Im Auge der Leere - Melanie Vogltanz - E-Book

Im Auge der Leere E-Book

Melanie Vogltanz

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Beschreibung

Mehr als 3.000 Sternensysteme werden von Menschen besiedelt. Auf hunderten bekannten Welten existiert nichtmenschliches Leben. Doch nur ein Wesen behauptet, aus dem unzugänglichen Teil der Galaxis zu stammen – mitten aus dem Auge der Leere: Void. Void ist ein Individuum mit verborgenen Talenten und speziellen Bedürfnissen, sowohl was seinen Lebensstil als auch seinen Metabolismus angeht. Das ist aber nur einer der Gründe, warum er sich in einem intergalaktischen Hochsicherheitsgefängnis befindet. Als Aelianus, das inoffizielle Oberhaupt der Organisation Oculus, von einer Bedrohung galaktischen Ausmaßes erfährt, erkennt er, dass nur eine ganz spezielle Fähigkeit das Schlimmste verhindern kann. Doch dies bedeutet, mit dem gefährlichsten Verbrecher der Galaxis gemeinsame Sache zu machen.

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Stefan Cernohuby und Melanie Vogltanz

Im Auge der Leere

Space Opera

Prolog

Es war äußerst selten, dass alle zwölf Oberhäupter von Oculus zusammenkamen, um sich gemeinsam zu beraten. Wenig war so wichtig, dass es den Aufwand lohnte, elf Territorialkoordinatoren aus der Peripherie auf die Erde zu holen, welche dieser Tage kaum mehr war als ein Naturschutzreservat für aussterbende Arten.

Halblaute Gespräche wurden geführt, während alle am runden Tisch Platz nahmen. An einem Tisch, an dem zumindest theoretisch alle gleichberechtigt waren.

Stille kehrte ein, als Aelianus die Hände hob.

»Danke, dass ihr alle den weiten Weg auf euch genommen habt. Ich hätte euch das gerne erspart. Aber die vorliegenden Informationen sind zu sicherheitskritisch, als dass ich sie euch auf anderem Weg hätte mitteilen können.«

»Es gibt genau zwei Gründe, die dieses Treffen rechtfertigen würden. Einer ist, dass jemand von uns das Ende seines Lebens erreicht hat.« Laurence Gardiner, der im Sternensystem Kepler-62 lebte, einem der ersten besiedelten Sternensysteme der Galaxie, hob theatralisch die Arme. »Ich sehe aber, wir sind noch zu zwölft. Der einzig andere Grund ist, dass wir uns im Krieg befinden. Davon ist mir aber nichts zu Ohren gekommen.«

Ein leises, amüsiertes Murmeln war zu hören.

»Das liegt daran, mein lieber Laurence, dass du nicht weißt, wem du zuhören musst.« Aelianus lächelte traurig. »Tatsächlich befinden wir uns unmittelbar vor dem Ausbruch eines Kriegs, welcher die gesamte Galaxie destabilisieren könnte. Ihr seid alle hier, um unser weiteres Vorgehen abzustimmen.«

Sara Mondelēz, die älteste anwesende Territorialkoordinatorin, ergriff das Wort. »Bei allem Respekt, Aelianus, wir alle haben unsere Quellen, unsere Geheimdienste. Was für ein Ereignis ist eingetreten, das wir alle übersehen haben?«

»Einer meiner Agenten hat seinen Statusbericht nicht abgeliefert.«

Zuerst herrschte ungläubiges Schweigen, dann begannen alle durcheinanderzureden.

»Das ist ein Scherz, oder?«

»Weil sich ein Agent verspätet, habe ich jetzt die Graduierung meiner Tochter verpasst?«

»Ich war gerade in heiklen diplomatischen Verhandlungen mit dem Magistrat Avior. Ohne mich könnte die Situation eskalieren.«

Wieder hob Aelianus die Hände, doch das genügte diesmal nicht. »Ruhe, bitte«, fügte er hinzu. »Ich werde euch alles erklären.« Er erhob sich, und auf eine Geste seiner Rechten hin erschien eine dreidimensionale Darstellung eines Raumsektors. Aelianus gab allen eine Minute, um sich zu orientieren, dann fuhr er fort. »Mit Sicherheit kennen alle diese Raumregion. Hierbei handelt es sich um das größte unabhängige Reich in diesem Sektor.«

»Natürlich«, beantwortete Laurence Gardiner die Frage für alle Anwesenden. »Das ist das Reich der Technokraten. Wir haben auf einer Strecke von etwa 120 Lichtjahren und zehn Sternensystemen eine Grenze mit ihnen. Sie sind ein wichtiger Handelspartner und vor allem sind sie völlig harmlos.«

»Ja, das einzig Seltsame an ihnen ist ihr Glaubenssystem«, fügte Sara Mondelēz hinzu. »Ihre Kultur verlangt von ihnen, nach Ablauf einer Zeitspanne, die etwa drei Generationen der technokratischen Lebenserwartung entspricht, wieder von vorne zu beginnen.«

Aelianus nickte. »Und genau das ist das Problem. Wir haben die Information zugespielt bekommen, dass die Technokratie eine neue technische Lösung entwickelt hat, um ihr Credo umzusetzen. Und diesmal wollen sie nicht nur ihre eigene Kultur auf null zurücksetzen. Ich habe meine beste Agentin darauf angesetzt.«

»Peacemaker7?«, fragte Giuliano Laurentia von Spica-3. Es war die erste Frage, die er stellte.

»Beinahe. Ihr Codename war Peacekeeper7. Ihr richtiger Name lautete Stealth.«

»Wieso verwendest du die Vergangenheitsform?«

»Vor zwei Wochen hätte ihr Abschlussbericht eintreffen sollen. Und ihr sollt eines wissen, diese Frau war über zwölf Jahre für mich tätig. Unter gar keinen Umständen hätte sie ihren Bericht nicht abgeliefert. Sie hat sogar ein Sicherheitsnetz eingerichtet, das ihre Nachricht selbst im Fall ihres Todes übermittelt hätte.«

»Wir können also davon ausgehen, dass die Spezialagentin auf irreversible Art und Weise unschädlich gemacht wurde. Müssen wir befürchten, dass sie nicht nur enttarnt wurde, sondern auch ihre Spur zu uns zurückverfolgt werden kann?«

»Diese Frage stellt sich nicht, zumindest nicht auf technischer oder persönlicher Ebene. Niemand könnte ohne die richtigen Entschlüsselungsalgorithmen die Daten auslesen, die Stealth in ihrem Kopf hatte. Und niemand hätte sie gegen ihren Willen dazu gebracht, irgendwelche Informationen weiterzugeben.« Aelianus konnte seinen Unmut nicht verhehlen. »Dennoch werden die Technokraten in der Lage sein, eins und eins zusammenzuzählen – und das nicht nur binär. Zumal die Sicherheitsvorkehrungen bei diesem Projekt höher waren als bei jedem anderen, das je bei einem ihrer Institute in Auftrag gegeben wurde.«

»Wie lange hat es gedauert, bis Stealth sich in dieses Projekt einschleusen konnte?«, fragte Sara Mondelēz.

»Insgesamt hat sie beinahe drei Jahre investiert. Sie hat mir Zwischenberichte geschickt. Allerdings wollte sie nicht riskieren, kurz vor dem Ziel enttarnt zu werden. Insofern verliert sich ihre Spur in etwa hier.«

Aelianus vergrößerte einen Bereich der Technokratie, der sich im äußersten Spiralarm der Galaxis befand.

»Dort draußen?« Laurence Gardiner stöhnte. »Wie wundervoll. Arbeit am Rande des Nichts. Wie viele Systeme kommen infrage?«

»Etwa siebzehn«, gab Aelianus zurück. »Doch selbst wenn wir wüssten, auf welchem Planeten in welchem System das Projekt vollendet wurde, fehlt uns das notwendige Fachpersonal, um die Organisation der Technokraten zeitnah zu infiltrieren.«

Einen Moment herrschte Stille.

»Heißt das, es gibt niemanden mehr, der diese Aufgabe übernehmen könnte?«

»Doch«, widersprach Aelianus. »Es gibt jemanden, der dieser Herausforderung auch unter hohem Zeitdruck gewachsen wäre. Aber es ist niemand aus unserer Organisation. Das ist der zweite Grund, warum ihr alle hier seid. Denn diesen Schritt werde ich nicht ohne Zustimmung unternehmen.« Der Erste unter Gleichen erhob sich. »Ich möchte vorab Folgendes zu bedenken geben. Bei der entwickelten Technologie handelt es sich potenziell um eine Waffe, die in der Lage ist, jegliches Leben und alle technischen Einrichtungen auf einem Planeten zu vernichten. Nur deshalb bin ich bereit, einen derartigen Vorschlag zu machen.«

Die Karte der Randregion der Technokratie verschwand und machte dem Bild eines Gesichts sowie Zahlen, Daten und Fakten Platz.

Es dauerte einige Sekunden, bis alle den Text gelesen hatten, denn das Gesicht war allen unbekannt. Doch dann gab es kein Halten mehr.

Jeder Einzelne der Anwesenden sprang von seinem Platz auf, um lautstark zu protestieren.

»Das ist Wahnsinn.«

»Wir können nicht Feuer mit Feuer bekämpfen.«

»Die Allianz Freier Planeten wird das niemals freigeben.«

»Es muss eine bessere Lösung geben!«

»Dann nennt mir eine bessere Lösung«, erwiderte Aelianus. »Bitte.«

Stille trat ein.

