Wenn zwei sich streiten, freut sich Brigitte - Käthe Lachmann - E-Book

Wenn zwei sich streiten, freut sich Brigitte E-Book

Käthe Lachmann

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Beschreibung

»Es liegt nicht an dir – es liegt an mir.« Diesen Satz haben Andreas und Jennifer in ihrem Leben ein paarmal zu oft gehört. Deshalb wollen sie diesmal auf Nummer sicher gehen und noch vor dem ersten Kuss eine Paartherapeutin mit ins Boot holen. Dumm nur, dass Therapeutin Brigitte ein ganz anderes Ziel verfolgt. Sie hat ein Auge auf Andreas geworfen und versucht, statt zu schlichten, die Beziehung zu sabotieren – mit ungeahnten Folgen. Denn trotz Brigittes Attacken erweist sich Andreas' und Jennifers Liebe als erstaunlich robust ...

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Kurzbeschreibung:

»Es liegt nicht an dir – es liegt an mir.« Diesen Satz haben Andreas und Jennifer in ihrem Leben ein paarmal zu oft gehört. Deshalb wollen sie diesmal auf Nummer sicher gehen und noch vor dem ersten Kuss eine Paartherapeutin mit ins Boot holen. Dumm nur, dass Therapeutin Brigitte ein ganz anderes Ziel verfolgt. Sie hat ein Auge auf Andreas geworfen und versucht, statt zu schlichten, die Beziehung zu sabotieren – mit ungeahnten Folgen. Denn trotz Brigittes Attacken erweist sich Andreas’ und Jennifers Liebe als erstaunlich robust ...

Käthe Lachmann

Wenn zwei sich streiten, freut sich Brigitte

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2017 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2017 by Käthe Lachmann

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Arrowsmith Agentur

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rightsreserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-017-4

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

1.

Es versprach, wieder ein freundlicher Tag zu werden. Brigitte stand in der Küche und schaute mit einem Becher Kaffee in der Hand aus dem Fenster. Alles sah wie frisch geputzt aus, die Blüten in ihrem kleinen Vorgarten leuchteten fröhlich bunt, und ihre Farben strahlten im Sonnenlicht. Gerade wollte sie zu einem gemütlichen Frühstück übergehen, da klingelte das Telefon.

Sie zog den Gürtel ihres Bademantels enger, als könnte man durch die Leitung sehen, dass sie noch nicht fertig angezogen war. Es war halb neun. Wer konnte das sein?

»Brettschneider?«, meldete sie sich und pustete in ihren Kaffee.

»Hallo, mein Name ist Berner-Hängeloh. Andreas Berner-Hängeloh. Ich habe Ihre Nummer von meinem Nachbarn, Herrn Semmering.«

»Ach, Herr Semmering, geht es ihm nicht gut?« Brigitte bekam einen Schreck. Schließlich war der Professor nicht mehr der Jüngste. Allerdings hatte sie ihn bisher nur bei Kleinigkeiten behandelt, er sprang sehr gut auf Bachblüten an und kam mit jeder Schürfwunde sofort zu ihr.

»Doch, doch, alles bestens, es ist nur so: Ich habe jemanden kennengelernt.«

Der Anrufer machte eine Pause.

»Das freut mich!«, sagte Brigitte, weil er es sehr fröhlich sagte. Sie beschloss, erst einmal freundlich abzuwarten und diesen verwirrten Menschen in Ruhe erzählen zu lassen, bevor sie sich ein Urteil bildete. Sie nippte an ihrem Kaffee. Herrlich, wenn der noch so heiß war, dass man sich fast den Mund verbrannte, aber eben nur fast. Das war die optimale Temperatur.

»Sie sind doch Paartherapeutin?« Herr Berner-Hängeloh klang jetzt etwas aufgeregt, und Brigitte genoss es, diese Frage mit einem eindeutigen »Ja, das bin ich!« beantworten zu können. Schließlich war sie inzwischen nicht mehr »nur« Heilpraktikerin, sondern seit der Prüfung vorgestern »Psychotherapeutin nach dem Heilpraktikergesetz mit Schwerpunkt Paartherapie«. Wie toll sich das anhörte!

»Können Sie uns helfen?«

»Wem denn?«

»Mir und der Frau, die ich kennengelernt habe.« Seine Stimme wurde ganz weich: »Sie ist wundervoll. Sie ist schön. Schlau. Witzig. Liebevoll.«

»Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche, das ist ja alles sehr schön, aber wieso brauchen Sie denn Hilfe? Oder sollte ich besser fragen, wobei?«

»Nun«, der Herr am anderen Ende der Leitung räusperte sich, »ich möchte nichts falsch machen. Das ist die Frau meines Lebens. Mit ihr möchte ich alt werden.«

»Das klingt ja ganz wunderbar.« Brigitte setzte sich und nahm noch einen vorsichtigen Schluck. »Aber wo ist denn das Problem?«

»Nun, da gibt es keins. Also, noch nicht.«

Brigitte wartete einen Moment in der Hoffnung, dass sie endlich erfuhr, warum der Mann sie angerufen hatte. Der machte es aber auch spannend!

