Ich bin hochsensitiv und okay - Manuela Therese Schmid - E-Book

Ich bin hochsensitiv und okay E-Book

Manuela Therese Schmid

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Beschreibung

Hochsensibilität, Hochsensitivität oder erhöhte Neurosensitivität - drei Bezeichnungen, die das Gleiche meinen. Der Forschung nach lassen sich Betroffene aufgrund ihres unterschiedlichen Erlebens in drei Sensitivitäts-Typen einteilen: Vulnerable, Generelle und Vantage Sensitivität. Sie alle registrieren mehr äussere Reize und verarbeiten diese intensiver als andere. Es gibt eine Gruppe, die am meisten von den Vorteilen profitiert - die Vantage-Sensitiven. Manuela Therese Schmid und Jürg Bolliger haben Modelle und Konzepte der Transaktionsanalyse speziell für erhöht neurosensitive Menschen aufbereitet. Damit zeigt das Autoren-Duo auf, wie wertvolle Energie für die Vantage-Sensitivität freigesetzt werden kann, um die Sonnenseiten der erhöhten Neurosensitivität in vollen Zügen zu geniessen.

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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Wir widmen dieses Buch allen hochsensitiven Menschen.

Inhalt

Vorwort

1 Hochsensibilität

2 Transaktionsanalyse (TA)

3 Autonomie

4 Grundhaltungen

5 Grundbedürfnisse

6 Emotionen werden zu Gefühlen

7 Anteile der Persönlichkeit

8 Ich-Zustände in Aktion

9 Transaktionen – das Geben und Nehmen in der Kommunikation

10 Skript – das Drehbuch aus der Kindheit

11 Spiele – die Dramen des Alltags

12 Herausforderungen angehen und Probleme lösen

13 Selbstfürsorge mit den drei „P“

14 Wie Verträge dein Leben erleichtern

Wir wünschen dir, dass …

Die Autorin und der Autor

Literatur

Vorwort

Hochsensibilität, Hochsensitivität oder erhöhte Neurosensitivität - drei Bezeichnungen, die das Gleiche meinen. Gemeint ist, dass Betroffene mehr äußere Reize registrieren und diese intensiver verarbeiten als andere. Der diverse Umgang mit den Herausforderungen des Alltags bestimmt über die Lebensqualität von hochsensitiven Menschen. Das Erleben wird allerdings oft sehr unterschiedlich empfunden. Dahinter stecken Grundhaltungen, die sich durch die unterschiedlichen Prägungen der Menschen ergeben. Die eine Gruppe genießt und nutzt ihre genetische Veranlagung der Hochsensitivität, eine weitere Gruppe ist immer wieder mit der Abwägung von Vor- und Nachteilen beschäftigt und die Menschen einer anderen Fraktion können das Mehr-Wahrnehmen als weniger angenehm ertragen.

Die Forschung teilt Neurosensitivität in verschiedene Sensitivitäts-Typen ein, die wir in diesem Buch vorstellen.

Wir sind selbst hochsensitiv veranlagt, kennen also die Thematik in allen Facetten – auch die Schattenseiten. Die hilfreichen Modelle und Konzepte der Transaktionsanalyse unterstützen uns, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen und geben Anregungen und Ideen, wie wir unsere Lebensqualität steigern können.

Um unsere Erfahrungen zu teilen, haben wir uns entschlossen, in diesem Buch unser Wissen speziell für erhöht neurosensitive Menschen aufzubereiten und dir näherzubringen. Von Herzen möchten wir dir, liebe Leserin und lieber Leser, Denkanstöße geben, um dein Empfinden und Verhalten besser zu verstehen. Wir hoffen, dass du dadurch die Sonnenseite deiner Hochsensitivität entdecken, genießen und bewahren kannst.

Es ist unser Anspruch, die Psychologie des Menschen so verständlich wie möglich zu veranschaulichen. Als erhöht neurosensitiver Mensch wirst du wahrscheinlich gerne tiefer in diese Thematik eintauchen und nicht nur an der Oberfläche bleiben wollen. Deshalb dient das Buch auch dazu, dich den Inhalten selbstreflexiv zu nähern und auf für dich geeignete Weise zu verarbeiten. Falls du das eine oder andere Thema mit jemandem besprechen möchtest, dann hol dir eine Sparringspartnerin oder einen Sparringspartner an die Seite. Unserer Erfahrung nach ist es gewinnbringend, sich mit jemandem darüber auszutauschen. Es lohnt sich in jedem Fall, die Synapsen in deinem Gehirn herauszufordern, da das einen nachhaltigen Mehrwert für dein Leben mit sich bringen wird.

