Im Jahr der Masken - Ilena Grote - E-Book

Im Jahr der Masken E-Book

Ilena Grote

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Beschreibung

Am Silvesterabend 2020/2021 lässt Rieke, das vergangene Jahr Revue passieren. Das Corona-Virus hat die Welt verändert. Einschränkungen wie Geschäftsschließungen, Kontaktbeschränkungen und Abstand halten, sorgten dafür, dass es zu Existenznöten kam. Freundschaften und Ehen zerbrachen. Das Jahr bereitete Wunden auf den Seelen der Menschen. Und wieder waren es die kleinen Dinge, die dafür Sorge trugen, den Tag, den Monat, das Jahr zu überleben. Irgendwann wird diese Pandemie zu Ende sein. Und dann wird die Frage sein, was sie mit uns gemacht hat.

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Seitenzahl: 103

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Inhaltsverzeichnis

Silvester 2020/2021

Rückblick: Silvester 2019/2020

Januar 2020

Februar 2020

März 2020

April 2020

Mai 2020

Juni 2020

Juli 2020

August 2020

September 2020

Oktober 2020

November 2020

Dezember 2020

Silvester 2020/2021

Autorenporträt

Silvester 2020/2021

Rieke ließ sich in den Sessel fallen. Geschafft, dachte sie erleichtert. Wieder ein Jahr vorüber. Beim Glockenläuten um Mitternacht hatte sie einen Freudenschrei unterdrückt. Nicht wie zu den vorherigen Jahreswechseln, bei denen immer ein paar Tränen geflossen waren.

So oder so - weniger emotional wäre auch genug gewesen - das war ihr bewusst. Aber sie konnte nicht aus ihrer Haut. Jedes Mal, wenn sie mit einem Ereignis konfrontiert wurde, das sie berührte, hatte sie einen Kloß im Hals und rang um Fassung. Dabei war es egal, ob es sich um ein schönes Erlebnis wie die Hochzeit ihres Sohnes im August oder um ein weniger schönes wie die ständigen Streitereien mit ihrem Mann drehte. Ob sie sich auf einer Beerdigung befand oder ob es sich um etwas so Banales wie den Klang der Glocken zum Jahresanfang handelte. Mit Ironie oder Sarkasmus suchte sie ihre Gefühle zu überspielen. Das vergangene Jahr hatte ihr zusätzlich noch so viel mehr abverlangt. Sie stieß gerne darauf an, dass es endlich ein Ende damit hatte. Obwohl sie nicht wusste, was das kommende für sie bereithalten würde, aber der Beginn dieses neuen Jahres war ein Grund für sie zu jubeln.

Dabei hatte der Start des Jahres 2020 glauben lassen, dass endlich etwas Ruhe einkehren würde. Selbst als diese schreckliche Infektionskrankheit die Welt in Aufregung versetzte, hatte sie gehofft, dass es sich dabei um ein vorübergehendes Ereignis handeln würde. Wer konnte vor einem Jahr ahnen, wie drastisch sich das Leben für alle Menschen verändern sollte. Rieke schenkte sich ein Glas Rotwein ein, lehnte sich in ihrem Sessel zurück und verlor sich in Gedanken.

Rückblick:

Silvester 2019/2020

Ben und Mona kamen mit ihren Partnern und Familien gleichzeitig am Haus der Eltern an. Die beiden Kinder von Friederike und Matthias waren in ihrem Heimatdorf geblieben, obwohl ihre ehemaligen Mitschüler sich nach und nach von dort verabschiedet hatten.

Mona war mit ihrem Mann Helge und den zwei Kindern Kasimir und Jonathan zur Miete in eine kleine Wohnung gezogen.

Ben hatte gerade das Haus der Großeltern übernommen und renovierte es gemeinsam mit seiner Freundin Anna.