Es kam nichts. Also musste sie wohl weiterfragen: »Sie möchten eine Paartherapie? Und haben keine Probleme? Wieso wollen Sie das denn dann? Und, ganz wichtig: Wollen Sie das beide?«

»Wir haben noch nicht darüber gesprochen.«

»Das ist aber sehr elementar. Ich meine, natürlich können Sie auch alleine kommen–«

»Nein!«, unterbrach er sie mit lauter Stimme, dass es fast wie ein Hilfeschrei klang, bevor er ruhiger fortfuhr: »Das sollten wir schon zusammen machen, finde ich.«

»Ja, das denke ich allerdings auch. Dann besprechen Sie das doch mit Ihrer Frau«, sie zögerte, »oder Ihrer Partnerin. Und dann rufen Sie wieder an.«

»Sie … sie ist nicht meine Partnerin. Also, noch nicht. Jedenfalls nicht so richtig.«

Jetzt verstand Brigitte gar nichts mehr. O Gott, hatte Sibylle etwa auch manchmal mit solchen Psychopathen zu tun? Wie einfältig von ihr zu denken, dass es immer nur geordnete, normale Menschen waren, die sich an einen Paartherapeuten wandten. Es gab anscheinend, wie fast überall in der Gesellschaft, eben auch neurotische Nervensägen darunter, verstrahlte Egoisten und durchgeknallte Freaks.

Da der Mann nichts mehr sagte, fragte Brigitte noch mal nach: »Erklären Sie mir das doch bitte etwas genauer, ich verstehe Sie im Moment noch nicht so recht …«

»Also, was ich sagen möchte, ist: Ich habe diese Frau kennengelernt …«

»Wann?«, grätschte Brigitte dazwischen, weil sie das Gefühl hatte, das könnte eine ziemlich wichtige Frage sein.

»Gestern.«

Brigitte verschluckte sich. »Gestern? Das ist nicht Ihr Ernst!«

»Doch, das heißt, wir haben uns schon Freitag kennengelernt. Eigentlich. Aber seit gestern haben wir ein Date. Wir waren zusammen auf diesem Achtsamkeitsseminar. Ich hab sie gesehen und war vollkommen hingerissen von ihr. Eine tolle Frau! Umwerfend hübsch. Und eine Ausstrahlung, einfach faszinierend. Wir haben uns immer wieder angelächelt. Und in den Pausen kurz miteinander geredet. Und gestern Abend, als das Seminar vorbei war, da hat sie gesagt, es sei schade, dass das Wochenende schon vorüber ist, und ob wir uns nicht wiedersehen wollen. Und ich, ich war völlig von den Socken! Sie will mich wiedersehen! Und nun möchte ich nichts falsch machen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Und sie auch nicht.«

Brigitte überlegte, ob der Herr das mit dem Achtsamkeitsseminar vielleicht falsch verstanden hatte. Ein bisschen zu viel »hier und jetzt«. Und vor allem viel zu viel »jetzt sofort«.

»Äh, Sie haben schon über eine Beziehung gesprochen? Das geht aber sehr schnell bei Ihnen …«

»Finden Sie? Na ja, wir, also Jennifer und ich, wir denken, je früher, umso besser. Wir haben unsere Erfahrungen gemacht. Und wir wollen jetzt wirklich von Anfang an alles richtig angehen. Und dafür brauchen wir Ihre Hilfe! Sie sind unsere Frau! Das kann kein Zufall sein, dass Herr Semmering am Freitag noch von Ihnen erzählt hat!«

Inzwischen war der Kaffee natürlich kälter geworden. Aber dieses Gespräch war es allemal wert. Wie abgefahren!

Brigitte hakte noch mal nach: »Also, Sie haben noch vor dem ersten Date beschlossen, dass Sie Ihre eventuelle Partnerschaft gleich von einer Paartherapeutin begleiten lassen wollen, um sicherzugehen, Fehler aus vergangenen Partnerschaften nicht zu wiederholen? Und Sie haben das beide schon so miteinander ausgemacht?« So etwas hatte sie noch nie gehört. Was waren das für Leute?

Der Mann – Herr Berner-Hängeloh – zögerte. »Na ja, nicht so richtig. Also, Jennifer ist eine tolle Frau, und ich weiß, dass sie das bestimmt auch gut finden wird. Wir ticken da sehr ähnlich, das habe ich schon gemerkt ...«

»Aber das müssen Sie doch mit ihr besprechen! Und ich kann Ihnen auch gar nicht garantieren, dass mit meiner Hilfe alles klappt; ich kann Ihnen höchstens Denkanstöße geben und zur Seite stehen, wenn Schwierigkeiten auftreten, Ihnen andere Blickwinkel eröffnen – aber ich habe kein Geheimrezept für die ewige Liebe, falls Sie das suchen …«

Herr Berner-Hängeloh lachte: »Doch, genau das, was Sie beschrieben haben, genau das wollen wir. Also, will ich. Und sehr wahrscheinlich auch wir beide.«

Brigitte überlegte kurz: »Sie wissen, dass das keine Kasse bezahlt?«

»Ja, klar, ich habe mich informiert. Heißt das, Sie machen es?«

Sie war sich nicht sicher. Das wäre ihr erstes Paar. Und dann gleich eine so ungewöhnliche Aufgabenstellung. Sollte sie für besondere Fälle nicht etwas mehr Berufserfahrung haben? Andererseits bedeutete es Geld! Und Erfahrung sammeln! Und eigentlich klang er ja ganz nett.