Du bekommst Modelle und Konzepte der Transaktionsanalyse als Anregungen und Möglichkeit an die Hand, deine erhöhte Neurosensitivität bewusster und freier zu erleben und zu genießen. Freu dich also schon jetzt auf die folgenden Seiten.

Wir freuen uns, dass du dich für dieses Buch entschieden hast und wir dich ein Stück auf deinem Weg begleiten dürfen.

Herzliche Grüße

Manuela Therese Schmid und Jürg Bolliger

PS: Für uns ist die Du-Form persönlicher, darum haben wir uns dafür entschieden.

1 Hochsensibilität

Der Begriff der Hochsensibilität kursiert seit einigen Jahren in den verschiedenen Medienlandschaften und versucht zu erklären, dass es Menschen gibt, die feinfühliger sind als andere. Diese Bezeichnung möchte diejenigen Menschen beschreiben, welche mehr wahrnehmen als andere. Doch gelingt dies? Beschreibt und definiert der Ausdruck treffsicher? Wir sind der Meinung: Nein.

Unserem Verständnis nach beschreibt das Wort hochsensibel nicht all umfassend. Es trifft nicht genau das, worum es geht. Zu oft wird das Wort Hochsensibilität in eine Schublade mit der Aufschrift „Hält nix aus. Ist zu weich. Kann sich nicht behaupten.“ gesteckt. In der Folge entwickeln Betroffene oft Selbstzweifel und werden von anderen falsch verstanden und eingeschätzt. Doch hinter dem Phänomen Hochsensibilität stecken besondere Fähigkeiten. Deshalb sind wir der Meinung, dass hochsensible Menschen einen treffenderen Begriff verdient haben. Eine Formulierung, die es genauer auf den Punkt bringt. Und zum Glück, es gibt es diesen bereits. Es ist eine wissenschaftliche Beschreibung, die durch die Forschung validiert wurde. Sie lautet: erhöhte Neurosensitivität1.

Erhöhte Neurosensitivität beschreibt, was tatsächlich ist, ohne Bewertung und Einfärbung. Sie umfasst das zentrale Nervensystem, welches gegenüber Reizen erhöht erregbar ist. Die wissenschaftliche Definition von Neurosensitivität lautet gemäß Prof. Dr. Michael Pluess: „… die Fähigkeit, Umgebungsreize registrieren und verarbeiten zu können“2.

Studien zu Folge ist das Nervensystem von erhöht neurosensitiven Menschen erregbarer und aktiver als das von gering neurosensitiven.

Es ist also nicht nötig, sich von Mitmenschen in eine Schublade mit zweifelhafter Aufschrift stecken zu lassen. Es ist aber sehr wohl nötig, sich selbst aus den eignen gedanklichen Schubladen zu befreien, weil die erhöhte Neurosensitivität wunderbare Vorteile mit sich bringt.

Die Wissenschaft ist sich noch nicht eins und es herrscht Uneinigkeit darüber, wie die erhöht Neurosensitiven in der Population verteilt sind und wodurch diese Verteilung beeinflusst wird. In empirischen Forschungen u. a. mit bildgebenden Verfahren, wie das fMRT3, können lediglich bestimmte Personengruppen zu bestimmt ausgewählten Konstellationen und Sachverhalten untersucht, befragt, gemessen und verglichen werden. Wissenschaftliche Forschung am Menschen ist seit eh und je eher schwierig vergleichbar. Nichtsdestotrotz brachten zahlreiche Untersuchungen am Menschen und auch im Tierreich hervor, dass die einen Vergleichsgruppen aktiver und sensibler auf Umgebungsreize reagierten als die anderen.

Da du dieses Buch in den Händen hältst und dich mit dem Thema beschäftigst, gehörst du entweder zu den Betroffenen oder kennst vielleicht eine betroffene Person. So fällt dir vermutlich sofort ein, dass es Menschen gibt, denen Reize verborgen bleiben. Das kann verschiedene Bereiche betreffen, z. B. Filme, Musik, Kunst, Natur oder private und berufliche Begegnungen. Im Gegensatz dazu nehmen erhöht Neurosensitive mehr Reize wahr und sind dadurch auch mit deren Verarbeitung beschäftigt. Es kann zudem sein, dass Signale und Vorgänge im Körper intensiver wahrgenommen werden. Eine mögliche Folge davon ist, Schmerzen heftiger zu erleben und unterschiedlich auf Lebens-, Genuss-, Suchtmittel und Medikamente zu reagieren.

