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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Die Sonne war gerade aufgegangen, als sich in der alten Jenneralmhütte Leben regte. Georg Unger öffnete die Tür und trat nach draußen. Ein kalter Wind begrüßte ihn, als er mit nacktem Oberkörper, ein Handtuch über die Schultern, zu dem ausgehöhlten Baumstamm ging, der als Brunnen diente. Über eine uralte Rohrleitung floss das Wasser eines Gebirgsflusses hinein, das oberhalb der Bergwiesen gestaut und teilweise umgeleitet wurde. Georg schrie auf, als er sich das eiskalte Wasser über den Kopf schüttete, und trocknete sich nach dem Waschen lachend mit dem Handtuch ab. Neben der Hütte stand ein Stall, alt und windschief wie das Hauptgebäude, drinnen rumorte es. »Komm' ja schon«, rief der junge Mann. Er schnappte sich einen Eimer und ging in den Stall. Dort standen zwei Kühe, die darauf warteten, gemolken zu werden. Georg Unger stellte den Melkschemel zurecht und setzte sich darauf. Dann schob er mit dem Fuß den Eimer unter das Euter der ersten Kuh und begann zu melken. An sich wäre daran nichts Besonderes gewesen. Auf den Almhütten rings um das Wachnertal gab es eine ganze Anzahl von Sennern, die dort lebten, die Kühe weiden ließen und aus der Milch Butter und Käse herstellten. Und doch war es in diesem Fall etwas anderes, denn Georg Unger hatte bis vor ein paar Wochen noch gar keine Ahnung vom Leben in den Bergen gehabt. Ganz zu schweigen von der Arbeit eines Senners. Und die Leute, die ihn kannten, wären glatt in Ohnmacht gefallen, hätten sie ihn jetzt sehen können. Nachdem die morgendlichen Pflichten verrichtet waren, konnte der junge Mann daran gehen, sich selbst zu versorgen. Die Kühe standen auf der Bergwiese und labten sich an dem fetten Gras, den würzigen Blumen und wilden Kräutern, die ihrer Milch einen besonderen, ganz einzigartigen Geschmack gaben. Georg saß mit einem Becher dampfenden Kaffees und einem Butterbrot, dick mit Kräuterquark bestrichen, an dem alten Holztisch, der vor der Hütte stand und ließ es sich schmecken.
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Seitenzahl: 119
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Die Sonne war gerade aufgegangen, als sich in der alten Jenneralmhütte Leben regte. Georg Unger öffnete die Tür und trat nach draußen. Ein kalter Wind begrüßte ihn, als er mit nacktem Oberkörper, ein Handtuch über die Schultern, zu dem ausgehöhlten Baumstamm ging, der als Brunnen diente. Über eine uralte Rohrleitung floss das Wasser eines Gebirgsflusses hinein, das oberhalb der Bergwiesen gestaut und teilweise umgeleitet wurde.
Georg schrie auf, als er sich das eiskalte Wasser über den Kopf schüttete, und trocknete sich nach dem Waschen lachend mit dem Handtuch ab.
Neben der Hütte stand ein Stall, alt und windschief wie das Hauptgebäude, drinnen rumorte es.
»Komm’ ja schon«, rief der junge Mann.
Er schnappte sich einen Eimer und ging in den Stall. Dort standen zwei Kühe, die darauf warteten, gemolken zu werden. Georg Unger stellte den Melkschemel zurecht und setzte sich darauf. Dann schob er mit dem Fuß den Eimer unter das Euter der ersten Kuh und begann zu melken.
An sich wäre daran nichts Besonderes gewesen. Auf den Almhütten rings um das Wachnertal gab es eine ganze Anzahl von Sennern, die dort lebten, die Kühe weiden ließen und aus der Milch Butter und Käse herstellten.
Und doch war es in diesem Fall etwas anderes, denn Georg Unger hatte bis vor ein paar Wochen noch gar keine Ahnung vom Leben in den Bergen gehabt. Ganz zu schweigen von der Arbeit eines Senners. Und die Leute, die ihn kannten, wären glatt in Ohnmacht gefallen, hätten sie ihn jetzt sehen können.
