Im Licht der Horen: Sponde - Opfer - Petra E. Jörns - E-Book

Im Licht der Horen: Sponde - Opfer E-Book

Petra E. Jörns

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Beschreibung

Als der Erfinder des Serums entführt wird, das der psi-begabte Pilot Jameson McAllister erhält, um seine Psi-Kräfte zu verstärken, damit er als Waffe gegen den unbekannten Feind dienen kann, verspricht die Mutanten-Untergrundbewegung Informationen. Zu diesem Zweck soll McAllister in eine ihrer Zellen eingeschleust werden. Doch Kayleigh, McAllisters ehemalige Geliebte und Kontaktfrau der Untergrundbewegung, spielt falsch. Zu spät erkennt Deirdre MacNeill, wie raffiniert Kayleigh alle Beteiligten manipuliert, um sich an McAllister für dessen Zurückweisung zu rächen. Verzweifelt setzt Deidre alle Hebel in Bewegung, um den Mann zu retten, den sie liebt.

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Petra E. Jörns

Im Licht der Horen

Sponde – Opfer

AndroSF 185

Petra E. Jörns

SPONDE – OPFER

Im Licht der Horen 3

AndroSF 185

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: November 2023

p.machinery Michael Haitel

Titelbild: Klaus Brandt

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 360 4

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 744 2

Prolog

Jamie!

Sie schrak hoch, am ganzen Körper schweißnass. Im Reflex schlug sie im Halbdunkel des Zimmers die Hände vor die Augen, als könne sie so das Bild aussperren. Vergeblich.

Die Erinnerung an den Traum blieb. Sein geliebtes Gesicht. Zerschlagen und blutig. Die eine Hälfte nur noch rohes, verbranntes Fleisch.

Nein. Nein.

Neben ihr war ein leises unwilliges Brummen zu hören. Durch das geöffnete Fenster drang das Rauschen des Meeres.

Alles war gut.

Langsam nahm sie die Hände fort. Unweigerlich fiel ihr Blick auf den Körper im Bett neben ihr.

Er bewegte sich im Schlaf, als suche er nach ihr. Seufzend packte er die Decke und zog sie an ihrer statt in seine Arme, um sich an sie zu schmiegen. Sein hübsches Gesicht entspannte sich, als seine Wange die Decke berührte. Er wirkte verwundbar und friedlich zugleich.

Zärtlichkeit durchflutete sie. Es drängte sie danach, über seine Wange zu streicheln. Aber sie hatte Angst, dadurch ihre Gefühle auf ihn zu übertragen und ihn so zu wecken.

Trotzdem. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Sobald sie die Augen schloss, sah sie das Bild wieder. Allein bei dem Gedanken wurde ihr übel.

Leise, um ihn nicht zu wecken, stand sie auf und trat ans Fenster. Einmal mehr berauschte sie sich am Anblick der kleinen Bucht, die von den grauen Felsen eingerahmt wurde. Unablässig leckten die Wellen an den kiesigen Strand. Der Nachthimmel war gespickt mit unzähligen Sternen.

Sie konnte gut verstehen, dass er das kleine Haus seines Großvaters nicht verkaufen wollte. Auch wenn er so gut wie nie hier war. Es war wunderschön hier. Idyllisch. Dabei hatte sie gedacht, die kleine Stadt, in der sie ihre Kindheit verbracht hatte, sei der Ausbund an Romantik.

Ihre Füße wurden kalt. So lange stand sie schon dort.

Wieder und wieder drängte das Bild ihres Traums nach oben. Kein Traum. Eine Vision. Es war sinnlos, sich dagegen zu wehren. Sie konnte den Blick in die Zukunft nur annehmen, als das, was es war: ein Geschenk. Eine Möglichkeit, um vielleicht zu ändern, was geschehen mochte.

Endlich drehte sie sich um. Wie von einem Magneten angezogen tappte sie zum Bett zurück, schlüpfte hinter ihm unter die Decke und schmiegte sich an ihn. Sein nackter Körper fühlte sich gut an. Warm und einladend.

Er seufzte, als ahnte er, dass sie wieder neben ihm lag.

Sanft hauchte sie einen Kuss zwischen seine Schulterblätter. Sie würde nicht zulassen, dass das Bild wahr wurde.

Niemals.

Und wenn es sie ihr Leben kostete.

1. Kapitel

Die Sonne und das Geschrei der Möwen weckte sie. Im Halbschlaf tastete Dee über das Laken des Bettes auf der Suche nach dem Männerkörper, in dessen Armen sie wieder eingeschlafen war. Nichts. Nur ein Rest Wärme, der zeigte, wo er bis vor Kurzem gelegen hatte.