Sie gab sich einen Ruck. »Sprechen Sie mit Ihrer Herzdame. Ob sie sich das auch vorstellen kann. Und dann vereinbaren wir einen Kennenlerntermin. Und wenn wir Ihre Idee dann weiterhin alle gut finden, legen wir los!«

»Danke! Das ist toll! Ich bin mir sicher, wir hören uns demnächst wieder! Ich melde mich bei Ihnen! Bis bald!«

»Ja. Bis bald.«

Oder auch nicht, dachte Brigitte. Die Frau würde sich wahrscheinlich gleich wieder von ihm verabschieden, wenn er ihr mit solchen Ideen kam. Das war wie vor dem ersten Date einen Ehevertrag aufzusetzen und das Baugrundstück fürs Eigenheim zu organisieren! Sie schüttelte den Kopf. Leute gab’s. Das musste sie gleich Fred erzählen. Aber jetzt machte sie sich erst einmal fertig und fuhr einkaufen. Damit sie heute Abend feiern konnten.

2.

»I want it all, I want it all, I want it all, and I want it now …« Freddy Mercury, der in voller Lautstärke aus ihrem Autoradio schallte, war doch immer noch der Beste. Brigitte sang aus vollem Hals mit, dafür waren Autos ja nun einmal gemacht. Bei all den Leckereien, die sie eingekauft hatte, hatte sie dummerweise ausgerechnet den Sekt vergessen, aber bestimmt hatte sie noch eine Flasche von irgendwas zu Hause. Sie freute sich auf ihren Freund. Wie lieb, dass Fred das Ereignis mit ihr begießen wollte. Jetzt war sie »Paartherapeutin«. Und wenn nun jemand unkte, dass das nicht dasselbe war wie das jahrelange Studium einer »richtigen« Psychologin, so war sie dennoch froh, diese Hürde endlich gemeistert zu haben. Vielleicht hätte sie diese Zusatzausbildung gleich am Anfang machen sollen, als sie sich entschied, Heilpraktikerin zu werden. Schließlich konnte sie als Therapeutin wesentlich mehr verdienen. Na ja, was soll’s, dachte sie, besser spät als nie.

Sie stupste den kleinen Klammeraffen an ihrem Rückspiegel an, als sie nach rechts in ihre Straße einbog. »Ich komme bald! Denn bald kann ich mir eine Reise zu euch in den Urwald leisten!«, rief sie ihm fröhlich entgegen, und es war ihr, als schaukelte er jetzt noch etwas vergnügter hin und her als zuvor.

Als sie den Mini parkte, klingelte ihr Handy. Sie machte das Radio aus, nahm ihre Handtasche vom Beifahrersitz und wühlte darin herum, bis sie es endlich fand. Es war noch nicht zu spät: »Brettschneider?«

»Hi, Brigitte, hier ist Sibylle.«

»Hallo, Sibylle, schön, dass du anrufst! Bist du in Hamburg?«

»Nein, wir sind noch auf Malle. Aber ich wollte dir doch schon gestern gratulieren – toll, dass du das jetzt geschafft hast! Und: Willkommen im Club!«

»Danke, Sibylle! Das ist aber lieb. Und herzlichen Dank auch noch mal für deine Unterstützung! Du hast mindestens auf Lebenszeit Bachblüten-Therapie bei mir gut.«

»Ach, ich bitte dich, das hast du alles allein geschafft. Und wenn irgendwelche Fragen sind, melde dich! Ach ja, ich habe dich schon weiterempfohlen. Ein Ehepaar Willner wird sich melden. Aber jetzt feiere erst mal. Und dann kommt ihr uns mal auf unserer Finca besuchen, Fred und du.«

Brigitte freute sich. Das ging ja wie’s Brezelbacken. Noch ein Paar! Toll!

»Danke, liebe Sibylle, und viel Spaß noch auf Mallorca!«

Da, wo Sibylle war, wollte Brigitte auch hin. Also, nicht unbedingt auf eine Finca auf Mallorca, aber sie wollte sich auch Reisen leisten können, vielleicht sogar ein Ferienhäuschen irgendwo, und vor allem wollte sie sich bald ihren größten Traum erfüllen.

So wie Sibylle das gemacht hatte. Sie war eine so erfolgreiche Paartherapeutin, dass sie nicht nur ein mehr als gutes Auskommen für sich hatte, sondern auch noch ihren Freund Marcus mit durchfüttern konnte. Fast die Hälfte des Jahres lebten die beiden auf Mallorca. Und zwar an einer Stelle der Insel, an der man Sangria-Eimer und »20 Zentimeter«-Sängerinnen vergeblich suchte.

Zugegeben, Sibylle und Marcus hatten es wunderschön dort, aber Brigitte wollte etwas anderes: Sie wollte zu den Affen. Nach Borneo.

Schon als kleines Mädchen hatte sie stundenlang in diversen Zoos im Affenhaus gestanden. Und einmal war sie sogar mit ihren Eltern am Bodensee gewesen und hatte den Affenberg in Salem besucht, eine riesige Anlage, in der Schimpansen in freier Wildbahn im Laubwald wohnten, durch den man ohne Zäune oder Gitter nach Herzenslust spazieren konnte.

Seit damals war sie oft bei Hagenbeck im Affenhaus, hatte sich mit der dortigen Tierpflegerin angefreundet und eine Menge über diese besonderen Tiere erfahren.

So entstand nach vielen Jahren der Zoobesuche der Entschluss, zusätzlich zu ihrem Beruf als Heilpraktikerin noch eine Paartherapieausbildung zu machen. Denn damit konnte sie richtig Geld verdienen, nicht nur so gerade über die Runden kommen wie bisher.

