Ihr Weg zum Herzen des Islam - Eva Meyerovitch - E-Book

Ihr Weg zum Herzen des Islam E-Book

Eva Meyerovitch

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Beschreibung

Wenn Herzen sich treffen, werden Universen der Liebe geboren. Als Eva Lamacque de Vitray, am 5. November 1909, in Boulogne-Billancourt, einem reichen Pariser Vorort, das Licht der Welt erblickte, ahnte sie noch nichts davon, dass eines Tages, das Werk des Denkers und Dichters Muhammad Iqbal "Die Wiederbelebung des religiösen Denkens im Islam", ihr Herz für die große Weltreligion Islam öffnen würde. Viel ist über die studierte Juristin und promovierte Philosophin de Vitray-Meyerovitch im deutschsprachigen Raum nicht bekannt. Doch eins ist faktisch gewiss, sie machte es sich zu einer Lebensaufgabe das Herz des Islam zu entdecken, in seine Tiefen zu gelangen und diese Erkenntnisse einer breiten französischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.Und so widmete sie sich vor allem den Werken Rumis, angefangen von seiner Biographie bis hin zur Übersetzung des Masnawi, einem kolossalen Werk mit 50.000 Versen auf 1.700 Seiten, das erstmals 1990 ins Französische übersetzt wurde. Neben ihrer Lehrtätigkeit 1969 bis 1973 an der Al-Azhar-Universität, in Kairo, und ihrer Tätigkeit als Wissenschaftlerin an der renommierten Centre national de la recherche scientifique (CNRS) bis zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn, verfasste und übersetzte sie zahlreiche Bücher und Artikel über die Mystik im Islam. In diesem Buch nehmen uns die beiden Journalisten, Rachel und Jean-Pierre Cartier, mit auf eine atemberaubende Reise des Glaubens und stellen uns dabei eine Vielzahl von Denkern vor - wie ihren außergewöhnlichen Mentor Louis Massignon und den Rektor der Azhar-Universität in Kairo, an der sie lehrte - sowie Anekdoten über ihre zahlreichen persönlichen Freundschaften und beruflichen Begegnungen. Ihre bewegende, herausfordernde, edle und oft humorvolle Geschichte unterstreicht die Schönheit eines Glaubenslebens, das sie durch die Brille ihres spirituellen Meisters Rumi gelebt hat.

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Seitenzahl: 210

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Eva de Vitray-Meyerovitch

Ihr Weg zum Herzen des Islam

Interviews mit Rachel und Jean-Pierre Cartier

Übersetzt und mit einem Vorwort von Emre Türk

Die original französische Ausgabe Islam, l‘autre visage erschien im Verlag Albin Michel (1995)

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort des Übersetzers

Geleitwort der Interviewer

I - Quälende Zweifel

II - Der Zweite Weltkrieg

III - Die Begegnung mit Iqbal

IV - Rumi

V - Der Sufismus

VI - Konya

VII - Der Universalismus

VIII - Das islamische Recht und der Iran

IX - Die Gemeinsamkeiten der Religionen

X - Louis Massignon

XI - Der Hadsch

Geleitwort des Übersetzers

 

Geleitwort des Übersetzers

Gläubig bleiben heißt, vom Herd der Vorfahren nicht die Asche, sondern die Flamme zu überbringen“, konstatierte Jean Jaurès, der mehrfach vor dem Ersten Weltkrieg gewarnt hatte. Eigentlich schien dieser Appell nach der Aufklärung zunächst umsetzbar zu sein. Nach zwei Weltkriegen wurde allerdings erkannt, dass der Dogmatismus in Form von modernen Ideologien weiterhin existierte. Der Verstand wurde folglich nur eingeschränkt bedient, obwohl das Motto der Aufklärung „Sapere aude!“ „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ lautete.

So führte die Aufklärung - entgegen der Ideen ihrer Vordenker - zu einem modernen, von Fortschrittsgläubigkeit geprägtem Polytheismus, wodurch Ideologien, Macht oder Vergnügung gepriesen wurden. Erschrocken vor den Konsequenzen, klammerten sich viele Anhänger der monotheistischen Religionen an die starren Dogmen ihrer Religionen. Dabei verkannten sie, dass die Annahme und Umsetzung von unreflektierten Glaubenssätzen, die gelehrt werden, ohne dabei jedoch auf persönlichen Erfahrungen zu beruhen, nie im Sinne der Propheten waren. Eine tiefgründige Exegese der heiligen Bücher unterstützt diese These.

