Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst - Käthe Lachmann - E-Book

Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst E-Book

Käthe Lachmann

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Beschreibung

Ann fällt ständig auf die falschen Männer rein. Ihre Freundin Caro versucht deshalb, sie mit einer "Beziehungsabschiedsfeier" auf der Reeperbahn von ihrer Sucht zu heilen. Einen langfristigen Therapieansatz hat sie auch schon: Sie will Ann mit ihrem Kumpel Tim verkuppeln. Doch das ist gar nicht so einfach, denn Ann hat sich schon ein neues Prachtexemplar ausgesucht: Yves hat zwar nur einen Hoden, aber dafür einen gesteigerten Geltungsdrang und akute Rechthaberitis. Da kann Tim nicht mithalten – oder vielleicht doch?

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Kurzbeschreibung:

Warum mit dem Richtigen glücklich sein, wenn man auch mit dem Falschen unglücklich sein kann?

Ann fällt ständig auf die falschen Männer rein. Ihre Freundin Caro versucht deshalb, sie mit einer "Beziehungsabschiedsfeier" auf der Reeperbahn von ihrer Sucht zu heilen. Einen langfristigen Therapieansatz hat sie auch schon: Sie will Ann mit ihrem Kumpel Tim verkuppeln. Doch das ist gar nicht so einfach, denn Ann hat sich schon ein neues Prachtexemplar ausgesucht: Yves hat zwar nur einen Hoden, aber dafür einen gesteigerten Geltungsdrang und akute Rechthaberitis. Da kann Tim nicht mithalten – oder vielleicht doch?

Käthe Lachmann

Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2017 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2017 by Käthe Lachmann

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Arrowsmith Agentur

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-018-1

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Ich bin hier, und du liegst drunter

»Ich hätte es wissen müssen, als du darauf bestanden hast, dass wir uns auf dem Kiez treffen. Das ist so oberpeinlich!«

Obwohl ich eigentlich total sauer war, nahm ich den von meinen Mädels selbstgebastelten Haarreif ganz vorsichtig vom Kopf. Sie hatten sich wirklich Mühe gegeben, und, ja, der Barbie-Mann sah – nicht zuletzt wegen des Dieter-Bohlen-Stickerei-Hemdes – meinem letzten Exfreund Dominic sehr ähnlich. Die Puppe auf dem Haarreif war so auf eine andere weibliche Puppe geklebt, dass es ohne Kleidung sehr unanständig ausgesehen hätte. Dazu passte der Schriftzug auf unseren T-Shirts: »Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst«. Sabine, meine Chefin, hatte überzeugende Argumente für mich, das Oberteil anzuziehen: Sie hatte mir angedroht, keine neue Kaffeemaschine für die Agentur zu kaufen, wenn ich mich weigerte, das T-Shirt zu tragen.

Allerdings war mir die Kaffeemaschine egal, wenn es darum ging, Kleiner Feigling und Kondome aus einem extra für mich angefertigten Bauchladen zu verkaufen. Und zwar hier, im Nieselregen, Samstagabend, halb zehn, auf der noch nicht sehr belebten Reeperbahn.

»Ich HASSE Junggesellinnenabschiede, es gibt nichts, was ich mehr hasse als Junggesellinnen- und Junggesellenabschiede, außer vielleicht Fenchel, und sollte ich jemals heir ... «

Weiter kam ich nicht.

»Das ist doch kein Junggesellinnenabschied. Es ist das Gegenteil!«, fuhr mir meine – bis dahin jedenfalls – beste Freundin Caro ins Wort und blies sich eine Strähne ihrer feuerroten Locken aus dem Gesicht. »Wir feiern, dass du endlich wieder Single bist, nach diesem dämlichen Dominic! Und den ganzen anderen Arschgeigen davor. Du bist frei! Du hast sie überstanden, diese Monate der Demütigung, der Missachtung, mit diesem egozentrischen, hirnlosen, von seiner Exfrau noch nicht abgenabelten Langweiler!« Sie drückte mir einen dicken Schmatzer auf die Wange. »Hoch lebe das Singleleben, genieß es, hab One-Night-Stands und wirf dich nicht gleich wieder in die nächste Beziehung! Und dass du jetzt frei bist, bis endlich der Richtige kommt, das feiern wir!«

Wir? Eigentlich waren von uns vieren nur Caro, meine wirklich allerbeste Freundin, mit der ich schon im Sandkasten die besten Sandkuchen gebacken hatte und die mehr über mich wusste als mein Tagebuch, ihre ältere Schwester Bela, die gerade aus München zu Besuch war, und Sabine, meine Chefin, in Feierlaune. Sie hatten sich wohl schon mit Prosecco etwas in Stimmung gebracht, bevor ich dazugestoßen war.

»Na, nicht jetzt doch auch einen Schluck?«, fragte Sabine kichernd. Mit ihrer zarten, geradezu knabenhaften Gestalt vertrug sie überhaupt nichts. Das konnte ein interessanter Abend werden. Aber um ihn halbwegs gut zu überstehen, sollte ich wohl versuchen, mich auf das Niveau meiner Freundinnen zu begeben.