Wir haben nicht den Anspruch, in diesem Buch die Existenz erhöhter Neurosensitivität zu belegen und deren Ursachen zu beleuchten. Vielmehr möchten wir dich dazu anregen, dir Gedanken darüber zu machen, wie sich die Qualität deiner Wahrnehmung präsentiert und wie du damit umgehst. Denn wir sind überzeugt davon, dass deine Interpretation des Erlebens großen Einfluss darauf hat, wie du dein Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensitivität empfindest.

Was sagt die Forschung?

Wir fassen nachfolgend weitere für uns aktuell wichtige Ergebnisse aus der Forschung kurz zusammen.

Elaine N. Aron

Die mit dem Thema bekannt gewordene US-Wissenschaftlerin Elaine N. Aron beschreibt mit ihrem Team das Persönlichkeitsmerkmal mittels Sensoring Processing Sensitivity (SPS)4 und stellt dabei vier Aspekte, mit denen SPS beschrieben wird, in den Vordergrund5:

D

epth of Processing

Verarbeitungstiefe

O

verstimulation

Überstimulation

E

motional Reactivity, Empathy

Emotionale Reaktionsfähigkeit und Empathie

S

ensing the Subtle

Sensibilität für Feinheiten

Verarbeitungstiefe

Mit Hilfe von Studien wurde aufgezeigt, dass erhöht neurosensitive Menschen in einem Bereich des Gehirns, namens Insula, bei der Verarbeitung von Informationen mehr Aktivität aufweisen als gering Sensitive.

Überstimulation

Die Fähigkeit, mehr Reize zu registrieren und verarbeiten zu können, lässt vermuten, dass dies mit einer Überstimulation durch zu viele Reize einhergehen könnte.

Emotionale Reaktionsfähigkeit und Empathie

In empirischen Studien fand bei erhöht Neurosensitiven im Bereich der Insula eine erhöhte Aktivität auch auf visuelle Reize statt. Zudem - so wird vermutet - ist eine stärkere Aktivierung von Spiegelneuronen im Gehirn am erhöhten Einfühlungsvermögen, der Empathie, beteiligt.

Sensibilität für Feinheiten

Mit diesem Aspekt ist das Bewusstsein für Feinheiten gemeint. Sensorische Informationen, über die Haut, den Hör-, Sehnerv oder das Riechzentrum werden laut Studien komplexer verarbeitet. Dabei müssen Informationen nicht über alle Sinneskanäle gleich verteilt sein.

Prof. Dr. Michael Plüss

Neben Elaine N. Aron und Team forscht seit einigen Jahren u. a. ebenfalls Prof. Dr. Michael Plüss, Entwicklungspsychologe der University of London, auf dem Gebiet der Neurosensitivität. Auch er kommt durch seine Forschung zum Ergebnis, dass die unterschiedliche Sensibilität von Menschen genetisch bedingt ist. Er definiert Neurosensitivität als Fähigkeit, Reize der Umgebung zu registrieren und zu verarbeiten. Aufgrund der Unterschiede, die sich bei Menschen feststellen lassen, teilt er in drei Sensitivitätstypen ein6:

Hoch

Mittel

Tief

Mit dem Sensitivitätstyp „Hoch“ benennt er erstmals die erhöhte Neurosensitivität. In seiner wissenschaftlichen Arbeit stellt sich auch heraus, dass Menschen dieses Typs sehr empfänglich sind für positive sowie negative Einflüsse aus ihrem Umfeld, während im Gegensatz dazu die gleichen Einflüsse auf die anderen Sensitivitätstypen kaum Auswirkungen haben.

Weiter kommen Wissenschaftler zum Ergebnis, dass es selbst unter den erhöht Neurosensitiven Unterschiede im Wahrnehmen und im Empfinden gibt.

