Ich ist top - Walter Laufenberg - E-Book

Ich ist top E-Book

Walter Laufenberg

0,0

Beschreibung

Das Buch stellt den Egoismus als unseren Universalantrieb dar, von dem wir in all unserem Tun instinktmäßig geleitet werden. Es geht uns bei allem letztlich nur um unser Ich. Und das gilt ausnahmslos für jeden. Dieser natürliche instinktmäßige Antrieb ist unser Motor, doch haben wir durch das Bewusstsein, das uns aus dem Tierreich heraushebt, Kupplung, Gas- und Bremspedal in unserer Gewalt. Die vier oft als letzte Interessen unseres Handelns genannten Motive Geld, Macht, Ruhm und Sex erweisen sich als nur vorletzte Interessen, weil man sie weiter befragen kann: Wem sollen die Erfolge in Geld, Macht, Ruhm und Sex dienen? Dahinter steht letztlich immer die Antwort: Dem Ich. Man muss es nur mutig anerkennen und durchsetzen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 228

Veröffentlichungsjahr: 2020

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Walter Laufenberg

Ich ist top

Selbstbewusst, überlegen und sozial - aus Egoismus

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Gratulation

Was das Wichtigste ist

Sich von dem negativen Image befreien

Die Inneren Schweinehunde bellen

Das Ding muss einen Namen haben

Die Doppelstrategie: Ausreden und Tarnung

Wie man es nicht machen sollte

Ein erstes positives Beispiel

Durch Untaten etwas für sein Ich tun

Denkmalbauer am Werk

Sofort-Genuss ist auch Genuss

Jonglieren lernen

Liebe ist . . .

Die Treue ist kein leerer Wahn, im Gegenteil

Komm mir nicht mit Selbstlosigkeit

Zu großzügig von Ihnen

Ehrlichkeit ist eine Zier

Auch Bescheidenheit ist eine Zier

Dankbar für Dankbarkeit

Freundlichkeit ist ja wohl das mindeste

Die Höflichkeit erspart dem Kaiser neue Kleider

Ich will dein Gast sein

Mitleid ist Diebstahl

Reue bringt reiche Früchte

Arbeit war sein Leben

Tüchtigkeit ist verdächtig

Heldentum rentiert sich nur durch Heldenruhm

Künstler werden ist nicht schwer

Die Forscher treiben es mit der Wahrheit

Wer macht sich nichts aus der Macht

Lieber friedlich als Ich

Tierliebe sollte nicht der letzte Ausweg sein

Muss man alles sportlich sehen

Auto, Auto über alles

Kommunikation ist Eroberung

Schadenfreude ist das stärkste Mitgefühl

Dem Neid regelmäßig Futter geben

In der Eifersucht keine halben Sachen machen

Vom richtigen Genuss der Rache

Hass ist der Bruder der Liebe

Ferien vom Ich: zu schön, um wahr zu sein

Fast schon eine neue Moral

Nachbemerkung

Schwarze Liste

Impressum neobooks

Gratulation

Alle denken nur an sich. Alle außer mir —ich denke an mich.

Volksmund

Ja, ich gratuliere Ihnen zu dem Entschluss, dieses Buch zu lesen. So ein Kopf, wie Sie ihn auf den Schultern tragen, ist wohl wert, dass man ihm einmal etwas Besonderes bietet. Und etwas Besonderes ist dieses Buch tatsächlich. Sie werden sich hinterher kaum noch wiedererkennen. Am besten wäre gewesen, Sie hätten vorher Ihre wichtigsten Überzeugungen und Einstellungen schriftlich niedergelegt. So wie man sein Testament macht, bevor man sich auf eine abenteuerliche Reise begibt.

Aber dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Jetzt heißt es nur noch: Die Ohren steifhalten und hindurch! — Ich garantiere Ihnen, an die abenteuerliche Reise durch dieses Buch werden Sie noch lange denken.

