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Anne, eine Schriftstellerin am Rande der Erschöpfung, stößt in einem Antiquariat auf das Werk der surrealistischen Künstlerin Unica Zürn. Was als Faszination für eine verstorbene Autorin beginnt, wird zu einer albtraumhaften Konfrontation mit einer Stimme aus dem Jenseits, die Anne auf eine unberechenbare Reise durch ihre eigene Psyche zwingt. Zwischen Halluzinationen, surrealen Landschaften Islands und dem Dröhnen alter Wunden findet sich Anne in einem Strudel aus Wahnsinn, Kreativität und Selbstfindung wieder. Kann sie den Stimmen ihrer Dämonen entkommen – oder ist ihre einzige Rettung, ihnen Gehör zu schenken?
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Seitenzahl: 114
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Table of Contents
Pola Polansi, Ich bin Unica Zürn
Impressum
Prolog
Im Krankenhaus
Daheim
Island
Der Abszess
Der Schneesturm
Das Paar
Zurück
Epilog
Die Autorin am Grab von Unica Zürn
Pola Polanski
Ich bin Unica Zürn
Eine Katharsis auf Island
Originalausgabe
Januar 2025
Kulturmaschinen Verlag
Ein Imprint der Kulturmaschinen Verlag UG (haftungsbeschränkt)
Kolpingstr. 10, 97199 Ochsenfurt
Die Kulturmaschinen Verlag UG (haftungsbeschränkt) gehört allein dem Kulturmaschinen Autoren-Verlag e. V.
Der Kulturmaschinen Autoren-Verlag e. V. gehört den AutorInnen.
Und dieses Buch gehört der Phantasie, dem Wissen und der Literatur.
Der Kulturmaschinen Verlag verbietet die Nutzung aller Teile des Buches zu KI-Trainingszwecken.
Umschlaggestaltung: Pola Polanski
Druck: Libri Plureos GmbH
978-3-96763-343-6(kart.)
978-3-96763-344-3(geb.)
978-3-96763-345-0(.epub)
Prolog
Ich stand in meinem heiß geliebten antiquarischen Buchladen und ließ meinen Blick über die Buchumschläge gleiten. Jedes Mal, wenn ich hier war, hatte ich eine Intuition, das richtige Buch zu finden. In den Büchern wanderten Seelen. Ich strich über einige Einbände mit geschlossenen Augen. Plötzlich zuckte mein kleiner Finger. Ich öffnete die Augen und sah auf ein Porträt in schwarz-weiß. Erschrocken trat ich einen Schritt zurück. Ich kannte die Frau, die auf dem Einband abgebildet war. Aber woher? Ich wühlte in meinen Erinnerungen, es stellte sich jedoch kein verwertbares Wiedererkennen ein. Ich las den Titel unter dem eindringlichen Porträt: Der Mann im Jasmin – Dunkler Frühling. Ein Schauer rann mir über den Rücken. Der Name der Autorin war Unica Zürn. Ich sah auf den Buchrücken, überflog ihn und Stichworte wie Surrealismus, Schizophrenie und Selbstmord brannten wie Flammen in meinem Hirn. Ich nahm den schmalen Band und wandelte wie ein Geist zur Kasse, um das Buch zu bezahlen. Der Antiquar fragte mich, ob es mir nicht gut gehe. Ich hatte Schmerzen wie Wehen und konnte nicht antworten. Das mache drei Euro. Drei Euro für solch eine Seele? Das schien mir ein derart lächerlicher Preis, dass ich fast in schallendes Gelächter ausgebrochen wäre. Drei Euro für einen Selbstmord? Ich legte einen Fünf-Euroschein neben die Kasse, packte mein Buch, meine Unica und wandelte wie im Nebel nach draußen. Dort brach ich zusammen und sank auf den Asphalt. Ich hatte tatsächlich Wehen. Ich würde ein neues Romanprojekt beginnen.
Im Krankenhaus
Ich erwachte mit einem Dröhnen im Kopf. Um mich war alles weiß. Ein weißes Bett, weiße Wände. Beim Blick aus dem Fenster sah ich nur Nebel. Dazu dieses Hämmern im Hirn. Wo war ich? Meine rechte Hand war in einem weißen Verband verborgen. Ich sah auf den Beistelltisch. Dort lag ein Buch. Jetzt erinnerte ich mich wieder. Nachdem ich das Buch gekauft hatte, war ich gestürzt. Das feine Gesicht auf dem Buchcover trug Blutspuren. Ich konnte nur noch die spitze Nase sehen. Die Augen waren in zwei Blutlachen verwandelt. Was war passiert? An Lesen war nicht zu denken mit diesem Brummschädel. Plötzlich gesellte sich zu dem Krach in meinem Kopf eine weibliche, murmelnde Stimme. Es klang so, als ob der Wind ein Wispern in mein Hirnlabyrinth wehte. Verstehen konnte ich die Stimme nicht. Sie war zu weit weg. Wurde ich wieder verrückt? Aber dies hier fühlte sich ganz anders an als die Stimmen in einer Psychose. Vielleicht war es eine Stimme aus dem Jenseits? Wurde ich zu einem Medium? Jetzt wurde die Stimme deutlicher.