Nach der Missachtung des Sabbatgebots seiner Jünger sagt Jesus zu den Pharisäern: „Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat“.1 Sein Konflikt mit den Pharisäern symbolisiert die Auseinandersetzung der Gläubigen mit den Religiösen, die davon überzeugt sind, ein Monopol auf die Wahrheit zu besitzen.

Dabei ist eine Suche nach der Wahrheit, ohne die persönlichen Glaubenssätze zu hinterfragen, nicht möglich. Diese Botschaft wird im Koran in Gestalt des Propheten Abraham sehr prägnant vermittelt. Während sein Volk die Philosophie der Religiösen, nämlich die penible Umsetzung unreflektierter Dogmen symbolisiert, ist er auf der Suche. Abraham, der paradoxerweise durch die Opfergeschichte das Symbol des bedingungslosen Gottvertrauens darstellt, fällt zu Beginn seiner Geschichte durch seine rigorose Religionskritik auf. Selbst nach der Offenbarung hinterfragt er in diesem symbolträchtigen Dialog die Verheißung Gottes über die Auferstehung:

„Und als Abraham sprach: ‚Mein Herr, zeige mir, wie du die Toten lebendig machst!‘, sprach Er: ‚Glaubst du etwa noch nicht?‘ Er sagte: ‚Doch! Aber ich möchte in meinem Herzen ganz sicher sein.‘ …“2

Der Zustand des zufriedenen Herzens wird im Islam als „Iman“ bezeichnet und meint die endgültige Entdeckung Gottes, die lediglich durch eine aufrichtige Suche erreicht werden kann. Auf dieser Suche, die den Weg der Propheten darstellt, manifestiert sich die Existenz des transzendenten Gottes in Zeichen, die kognitiv erfasst und durch Metaphern beschrieben werden.

Im vorliegenden Buch wird Eva de Vitray-Meyerovitch diejenigen auf eine ergreifende Reise führen, die ebenfalls auf einer solchen Suche sind und die primitive Anmaßung, das Geheimnis des Universums gelöst zu haben, ablehnen.

Eva de Vitray-Meyerovitch wuchs in einer aristokratisch-katholischen Familie auf und beschäftigte sich stets mit der Frage nach Gott. In diesem Interview erzählt sie ihre fesselnde Lebensgeschichte und beschreibt ihre atemberaubende Suche nach dem Absoluten. Sie scheint es ausgerechnet in einer Religion entdeckt zu haben, die heutzutage nahezu selbstverständlich mit Terrorismus und Rückwärtsgewandtheit assoziiert wird.

Eva de Vitray-Meyerovitch ist - im Gegensatz zu Annemarie Schimmel - eine in Deutschland weitgehend unbekannte Wissenschaftlerin, die unter anderem an der Azhar-Universität als Lehrende tätig war. Sie war darüber hinaus Übersetzerin und Schriftstellerin, die zahlreiche Bücher und Artikel veröffentlichte und in vielen Ländern der islamischen Welt als Referentin tätig war.

Die Leserinnen und Leser lernen in diesem Buch eine faszinierende Persönlichkeit kennen. Sie bekommen ausnahmsweise die Gelegenheit, den Islam, dessen Quellen bis auf wenige Ausnahmen von Männern gesammelt, überliefert, verschriftlicht und interpretiert worden sind, aus dem Blickwinkel einer außergewöhnlichen Wissenschaftlerin zu entdecken. Einerseits beantwortet Eva de Vitray-Meyerovitch die meistgestellten Fragen über den Islam und beschreibt andererseits ihre persönlichen Erfahrungen, welche sie wie folgt resümiert:

„Außerhalb der Einheit Gottes leben wir in einer Illusion.“

Emre Türk

1 Lukas 6, 5. Die Bibel - Einheitsübersetzung Altes und Neues Testament, Herder Verlag, 1980 Stuttgart.

2 Max Henning/Murad Hofmann: Der Koran, das heilige Buch des Islam, Diederichs Verlag, 1999 München, S. 58, 2/260.

Geleitwort der Interviewer

 

Geleitwort der Interviewer

Um mit dem Gespräch zu beginnen, das dieses Buch beinhaltet, betraten wir ihr Arbeitszimmer. Unsere Blicke fielen auf ein auffällig dickes Buch, das mitten auf dem Schreibtisch lag. Es war eines der Bücher, dessen Umschlag man lange streicheln möchte, bevor man sich in den Inhalt vertieft.

