwas Massigeres als ein Fischschwarm. Eine Walschule vielleicht. Aber nein. Die Auren waren ausgeprägter als die von Walen.
Lysi und ich sahen einander an. Nach drei langen – und gleichermaßen frustrierenden wie wunderbaren – Tagen war es vorbei mit unserer Isolation.
Kapitel 2 ~ Lysi
Ausgangssperre
Irgendetwas stimmte nicht mit den Meermenschen, die da auf uns zukamen – wer auch immer sie waren. Etwas Düsteres umgab sie.
Ich zog Meela in die entgegengesetzte Richtung.
»Wir müssen hier weg.«
Nachdem wir mehrmals versucht hatten, Adaro zu töten, ließ er bestimmt nach uns suchen. Die Frage war nur, wie weit sich das schon rumgesprochen hatte.
»Wer ist das, Lysi?«
Ich zögerte. »Ich weiß es nicht.«
Ich würde eher ertrinken, als zuzulassen, dass Meela etwas geschah. Das war ich ihr schuldig, schließlich hatte ich sie in diesen Krieg mit hineingezogen. Das und noch viel mehr.
»Die Armee?«, flüsterte sie.
»Glaub ich nicht. Ich spüre sowohl Meerjungfrauen als auch Meermänner.« Kaum hatte ich das ausgesprochen, kamen mir auch schon Zweifel. Früher hatte Adaro seine Armeen zwar immer nach Geschlechtern getrennt, aber jetzt, da er die Schlange hatte, änderte er seine Strategie vielleicht.
Ich hielt an. »Warte.«
Die Meermenschen waren noch ein ganzes Stück weit hinter uns, aber auch vor uns lauerte jemand.
»Da lang.« Ich zog Meela mit mir mit, als ich in eine andere Richtung abbog.
»Was, wenn wir uns einfach ganz unauffällig benehmen? Vielleicht schwimmen sie dann ja vorbei«, schlug sie halbherzig vor.
»Wir sind Feindinnen der Krone, Mee. Wenn uns jemand wiedererkennt …« Ich schüttelte den Kopf. Ich würde nicht zulassen, dass man uns entdeckte. Das war viel zu gefährlich. »Los, runter.«
Wir tauchten tiefer in die Dunkelheit – aber die Meermenschen folgten uns. Und einige kamen näher. Schnell. Folgten sie uns? Umzingelten sie uns?
Tatsächlich: Wenn wir abbogen, taten sie es auch. Mir wurde eisig kalt.
»Sie verfolgen uns«, sagte ich. »Wir müssen hier weg!«
Wir schossen los. Mit kräftigen Schlägen hielt Meela mit mir mit. So, wie ich es ihr beigebracht hatte.
Vor uns tauchte eine Korallenlandschaft auf. Wir schwammen hinein und glitten über die Hügel und durch die Täler. Hier konnten unsere Verfolger uns nicht mehr spüren – wir sie aber auch nicht.
Ich versuchte, sie zu hören, doch die Geräusche des Riffs übertönten alles andere. Hier war einfach alles in Bewegung, allein Tausende von Korallenfischen stoben in alle Richtungen davon, wenn wir uns ihnen näherten.
»Und wenn die uns einholen? Was machen die dann mit uns?« Panik lag in Meelas Stimme.
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Vor Angst hatten sich ihre Augen rot verfärbt. Ich wünschte, ich könnte ihr etwas anderes sagen als die Wahrheit: Sie hatten wahrscheinlich den Befehl, uns zu Adaro zu bringen. Koste es, was es wolle. Tot oder lebendig.
Wenn wir nur ein Versteck fanden …
Wir umrundeten einen Felsen und ich keuchte erschrocken auf. Ein breitschultriger Meermann versperrte uns den Weg. Selbst im Zwielicht glühten seine Augen.
Er fletschte die Reißzähne und hob den Speer in seiner Hand. Einen Herzschlag lang herrschte absolute Stille. Dann reagierte ich instinktiv und schob Meela zur Seite.
Der Speer bohrte sich genau zwischen uns in die Korallen.
»Lysi!«
Es war zu spät. An dem Speer war ein Netz angebracht. Der Meermann hielt das andere Ende fest und schleuderte es mit einer schnellen Bewegung aus dem Handgelenk über mich. Ich war gefangen. Panisch schlug ich mit dem Fischschwanz gegen die Felsen, aber damit wirbelte ich nur Sand und Pflanzenteile auf.
»Schwimm weg, Meela!«
Sie stürzte sich auf den Meermann und rammte ihm die Zähne in den Arm.
Mein Aufschrei ging in seinem Schmerzensschrei unter. Er schlug nach ihr, aber Meela wich gerade noch rechtzeitig aus.
Ich kämpfte gegen das Netz an. Beim Anblick des Meermannes, der Meela erneut angriff, kochte die Wut in mir hoch und meine Brust zog sich krampfhaft zusammen.
Ich entdeckte ein Loch im Netz und riss es auf. Sobald es groß genug war, schlüpfte ich durch, aber meine Schwanzflosse blieb darin hängen. Ich steckte fest. Panisch fuhr ich herum und zerrte mit zittrigen Fingern an dem Material. Ich schaffte es, mich zu befreien, und schoss sofort auf Meela zu – prallte aber gegen eine Meerjungfrau. Sie grinste und offenbarte dabei einen fehlenden Vorderzahn.