Nachdem die morgendlichen Pflichten verrichtet waren, konnte der junge Mann daran gehen, sich selbst zu versorgen. Die Kühe standen auf der Bergwiese und labten sich an dem fetten Gras, den würzigen Blumen und wilden Kräutern, die ihrer Milch einen besonderen, ganz einzigartigen Geschmack gaben. Georg saß mit einem Becher dampfenden Kaffees und einem Butterbrot, dick mit Kräuterquark bestrichen, an dem alten Holztisch, der vor der Hütte stand und ließ es sich schmecken. Inzwischen brannte die Sonne schon ganz schön heiß vom wolkenlosen Himmel, und er überlegte, ob er später vielleicht nach ein paar Schwammerln suchen sollte. In der letzten Nacht hatte es ein wenig geregnet, und nun war es schon wieder warm, beste Voraussetzungen also für eine erfolgreiche ›Schwammerljagd‹.
Doch zuvor musste die Arbeit im Haus erledigt werden. Die Milch von heute früh und gestern Abend wurde zusammen in den alten Kupferkessel gegossen, der hinten in der ehemaligen Käserei stand.
Es war eine Heidenarbeit gewesen, ihn zu reinigen!
Doch inzwischen erstrahlte er im neuen Glanz, und Georg hatte schon mehrmals ein kleines Feuer darunter angezündet. War es bisher allerdings nur Quark gewesen, den herzustellen er sich getraut hatte, so wollte er sich heute erstmal daran machen, einen richtigen Bergkäse herzustellen. Die Anleitung dazu hatte Georg in einem Regal der Käserei gefunden – die handgeschriebene Kladde eines früheren Bewohners der Almhütte, Sepp Bohrschneider mit Namen. Vor mehr als fünfzig Jahren hatte er diese Zeilen hinterlassen, und Georg Unger war froh, solch einen Schatz gefunden zu haben.
›Die Milch langsam erwärmen!‹, war eine der Anweisungen, die er befolgen musste.
Während das Feuer unter dem Kessel nur leise glühte, rührte der junge Mann Lab in die Milch, das Ferment aus den Mägen von Kälbern, das letztendlich dafür sorgte, dass die Milch dick wurde.
Anschließend ging Georg in die Küche. Früher war die Jenneralmhütte ein richtiges Ausflugsziel für Bergwanderer gewesen, die hier oben nicht nur bewirtet wurden, sondern auch übernachten konnten. In einer der Kammern hatte Georg sich selbst häuslich eingerichtet, die anderen standen bis auf die Betten leer. Die ehemalige Wirtsstube diente ihm als Wohnzimmer, und in der Küche hielt er sich tagsüber auf, sofern er nicht draußen unterwegs war und Kräuter oder Schwammerln suchte oder einfach nur die Gegend erkundete.
Georg überprüfte den Sauerteig, den er vor drei Tagen angesetzt hatte. Er hatte die richtige Konsistenz, warf Blasen und roch angenehm säuerlich. Der junge Mann nahm einen Teil davon ab und stellte ihn in die Vorratskammer, den anderen Teil gab er zusammen mit Mehl, Salz und Wasser in eine Schüssel und begann zu kneten.
Ächzend und stöhnend wurde der Teig bearbeitet, bis er sich glatt vom Schüsselboden löste. Dann warf Georg ihn auf die bemehlte Tischplatte und walkte ihn weiter durch. Das Ganze dauerte an die zehn Minuten, dann zerteilte der ›Bäcker‹ den Teig und formte mehrere Laibe, die er in bereitgestellte Körbe legte, die wiederum mit einem Tuch abgedeckt wurden. Während die Brote nun Zeit zum Aufgehen hatten, feuerte Georg den Herd an.
Die ersten Versuche waren kläglich misslungen!
Einmal war der Backofen nicht heiß genug gewesen, und das Ergebnis nichts weiter als ein klitschiger Teigklumpen, das andere Mal war die Temperatur viel zu hoch, und das Brot verbrannte.