Dann würde sie sich endlich ihren großen Wunsch erfüllen können und einmal echte Menschenaffen in ihrer natürlichen Umgebung erleben. Seit Jahren schon spendete sie für Tierschutzorganisationen vor Ort, die sich für die bedrohten Tiere einsetzten; einmal in ihrem Leben wollte sie selbst nach Borneo und dort Orang-Utans und andere Affen auf einer, zu Recht, wie sie fand, sehr kostenintensiven begleiteten Tour beobachten! Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als dorthin zu reisen. Doch Borneo war weit weg – wenn sie so eine Reise machte, wollte sie sich richtig Zeit dafür nehmen, das Land kennenzulernen, und nicht »mal eben für zwei Wochen« dorthin fliegen. Das aber bedeutete auch, dass sie ihre Praxis für sechs bis sieben Wochen schließen musste – also Reisekosten plus Verdienstausfall. Bisher war ein solcher Urlaub leider nicht möglich gewesen. Und schon gar nicht mit Fred, denn ihr Freund litt unter panischer Flugangst. Über zehn Stunden im Flugzeug, das hätte er vermutlich nicht einmal für seinen Lieblingsfußballverein, St. Pauli, auf sich genommen. Geschweige denn für eine Tour durch den bornesischen Regenwald. Zimperlich war er, ihr Fred.

Vor ein paar Jahren hatten sie einen kleinen Urlaub in die entgegengesetzte Richtung gemacht, sie waren nach Schweden geflogen. Wenn Brigitte sich daran erinnerte, schüttelte es sie. Für Fred musste das der absolute Horror gewesen sein. Erst der – von Hamburg wirklich recht kurze – Flug und dann noch zelten.

Sie ärgerte sich heute noch, dass sie Fred dazu überredet hatte, wenn sie an die Szene auf dem Flughafen dachte: »Es ist mir egal, dass wir Flugtickets haben und ab morgen den Campingplatz gebucht, ich bleibe hier. Oder ich fahre mit dem Auto hinterher.«

Er saß hinter dem Check-in-Bereich und trank ein Bier nach dem anderen, um seine »Nerven zu beruhigen«.

»Fred, jetzt sind wir schon so weit gekommen, es ist schade um die Tickets, und wir fliegen ja nur eine gute Stunde …«

»Anderthalb.«

»Eine Stunde fünfundzwanzig, um genau zu sein. Komm, Fred, das schaffen wir!«

»Wir. Ha! Du schaffst das. Ich nicht.«

»Aber du hast doch schon etwas Bier getrunken, für deine Nerven …«

»Ich weiß nicht, ob so viel Alkohol gut ist in der Höhe. Ich glaube, der Druck verändert alles, und aus einem Promille werden fünf. Mindestens. Ich habe mal so was gelesen. Man soll nicht mit drei Bier, drei großen Bier fliegen.« Zum Ober gewandt, sagte er: »Noch eins, bitte!«

»Fred, das wäre dann dein viertes, ich bin mir tatsächlich nicht so sicher, ob das so gut ist … Dir wird vielleicht schlecht …!«

»Mir ist schon schlecht. Mir war vorhin schon schlecht, zu schlecht, um zu fliegen.«

»Du hättest einfach nur die Globuli nehmen sollen, die ich dir gegeben habe! Oder von mir aus auch was Stärkeres, ausnahmsweise. Jetzt, mit Alkohol, geht das nicht mehr.«

Aus dem Lautsprecher drang der Aufruf für ihren Flug.

»Komm, mein Fred, wir müssen los, zu Gate acht!«

»Ich bleibe hier. Und trink mein Bier. Ha! Das reimt sich sogar! Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.«

»Genau! Und deshalb fliegen wir jetzt!«

»Nein. Wir trinken in Ruhe unser Bier, und dann fahren wir nach Hause. Oder nach Schweden.«

Brigitte sah schon ihren Urlaub in die Binsen gehen und versuchte es auf einem anderem Weg: »An Bord gibt es sicher auch Bier! Lass uns mal nachschauen!«

Sie bezahlte und hakte Fred unter.

»Wir gucken uns jetzt das Flugzeug mal aus der Nähe an. Dann können wir immer noch entscheiden.«

Widerwillig ließ ihr Freund sich zum Gate mitschleppen. Da entdeckte Brigitte zu ihrer großen Freude die Rettung in der Menschenschlange, die sich zum Bording formiert hatte.

»Ist das da vorne nicht Stani?«

»Wer? Wo?«

»Der Trainer von Sankt Pauli! Da, der mit dem Sankt-Pauli-Kapuzenshirt! Er fliegt auch nach Stockholm!« Und richtig, der durchtrainierte Glatzkopf gab gerade einigen Kindern Autogramme.

Schlagartig war Fred so was wie nüchtern. »Stani!«, sagte er.

»Er fliegt auch! Guck mal! Dann kannst du das auch!«

Brigitte war sich bewusst, dass das mit Logik nicht so viel zu tun hatte. Aber immerhin brachte sie ihren angeheiterten Freund so dazu, das Flugzeug mit ihr zu besteigen.

»Ich bin mir nicht sicher, ob das gut ist, eigentlich müssten wir in zwei verschiedenen Flugzeugen sitzen, Stani und ich, schließlich fliegt die Queen auch nicht mit Prinz Charles, damit noch einer übrig ist, wenn man abstürzt ...«

»Du bist ja nun nicht die Queen.«

Der Flug war der Horror. Bei einer kleinen Turbulenz biss Fred so fest in Brigittes Arm, dass man den Abdruck heute noch sehen konnte. Er war die ganze Zeit kreidebleich und rief andauernd nach der Stewardess, um sich zu erkundigen, ob alles nach Plan liefe, sich ein Kopfkissen bringen zu lassen, ein Bier zu bestellen und sie zu fragen, ob sie für alle Fälle einen Arzt und eine Beruhigungsspritze dabeihatte.