»Was wollt ihr?«, schrie ich und versuchte, mich aus ihrem Griff loszureißen. Hatte Adaro etwa ein Kopfgeld auf uns ausgesetzt?
Statt einer Antwort holte die Meerjungfrau mit einer Keule nach mir aus.
»Die Korallen, Meela!«, rief ich und wich dem Schlag aus.
Kräftemäßig war Meela dem Meermann nicht gewachsen, aber sie war weit schneller als er – auch als so junge Meerjungfrau schon. Im Labyrinth unter uns konnte sie ihn abschütteln.
»Du kommst nach?«, fragte sie.
»Ja!«
Sie tauchte ab und der Meermann nahm sofort die Verfolgung auf.
Die Meerjungfrau mit dem fehlenden Vorderzahn holte wieder aus. Ich bekam den Griff der Keule zu fassen. Kaum eine Handbreit trennte mich von ihren gefletschten Zähnen. Sie war schmutzig und sah so fertig aus, dass ich mich einen Moment lang fragte, was ihr wohl zugestoßen war. Dann rammte ich ihr den Fischschwanz so fest in den Bauch, dass ihr die Luft wegblieb.
Ich wirbelte herum und folgte Meela.
Von ihr und dem Meermann war nichts mehr zu sehen, doch schwache Wellenbewegungen verrieten mir, dass der Meermann gerade gegen einen Korallenblock geprallt war. Zwischen den Felsen hindurch bahnte ich mir den Weg in ihre Richtung.
Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen? Ich hätte Meela beschützen sollen und sie nicht ins offene Meer führen, wo wir so einfach zu entdecken waren. Sie hatte sich noch nicht an ihren neuen Körper gewöhnt.
Ich verlangsamte mein Tempo und erfasste meine Umgebung. Jede Faser meines Körpers war angespannt. Ich hatte sie verloren.
Und dann schallte ein furchtbarer Schrei durch das Korallenriff – bloß kam er nicht von vorn, sondern von hinter mir.
Ich schoss nach oben, schwamm über das Riff, um einen Überblick zu bekommen. Nichts war zu sehen und zu hören. Nur das Knistern des Riffs. Die Strömung trug den Schrei davon.
Plötzlich tauchte Meela panisch zwischen den Korallen auf. Als sie mich sah, riss sie überrascht den Mund auf. Sie war allein.
Ein Lachen ertönte, das etwas von gegeneinander mahlenden Steinen hatte. »Oh, sie dachten wirklich, es wäre die andere gewesen. Wie putzig.«
Hinter Meela erschien die vorderzahnlose Meerjungfrau.
»Pass auf!«, rief ich.
Meela schoss nach oben – ein Fehler, aus dem sie noch nicht gelernt hatte. Die Vorderzahnlose trieb sie gegen die Oberfläche und in die Enge. In einer fließenden Bewegung packte sie Meelas Fischschwanz und rammte ihr die Keule in den Bauch.
Ich stürmte auf sie zu, bereit, der Meerjungfrau den Arm zu brechen. Da stieß Meela einen Schrei aus, wirbelte herum und schlug zu. Sie traf die Meerjungfrau im Gesicht und am Hals.
Etwas prallte seitlich gegen mich und trieb mir die Luft aus der Lunge. Ich hatte kaum noch Sauerstoff übrig. Ehe ich wusste, wie mir geschah, umschloss eine massige Pranke meinen Hals.
Ich wand mich wie wild, aber der Meermann packte nur fester zu und nahm mich in den Würgegriff. Ich schlug die Krallen in seinen muskulösen Arm, während er mir langsam die Luft abschnürte.
Meela war immer noch knapp unter der Oberfläche und wehrte sich mit Händen und Zähnen. Die Vorderzahnlose hatte abwehrend die Arme erhoben und wich zurück.
Eine blonde Meerjungfrau, die auf keinen Fall älter als vierzehn war, nutzte aus, dass sie so abgelenkt war, und schlich sich von hinten an Meela heran. Sie war winzig, voller Narben und Blessuren, aber sie hatte auch etwas Wildes an sich. In der Hand hielt sie eine schwarze Klinge.
Ich wollte Meela eine Warnung zurufen, brachte aber nur ein Krächzen zustande.
Die junge Meerjungfrau stürzte sich ins Getümmel und zerrte kurz darauf eine brüllende Meela an den Haaren hinter sich her.
»Klang, als könntet ihr Hilfe brauchen«, sagte sie. Ihre Stimme klang hoch und jugendlich.
»Wir hatten sie.« Die Vorderzahnlose presste eine Hand an ihre Kehle, da, wo Meela sie getroffen hatte.
Die große Gruppe, die wir gespürt hatten, kam näher. Es waren mindestens hundert Meerjungfrauen und Meermänner.
Die junge Meerjungfrau riss an Meelas Haaren. »Wer bist du?«
Mein Herz raste. Wussten sie es etwa nicht? Warum waren sie dann hinter uns her?
Meela öffnete den Mund, aber ich stieß ein paar Luftblasen aus, ehe sie antworten konnte. Der Meermann lockerte seinen Griff.