Jeder lebte sein eigenes Leben, ging seiner Arbeit nach, hatte Hobbys und Freunde und trotzdem nahm man sich Zeit, die Feiertage bei den Eltern zu verbringen. So war es regelmäßig an Ostern, am Heiligen Abend und zu Silvester. Friederike genannt Rieke fragte sich, was die Kinder im Dorf hielt. Es gab nichts, das für junge Leute hier von Interesse sein könnte. Zu ihren jeweiligen Arbeitsstellen fuhren sie mehrere Kilometer und um ins Kino oder in die Disco zu fahren, mussten sie in die nächste Stadt. Als Mona und Ben noch jünger waren und keine eigenen Führerscheine besaßen, hatten sie mit befreundeten Paaren Fahrgemeinschaften gebildet. Ab und zu war Rieke dran gewesen, sie abzuholen. Die nächtliche Tour war immer ein Problem, weil sich dafür nur wenige Eltern bereitfanden. Matthias winkte jedes Mal ab. Er meinte, wenn er schon den ganzen Tag arbeiten müsse, dann bräuchte er wenigstens nachts seine Ruhe. Dass Rieke sich um den kleinen Hofladen und das Haus mit dazugehöriger Ferienwohnung kümmerte, Essen kochte und auch die Buchhaltung erledigte, das sah er nicht. Aber Rieke hatte sich arrangiert. Ab und an platzte ihr mal der Kragen und sie polterte darauf los, hielt ihm vor, er sei ein Egoist, der sich nur um sich selber kümmern würde und dem das Leben der anderen egal sei. Dann schrie er zurück, sie könne ja gehen, dann würde sie mal sehen, wie das sei, wenn man Verantwortung tragen müsse.

Rieke ertrug alles. Nicht weil sie ihm zustimmte, sondern weil sie wusste, dass all das, was sie sich gemeinsam geschaffen hatten, auch nur gemeinsam erhalten werden konnte. Einer allein konnte die Last nicht tragen. Sie waren aufeinander angewiesen. Und mit Mitte/ Ende fünfzig nochmals von vorn anzufangen, dazu fehlte es ihr an Kraft.

An diesem Silvesterabend hatte es zwischen den beiden wieder gekracht. Aber der Rauch war schnell verflogen, als die Kinder das Haus betraten. Die Enkel umarmten Rieke. Sie liebten sie und kamen häufig zu Besuch. Schließlich konnten sie in den Scheunen und auf dem Gelände herumtollen, ohne gestört zu werden. Rieke ließ sie gewähren und achtete nur darauf, dass sie sich nicht verletzten. Wenn Opa Matthias mit den beiden auf das Feld fuhr, dann durften sie links und rechts neben ihm auf den Kotflügeln der großen Reifen sitzen. Alle waren begeistert von ihrem Tun. Das waren die wenigen Momente, in denen Matthias nicht schimpfte. Rieke genoss die Zeit mit Kasimir und Jonathan.

Die Jacke noch in der Hand fragte Mona aufgeregt, ob Rieke die Nachrichten gesehen hätte. Ihre Mutter ignorierte die Frage und winkte die Gesellschaft von der großen Diele ins Wohnzimmer. Matthias, der auf der alten Couch gelegen hatte, quälte sich unter Stöhnen hoch um die Gäste zu begrüßen.

„Ach Papa“, sagte Mona mitleidig. „Geht es dir nicht gut? Bleib doch liegen. Soll ich dir was bringen?“

Rieke und Ben verdrehten die Augen. Mona und ihr Vater. Die beiden waren wie Pech und Schwefel. Das war schon immer so gewesen. Schon als Mona noch ein Kind gewesen war, hatte Matthias sich mehr um Mona gekümmert als um alles andere. Auf seine Mona war Matthias besonders stolz. Sie war seine kleine Prinzessin und konnte sich auf seinen Schutz immer verlassen. Mona dankte es ihm mit Loyalität. Sie wusste, dass sie bei ihrem Vater einen besonderen Stellenwert hatte. Deshalb nahm sie sehr viel mehr Rücksicht auf seine Befindlichkeiten als Rieke es tat. Dennoch konnte Mona verstehen, dass seine Art für ihre Mutter oft unerträglich war.