»Ich bin für jeden konstruktiven Vorschlag dankbar. Aber ich hätte euch nicht alle hierher eingeladen, wenn ich nicht schon jede Eventualität bedacht hätte. Ich brauche keine Zustimmung von allen hier Anwesenden, eine Mehrheit würde mir genügen. Dennoch erwarte ich von jedem, der oder die meinen Plan ablehnt, einen Gegenvorschlag. Lasst uns also abstimmen.«

Alle nahmen wieder Platz am runden Tisch, der einer uralten Legende aus der Mythologie der Erde nachempfunden war.

»Wer ist gegen den Plan?«

Aelianus blickte in die Runde. Niemand hob die Hand. Er unterdrückte ein Lächeln. »Dann ist es beschlossen. Gibt es noch Anmerkungen?«

Laurence Gardiner meldete sich zu Wort. Natürlich, wer auch sonst?

»Die Datenkarte zeigt da noch ein Detail, das zu einem Problem werden könnte. Den Aufenthaltsort des Individuums betreffend. Wurde das bedacht?«

Aelianus setzte ein Lächeln auf. »Natürlich. Die Lösung liegt auf der Hand. Das Thema hat allerhöchste Priorität. Das bedeutet, ich werde mich dessen annehmen. Persönlich.«

* * *

»Insasse 387 Strich Delta. Melden Sie sich zur Zählung.«

Lautlos löste Void sich aus den Schatten im hinteren Bereich seiner Zelle. Man hätte ihm auch Licht gegeben, doch Void schätzte das Licht nicht. Es gab an diesem Ort nichts für ihn, das zu sehen wert gewesen wäre.

Wortlos trat er an das bläulich schimmernde Energiefeld heran, dessen unterschwelliges Summen in den vergangenen vierzig Sonnenzyklen zu einem festen Bestandteil seiner Welt geworden war. Er kannte die Frequenz auswendig, konnte das Muster der tanzenden Partikel mit geschlossenen Augen nachmalen. Das Summen war seine einzige Gesellschaft, begleitete ihn bis in seine Träume hinein, erfüllte jeden seiner Gedanken.

Die Wärterin jenseits des Feldes, eine hochgewachsene Humanoide mit sehnigen, definierten Muskeln unter der einfarbigen Uniform, zuckte unwillig zurück, als ihr Blick auf ihn fiel. Die vereinzelten Schuppen inmitten der rosigen Haut ließen eine Herkunft irgendwo bei den Hundsnebeln vermuten, doch sicher konnte man sich da nie sein. Anders als die Humanoiden wusste Void, dass Äußerlichkeiten nichts bedeuteten.

»Insasse, ich schätze diesen Humor nicht!«, fuhr sie ihn an.

Vermutlich rührte ihre Irritation daher, dass Void sich für die heutige Zählung das Gesicht einer ihrer Kolleginnen geliehen hatte, deren DNA er gestohlen hatte, als sie ihren Frust über ihre schlecht bezahlte Stelle mit ihren Fäusten an ihm abreagiert hatte. Nun trug er ihren Regelverstoß zur Schau. Früher hatte er es genossen, die Wachhabenden mit solch banalen Tricks aus der Fassung zu bringen. In den vergangenen zehn Zyklen hatten sie für ihn an Reiz verloren.

Sie alle langweilten Void zu Tode.

»Nehmen Sie augenblicklich eine neutrale Gestalt an, Insasse 387 Strich Delta. Das ist ein Befehl.«

Neutral. Seine eigene Gestalt konnte sie kaum meinen, denn diese hatte noch nie jemand zu Gesicht bekommen, und daran würde sich auch nichts ändern. Eine Gestalt, an der kein fremdes Leben haftete? Das war unmöglich. Sicherlich, viele der DNA-Abdrücke, die in seinem Biosystem gespeichert waren, stammten von Wesen, die längst nicht mehr lebten, doch an jedem Körper hing ein Individuum, eine Existenz, eine Welt. Neutral konnte sich also nur auf die eigene beschränkte Sichtweise der Wärterin beziehen – neutral für sie, die sie in ihrer Ignoranz annahm, ein Gesicht, das sie nicht kannte, würde keine Bedeutung in sich tragen.

Void legte den Kopf schräg, als er das Ergebnis seiner Analyse erreichte, die nur wenige Lidschläge in Anspruch genommen hatte. Für einen Moment erwog er ernsthaft, sich dem Befehl der Humanoiden zu widersetzen. Immerhin hätte eine Sanktion seines Ungehorsams Abwechslung in die Eintönigkeit seines Tagesablaufs gebracht. Doch das wäre ein schaler, flüchtiger Triumph gewesen.

Stattdessen entschied Void sich für eine andere Hülle. Ein warmes, nicht unwillkommenes Prickeln lief über das Fleisch, wie eine schwache elektrische Ladung. Der Körper der Wachhabenden machte dem dünnen Leib einer jungen Humanoiden Platz, die er in einem anderen Leben und einem anderen Sternensystem nicht nur um ihren genetischen Fingerabdruck, sondern auch um ihr Fahrzeug und ihre Zugangskarte zum Hochsicherheitstrakt eines Atombeschleunigers gebracht hatte.

Die Wärterin erschauerte sichtbar – fast so, als wäre der Anblick der kunstvoll fließenden Materie abstoßend für sie. »Insasse 387 Strich Delta anwesend«, meldete sie mit Verspätung über ihren Kommunikator. Mit einem unwilligen Hochziehen der Schultern wollte sie sich abwenden.

»Wärterin«, sagte Void.

Die Humanoide erstarrte in der Bewegung. In den vergangenen Zyklen seiner bisherigen Haft hatte er nur zu seltenen Anlässen die Stimme erhoben. Er war eher ein Zuhörer als ein Redner. Wenn er sprach, hatte es meist Bedeutung.

Zögerlich wandte sie sich zu ihm um.

»Dies ist Tag eins des vierzigsten Zyklus seit Antritt meiner Haftstrafe«, informierte Void sie. »Wie an jedem ersten Tag nach Ablauf einer vollen Dekade beantrage ich hiermit eine Neuverhandlung meines Falls.«

Die Wärterin seufzte. Ihre Sprache klang weit formloser als bisher und ihr heimischer Dialekt sickerte durch, als sie erwiderte: »Insasse, wollen Sie das wirklich bis zum bitteren Ende durchziehen? Alle zehn Jahre dieser Aufstand, bis Sie den Geist aufgeben? Sie werden nie Erfolg damit haben! Alles, was Sie erreichen, ist, dass Sie den Behörden ans Bein pinkeln, die schon ohne sinnlose Anträge genug zu tun haben. Man wird Ihre Strafe niemals nach unten korrigieren. Wenn überhaupt, dann bekommen Sie noch was drauf! Ich würde Ihnen auf jeden Fall irgendwann mehr aufbrummen, wenn Sie mir ohne Grund noch mehr Arbeit aufhalsen.«

Ungerührt spulte Void seinen Text ab: »Wie jedes vernunftbegabte Wesen in diesem Sternensystem habe ich Rechte. Diese Rechte gelten für alle Humanoiden und für Spezies, die zumindest über zwei von drei humanoidähnlichen Eigenschaften verfügen, diese da wären: verständliche Sprache, überprüfbarer Intellekt beziehungsweise ausgeprägtes Planungsverhalten sowie Ansätze von Empfindungsfähigkeit. Unter Paragraf acht, Absatz drei der Humanoidrechte ist festgehalten, dass jedes inhaftierte Wesen des Strafanstaltsquadranten Sektionen eins bis zehn, kurz SAQ, zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine Neuverhandlung eines bereits abgeschlossenen Falles beantragen kann. Diesem Antrag muss, unabhängig von der Schwere der zur Last gelegten Vergehen, stattgegeben werden, sollten neue Erkenntnisse das bisherige Urteil infrage stellen, sei es eine Veränderung der Beweislage, neue Zeugenaussagen oder diverse Gründe, die ein neues Licht auf bisherige Annahmen des Gerichts werfen.«

Die Wärterin verdrehte die Augen. »Kein Grund, mich hier zu belehren, Insasse. Ich kann auch lesen! Haben Sie das etwa auswendig gelernt?«

Hatte er. Wieso verwunderte sie das? Dieser Paragraf war schließlich hochrelevant für seine Situation.

»Nur so aus Interesse: Gibt es denn neue Erkenntnisse zu Ihrem Fall?«

»Unerheblich«, erwiderte Void.

»Natürlich.« Sie seufzte. »Unerheblich! Von mir aus. Ich reiche Ihren völlig sinnlosen Antrag an die entsprechende Stelle weiter, Insasse 387 Strich Delta. Sonst noch Wünsche?«

Void trat vom Summen des Kraftfelds zurück. »Löschen Sie das Licht im Trakt, wenn Sie gehen.«

* * *

1

»Es ist mir klar, dass diese Inspektion überraschend ist. Aber das soll so sein. Deshalb heißt das Ganze ja auch Überraschungsinspektion. Ja, ich kann mich in Sie hineinversetzen. Nein, ich fürchte, das ist inakzeptabel.«

Der Mann an der Kommunikationsphalanx lauschte einen Moment. Dann lachte er. »Möglicherweise haben Sie die Situation nicht vollständig erfasst. Wissen Sie, wer diese diplomatische Expedition leitet? Nein, nicht ich. Es ist Oberkoordinator Aelianus selbst … Ja, genau der … Richtig. Ja, das erwartet er. Es ist mir egal, ob die Systemgouverneurin gerade ein Bad nimmt oder die Ehrengarde im Urlaub ist. Wir werden jetzt zu Ihnen kommen. Sie haben elf Stunden, alles vorzubereiten, dann erwarten wir einen zeremoniellen Empfang. Glauben Sie mir, wir sind nicht ohne Grund hier. Bereiten Sie Ihre Gouverneurin darauf vor, dass wir einige sehr unangenehme Themen besprechen müssen, über die weder Oculus noch die Allianz Freier Planeten erfreut ist. Mit vollen Sicherheitsmaßnahmen. Roberts Ende.«

Jake Roberts unterbrach die Verbindung und wandte sich zufrieden um.