»Antworte!«
»Wir gehören zur Armee Seiner Majestät«, stieß ich hustend hervor.
»Ha!«, sagte die Vorderzahnlose. »Und was macht ihr dann so nahe an Utopia?«
»Wir sind auf dem Rückweg von der Schlacht um Eriana Kwai.«
Die junge Meerjungfrau zeigte mit ihrer Klinge auf mich. »Ich zieh dir gleich die Haut ab fürs Lügen. Die Schlacht ist schon lange vorbei.«
»Die sind garantiert geflohen«, dröhnte der Meermann. »Sind sicher ehemalige Menschen.«
Die junge Meerjungfrau musterte uns. Auf Meela blieb ihr Blick besonders lange liegen. Sah sie es an ihrer Aura?
Trotzdem wäre es besser, wenn sie glaubten, dass wir deswegen auf der Flucht waren – und nicht, weil wir Verräterinnen waren.
»Ihr seid rechtzeitig gewarnt worden, welche Konsequenzen es hat, wenn ihr gegen die Ausgangssperre verstoßt«, meinte die Vorderzahnlose. »Ihr kommt mit uns mit.«
Ausgangssperre? Hatte ich das richtig gehört? Seit wann galt in Utopia eine Ausgangssperre?
Die Gruppe verschluckte uns wie das Maul eines Blauwals. Der Meermann ließ mich endlich los und ich rieb mir über den schmerzenden Hals, während ich mich umsah.
Nein, das war eindeutig kein Heer. Die Meermenschen waren unbewaffnet und hatten Angst. Außerdem waren sie überwiegend älter. Der unkrautartige Geruch ungepflegter Körper strömte durch das Wasser.
Bewaffnete Wachen und mindestens ein Dutzend Schwarze Marline hielten sie in Schach. Wohin auch immer sie unterwegs waren – freiwillig wollten sie nicht dorthin.
Meela besah sich die Marline.
»Halt dich von denen fern«, flüsterte ich ihr zu. Sie waren doppelt so groß wie eine Meerjungfrau und mit ihren massigen, stromlinienförmigen Körpern und den speerförmigen Oberkiefern die perfekten Jäger.
Der Meermann, der mich gewürgt hatte, grinste Meela höhnisch an. »Du bist wohl nicht aus der Gegend?«
Meela bedachte ihn mit einem blutroten Blick.
Die drei, die uns gefangen hatten, reihten sich zwischen den anderen Wachen ein. Ich musterte ihre Waffen, die Marline und dann Meela. Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu, aber ich schüttelte den Kopf. Ein Fluchtversuch war keine gute Idee.
»Los! Weiter!«, befahl die junge Meerjungfrau.
Sie waren unterwegs in Richtung Süden und sie nahmen uns mit. Ein älteres Paar mit silbrigem Haar schwamm hinter uns und musterte uns misstrauisch.
Mein Herz raste immer noch und unter keinen Umständen wollte ich von Meela getrennt werden. Ich nahm ihre Hand. Sie drückte meine, hatte ihre Aufmerksamkeit aber auf etwas anderes gerichtet.
Sie studierte jede Wache genauestens. Irgendwie mussten wir eine günstige Gelegenheit zur Flucht finden – vielleicht, wenn wir Rast machten? Jetzt jedoch waren wir von allen Seiten umzingelt und gefangen zwischen den Untiefen und der gleißend hellen Wasseroberfläche.
Nach einer Weile fingen die Wachen leise an, sich zu unterhalten, und ich wagte es, Meela etwas zuzuflüstern.
»Alles okay? Wie geht es deinem Fischschwanz? Tut dir was weh?«
Der Meermann auf Meelas anderer Seite hatte mich gehört. »Was stimmt denn nicht mit deinem Fischschwanz, hm?«
Er hatte eingefallene Wangen, lange graue Haare und seine Stimme war so brüchig wie Treibholz.
»Nichts«, sagte Meela kurz angebunden. »Alles gut.«
Während sie sich wieder dem Rest der Gruppe zuwandte, richtete ich alle meine Sinne auf sie. Sie sagte die Wahrheit.
»Warum ist denn eine Ausgangssperre verhängt worden?«, fragte ich den Meermann.
Er warf mir einen unsicheren Blick zu, schaute aber gleich wieder nach vorn, als hätte er mich nicht gehört.
»Wir waren an der Front«, erklärte ich.
Er antwortete nicht. Je weiter er schwamm, desto gekrümmter hielt er sich. Er wirkte uralt und zerbrechlich. Ich hätte ja Mitleid mit ihm gehabt, wenn ich nicht so verzweifelt hätte wissen wollen, was los war.
Irgendwann wurde es ihm doch zu viel, dass ich ständig zu ihm hinüberstarrte. »Wir müssen für alles gewappnet sein, oder?«, sagte er. »Wo die Armee seiner Majestät doch ausgerückt ist.«
Ausgerückt?
»Ist er unterwegs in den Atlantik?«
»Nein.«
»Wo ist er dann?«
Der Meermann rang die Hände und suchte ganz offensichtlich nach dem besten Fluchtweg aus dem Gespräch.
»Komm schon«, sagte ich. »Wir dürfen doch wohl noch über das reden, was sich gerade tut.«
Er schaute zu den Wachen und presste die Lippen fest aufeinander. Waren Gespräche über den König etwa verboten? So viel hatte sich verändert, seit ich Utopia vor ein paar Gezeitenzyklen verlassen hatte.