Gähnend setzte sie sich auf. Sie brauchte eine Weile, um sich in der fremden Umgebung zurechtzufinden. Das war das Haus von Jamies Großvater in Kynance Cove. Sie befand sich im großen Schlafzimmer im Obergeschoss mit Blick auf die kleine Kiesbucht, die sie nur mit den paar Fischkuttern teilen mussten, die immer noch jeden Tag aufs Meer hinausfuhren. Dem Sonnenstand nach zu urteilen, musste es bereits später Vormittag sein.

Vom Bett aus konnte sie über den kleinen Garten bis hinunter zum Meer schauen, das von kahlen, grauen Felsen gesäumt wurde. Ein nackter, blonder Mann rannte über die grauen Steine, warf sich mit einem eleganten Kopfsprung in die Fluten und verschwand. Jamie.

Dee schauderte unwillkürlich. Sie hatte gestern Abend die Wellen über ihre nackten Füße spülen lassen. Das Wasser war eiskalt gewesen. Angenehm für die Füße nach der zweistündigen Fahrt auf dem Antigravbike in den engen Stiefeln und der schweren Schutzkombi. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie das tatsächlich getan hatte. Die Landschaft war in irrwitziger Geschwindigkeit an ihnen vorbei gezogen. Ohne das beruhigende Gefühl von Jamies Körper vor sich hätte sie die ganze Fahrt nur vor Angst geschrien.

Sein Kopf tauchte wieder auf. Mit kräftigen, weit ausholenden Bewegungen kraulte er durch die Wellen hinaus in die kleine Bucht. Leichtes Unwohlsein befiel Dee. Die Strömung da draußen musste tückisch sein. Doch er würde es wissen. Er war hier groß geworden und sicherlich machte er das schon, seit er schwimmen konnte. Wenn er bis zu diesem Tag nicht ertrunken war, war die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt etwas passierte, außerordentlich gering.

Sie trat ans Fenster, um ihn besser beobachten zu können. Genoss einmal mehr den Ausblick, der ihr immer wieder den Atem raubte – so schön war er. Als sie Jamie nicht mehr sehen konnte, wollte sie sich losreißen, um hinunter in die Küche zu gehen. Doch eine Bewegung oberhalb der Felsen ließ sie innehalten.

Dee beschattete ihre Augen. Versteckte sich da jemand?

Nichts.

Sie musste sich getäuscht haben. Der Traum fiel ihr ein und ließ sie unwillkürlich frösteln. Kein Wunder, wenn sie Gespenster sah.

Die alte Holztreppe knarrte unter ihren Schritten. Die Terrassentür stand weit offen. Die ersten Sonnenstrahlen erreichten die kleine, gekieste Terrasse, auf der Gartenmöbel aus Holz zum Verweilen einluden.

Sie setzte Kaffee auf, schenkte sich einen Becher ein und trat hinaus auf die Terrasse. Eine schwarz-weiße Katze kam über den Rasen auf sie zu, maunzte einmal und strich um Dees Beine. »Hallo«, begrüßte sie das Tier. Die Katze schnurrte, als sie sie streichelte. Nach einer Weile verschwand sie wieder.

Derweil war Jamies Kopf wieder aufgetaucht und strebte dem Ufer zu. Sie hatte die Tasse halb geleert, als er den Strand erreichte. Er winkte ihr zu und rannte die Bootsrampe hinauf. Bevor er im Garten anlangte, setzte sie die Tasse auf dem Holztisch ab. Sein keuchender Atem näherte sich. Dann war er bei ihr.

Nackt und nass, wie er war, warf er die Arme um sie und zog sie an sich heran. Er war so kalt, dass Dee einen spitzen Schrei nicht unterdrücken konnte. Als Antwort lachte er nur und küsste sie. Seine Hände irrten über ihren Rücken, schlüpften unter das übergroße Shirt, das sie trug, waren überall, weckten trotz der Kälte Hitze.

»Nicht hier«, konnte Dee noch zwischen zwei Küssen murmeln.

Da. Da war er wieder.

Ein helles Oval oberhalb der Felsen. Ein Gesicht? Beobachtete sie jemand?

Ehe sie ihren Verdacht bestätigen konnte, schob Jamie sie durch die Terrassentür zum Sofa und zwang sie darauf nieder. Seine Hände schoben ihr Shirt hoch, seine Lippen hinterließen eine feuchtkalte Spur auf ihrem Körper, fanden wieder ihren Mund.