»Habt ihr auch Bier? Oder Wodka?«

»Kleinen Feigling hätten wir im Angebot. Aber trink nicht so viele davon, schließlich sollst du auch was verdienen!«

Von Bela hätte ich eigentlich mehr Stil erwartet. Ich kannte sie natürlich auch schon seit vielen Jahren und mochte die ruhige Innenarchitektin mit den großen, blauen Augen und den weiblichen Rundungen. Anscheinend hatte sie sich vorgenommen, dieses Wochenende ohne Kinder und Mann in vollen Zügen zu genießen, und zwar nur unter Zuhilfenahme vergorener Getränke.

»Wenn das das Gegenteil von einem Junggesellinnenabschied sein soll, dann müsste ich ja wohl eher Gemüsesaft und Schnuller verkaufen, und wir sollten in der Oper sitzen und uns nicht auf der sündigen Meile rumtreiben!«, sagte ich, stolz auf meinen intelligenten Einwand.

»Ach was, ich finde Caros Idee großartig!« Bela nahm mir den Haarreif aus der Hand und drückte ihn mir wieder auf den Kopf, wo er meine wilde, straßenköterblonde Mähne im Zaum hielt, und wo er ihrem Blick nach zu urteilen auch bleiben sollte. »Mut zur Prolligkeit! Und es ist nun wirklich ein Grund zum Feiern, dass du dieses Arschloch los bist!«

»Ja«, stimmte Sabine ein, »einen Mann, der sich ›aus steuerlichen Gründen‹ nicht scheiden lässt, immer in dem Haus seiner Frau abhängt und nie wirklich zu dir steht – so einen braucht niemand! Ich bin gottfroh, dass er sich von dir getrennt hat, du hättest das bestimmt noch ’ne ganze Weile mitgemacht, so verknallt, wie du warst!«

»Es war nicht alles schlecht an Dominic«, verteidigte ich meinen Exfreund lahm.

Caro schüttelte den Kopf. »O nein, so nicht, nicht die ›Er hat mich immerhin nicht geschlagen‹-Nummer! Er hat nicht mal eine Autobahn gebaut! Und erinnere dich bitte daran, wie er dich hat aussteigen lassen!«

Wenn ich an diesen Sonntag im September dachte, wurde ich tatsächlich sauer. Dominic hatte einen kleinen Sohn mit seiner Frau, mit dem wir öfter etwas unternommen hatten. Einmal hatten wir den kleinen Nic (er hieß bestimmt so wegen DomiNIC, das würde ich diesem narzisstischen Schönling zutrauen) aus dem ehemals gemeinsamen Haus, in dem Dominics Frau jetzt noch mit dem Jungen wohnte, abholen wollen, und mein »fester Freund Dominic Seipert«, wie er sich selbst immer nannte, hatte mich gebeten, schon an der Kreuzung auszusteigen, damit seine Frau oder die Nachbarn mich nicht sähen. Ähnlich gedemütigt konnte sich wohl nur ein Nationalspieler fühlen, der die gesamte WM inklusive Finale auf der Ersatzbank verbringen musste.

Und statt einfach sitzen zu bleiben und dann diesen Vollpfosten in die Wüste zu schicken, hatte ich, komplett verdutzt und verknallt, dieses Spiel mitgespielt, todtraurig über die mangelnde Loyalität des Mannes, der mir noch wenige Wochen zuvor seine Liebe erklärt und versichert hatte, seine Exfrau würde sich für ihn freuen, weil er nun mich hatte. Nun, die ganze Liaison hatte nur wenige Monate gedauert, aber irgendwie hatte ich mir mit ihm tatsächlich eine Zukunft vorstellen können.

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, nahm Caro mich in den Arm, und ich roch ihren säuerlichen Prosecco Atem, als sie sagte: »Wir fanden den ja anfangs alle gut. Aber eigentlich war ziemlich schnell klar, dass er noch an seiner Ex hing. Selbst wenn er bei ihr ausgezogen ist und ihr von dir erzählt hat. Echt, es ist an der Zeit, dass du mal einen vernünftigen Mann findest. Einfach einen lieben, loyalen, sympathischen, schlauen Mann, der zu dir passt. So wie mein Buchhändler, Piet. Der ist treu und liebevoll. Aber den willste ja auch nicht.«

Piet. Eine Zeitlang hatte sich Caro ständig Bücher bestellt und mich dann gebeten, sie für sie abzuholen. Bei Piet. Angeblich, weil sein Laden näher an meiner Wohnung lag. Piet war natürlich nett und lieb und bestimmt ein toller Ehemann, aber so langweilig und ruhig, dass ich ihn manchmal zwischen den Büchern gar nicht entdeckte. Nein, Piet war nicht mein Typ.

Genauso wenig wie Caros Nachbar Franko, den sie mal »zufällig« mit mir zusammen zum Essen eingeladen hatte. Wie Franko sein Geld verdiente, wusste niemand so genau, aber er wirkte wie ein Zuhälter, und zwar so authentisch, dass ich wirklich böse auf Caro war, weil sie auf die Idee gekommen war, mir so jemanden andrehen zu wollen. Da sie zu der Zeit ebenfalls noch Single war, hatte ich erst gedacht, sie hätte selbst ein Auge auf ihn geworfen, und war darüber schon entsetzt gewesen. Beim Essen hatte ich immer versucht, ihr in Zeichensprache zu verstehen zu geben, dass ich ihn buchstäblich zum Kotzen fand. Sie hatte das – was auf ihr geringes Selbstbewusstsein als Köchin schließen ließ – auf ihre Lasagne bezogen. Es war ein mäßig schöner Abend gewesen. Franko hatte eimerweise Pomade im schwarzen Haar, trug mehrere goldene Ringe und erzählte in einer Tour frauenfeindliche Witze. Außerdem hatte er einen Goldzahn und war ein Angeber mit dickem Bauch. Natürlich war ich auch kompliziert bei der Männerwahl, aber ich war noch lange nicht so verzweifelt, dass ich alles nehmen musste, was zwei Beine hatte und einigermaßen aufrecht ging.