Die knappen anderthalb Stunden waren relativ schnell vorbei, das Zelten war allerdings nicht wesentlich weniger aufregend für Fred. Jeden Morgen erwachte Brigitte von Freds Aufschrei: »Ich habe schon wieder in eine Nacktschnecke gefasst!« oder wahlweise »Ich bin schon wieder in eine Nacktschnecke getreten, verflucht!« Er beklagte sich über Ameisen in der Marmelade (weil er den Deckel nicht richtig draufgemacht hatte) und über zahlreiche Mückenstiche. Einmal hatten sie sich ein Ruderboot geliehen und paddelten über einen See, was einige Bremsen als schmackhafte Einladung verstanden. Eine war so hartnäckig, das Fred so wild mit dem Ruder nach ihr schlug, dass er sich nicht nur selbst damit an der Stirn traf, sondern bei der Gelegenheit auch gleich ins Wasser plumpste. Von dem Schlag hatte er tatsächlich eine leichte Gehirnerschütterung bekommen. Nein, ihr Fred war kein Outdoor-Typ. Und zurück waren sie mit dem Zug gefahren.

Es war auch immer sie, die Spinnen aus der Wohnung nach draußen beförderte. Und Brigitte brauchte dafür nicht einmal ein Glas und eine Pappe. Sie nahm sie in die Hand, selbst die haarigsten Tiere.

Was ihr als Paradies auf Erden erschien, war für Fred der absolute Horror. Regenwald, ein Dschungel voller exotischer Tiere und Gewächse in traumhaften Farben – wenn sie davon schwärmte, erzählte ihr Freund ihr nur von »das Herz-Kreislauf-System belastender feuchter Wärme und giftigen Schlangen und Insekten, deren Biss auch zum Tode führen« konnte.

Dann musste sie eben alleine fliegen. Schade. Aber bald würde sie sich diese Reise locker finanzieren können.

Brigitte hatte Sibylle schon immer bewundert. Bereits während des Psychologiestudiums hatte diese sich darauf spezialisiert, auseinanderdriftenden Paaren in ihrem Bekanntenkreis entweder den Gnadenstoß zu geben oder ihre Beziehung wiederzubeleben. Ob sie ihre Sache nun wirklich besonders gut machte oder aber einfach die Schwierigkeiten in Beziehungen so zunahmen, dass damit die Nachfrage an Paartherapeuten in der Gesellschaft immer weiter stieg, ganz egal, wer den Job machte – Brigitte konnte es nicht so recht einschätzen. Auf jeden Fall hätte sich Sibylle jedes Jahr mehrere Reisen überallhin leisten können. In ihrem eigenen Learjet, wenn nötig.

Sie war nicht neidisch auf Sibylle. Im Gegenteil, sie gönnte ihr ihren Erfolg von Herzen. Aber wenn es so viele Paare gab, die in Schwierigkeiten waren, warum sollte nicht auch sie, Brigitte, eine von denjenigen sein, die ihnen halfen?

3.

»Herzlichen Glückwunsch, meine Libelle! You did it!« Fred erhob sein Glas mit Brombeerwein, dem einzigen alkoholischen Getränk, das Brigitte im Haus hatte, und das auch nur, weil ihr einmal eine Klientin eine Flasche davon mitgebracht hatte.

Sie saßen in ihrer gemütlichen Wohnküche auf dem mit rotem Samt bezogenen Sofa und versuchten zu feiern.

»Irgendwie schmeckt der komisch. Müsste Brombeerwein nicht süß sein? Von wann ist denn das Gesöff?« Fred verzog angeekelt das Gesicht.

»Hmm, mal überlegen … Das war die Frau mit den Magenproblemen, bei der ich dann herausgefunden habe, dass sie mit ihrem neuen Chef nicht zurechtkommt und außerdem einen total unausgeglichenen Säure-Basen-Haushalt hatte … 2006! Elvira Meisner!«

Boah, was für ein Gedächtnis, freute sich Brigitte. Sie sah sie direkt vor sich, die Chefsekretärin mit dem flotten Kurzhaarschnitt und dem seltsamen Lidstrich. Sie hatte ihn tatsächlich am oberen Rand der Oberlidfalte platziert, vermutlich anstelle von Lidschatten. Vielleicht war das ja der Grund, weshalb ihr Chef sie nicht mochte. Blöd, dass Brigitte da erst jetzt draufkam, sieben Jahre zu spät. Na ja, immerhin erinnerte sie sich überhaupt. Wahrscheinlich war das gerade diesem seltsamen Make-up zu verdanken.

»Sieben Jahre?! Bist du verrückt?« Fred spuckte den Brombeerwein in die Spüle und schüttelte den Kopf. »Ich fahre kurz zum Supermarkt und hole eine Flasche Prosecco. Schließlich sollten wir uns nicht vergiften, selbst wenn dagegen bestimmt auch ein Kraut gewachsen ist. Bin gleich wieder da, Libelle!«

»Nenn mich nicht immer so. Ich mag das nicht.«

»Aber Brigitte magst du auch nicht! Und überhaupt: Namen sind Schall und Rauch. Aber ehrlich, deine Mutter ist schon komisch, dass sie dich nach ihrer Lieblingsfrauenzeitschrift genannt hat.«

»Ja. Finde ich auch«, seufzte Brigitte.