Dr. rer. oec. Patrice Wyrsch

Selbst betroffen vom Persönlichkeitsmerkmal der erhöhten Neurosensitivität hat Dr. rer. oec. Patrice Wyrsch eine Studie dazu veröffentlicht und eine Grafik entwickelt7. Diese repräsentiert eine Art Koordinatensystem und eignet sich dazu, den persönlichen Sensitivitäts-Level einzuschätzen und sich seiner erlebten erhöhten Neurosensitivität bewusst zu werden. Die Grafik dürfen wir mit seiner freundlichen Genehmigung nutzen.

Abbildung 1: Sensitivitätstypen (Wyrsch)

Level aller Sensitivitätstypen

In der Grafik siehst du auf der horizontalen Linie den Level der Sensitivität. Dieser zeigt an, wie stark die Sensitivität ausgeprägt ist - von gering bis erhöht. Je weiter rechts jemand positioniert ist, umso höher ist der Sensitivitätsgrad.

Unterschiede der erhöhten Neurosensitivität

Auf der vertikalen Linie wird dargestellt, wie die erhöhte Neurosensitivität erlebt wird. Daraus resultieren drei unterschiedliche Typen der erhöhten Neurosensitivität:

Vulnerable Sensitivität

Generelle Sensitivität

Vantage Sensitivität

Bei einer empfunden vulnerablen Sensitivität überwiegt das Gefühl auf der Schatten- und nicht der Sonnenseite zu stehen. Hier erleben Betroffene die erhöhte Neurosensitivität eher belastend. Es ist ihnen tendenziell noch nicht möglich, die Vorteile wahrzunehmen und zu erfahren.

Bei der generellen Sensitivität stehen Schatten- und Sonnenseite im ausgewogenen Verhältnis zueinander. Mit diesem Empfinden können die Vorteile zwar festgestellt, aber auch zu gleichen Anteilen noch als einschränkend empfunden werden.

Vantage-Sensitive erleben die Vorzüge und Vorteile der erhöhten Neurosensitivität gerne und richten ihr Leben darauf aus. Dadurch gelingt es ihnen, die Sonnenseiten zu genießen und den Schattenseiten mit viel Gelassenheit zu begegnen. Sie wissen, dass das Leben nicht immer nur glatt läuft, begeben sich jedoch nicht in eine Negativspirale. Die Schattenseiten verlieren an Gewicht. Die betroffenen Personen finden einen guten Umgang damit, indem sie ein Thema oder eine Situation für den Moment entweder als gegeben akzeptieren können oder es ihnen gelingt, darin Ressourcen zu entdecken und zu nutzen. Die Herausforderungen des Lebens werden nicht mehr als Bedrohung empfunden, sondern vielmehr als Chance für die persönliche Entwick-lung betrachtet. In Anbetracht dessen ist es für jeden erhöht Neurosensitiven ersehnenswert die Vantage-Sensitivität zu entfalten.

Vielleicht fällt es dir noch schwer, dich einzuschätzen. Das Empfinden von Energie kann dir einen weiteren Anhaltspunkt dafür geben. Die vertikale Dimension symbolisiert auch das Energie-Level. Je energievoller du dich empfindest, desto mehr tendierst du zur Vantage-Sensitivität.

Mit Unterstützung der Konzepte der Transaktionsanalyse begleiten wir dich dabei, dich in Richtung Vantage-Sensitivität zu entwickeln oder dir diese zu bewahren.

Wir freuen uns, dass du die folgenden Seiten dieses Buchs und damit weitere spannende Seiten deines Lebens aufschlägst.

Wo in der Grafik würdest du deine Sensitivität einordnen?Wie hoch ist dein Energielevel?Wie ist momentan das Verhältnis von Sonnen- zur Schattenseite?In welchen Lebensbereichen überwiegt die Sonnenseite?

In welchen die Schattenseiten?

1 Wir verwenden in diesem Buch neben diesem wissenschaftlichen Begriff auch die Bezeichnung „Hochsensitivität“ bzw. „hochsensitiv“.