Caro riss mich aus meinen Gedanken: »Und die Typen vor Dominic, vor allem die aus dem Internet, die waren ja auch nicht viel besser.«

»Das stimmt!« Sabine nickte. »Dieser eine, der immer nur Party machen wollte, ständig besoffen und permanent pleite war und darüber hinaus keinen Sex wollte – als Mann!«

»Ja, hat er nicht mal gesagt, sein Lümmel müsse sich mindestens eine Woche lang erholen, bis er wieder startklar sei? Und das mit Ende zwanzig!« Caro schüttelte den Kopf.

»Dafür sah er gut aus!«, wagte ich einzuwerfen, was Caro einfach überging, indem sie mit der nächsten Geschichte aufwartete: »Oder der, der nur eine Affäre wollte, dir aber immer gesagt hat, wie sehr er dich liebt! Der sich trotzdem nie von seiner Frau getrennt hätte! Und das auch noch vollkommen o. k. fand!«

Caro und Sabine wollten sich anscheinend übertreffen in ihren »Ann und die Männer«-Geschichten, und mir wurde etwas flau im Magen, als ich mir darüber klar wurde, dass ich wirklich, was Männer betraf, bisher nicht gerade vom Glück verfolgt worden war, und das anscheinend auch immer nachhaltig kommuniziert hatte.

»Ach, Ann, weißt du, du findest ihn schon noch, deinen Björn ...« Für Caro war alles ganz anders, seit sie ihren Prinzen gefunden hatte. Sie hatten sich ganz klassisch im Flugzeug kennengelernt, als sie auf dem Weg zu einer juristischen Fachtagung war. Noch vor Ort hatten sie Handynummern getauscht, und zack – seit anderthalb Jahren waren sie ein Paar und sehr glücklich. Caro war der lebende Beweis dafür, dass es möglich war, auch mit über dreißig noch sein Soulmate zu finden. Toll! Und, ja, ich würde meinen eigenen »Björn« auch noch finden, und ich hoffte, er würde anders heißen.

Ehe du dich’s versiehst

Inzwischen hatten wir uns einer Gruppe junger Männer genähert. Grund genug für Sabine, loszuposaunen: »Los jetzt, Kundschaft! Vertick mal ein paar von den Kleinen Feiglingen, unser Prosecco ist bald alle, wir brauchen Geld für ’ne neue Flasche!«

»Prosecco, Mädels, das ist so Klischee ... Wir trinken doch sonst auch nie Prosecco!«, versuchte ich abzulenken. Dämlicher konnte man sich überhaupt nicht vorkommen, wie als Teil einer dieser Gruppen, deretwegen allein ich in den letzten Jahren immer einen großen Bogen um die Reeperbahn gemacht hatte.

Wie um mir weiteren Grund dafür zu geben, mich fehl am Platz zu fühlen, bemerkte ich jetzt, dass die Männer vor uns auch alle das gleiche T-Shirt trugen. Das Motiv: ein abgeknickter Penis, darunter der Schriftzug »Internationales Zeichen für Ehe«.

»Hihi, die feiern Junggesellenabschied!«, kreischte Sabine, deren Alkoholpegel bald ernsthaft gesundheitsgefährdend zu sein schien. Beim Versuch, sich vorsichtig um die fröhlichen jungen Herren herumzubugsieren, kippte sie gegen einen von ihnen, und sofort standen wir im Mittelpunkt des Interesses: »Hey, wollt ihr einen Kleinen Feigling? Oder ein Gummi?«

»Mist, die waren schneller.« Caro schien wirklich verärgert und zog so an meinem Bauchladen, dass ich fast vornüberkippte. »Wir verkaufen auch! Und zwar den Guten! Nicht diesen Billigfusel wie ihr!«

Die Jungs sahen sie mit ihren glasigen Augen verdutzt an.

»Na, was soll eurer denn kosten?«

Caro war in ihrem Element, und es half auch nichts, dass ich sie beschwichtigend am Arm fasste.

»Caro, es gibt, glaub ich, nur die eine Marke, die so heißt ...«

»Das ist mir egal! Unserer ist besser!«

Ich hatte inzwischen Blickkontakt mit einem attraktiven Kerl mit großem Mund und runden braunen Kulleraugen aufgenommen. Er zeigte auf meine Brüste, die ich heute mit einem Turbo-Push-up auf Melonengröße gepimpt hatte, na ja, zumindest auf Galiamelonengröße – es gibt ja auch sehr kleine Galiamelonen –, und grinste mich an: »Netter Spruch!«

»Danke! Eure T-Shirts sind auch ...« Ich hielt inne, weil ich zum Glück noch rechtzeitig merkte, dass mir beim besten Willen nichts Positives zu ihren T-Shirts einfiel, und so bekam ich gerade noch die Kurve und sagte, während ich ihn anstrahlte: »Schön, also, ich mag die Farbe ...«