»Zum Glück hast du keinen Bruder. Der hieße jetzt wahrscheinlich nach der Lieblingszeitschrift von deinem Vater.«

»›Auto, Motor und Sport‹ ist kein zugelassener Jungenname in Deutschland, glaube ich.« Diesen Dialog hatte es schon gefühlte hundertmal zwischen ihnen gegeben. »Aber warum immer Libelle? Libellen sind mir unsympathisch. Hübsch anzuschauen, aber irgendwie unnahbar und gefährlich.«

»Aber, meine Libelle, du bist eben so schillernd, schön und geheimnisvoll, das ist es, was ich mit dir verbinde! Wir sind eben ›The Beauty and the Beast‹! Bis gleich!«

Ihr Freund drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und verschwand. Es war ja echt süß, dass er jetzt extra wegen des Schaumweines losradelte, weil es ihm wichtig war, mit ihr die bestandene Prüfung zu feiern. Er fand es toll, dass Brigitte diese Ausbildung gemacht hatte. So wie er fast alles, was sie tat, toll fand. Es war schön, bewundert zu werden, klar, aber Brigitte hätte Fred auch gern bewundert. Für irgendwas. Das aber fiel ihr immer schwerer. Wenn er aus dem Büro seiner Firma kam, die Düsen herstellte und wo er als Controller arbeitete, machte er sich eine Flasche Bier auf und den Fernseher an. Er musste ja nicht gleich die Welt retten, konnte aber doch wenigstens mal Zeitung lesen oder ab und zu mit ihr spazieren gehen. Oder ein Buch in die Hand nehmen. Brigittes Ansprüche waren ja weiß Gott gesunken. Oder hatte es mit ihr zu tun, dass er etwas langweilig geworden war?

Das war früher noch anders gewesen. Brigitte erinnerte sich an viele Konzerte, die sie zusammen besucht hatten, oft war es sogar er gewesen, der Brigitte überredet hatte, mit ihm ins Theater zu gehen oder etwas Neues aus dem Hamburger Kulturleben auszuprobieren. Sie waren auf unzähligen Lesungen, Konzerten und Kunstevents gewesen, und Brigitte musste kichern, als sie an eine Vernissage dachte, auf der sich Hildor Wollmann, ein vielversprechender neuer Stern am Kunsthimmel, splitterfasernackt mit Kunstblut übergossen und Freds neue weiße Turnschuhe bei der Gelegenheit gleich mit eingefärbt hatte. Fred war nicht verärgert gewesen, sondern hatte sofort versucht, die Schuhe meistbietend im Internet loszuwerden. Diese Idee war leider nicht von Erfolg gekrönt: Brigitte hatte mitsteigern müssen, weil das Höchstgebot bei zwei Euro geblieben war. Die Schuhe hingen nun an der Wand in Freds Flur. Ja, er war sehr vielseitig interessiert gewesen, ihr Freund, und das hatte sie immer toll gefunden. Warum nur war davon nichts mehr übrig?, fragte sie sich, während sie den schlechten Brombeerwein wegschüttete und die Gläser ausspülte.

Wann war der Punkt gekommen, an dem er sich für nichts mehr interessierte? Außer für Fußball vielleicht. Der Klassiker. Arbeit, Fernsehen, Bier und Fußball. Und ein bisschen schwimmen mit ihr.

Wo war der Mann, in den sie sich vor vierzehn Jahren verliebt hatte? Der Mann, der Italienisch lernte und jonglierte, Ukulele spielte und schon als Student ein Opern-Abo hatte? Wo war er? Sekt kaufen.

»Wir verändern uns alle«, sagte sie nachdenklich vor sich hin. Immerhin sah er noch sehr gut aus mit seinen dunklen, kinnlangen Locken und den lieben braunen Augen, um die sich im Laufe der Zeit attraktive Lachfältchen gebildet hatten. Er besaß dank des Schwimmens eine gute Figur und wirkte jünger, als er tatsächlich war. Das Jungenhafte unterstrichen seine Jeans, die hochgekrempelten Hemdsärmel und seine Turnschuhe. Ein wirklich hübscher, sportlicher Mann. Auch war es natürlich süß, dass es ihm wichtig war, mit ihr anzustoßen. Das wenigstens war geblieben. Und das war doch auch eine ganze Menge.

*

Sie hörte den Schlüssel im Schloss, und gleich darauf stand er mit einer Flasche neben ihr und küsste sie auf die Wange.

»So, Libellchen, einen schönen, trockenen Prosecco hab ich uns mitgebracht. Und eine Neuigkeit.« Er öffnete die Flasche und schenkte ein.

»Eine Neuigkeit?«

»Any news is good news. Ich werde versetzt. Nach Frankfurt.«

Da hatte sie wohl zu früh das Glas erhoben. »Nach Frankfurt?«, fragte sie, während sie den Arm wieder sinken ließ.

»Ja. Ich wechsle endlich in die Konzernzentrale! Eine neue Herausforderung! Man wächst an seinen Aufgaben! Und das heißt natürlich, ich verdiene auch mehr. Dann kann ich mir endlich ein neues Auto kaufen. Und einen riesigen Fernseher. Money makes the world go round!«

»Und meine Borneoreise? Meine Orang-Utans? Und die anderen Affen?«, fragte sie leise, denn wenn es um Geld ging, dachte sie immer zuerst an ihren Reisetraum. Schließlich war sie uneigennützig. Wenn es ihr gutging, hatte er ja auch etwas davon.