Walter Laufenberg*

*Der Sozialwissenschaftler Dr. Laufenberg hat sich mit zahlreichen literarischen Werken einen Namen gemacht und wurde der erste Blogger im deutschen Sprachraum mit seinem Internet-Magazin www.netzine.de

Was das Wichtigste ist

Wollen Sie endlich erfahren, was das Wichtigste auf der Welt ist? — Na schön. Dann schalten Sie bitte zunächst einmal rundum ab. Legen Sie alles aus der Hand. Schicken Sie jeden Mitmenschen und jedes Haustier vor die Tür. — Erledigt? Gut. Dann brauchen Sie jetzt nur noch Fernsehen, Radio, Laptop und Handy auszuschalten, das Licht auszuknipsen oder die Vorhänge vorzuziehen. Und wenn Sie nun auch noch die Augen schließen, dann tun Sie das bitte mit nur einem einzigen Wort im Kopf, mit einem Wort, das Sie sich immer wieder leise vorsagen und an das Sie ganz intensiv denken. Das Wort lautet: Ich. — Bitte für eine Weile die Augen schließen!

- - -

Sie sind wieder aufnahmebereit? — Nun gut, Sie werden ja sehen, was Sie davon haben. Zunächst aber lassen Sie sich sagen: Sie waren großartig. Und Sie haben das absolut Richtige getan. Sie haben an sich gedacht. Das heißt, Sie haben sich gerade mit dem Wichtigsten beschäftigt, das es für Sie gibt. Nichts, überhaupt nichts ist wichtiger, ist größer, ist mehr Zuwendung wert als Ihr Ich.

Wie Sie alles andere beiseite geschoben haben, wie Sie sich voll und ganz auf Ihr Ich konzentriert haben, das war gekonnt. Wenn Sie jetzt auch noch das bisschen Mühe auf sich nehmen weiter zu lesen, dann kann ich Ihnen eine goldene Zukunft voraussagen: Sie werden sich kaum noch wiedererkennen, aber jedem anderen Menschen haushoch überlegen sein. Und nie mehr auf falsche Versprechungen hereinfallen.

Für jeden, der zu seinem Ich steht, gibt es nichts Größeres als sein Ich. Für ihn wird alles andere klein und unbedeutend. Und so ein Ich-Mensch sind Sie, liebe Leserin und lieber Leser, wie Sie gerade eben feststellen konnten. Ein Ich-Mensch, genau wie ich und jeder andere.

Wie lautet der landläufige Ausdruck? „Du bist aber auch nicht ohne.“ Damit ist nichts anderes gemeint als das Ich-Interesse. Sollte Ihnen trotzdem mal einer komisch kommen mit dem Vorwurf, Sie seien schrecklich egoistisch, schicken Sie ihn nach Japan. Die Menschen dort sind bekanntlich sehr familiär, aber sie haben in ihrer Sprache 46 Begriffe entwickelt für das eine Wort: Ich. Das sagt doch alles.

Dass und wie Sie zu Ihrem Ich stehen, das ist also mehr als selbstverständlich. Jetzt müssen Sie sich nur noch angewöhnen, konsequent von Ihrem Ich zu schweigen und permanent all das als groß zu bejubeln, was für Sie klein und unbedeutend ist, dann steht Ihnen jede Karriere offen. Denn das ist für Ihre Mitmenschen fast ein Gesetz: Egoismus ist was Verwerfliches. An und für sich darf der Mensch nicht denken!

Sie dürfen und sollten aber an sich denken, und zwar immer. Doch sollten Sie sich vor lächerlichen Übertreibungen hüten. Nicht dass Sie eines Tages sagen: „Ich habe die große Liebe entdeckt – als ich in den Spiegel geschaut habe.“ Und passen Sie nur auf, dass Sie nicht plötzlich in eine Politiker-Laufbahn geraten. Die Gefahr besteht. Machen Sie nachher bitte nicht mich dafür verantwortlich. Ich sage: „You have been warned — Sie sind gewarnt worden“, wie es in England an Straßen mit schweren Frostschäden steht, und zwar genau dort, wo die Stoßdämpfer es nicht mehr ausgehalten haben. Vorher stand doch nur wenige Male ein Warnzeichen an der Straße, das man natürlich nicht beachtet hat.

Und lassen Sie sich nicht irritieren von dem Philosophen Theodor W. Adorno, der geschrieben hat: „Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen.“ Das hat er später zurückgenommen. Er habe nur Politiker und Kunstkritiker gemeint, die sich damit überheblich gezeigt hätten. Also bleiben wir beim Ich als dem A und O bei all unserem Handeln und Urteilen — und Durchschauen.

Aber meine Warnung sollten Sie nicht einfach übersehen. Wenn Sie sich nicht stark genug fühlen für das neue Leben eines überlegenen Menschen, der jeden anderen durchschaut, dann beschäftigen Sie sich lieber nicht mit diesem brisanten Thema: Ich.