Die Meerjungfrau mit den silbrigen Haaren, die hinter uns schwamm, mischte sich ein. »Inzwischen gehört alles zum Gebiet der Krone. Und jetzt verwendet er die, äh, die Schlange, um die Menschen von der Küste zu vertreiben.«
So, wie sie Schlange aussprach, klang es, als würde sie über den leibhaftigen Tod sprechen. Wahrscheinlich war die Kreatur noch furchterregender, wenn man nicht wusste, woher sie stammte.
Wobei … Ich hatte zwar miterlebt, wie sie auf Eriana Kwai zum Leben erwacht war, aber wusste ich deswegen, woher sie kam? Die Wahrheit hinter der Legende kannte ich schließlich genauso wenig, wie ich wusste, wie man die Bestie tötete.
»Die gesamte Küste?« Jetzt hatte unser Gespräch doch Meelas Aufmerksamkeit geweckt. Ihre Augen glühten noch immer rot.
»Soweit wir wissen, ja.« Die Meerjungfrau warf dem Meermann neben ihr, der wahrscheinlich ihr Mann war, einen Blick zu. Er schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln.
»Und den Atlantik«, meinte ich.
Sie nickte.
»Wann?«
Wieder schaute sie zu ihrem Mann. Er zuckte nur leicht mit den Schultern.
Herrschte Adaro bald schon über sämtliche Ozeane? Hatte er wirklich bis auf den Atlantik alle Unterwasserreiche übernommen? Alles stieg und fiel mit dem Atlantik. Das war das letzte und auch das größte Königreich. Königin Medusa war die Einzige, die ihn noch aufhalten konnte.
»Wohin sind wir denn eigentlich unterwegs?«, fragte Meela.
Verzweiflung spiegelte sich auf den Mienen der Meermenschen um uns herum.
Letztlich antwortete der Meermann neben ihr. »Wir helfen bei der Expansion des Reichs.«
»Wie das?«, fragte Meela.
»Seine Majestät braucht etwas Mächtiges, um alle Menschen aus dem Meer und von den Küsten zu vertreiben.«
»Etwas Mächtigeres als den Wirt?«
Der Meermann blinzelte. »Hä? Den was?«
»Die Schlange.«
»Du hast aber Wirt –«
»Ich meinte Schlange. Hab mich nur versprochen.«
»Warum –?«
»Wie auch immer«, schaltete ich mich schnell ein. »Was hat er denn nun vor?«
Der Meermann richtete sich auf – was nicht sonderlich beeindruckend war. »Er wird so viele menschliche Pazifikbewohner vernichten wie möglich.«
»Okay«, meinte ich langsam. »Und wie?«
»Na, was ist so gewaltig, dass es das halbe Meer erfasst?«
Meela zuckte neben mir zusammen. Sie starrte den Meermann mit weit aufgerissenen Augen an.
»Was meint er?«, fragte ich.
»Einen Tsunami«, flüsterte Meela.
Ich schnaubte durch die Nase. »Tsunamis kann man nicht kontrollieren. Die werden von Erdbeben ausgelöst.«
»Genau. Und was löst ein Erdbeben aus?«, fragte der Meermann.
»Spannungen zwischen den tektonischen Platten«, erwiderte Meela.
Er nickte. »In der Nähe der Mondlosen Stadt treffen zwei Platten aufeinander. Wenn wir es schaffen, die Felsen dort so umzusetzen, dass der Druck sich ändert –«
»Man kann doch kein Erdbeben herbeiführen!«, rief ich.
»Du hast wohl vergessen, dass die Tiefsee weit in die Erdkruste hineinreicht, Mädchen.«
Mein Inneres gefror zu Eis. Adaros Armee war gewaltig, er hatte die Schlange – und jetzt plante er auch noch, die Natur zu unterwerfen. Wie viele Menschenleben würde ein derartig gewaltiger Tsunami kosten, der die Pazifikküste traf? Würden die Menschen sich dafür rächen? Konnten sie das überhaupt?
»Aber das erklärt immer noch nicht, wohin wir unterwegs sind«, meinte Meela.
Ich verstand – und hörte auf zu schwimmen. Die Meerjungfrau mit den silbrigen Haaren prallte gegen mich und löste damit eine Kettenreaktion aus.
»Entschuldige, Liebes.« Sie strich mir über die Haare, als wollte sie wiedergutmachen, dass sie mir wehgetan hatte. An die anderen hinter sich gewandt, fügte sie hinzu: »Verzeihung.«
Meela packte meine Hand und zog mich weiter.
Die Wachen schrien, dass wir uns gefälligst bewegen sollten. Meela wartete, bis sie mit der Aufmerksamkeit wieder woanders waren.
»Was ist denn, Lysi?«
Sie spürte eindeutig meine Angst. Ich gab mir alle Mühe, mich zu beruhigen. Sie brauchte nicht zu wissen, was es mit Adaros Arbeitslager auf sich hatte. Das machte ihr nur unnötig Angst.