»Alles klar, Boss. Jetzt ist Feuer am Dach und all die kleinen Ameisen beginnen zu wuseln.«

»Gute Arbeit.« Aelianus wandte sich an die anderen. »Ich werde für ein Maximum an Aufmerksamkeit und Verwirrung sorgen. Auch die Sicherheitskräfte des Systems werden zu großen Teilen aus der sensiblen Infrastruktur abgezogen, um meine Sicherheit beim Empfang zu gewährleisten. Ihr wisst, was zu tun ist.«

Es war keine Frage, die der Oberkoordinator von Oculus stellte.

»Selbstverständlich«, antwortete Snayper dennoch und tätschelte ihre Waffe beinahe liebevoll. Das Präzisionsgewehr und ihre optischen Implantate ermöglichten ihr, Ziele aus einer Entfernung von mehreren Kilometern auszuschalten.

Muharib sagte gar nichts und nickte nur.

»Na dann los. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«

Ohne weitere Worte begaben sich die beiden zu ihren getarnten Landekapseln.

* * *

Zuerst hatte man sie in ihren getarnten Kapseln abgesetzt, die als Mini-Meteoriten im Strafanstaltsquadranten 2 niedergegangen waren. Das Ganze hatte fünf Stunden gedauert. Vier weitere Stunden hatten sie gebraucht, um das Zielgebiet zu erreichen. Jetzt hieß es, auf den richtigen Augenblick zu warten.

In ferner Vergangenheit hatte eine Gesellschaftskritikerin irgendwann einmal behauptet, ohne Kunst wären Augen nur zwei optische Sensoren und dass man sich damit nicht zufriedengeben sollte. Snayper war diesem Rat gefolgt, aber vermutlich nicht auf die Art, welche die Frau damals im Sinn gehabt hatte. Denn ja, zwei optische Sensoren waren einfach nicht genug. Daher hatte sie sich vier weitere implantieren lassen, die ihr nicht nur einen Rundumblick ermöglichten, sondern gerade in hohen Zoomstufen weit leistungsfähiger waren als ihre Augen. Für eine Scharfschützin war das von Vorteil.

Was Kunst sein sollte, hatte sie bis heute nicht begriffen.

Unwillkürlich kniff sie die Augen zusammen, als sie den Nebenschauplatz näher heranzoomte, obwohl sie ihn mit einem der anderen Sensoren beobachtete. Ein Reflex, den sie nicht in den Griff bekam.

»Snayper, jetzt!«, kam es aus dem implantierten Kommunikator.

Sie schwenkte ihr Gewehr um 42 Grad nach links, zwölf Grad nach unten – Schuss eins.

Fünf Grad rechts, zwei Grad hinauf – Schuss zwei.

Zwei Grad links, ein Grad hinunter – Schuss drei.

Drei Wachleute stürzten beinahe synchron, von den Wuchtgeschossen außer Gefecht gesetzt. Es würden Stunden vergehen, ehe sie sich davon erholten. Mehr als genug Zeit für die anderen, um ihre Mission durchzuführen.

Die nächste Meldung wurde erst in zwei Minuten fällig. Genug Zeit für Muharib, den nächsten Wegpunkt zu erreichen. Und wenn dann der große Bumms kam, würde sie genug zu tun bekommen.

Daher behielt sie das Gelände im Blick.

* * *

»Snayper, jetzt!«, sprach Muharib in sein Kehlkopfmikrofon. Ohne sich davon zu überzeugen, was die Scharfschützin anstellte, überquerte er die erste äußere Barriere. Kaum war er auf dem Boden hinter der Mauer aufgekommen, aktivierte er seinen Kampfanzug. Die auf Nanobots basierte Rüstung bildete sofort Dornen und einen armlangen Stab aus, an dessen Ende sich zwei Elektroden befanden – eine Elektroimpulswaffe, die zwar nicht tödlich, aber deren Entladung bei Kontakt mit zwanzig Ampere äußerst schmerzhaft war.

»Stehenbleiben, oder …«, brachte der einsame Wachmann im Innenhof noch heraus, ehe Muharib ihm einen Stromschlag versetzte, der ihn mit hilflos zuckenden Gliedern zu Boden schickte.

Dann ging es in den inneren Perimeter. Im Laufschritt schaltete Muharib eine Wache und einen Gefangenen aus, die wohl gerade einen Hofspaziergang unternommen hatten. Zu viel frische Luft konnte ungesund sein.

Auch der Elektrozaun stellte ihn vor keinerlei Probleme, da das Metall seiner Rüstung die Spannung sicher ableitete. Er formte am freien Arm eine Klinge. Zwei schnelle Schläge und er war hindurch.

Auch die Wachen jenseits des Zauns hielten ihn nicht lange auf. Muharib verlangsamte seinen Ansturm nicht einmal. Im Vorbeilaufen versetzte er beiden Schocks, die sie zu Boden gehen ließen. Die automatischen Schusssysteme, die ansprangen, waren zu langsam. Als sie endlich zu feuern begannen, war er bereits im toten Winkel der Geschütze. Dann bremste Muharib vor einem schweren Stahltor ab, griff an seinen Gürtel und löste beinahe ehrfürchtig den Mechanismus aus dem Magnetverschluss.

Manche Aufgaben benötigten mächtigere Werkzeuge als Klingen und Strom.

* * *

»Da sind Sie ja. Ich hatte schon gedacht, Sie lassen mich warten.« Aelianus lächelte strahlend, was sein Gegenüber einen Schritt zurücktreten ließ.

»Das würde mir im Leben nicht einfallen. Es ist mir eine große Ehre, Oberkoordinator. Ich frage mich nur, womit ich sie verdient habe. Gerade an einem unserer höchsten Feiertage …«

»Das will ich Ihnen gerne mitteilen«, erwiderte Aelianus, trat seitlich vom roten Teppich, brach damit bewusst das Protokoll und wandte sich in Richtung eines nahen künstlichen Parks. Man hatte versucht, zumindest auf Strafanstaltsquadrant 1 den Anschein eines normalen Planeten zu erwecken. Mit ungenügenden Mitteln, wie Aelianus fand. Durch die Glasscheiben des Regierungs-Habitats konnte man das trostlose rote Gestein erkennen, das für alle Planeten dieses Systems typisch war. »Lassen Sie uns ein paar Schritte gehen, Gouverneurin. Dann werde ich Ihnen erklären, warum ich so überraschend bei Ihnen auftauche. Kommen Sie.«

Die feiste Frau, in schwere, weiße zeremonielle Roben gekleidet, schluckte. Dann folgte sie Aelianus.

»Oculus sind mehrere Gerüchte zu Ohren gekommen«, sagte Aelianus. »Zum einen, dass Sie in den letzten drei Monaten Ihre Exporte von Polysilicium um das Dreihundertfache gesteigert haben.«

»Das ist wahr. Unsere Betriebe haben die gesamte Jahresproduktion innerhalb eines Monats verkaufen können – und das sogar massiv über dem aktuellen Marktpreis.« Die Gouverneurin, deren Name sich Aelianus gar nicht merken wollte, klang stolz und misstrauisch zugleich.

»Wer waren die Käufer?«, fragte er.

»Es waren verschiedene Konsortien und Subunternehmen, aber im Grunde …«

»Im Grunde waren es die Technokraten. Ja, so haben Sie einen guten Gewinn eingestrichen. Laut Vorschrift hätten Sie das melden müssen.«

Die Gouverneurin nickte. »Ja, das habe ich verabsäumt.« Sie bemühte sich, mit Aelianus Schritt zu halten. »Aber bitte verzeihen Sie, Oberkoordinator. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie die Anreise auf sich genommen haben, um mich wegen eines vernachlässigbaren Vergehens zu rügen.«

»Allerdings nicht«, erwiderte Aelianus und blieb mit einem Ruck stehen. Er wandte sich der Gouverneurin zu und blickte ihr direkt in die Augen. »Es gibt in Ihrem Hochsicherheitsgefängnis auf Strafanstaltsquadrant 2 einen Gefangenen.«

»Wir haben dort viele Gefangene, Oberkoordinator.«

»Ja, aber einer der Gefangenen ist etwas ganz Besonderes. Ich denke, Sie wissen, von wem wir hier reden.«

Auf der hohen Stirn der Gouverneurin hatten sich mittlerweile dicke Schweißperlen gebildet.

»Mir wurde zugetragen, dass jemand auf dem Weg hierher ist, um ihn zu befreien.«

»Was?!«, schrie die Gouverneurin auf. »Wer wäre so wahnsinnig, um ein derartig gefährliches Individuum zu befreien? Außerdem ist das unmöglich. Unsere Sicherheitsvorkehrungen sind unfehlbar. Niemand kann auf dem Planeten landen, jedes Schiff wird direkt unter Beschuss genommen. Das Gelände wird von einer halben Garnison und Geschütztürmen gesichert und um ins Innere des Gebäudes einzudringen, benötigt es zumindest einen taktischen thermonuklearen Sprengsatz …«

In diesem Moment begannen Sirenen zu heulen und rote Warnlichter an den Gebäuden zu leuchten.