Dann: „Tschüss! Machen Sie es gut!“

Wenn Sie aber partout weiterlesen wollen, dann auf eigene Gefahr. Bitte anschnallen: Die wichtigste Nebensache der Welt ist bekanntlich die Liebe. Darüber sind wir uns wohl einig. Nur akut davon Befallene sehen das anders und bezweifeln, dass die Liebe eine Nebensache ist. Verliebte Leute sind zwar vorübergehend nicht zurechnungsfähig, trotzdem soll ihre verworrene Situation hier kurz beleuchtet werden. Dabei wird klar: Er hat sie gern, sie hätte ihn gern, und zwar er sie dreimal täglich und sie ihn fest an der Leine – oder genau umgekehrt. Womit das, was scheinbar so schön übereinstimmt, sich schon in seiner ganzen Gegensätzlichkeit zeigt. Und selbst wenn sie schließlich soweit sind, dass sie beide den anderen für immer zu wollen glauben, wollen sie doch letztlich beide was für sich. Jeder für sich. Und jeder von beiden freut sich darüber, dass der andere gerade ihn für sich haben will. Denn das schmeichelt dem Ich ganz schön, wechselseitig. Und das ist auch schon alles an diesem viel gerühmten Mysterium, genannt Liebe.

Meine dringende Empfehlung: Lassen Sie in Liebesdingen das mit dem Habenwollen und Geschmeicheltsein nie deutlich werden. Das müssen Sie immer schön umschreiben mit Geständnissen wie: „Du bist für mich alles, ich sehe nur noch dich auf der Welt, ohne dich kann ich nicht mehr leben, ich möchte dich am liebsten auffressen . . .“ So was kommt immer gut an. Und dass dabei verräterisch oft vom Ich die Rede ist, merkt zum Glück kein Mensch.

Dabei zeigt sich, dass wir den Unterschied von hetero- und homosexuell total überbewerten. Stehen wir im Grunde genommen doch über beidem, das heißt wir sind autosexuell (was nichts mit Ihrem Auto zu tun hat). Immer nur selbstverliebt. Da fällt einem auch der schöne Spruch „Bi, das ist Gnade“ aus dem Lästermaul. Es gilt auf einmal nur noch: Das Ich ist top. Aber das soll im Moment genügen. Über die Liebe später mehr. Die ist ein Kapitel für sich.

Sich von dem negativen Image befreien

Vordringlich ist, dass ich Ihnen zeige, wie Sie sich von dem negativen Image befreien können, das an dem Begriff Egoist haftet. Dieses Buch handelt vom Ich und davon, dass es für Sie ebenso wie für mich und für jeden anderen das Wichtigste ist. Woran nichts zu ändern ist und deshalb eigentlich auch nichts zu mäkeln wäre. Aber die unaufgeklärten Leute sehen das anders. Deshalb wird es immer Zeitgenossen geben, die Sie als Egoisten beschimpfen, wenn Sie Ihr Ich erkennbar werden lassen. Ihre Mitmenschen sind darin mehr einfältig als einfallslos. Mal stören sie sich an Ihrer Geltungssucht, mal an Ihrer Ichzentriertheit oder an dem Egotrip, auf dem Sie angeblich sind. Alles Humbug. Das Geltungsbedürfnis ist allen Menschen gemeinsam, jeder Mensch strebt nach Anerkennung. Ohne diesen Grundtrieb gäbe es keine Kunst und keine Wissenschaft, keinerlei Erfindungen, auch keine Mode und so weiter.

Daraus folgt der neue oberste Grundsatz Ihres Lebens: Der Profi-Egoist lässt sich nie mehr als Egoist beschimpfen. Er weiß, wie man sich in ein so günstiges Licht stellt, dass die Leute nur noch Gutes über einen sagen. Und damit Sie so geschickt als ein Profi-Egoist auftreten können, dem niemand mehr mit dem unsinnigen Vorwurf zu kommen wagt, er sei ein schrecklicher Egoist, werden Sie in den folgenden Kapiteln das ganze Gewusst-Wie des Profi-Egoisten kennen lernen.