„Papa, schalte doch mal um. Guckst du schon wieder diese Sendung. „Dinner for one“. Das hat doch schon einen Bart. Das können wir doch alle schon mitsprechen. Guck, gleich stolpert er wieder über den Bärenkopf.“ Mona nahm den Fernsehschalter in die Hand.

„Das ist ein Tiger, Schwesterlein“, spöttelte Ben.

„Bio war nicht so deine Stärke, oder?“

„Bio war nicht so deine Stärke“, äffte Mona ihm nach. „Dafür war ich in Erdkunde immer besser als du. Jetzt guckt euch das mal an.“ Mona zappte sich durch die Programme. „Wo ist es denn? Da schau, da läuft es.“ Sie hatte gefunden, nach was sie gesucht hatte.

Alle sahen gespannt auf den Bildschirm und erstarrten. Gezeigt wurde ein Strand, auf dem Menschen aufgebahrt waren. Dicht an dicht hatte man sie gelegt. Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche. Es war erschreckend. Rieke schlug sich die Hand vor das Gesicht. Als Nächstes zeigte man einen Mann, der von der Polizei abgeführt wurde. Er trug eine Kapitänsuniform. Der Reporter berichtete, dass der Führer eines Frachters in Griechenland verhaftet worden sei, weil er in Seenot geratene Flüchtlinge aufgenommen hatte und diese so an Land bringen wollte. Ein zweites Boot mit Flüchtlingen war von der Marine immer wieder zurück aufs Meer gebracht worden. Dort war es gekentert.

„Oh, wie schrecklich“, meinte Rieke erschüttert.

„Wer sich in Gefahr begibt…“, stellte Matthias nüchtern fest.

„Wie kannst du so etwas sagen, Papa. Die armen Menschen, die dort liegen, die haben sich doch nicht zum Spaß auf die Reise begeben. Was muss in Syrien oder anderswo geschehen sein, dass die diese Strapazen auf sich nehmen?“

„Ich verstehe nicht, dass die nicht zu Hause bleiben.“ Ben tat, als ob ihn das alles nichts anginge. Er hatte Hunger und saß schon am Esstisch.

Rieke antwortete: „Aber Junge in Syrien ist Krieg. Zustände wie im Krieg können wir uns hier nicht vorstellen und wollen wir auch nicht.“

„Na und? Dann würde ich da bleiben und um mein Land kämpfen“, Ben schnaufte abfällig.

„Das sagt einer, der nicht gedient hat“, Helge sah ihn missbilligend an.

„Ob ich gedient habe oder nicht, das spielt doch hier wohl keine Rolle.“

„Natürlich spielt das eine Rolle“, entgegnete Helge. „Was willst du denn machen, wenn hier ein Krieg ausbricht. Das ist nicht wie in einem deiner Computerspiele. Willst du dir vom Schießstand eine Waffe holen und wild um dich schießen? Dass du treffen könntest, das will ich gar nicht abstreiten. Aber einfach nur unkontrolliert ohne Befehl um sich knallen, das ist ja Selbstjustiz.“

„Was heißt hier Selbstjustiz. Wenn einer mich oder meine Familie bedroht. Dann habe ich doch wohl das Recht, mich zu wehren.“

Rieke merkte, wie Ben sich immer mehr aufplusterte. Den Vorwurf, dass er nicht zur Bundeswehr gegangen war, bekam er nicht zum ersten Mal zu hören.

Rieke versuchte, die Gemüter zu beschwichtigen: „Aber das eine hat mit dem anderen ja nichts zu tun. Hier gibt es seit mehr als siebzig Jahren keinen Krieg und wir hoffen, dass es auch so bleibt. So, und nun setzen wir uns alle an den Tisch. Das Fleisch für das Fondue bringe ich gleich.“

Aber Ben und Helge ließen sich nicht so schnell beruhigen, wie Rieke es sich gewünscht hatte.