Caro war unterdessen tatsächlich in ernsthafte Geschäftsverhandlungen mit den Jungs eingestiegen, was sie aber nicht davon abhielt, mir zuzuzischen: »Der ist viel zu jung für dich! Außerdem willst du ja wohl keinen auf der Reeperbahn akquirieren! Ich bitte dich! Du brauchst jetzt mal endlich einen anständigen Kerl!«

Anscheinend war ihr mein Erstkontakt mit dem Teddyauge also nicht entgangen. Manchmal war es schon lästig, mit seiner besten Freundin so im Gleichklang zu sein. Aber vielleicht hatte sie recht. Der letzte Typ, den ich beim Tanzengehen auf dem Kiez kennengelernt hatte, war ein ungarischer Architekt gewesen, der mich vom Fleck weg heiraten wollte und mich von unserem ersten Treffen an mit SMS bombardiert hatte, und der außerdem unter einem ausgeprägten Kontrollzwang zu leiden schien. Bei unserem zweiten Treffen hatte er fast vier Stunden zu früh vor meiner Tür gestanden und mich ausgefragt, wo ich denn gewesen sei (Beim Sport!), warum (Weil das ab dreißig angezeigt war.) und mit wem (Alleine! Aber ich hatte Zeugen!). Meine Freunde hatte er von vornherein blöd gefunden. Er war krankhaft eifersüchtig auf Caro gewesen, vor allem aber auf Paul, denn er hatte überhaupt nicht verstehen können, wie ich mit einem Mann »nur befreundet« sein konnte. Weil alle Männer »bloß mit mir ins Bett« wollten – eine Ansicht, die mich natürlich auch ehrte, sprach das doch für eine gewisse Attraktivität meinerseits.

Dieser Typ war ja Gott sei Dank Geschichte. Aber ob das mit dem Kiez zu tun hatte, da war ich mir nicht so sicher. Psychos gab es bestimmt auch auf dem Wochenmarkt oder im Philosophischen Seminar. O ja, gab es. Diese Drei-Wochen-Affäre Marcus zum Beispiel. Der Sex nur ohne Küssen wollte, und am liebsten mit möglichst vielen Klamotten an und nur ganz schnell. Wenn er dann wenigstens auch bezahlt hätte, hätte ich das vielleicht noch ein Weilchen länger mitgemacht.

»Dreißig Stück für zehn Euro!« Caro riss mich aus meinen Gedanken, indem sie strahlend einen Karton mit Kleinen Feiglingen vor meinem Gesicht hin- und herschwenkte. »Was für ein Deal! Und die denken, SIE hätten ein Geschäft gemacht!«

»Wie – du hast ihnen was abgekauft?«

»Ja! Dreißig Stück für zehn Euro!«, wiederholte sie stolz. »Also, los jetzt!«

»Das darf doch nicht wahr sein! Ich dachte, wir wollen die Dinger loswerden! Jetzt haben wir noch mal so viel!«

Aber Caro hatte sich schon einer Gruppe Rentner zugewandt, die sich gerade vor dem Schmidt-Theater für ein Gruppenfoto formiert hatten. »Kondome, Kleiner Feigling?«

Ein Herr in grauer Survivalweste und mit Heide-Park-Schirmmütze auf dem Kopf musste sie missverstanden haben.

»Unverschämtheit! Nur weil ich keine Kondome kaufe, bin ich doch kein Feigling!«, polterte er los. »Und überhaupt bin ich hier mit meiner Frau! Roswitha, wir brauchen keine Kondome, ne, bei uns klappt das auch so noch ganz gut! Ihr jungen Dinger, was erlaubt ihr euch eigentlich! Seid noch nicht verheiratet und macht euch lustig über glückliche Ehepaare! Über fünfundvierzig Jahre sind wir schon zusammen, das schafft heutzutage doch keiner mehr von euch!«

Sabine zog Caro ein paar Schritte zur Seite. Dort kamen uns rosa gewandete Mädels entgegen. Auf ihren T-Shirts stand: »Germanys Next Top-Wife« .

»Witzig«, sagte ich trocken.

Sie verkauften, wie ich schnell bemerkte, zusätzlich zum traditionellen Wodka-Mischgetränk und den Verhütungsmitteln auch noch kleine Schokoladenherzen.

»Kreisch!«, kreischte eine Mitte zwanzigjährige, überschminkte Blondine, die zu ihrer rosa Kleidung türkisfarbene Highheels trug. »Witziger Spruch! Hey, Tanni, guck mal, was die auf dem T-Shirt stehen haben!«

»Hä?«, machte eine brünette, schlanke Frau an ihrer Seite, die einen Hut mit Brüsten – ja, auch wenn ich noch so sehr suchte, es gab tatsächlich nur Brüste auf diesem Hut, zwei pralle Gummibrüste, um genau zu sein – aufhatte. Außerdem hatte sie als Einzige noch den Vermerk »Braut, die sich traut« auf dem Shirt.

»Ich kann das nicht lesen!«, sagte die glückliche Braut, wobei sie guckte, als würde sie demnächst einnicken. Sie hatte wohl auch schon die ein oder andere C2H5OH-Verbindung im Blut.

»Ich bin hier und du liegst drauf!«, übersetzte ihr die Blonde.