Machen Sie sich nur einmal klar, wenn Sie irgendwo im Menschengewühl stecken: Der und der und die und die halten sich für den Mittelpunkt der ganzen Welt. Jeder einzelne von all den vielen sieht alles nur aus dem eigenen Blickwinkel heraus und hat letztlich nur für sich selbst was übrig. Auch diese komische Figur da drüben und der Fiesling dort und dieser Kümmerling . . . Hören Sie es schon? Alle Bezeichnungen, mit denen Menschen unterschieden werden, dienen nur der Täuschung darüber, dass sie alle gleich sind, nämlich in ihrem Ich-Interesse. Und hinter all diesen Differenzierungen und Täuschungen stecken natürlich auch wieder Ichs mit ihrem Ich-Interesse. Alles nur Lug und Trug. Denn weil alles menschliche Streben nur immer auf das Ich abzielt, sind alle Menschen gleich. Ja, gleich in ihrem Grundstreben. Soweit ist das mit der Gleichheit der Menschen okay. In ihren Fähigkeiten und Chancen sind sie allerdings nicht gleich – Mutter Natur ist ungerecht – und in ihren Rechten schon gar nicht, weil alle Rechtssysteme von Menschen erdacht werden, die alle — ihrem jeweiligen Ich zuliebe — auf der Ungleichheit der Schichten und Klassen, der Rassen und Geschlechter wie auch der Hautfarben bestehen.

Die Vorstellungen von der Gleichheit der Menschen waren doch immer unterschiedlich. Schon einige Male in der Geschichte schien es so, als hätte die Stunde der Wahrheit geschlagen: Die Gleichheit, die man in der Französischen Revolution von weitem gerochen hat, verriet schon eine gute Nase. Aber die Hoffnung, dass aus der Gleichheit Brüderlichkeit folgen werde, war eine Schnapsidee. Und dass Gleichheit und Brüderlichkeit mit der Freiheit harmonisieren könnten, das war lediglich eine dreiste Forderung — wenn nicht sogar purer Hohn. Das musste ja schiefgehen. Die Gleichheit wurde so wörtlich umgesetzt, dass allen nicht passenden Menschen ein Einheitsmaß verpasst wurde: einen Kopf kürzer.

Schon fast 1800 Jahre früher hatte der nahöstliche Wanderprediger Jesus von Nazareth von der Gleichheit der Menschen gesprochen. Für ihn waren die Menschen gleich, weil sie alle Kinder desselben Gottes sind. Als ob die Kinder eines Vaters jemals gleich wären. Aber dieser Jesus war halt ein Einzelkind, und er blieb selbst kinderlos. So konnte er glatt übersehen, dass die Menschen nur in ihrem Antrieb, in ihrem Ich-Interesse, gleich sind und sich gerade deshalb in gewaltige Ungleichheiten entwickeln müssen. Auch das konnte also nur schiefgehen.

Denselben Fehler hatte schon rund 1300 Jahre früher der allmächtige ägyptische Pharao Echnaton gemacht. Aber die Geschichtswissenschaft war damals eben noch nicht so, dass man aus der Geschichte 1ernen konnte. Echnaton sah alle Menschen als gleich an, weil sie ihm vor dem neuen und alleinigen Gott Aton alle als Brüder erschienen. Er war zwar kein Einzelkind und blieb auch nicht kinderlos; aber bei den verworrenen Familienverhältnissen daheim „bei Pharaos“, wo Gott und Gift und lange Messer immer mitmischten, konnte man schon besonders viel von nicht mehr vorhandenen Brüdern halten. Und wenn sich alle Leute um ihn herum nur damit beschäftigten, den andern die Köpfe einzuschlagen, um ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen, mal mit Hilfe des neuen Gottes Aton, mal mit der des alten Gottes Ammon, je nach dem Steigen und Sinken des politischen Barometers namens Echnaton, dann sah das ja wirklich sehr nach Gleichheit aus.

Für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, und für mich genügt zu wissen, dass und worin wir alle gleich sind. Denn das Wissen um die Gleichheit im Grundstreben gibt eine frappierende Überlegenheit, wie Sie noch feststellen werden. Daneben kann uns alles Gleichheitsgerede irgendwelcher Heilsbringer kaltlassen. Damit ist den Menschen doch nur immer die Gleichheit im Sterben gebracht worden, ob im Dreißigjährigen Krieg oder heute im Nahen Osten, wo immer noch im Namen dieses oder jenes Gottes Gleiches mit Gleichem vergolten wird, bis alles dem Erdboden gleichgemacht ist.