„Das haben sie mir heute Morgen gebracht“, sagte sie. In ihrem Tonfall schwang ein gewisser Stolz auf dieses Buch mit.

Natürlich konnte sie stolz sein. Eva de Vitray-Meyerovitch hatte 10 Jahre lang ihre ganze Energie und ihr Talent diesem Werk gewidmet: Das Masnawi von Mevlana Dschalaluddin Rumi. 50.000 einzigartig schöne Verse, die noch nie zuvor in die französische Sprache übersetzt worden waren. Ein endloses Liebeslied. Eine Herzensbeziehung, die einer der größten Mystiker der Menschheit zu seinem Schöpfer aufgebaut hat. Es ist mehr als ein Buch, vergleichbar mit einer Startbahn für den Flug. Rumi selbst sagt uns:

„Ich habe das Masnawi nicht geschrieben, damit die Menschen es mit sich herumschleppen und es ständig wiederholen. Sie sollen dieses Buch unter ihre Füße legen und mit ihm fortfliegen.“

Es war vor einigen Jahren, als würde ein Spiel des Zufalls uns zu Eva de Vitray-Meyerovitch führen. Bei dieser sehr schönen Begegnung sahen Rachel und ich den Segen Gottes. Wir begegneten ihr im Haus von Scheich Ben Tounes. Zu der Zeit hatten wir „Les Prophètes d´aujourd´hui“/„Die Propheten von heute“ geschrieben. Diese Begegnung brachte uns auf die Idee, ihre Werke zu studieren. Jene Werke inspirierten uns dazu, die Schätze der islamisch-mystischen Literatur zu erforschen. Für uns ist diese Entdeckung auch heute noch eine der Quellen des Glücks.

Als wir „Femmes de lumière/Frauen des Lichts“ geschrieben hatten, waren wir natürlich daran interessiert, Eva de Vitray-Meyerovitch über ihre Meinung zum Thema unseres Buches zu befragen. Selbstverständlich hat das Gespräch mit ihr unser Interesse und unseren Hunger auf dieses Thema intensiviert. Während dieser Zeit stellten wir bei dieser gebildeten Frau eine große Seele, einen enormen Forschergeist und eine innige Liebe zu muslimischen Mystikern – und natürlich zu ihrem geliebten Rumi – fest, sodass der Wunsch, dieses Buch zu schreiben, übergroß wurde.

Der Golfkrieg stand kurz vor der militärischen Auseinandersetzung. Die Stimmung war von Angst und Kummer bedrückt. Einige Menschen hegten eine seltsame Begeisterung für den Krieg. Da Rachel und ich in unserer Umgebung ein wachsendes Misstrauen und eine aufsteigende Hasswelle gegen den Islam verspürten, wussten wir in dieser Phase nicht, was wir machen und sagen sollten. Die angespannte Phase, die wir miterlebten, war gut geeignet für primitive Vereinfachungen und zweifelhafte Vermischungen. Es kam sogar vor, dass wir in Häusern unserer Freunde Meinungen hörten, die uns vor Angst erstarren ließen – Meinungen, wie:

„Ihr seid doch sehr naiv. In Eurem zuletzt veröffentlichten Buch habt Ihr Menschen zu Wort kommen lassen, die den Islam als eine tolerante und mystische Religion dargestellt haben. Wacht endlich auf! Der wahre Islam ist der Islam, den Ihr nicht sehen wollt. Es ist der Islam der Mullahs, der Islam von Saddam Hussein. Er ist die Religion des Hasses und des Heiligen Krieges. Wir dürfen nicht zulassen, dass er uns zerfleischt. Er ist eine Bedrohung, die die Ansicht vertritt, dass man gegen uns kämpfen müsse.“

Je mehr wir uns in diese Krise vertieften, desto unverstandener fühlten wir uns. Wenn ich darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass viele Christen dieses Leid zuvor erlebt hatten. Menschen, die von Jesu Liebesbotschaft begeistert waren, haben die Gräueltaten ihrer Glaubensgeschwister gegenüber Juden mitangesehen. Sie haben miterlebt, wie Abtrünnige verbrannt, Menschen zu Kreuzzügen aufgestachelt und wehrlose Völker im Namen von Jesus versklavt wurden.