»Ich nehme Sie beim Wort«, sagte Aelianus. »Und ich hoffe, die Sirenen sind ein Ausdruck der Freude über meine Anwesenheit und kein Zeichen dafür, dass im Strafanstaltsquadranten 2 ein taktischer nuklearer Sprengsatz gezündet wurde. Wenn Ihre Leute versagen, wird Ihr Kopf rollen.« Er lächelte. »Betrachten Sie sich als gewarnt.«

* * *

2

Obwohl er sich außerhalb seiner Zelle aufhielt, spürte Void seine Gefangenschaft als feines elektrisches Kribbeln an seinem Hals. Wenn es darum ging, ihn von einer potenziellen Flucht abzuhalten, handelte die Strafanstalt nicht zimperlich. In seiner Akte, die er aufmerksam gelesen hatte, befanden sich mehrere Sondererlässe zur Ausübung von restriktiven Praktiken, die die Zustimmung diverser Ethikgremien erforderten. Alle Gremien waren einstimmig zu dem Entschluss gekommen, dass in Voids Fall der Zweck die Mittel heiligte. Aus diesem Grund kam zu den seltenen Gelegenheiten, bei denen Void seine Zelle verließ, ein effektives System zum Einsatz, das jegliche Fluchtversuche im Keim ersticken sollte. Void hatte sein Bestes gegeben, die spärlichen Informationsquellen, die ihm in seiner Haft zur Verfügung standen, zu nutzen, um so viel wie möglich über diese Techniken in Erfahrung zu bringen – ihre Funktionsweise zu verstehen und Schwachpunkte ausfindig zu machen.

Wenn Void eines innerhalb seines Lebenszyklus gelernt hatte, dann, dass alles einen Schwachpunkt besaß. Man musste ihn lediglich finden und die Entschlossenheit haben, ihn zu nutzen.

Das elektrische Kribbeln an seinem Hals und Nacken war nichts anderes als ein schlummerndes Energiefeld, das in Verbindung mit einem Sensor stand, der die Entfernung zwischen dem Insassen und einem unscheinbaren Kubus maß, den eine Wache hinter ihm hertrug. Nicht in den Händen, das wäre ineffektiv und fehleranfällig gewesen – sondern verschweißt mit einer Armschiene, die durch ein Alarmsystem gesichert war. Entfernte man sie ohne Berechtigung von der Haut der Wache, löste der wärmeempfindliche Scanner an der Innenseite der Schiene ein Signal aus, welches das Energiefeld an Voids Hals aktivierte. Dasselbe geschah, wenn er sich weiter als drei Schritte von dem Sensor des Kubus entfernte. Zusätzlich konnte das Energiefeld auch manuell aktiviert werden, mithilfe eines schlichten und, wie Void fand, langweilig banalen Knopfdruckes.

Die Aktivierung des Energiefeldes hatte sofort zur Folge, dass Muskeln, Sehnen und Haut im entsprechenden Bereich von einem sauberen Schnitt durchtrennt und kauterisiert wurden – so schnell, dass Void vermutlich tot wäre, bevor er überhaupt begriffen hatte, dass das System aktiviert worden war. Hin und wieder hörte er die Wachen darüber scherzen, dass er im Anschluss vermutlich noch ein paar Schritte weiterlaufen würde wie ein geköpfter Hahn, ehe er endlich den Geist aufgab. Dabei lachten sie meistens. Void hatte oft über diese These nachgedacht und zoologische Details über das entsprechende Erdentier recherchiert, verstand den Witz aber dennoch nicht.

Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen wurden Voids Schritte durch das System stets von schwer bewaffneten Wachen begleitet, die die Zielsucher ihrer Waffen auf ihn gerichtet hielten. Es war fast schmeichelhaft.

Am Tag seiner vierten selbst angeforderten Anhörung erschienen Void die Reihen der anwesenden Wachen ungewöhnlich dünn. Mehrere Kontrollpunkte, die sie passierten, waren nicht oder nur spärlich besetzt, und bei jenen Humanoiden, die sich noch an ihrem Posten befanden, herrschte nervöse Geschäftigkeit. Irgendetwas schien in der Luft zu liegen – eine Anspannung, die ebenso Unheil verkündend knisterte wie das Energiefeld um seinen Hals.

Durch die Fensterfronten aus armdickem Sicherheitsglas konnte Void die eintönige Wüstenlandschaft sehen, die das gesamte Planetensystem prägte. Seinen Nachforschungen zufolge hatte es hier einst Leben gegeben, natürliche Wasservorkommen in Form von Eisfeldern, einzellige Lebewesen und primitive Pflanzenorganismen, mit anderen Worten – ein gesundes Ökosystem. Das lag bereits lange zurück. Nun war hier nichts mehr als totes Gestein und das Licht eines Sternes, der zu weit fort war, um Wärme zu spenden. Die Atmosphäre des Gefängnissystems war, mit Ausnahme des Verwaltungsbereichs mit der keineswegs zufällig gereihten Nummer eins, rein künstlich. Sollten sie ihrer Gefangenen jemals müde werden, würde es den entsprechenden Stellen nur wenige Handgriffe kosten, sie auszuschalten. Stattdessen horteten sie die kriminellen Individuen hier, verwahrten sie, weitab von allen lebenden, gesunden Systemen, denen sie Schaden zufügen könnten, und ließen ihre Leben zwischen Mauern, Glas und Kraftfeldern verrinnen. Eine Warnung an andere Unruhestifter – zumindest hatte Void das früher geglaubt, bevor er herausgefunden hatte, dass sie sich für barmherzig hielten, weil sie ihren Feinden einen schnellen, fairen Tod verweigerten. Auch dieses fragwürdige Konzept des humanoiden Moralverständnisses war etwas, das Void selbst nach ausführlicher Recherche nicht begriff.

Hätte er die Kontrolle hier, er hätte alles längst dem Erdboden gleichgemacht. Der Tod war pragmatischer, endgültiger, ressourcensparender – und deutlich würdevoller, als diese Individuen wie Vieh zusammenzupferchen. Der Anteil der Insassen, die zu einem Aufenthalt in diesem System verurteilt worden waren und die tatsächlich wieder auf freien Fuß kamen, lag bei vernachlässigbaren 0,03 Prozent und rechtfertigte das allgemeine verschwenderische Vorgehen in keiner Weise, und erst recht nicht die Vernichtung des einheimischen gesunden Ökosystems. Auf der anderen Seite bedeutete das auch: Voids Chancen auf Begnadigung standen ebenfalls bei 0,03 Prozent – ergo nicht bei null. Solange das System diese Möglichkeit bot, würde Void sie nutzen.

Schließlich erreichten sie den Anhörungsraum, den Void bereits von früheren Besuchen kannte. In vierzig Zyklen hatte er sich um keine Nuance verändert – dieselben einheitlich weißen Wände, dasselbe spartanische Mobiliar. Nur die anwesenden Lebensformen waren ausgetauscht worden. Void setzte sich auf einen bereitstehenden Stuhl, und sein persönlicher Wachmann mit dem tödlichen Kubus setzte sich direkt hinter ihn, während die übrigen Wachen an den Seiten des Raums Aufstellung bezogen. Die Waffen ließen sie nicht sinken.

»Insasse 387 Strich Delta. Eingetragener juristischer Name: Rrak nu Xhan. Codename: Void. Spezies: Vinsha«, verlas die Protokollführerin, als sie seinen Fall ankündigte. »Insasse 387 Strich Delta nimmt sein Recht in Anspruch, einen Antrag auf Verfahrenswiederaufnahme zu stellen. Ist das korrekt, Insasse?«

»Alles, was Sie sagen, ist korrekt«, bestätigte Void.

Auch die anwesenden Gerichtsdiener wirkten nervös, fand Void. Sie blickten stets auf ihre Chronometer, als wären sie im Moment lieber ganz woanders, und nur wenige Augen waren direkt auf ihn gerichtet. Das war ungewöhnlich. Sobald sie erfuhren, wer und was er war, konnten die Humanoiden selten ihre Blicke von ihm abwenden.

Der Richter, ein Mann mit so prototypisch erdenmenschlichem Aussehen, dass es beinahe an ein politisches Statement grenzte, erhob sich. »Insasse 387 Strich Delta, ich will ganz offen sein – Ihre Dreistigkeit grenzt allmählich an eine offene Beleidigung. Deswegen halten wir das hier kurz.« Blick auf den Zeitmesser an seinem Kommunikator, Blick auf die Unterlagen vor ihm. Kein Blick auf Void. »Mir liegt hier eine Liste von zweihundertachtunddreißig Verbrechen vor, derer das System sie verdächtigt. Zweiundfünfzig dieser Vergehen wurden Sie für schuldig befunden. Dass wir Ihnen die übrigen nicht nachweisen können, liegt, wie wir alle wissen, einzig und allein an Ihrer Fähigkeit, Ihre Identität mit derselben Leichtigkeit abzustreifen wie eine Spinne ihre alte Haut. Mit jedem dieser Verbrechen bewiesen Sie eine geradezu provozierende Verachtung gegenüber unserer Lebensart, Missachtung gegenüber persönlichem und staatlichem Eigentum und der körperlichen Unversehrtheit der Lebensformen um Sie herum.«

»Diese Lebensformen haben meine eigene Unversehrtheit zuerst missachtet«, warf Void ein. Sein ruhiger, rationaler Tonfall schien den Richter jedoch bloß noch weiter zu reizen.

»Schweigen Sie, Insasse! Ihre Ausflüchte interessieren das Gericht nicht. Unser System basiert auf Regeln und Gesetzen. Vielleicht ist Blutrache in dem Teil der Galaxie, aus dem Sie stammen, eine angemessene Form der Rechtssprechung, aber Sie haben Ihre Heimat verlassen und sich damit unseren Wertvorstellungen zu beugen.«

Void verbiss sich den Kommentar, dass Selbstverteidigung in seinen Augen etwas gänzlich anderes war als Blutrache, doch der Reflex war stark. Noch mehr als die Unterstellung selbst störte ihn die semantische Ungenauigkeit.