Es ist ja auch keine Schwierigkeit, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen, solange sie noch nicht wissen, dass sie alle gleich sind in ihrem Grundstreben. Und wo die Religion als Vorwand für die tödlichen Unterscheidungen nicht taugt, da muss die Hautfarbe herhalten, zur Abwechslung auch mal der Nationalismus. Und weil wir im aufgeklärten Europa und in Nordamerika an diese Unterschiede nicht mehr so recht glauben können — zu viel Zeitung gelesen und zu viel herumgereist —, musste ein neuer Gegensatz dazu herhalten, unsere Gleichheit zu unterlaufen: nämlich ein Gegensatz der Wirtschaftssysteme, hier Privatkapitalismus, dort Staatskapitalismus, genannt Sozialismus. Manchen Leuten genügt neuerdings auch schon, die Frau im Gegensatz zum Mann zu sehen; in dieser Auseinandersetzung hängt man drin, ob man will oder nicht. Und wenn demnächst einer auf die Idee kommt, die Leute mit dem lockigen Haar gegen die mit dem gesträhnten aufzuhetzen, sind die fein heraus, die dann keine Haare mehr haben. Sie können keine mehr lassen. Da können selbst die ideologischen Haarspalter nichts mehr ausrichten. Halten wir es in dem Panoptikum, das uns umgibt, mit dem ehemaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer, der gesagt hat: „Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind. Andere gibt’s nicht.“

So manch einer hat sich schon darüber beklagt, dass er schlecht behandelt oder missachtet wird. Das kann einen jahrelang beschäftigen. Und immer ist einem klar: Es liegt am System. Mittlerweile gibt es Millionen von Menschen, die einen Systemwechsel erlebt haben, aber von keinem Menschen beneidet werden. Und sie haben ja auch nach wie vor Grund zum Klagen, nur Einzelheiten haben sich geändert. Dabei sind diese Menschen eigentlich zu beneiden. Beispielsweise all die Menschen, die den schnöden Kapitalismus gegen den realen Sozialismus eingetauscht kriegten, die sind jetzt um exakt soviel Erfahrung reicher, wie sie materiell ärmer geworden sind. Nämlich reicher um die wichtige Erfahrung, dass nicht Systeme herrschen, sondern Menschen. Und dass die Menschen, hier wie dort und überall, uns immer wieder und in jeder Zeit und in jedem System kopfschüttelnd bei der Frage ankommen lassen: Warum tun die das? Und natürlich gibt uns kein Mensch zur Antwort: Weil die alle nur ihr eigenes Ich im Sinn haben. Nein, so was sagt man nicht; das klingt ja so vorwurfsvoll.

Dabei ist das die Antwort aller Antworten auf die Frage aller Fragen. Und wenn Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, das jemand nicht so recht glauben will, dann machen Sie mit diesem ungläubigen Menschen das, was ich mit Ihnen am Anfang des ersten Kapitels gemacht habe. Sagen Sie ihm, er solle zunächst einmal rundum abschalten und jeden Störer vor die Tür schicken und das Licht ausmachen usw. Und dann soll er ganz intensiv nur noch an ein einziges Wort denken, an das Wort Ich. Anschließend machen Sie bitte eine Pause, bevor Sie ihm gratulieren. — Sehen Sie, so einfach ist es, einen Egoisten zu überführen.

Nur bei ganz uneinsichtigen Scheinheiligen müssen Sie auf weitere Beweise zurückgreifen, zum Beispiel auf das alte Sprichwort: „Ohne mich und nochmals mich verginge der Erdball sicherlich.“ Oder Sie verweisen auf die Japaner mit ihren vielen Formulierungen für das eine Wort Ich oder betonen die Wissenschaftlichkeit Ihrer These: Im Jahre 1900 haben Wissenschaftler untersucht, welche Wörter in der deutschen Sprache am häufigsten benutzt werden. Gesucht waren die zweihundert Favoriten von etwa elf Millionen Wörtern. An der Spitze standen natürlich Wörter wie: die, der, und, in, zu. Aber schon auf Platz 20 kam: Ich. Auf Platz 42: Wir. Erst ziemlich abgeschlagen auf Platz 69: Du. Es geht also nicht nur Ihnen so, dass das Ich das Größte ist.