Doch aus Schaden wird man klug, und Georg Unger hatte dazugelernt. Inzwischen wusste er genau, wann die richtige Temperatur erreicht war, und er vergaß auch nicht, eine feuerfeste, mit Wasser gefüllte Schüssel auf den Boden des Backofens zu stellen, damit die Dampfbildung das Backen günstig beeinflussen konnte.
Geschickt hatte er die Körbe auf dem Backblech umgestülpt, jetzt strich er die Laibe mit Wasser ein und schob das Blech ins Rohr. Eine Stunde würde es dauern, bis die Brote fertig waren. Zeit, mal wieder nach der Milch zu schauen.
Da klopfte es an der Hüttentür.
*
Sebastian Trenker war am Morgen zur Jenneralm hinaufgestiegen, um in der Hütte, die Maria Devei gehörte, nach dem Rechten zu sehen. Hin und wieder tat der gute Hirte von St Johann dies, doch bisher hatte er immer alles in bester Ordnung vorgefunden, so auch heute.
Maria lebte mit ihrem Mann, Richard Anzinger, einem Kaufmann, in München. Das heißt, die meiste Zeit war die international bekannte und erfolgreiche Sängerin in der ganzen Welt unterwegs und gab Konzerte oder nahm eine neue CD auf. Doch immer wenn es ihre Zeit erlaubte, kamen Maria und Richard hierher, um in der Hütte, in der die Sängerin geboren und aufgewachsen war, ein ruhiges Wochenende zu verbringen und vom Stress des Alltags auszuspannen.
Gleich nach dem Tode des Vaters, ihre Mutter war schon Jahre zuvor verstorben, hatte Maria die Heimat verlassen. Sie wollte der Enge des Tales entfliehen, hinaus in die weite Welt und reich und berühmt werden.
Ein Vorsatz, der ihr auch gelang, doch zu welchem Preis!
Eines Tages kehrte sie zurück, genau wissend, dass ihr nur noch wenig Zeit blieb, der Tod nahte. Eine unheilbare Krankheit hatte der Arzt diagnostiziert, und Maria war nach Hause zurückgekehrt, um hier zu sterben.
Indes gab es zwei Männer, die nicht glauben wollten, dass das Schicksal dieser überaus attraktiven Frau besiegelt sein sollte.
Das war zum einen Richard Anzinger. Der Kaufmann hatte sich in Maria verliebt, als sie beide zufällig im selben Zugabteil saßen.
Ohne eine Ahnung zu haben, wer die Schönheit ihm gegenüber war!
In München war Richard wie verwandelt, so dass seine Sekretärin sich schon die größten Sorgen um ihn machte. Glücklicherweise kam sein bester Freund zu Besuch. Wolfgang Winkler, kurz nur ›Wewe‹ genannt, arbeitete als freier Fotograf für die bekanntesten Magazine und Illustrierten der Welt. Nachdem er von dem Kummer des Freundes erfahren hatte, setzte Wolfgang alles daran herauszufinden, wer diese Frau war, deren Spur sich auf dem Münchner Hauptbahnhof verlor.
Und das in Richards Augen Unmögliche gelang. Dank seiner weitreichenden Verbindungen konnte Wolfgang feststellen, bei wem es sich um Richards große Liebe handelte und wohin Maria gefahren war.
Der Kaufmann folgte ihr umgehend nach St. Johann und gestand ihr seine Liebe.
Im ersten Moment wies Maria dieses Ansinnen zurück, doch fühlte sie sich auch von dem gut aussehenden Mann angezogen. Indes war es das Wissen um ihre unheilbare Krankheit, das sie davon abhielt, sich ihm zu offenbaren.
Der andere Mann, der sich nicht damit abfinden wollte, dass die Sängerin nur zum Sterben in die Heimat zurückgekehrt war, war Sebastian Trenker. Er überredete Maria, sich noch einmal gründlich von Toni Wiesinger, dem Arzt in St. Johann, untersuchen zu lassen, und fand in Richard Anzinger einen leidenschaftlichen Fürsprecher.