»Nichts.«
»Es ist doch nicht nichts!«
Ärgerlicherweise flüsterte die Meerjungfrau mit den silbrigen Haaren: »Angeblich gibt es dort Magma. Das bricht immer wieder aus und bringt alle um. Wird wohl immer schlimmer, je tiefer sie graben.«
»Graben? Wer? Wir?«, fragte Meela.
»Er setzt Zivilisten und Zivilistinnen ein«, erklärte ich. Jetzt ergab es auch Sinn, warum die meisten Gefangenen schon älter waren. »Ich wusste von den Lagern, aber … Ich hatte keine Ahnung, was sie da machen.«
»Das Meer ist dort wohl so tief, dass Tiefseefische die einzigen Lichtquellen sind«, fuhr die Meerjungfrau fort. »Die kann man aber natürlich nicht essen, darum hungern alle.«
»Außerdem sind die Wachen dort so aggressiv wie Tigerhaie«, fügte ihr Mann hinzu. »Der Druck und der rationierte Sauerstoff treiben sie in den Wahnsinn. Die bringen alle um, die nicht mehr in der Lage sind, zu graben.«
Am liebsten hätte ich Meela damit beruhigt, dass das alles nur Gerüchte waren. Aber wenn es um Adaro ging, war an den Gerüchten meistens etwas dran. Ich erinnerte mich, dass, als ich noch klein war, man von unerklärlichen Todesfällen und verschwundenen Meerjungfrauen und Meermännern erzählt hatte – und diese Geschichten hatten alle einem ganz bestimmten, verstörenden Muster gehorcht.
Es war alles so grauenvoll. Den Meermenschen, die zur Arbeit gezwungen wurden, ging es elend, den Wachen ging es elend – und trotzdem befolgten sie alle weiter ihre Befehle. Sie blieben bis zum Tod dort unten. Wenn sie alle gleichzeitig aufbegehrten, wären sie nicht aufzuhalten. Aber dazu würde es nicht kommen. Ihre Angst und die Ungewissheit, wer auf welcher Seite stand, war zu groß. Deshalb kämpften die Armeen immer weiter. Deshalb blieben die Leute in den Arbeitslagern. Deshalb führten wir weiterhin diesen Krieg.
Der Meermann neben Meela schnaubte höhnisch. »Kann schon sein, dass das dort unten ein Gemetzel ist. Aber wir wissen ja alle, wer schuld daran ist.«
Ich zog die Augenbrauen hoch.
»Warum herrscht in Utopia denn Lebensmittelknappheit?«, fuhr er mit neuer Energie fort. »Warum stirbt ständig jemand von uns, sobald wir uns einem Strand nähern? Wer greift uns denn ständig brutal mit Eisen an? Echt, ich schäme mich, dass ich je einer von ihnen war.«
Meela starrte ihn mit offenem Mund an. Am liebsten hätte ich ihr die Ohren zugehalten, bevor sie noch mehr Scheußlichkeiten zu hören bekam. Doch genau das war bereits geschehen.
»Du warst mal ein Mensch?«
In letzter Zeit wurde verstärkt über den Umgang mit ehemaligen Menschen diskutiert. Seit Adaro an der Macht war, war es immer schlimmer geworden. Darum hatten sich auch die Jungs zusammengeschlossen, um ihn zu ermorden. Sie alle waren mit ehemaligen Menschen verwandt, die man schlecht behandelt hatte. Einer von ihnen war sogar selbst früher ein Mensch gewesen.
Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich hatte Meela noch immer nicht von Nilus erzählt. Mit jedem Tag wuchs mein schlechtes Gewissen, weil ich ihr verschwieg, dass ihr großer Bruder am Leben war. Nachdem ich es Tage zuvor erfahren hatte, wollte ich es ihr bei der erstbesten Gelegenheit erzählen. Inzwischen hatte ich schon öfters Gelegenheiten gehabt, sie aber nie ergriffen. All die Jahre hatte Meela ihren Bruder für tot gehalten. Ich war die Einzige, die wusste, dass er noch lebte – und dass er jetzt ein Meermann war.
Allerdings hatte ich keine Ahnung, wo Nilus gerade steckte. Ob er gefangen genommen worden war – oder Schlimmeres. Was, wenn ich Meela erzählte, dass er noch lebte, nur um dann herauszufinden, dass er gestorben war, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte? Dann war die gewaltige Offenbarung ganz umsonst. Sie hatte in den letzten Tagen schon so viel durchgemacht, hatte alles Vertraute zurücklassen müssen und alle, die sie liebte. Ich konnte ihr nicht noch mehr aufbürden, was sie belastete.
»Wir waren alle früher Menschen, oder?«, sagte der Meermann.
»Ihr … ich meine … wir alle?«
»Alle bis auf sie vielleicht.«
Mit einem Kopfnicken deutete er nach hinten, auf eine Meerjungfrau mit einem leuchtend orange-blauen Fischschwanz, die in einigem Abstand zum Rest der Gruppe schwamm.
Mein Herz machte einen Satz. Eine Meerjungfrau aus dem Süden! Sie sah aus wie die Meerjungfrauen aus der Mondlosen Stadt. Wie die Reinas.