Tanni schien kurz aufzuwachen und schrie: »Total witzig! Das mach ich bei meinem nächsten Junggesellinnenabschied!«

Ob sie das mit dem Heiraten richtig verstanden hatte? Wenn Junggesellenabschiede zusammen mit dem Partner gefeiert würden, gäbe es sicher wesentlich weniger Scheidungen, weil es gar nicht erst zur Eheschließung käme ... Wahrscheinlich hatte der Heide-Park-Rentner recht, sinnierte ich und begann frustriert, unseren Wodka-Feige-Bestand zu minimieren, auch wenn das Zeug scheußlich schmeckte.

Wie vielen Prä-Hochzeitsgesellschaften wir noch begegneten, wusste ich nicht mehr. Mir fiel nur auf, dass die Aufschriften auf den meist dunklen, grauen oder schwarzen Herrenshirts von ausgesprochenem Pessimismus geprägt waren (»Letzter Tag als Freiwild«, »Das war’s«, »Thorstens letztes Abenteuer«, »Bereit für die kleinsten Ketten der Welt« oder »Game Over«), während die Damen zumeist in Rosa oder Pink ihre positiven Slogans (»Deutschland sucht die Superbraut«, »Ich will, und er hat zu wollen«, »Rainer ist jetzt meiner«) von Schmetterlingen und Blümchen eingerahmt auf der Brust trugen. Wieso sagte dann überhaupt ein Mann »ja« vor dem Traualtar?

»Mädels, wir müssen zu den Chippendales!«, rief Bela plötzlich aus und strahlte uns an wie damals Gerhard Schröder, als er die Wahl gegen Frau Merkel verloren hatte und das nicht wahrhaben wollte. Mir schwante Fürchterliches. Sabine versuchte, den letzten Tropfen Wodka-Feige aus ihrem Fläschchen zu pressen, was bei Glas schwierig war, bevor sie antwortete: »Sind die in der Stadt?«

Ich stöhnte.

»Mädels, das ist nicht euer Ernst. Männer-Strip? Zusammen mit betrunkenen Krankenschwestern und kreischenden Wechseljahr-Opfern? Ich dachte, das hier ist das Gegenteil von einem Junggesellinnenabschied! Wir müssten eher Männern beim Anziehen zugucken!«

»Ja!« Caro warf ihre rote Löwenmähne in den Nacken. »Lasst uns zu Globetrotter gehen! In die Outdoorjackenabteilung!«

»Gibt’s nicht auf dem Kiez. Und außerdem wollen wir heute mal richtig auf die Kacke hauen. Ann soll ja sehen, dass genügend andere Söhne auch schöne Väter haben. Oder so. Also, wo strippt der gemeine Mann auf der Reeperbahn?«

Sabine sah richtig nüchtern aus, wenn sie ihre Stirn so in Falten legte.

Caro hatte anscheinend eine Art Erleuchtung: »Also, ein Männerstriplokal kenne ich auch nicht, aber was Besseres ...«

Nackte Fakten

Das Safari war meines Wissens der einzige Club auf dem Kiez, in dem tatsächlich Live-Sex auf der Bühne praktiziert wurde. Und zwar von einem einzigen alternden Typen mit Backenbart und Hängebauch, der in den verschiedensten Kostümen zahlreiche »Stars« aus der Weltgeschichte begattete. Die Bühne war klein, der Zuschauerraum so schummrig und plüschig, wie sich das für einen Laden in diesem Metier gehörte. Rot war die vorherrschende Farbe, natürlich war alles ein wenig schmuddelig und angeranzt, aber das schien die zahlreichen Gäste nicht zu stören.

Bisher hatten wir Marilyn Monroe, Biene Maja, eine namenlose Prinzessin, Mona Lisa und eine Mischung aus Angela Merkel und Margaret Thatcher gesehen. Der Sexarbeiter verrichtete seinen Dienst geduldig wie ein alter Esel an der Leine. Wen dieses mechanische Rein-raus-Spiel anturnte, der musste entweder etwas genommen haben oder schon sehr, sehr lange verheiratet sein.

»Pass auf, jetzt kommt Lady Gaga!«, flüsterte Caro mir zu.

»Und er ist weiterhin Albert Einstein?«, fragte ich mäßig begeistert. »Das passt zeitlich nicht!«

»Ist doch egal. Ich find’s jedenfalls super. Und wie sie die ganzen Stars imitieren! Toll!«

Manchmal machte mir meine beste Freundin etwas Angst.

»Na ja, Stars ... Biene Maja und Star ...«, wagte ich zu bedenken, während ich an meiner 25-Euro-Cola nippte. Dafür bezahlte man hier keinen Eintritt.

»Weltberühmt ist sie auf jeden Fall – schau, da ist Lady Gaga!«

»Wird die jetzt von Willi rangenommen? Oder von Napoleon, oder von wem? Ich will lieber tanzen gehen. Ich finde das öde. Und der Typ ist ja auch eher ein Weggucker. «

»Ja, Ann hat recht«, unterstützte mich Bela. »Das ist doch mehr was für Männer. Gut, es ist wirklich beachtlich, wie lang die Erektion von Willi-Charlie-Chaplin-Elvis-Presley-Spiderman-Albert-Einstein-Frankensteins-Monster jetzt schon anhält, aber allein wegen der Getränkepreise bin ich dafür, dass wir noch anderswo hingehen.«

»Ach, jetzt habt euch nicht so, noch fünf Minuten, o. k.?«

»Na gut«, brummelten wir zustimmend.