Die Inneren Schweinehunde bellen

So etwas wie ein Egoist ist man, aber man gibt es nicht zu. Als im Jahre 1845 ein Mann namens Johann Kaspar Schmidt ein Buch mit dem Titel „Der Einzige und sein Eigentum“ veröffentlichte, da tat er das vorsichtigerweise unter dem Decknamen Max Stirner. Was ihm nichts nützte. Er kam trotzdem in größte Schwierigkeiten und ging elend zugrunde. Und das Buch blieb bis heute weitgehend ungelesen. Kein Wunder. Der Mann hatte die Stirn, den Leuten ins Gesicht zu sagen: „Mir geht nichts über Mich.“ Er verstieß dabei sogar gegen die Orthographie, indem er ich und mir und mein immer groß schrieb, ganz abgesehen davon, dass er den Leuten brutal die Masken vom Gesicht riss und sie dann nackt dastehen ließ. Das einzige bisschen Anerkennung, das Stirners Buch mit der subversiven Ich-Verherrlichung fand, kam von den Anarchisten. Denen gefiel natürlich, dass Stirner so negativ war und jede staatliche Zwangsgewalt ablehnte, weil er glaubte, die Egoismen aller würden schon von selbst zu einer Harmonie finden. Dann las man auf einmal den Sponti-Spruch an der Hauswand: „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.“ Manche Leute glaubten daran; die nannte man dann — je nach dem eigenen Standort — Erzliberale oder Scheißliberale.

Sie sehen, was für ein gefährliches Gedankengut dieser Stirner produziert hat. Es scheint mir an der Zeit, eine Schwarze Liste jener Autoren zu erstellen, deren Bücher Sie, liebe Leserin und lieber Leser, auf gar keinen Fall lesen sollten — übrigens auch nicht ausleihen, verschenken, zitieren usw. Merken Sie sich also bitte besonders gut den ersten Namen auf der Schwarzen Liste: Max Stirner.

Ich sagte: So etwas wie ein Egoist ist man, aber man gibt es nicht zu. Wenn wir dem Volk aufs Maul schauen, dann führt uns die heimliche Selbsterkenntnis der so genannten Egoisten rundum immer gleich zu der Entschuldigung mit dem Inneren Schweinehund. Na meinetwegen, sehen wir es so; doch dann müssen wir auch zugeben, dass dieser Innere Schweinehund aus jedem bellt, auch aus Ihnen. Aber das heißt natürlich noch lange nicht, dass Sie nun als Egoist dastehen müssen. Auch die Tatsache, dass Sie dieses Buch lesen, spricht nicht gegen, sondern für Sie. Das ist die Ausrede Nr. 1:

Wer sich mit seinem Ich beschäftigt, der setzt sich kritisch, und zwar selbstkritisch, mit seinem Inneren Schweinehund auseinander.

So heißt die Erklärung für Ihr vielleicht manch einem sonderbar vorkommendes heißes Interesse an der Hohen Schule der Scheinheiligkeit. Diese Ausrede sollten Sie sofort auswendig lernen!

So übel ist das Tierchen Innerer Schweinehund übrigens gar nicht. Sie sollten es genauer kennen lernen und sich mit ihm anfreunden. Dann kann Ihnen kein Mensch mehr mit dem Vorwurf kommen, Sie seien ein Egoist oder Egozentriker, Solipsist, Egomane, Ichmensch, Egotist oder wie all diese Haut-den-Lukas-Hämmer heißen, mit denen gleich zugeschlagen wird, sobald sich irgendwo ein Ich sehen lässt.

Und auch dem amerikanischen Autor Ambrose Bierce sollten Sie Ihr ehrliches Ringen mit dem Inneren Schweinehund entgegenhalten, wenn er Ihnen mit seiner Definition „Aus dem Wörterbuch des Teufels“ kommt: Der Egoist ist „ein unfeiner Mensch, dessen Interesse für sich selber größer ist als das für mich“. Auf die Schwarze Liste mit dem Kerl, der Sie als unfeinen Menschen zu bezeichnen wagt!

Der viel beschworene Innere Schweinehund führt uns zielsicher zu der Wissenschaft von der Verhaltensforschung, genauer gesagt: zu der Tierverhaltensforschung. Zu der uns Menschen betreffenden, viel wichtigeren Verhaltensforschung gehört das, was Sie in diesem Buch lesen. Aber bleiben wir zunächst lieber bei unseren Brüdern und Schwestern, den Tieren.