Dr. Wiesinger konnte indes keine lebensbedrohende Krankheit feststellen und war sehr erstaunt zu hören, dass Professor Ulrich Bernhard diese Diagnose gestellt haben sollte. Der international bekannte Internist mit eigener Klinik in München und Lehrstuhl an der Universität war auch Tonis Lehrmeister und Doktorvater gewesen.
Und der Mann hatte sich noch nie in seinem Urteil geirrt!
Erst ein Telefonat mit dem Professor brachte die Wahrheit an den Tag. Dr. Bernhard hatte tatsächlich eine derartige Diagnose gestellt, doch bezog sie sich auf einen ganz anderen Menschen. Maria, die das Gespräch des Arztes mit seinem Assistenten zufällig mithörte, bezog die Worte fatalerweise auf sich und floh nach St. Johann, noch ehe der Professor mit ihr sprechen konnte.
Nachdem der tragische Irrtum aufgeklärt war, fand die Hochzeit statt, und Richard ›schenkte‹ seiner Frau die alte Hütte, in der sie achtzehn Jahre gelebt hatte. Zu Marias großer Freude hatte er sie aufwändig restaurieren und umbauen lassen.
Sebastian hatte seinen Rundgang beendet und schloss die Tür wieder sorgfältig ab. Einen Moment stand er auf der Veranda und blickte über die abfallenden Wiesen hinunter ins Tal. Weiter unten war ein Bauer schon dabei, Heu zu machen.
Der Bergpfarrer verließ die Veranda und eher zufällig schaute er zu dem Berg hinauf, an dessen Fuß die Hütte stand, und erschrak.
Gut hundert Meter über ihm stieg sich kräuselnder Rauch aus den Felsen in den Himmel!
Ein Feuer?
Das war durchaus möglich. Dort oben gab es immer noch genug Buschwerk, das bei diesen hohen Temperaturen knochentrocken war und wie Zunder brannte.
Außerdem war da noch die alte Jenneralmhütte – womöglich war sie es, die in Flammen stand!
Sebastian zögerte nicht lange. Er ließ seinen Rucksack stehen und eilte den Bergpfad hinauf. Einen Moment überlegte er, die Feuerwehr zu rufen. Doch dann ließ er davon ab. Vielleicht brannte es nicht so stark, wie der Rauch vermuten ließ, und möglicherweise konnte er alleine löschen.
Der Weg wurde breiter. Der Geistliche hatte den Abzweig erreicht, wo der Bergpfad mit dem alten, längst nicht mehr genutzten Wirtschaftsweg zusammenstieß. Jetzt waren es nur noch ein paar Meter. Sebastian bog um einen dichten Busch und blieb überrascht stehen.
Der Rauch kam aus dem Schornstein der Hütte – das Einzige was hier brannte, war offensichtlich der Ofen!
Dann sah der Bergpfarrer auch die beiden Kühe auf der Wiese stehen und wunderte sich noch mehr.
Seit wann lebte denn wieder jemand auf der Senneralmhütte?
Sebastian ging zur Tür und klopfte an.
*
Der Geistliche blickte überrascht in das Gesicht eines jungen Mannes, der geöffnet hatte und ihn fragend anschaute.
»Ja, bitt’ schön?«
Sebastian räusperte sich.
»Grüß Gott« sagte er. »Ich hab’ von unten den Rauch geseh’n und befürchtete ein Feuer.«
Der Mann lachte.
»Das brennt bloß im Herd«, erwiderte er. »Ich bin grad dabei, Brot zu backen.«
»Hm, ich wusste gar net, dass die Hütte wieder bewohnt ist«, sagte der Bergpfarrer und hob entschuldigend die Hand. »Ich hab’ mich noch gar net vorgestellt. Mein Name ist Sebastian Trenker. Ich bin Pfarrer drunten in St. Johann.«
Der Bursche schaute einen Moment etwas ungläubig.
Dieser sportliche Bergwanderer sollte ein Diener Gottes sein? Mit seinem leicht gebräunten Gesicht der auch unter der Windjacke zu erkennenden durchtrainierten Figur hätte er den Mann eher für einen Schauspieler oder bekannten Sportler gehalten.