Ich sah mich im Publikum um. Es bestand zumeist aus alleinsitzenden Herren, aber das ein oder andere Paar war auch darunter. Wahrscheinlich wollten sie ihr Liebesleben etwas aufpeppen. Ob das der richtige Weg war? Es gab doch bestimmt auch wahnsinnig ästhetische Pornos. Solche, die auch Frauen gefielen. Mit Handlung. Also, mit richtiger Handlung. Nicht wie hier: Willi fliegt umher, sieht Maja und stürzt sich auf sie mit seinem Stachel. Konnte das irgendjemandem wirklich gefallen? Ich sah mich um. Und stutzte.

Zwar konnte ich im Halbdunkel nicht viel erkennen, aber die beiden, die da ganz vom an der Bühne saßen, sahen original so aus wie mein Frauenarzt und seine Sprechstundenhilfe. Witzig.

Das Stöhnen von der Bühne klang eher gequält als lustvoll. Schon eigenartig, dass das von der Natur so eingerichtet war, dass man es aus der Ferne kaum unterscheiden konnte. Bestimmt wurde sich begattenden Paaren häufig fälschlicherweise zu Hilfe geeilt. Von Nachbarn oder gar von der Polizei. Während ich so nachdachte, schweifte mein Blick noch mal zu dem Paar am Bühnenrand, das sich gerade innig küsste. Iiih. Bei Livesex auf der Bühne. Als sie sich voneinander lösten, bestätigte sich, was ich befürchtet hatte: Das waren tatsächlich mein Frauenarzt und seine Sprechstundenhilfe! Aber er war doch verheiratet? Und nicht mit ihr ... Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Die fünf Minuten waren um, also drängelte ich: »Ich fänd’s wirklich gut, wenn wir jetzt tanzen gehen würden.« Schon allein, weil ich auf keinen Fall wollte, dass Dr. Frielinghaus mich bemerkte.

Irgendwie stieß ich damit aber nicht auf Gegenliebe. Es lag etwas in der Luft, das ich nicht fassen konnte, eine freudige Erregung bei meinen Mädels, die nichts mit dem zu tun hatte, was die zahlreichen Herren im Publikum wohl gerade empfanden, als der Kaiser der Franzosen ein etwas dickliches Lady-Gaga-Double routiniert von hinten nahm.

Angewidert drehte ich den Kopf zur Seite, und jetzt bemerkte ich, was meine Freundinnen wohl schon vor mir gesehen hatten: Am rechten Bühnenrand war ein muskulöser junger Mann mit einer Wahnsinnsfigur in einem etwas zu engen Batman-Kostüm auf der Bühne erschienen. Die Musik änderte sich.

Caro strahlte ihn an und knuffte mich in die Seite. »Na, das ist doch jetzt was für dich!«

»Oh«, machte ich überrascht und von dem Anblick angetan, gleichzeitig war ich aber auch etwas irritiert. Ja, ich war Batman-Fan, ja, ich fand die Filme spannend, und ja, ich war froh, dass sich der Esel nun zurückgezogen hatte, um Platz zu machen für den Superhelden, aber warum um alles in der Welt leuchtete der Verfolger-Scheinwerfer jetzt in unsere Richtung, und wieso kam Batman auf mich zu? Ich trug ja zu allem Überfluss auch noch diesen dämlichen Haarreif – so sollte er mich nicht sehen. Als ich mir mit einer, wie ich fand, ziemlich unauffälligen Bewegung meinen Schmuck vom Kopf riss, hatte ich auch gleich ein großes Haarbüschel in der Hand.

Der Einsatz hatte sich leider nicht gelohnt, denn Batman stand schon direkt vor mir. Und nicht nur das, er schnappte sich zu meinem Entsetzen meine Hände und führte sie gekonnt an seinen Fledermaushintern, der, was ich bei dieser Gelegenheit mit Grausen deutlich spüren konnte, eines der wenigen Körperteile war, die nicht von gummiartigem Kostümstoff umhüllt waren. Kurz: Ich fasste ihn an sein nacktes Hinterteil. In einem anderen Kontext hätte sich das ziemlich sicher sehr gut angefühlt. So aber verspürte ich nichts außer dem dringenden Wunsch, wieder frei über meine Hände verfügen zu können. Der Versuch, sie zu befreien, scheiterte am stahlharten Griff des Superhelden. Ich musste mit ihm reden.

»Entschuldigen Sie, ich möchte das hier nicht«, sagte ich mit fester Stimme, und als er nicht reagierte, fuhr ich anderssprachig fort, vielleicht hatte er mich ja einfach nicht verstanden: »I don’t want this, je ne veux pas.«

Nach kurzem Überlegen fügte ich, nicht zuletzt wegen seiner schwarzen Augen und der dunklen Haare, die aus dem Batcap quollen, ein »non voglio« hinzu, was unter Umständen auch »ich fliege nicht« heißen konnte, ich erinnerte mich in dieser heiklen Situation leider nicht mehr so genau an den Italienischkurs bei Giuseppe in der Volkshochschule. Dann kam mir glücklicherweise noch das international anerkannte Zeichen für »Nein!« in den Sinn, und ich schüttelte wie wild den Kopf.

Das schien meine Mädels nur anzufeuern, denn sie kreischten wie Sekretärinnen bei den Chippendales, während der Verfolger meinen Superhelden und mich wie in einem gleißend hellen Licht erstrahlen ließ. Konnte es eine unangenehmere Situation geben als diese? Mir fiel keine ein.