»Libellchen, das hatten wir doch schon oft genug! Ich setz mich nicht in ein Flugzeug. Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Das müsstest du dann alleine machen, und das fände ich auch blöd. Lass uns lieber mal richtig lange nach Sylt, wenn ich mehr verdiene. Vielleicht vier Wochen oder so, was hältst du davon?«

»Aber Frankfurt … Das sind vier Stunden mit der Bahn! Das ist total weit! Wie soll das gehen?«

»Wir haben dann eben erst einmal eine Fernbeziehung.« Er sprach das Wort richtig bedeutungsvoll aus, Brigitte meinte sogar, etwas wie Ehrfurcht in seiner Stimme zu hören. Wie um ihren Eindruck zu bestätigen, fügte er fast ein bisschen aufgeregt hinzu: »Ich hatte noch nie eine Fernbeziehung. Aber es gibt für alles ein erstes Mal!«

Brigitte war von seinen ständigen Floskeln genervt, sagte aber nichts dazu. Stattdessen fragte sie: »Was ist denn daran toll? Wenn man sich kaum sieht, alles bloß am Telefon besprechen kann und nur am Wochenende zusammen ist?«

Gut, viele ihrer Freundinnen hatten inzwischen auch Fernbeziehungen. Aber deren Männer wohnten wenigstens bei ihnen.

Sie ärgerte sich. Fred schien das schon beschlossen zu haben. Warum besprachen sie das denn eigentlich nicht vorher? Wieso machte ihr Freund das einfach so mit sich aus, ohne sie zu fragen? Schließlich waren sie ein Paar. Nicht verheiratet – davon hielten beide nichts –, aber ein Paar. Das zwar in getrennten Wohnungen lebte, aber schon viele Jahre zusammen war. Meist bei ihr. Was vielleicht mit daran lag, dass sie auch mal tagsüber Zeit zum Einkaufen hatte und sein Kühlschrank chronisch leer war. Nur bei Alkohol war es andersrum.

»Libellchen, lass uns das doch einfach mal ausprobieren. No risk, no fun. Wenn es uns irgendwann zu blöd wird, kommst du eben nach. Wir suchen uns dann gemeinsam eine schöne Wohnung in Frankfurt.«

»Also, erstens möchte ich nicht nach Frankfurt und zweitens ist es bestimmt nicht leicht, dort was zu finden. Für einen nicht und für zwei erst recht nicht. Und überhaupt geht mir das alles ein bisschen schnell. Wie stellst du dir das vor? Wieso reden wir erst jetzt darüber, wo das für dich schon beschlossene Sache zu sein scheint? Ab wann willst du da denn arbeiten?«

»Na ja, ab Herbst. Also, im September kann ich anfangen.«

»September? Aber das ist doch schon in zwei Monaten! Ich muss mich setzen.« Komisch, dass sie nicht früher darauf gekommen war – sie hatte wirklich die ganze Zeit gestanden. In jedem Film ließen sich die Darsteller fassungslos auf ein Sitzmöbel gleiten, wenn ihnen der Partner etwas so Wichtiges eröffnete.

»Weißt du, wir sehen uns doch sowieso meist nur am Wochenende richtig. Und jetzt, wo du diese Zusatzausbildung gemacht hast, meintest du, du würdest sogar öfter auch am Wochenende arbeiten müssen …«

»Was ist denn das für eine Argumentation? Das hieße ja, dass wir uns dann gar nicht mehr sehen, oder wie?« Brigitte hatte noch keinen Schluck getrunken. Das holte sie jetzt nach und leerte ihr Glas in einem Zug.

»Faszinierend. Hast du deinen Schluckreflex ausgeschaltet? Deep Throat? Lernt man das in der Ausbildung?« Fred schien sie nicht ernst zu nehmen. Er schenkte ihr noch mal ein.

Sie überlegte. Hatte es nicht auch etwas Gutes? Vielleicht war das sogar ganz wohltuend für ihre Beziehung, wenn sie etwas Abstand voneinander bekamen. Räumlichen Abstand, der sie wieder neugierig aufeinander machen würde. Dafür brauchte sie keine Paartherapie-Ausbildung, das hatte Brigitte schon vor Jahren in ihren Frauenzeitschriften gelesen. Und: »Liebe braucht Nähe, Sex braucht Distanz« – vielleicht würden Fred und sie dann auch wieder öfter Sex haben. Richtigen, genussvollen Sex, nicht nur einmal die Woche Triebabfuhr zwischen »Sportschau« und Abendbrot. Was sie aber beunruhigte, war:

Machte ihm das denn gar nichts aus, wenn sie sich kaum noch sehen würden?

Das fragte sie ihren Freund dann auch und bemerkte, dass ihre Stimme etwas brüchig klang.

»Libellchen, ach, liebstes Libellchen, natürlich macht mir das was aus! Aber es bedeutet für mich nicht nur mehr Geld, sondern ist auch eine Chance, mal wieder etwas Neues auszuprobieren, und uns tut das vielleicht auch ganz gut … Wir sind ja schon wie ein altes Ehepaar, und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …«

»Und wer geht dann mit mir einmal die Woche schwimmen?«

Immerhin hatten sie ihren wöchentlichen Schwimmbadbesuch als festen gemeinsamen Termin. Einen Kilometer rissen sie zusammen ab, jeden Mittwoch, noch bevor er ins Büro ging, außer, es kam etwas Schwerwiegendes dazwischen.

In Zukunft würde sie also auch mittwochmorgens Klienten annehmen können. Das war gar nicht so schlecht. Nein, sie würde den gemeinsamen Sport nicht vermissen, redete sie sich ein. Vermutlich würde es sogar ganz schön sein, etwas mehr Zeit für sich zu haben. Wenn das mit der Paartherapie erst mal richtig gut liefe.