»Ja, äh…, Unger«, stellte er sich seinerseits vor. »Georg Unger. Möchten S’ net eintreten? Ich glaub‘, es ist noch Kaffee da.«
Der Geistliche nahm diese Einladung gern an und folgte ihm in die Hütte. In der Küche nahm der junge Mann, Sebastian schätzte ihn auf etwa dreißig Jahre, ein Tuch und öffnete die Herdklappe. Vorsichtig steckte er seine Hand hinein und nickte zufrieden.
»Das erste Mal war der Backofen zu kalt«, schmunzelte er. »Beim zweiten Versuch ist mir das Brot verbrannt, aber inzwischen klappt’s ganz gut.«
Der Bergpfarrer lächelte.
»Ihre Handgriffe schau’n auch recht routiniert aus. Sagen Sie, Herr Unger, seit wann wohnen S’ eigentlich schon hier oben?«
Der Hüttenbewohner winkte lässig ab. »Das ›Herr‹ und das ›Sie‹ lassen S’ mal ruhig fort, Hochwürden«, entgegnete er. »Georg reicht vollkommen aus.«
Er deutete auf die Eckbank.
»Nehmen S’ doch Platz.«
Sebastian setzte sich.
»Ich hab’ die Hütte vor genau fünf Wochen von ihrem vorigen Besitzer gemietet«, erzählte Georg, während er an das Bord über dem Herd ging und zwei Kaffeebecher herausnahm. »Seitdem leb’ ich hier oben.«
»Mit zwei Kühen.«
»Mit zwei Kühen«, grinste der Bursche, der einen sehr sympathischen Eindruck machte. »Die beiden versorgen mich mit frischer Milch, aus der ich Butter und Käse mach’, und was ich sonst noch so brauch’, schenkt mir die Natur. Freilich brauch’ ich hin und wieder ein paar Dinge, die ich hier oben net find’, aber meine Vorräte reichen erst einmal noch ein Weilchen.«
Hätte Sebastian zuerst noch vermutet, jemand verstecke sich hier oben, der etwas auf dem Kerbholz hatte, so wies er diesen Gedanken längst von sich. Georg Unger schien eher so etwas wie ein Aussteiger zu sein. Jemand, der vom ›normalen‹ Leben genug hatte und nun einmal etwas anderes ausprobieren wollte.
»Ich hatte eine ziemliche Krise in meinem Leben«, bestätigte der junge Mann auch gleich darauf die Vermutung des Geistlichen. »Inzwischen ist sie aber überstanden, und ich fühle mich hier oben wohler als je zuvor.«
Er schenkte Kaffee ein und setzte sich.
»Leider ist im Moment nix mehr von meinem Brot da, das ich Ihnen anbieten könnt’«, bedauerte er.
»Vielen Dank, das ist auch net nötig.«
Sebastian trank einen Schluck.
»Ich freu’ mich jedenfalls, deine Bekanntschaft gemacht zu haben. Es wär’ schön, wenn ich dich einmal im Pfarrhaus begrüßen könnt’, und wenn du magst, vielleicht sogar in der Kirche …«
Georg lächelte.
»Ich bedank’ mich für die Einladung. Eines Tags werd’ ich sicher auch ins Dorf hinunterkommen und Sie besuchen. Im Moment schaut’s eher noch so aus, dass ich lieber für mich allein bin. Und dem lieben Gott bin ich hier oben sowieso näher als drunten im Ort.«
Nun war es der gute Hirte von St. Johann, der lächelte.
»Da sprichst’ mir aus dem Herzen«, sagte er.
Georg blickte auf die Uhr.
»Entschuldigen S’«, bat er, »aber ich muss jetzt mal nach dem Käse schau’n.«
Der Geistliche trank aus.
»Keine Ursache. Für mich wird’s ohnehin Zeit.«
Er reichte Georg Unger die Hand.
»Also auf bald, vielleicht.«
»Auf bald, Hochwürden«, verabschiedete Georg ihn vor der Hütte.