Der Richter schien seinen inneren Zwist zu bemerken und nickte zufrieden. »Die bloße Anzahl der Verbrechen sollte bereits alles über Ihre moralische Gesinnung verraten, was wir für eine Entscheidung wissen müssen. Doch eines ist so abstoßend und menschenverachtend, dass das damalige Gericht neue Richtlinien und Gesetze finden musste, um es angemessen einordnen und sanktionieren zu können. Also erklären Sie mir bitte Folgendes: Was erwarten Sie hier zu erreichen?«

»Sie müssen mich fragen, ob ich dem Gericht neue Erkenntnisse in meiner Angelegenheit vorbringen kann«, erinnerte Void den Richter an das Protokoll. Dass er abgelenkt war, rechtfertigte nicht den Verstoß gegen die Verordnung.

Der Richter schüttelte den Kopf – keine Antwort auf Voids Hinweis, wie ihm schien, sondern vielmehr ein Ausdruck seiner Fassungslosigkeit. Noch immer ließ er sich nicht dazu herab, ihn anzusehen. »Und? Können Sie?«

Void legte den Kopf schief, irritiert über den Mangel an Form. Ehe er antworten konnte, fuhr der Richter fort: »Um die Wahrheit zu sagen, es interessiert mich nicht, Insasse. Sie vergeuden Ihre Zeit und meine. Meine ist kostbarer, keine Frage. Doch auch Sie könnten die Ihre sinnvoller nutzen. Diese Anstalt bietet Ihnen genug Zerstreuung. Lesen Sie, erlernen Sie ein Handwerk, finden Sie einen Zeitvertreib – Sie werden ihn brauchen, denn Sie werden noch verdammt lange hier festsitzen. Finden Sie sich endlich damit ab. Meine Vorgängerin sagte mir, Sie seien überdurchschnittlich intelligent, doch davon konnte ich innerhalb meiner Amtszeit nichts feststellen. Das, was Sie hier tun, ist alles andere als intelligent, es ist impertinent und überflüssig, und offen gesagt, es verärgert mich. Sie versuchen hartnäckig, mich und meine Kollegen zu zermürben, aber ich versichere Ihnen: Ich werde nicht mürbe, Insasse. Denn anders als Sie kann ich einfach gehen. Und genau das werde ich nun tun. Die Sitzung ist hiermit geschlossen – und allen übrigen Anwesenden danke ich für ihre Zeit. Bedanken Sie sich bei dem Insassen, sollten Sie aufgrund dieser überflüssigen Farce Wichtigeres versäumt haben, er weiß Ihr konstruktives Feedback sicherlich zu schätzen.«

»Halt«, brach es aus Void heraus. »Das ist eine Verletzung des Protokolls. Sie müssen mir zuhören.«

»Ich muss nicht das Geringste, Insasse«, informierte der Richter ihn kalt. »Denn anders als Sie bin ich ein freier Mann. Aber nur, um sicherzugehen, dass es wirklich in Ihrem verwinkelten Verstand ankommt: Das hier wird die letzte Anhörung dieser Art sein. Sie werden Ihre Haft absitzen bis zu dem Tag, an dem Ihr absurd langes und traurig vergeudetes Leben endet. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

Void öffnete den Mund.

Ehe er eine passende Antwort auf diese grob atypische Konfrontation gefunden hatte, wurde der Saal von einem ohrenbetäubenden Knall erschüttert.

* * *

3

Muharib trat durch den Qualm und über die Trümmer hinweg. Die Schutzbrille, welche die Nanobots seiner Rüstung eilfertig ausgebildet hatten, schirmte seine Augen vor der Hitze, dem Rauch und etwaigen umherfliegenden Partikeln ab, die durch die Zündung des nuklearen Sprengsatzes in die Luft geraten sein mochten. Dank der modernen Bauweise waren ohnehin kaum strahlende Rückstände vorhanden. Und falls doch, dann hatte er die beste medizinische Betreuung, die es für Geld zu kaufen gab.

Innerhalb des Gebäudes herrschte Chaos – genau, wie Muharib sich erhofft hatte. »Die Schale ist geknackt«, sprach er in sein Kehlkopfmikrofon. An seiner Schulter prallten unterdessen mehrere Projektile ab, denen er nur beiläufig Beachtung schenkte. Einige wenige Wachen hatten sich endlich ein Herz gefasst und mit ihren erstaunlich rückschrittlichen Waffen auf ihn angelegt. Ihre Bemühungen entlockten ihm dank der Schutzfunktion seiner Rüstung jedoch nur ein müdes Lächeln.

Als Roberts die Sicherheitsprotokolle des Gefängnisses gehackt hatte, war er auf ein Gerät gestoßen, mit dem man jeden Fluchtversuch seines Ziels unterbinden wollte. Ein Gerät, das gleichzeitig auch ein ständiges Positionssignal aussendete, also ideal für seine Zwecke. Genau diesem Signal folgte er nun.

Zielstrebig setzte Muharib sich in Bewegung. Jene Wachen, die ihm zu nah kamen, gingen wie von unsichtbarer Hand niedergestreckt zu Boden, bevor sie ihn erreichen konnten. Offenbar hatte auch Snayper den aktuellen Spielplatz erreicht und gab ihm Deckung.

»Ziel ist in Bewegung«, erklang da die Stimme seiner Teamkollegin. »Ich wiederhole: Ziel ist in Bewegung!«

»Scheiße«, murmelte Muharib, schickte einen im Weg stehenden Wachmann mit seinem Elektrostab zu Boden und beschleunigte seine Schritte.

»Ich dachte, der bleibt sitzen, bis wir ihn abholen«, knurrte er.

»Tja, der hat wohl keine Lust, artig zu warten, mein Küken«, kam Snaypers lapidare Antwort. »Ich behalte die Ausgänge im Auge, aber … dank unseres kleinen Einstandsgeschenks gibt es jetzt deutlich mehr davon als vorher. Könnte knapp werden. Beeil dich besser.«

Muharib fluchte erneut. Er verabscheute Hektik.

* * *

Während die übrigen Anwesenden noch versuchten, dem Lärm und der Erschütterung einen Sinn abzutrotzen, analysierte und bewertete Void innerhalb eines Herzschlags die neue Lage und kam zu einem zwingenden, logischen Schluss.

Er würde nicht länger dem Weg des Systems folgen. Diesen Lösungsansatz hatte er bereits mehrmals versucht und war wiederholt gescheitert. Es war Zeit für eine neue Strategie.

Die Erschütterung hatte den Großteil der bewaffneten Wachen von den Füßen gefegt, und so sorgte Void sich nicht weiter um sie, während er zu dem Humanoiden mit dem Kubus herumfuhr, der seine Flucht verhindern sollte. Auch ihn hatte die Explosion, die irgendwo im Gebäude stattgefunden haben musste, vom Stuhl gerissen. Nun war er dabei, sich hektisch wieder aufzurichten. Ehe es ihm gelang, war Void über ihm und hatte ihn blitzschnell am Kragen gepackt.

Ihre Blicke fixierten gleichzeitig die Vorrichtung an der Armschiene. In Sekundenschnelle wurde die menschliche Haut in seinem Gesicht leichenblass, was, wie Void wusste, ein untrügliches Zeichen für Unbehagen, Schwäche oder schlicht und ergreifend blinde Verzweiflung war.

»Ich brauche das«, erklärte Void ihm – beinahe eine Entschuldigung, vor allem jedoch eine Feststellung.

Ehe der andere reagieren konnte, hatte Void die Waffe aus dessen Achselholster gezogen – nicht den Blaster für Schüsse auf Distanz, sondern das Thermalmesser, das ebenfalls zur Grundausrüstung der Wachen zählte.

Die mehr als handlange, glühend orange Klinge glitt fast widerstandslos durch Haut, Sehnen, Muskulatur und Knochen. Der Wachmann fand kaum Gelegenheit für einen Schrei, da hatte Void ihn bereits von seiner Armschiene befreit – ebenso wie von dem noch darin befindlichen Glied, das Void ebenfalls brauchte, wenn er den Sensor nicht alarmieren wollte, der über die Wärme seiner Haut operierte. Der Gestank von kauterisiertem, verbranntem Fleisch erfüllte die Luft.

Der Mann würde nicht verbluten, aber womöglich am Schock sterben, sollte er keine zeitnahe medizinische Versorgung erhalten. Doch darüber konnte Void sich nun keine Gedanken machen.

Als der Schrei mit Verspätung einsetzte, schrill und unangenehm laut in seinen empfindlichen Ohren, war Void bereits Richtung Ausgang unterwegs, den Arm samt Schiene und Kubus fast nachlässig über die Schulter gelegt. Er hoffte, dass die gespeicherte Körperwärme in dem Gewebe lange genug ausreichen würde, um einen Sicherheitsabstand zwischen sich und das herrschende Chaos zu bringen. Später würde er sich in Ruhe mit dem Mechanismus des Kubus auseinandersetzen und einen Weg finden, das unsichtbare, tödliche Halsband um seinen Nacken zu deaktivieren.

* * *

Erstaunlich wenige Wachen versuchten, Muharib aufzuhalten, während er den Biosignalen folgte, die auf Insasse 387 Strich Delta hinwiesen. Mit den beiden, die ihm direkt in den Weg liefen, machte er kurzen Prozess.

Muharib runzelte die Stirn, als er sah, wie schnell sich sein Ziel bewegte. Zum einen bedeutete es, dass er sich wohl seiner Wachen entledigt hatte. Zum anderen war das weit schneller, als ein Mensch sich bewegen sollte. Er konnte nur hoffen, dass die Explosion nicht zu viel Schaden an der Fassade angerichtet hatte. Sollte irgendwo eine Lücke entstanden sein, die sie in ihrer Planung nicht einberechnet hatten, saßen sie in der Scheiße.