»Eigentlich kommt mir das ganz gelegen«, sagte sie denn auch etwas trotzig. »Ich werde froh sein, wenn ich mir das mit dem Schwimmen selbst einteilen kann. Wenn ich bei der ganzen Arbeit überhaupt noch dazu komme …«

»Woher nimmst du eigentlich deine Klienten?« Fred leerte sein Glas. »Ich meine, die kennen dich doch nur als Naturheilpraktikerin und nicht als Paartherapeutin.«

Brigitte seufzte. »Sag mal, hörst du mir denn nie zu? Natürlich habe ich das meinen Klienten erzählt. Und Annoncen geschaltet. Und Sibylle will mir Leute schicken, für die sie keine Kapazitäten mehr frei hat. Das erste Paar hat sie schon vermittelt. Und eines hat sogar von sich aus angerufen!« Sie strahlte ihn triumphierend an.

»Boah, das geht ja schon gut los. Ab durch die Mitte, sag ich da nur!«

»Ja, sie kommen über Herrn Semmering. Weißt du, mein Gräser-Allergiker. Er ist ein Nachbar von dem Mann.«

Fred nickte abwesend, während er die Sportseite der Zeitung aufschlug. »Ha! Kaufen die den Reimers jetzt doch! Unverschämt, wie reich die Bayern sind. Na ja, the winner takes it all …«

Für ihren Freund schien das Thema schon erledigt zu sein, und als sie begann, weiter über seinen Umzug nachzudenken, merkte sie immer deutlicher, dass ihr der Gedanke, bald Strohwitwe zu sein, nicht nur Kummer bereitete.

4.

Brigitte setzte sich aufrecht hin. »Sie kennen sich also wie lange genau?«, fragte sie ihre beiden Gäste, die in den schweren Ledersesseln Platz genommen hatten. Bisher hatten sie in Freds Wohnung gestanden, da er sie aber nach Frankfurt nicht mitnehmen wollte, hatte er sie ihr geschenkt. Brigitte fand, in eine psychotherapeutische Praxis gehörten mindestens zwei Ledersessel. Sie hatte drei. Schließlich machte man Paartherapie zu dritt. Ihren hatte sie so gestellt, dass sie sowohl aus dem Fenster gucken als auch den kleinen Zimmerspringbrunnen betrachten konnte. Sicher war ein Zimmerspringbrunnen kitschig, aber er sorgte – vor allem wenn die Heizung an war – für ein wunderbares Raumklima. Außerdem empfand Brigitte das leise Plätschern als herrlich beruhigend. Für die Klienten – sie selbst fühlte sich sowieso sehr wohl in dem hellen Raum mit den Holzdielen, den gelben Vorhängen und dem Kiefernschrank.

Eigentlich sahen Andreas Berner-Hängeloh und Jennifer Serpensteiner ganz vernünftig aus. Ein schönes Paar: Andreas war groß und schlank, größer als Fred, und hatte, genau wie ihr Freund, dunkle, vielleicht sogar noch dunklere, kurze lockige Haare und einen lässigen Dreitagebart, der seine grünen Augen strahlen ließ. Er trug eine Cordhose und ein kariertes Hemd, in dem sich seine Augenfarbe wiederholte. Von Andreas’ zweitem Anruf wusste Brigitte, dass er als Gymnasiallehrer und sie – fast so groß wie er, dunkler Pagenkopf, schlank, eine aparte Frau in ausgewaschenen Jeans und Turnschuhen – als Galeristin arbeitete. Die beiden trieben sicherlich regelmäßig Sport (sie Yoga, er auch) und wirkten schon erstaunlich vertraut und liebevoll im Umgang miteinander.

»Seit letzten Freitag. Das wissen Sie doch schon. Wir haben uns auf diesem Aufmerksamkeitsseminar kennengelernt.« Seine Stimme zitterte kaum merklich. Kein Wunder, dass er aufgeregt war, war er doch der Hauptinitiator dieser ungewöhnlichen Aktion gewesen. Umso erstaunlicher, dass Jennifer sich darauf eingelassen hatte.

Die brünette, hochgewachsene Mittvierzigerin berührte sanft seine Hand, als sie ihn verbesserte: »Achtsamkeitsseminar, Andreas.«

»O ja, entschuldige.« Es fiel auf, wie fest und sicher ihre Stimme klang im Gegensatz zu seiner. Brigitte machte sich eine Notiz. Eine knappe Woche, das war nicht lang.

»Wir haben einfach schon so viele Enttäuschungen erlebt und wollen diesmal ganz sicher sein, dass wir alles richtig machen.«

Nun rutschte Brigitte in ihrem Sessel etwas weiter nach vorne und sah Jennifer direkt in die Augen: »Das ist natürlich lobenswert, aber was genau erwarten Sie in dem Moment von mir als Paartherapeutin? Wie kann ich Ihnen dabei helfen?«

Sie hielt die Idee nämlich immer noch für eine, die nur unter dem Einfluss von viel Alkohol oder anderen bewusstseinsverschleiernden Drogen zustande gekommen sein konnte. Das war ja ein bisschen so, als würde man ein neues Auto nur mit aufgeblasenen Airbags fahren, aus Angst, dass sie sich bei einem Unfall nicht öffnen könnten. Das war, gelinde gesagt, bescheuert. Aber hey, das waren Klienten, und sie bedeuteten Geld!