2 Pluess Michael, zitiert in: Wyrsch Patrice (2020): Neurosensitivität – Die Kraft der Hochsensitiven, S. 14

3 Funktionelle Magnetresonanztomographie

4 Aron Elaine N. and Aron Arthur (1997): Sensory-Processing Sensitivity and Its Relation to Introversion and Emotionality. In: Journal of Personality and Social Psychology, 1997, Vol. 73, No. 2, 345 - 368

5 Aron Elaine N. (1997): The Highly Sensitive Person: How to Thrive When the World Overwhelms You

6 Pluess Michael (2015): Individual Differences in Environmental Sensitivity. In: Child Development Perspectives, Volume 9, Issue 3, September 2015

7 Wyrsch Patrice (2020): Neurosensitivität – Die Kraft der Hochsensitiven

2 Transaktionsanalyse (TA)

Die Transaktionsanalyse ist eine sozialpsychologische Theorie und Methode, welche den Austausch und die Begegnung von Menschen in den Vordergrund stellt. Dabei werden unterschiedliche Kontexte sowie die Persönlichkeitsanteile und Lebensgeschichten der Menschen berücksichtigt.8

Dr. Eric Berne, dem Begründer der Transaktionsanalyse, war es wichtig, dass seine Patienten selbst zum Erfolg einer Behandlung beitragen können. Voraussetzung dafür ist, dass sie verstehen, was in ihnen innerlich und in zwischenmenschlichen Beziehungen vorgeht. Das hat Berne dazu bewogen, Zusammenhänge in Modellen darzustellen, die auch für psychologische Laien nachvollziehbar sind. Damit hat er die Grundlage für die Transaktionsanalyse gelegt.

Anfangs hat Berne seine Ideen in einem kleinen Kreis von Berufskolleginnen und Berufskollegen diskutiert und weiterentwickelt. Irgendwann haben sich auch Menschen aus anderen Berufsfeldern (Sozialarbeit, Beratung, Bildung, Führung, Organisationsentwicklung usw.) für seine Modelle und Konzepte interessiert und festgestellt, dass diese auch in ihrem Tätigkeitsfeld hilfreich und nützlich sind. So wird heute die Transaktionsanalyse nicht nur in der Psychotherapie genutzt, sondern überall dort, wo es um die persönliche und professionelle Entwicklung von Menschen geht.

Die ursprünglichen Modelle und Konzepte werden laufend weiterentwickelt und ergänzt. So bietet die Transaktionsanalyse heute einen Werkzeugkoffer mit einer Vielzahl von Erklärungsmodellen und Methoden. Einige davon sind sehr gut geeignet, einen konstruktiven Umgang mit erhöhter Neurosensitivität zu entwickeln – sowohl für sich selbst als auch für Menschen im Umfeld.

Wir werden dir in diesem Buch Modelle und Konzepte der Transaktionsanalyse vorstellen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Frage, welchen Mehrwert sie für dein Denken, Fühlen und Verhalten im Zusammenhang mit erhöhter Neurosensitivität haben. Weiter ist es uns wichtig, dir Anregungen zu anzubieten, wie du sie konkret für die Vantage-Sensitivität heranziehen und umsetzen kannst.

8 Bolliger Jürg (2020): Grundlagen der Transaktionsanalyse – kurz und bündig

3 Autonomie

Eine vorteilhafte Persönlichkeitsentwicklung erhöht neurosensitiver Menschen bedeutet in der Grafik von Wyrsch9 eine Bewegung von unten nach oben. Das Ziel ist es, die Sonnenseiten vermehrt sehen, schätzen und nutzen zu lernen. Je besser dir das gelingt, umso mehr befindest du dich im Bereich der Vantage-Sensitivität10. Dies wiederum bedeutet Lebensqualität.

Wenn es um die Richtung geht, in welche sich Menschen idealerweise entwickeln, verwenden wir in der Transaktionsanalyse den Begriff Autonomie. Laut Eric Berne manifestiert sich Autonomie in der Freisetzung oder Wiedergewinnung von drei Fähigkeiten: Bewusstheit, Spontaneität und Intimität11.

Die von Berne verwendeten Begriffe Freisetzung und Wiedergewinnung deuten an, dass es sich bei den drei genannten Fähigkeiten nicht um Themen handelt, die du von Null auf erlernt musst. Sie sind vielmehr als Potenziale zu verstehen, die in jedem Menschen vorhanden sind. Möglicherweise wurden sie im Laufe des Lebens verschüttet. Als hochsensitive Person fühltest du dich möglicherweise schon in der Kindheit mit deiner Wahrnehmung und in deinem Sein nicht verstanden. Der Schutzpanzer, den du dir daraufhin angelegt hast, war für die damalige Zeit hilfreich und wichtig. Heute, als erwachsener Mensch, gibt es für dich andere Wege, damit umzugehen. Hältst du hingegen den früher entwickelten Schutzmechanismus weiter aufrecht, wird dadurch deine Autonomie eingeschränkt. Der Prozess der persönlichen Entwicklung besteht nun darin, die Ressourcen deiner Autonomie zu bergen und immer mehr freizusetzen.