Muharib hastete eine metallene Treppe nach unten und brachte sich vor einer Stahltür in Position. Keinen Augenblick zu früh, denn da bog eine Gestalt um die Ecke des Korridors, die sich so schnell bewegte, dass sie wie ein fleischgewordener Blitz auf Muharib zustrebte. Dieser wurde trotz seiner Rüstung zwei Schritte nach hinten gedrängt, als Schläge in schneller Folge auf ihn einprasselten. Muharib blieb in der Defensive, merkte, dass ein armlanges Messer Funken aus seiner Rüstung schlug, diese jedoch nicht durchdringen konnte. Unerwartete Hitze in seinem Gesicht trieb ihm die Tränen in die Augen.

Er selbst setzte seine Klinge nicht ein, sondern verschaffte sich nur Luft mit einem Rückhandschlag, der den Angreifer zurücktaumeln ließ.

»Stopp!«, rief Muharib. »Du machst einen Fehler!«

Unvermittelt erstarrte das Alien in seiner Bewegung.

Ohne die Daten aus seinem Sensor-Array und die übermenschlich schnellen Reaktionen seines Gegenübers hätte Muharib sein Ziel unmöglich erkannt. Er wusste, dass er es mit einem gestaltwandelnden Individuum zu tun hatte, trotzdem hatte er mit etwas … Beeindruckenderem gerechnet. Was jedoch vor ihm stand, das war eine hagere, klein gewachsene Frau mit dünnen Gliedern, die wirkte, als würde sie unter festem Griff zerbrechen. Ihr Kopf war kahlrasiert, und der schwarze Overall, den die Gefangenen hier trugen, war ihr deutlich zu groß. In einer Hand hielt sie ein Messer, dessen Klinge glühte wie frisch geschmiedet – eine Thermalwaffe, wie sie Muharib überwiegend von subnautisch angesiedelten Völkern kannte, die aber auch andere Vorteile mit sich brachte. Muharib selbst war diese Form der Waffentechnik immer buchstäblich etwas zu … heiß gewesen.

Jetzt konnte Muharib erkennen, dass Void nicht nur im übertragenen Sinne zu viele Arme besaß. Denn er hielt einen dritten Arm … im Arm. Hatte er jemandem den Arm ausgerissen und damit zu Tode geprügelt?

»Sie sind weder Insasse noch Gefängnispersonal«, stellte Void fest. »Wer sind Sie?«

»Ich bin hier, um dich hier herauszuholen.«

Der Gestaltwandler musterte ihn mit ausdruckslosem Blick. »Warum?«

»Weil du hier auf einem Gefängnisplaneten bist. Du kommst von hier nicht alleine weg. Ich will dir helfen.«

»Ich brauche keine Hilfe.«

Muharib lachte. »Trägst du deshalb dieses Ding mit dir herum? Ich habe die technischen Daten analysiert. Sobald der Arm kalt wird, aktiviert sich das Energiefeld, das dich tötet. Ich gebe dir noch maximal zwei Minuten.«

Void überlegte mehrere Sekunden lang. Seinem Gesicht war keine Regung zu entnehmen, abgesehen von einem verstärkten Blinzeln seiner zuvor fast unheimlich starren Augen. »Zwei Minuten sind eine deutliche Fehleinschätzung«, sagte er dann. »Aber die Vorrichtung ist ein Problem. Was schlagen Sie vor?«

»Ich befreie dich von dem Gerät.«

»Einfach so?«

»Nicht ganz. Du musst mir versprechen, dich kooperativ zu verhalten. Dann sind wir hier beide sehr schnell raus.«

»Kooperativ«, wiederholte Void, als müsste er das Wort erst auf seine Bedeutung abtasten. Dann nickte er knapp. »Sie nehmen mir das Halsband ab und wir verlassen diese Einrichtung. Korrekt?«

Muharib zögerte einen Moment. Wollte er wirklich das einzige Hindernis aus dem Weg räumen, das den Verbrecher in seine Schranken weisen konnte? Aber er hatte den Auftrag, Void unter allen Umständen lebend aus dem Gebäude zu holen. Wenn das Ding ihm auf den Weg nach draußen den Kopf abhackte, würden sie beide schlecht aussteigen.

Void ließ den Daumen von der Aktivierungstaste am Griff seines Thermalmessers gleiten. Die Klinge wurde kalt, das Metall dunkel. Es war ein angebotener Ölzweig, der Muharib reichte, um seine Entscheidung zu fällen.

»In Ordnung. Ich deaktiviere jetzt das Gerät.« Jake Roberts war eine lästige Schmeißfliege, aber leider auch ein Ass in seinem Job. Während Muharib mit Bomben jonglierte und Gegner paralysierte, hatte Roberts schon einen Workaround für das unmittelbare Problem vorbereitet. Das Halsband war nicht dafür konstruiert, deaktiviert zu werden. Aber es konnte reaktiviert werden. Und in dieser Phase konnte man es abnehmen. Das war allerdings ein Software-Fehler, den man ohne den Quellcode niemals gefunden hätte.

Muharib löste die Softwareroutine aus, die er in seine Rüstung gespeichert hatte.

»Gut«, sagte Void, griff an seinen Hals – und etwas in seinem Tonfall alarmierte Muharib.

Da war es bereits zu spät. In der nächsten Sekunde verlor Muharib den Boden unter den Füßen.

* * *

Nachdem Void dem breitschultrigen Krieger in der wandelbaren Rüstung die Beine unter dem Körper weggezogen hatte, strebte er an ihm vorbei aus dem Raum in den allgemeinen Gefängnistrakt hinaus. Durch den Fremden war der Weg für Void nun in zweierlei Hinsicht frei.

Noch im Laufen wandelte er seine Gestalt. Ein unerfahrenerer Vinsha als er hätte sich vielleicht für die größte, die stärkste biologische Masse entschieden. Void wusste, dass Stärke nicht immer der Schlüssel war und dass es von Vorteil war, gar nicht erst auf sie zurückgreifen zu müssen. Stattdessen wählte er die unauffällige Form eines humanoiden Wachmanns – desselben Mannes, den er zuvor um seinen Arm erleichtert hatte. Letzteren ließ er beiläufig fallen.

Aus einem Wäschewagen, der vergessen im allgemeinen Chaos stand, holte Void sich eine Uniformjacke sowie ein Paar Schuhe und zog alles über. Mit einem flüchtigen Blick würde man ihn nun unmöglich vom Original unterscheiden können. Anschließend schob er das Thermalmesser in die Tasche und passte sich der allgemeinen verwirrten Aufregung des Gefängnispersonals an.

Während Void in der Menge untertauchte, bewertete er seine Lage neu. Dies waren die Fakten.

Nummer eins: Gefängnisexterne Individuen, deren Ziele ihm unbekannt waren, hatten die Strafanstalt angegriffen, die Sicherheitsprotokolle überwunden und befanden sich nun in unbekannter Zahl im Gebäude.

Nummer zwei: Es handelte sich nicht um beliebige Kleinkriminelle, denn sie verfügten über Insiderwissen der Abläufe innerhalb der Anstalt, eine gründliche Planung sowie fortschrittliche Technologie. Ihr offensives Eindringen sprach dafür, dass sie weder vor Sach- noch Personenschäden zurückschreckten, um ihr Ziel zu erreichen.

Nummer drei: Sie kamen seinetwegen.

Aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen war es Void unmöglich, vorherzusagen, weswegen sie sich für ihn interessierten, doch er hatte keinen Zweifel daran, dass die Gründe ihm missfallen würden. Er nutzte bereitwillig die Ablenkung, für die sie so großzügig gesorgt hatten, legte jedoch keinen Wert darauf, nähere Bekanntschaft mit den Fremden zu schließen.

Mit vorgetäuschter Hast strebte Void Richtung Gefängnisausgang. Keine der Wachen, die ihn passierten, schenkte ihm auch nur einen zweiten Blick. Seine Tarnstrategie hatte offenbar Erfolg. Schon seit einigen Minuten waren keine Schüsse mehr gefallen. Die Unbekannten schienen sich neu zu gruppieren, oder vielleicht waren sie auch ausgeschaltet worden. Mit einem Blick über die Schulter versicherte Void sich, dass der Humanoide mit der Rüstung ihm nicht folgte. Wie der abgetrennte Arm hatte auch der Fremde seinen Zweck erfüllt und würde ihm nur weiteren Ärger einhandeln, hätte er ihn nicht fallen lassen.

Voids Puls beschleunigte sich minimal, als das lang ersehnte Eingangstor in Sichtweite kam. Das letzte Mal, dass er es gesehen hatte, lag vierzig Zyklen zurück. Bei seiner Ankunft hatte er sich jedes Detail eingeprägt: die Beschaffenheit des Materials, die Position der Wachtürme, die Anzahl der Überwachungskameras, Höhe und Dicke des Tors und der Mauer, in der es eingelassen war. Als er es nun wiedersah, konnte er all diese Informationen, die er bei seiner Inhaftierung gesammelt hatte, ohne Schwierigkeiten abrufen.

All diese Daten und Eindrücke waren jedoch in dem Augenblick völlig bedeutungslos geworden, in dem die unbekannten Eindringlinge ein Loch von der Größe einer Notraumkapsel in die Außenhülle des Gefängnisses gesprengt hatten.