Warum rettete mich denn keiner? Es war eher das Gegenteil der Fall: Die Herren im Halbdunkel um uns herum applaudierten und pfiffen, Batman entledigte sich zu meinem Leidwesen nach und nach seiner einzelnen Kostümteile, während er sich an sämtlichen meiner Körperregionen rieb. Wie konnte ich mich nur aus dieser Situation befreien? Gott, er war ja nicht hässlich, im Gegenteil, und frisch gewaschen schien er auch zu sein, aber für diese Art von Freizeitbeschäftigung war mir für gewöhnlich ein intimerer Rahmen wesentlich willkommener.

Hilfesuchend schaute ich mich nach meinen Freundinnen um. Vielleicht konnte ich ihn ja an Caro, die mit ihrem Handy eifrig Aufnahmen machte, loswerden. Doch er schien sich auf mich eingeschossen zu haben. Ich kam gar nicht dazu, weiter an einen Befreiungsschlag zu denken, denn nun begann Batman, auch noch seine restlichen Klamotten abzuwerfen. Währenddessen tanzte er geschmeidig wie eine Wildkatze zur Batman-Titelmelodie, packte immer wieder meine Arme, die ich ihm zu entreißen versuchte, und presste sie an die denkbar unschicklichsten Stellen an seinem Körper.

Als ich ihm in einem glücklichen Moment endlich meine oberen Gliedmaßen mit einem gewaltsamen Ruck entreißen konnte, setzte sich der muskulöse Gotham-City-Beschützer schließlich auf meinen Schoß und rieb seinen nackten und, wie ich trotz meiner verzweifelten Abwehrversuche wohlmeinend registrierte, glattrasierten, glänzenden Sixpack an meinem T-Shirt. Obschon ich nun wirklich vollauf mit Schämen und Unwohlfühlen beschäftigt war, konnte ich dennoch erkennen, dass mein Frauenarzt und seine Assistentin sich zu uns umgedreht hatten, und anscheinend war auch ich von ihm erkannt worden, denn er versuchte nun, sich mit Frau Lüders unauffällig in Richtung Ausgang zu bewegen. Als er einmal den Kopf ein wenig zur Seite drehte, um Frau Lüders etwas zuzuflüstern, hatten wir für einen Moment Blickkontakt, und ich merkte, dass er gesehen hatte, dass ich ihn erkannt hatte. Wem das nun peinlicher war, ihm oder mir – ich hatte keine Ahnung.

»Das ist Doktor Frielinghaus!«, zischte ich Caro zu, während ich damit beschäftigt war, mir ein Haar aus der inzwischen freigelegten schwarzen Lockenmähne meines Superhelden aus dem Mund zu wischen.

Caro hörte kurz auf, Fotos von meiner misslichen Lage zu machen, und fragte laut zurück: »Wie, dein Frauenarzt? Krass!«, nur um dann wieder ihr iPhone auf die riesige Beule im superknappen String vor meinem Gesicht zu halten.

»Die Fotos poste ich auf Dominics Facebookseite!«, freute sie sich.

»Auf keinen Fall!«, wollte ich protestieren, aber das ging in Belas und Sabines zustimmendem Jubel unter.

*

»Mir hat als T-Shirt-Aufdruck am besten ›Ich Depp hab auch noch ja gesagt‹ gefallen«, kicherte Caro in der U-Bahn. Bela und Sabine hatten es sich auf ihrem Sitz bequem gemacht und schliefen friedlich neben uns. Es war halb sechs, und draußen wurde es langsam hell. Auch auf dem Weg zur U-Bahn waren uns noch diverse Junggesellenabschiede begegnet.

»Lenk nicht ab! Warum habt ihr mich nicht gerettet?«

Ich wollte mich gerade richtig echauffieren, als mich ein sichtlich angeschlagener junger Mann mit Pali-Tuch und Free-Tibet-Button an der Cordjacke annuschelte: »Wie spät ist es?«

Als ich es ihm sagte, überlegte er kurz und fragte dann: »Fünf Uhr dreißig oder siebzehn Uhr dreißig?«

»Respekt!«, sagte Caro. »Goldene Jugend!«

In der Bahn roch es nach Alkohol und Zigarettenrauch, und nur noch einzelne Pistengänger hingen verschlafen in den Sitzen.

»Du sollst beim Thema bleiben! Das war der absolute Horror mit dem Typen! Und statt mir zu helfen, habt ihr Fotos gemacht!« Noch während ich sprach, merkte ich, dass ich zu müde war, um richtig wütend zu sein, versuchte aber dennoch, meinem Unmut Luft zu machen.

»Hey, wir haben ihn von dir gepflückt, vergiss das nicht! Sonst säße er jetzt noch auf dir.« Caro giggelte: »Der hat eben den Spruch auf unseren T-Shirts wörtlich genommen.«

»Toll! Runtergepflückt! Allerdings erst nach einer gefühlten Ewigkeit, nachdem ihr gute Fotos hattet!«

»Ja, aber hey, das war doch wirklich lustig.«

»Ich hätte es bestimmt auch lustig gefunden, wenn er auf dir gesessen hätte und dir sein riesiges Geschlechtsteil ins Gesicht gehalten hätte! Es ist immer eine Frage der Perspektive ...« Es schüttelte mich, als ich daran dachte. Gut, er hatte noch einen hauchdünnen Stringtanga an, aber trotzdem ... »Meinst du, der hatte da noch irgendwas in der Hose? So groß ist doch sonst nur ein Pferdepenis ... Apropos – was mach ich bloß mit meinem Frauenarzt? Der hat was mit seiner Sprechstundenhilfe! Gut, kann ich verstehen, Frau Lüders ist ein heißer Feger und bestimmt zwanzig Jahre jünger als er, aber ich hab Dienstag einen Termin bei dem! Kann ich da überhaupt hin?«