Die Tierverhaltensforscher sind kürzlich der viel bewunderten „Selbstlosigkeit“ der Tiere auf die Schliche gekommen. Wie oft hat man das früher gehört: Familiensinn, Schutz und Trutz im Rudel und beispielsweise der Pelikan, der sich die Brust aufhackt, um mit seinem Blut die verhungernde Brut zu retten. Selbstlos bis zum äußersten, so schien es, fernsehgerecht, bestes Sonntagnachmittags-Programm. Alles Lug und Trug, wie die Verhaltensforscher jetzt endlich wissen. Denn es geht den Tieren gar nicht um die Familie und auch nicht um die Schutzbedürftigen, die Hungernden. Es geht ihnen nicht einmal um die Erhaltung der Art, wie wir seit Charles Darwins Buch über „Die Entstehung der Arten“ geglaubt hatten. Es geht den Tieren in Wahrheit nur um ihre Gene, also um ihr Erbgut, das ihnen ganz persönlich gehört und das bei der Fortpflanzung weitergegeben wird. Was also das beinahe „Unsterbliche“ an ihnen ist. Und ein Tier, das so eng verwandt mit ihm ist, dass es die gleichen Gene hat, das wird beschützt und gehätschelt, weil man damit den Fortbestand seiner Gene sichert. So egoistisch läuft das ab. Ist das mit den Genen nicht genial?

Das Prinzip Eigennutz ist also so tierisch, wie es menschlich ist. Es ist einfach natürlich. Nun ist aber auch natürlich, dass wir Menschen kein Federkleid und keinen Wuschelpelz und keinen Schuppenpanzer haben, und trotzdem laufen wir nicht nackt herum. Wir verkleiden unsere Nacktheit, das ist Kultur. Und genauso verhält es sich mit unserem Prinzip Eigennutz: Wir verkleiden es. Das ist Kultur. Klar, dass dazu zunächst einmal ein schöner Begriff gehört. Die Tierverhaltensforscher sprechen vom Instinkt, also von einem unbewussten Antrieb, der das Tier in Richtung Eigennutz abfahren lässt. Da es einen zwar nur kleinen, aber wichtigen Unterschied gibt zwischen Tier und Mensch, ist dieser Begriff nicht ohne weiteres übertragbar.

Jetzt bitte festhalten. Denn wir müssen einen kleinen Schlenker machen und uns fragen: Worin liegt denn der Unterschied zwischen Mensch und Tier, falls es überhaupt einen gibt, der ernst zu nehmen ist? Für den griechischen Philosophen Aristoteles (384 bis 322 v. u. Z.), der schon Tierbeobachtungen angestellt hatte, war der Unterschied zwischen Mensch und Tier nur ein gradueller. Ein Kind war für ihn noch nichts anderes als ein Tier. Eine Einstellung, die sich bis hin zu Wilhelm Busch erhalten hat. Der griechische Philosoph Epikur (341 bis 271 v. u. Z.) und der ebenfalls griechische Geschichtsschreiber Plutarch (um 50 bis 125) sahen die Sache genau andersherum: Dem Tier werden menschliches Fühlen und Bewerten unterstellt. Diese Vermenschlichung des Tieres hat sich bis hin zu Brehms Tierleben erhalten. Die Tierverhaltensforscher von heute betonen nun die Parallelen von Tierverhalten und Menschenverhalten. Auch der Mensch verhält sich gegenüber seinen Familienangehörigen sozialer als gegenüber Fremden. Und die Einwohner seines Dorfes zieht er denen anderer Dörfer vor, genau wie die Leute, die seinen Dialekt sprechen. Und das, obwohl der eine Dialekt so unbrauchbar zur Verständigung draußen ist wie der andere, das eine Dorf so hinterm Mond liegt wie das andere und die eine Familie so lästig ist wie die andere.