Da die großartigen Gedichte von Rumi, Halladsch3 und Muhyiddin Ibn Arabi4 unsere Herzen begeisterten, wussten wir sehr genau, dass der Islam der religiösen Eiferer, nicht der wahre Islam sein konnte. So ist das wahre Christentum weder das Christentum der Inquisitionsrichter von gestern noch das von heutigen Fanatikern. So wie es Carlo Caretto einst äußerte: „Die Theologie polarisiert, die Mystik vereint die Gläubigen aller Religionen.“

Wenn eine bestimmte Stufe des Seins erreicht ist, machen alle Gläubigen die gleiche Erfahrung.

Die Momente der Begegnung mit Eva de Vitray-Meyerovitch waren für uns sehr wertvoll. Als Christen, die sich in ihrer Tradition wohlfühlen, war es ein Glück, bei dieser außergewöhnlichen Dame jenem Islam zu begegnen, den wir schätzen: Den Islam der Mystiker, der Barmherzigkeit und der Zuneigung.

Die Interviewer: Rachel und Jean-Pierre Cartier

3 Mansur al-Halladsch war einer der bekanntesten persischen Mystiker. Er wurde wegen seiner „ketzerischen“ Aussprüche hingerichtet. Geboren 857 im Iran, gestorben 922 in Bagdad. (Anm. d. Übers.)

4 Einer der bekanntesten andalusischen Philosophen und Mystiker in der islamischen Welt. Wird als „asch-schaich al-akbar“ („der größte Meister“) bezeichnet. Geboren 1165 in Murcia, gestorben 1240 in Damaskus. (Anm. d. Übers.)

Teil I

Quälende Zweifel

 

I - Quälende Zweifel

Eva de Vitray-Meyerovitch, wenn Sie es uns erlauben, möchte ich Ihnen die Frage stellen, die uns als erste in den Sinn kommt: Wie konnte eine junge Dame, die in die französische Aristokratie hineingeboren und vonNonnen erzogen wurde, zum Islam konvertieren?

Ich bin nicht die Einzige, die diese Reise gemacht hat. Ich habe eine Menge Freundinnen und Freunde, die in der streng katholischen Tradition groß geworden sind und sich schließlich in den Islam verliebt haben. Deswegen ist mein Weg, den ich hinter mir habe, nicht so außergewöhnlich, wie Sie vermuten. Ich glaube, eine meiner Großmütter hat mich sehr geprägt. Sie hatte einen schottischen Hintergrund und gehörte der anglikanischen Kirche an. Um meinen Großvater zu heiraten, trat sie zum Katholizismus über. Sie sagte immer, dass eine Konvertierung von der High Church5 zum Katholizismus, lediglich die für sie irrelevante Bedeutung hatte, den Papst anerkennen zu müssen.

Hat sie die Konfession gewechselt, um zu heiraten?

Mein Opa wollte trotz allem in der Kirche heiraten. Am meisten beeindruckte mich an meiner Großmutter ihre Ehrlichkeit. Sie hatte die Eigenschaft, ihren Prinzipien stets treu zu bleiben, was mich auch an anderen Menschen fasziniert. Sie hatte jederzeit die Absicht, andere nicht zu belügen oder zu täuschen. Für sie war selbst eine winzige Notlüge eine schwerwiegende Sache. Das hat mich sehr beeindruckt.

Meine Kindheit war streng katholisch geprägt. Im Marienmonat ging ich in die Kirchen. Ich hatte meine erste Kommunion. Ich kann von mir behaupten, dass ich ein sehr religiöses Mädchen war. Dass man auch anders sein könnte, hätte ich mir gar nicht vorstellen können.

Sind Sie unter Nonnen groß geworden?

Teilweise. Das waren – nach dem Gesetz über religiöse Orden aus dem Jahre 1905 – vom Laizismus geprägte Nonnen. Sie waren ziemlich nervig, muss ich sagen.

In Paris?

Zunächst in Boulogne, in einem Internat für Mädchen aus der Oberschicht. Danach hat meine Mutter erneut geheiratet und ist nach Paris gezogen. Somit habe ich meine Bildung in einem Collège, das sich in der Nähe von Notre Dame befand, fortgeführt. Hier waren Mädchen aus guten Elternhäusern, das Umfeld war sehr traditionell.

Haben Sie darunter gelitten?

Eigentlich nicht. Es störte mich tatsächlich nicht, da für mich die Religion über die Muster des Traditionalismus, in die sie uns einsperren wollten, hinausreichte. Zum Gottesdienst gingen wir in die Kirche, und auf dem Rückweg kauften wir Kuchen in einer Konditorei. Solche und andere Dinge.