Bewusstheit

Damit ist die Fähigkeit gemeint, mit unseren Sinnen wahrzunehmen, ohne zu interpretieren und zu werten. Berne beschreibt bildhaft, indem er sagt, Bewusstheit sei die Fähigkeit, auf unverwechselbare eigene Art eine Kaffeekanne zu sehen und die Vögel singen zu hören, und nicht so, wie es einem beigebracht worden ist12. Zu dem, was in der Transaktionsanalyse als Bewusstheit bezeichnet wird, passt auch gut der Begriff der Achtsamkeit. Es geht um das Wahrnehmen im Hier und Jetzt.

Spontaneität

Bei diesem Aspekt der Autonomie geht es darum, sein Agieren und Reagieren flexibel und individuell auf die jeweilige Situation abgestimmt zu gestalten. Entscheidend ist, sich dabei nicht von antrainierten Mustern, Gewohnheiten oder gar Zwängen in der Auswahl seiner Möglichkeiten einzuschränken.

Intimität

Alternativ könnte hier auch der Begriff Beziehungsfähigkeit verwendet werden. Es geht darum, sich auf andere Menschen einlassen zu können und sich im Kontakt mit anderen transparent und authentisch zu zeigen. Dazu gehören der Mut, die Entscheidung und die Fähigkeit13, Bedürfnisse, Gefühle, Wünsche, Anliegen usw. offen zu kommunizieren. Verdeckte Botschaften und Motive haben dabei keinen Platz. Gleichzeitig bedeutet Intimität auch, für die Belange anderer offen zu sein.

Autonomie und Unabhängigkeit

Autonomie wird oft mit Unabhängigkeit gleichgesetzt. Durch den Aspekt der Intimität wird deutlich, dass es nicht um eine egoistische Form von Unabhängigkeit geht. Autonomie im Sinne der Transaktionsanalyse bedeutet die Unabhängigkeit von einschränkenden Überzeugungen und Mustern, um mit sich selbst und anderen auf eine gute Art in Beziehung zu sein.

Wenn wir in diesem Buch Modelle und Konzepte der Transaktionsanalyse vorstellen, geht es dabei immer um die Förderung von mindestens einem der drei Aspekte der Autonomie. Dabei ist wichtig, Autonomie nicht als etwas zu sehen, dass irgendwann zu hundert Prozent erreicht werden kann oder soll. Es zeigt vielmehr die Richtung an, in die sich ein Mensch idealerweise in seiner Entwicklung bewegt.

Wir bringen Autonomie auch mit Energie in Verbindung. Je mehr Autonomie du lebst, desto höher wird deine gefühlte Energie sein. Wenn du dir erlaubst, dein Leben autonom, also ohne hinderliche Einschränkungen, zu gestalten, wirkt sich das positiv auf deine Selbsterkenntnis, Selbstverantwortlichkeit, Selbstakzeptanz, Selbstliebe, Selbstwirksamkeit und Selbstsicherheit aus. Damit erhöhst du gleichzeitig dein Energielevel.

Mit zunehmender Autonomie bewegst du dich von der vulnerablen Sensitivität in Richtung Vantage Sensitivität. Wir ergänzen daher das Modell von Wyrsch14 mit einem nach oben zeigendem Pfeil, der für die Autonomieentwicklung steht.

Abbildung 2: Sensitivitätstypen und Autonomie

In den folgenden Kapiteln laden wir dich ein, die Modelle und Konzepte der Transaktionsanalyse für die Entfaltung deiner Autonomie zu nutzen. Wir begleiten dich dabei, Bewusstheit, Spontaneität sowie Intimität weiterzuentwickeln und dadurch die Vantage Sensitivität zu fördern. Dies ist unabhängig davon möglich, wo du dich innerhalb des Dreiecks aktuell positionierst.

Welcher der drei Aspekte der Autonomie (Bewusstheit, Spontaneität, Intimität) ist bei dir bereits gut entwickelt, welcher weniger?Was willst du mit der Lektüre dieses Buches erreichen? Was soll sich ändern?Was trägst du dazu bei, um dies zu erreichen?

9 siehe S. 16

10 siehe S. 17

11 Berne Eric: Spiele der Erwachsenen (2012), S. 287

12 Berne Eric (2012):