»Moment«, sagte Meela. Sie war offenbar ziemlich durcheinander. »Wie kommst du darauf … Klar, die Überfischung der Meere ist ein echtes Problem. Aber du hast gesagt, dass Adaro eine Ausgangssperre über Utopia verhängt hat. Die Menschen sind doch nicht schuld an den Nahrungsmittelengpässen in Utopia –«
Ich rammte ihr einen Ellbogen in die Rippen. Das war jetzt nicht der geeignete Moment für Anti-Adaro-Parolen. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und fuhr fort.
»Menschen bringen Meerjungfrauen doch nur deswegen um, weil diese versuchen, sie aufzufressen!«
»Meela!«, zischte ich.
»Was? Findest du etwa nicht, dass –«
»Darüber können wir auch später noch reden. Lass gut sein.«
Sie bedachte mich mit einem finsteren Blick, den ich erwiderte. Wir durften auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass wir uns gegen den König verschworen hatten. Und wir durften auch niemanden in diese Sache mit hineinziehen. Wie es aussah, waren diese Meermenschen schon schlecht genug behandelt worden. Sie taten mir leid. Und wenn sie erst im Arbeitslager in der Tiefsee waren, würde es noch viel schlimmer werden.
Wir mussten hier weg. Wir mussten die Reinas finden, bevor Adaro noch mehr Schaden anrichtete.
Der Meermann neben Meela strahlte jetzt deutliche Abscheu aus. »Ein ehemaliger Mensch sollte sich besser erst mal bewusst machen, wo sein Platz in Adaros Reich ist.«
Meela biss fest die Zähne aufeinander.
»Mee.« Ich nickte in Richtung der Meerjungfrau aus dem Süden. »Ich glaube, ich kenne sie. Komm mit.«
Die anderen wirkten sehr erleichtert, als wir wegtrieben. Meela streckte dabei sehr niedlich die Arme aus, um in der Strömung das Gleichgewicht zu halten.
»Woher kennst du sie denn?«
»Tu ich gar nicht«, flüsterte ich. »Aber sie kommt aus dem Süden. Dann ist sie eine Verbündete. Ich will mit ihr reden.«
Machte ich mir etwas vor, wenn ich sie nur wegen ihres Aussehens für eine Reina hielt? Das Königreich des Südpazifiks hatte schon lange vor Adaros Ankunft im Norden bestanden. Die Meermenschen von dort gehörten bestimmt alle dem Widerstand an. Hoffte ich zumindest – und bei dem Gedanken an das Arbeitslager hatte meine Hoffnung etwas Verzweifeltes.
Wir schwammen langsam und ließen uns von den anderen überholen, bis wir uns schließlich neben der Meerjungfrau einreihten.
Sie war schlank, hatte ein markantes Gesicht und einen langen Fischschwanz – das unterschied die Meerjungfrauen aus dem Süden von denen im Norden. In ihren Wangen, der Nase und dem Schlüsselbein steckten blaue Edelstein-Piercings. Die braunen Haare trug sie in dicken Dreadlocks. Ich schätzte sie auf Mitte dreißig, doch die Narben auf ihrem Körper reichten für mehrere Leben.
Sie warf uns einen misstrauischen Blick zu.
»Du bist aus dem Süden«, sagte ich.
»Dir entgeht auch gar nichts«, erwiderte sie.
»Entschuldigung.«
»Was willst du?«
Ich blinzelte und versuchte, sie besser einzuschätzen. Ihre Aura war jedoch kaum zu entschlüsseln – und das hatte nichts mit ihrem seltsamen Dialekt zu tun.
»Wie heißt du?«, durchbrach Meela das unangenehme Schweigen.
»Wie heißt du?«
»Meela. Und das ist Lysi.«
»Deiopea.«
»Warst du früher mal ein Mensch?«, fragte ich.
Sie musterte mich mit zusammengekniffenen Augen.
»Die anderen hier waren alle mal Menschen, darum hab ich mich gefragt –«
»Nein.« Sie warf ihre Dreadlocks zurück. »Ich war nie ein Mensch und ich stamme auch nicht von Menschen ab.«
Also war sie tatsächlich gefangen genommen worden, weil sie aus dem Süden stammte. Versuchte Adaro, alle loszuwerden, die ihm nicht loyal waren? Wer in Utopia war dann überhaupt noch sicher? Und welche Lügen erzählte man den Meermenschen? Denn so, wie die Gefangenen von Menschen dachten, belog man sie eindeutig.
»Was bringt dich denn so weit in den Norden?«, fragte ich.
»Ich hab ein neues Zuhause gesucht.«
Ihr Herzschlag wurde kurz unrhythmisch. Lügnerin.
Es gab nur eine Erklärung: Nur als Mitglied der Reinas kam eine Meerjungfrau aus dem Süden so weit in den Norden. Sie konnte uns zu ihnen bringen.
Meela schwieg.