Ich war allerdings in einer anderen Verfassung. Als ich 18 Jahre alt war, wollte ich eine Karmeliternonne werden. Wenn ich heute darüber nachdenke, muss ich sagen, dass ich wohl eine ziemlich schlechte Nonne geworden wäre. Ich habe zunächst meine Bildung fortgeführt. Nachdem ich auf dem Gymnasium die Fächer Griechisch und Latein abgeschlossen hatte, beendete ich die Schule und studierte daraufhin Jura. Anschließend habe ich mit meiner Promotion in Philosophie begonnen. Ich glaube, ich bin ein wenig zu schnell.

Waren Sie auch an der Universität ein streng katholisches Mädchen?

Nein, weil der Katholizismus, der mir beigebracht wurde, mir viele Probleme bereitete.

In welchen Jahren war das schätzungsweise?

Zwischen 1925 und 1930. Ich litt unter dem Traditionalismus, der mich umgab. Wenn ich meine Probleme den Nonnen offenbarte, sagten diese, dass ich mich von Zweifel fernhalten und zu Gott beten solle, damit dieser mich von meinen Unsicherheiten befreie. Ehrlich gesagt, gaben sie mir nicht eine einzige zufriedenstellende Antwort. Da der Wunsch, mich selbst und andere nicht zu betrügen und zu belügen, hinzukam, störte mich deren autoritäre Haltungsweise umso mehr. Es war nicht möglich, die Dinge, die mich störten, zu ignorieren. Ich bekam das Gefühl, nicht von Herzen an meiner Religion zu hängen. Als ich mit 18 mein Philosophiestudium begann, wurde meine Unruhe immer unerträglicher. Ich dachte, dass ich all die Dinge, die mich massiv störten, verdrängen müsse, um das Bedürfnis nach spiritueller Erfahrung zu stillen. Doch dies war ebenfalls nicht rein und aufrichtig. Es ähnelte einem Geschlechtsverkehr ohne Liebe.

Was war es, was Sie verdrängten?

Alle Prinzipien und Dogmen des Katholizismus. Immerhin hatte ich eine gute Bildung über Geschichte genossen, sodass ich die Entscheidungen der Konzile über Glaubensfragen kannte. Beispielsweise stammen die heutigen Fassungen der Evangelien aus dem 4. Jahrhundert. Außerdem sind diese Fassungen Übersetzungen von Übersetzungen. Ferner waren meine Kenntnisse in Altgriechisch so gut, dass ich wusste, dass es zwischen einem hellenistischen und einem semitischen Ausdruck große Unterschiede geben konnte.

Was für einen Unterschied?

Zum Beispiel die äußerst wichtige Bezeichnung „Sohn Gottes“. Wenn dieser Ausdruck im Altgriechischen benutzt wird, wird der Begriff „Sohn“ wörtlich genommen und tatsächlich als Sohn/Kind verstanden, obwohl dieser Ausdruck in Jesaja die Bedeutung „Diener“ oder „Knecht“ hat. Das ist auf keinen Fall das Gleiche. Das hatte etwas extrem Schwammiges, was dann aber durch Erklärungen des Konzils gefestigt wurde, die zu akzeptieren ich mich schwertat. Innerhalb der katholischen Gemeinde zu bleiben hätte, wie ich Ihnen vorhin bereits sagte, bedeutet, dass ich das alles hätte ignorieren müssen. Das hätte ich wirklich nicht machen können. Es ist nicht lange her, da lernte ich einen sympathischen jungen Priester kennen. Dieser machte mir gegenüber folgende, seltsame Aussage:

„Ich betrachte mich als einen guten Christen, aber wenn ich die Eucharistie durchführe, glaube ich nicht daran, dass das Brot und der Wein zu Jesu Fleisch und Blut werden.“

Wäre ich dieser Priester, würde ich lieber aus dem Fenster springen und sterben, als die Eucharistie durchzuführen, ohne daran zu glauben, dass das Brot und der Wein zu Jesu Fleisch und Blut werden.

Kann man sagen, dass Dogmen Sie beunruhigen?