Dee glaubte, vor Verlangen zu brennen. Da war kein Platz mehr für Sorgen. Sie hielt ihn fest, genoss das Gefühl seiner Muskeln unter der kalten Haut, spürte endlich, wie sich sein hartes Glied an sie drängte und öffnete willig die Beine, um ihn willkommen zu heißen.

Dann war alles, was übrig blieb, nur noch Lust und Begierde.

Sie verbrachten den Rest des Vormittages bis weit über die Mittagsstunde auf der Terrasse, tranken Kaffee, aßen Toast und Croissants mit Clotted Cream und Erdbeermarmelade. Immerhin hatte er freiwillig seine Boxershorts angezogen. Ein wenig hatte sie befürchtet, sie müsse ihn daran erinnern, etwas überzuziehen.

Schweigend saßen sie danach nebeneinander, die Gesichter der Bucht zugewandt und ließen sich von der Sonne wärmen. Verstohlen sah Dee sich immer wieder auf der Suche nach dem Beobachter um, den sie glaubte gesehen zu haben. Aber da war nichts.

Nur eine getigerte Katze mit weißen Pfoten gesellte sich für kurze Zeit zu ihnen, als gehöre sie zum Haus. Jamie ließ sie das Töpfchen Clotted Cream ausschlecken. Danach legte sich die Katze in den Schatten und beobachtete sie.

Ohne sie anzusehen, tastete Jamie nach Dees Hand. Seine Finger schlossen sich um ihre, als müsse er sich vergewissern, dass sie tatsächlich da war. Er schien nicht gewillt, sie wieder loszulassen. Verstohlen beobachtete Dee ihn. Sie konnte sich nicht entscheiden, welcher Anblick schöner war – Jamie oder die Aussicht über die Bucht.

»Wir müssen«, sagte sie endlich.

Er seufzte nur und half ihr dabei, das Frühstücksgeschirr in die Küche zu tragen.

»Wo kommen eigentlich die Milch und die Marmelade her und die Croissants und der Toast?«, fragte Dee, während sie das Geschirr säuberte.

Sie hörte ihn leise summen. Die Schranktüren klapperten, während er das Essen wegräumte. »Ich habe gestern die alte Misses Clancy angerufen. Wohnt nebenan. Nette alte Dame. Sie vermietet das Haus an Urlauber. Dafür hält sie es in Schuss. Ihr gehören auch Thelma und Tom.«

»Thelma und Tom?«

»Die beiden Katzen. Thelma ist die Getigerte, die uns vorhin besucht hat. Tom ein schwarz-weißer Kater. Ich glaube, ich habe ihn gesehen, bevor ich schwimmen ging.«

»Kriegt sie einen Anteil an der Miete?« Dee stellte das letzte Stück gesäubertes Geschirr auf die Küchenarbeitsplatte.

»Ja, hundert Prozent. Ich brauche ja nichts.« Jamie schlang von hinten die Arme um sie und platzierte einen feuchten Kuss in Dees Nacken.

»Du bist großzügig.«

»Mmh. Wenn du das sagst.« Jamies Hände glitten unter Dees Shirt hoch zu ihren Brüsten, umfassten sie.

Dees Atem beschleunigte sich. Sofort schoss Hitze zwischen ihre Beine. »Jamie, wir haben es eilig.«

»Ich weiß.« Eine seiner Hände strich von hinten zwischen ihre Beine und schob ihren Slip herunter.

»Jamie«, protestierte sie halbherzig.

Doch er scherte sich nicht darum, küsste stattdessen ihren nackten Rücken und umfasste ihre Hüften.

Sie fühlte die heiße Spitze seines Glieds zwischen ihren Oberschenkeln und beugte sich stöhnend über die Arbeitsplatte. Zwischen den halb geschlossenen Lidern hindurch sah sie ihn wieder.

In diesem Augenblick drang Jamie mit einem Ruck in sie ein. Der Schatten war vergessen. Voller Lust schrie sie auf. Stöhnte und keuchte, während er immer härter und tiefer in sie hinein stieß, bis die Welle sie erreichte und mit sich riss.

Nach Atem ringend kam sie halb auf der Arbeitsplatte liegend wieder zu sich. Ein sanfter Kuss traf ihren Nacken. »Ich will mehr«, seufzte er.