Für die Dauer mehrerer Herzschläge zögerte Void. Mit seiner aktuellen Tarnung war einfach durch den Vordereingang hinauszuspazieren eine durchaus Erfolg versprechende Option, aber nicht gänzlich ohne Risiko. Das Tor zu öffnen, würde gezwungenermaßen soziale Interaktionen erfordern, verbal oder physisch, und beides war hoch fehleranfällig. In den vergangenen fünfzehn Minuten war er seiner Freiheit näher gekommen als in den letzten vierzig Zyklen, und er hatte kein Interesse daran, das leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Das Loch allerdings, das so einladend in der Außenwand klaffte, war eine Ansammlung unbekannter Parameter. Das Tor war ein Risiko – doch eines, mit dessen einzelnen Faktoren er vertraut war. Durch das Loch zu gehen, bedeutete, sich in völlige Ungewissheit zu begeben.

Er zögerte bereits zu lange. Erste Blicke richteten sich schon auf ihn, noch flüchtig, doch es war deutlich mehr Aufmerksamkeit, als er sich für seine Flucht wünschte. Er musste rasch entscheiden, andernfalls würden andere die Entscheidung für ihn übernehmen.

Entschlossen beschleunigte Void seine Schritte, hielt zielstrebig auf das Loch in der Mauer zu, rannte über Schutt und Glas und Mauerreste. Die Tarnung des überforderten, ziellos herumlaufenden Wachmanns gab er im Austausch für Geschwindigkeit auf. Die nächsten Minuten würden über Erfolg oder Versagen seines Ausbruchs entscheiden.

Void sog die gefilterte Luft ein, als er durch die Öffnung und hinaus auf das Gefängnisgelände trat. Der Himmel war kein anderer als jener im Gefängnisinnenhof, es war dieselbe künstlich erschaffene Atmosphäre, dieselbe Kuppel, die den Planeten schützend umspannte. Dennoch hatte Void das Gefühl, zum ersten Mal seit Langem wieder wirklich frei atmen zu können.

Seine Erleichterung hielt nur wenige Sekunden.

Nur so lange, bis ein scharfer elektrischer Schmerz durch seinen Körper zuckte und seine Muskeln in unkontrollierte Kontraktionen versetzte.

Zuckend brach Void zusammen.

»Wir haben ihn«, verkündete eine aufgeräumte hohe Stimme.

»Sicher, dass er es ist?«, fragte eine tiefe Stimme. »Er sieht aus wie ein gewöhnlicher Wachmann.«

»Glaub mir«, erwiderte Stimme eins. »Ich hatte ihn die ganze Zeit im Blick.«

»Was … wollt … ihr?«, brachte Void hervor. Die Spannung machte es schwer, seinen Kiefer auseinander zu zwingen, um verständliche Worte zu produzieren.

»Verdammt, wieso kann der immer noch sprechen? Hattest du nicht gesagt, der Schlag sollte ausreichen, ihn vom Fleck weg auszuknocken? So ausgeknockt sieht er gar nicht aus.«

»Snayper, du verhältst dich gerade äußerst undiplomatisch.«

»Du musst es ja wissen.«

Ein dünner Humanoide mit sorgfältig getrimmter Gesichtsbehaarung trat an Void heran und blickte interessiert auf ihn herab. »Mein Name ist Jake Roberts. Sie sind Mister Void. Wir möchten Ihnen ein Geschäft vorschlagen. Ich muss mich für unsere rabiaten Methoden entschuldigen. In Anbetracht der Umstände ging die Sicherheit unseres Teams vor. Ich bin sicher, Sie haben Verständnis dafür, denn ich weiß, dass auch Sie ein Mann sind, der Sicherheiten zu schätzen weiß.«

Void hielt sich nicht damit auf, den Fremden darauf hinzuweisen, dass es sich bei ihm in keiner der bekannten Definitionen um einen Mann handelte. Überhaupt war er zu dem Schluss gekommen, dass er keine weitere Kraft auf die Produktion von Sprache verwenden würde. Stattdessen konzentrierte er sich auf seine Bein- und Armmuskulatur, die unter dem Einfluss einer, wie Void vermutete, aktivierten Energiefalle krampfte. Unter größter Anstrengung gelang es ihm, sich auf die Knie hochzuarbeiten.

Ein zweiter Humanoide, potenziell weiblich, kahl und mit einem Scharfschützengewehr, trat an die Seite des ersten und legte sorgfältig auf Void an. Dabei pfiff sie anerkennend durch die Zähne. »Sieh mal, jetzt steht er sogar auf. Deine Falle ist Mist, Jake.«

»Nein, die Falle erfüllt ihren Zweck«, korrigierte Jake Roberts, während er Voids Bemühungen aufmerksam beobachtete. »Wir müssen nur den Saft aufdrehen.«

Damit betätigte er eine Taste an der Schaltfläche an seinem Handgelenk. Void roch gerade noch den Gestank verschmorten Fleisches, dann intensivierte sich der Schmerz in seinem Körper – und machte einer tiefen Stille Platz.

* * *

4

»Ich soll mich jetzt auf der Stelle auf den Weg machen?«

»Nein, natürlich nicht sofort. Zuerst wirst du dich duschen und den verstrahlten Schmutz dieses Planeten von dir abwaschen. Danach wirst du dich in deinen feinsten diplomatischen Zwirn kleiden und dann wirst du dich auf den Weg machen.«

Jake Roberts nickte. »Natürlich werde ich das. Aber umso mehr ich weiß, umso effizienter bin ich.«

»Die planetare Gouverneurin hat mich enttäuscht«, sagte Aelianus. »In gleich zweierlei Hinsicht. Zum einen hat sie Schwarzmarkthandel mit der Technokratie begünstigt und die Gewinne nicht an die Allianz Freier Planeten abgeführt, zum anderen hat sie zugelassen, dass ein Gefangener in Spezialverwahrung befreit wurde.«

»Aber …«

»Es ist völlig irrelevant, wer den Gefangenen befreit hat. Du wirst sie zur Rede stellen und das Problem regeln. Auf klassische Weise.«

Jake Roberts seufzte.

Aber Aelianus war zufrieden. Sie würden das Problem hier lösen, ihre neue Ressource derweil in Stasis halten, dann in ein anderes Sternensystem fliegen und dort die Rekrutierung vorantreiben.

Alles lief nach Plan.

* * *

»Ganz ehrlich, Jake. Ich habe es dir schon oft gesagt, aber ich meine es noch immer so. Ich mag deinen Stil.«

»Danke«, erwiderte Jake, seine ganze Aufmerksamkeit auf den Container gerichtet, dessen Tür sich gerade öffnete. »Aber ich muss die Lage jetzt erst mal überwachen. Bist du in Position?«

Snayper antwortete über die interne Com-Anlage. »Alle Bordwaffen sind ausgerichtet. Ich bin bereit.«

»Ich weiß ja nicht«, schaltete Muharib sich ein, der Jakes Tun von seinem Stuhl auf der Brücke aus beobachtete. Man merkte ihm an, dass er gerade nichts zu tun hatte. »Ich finde das schon seltsam. Und aufwendig. Eine künstliche Atmosphäre. Künstliche Schwerkraft. Mit unserem Boss vor Ort und einem Raumschiff als Dekoration. Wie kommt man auf so etwas?«

»Fantasie«, meinte Jake Roberts kurz angebunden.

»Fantasie heißt für mich, Klingen zu haben, die alles zerschneiden. Und so schnell zu sein, dass ich Kugeln ausweichen kann.«

Jake Roberts sah noch einmal auf. »Andere Fantasie.«

»Eine letzte Frage. Wir hatten Void da eingesperrt. Betäubt. Dann habt ihr den Container auf den Planetoiden gebracht. Noch im Vakuum. Der Container ist nicht luftdicht. Wie habt ihr sichergestellt, dass der Kerl das überlebt?«

»Überhaupt nicht. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass er das aushält.«

In diesem Moment erschien eine Gestalt in der Öffnung des Containers.

* * *

Auf die Schwärze folgte die Kälte.

Das All war für Void keine große Unbekannte. Es war das, was einer Heimat für ihn am nächsten kam. In der sich scheinbar endlos erstreckenden Schwärze fühlte er sich zu Hause, die absolute Stille jenseits aller Atmosphären war Musik in seinen Ohren, die sich allzu oft danach sehnten, den hektischen Lärm zahlreicher Welten zum Verstummen zu bringen.

Obwohl sie in den vergangenen Jahrhunderten mehrfach versucht hatten, es für ihre Zwecke zu missbrauchen, mit wechselndem Erfolg, fürchteten die Humanoiden das All noch immer. Weil sie es nicht verstanden.

Vielleicht war auch das ein Grund, warum Void sich damit verbunden fühlte.

Obwohl der elektrische Impuls der Falle sein bewusstes Denken weitgehend ausgeschaltet hatte, spürte Void, wie sich seine Umgebung veränderte. Er spürte den rapiden Abfall im Sauerstoffgehalt, die herankriechende Kälte, die sich in seinen Knochen einnistete, und dann ein Gefühl des Schwebens.

Zur Antwort fuhr sein Körper seine Funktionen herunter, wollte automatisch die falsche Form fahren lassen, die schwächer, verletzlicher und deutlich weniger widerstandsfähig war als seine wahre Gestalt. Void verbot sich den Wechsel. Noch war er nicht am Ende – und er war vor allem nicht allein. Auch wenn er keine weiteren Lebensformen in seiner Umgebung wahrnehmen konnte, war er durch seine Zeit in der Haftanstalt gewöhnt, niemals allein, niemals unbeobachtet, niemals wirklich frei zu sein.

Er hielt am Fleisch und der Illusion fest. Erduldete die Kälte.

Dann, erst schleichend, dann zunehmend schneller, nahm Void wahr, wie sich der Gehalt der Umgebungsluft veränderte. Das Atmen fiel ihm leichter, und sein Körper, der schwerelos durch den Raum gedriftet war, knallte plötzlich hart auf den Boden. Gedanklich tastete er ihn auf Verletzungen ab. Wandlung bedeutete bedauerlicherweise nicht Heilung. Der Schaden, der an seiner physischen Hülle entstand, blieb auch im Wechsel bestehen, solange er nicht in seine Ursprungsform zurückkehrte. Das Fleisch der Humanoiden war und blieb verwundbar und verwundet, egal, wie er es formte.