Ja, das kann man so sagen. Ich konnte die autoritäre Haltung der Kirche bei diesem Thema nur schwer ertragen und stellte mir solche Fragen, wie: „Mit welchem Recht kann die Kirche, ich glaube, das war 1943, das Dogma der Mariä Himmelfahrt verkünden?“ Meiner Meinung nach hat die Kirche das Recht, Werte vorzuschreiben, nicht aber historische Ereignisse. Hier ein Beispiel für einen Irrtum der Kirche: Sie hat sich geirrt, als sie Galileo verurteilte; sie hat sich aber auch geirrt, als sie ihm sein Ansehen wiedergab. All diese Sachen störten mich zunehmend, und ich sagte immer öfter zu mir: „Wenn ich Katholikin bleibe, mache ich das nur, um sonntags früh zur Messe zu gehen. Das ist jedoch Heuchelei und ein unmoralisches Verhalten.“

Aber gleichzeitig erlebten Sie einen spirituellen Zustand, wenn Sie an der Messe teilnahmen, oder?

Es ist schwierig, mich an meine Gefühle von damals zu erinnern, aber ich fürchte, ich war ein wenig emotional. Ich weiß nicht, ob ich dabei wirklich aufrichtig war. Aber ich kann sagen, dass ich mich nach einem spirituellen Leben sehnte.

Sie waren ein junges Mädchen, das sich viele Fragen stellte.

Damit habe ich immer noch nicht aufgehört.

Hatten Sie einen Priester, bei dem Sie beichteten?

Es gab keinen bestimmten. Ich ging jedes Mal in eine beliebige Kirche. Ich war traurig über die ganzen Einschränkungen des Verstandes und über viele andere Dinge, über die ich hier nicht reden kann. Selbst heute noch. Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit,

mich mit einem bedeutenden Theologen zu unterhalten. Sie werden mir sagen, dass meine Zweifel als junges Mädchen nun 50 Jahre zurückliegen und mittlerweile das Zweite Vatikanische Konzil stattgefunden hat. Dennoch war ich starr vor Staunen, als dieser Priester auf eine meiner Fragen antwortete:

„Wer glaubt denn heutzutage wirklich an Fegefeuer, Hölle oder Erbsünde? Meiner Ansicht nach wurden diese von Theologen erfunden, um die Defizite der menschlichen Natur zu erklären.“

Über diesen beliebten Mann, der von seiner Kirche nie kritisiert worden war, dachte ich: „Was bleibt denn übrig, wenn dieser Priester dies alles aussiebt? Er sortiert alles, was ihn stört, einfach aus.“

Ich konnte mich nicht so einfach von den Dingen, die mich beunruhigten, lösen.

Hätten Sie das als intellektuelle Heuchelei angesehen?

Vielleicht nicht, aber ich hätte ganz bestimmt das Gefühl, nur etwas vorzugeben. Unter diesen Voraussetzungen an der Messe teilzunehmen, wäre nicht schön. Deswegen habe ich mich entschieden, alles aufzugeben. Ich habe meine Beziehung komplett beendet.

Dennoch blieb der Wunsch nach einem religiösen Leben tief in Ihrer Seele.

Ja. Wahrscheinlich deswegen habe ich die Mystiker gelesen, um meinen Hunger ein wenig zu stillen. Ich habe ein bisschen Sanskrit gelernt und die indische Philosophie gründlich erforscht. Doch sie hat mich ebenfalls nicht erfüllt. Aber immerhin habe ich ein wenig Freiheit verspürt, weil es keine Priesterklasse gab. Es gab keine Hierarchie, die behauptete, außerhalb der Kirche gäbe es kein Heil. Also blieb ich hartnäckig; ich habe mich in mein Hauptwerk Bhagavad Gita vertieft. Ich habe auch den Buddhismus erforscht, doch all diese Lehren waren mir ein wenig fern. Meiner Ansicht nach gingen diese Lehren nicht über die Theorie hinaus. Wegen der universalen Barmherzigkeit, der Tierliebe und dem Fehlen von Dogmen habe ich den Buddhismus bewundert. Auch wenn ich ein wenig Sanskrit konnte, verstand ich weder Pali noch die tibetische Sprache. Um diese Themen genau studieren zu können, hätte ich mich von ihren Gelehrten in Tibet unterrichten lassen müssen. Dies war zu der damaligen Zeit unmöglich.

Vielleicht war das ja auch gar nicht Ihre Berufung?