Das ist tierisch, sagen Sie? — Ja. Aber trotz allem kann ganz sicher die Parallele zum Tier nicht so gesehen werden, dass wir einfach den Menschen mit dem Tier gleichsetzen. Ich bin so arrogant zu behaupten, damit würden wir den grundlegenden Unterschied übersehen, der in der Fähigkeit des Menschen zum bewussten Handeln liegt. Das Bewusstsein als die Herausbildung einer einmaligen, nur dem Menschen eigenen Potenz — sehen Sie, an die denken Sie nie, wenn Sie von Potenz sprechen —, das ist unsere Besonderheit, über die wir nicht einfach hinwegsehen können. Und dieses Bewusstsein muss es auch sein, was unseren Eigennutz von dem der Tiere unterscheidet. Denn wir haben über deren Eigennutz hinaus, der ja lediglich der Weiterverbreitung und Erhaltung ihrer Gene, also ihres Erbguts, dient, auch einen

Eigennutz, der unserem Ich dient. Das ist der berühmt-berüchtigte Individualismus. Und den verdanken wir unserem Bewusstsein und seiner Fähigkeit, dieses Ich in den Mittelpunkt all seines Denkens zu stellen. Oder andersherum gesagt: Unseren besonderen Eigennutz verdanken wir der Unfähigkeit unseres Bewusstseins, irgendetwas anderes als das Ich in den Mittelpunkt all seines Denkens zu stellen. Erst dadurch, dass wir „Ich“ denken und sagen können, sind wir über die Tiere hinausgewachsen. Denn:

Erst das Ich macht die Person, und erst ein in allen Farben des Regenbogens schillerndes Ich macht die Persönlichkeit.

Diesen Satz sollten Sie sich als Ausrede Nr. 2 einprägen!

Zusammenfassend kann man sagen: Wir Menschen sind insofern höher entwickelte Tiere, als wir nicht nur auf Erhaltung unseres Erbguts programmiert sind, sondern sogar auf Erhaltung, Erweiterung, Erhöhung und Intensivierung unseres Individuellen Bewusstseins vom Ich. Darin liegt auch ein lästiger Widerspruch, und darin liegt unsere ganze menschliche Tragik: Wir sind programmiert auf unser Bewusstsein vom Ich, das heißt, wir dienen dem Ich tierisch instinktmäßig. Diesen wichtigen Rest von Instinktsicherheit haben wir uns bei unserer Höherentwicklung erhalten. Gleichzeitig sind wir aber durch unser Bewusstsein über die Tiere hinausgehoben, das heißt, unsere Instinktsteuerung ist nicht „blind“. In diesem Widerspruch liegt sowohl unser ganzes Dilemma als auch unsere Chance, auch der Ursprung aller Philosophie, Literatur, Kunst, kurzweg unserer Kultur. Wie hat Goethe das in seinem Gedicht „Das Göttliche“ so schön kurz und klar ausgedrückt:

„Edel sei der Mensch,

hilfreich und gut!

Denn das allein unterscheidet ihn

von allen Wesen, die wir kennen.“

Dass der Egoist als Egoist beschimpft wird, kommt letztlich davon, dass er sich über das Tier hinausentwickelt hat.

Auch diese Ausrede Nr. 3 sollten Sie sich gut merken!

Jetzt können Sie wieder locker sitzen. Unser Abseitsschlenker mit den Ausreden ist geschafft. Jetzt geht es schön geradeaus weiter: Der Besonderheit der bewussten Instinktsteuerung beim Menschen fehlte bisher ein Name. Dem Übelstand kann und soll hier abgeholfen werden.

Das Ding muss einen Namen haben

Alles, was mit unserem Ich zu tun hat, wurde bisher nur mit Handfeger und Dreckschaufel behandelt. Egoismus gilt schlichtweg als schlecht, Egozentrik erst recht, Narzissmus macht einen unmöglich, mit Autismus ist man abgetan, und Solipsismus gilt als zu starke Schieflage. Alles nicht brauchbar als Bezeichnung für unsere bewusste Instinktsteuerung. Es ist einfach mehr dran, an unserer Ich-Fixierung, mehr als diese Begriffe umreißen, vor allem mehr Positives. Aber bisher sind nur die Italiener so aufgeklärt, wenigstens in der Politik vom „sacro egoismo“ zu sprechen, vom heiligen Egoismus. Da ist nationweit etwas verstanden worden, was uns Nichtitalienern noch völlig unklar und verschwommen durch das Denken irrlichtert: Das Ich ist das Größte. Was Milliarden von Menschen tagtäglich mit größtem Eifer bedienen, ihr Ich, das kann nicht schlecht sein, das muss sich nicht verstecken, das muss vielleicht nicht unbedingt heilig genannt werden, aber zumindest braucht es sich nicht weiterhin mit Schimpfnamen belegen zu lassen — das muss endlich einen ehrlichen Namen bekommen.