Jetzt mischte Matthias sich auch noch ein: „Und Helge? Man gut, dass Ben nicht gedient hat, sonst müsste er vielleicht auch noch nach Syrien, um dort wieder Ordnung zu schaffen. So wie du damals in den Kosovo musstest. Weißt du noch, wie viel Angst deine Frau damals um dich hatte? Und wie sehr es dich belastet hat, als du dein Testament schreiben solltest. Nur für den Fall, dass dir was passiert? Nee, nee. Es war schon richtig, dass Ben nicht eingezogen wurde.“

Matthias nahm den Schalter in die Hand und knipste den Fernseher aus. „Dieses Fernsehen und immer diese schlechten Nachrichten. Das vermiest einem noch die gute Laune und sorgt am letzten Abend des Jahres für Streit. Jungs“, damit wandte er sich an Kasimir und Jonathan „lasst die Schokolade liegen. Jetzt gibt es Essen.“

Als alle am Tisch saßen, eröffnete Ben ihnen feierlich, dass er Anna einen Antrag gemacht hatte und sie hätte ja gesagt. Im August solle Hochzeit gefeiert werden. Ausnahmslos alle Familienmitglieder jubelten und beglückwünschten sie zu ihrer Verlobung. Mona umarmte ihre zukünftige Schwägerin und wollte sofort alle Einzelheiten zum Antrag in Erfahrung bringen. Rieke freute sich. Endlich dachte sie bei sich, endlich hatte er die Richtige gefunden. Vielleicht würde jetzt ein wenig Ruhe in sein unstetes Leben einkehren.

Nach dem Essen holte Rieke die alten Kaffeetassen hervor, die aus Tradition an jedem Silvesterabend beim Bleigießen zum Abkühlen des Bleis verwendet wurden. „Jetzt wollen wir doch mal sehen, was das kommende Jahr für uns bring“, meinte sie. „Nun, was wird es dir schon bringen? Eine Schwiegertochter, das haben wir ja bereits erfahren.“ Helge nervte dieses alljährliche Ritual. Er glaubte nicht an diesen Hokuspokus, wie er es nannte. „Ein Gewinn im Lotto wäre nicht schlecht. Dann könnte ich uns endlich ein neues Auto kaufen.“

„Und ich würde dann vielleicht mal einen eigenen Computer bekommen“, meldete sich der elfjährige Kasimir zu Wort.

„Vorher krieg ich aber ein neues Handy“, mischte sich Jonathan ein.

„Was? Schon wieder?“ Matthias runzelte die Stirn. „Was ist denn mit dem passiert, das ich dir geschenkt habe?“

„Das liegt auf dem Boden der Aller“, feixte Kasimir sichtlich erfreut, dass er seinen errötenden Bruder anschwärzen konnte.

Ben nahm sich eine Tasse, deren Rand bereits angeschlagen war und besah sie sich gründlich. „Die hat ihre besten Zeiten auch schon hinter sich“, sagte er. „Du kannst dir aber auch mal neue kaufen, Mama.“

„Aber die sind doch noch gut. Zumindest für unsere Zwecke sind sie noch gut genug“, antwortete Rieke.

„Ich dachte Bleigießen wäre verboten“, meinte Anna.

„Ich weiß, aber ich hatte noch einen Rest. Den kann ich doch nicht wegwerfen. Für einmal Bleigießen reicht es noch. Dann müssen wir uns für das nächste Jahr etwas Neues einfallen lassen. Schade, das war immer so eine schöne Tradition“, murmelte Rieke wehmütig. „Ich glaube nicht, dass wir etwas Ähnliches finden. Bleibt nur noch das Feuerwerk um null Uhr.“

„Bis nächstes Jahr hat Greta uns das auch noch verboten“, stichelte Matthias.

„Ach Papa, Greta Thunberg ist doch nur ein kleines Mädchen“, seufzte Mona. „Die kann doch gar nichts verbieten.“

„Nee,” Matthias geriet in Rage. “Eben: Sie ist nur ein kleines Mädchen. Aber alle hören auf sie. Unsere Politiker plappern ihr fleißig nach. Jetzt sollen weniger Flüge stattfinden und weniger Autos fahren. Ich wüsste gern mal, wie die von A nach B käme, wenn sie weniger Zeit hätte.“

„Ach Papa, reg dich doch nicht auf.“