»Ad eins: Pferdepenis, ich weiß nicht. Ich fand den gar nicht sooo groß. Also, um ehrlich zu sein, fand ich ihn eigentlich ziemlich normal. Ich weiß ja nicht, mit welchen Gürkchen du bisher vorliebnehmen musstest, aber Björn–«

»Stopp!«, unterbrach ich sie, »zu viel Information. Also, zu zweitens: Kann ich Dienstag zu Doktor Frielinghaus?«

Caro gähnte. »Natürlich! Und jetzt hast du was gegen ihn in der Hand. Du kannst alle teuren Untersuchungen umsonst bekommen. Alle.«

»Welche zum Beispiel? Sag mir nur eine, die die Kasse nicht zahlt und die ich brauchen könnte. Ich bin gesund!«

Caro überlegte. »Na, dann eben Tabletten. Die Pille! Oder so.«

»Ja, oder so. Du als Anwältin rätst mir zu Erpressung? Sehr witzig.« Ich schüttelte genervt den Kopf und seufzte: »Mir wird ganz anders, wenn ich an den Termin denke. Aber deshalb den Arzt wechseln? Ich bin da seit so vielen Jahren und war immer so zufrieden, und es ist bei mir um die Ecke ...«

Caro brauste auf: »Ich finde das super eklig! Wenn das dein Zahnarzt wäre, o. k. Aber es geht ja um das andere Ende ...« Ihre Stimme verschwamm mit einem ausführlichen Gähnen, sie schüttelte sich kurz und fügte dann hinzu: »Klar, geh da hin!«

»Was denn nun? Eklig oder hingehen?«

»Mit Ekelgefühl hingehen. Und wir überlegen uns bis Dienstag noch, wie du auf ihn reagierst.«

»Der ist verheiratet! Und zwar nicht mit seiner Sprechstundenhilfe!«

»Und du musst dich da nicht einmischen. Du bist nicht verantwortlich für die Schlechtigkeit der Welt.«

»Nein. Aber ich würde sie gern ein wenig besser machen.«

Caro rollte mit den Augen und war im nächsten Moment eingenickt.

Eine Hand wäscht die andere

Prinz Albert von Monaco und seine Charlene hatten ein süßes Geheimnis, Madonna einen neuen, achtzehnjährigen Lover, und Florian Silbereisen bekam eine neue Fernsehshow. Obschon das alles natürlich wahnsinnig aufregende Neuigkeiten waren, konnte ich mich auf die Artikel in der Regenbogenpresse nicht richtig konzentrieren. Ich knibbelte mit dem Zeigefinger an meinem Daumennagel. Mit mir saßen noch zwei junge Mädchen im Wartezimmer und ein Mann, was ungewöhnlich war. Was machte ein Mann alleine im Wartezimmer eines Frauenarztes? Er schien auch nirgends dazuzugehören. Hm. Vielleicht war er ein Jungmann und holte sich nun Tipps für seine erste Freundin? Nein, dafür war er zu alt. Und zu gutaussehend. So ein George-Clooney-Typ hatte bestimmt keine Frauenprobleme. Wahrscheinlich war er ein Kumpel von Doktor Frielinghaus, und sie hatten keinen anderen Termin für ein Treffen gefunden? Ich würde es wohl nie erfahren.

Das war das eine, was mich beschäftigte. Das andere, was mich noch viel mehr umtrieb, war: Wie würde Dr. Frielinghaus sich gleich verhalten? Frau Lüders war heute nicht am Empfangstresen gewesen, und ich fragte mich, ob das mit meiner Person zu tun hatte. Bestimmt hatte sie gelesen, dass ich heute einen Termin hatte, hatte Dr. Frielinghaus angerufen und mit tränenerstickter Stimme gesagt: »Arno, wann sagst du es endlich deiner Frau? Ich halte das nicht mehr aus! Jetzt kommt auch noch diese Frau Winkler am Dienstag, und sie hat uns gesehen. Arno, was ist, wenn sie es deiner Frau erzählt? Ich kann das nicht mehr!«

In meinen Gedanken saß eine total verheulte Frau Lüders auf dem Bett in ihrer Zweizimmerwohnung in Hamburg-Lurup, das blondierte, halblange Haar umrandete ihr herzförmiges Gesicht in unordentlichen Strähnen, und die Wimperntusche hatte sich lange schon verabschiedet und auf ihren Wangenknochen ein neues Zuhause gefunden. Voraussetzung für diesen Gesprächsverlauf war natürlich auch, dass das »A.« in »Dr. A. Frielinghaus« für Arno stand. Irgendwie sah er wie ein Arno aus. Ich musste mal im Netz gucken.

»Hallo? Frau Winkler?«

Ich schreckte aus meinen Gedanken. Dr. Frielinghaus musste mich schon mehrfach aufgerufen haben.

»Frau Winkler? Ist Ihnen nicht gut?«

»Doch, doch, alles bestens!«

»Dann kommen Sie bitte mit.«