»Ich bin Unica. Hallo? Wer ist da?«
Die Tür ging auf, das Wispern erstarb. Ein Gott in Weiß kam herein. Als er zu meinem Bett trat, sagte er:
»Während Sie bewusstlos waren, haben wir einen Test gemacht. Sie haben eine Gehirnerschütterung. Außerdem haben Sie sich bei dem Sturz das Handgelenk gebrochen. Sie brauchen hier mindestens eine Woche Ruhe.«
Ich nickte und sprach leise wie zu mir selbst:
»Das kann sein.« Von der wispernden Stimme erzählte ich nichts. Eine Woche hier im Krankenhaus. Ich dachte an all die Aufträge, die daheim lagen, und daran, dass mir als Selbstständige niemand solch einen Ausfall finanzierte. Schnell raus aus diesem Krankenhaus, dachte ich. Der Gott in Weiß verabschiedete sich mit einem Nicken und ich war wieder allein mit dem blutverschmierten Buch auf dem Beistelltisch. Sollte ich darin lesen? Was würde es mir sagen? Warum hatte sich Unica Zürn vor dem Eintritt des Gottes in Weiß in mir gemeldet und warum war die Stimme in mir erstorben, als der Arzt eingetreten war? Das war mir schleierhaft. Meine Hand fuhr an meine Stirn. Sie war schweißnass. Das Getöse im Kopf kehrte wieder zurück. Ok, das war ja nur die Gehirnerschütterung. Konnte so ein Vorfall auch andere Dinge auslösen, Dinge, auf die wir keinen geistigen Zugriff haben? So eine Art Amnesie? Eine Amnesie, die die Gedanken veränderte? Ich griff nach dem Buch. ›Der Mann im Jasmin‹ stand da. Jasmin stand für weiß. Ich dachte an die weißen Haare meines Partners, den ich nur selten sah, da er ständig für Forschungsaufträge in die Welt reiste. Im Moment wäre es einfach unsinnig, ihn wegen dieser Lappalie ›Gehirnerschütterung‹ zu informieren. Er war in Papua Neuguinea am Fluss Sepik auf der Suche nach Schamanen unterwegs. Wahrscheinlich war sein Handy ausgeschaltet. Und dann noch die Zeitverschiebung! Er war schlichtweg abwesend wie ein weißer Gott. Jetzt schlug ich das Buch doch auf und mein Blick blieb bei ›Gott in Weiß‹ und ›schizophren‹ hängen. Wie konnte das sein? Mein Kopf begann zu hallen und das Wispern setzte wieder ein.
»Anne, wir haben den gleichen Gott und der ist der Mann im Jasmin«.
Ich klappte das Buch wieder zu. Diese Frau, was wollte sie von mir? Woher wusste sie meinen Namen? Ich legte mich hin und versuchte zu schlafen. Doch der Geist hämmerte immer weiter und weiter in meinem Hirn. Da an Schlafen nicht zu denken war, nahm ich mein Handy und gab ›Unica Zürn‹ ein. Sie war wie ich Künstlerin und Schriftstellerin gewesen. Deswegen? Ich hatte keine Ahnung. Schließlich passierte mir es hier das erste Mal, dass sich jemand aus dem Reich der Toten meldete. Wie sollte ich damit umgehen? Ich war eine selbstbestimmte Frau, die im Jahr 2023 ihr eigenes Geld verdiente, einen Partner mit dem Namen Konstantin hatte, der immer wieder weg war und ja, ich hatte vor 30 Jahren eine Psychose gehabt. Aber die war ja fast vergessen. Warum suchte mich jetzt eine schizophrene Künstlerin, die im Jahr 1970 in Paris gestorben war, als so eine Art Parasit, der einen Wirt sucht, auf? Ich bekam eine Panikattacke, als ich das dachte. Mir wurde kotzübel und der Radau im Kopf wurde immer stärker. Ok, ok, wiederholte ich wieder für mich … das ist diese Gehirnerschütterung. Aber gleichzeitig war es auch so, als ob mir ein Blutegel die Energie aus dem Hirn wegsaugen würde. Vielleicht hatten mir die Götter in Weiß auch etwas gegeben. In der Nacht erwachte ich noch einmal und sprach mit Gott, mit meinem eigenen inneren Gott. Er sagte mir, ich solle die Stimme ignorieren. Das sei nichts für mich, zumal ich selbst schon eine Psychose gehabt hätte. Solche Seelen solle ich ignorieren. Ich fragte ihn, was wäre, wenn sie mich immer wieder heimsuchen würde. Er antwortete, ich solle nicht darauf eingehen und die Medikamente erhöhen. Ich fragte, ob sie gefährlich sei. Er meinte, sie würde versuchen, die Seelen mehrerer lebenden Menschen zu besetzen, da sie nicht richtig sterben könne wegen ihres Selbstmordes. Sie befände sich in einem Zwischenreich. Wenn ich mir das aufladen wolle, so könne ich das natürlich tun, aber es würde richtig Arbeit bedeuten, damit diese Seele endlich ihren Frieden finden könne. Darüber schlief ich wieder ein.