Nachdem er keine fatalen Schäden hatte finden können, wagte Void, sich aufzurichten und sich in seiner Umgebung umzusehen.

Nacktes Metall umfing ihn. Ansonsten gab es nicht viel zu sehen, keine visuellen oder akustischen Reize, die Void Informationen über seine Lage und damit auch keine Ansatzpunkte für potenzielle Lösungen seines Problems geben konnten. Und dass er es mit einem Problem zu tun hatte, einem ganz erheblichen, daran zweifelte er keine Sekunde lang.

Da fiel sein Blick auf eine Tür in der Außenverkleidung seiner neuen Zelle. Void bewegte sich darauf zu. Ein schlichter mechanischer Türgriff war im Metall eingelassen.

Sollte es wirklich so einfach sein?

Void betätigte ihn. Sein Gefängnis öffnete sich ihm bereitwillig.

Für die Dauer mehrerer Herzschläge wartete Void ab. Es war nicht seine Art, unvorbereitet in unbekanntes Terrain vorzudringen.

Als die Stille weiterhin anhielt, trat es ins Freie.

Die vertraute Leere des Alls empfing ihn – gut sichtbar jenseits der felsigen, kargen Oberfläche des Mondes oder Planeten, auf dem Void mit seiner Zelle gestrandet war. Das System des Strafanstaltsquadranten funkelte als Ansammlung vereinzelter Lichter in der Ferne. Da Void ohne Schwierigkeiten an der Oberfläche dieses offensichtlich unbewohnten Himmelskörpers atmen konnte und der Druck auch nicht die inneren Organe dieses für Weltraumspaziergänge denkbar ungeeigneten Körpers zu einem unappetitlichen Brei zusammenpresste, musste er es mit einem ausgeklügelten technischen Trick zu tun haben. Als er den Kopf in den Nacken legte, verriet ihm ein vertrautes vielfarbiges Funkeln wie von einem Ölfilm auf Wasser, dass er sich innerhalb eines Kraftfelds befand. Eine künstliche Atmosphäre.

Wer auch immer ihn aus der Strafanstalt geholt hatte, hatte sich dieses Vergnügen einigen Aufwand kosten lassen.

Er wandte sich um und betrachtete das Gefäß, in dem man ihn hierher verfrachtet hatte. Es schien sich um einen Container aus Aluminium zu handeln. Keine Raumkapsel, nur ein schlichter Kasten aus Metall.

»Void. Wie schön, dass wir uns endlich persönlich treffen.«

Voids Kopf zuckte herum, als die salbungsvolle Stimme ertönte. Bislang hatte der Container den Blick darauf verborgen, erst jetzt bemerkte er die technisch hoch entwickelte Raumkapsel, die dort schon eine Weile stehen musste. Vielleicht war sie sogar vor ihm hier angekommen.

Aus der Eingangsschleuse trat nun ein Humanoide, der Void mit einem offenen und charismatischen Lächeln begrüßte. Er war groß gewachsen, prototypisch menschlich in seinem Äußeren, mit blondem Lockenhaar und sichtbaren Muskeln. Sein androgynes Gesicht kam Void vage bekannt vor, doch er konnte es nicht genau einordnen. Obwohl er große Teile seiner Existenz damit verbrachte, Gesichter zu kopieren, merkte er sie sich nur selten. Seine DNA war besser darin als sein Verstand.

Void antwortete nicht.

Der Humanoide störte sich nicht daran. Er schien den Klang seiner eigenen Stimme zu genießen. »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Aelianus. Ich bin der Oberkoordinator von Oculus, einer Vereinigung, über deren positive Auswirkungen auf das Universum du mit Sicherheit schon gehört hast.«

»Nein«, sagte Void.

Kurz wirkte der Humanoide namens Aelianus vor den Kopf gestoßen. Doch er fand sein Lächeln rasch wieder. »Nun, ich nehme an, im Gefängnis ist der Zugriff auf Nachrichtenportale nur begrenzt möglich. In diesem Fall musst du mich wohl beim Wort nehmen.«

»Muss ich das?«

Aelianus runzelte die Stirn.

»Oh. Das war eine rhetorische Floskel. Warum bin ich hier?«, fragte Void. Das Ego dieses Menschen interessierte ihn nicht.

»Dazu wollte ich gerade kommen. Mein Team und ich haben uns die Freiheit genommen, eine vorzeitige Entlassung aus der Haft für dich zu erwirken. Wir sind der Meinung, vierzig Zyklen sind mehr als ausreichend, und obendrein ist dieses überzogene Urteil eine tragische Verschwendung deiner einmaligen Fähigkeiten. Wenn ich etwas verabscheue, dann ist es Verschwendung.«

Void musterte den anderen ausdruckslos. »Es ist nicht Zweck meiner Existenz, nützlich im Auge anderer zu sein.«

»Nein«, lenkte Aelianus ein. »Selbstverständlich nicht. Ich bin sogar der Ansicht, dass dein Wesen bislang auf sträfliche Weise missverstanden wurde. Man erzählt sich, du hättest kein Gewissen und wärst nur auf deinen persönlichen Vorteil bedacht, würdest über die Leichen ganzer Sternensysteme gehen, nur eines winzigen Vorsprungs wegen – doch ich denke, das stimmt nicht. Ich habe deinen Weg vor deiner spektakulären Inhaftierung genau verfolgt und mir mein eigenes Bild gemacht. Und ich denke, dass wir uns ähnlicher sind, als du denkst.«

Void überlegte für mehrere Sekunden, um diese Aussage mit seinem Wissen abzugleichen. Dann stellte er fest: »Wir gleichen uns in keinem Punkt.« Sein Blick wanderte zu der Raumkapsel, aus der sein Gesprächspartner getreten war. Der Weg in die Freiheit – sein Fluchtweg. Warum hielt er sich überhaupt mit diesem Humanoiden und seinen leeren Worten auf?

»Das würde ich an deiner Stelle bleiben lassen.« Aelianus hatte Voids Blick bemerkt. »Ich persönlich bin der Ansicht, dass du eine vernünftige Lebensform bist, mit der man eine sachliche Verhandlung führen kann. Aber meine Mitarbeiter sehen das nicht alle so, und sie haben Vorkehrungen zu meinem und ihrem eigenen Schutz getroffen. Solltest du dieses Gespräch also verfrüht abbrechen wollen, durch einen Fluchtversuch oder einen Angriff auf mich … Nun, ich würde den Ausgang sehr bedauern. Bevor du also etwas Unüberlegtes tust, das wir am Ende beide bereuen: Warum hörst du dir nicht einfach einmal an, was ich zu sagen habe? Was hast du schon zu verlieren?«

Void musste sich widerwillig eingestehen, dass der Humanoide recht hatte. »Dann solltest du besser zur Sache kommen.« Automatisch hatte Void die persönliche Anrede des anderen übernommen. Von Höflichkeitskonventionen hatte er wenig Ahnung, in der Regel passte er sich seiner Umgebung und seinen Gesprächspartnern an.

»Auch wenn du in deiner Vergangenheit für eine Menge Verwüstung und Unruhe gesorgt hast, ist mir durch die Analyse deiner bekannten Unternehmungen aufgefallen, dass du immer versucht hast, Fatalitäten zu vermeiden. Doch nun erhebt sich eine neue Gefahr in diesem Sektor. Eine Gefahr, die unzählige Lebensformen vernichten könnte.«

»Lebensformen sterben immer, auf allen Planeten, zu jeder Zeit«, erwiderte Void. »Manchmal sind es viele gleichzeitig, manchmal nicht. Warum sollte mich das kümmern?«

»Bei der erwähnten Gefahr handelt es sich um eine Waffe. Eine Konstruktion, die in der Lage ist, gleichermaßen vorhandene Technologie und den Verstand von Lebensformen zu vernichten. Einmal angewandt, kann ein kompletter Planet ausgelöscht werden.«

Jetzt wurde Void hellhörig. »Eine derartige Waffe benötigt Wissenschaft und Technologie, welche das menschliche Volk nicht besitzt. Wer steckt hinter dieser Konstruktion?«

Aelianus zögerte. Vermutlich war er sich nicht sicher, ob er den taktischen Vorteil dieses Wissens aufgeben sollte. Dann gab er sich jedoch einen sichtlichen Ruck. »Die Technokraten.«

Void mahlte nachdenklich mit den Zähnen. Es war die stärkste emotionale Regung, die er in menschlichen Körpern zur Schau stellte.

Technokratisches Wissen wurde eifersüchtig gehütet. Ihr Reich gehörte zu den fortschrittlichsten des bislang erschlossenen Teils der Galaxis, und dabei war nur ein Bruchteil ihrer Errungenschaften bekannt. Void hätte viel gegeben, um einmal einen Blick in ihre Aufzeichnungen werfen, um nur einen einzigen Prototyp ihrer Maschinen in die Hände zu bekommen.

»Und was genau erwartet ihr von mir?«, fragte Void.

Aelianus Miene erhellte sich. »Du bist also interessiert.«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Nein, das musstest du nicht sagen.« Bevor Void einlenken konnte, fuhr der Humanoide fort. »Wir benötigen deine Fähigkeiten, um an diese Waffe zu gelangen. Einen Infiltrator von deiner Expertise und deinem Können, der uns hilft, ihren Standpunkt ausfindig zu machen und sie zu erreichen. Niemand wäre dafür besser geeignet als du. Und ich hole mir stets nur die Besten in mein Team.« Einladend breitete Aelianus die Arme aus.