Dee lächelte und fasste nach seiner Hand, die schon wieder begonnen hatte, ihre Brust zu streicheln. »Hat dir gestern und heute Nacht nicht gereicht?«

»Kein bisschen.«

»Wir können heute Nacht weitermachen.«

Mit einem leisen Knurren deutete er einen Biss in ihren Hals an. »Bis morgen früh.«

Dee lachte. »Von mir aus bis morgen früh. Oder bis wir dabei einschlafen.«

Abrupt drehte er sie um, sodass sie ihn ansehen musste. Ein freches Grinsen zauberte Grübchen in seine Wangen, während er sie an sich drückte. »Darauf kannst du lange warten.«

Er verschloss die Haustür, trat durch das quietschende Gartentürchen und warf einen letzten Blick auf das Haus, bevor er sich zu ihr umdrehte. In der linken Hand hielt er den Helm. Die schweren Hosen saßen eng an ihm, die Jacke betonte seine Schultern. Die Schutzkleidung wirkte wie für ihn gemacht.

Dee fand, dass der Komplettanzug, den er ihr geliehen hatte, an ihr eher wie ein Sack herunterhing.

Er trat zu ihr, prüfte noch einmal den Sitz der Kombi, zog den Gurt an ihrem Helm nach und klopfte ihr schließlich mit beiden Händen gegen die Schultern. »Auf geht’s!«

Unwillkürlich sah Dee sich nach dem Beobachter um.

Doch nur eine alte Frau mit grauen Haaren trat aus dem Haus gegenüber. Die Blumenrabatten davor leuchteten in allen Farben. Rosen wucherten hoch bis zum Dach. War sie es gewesen, die sie gesehen hatte? Oder ein anderer Einwohner des verschlafenen Ortes?

Grüßend hob Jamie die Hand. »Hi, Misses Clancy!«

»War alles recht?«, rief die Frau.

»Ganz große Klasse, Misses Clancy. Und Ihre Erdbeermarmelade ist eine Wucht!«

Misses Clancy lächelte. »Kommen Sie bald wieder vorbei?«

Jamie warf Dee einen Blick zu.

Sie nickte. Einen Herzschlag lang spielte sie mit dem Gedanken, ihm von dem Beobachter zu erzählen.

»Mit Vergnügen. Sobald wir wieder Zeit dazu haben. Auf Wiedersehen, Misses Clancy!« Er hob noch einmal die Hand zum Abschied, ehe er den Helm aufsetzte und sich auf sein Antigravbike schwang.

Falscher Zeitpunkt. Dee holte tief Luft, bevor sie hinter ihm aufsaß. »Auf Wiedersehen, Misses Clancy«, rief sie noch und schlang fest die Arme um Jamie.

»Auf Wiedersehen«, drang es gedämpft durch den Helm.

Dann startete Jamie den Motor und die Hintergrundgeräusche der Wellen und der schreienden Möwen gingen im Summen des Antigravs unter. Ein leichtes Heben zeigte ihr, dass er in Betrieb war. Dees Griff wurde noch eine Spur fester. Sie drückte den Kopf gegen Jamies Rücken, fühlte, wie er beruhigend über ihre Hände strich, und hielt die Luft an.

Ganz langsam ließ er das Speedbike anfahren. Aus den Augenwinkeln konnte Dee Misses Clancy erkennen, die winkend am Straßenrand stand. Häuser huschten an ihren vorbei. Erst als sie sie hinter sich gelassen hatten, nahm Jamie Fahrt auf. Immer schneller sauste die Landschaft an ihnen vorbei. Es war wie ein Rausch.

Dee wunderte sich einmal mehr, wie Jamie es schaffte, so schnell zu reagieren. Die Todesrate unter den Speedbikern nahm jedes Jahr zu. Seltsamerweise fühlte sie sich hinter ihm sicher. Und langsam begann sie zu verstehen, was Jamie an dem Gefährt so reizte. Die Fahrt glich einem einzigen Adrenalinstoß. Es war, als ritte man eine Rakete auf Bodenhöhe. Jede noch so kleine Unaufmerksamkeit konnte den Tod bedeuten. Vom Prinzip her war jeder irre, der ein Speedbike ritt. Er musste es sein, sonst würde er niemals auf dieses Mordinstrument steigen, sondern sich vor Angst in die Hosen scheißen, wie Jamie es auf den Punkt gebracht hatte.

Sie erinnerte sich an ein Gespräch mit Seanan und Siobhan, weil deren jüngster Sohn erwogen hatte, sich ein Antigravbike zu kaufen. Seanan war außer sich gewesen über Jasons Absicht. Dee hatte gemeinsam mit Siobhan zu verhindern versucht, dass der Streit eskalierte – auch wenn sie ebenso wie Siobhan Seanans Meinung geteilt hatte. Am Ende hatte Jason seiner Mutter zuliebe eingelenkt.

Und nun fuhr sie auf einem Speedbike zu Seanan und Siobhan zum Kaffee trinken. Und sie konnte es sogar genießen. Die Welt war verrückt.