Ich erwachte, als die Krankenschwester das Frühstück auf das Buchcover von Unica stellte. Ich wollte empört sagen, dass sie ein Heiligtum zerstöre. Aber sie war schon wieder weg, hinausgeschwebt. Waren hier nur Geister? Ich öffnete die Plastikhaube. Es gab Gummibrot mit etwas Undefinierbarem belegt. Vielleicht künstlich erzeugte Putenbrust, dazu ein in Alufolie verpacktes Stück Butter und zwei Scheiben Käse, die so aussahen, als ob sie schon einmal herausgekotzt worden waren. Ich stülpte die Plastikhaube zurück auf dieses seltsame Frühstück. Dabei dachte ich, ich will jetzt daheim sein und mein von mir selbst gekochtes Gericht genießen: Gemüse mit Basilikum- und Tomaten-Tofu, Kokosmilch, Curry, Basilikum, Pepperoni, Zucchini, Auberginen und Tomaten. Ich musste hier so schnell wie möglich weg. Aber als ich versuchte aufzustehen, hielt mich der Dröhn-Kopf davon ab. Diesen Kopf absägen, das Hirn in die Plastikschale des Frühstücksensembles legen und beobachten, was als nächstes passiert. Als ich das dachte, fing wieder Unica in mir herumzunölen.
»Sag mal, Anne, du bist doch auch Künstlerin und Schriftstellerin. Wir sind doch quasi eine Seele. Könnten wir nicht zusammen arbeiten?«
Was stellte sich diese Stimme vor? Ich war null vorbereitet auf einen Kontakt aus dem Jenseits. Sie hätte doch zuerst mal eine Mail schreiben können, bevor sie begann, mein Hirn zu fluten. Schließlich schrieben alle meine neuen Kunden zuerst mal eine Mail, bevor sie mit mir telefonierten. Das, was sie hier machte, entsprach einfach nicht den geschäftlichen Gepflogenheiten. Sie, sie fiel in mich ein, in mein Hirn, in meinen Kopf. Sie war unerwünscht. Eine Zecke, die ich im Moment nicht abschütteln konnte. Dunkel erinnerte ich mich daran, was mein innerer Gott mir heute Nacht gesagt hatte. Aber dem traute ich auch nicht. Ich traute niemandem mehr, nicht einmal mehr meinen eigenen Eingebungen.
Das Handgelenk schmerzte jetzt. Anscheinend ließ die Wirkung der Medikamente nach. Gegen Mittag wurde das Gehirnerschütterungsdröhnen besser, das Raunen, Wispern und Rumoren von Unica blieb. Sie war so laut wie ein Igel im Garten. Mit Streaming-Musik auf den Ohren versuchte ich, ihre dreiste Stimme zu übertönen. Dies war eine einigermaßen wirksame Methode, sie wegzudrücken. Was war ich froh, dass ich ein Einzelzimmer hatte. Was wäre geschehen, wenn ich mich lauthals mit Unica unterhalten hätte? Dann hätte meine Zimmernachbarin Selbstgespräche vermutet und mich für verrückt erklärt. Was hatte mir mein innerer Gott gesagt? Fernhalten solle ich mich von Unica, aber irgendetwas zog mich magisch an. Auf der ersten Seite im ersten Absatz des blutverschmierten Buchs, beschrieb sie eine Begegnung, die auch in Alice in Wonderland vorkommen könnte. Vielleicht hatte Unica diese Story gelesen? Danach folgte das traumatische Erlebnis mit ihrer Mutter. Unica gab hier ihrer Kinderstimme eine Menge Raum. Die Mutter erstickte fast das kleine Kind, das vor einem Alptraum zu ihr ins Bett geflohen war. Sie schrieb von einem Fleischberg. Ich sah eine Parallele zu meiner Mutter-Beziehung, die ich ausufernd versucht hatte zu klären. Meine Mutter war ja auch so eine Art Fleischberg. Hatte Unica jemals ihre Mutterbeziehung reflektiert? So weit war ich noch nicht. Jedenfalls nahm ich an, dass Unica vor ihrer Mutter floh, indem sie sich dem Mann im Jasmin, dieser Vater-Gott-Beziehung an den Hals warf.