Auf jeden Fall war es nicht mein Schicksal. Ich habe eine außergewöhnliche Freundin, die Buddhistin ist. Sie hat in Nepal gelebt und ist nach Tibet gereist, wo sie sehr bedeutende tibetische Meister kennengelernt hat. Dies war für mich enorm schwer, weil ich vor dem Zweiten Weltkrieg mit gerade mal 22 Jahren geheiratet hatte. Mein gleichaltriger Mann und ich waren beide Studenten. Wir liebten es zu studieren. Mein Mann arbeitete an seinem Ingenieursdiplom, und ich an meiner Doktorarbeit zum Thema „Symbole bei Platon.“ Um eine Unterscheidung zwischen einer gewöhnlichen Betrachtung von Symbolen und einer pathologischen Vorstellung von ihnen treffen zu können, habe ich drei Jahre Psychiatrie studiert. Obwohl es ein schönes Thema war, habe ich die Arbeit schließlich abgebrochen, um mich mit der islamischen Philosophie zu beschäftigen.

Wir werden später auf dieses Thema zurückkommen, aber uns fällt auf, dass Sie als Schülerin immer eine harte Nuss waren. Als ob Sie geboren wurden, um ewig zu studieren.

Ich liebe die Recherche und das Erforschen. Das beste Geschenk,

das eine Fee einem Kind machen kann, ist, die Neugier in ihm zu entfachen. Selbst im Seniorenalter interessiert mich alles. Ich glaube, das Greisenalter ist erreicht, wenn man sich sagt: „Ich werde nie Chinesisch oder Kernphysik erlernen.“ Selbst die Handwerkslehre interessiert mich. Sogar die Berufe „Töpfer“ oder „Möbelfabrikant“ würde ich erlernen wollen.

Sie werden aber nicht noch Kernphysik studieren, oder?

Selbstverständlich nicht! Ich war immer unfähig, selbst einfache Gleichungen zu lösen! Ich erzähle das alles, um Ihnen zu sagen, dass man erst dann wirklich anfängt, alt zu werden, wenn man die Neugier verliert. Ich bin immer noch sehr neugierig. Auch wenn ich keine Physikerin bin, habe ich namhafte Physiker kennengelernt. Vor dem Zweiten Weltkrieg habe ich als Administratorin im Labor des Physikers Frédéric Joliot-Curie gearbeitet. Für seine Entdeckungen zur künstlichen Radioaktivität bekam er zusammen mit seiner Frau Irène im Jahre 1935 den Nobelpreis.

Obwohl Sie damals keine Wissenschaftlerin waren?

Nein, absolut nicht. Joliot scherzte mit mir und sagte: „Ach, ihr armen Literaten! Ich kann Shakespeare genauso gut lesen wie ihr, aber ihr könnt die Differentialrechnung nicht verstehen.“ Ich nickte und sagte: „Das ist wahr.“

Wir waren sehr gute Freunde. Er und seine Frau waren großartige Menschen. Sie unterrichteten im Collège de France, das in der Nähe meiner Wohnung war. Damals wohnte ich auch hier, in dieser Wohnung. Hier konnte ich unterkommen, meine Bücher waren immer hier. Seinerzeit beschäftigte sich Frédéric Joliot mit der Atombombe. Ich kann mich daran erinnern, dass er vom Verteidigungsminister eine Zone in der Sahara verlangte, um dort Experimente durchzuführen. Aber der Minister wimmelte ihn immer wieder ab. Am 11. Mai 1940 rief er mich hier an und sagte:

„Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll. Die Deutschen stehen vor den Toren von Paris. Nehmen Sie Ihren Sohn, Ihr Geld und, falls Sie welche besitzen, Ihre Juwelen, und kommen Sie sofort. Ein Auto wird uns zu einer Örtlichkeit außerhalb von Paris bringen.“

In diesem Auto befand sich eine Flasche mit schwerem Wasser, das zu der Zeit einzigartig war. Später habe ich erfahren, dass er den Auftrag hatte, eher Suizid zu begehen, als zu verraten, was sich in dieser Flasche befand. Mich hätten sie ruhig fragen können, ich hatte keine Ahnung. Das Auto brachte mich in die Stadt Loiret, in die Wohnung meiner Jugendfreundin, die später die Schwiegermutter meines älteren Sohnes werden sollte.

5 High Church ist eine Richtung der englischen Staatskirche, die eine Vertiefung der liturgischen Formen anstrebt. (A. d. Hrsg.)

Teil II

Der Zweite Weltkrieg

 

II - Der Zweite Weltkrieg

Sie sind mitten im Krieg mit einem Säugling in den Armen geflüchtet? War Ihr Mann an der Front?