Ich wählte meine Worte sorgsam, weil es gut möglich war, dass wir belauscht wurden. »Wenn du aus dem Grund hier bist, aus dem ich glaube, dann wollen wir uns dir anschließen.«
Deiopea ließ sich nicht im Geringsten anmerken, ob ihr das etwas sagte. Stattdessen schaute sie stur geradeaus. »Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst.«
Ich ließ nicht locker. »Vor ein paar Tagen bin ich Meermenschen aus dem Süden begegnet. Ganz in der Nähe von Eriana Kwai. Sie haben mir geholfen, nachdem ich etwas zu ihnen gesagt habe. Nämlich para la rein–«
Deiopea hielt mir den Mund zu. »Was stimmt nicht mit dir?«
Triumphierend schob ich sie weg. »Wusst ich’s doch!«
Ihre Augen blitzten rot auf. »Mit so was platzt man nicht einfach so heraus!«
»Also glaubst du uns?«, flüsterte ich. »Wir sind auf deiner Seite.«
Deiopea musterte mich eingehend, ehe sie schließlich erwiderte: »Ich kann dir nicht sagen, was du von mir hören willst.«
Obwohl sie so stur war, schlug mein Herz schneller. Sie wusste, wo sie waren.
Ich deutete auf Meela. »Weißt du, wer das ist?«
»Erleuchte mich bitte«, entgegnete Deiopea ausdruckslos.
»Das ist Metlaa Gaela, eine Nachfahrin der Eriana. Weißt du, was Adaro unter seine Kontrolle gebracht hat?«
Deiopea zögerte. Sie wirkte trotzdem interessiert. »Angeblich die grauenerregendste Kreatur der Welt. Sie soll so mächtig sein wie die ursprüngliche Medusa.«
»Das stimmt.«
Ich zögerte. Die ganze Zeit schon lauerte eine Idee in meinem Hinterkopf, und bei der Erwähnung der Medusa loderte sie etwas heller. Trotzdem schob ich sie vorerst beiseite.
»Die Schlange stammt von Eriana Kwai. Meela war früher ein Mensch und sie weiß mehr über die Bestie als wir alle zusammen.«
Deiopea musterte uns misstrauisch. »Das denkst du dir doch bloß aus.«
»Nein, tu ich nicht.«
»Er hat versucht, mich umzubringen, um an die Schlange ranzukommen«, flüsterte Meela. »Und er hat versucht, Lysi zu töten.«
Deiopea schwieg einen Moment. »Er hat schon so viele getötet. Trotzdem seid ihr ihm immer noch loyal.«
»Seit Adaro in den Pazifik gekommen ist, werden die Leute auf meiner Insel immer ärmer und ärmer«, flüsterte Meela. »Wir können nicht mehr fischen. Es ist unmöglich, mit Schiffen rauszufahren. Und sobald wir an den Strand gehen, werden wir angegriffen.«
Deiopea starrte betont desinteressiert geradeaus.
»Jeden Frühling fährt eines unserer Schiffe nach Utopia, um für unsere Freiheit zu kämpfen«, fuhr Meela fort. »Wir nennen es das Massaker. Jeden Frühling tötet Adaro die Crew. Er hat meine Freundinnen getötet, meine Verbündeten. Meinen Bruder.«
Mein Magen verkrampfte sich. Eine Stimme in meinem Kopf hielt mir vor, was für eine grauenvolle Freundin ich war, unehrlich und feige.
»Und er hat auch versucht, dich umzubringen?« Deiopea wandte sich mir zu. »Warum?«
Weil ich zweimal versucht habe, ihn zu ermorden.
Ich schüttelte den Kopf und raunte: »Nicht hier.«
Deiopea kniff die Augen zusammen und ihre Lippen waren nur noch ein schmaler Strich. Das reichte nicht, wenn ich wollte, dass sie mir vertraute.
Ich senkte die Stimme, bis meine Worte kaum zu hören waren. »Wir waren ein Team. Das erste Mal haben wir es an der Mine versucht. Du hast wahrscheinlich mitbekommen, wie das geendet hat. Das zweite Mal haben wir ihn umzingelt und es mit Eisen versucht. Die meisten von uns sind dabei ums Leben gekommen.«
Deiopea schaute mich zum ersten Mal richtig an. In ihrem Gesicht zeigte sich ein Schmerz, der ihre gleichgültige Aura Lügen strafte.
»Ich weiß nicht, wo meine Mom und mein Dad sind«, fuhr ich mit tonloser Stimme fort. »Oder mein Bruder. Es würde mich nicht überraschen, wenn man sie gefangen genommen hat, weil ich wegen Hochverrats gesucht werde.«
Ich hatte mir bisher alle Mühe gegeben, nicht über meine Familie nachzudenken. Ich konnte ihnen nicht helfen.
Ich spürte Meelas Blick auf mir und sah zur Seite.
Deiopeas Stimme war genauso leise wie meine. »Als Adaros Truppen in der Mondlosen Stadt eingefallen sind und die Königin gefangen genommen haben, haben wir uns ihm mit allem entgegengestellt, was wir hatten. Dabei hatten wir kaum Militär. Wir hatten nie eines gebraucht. Adaro konnte die Stadt mühelos einnehmen. Mein Mann und mein Sohn sind noch am gleichen Tag getötet worden.«
»Das tut mir leid«, flüsterte ich.
»Wie furchtbar«, sagte Meela.
»Jetzt habe ich nichts mehr zu verlieren. Als er die Ausgangssperre verhängt und allen verboten hat, die Stadt zu verlassen, habe ich mich gewehrt. Als er die Nahrungsmittel begrenzt und die Lieferungen eingeschränkt hat, habe ich mich gewehrt. Als man uns befohlen hat, alle ehemaligen Menschen anzuzeigen, damit sie überprüft werden können …« Sie schnaubte und stieß dabei eine große Luftblase aus. »Manchmal nennt man die Mondlose Stadt auch die Stadt der Farben, wusstet ihr das?«
Der abrupte Themenwechsel überraschte mich und ich schüttelte den Kopf.