Die Krankenschwester kam in den Raum und stellte das Mittagessen auf den Beistelltisch. Der Geruch von Desinfektionsmitteln mischte sich mit Fleischdämpfen. Ich war Vegetarierin, nur hin und wieder gab es Fisch. Konnten sie das nicht berücksichtigen? Ich hob die Plastik-Haube. Tatsächlich, da schwammen undefinierbare Fleischstücke in einer eklig braunen Soße. Am Rand drei Karotten und etwas Reis. Ich aß nur die Karotten und den Reis.
Als ob mich dieses Essen die größte Anstrengung gekostet hätte, döste ich mit dem Wispern von Unica im Hinterstübchen und dem Gedanken, dass ich eigentlich auf der Stelle zurück nach Hause, zurück an die Arbeit musste, langsam wieder weg. Dabei war ich im Moment viel zu schwach. Ob ich jemals wieder arbeiten konnte? Ich, die ich so eine Art Workaholic war? Ich rief jeden Tag mein Online-Banking auf, um zu schauen, wie viel Kröten sich angesammelt hatten und ich war jedesmal stolz, wenn sich die Geldsumme vermehrt hatte. Ich war ein echtes Kapitalismuskind. Ich liebte es, Geld zu machen, Geld zu verdienen. Ich schwebte jetzt auf meiner Medikamentenwolke und war weg.
Mein Partner Konstantin fährt mich zu einer Art Party in einem großen Haus. Ich bin irgendwann mit einer Frau, die ich nicht persönlich kenne – sie ist nur eine Facebook-Freundin – alleine in einem großen Raum, der Fenster nach allen Seiten hat. Es ist nur Landschaft zu sehen, keine weiteren Häuser. Wir reden und dann schenkt sie mir ein Bild, auf dem viel Text steht. Ich versuche, den Text ihr zu Gefallen zu lesen, aber ich kann mich nicht konzentrieren, da jetzt immer mehr Leute in den Raum kommen. Irgendwann sagt jemand, mein Konstantin sei ohne mich, ohne mir Bescheid zu geben, weggefahren. Das hat er neulich schonmal gemacht. Ich bin sauer. Irgendwie komme ich dann an dem Eingang eines großen Hauses an. Der Eingang ist groß und hoch wie bei einer Autowerkstatt. Ich sage zu meinem Vater, er solle mir seinen Autoschlüssel geben. In seinem Alter solle er nicht mehr Auto fahren. Wir setzen uns aufs Fahrrad. Ich trete und mein Vater sitzt hinten auf dem Gepäcksitz. Wir fahren ewig durch die Gegend und verfahren uns ständig. Irgendwann wird es hinten still. Mein Vater ist eingeschlafen. Ich habe Angst, er könnte vom Gepäcksitz fallen. Als ich durch ein Schlagloch fahre, erwacht er wieder. Ich fahre weiter und finde den Weg nicht. Ich frage meinen Vater, ob man das Handy als Navi benützen könne. Er verneint. Mir fällt auf, dass ich gar nicht weiß, was eigentlich unser Ziel ist …
Ich schrecke auf, da es in meinem Kopf so laut wie auf einer Baustelle war. Es klang so, als ob alle Irren in ihren Anstalten sich mit ihrem Lärm an mir rächen wollten. Schließlich drang Unicas Stimme durch:
»Ich habe gerade über deinen Schlaf gewacht.«
»Und dann beim Aufwachen dieser Lärm?«
»Bin ich denn eigentlich da, Anne, siehst du mich?«
»Warum antwortest du mir mit einer Gegenfrage?«
»Ich will sterben, hilfst du mir beim Sterben?«
»Warum soll ich da helfen können? Außerdem bist du ja schon tot.«
»Unsere Lebensgeschichten überschneiden sich und ich glaube, nur du kannst das für mich leisten. Bitte Anne, es ist dringend.«
»Ich muss arbeiten, daran hängt meine Existenz. Ich kann nicht irgendwelchen Gespenstern aus der Patsche helfen.«
Jetzt herrschte Funkstille.