Als der Krieg erklärt wurde, leistete er gerade seinen Militärdienst. Nach der Niederlage schloss er sich den freien französischen Einheiten an. Ich hörte vier Jahre lang nichts von ihm. Joliot war nun in Amerika, und somit hatte ich in Paris keine Beschäftigung mehr. Deswegen habe ich eigenständig mit meinem Baby in Corrèze gelebt. Corrèze ist ein Ort in der Nähe von Brive. Während des ganzen Krieges habe ich mich dort aufgehalten. Dabei habe ich die Division gesehen, die die Bevölkerung in Oradour ermordete.

Zu Beginn des Krieges, mitten in der Nacht, klopfte die Gestapo an meine Haustür. Sie suchten meinen Mann, weil er nach dem Waffenstillstand eine kurze Zeit in Brive verweilt hatte und von dort aus zunächst nach Spanien und danach nach London ausgereist war. Vermutlich kamen die Deutschen durch eine Essensmarke auf seine Spur.

Die Menschen fragen mich oft, ob ich an Wunder glaube. Und wie! Ja, ich glaube an Wunder, denn in dieser Nacht habe ich leibhaftig eines erlebt. Als die Gestapo kam, war es drei Uhr morgens. Die großzügigen Menschen, bei denen ich wohnte, waren auf einer Hochzeit. Ich war mit meinem dreijährigen Sohn ganz auf mich allein gestellt.

Als ich die Tür öffnete, sah ich mich einem Mann gegenüber, der wie Frankenstein aussah. Nicht, dass er fies ausgesehen hätte, schlimmer noch. Er trug die Uniform mit dem Totenkopf und sah aus, wie aus dem Ei gepellt. Seine Augen waren so ausdruckslos wie die eines Drogensüchtigen. Bei mir hinterließ er den Eindruck, dass er dem Befehl, seine Mutter in Stücke zu zerreißen, mit den Worten „Heil Hitler“ sofort nachkommen würde. Sein Kamerad war ein Soldat der Wehrmacht, dem es offensichtlich unangenehm war, jemanden wie ihn bei sich zu haben.

Sie fragten mich, wo mein Mann sich befinden würde. In diesem Moment war es, als ob meine Persönlichkeit sich spaltete. Ein Teil von mir hatte fürchterliche Angst. Innerlich fragte ich mich:

„Was passiert, wenn sie mich mitnehmen, um mich zu foltern? Vielleicht würde ich die Namen der Widerstandskämpfer preisgeben. Man kann nie wissen, wie ein Mensch, der gefoltert wird, reagiert. Was ist, wenn sie mich ins Exil schicken, mein Kind stirbt und mein Mann niemanden mehr antrifft, wenn er zurückkehrt?“

Einerseits war ich erschrocken, aber der andere Teil in mir, also die zweite Persönlichkeit, hörte gleichzeitig mit an, wie ich plötzlich Berliner Jargon sprach, den ich überhaupt nicht beherrschte. Ich kann mich erinnern, dass ich sagte: „Vermutlich ist mein Mann mit irgendeiner Schlampe abgehauen, mir doch egal, interessiert mich nicht!“

Konnten Sie denn Deutsch?

Ein wenig, aber eher die Sprache von Kant und Hegel. Die Sprache eines einfachen Berliners konnte ich kein bisschen. Erstaunt hörte mein anderes Ich meinen Worten zu. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen meinem Mann gegenüber. In diesem Augenblick erkannte ich in dem gefühllosen Gesicht des deutschen Offiziers ein kleines menschliches Licht. Er sagte, dass ich gut Deutsch sprechen könne. „Natürlich!“, rief ich. Er verpasste seinem Kameraden einen Stoß mit dem Ellenbogen und sagte zu ihm:

„Sie macht Scherze, sie hat nichts zu verbergen.“

Daraufhin sind sie gegangen, und ich war völlig außer Atem. Ich begann so heftig zu zittern, dass ich eine sehr wertvolle Zigarettenschachtel zerquetschte, obwohl ich diese gegen ein Päckchen Brot eingetauscht hatte. Ich habe nie verstanden, was in jenem Augenblick mit mir passiert war. Deswegen glaube ich an Wunder.

Sie haben also danach nie wieder Berliner Jargon gesprochen?

Nie. Selbst heute weiß ich nicht, wie man „Schlampe“ sagt.

In Corrèze waren sehr viele Widerstandskämpfer. Hatten Sie keinen Kontakt zu ihnen?