»Ich habe sie nie so farblos erlebt wie zu dem Zeitpunkt, als ich von da weg bin. Die Besatzung hat den Korallen, den Fischen, den Behausungen alles Leben entzogen. Es war so still. Niemand wusste, wie es mit uns weitergeht. Ob er uns zwingt, in seinem Krieg zu kämpfen. Ob er uns dabehält und verhungern lässt. Ob er uns umbringt, weil wir uns ihm widersetzt haben.«
Finster starrte sie auf den Meeresgrund. Ihr Rachedurst schwoll an wie ein Kugelfisch.
»Ich werde nicht tatenlos dabei zusehen. Er darf meiner Stadt nicht ihre Farben nehmen. Er darf nicht meine Königin absetzen.«
»Du hast recht«, flüsterte Meela. »Er muss aufgehalten werden. Darum müssen wir … du weißt schon, wohin.«
Deiopea sah sie durchdringend an.
»Komm mit uns«, flüsterte ich. »Wenn wir …«
Wenn wir flüchten. Ich beließ es bei der Andeutung. Das Risiko, dass uns jemand belauschte, war zu hoch.
Vermutlich strahlten wir dennoch etwas Verschwörerisches aus, denn die Wache in unserer Nähe – eine blasse, dunkelhaarige Meerjungfrau, die wirkte, als hätte ihr jemand einen toten Fisch unter die Nase gehalten – brüllte: »Genug getuschelt!«
Sie wirbelte mit ihrer Keule herum. Alle Gespräche verstummten.
Ich warf Deiopea einen vielsagenden Blick zu. Eine Weile lang schwamm sie schweigend, den Blick stur geradeaus gerichtet. Als die Wache sich endlich abwandte, drehte sie den Kopf zur Seite, kurz nur, aber doch lang genug, um mir zuzunicken.
Kapitel 3 ~ Ben
Kodiak, Alaska
Benjamin Reeves hatte den Großteil seines Lebens für den Einsatz im Katastrophenfall trainiert. Erdbeben, Waldbrände, Hurrikane, Tsunamis. Terroranschläge. Er war auf jede erdenkliche Situation vorbereitet. Auf jede, nur nicht auf diese.
Er saß gerade in seinem Pick-up-Truck und fuhr nach Hause. Die Fenster hatte er heruntergelassen und der Sommerwind strich über die Härchen auf seinen Unterarmen. In Gedanken war er immer noch bei dem mattschwarzen zweimotorigen Helikopter, den Bagh ihm gerade gezeigt hatte – es war der aktuelle Neuzugang in ihrem Geschwader.
»Ein LM-80 Cormorant. Genug Reichweite für Evakuierungsflüge mitten auf dem Ozean. Das Ding ist für alles geeignet – zur U-Boot-Jagd, zur Bekämpfung von Schiffen, für Such- und Rettungsmissionen, für Transportaufgaben, für Spezialeinsätze. Für wirklich alles.«
Reeves fragte sich gerade, ob er selbst an besagten Spezialeinsätzen teilnehmen würde, als eine Menschenansammlung im Hafen seine Aufmerksamkeit erregte.
Die Leute deuteten auf etwas in einiger Entfernung. Im ersten Moment hielt er es für eine riesige Orca-Schule. Einige Leute machten Fotos.
Er hielt an einer unbefahrenen Kreuzung und blinzelte gegen das gleißende Sonnenlicht an.
Wie in Zeitlupe klappte ihm die Kinnlade herunter. Das waren keine Wale.
Eine riesige Gestalt tauchte immer wieder aus dem Ozean auf. Das war ein einziges Wesen. Und es war gewaltig.
Reeves konnte kaum begreifen, was er da sah. Es ging weit über das Fassungsvermögen seines Hirns hinaus. Nur eines wusste er mit absoluter Gewissheit – und daran klammerte er sich wie an eine Rettungsboje: Dieses Wesen, was auch immer es war, schwamm auf das Ufer zu.
Er stellte den Motor ab und lauschte. Die Menschen waren panisch. Einige schrien. Er schnallte sich ab und stieß die Autotür auf.
Als er den Fuß auf den Asphalt stellte, hatte das Ding bereits den Hafen erreicht. Eine Wasserfontäne brach über die Menschen herein, als wäre eine Mine explodiert.
Reeves fluchte. Menschen riefen durcheinander. Hunde zerrten laut kläffend an ihren Leinen. Wer konnte, rannte davon.
Reeves Handy, das auf dem Beifahrersitz lag, klingelte. Wie erstarrt stand er an der Kreuzung. Dann übertönte der Schrei eines Kindes den restlichen Lärm und riss Reeves aus seiner Starre. Er beugte sich ins Auto, packte das Handy, hielt es sich ans Ohr und sprintete los.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang verzweifelt. »Reeves, Sie müssen sofort zum Hafen.« Das war sein Vorgesetzter, Officer Miller.
Die Mutter hob ihre weinende Kleine hoch und rannte mit ihr in Richtung Parkplatz.
»Bin schon da, Sir.«