Das Surren des Antigravmotors verebbte langsam. Erleichtert nahm Dee den Helm ab. Das Gefühl des festen Bodens unter ihren Füßen war einige Sekunden lang ungewohnt. Immerhin hatten sie den unbekannten Beobachter nun sicher hinter sich gelassen. Ihr Blick fiel auf das weiße Haus mit dem kleinen Vorgarten, in dem Seanan und Siobhan wohnten.

Okay. Dass sie angekommen waren, war nicht zu überhören gewesen.

Sie öffnete die Kombi und schälte sich mühsam heraus. Das Kleid mit dem Blumenmuster, das sie darunter trug, war nur etwas zerknittert. Jamie hatte bereits einen der beiden Koffer geöffnet, nahm etwas heraus und stopfte die Kombi in einem wüsten Knäuel hinein.

Dee fand ihre Sandalen neben ihren Füßen. »Danke«, lächelte sie und tauschte sie gegen die schweren Stiefel, die Jamie zu der Schutzkombi stopfte. Als sie die Sandalen angezogen hatte und aufstand, hatte Jamie einen Blumenstrauß in der Hand. »Wo hast du denn den her?«, fragte sie verblüfft.

»Aus Misses Clancys Vorgarten.«

»Dieb!« Seine Kleidung, die Stiefel, die schweren Hosen, die offene Lederjacke unter der ein schwarzes Shirt mit einem weißen Totenkopf und der Aufschrift »Skeletons« hervorlugte – die Rockband, die er anscheinend gerade bevorzugte – ergab zusammen mit dem wild zusammen gewürfelten Blumenstrauß eine so verrückte Mischung, dass sie ihn einfach küssen musste.

Er grinste. »Keine Spur! Misses Clancy hat mich gesehen. Deshalb ist sie ja auch herausgekommen.«

»Na, dann komm!« Sie fasste nach seiner freien Hand, spürte Nervosität, Unbehagen und einen Hauch von Angst und zog ihn mit sich zur Haustür. Er ließ ihre Hand nicht los, während sie die Klingel betätigte.

Schritte erklangen, dann öffnete sich die Tür. Siobhan stand in einem schlichten grünen Kleid vor ihnen und lachte sie an. »Dee! Kommt herein! Ihr seid ja superpünktlich. Als wir von dem Stau hörten, dachten wir schon, dass ihr euch verspätet.« Noch während sie sprach, umarmte sie Dee.

»Der Stau war kein Problem mit dem Speedbike.« Dee erwiderte die Umarmung.

»Ach, deswegen.« Siobhan lächelte immer noch und wandte sich Jamie zu.

»Hi!« Mehr nicht. Gleichzeitig hielt Jamie Siobhan den Blumenstrauß wie ein Schutzschild entgegen.

»Oh, danke! Wie reizend.« Freudestrahlend nahm Siobhan ihm die Blumen ab. »Dann sind Sie Jamie. Ich bin Siobhan.«

»Hi … äh ja. Bin ich.« Jamie übersah die angebotene Hand und rieb über seinen Nacken. Mit Verspätung schlug er ein.

»Verdammt, welcher Idiot hat sein Speedbike in unserer Auffahrt abgestellt?« Seanan.

Das fing ja gut an.

Siobhan seufzte. »Es ist alles in Ordnung, Seanan. Reg dich nicht auf!«

Schritte näherten sich. »Sag mir nicht, es ist Jason. Wenn der Bengel sich doch ein Speedbike gekauft hat, kann er sich auf etwas gefasst machen.« Im nächsten Augenblick kam Seanan durch die Esszimmertür in den Flur gestürmt. Bei Dees Anblick erstarrte er. »Dee?«

»Hallo, Seanan!« Bevor ihr Bruder reagieren konnte, umarmte Dee ihn.

Mit leichter Verzögerung erwiderte er die Umarmung. »Schön, dass du endlich mal wieder da bist. Wir dachten schon, ihr kommt später …«

»Das Speedbike gehört Jamie«, sagte Dee. »Es ist doch in Ordnung, dass wir es in der Auffahrt geparkt haben?«

»Natürlich.« Seanan ließ sie los. Seiner Stimme entnahm Dee, dass es ganz und gar nicht in Ordnung war. Wortlos musterte er Jamie von oben bis unten.

Siobhan nutzte den Moment und schloss leise die Haustür hinter Jamie.

Jamie räusperte sich. »Hi«, sagte er endlich und bot Seanan die Hand. »Ich bin Jamie. Oder besser Jameson McAllister.«

Nach kurzem Zögern ergriff Seanan seine Hand. »Seanan MacNiall. Dees Bruder.«

»Ist mir klar, Sir.« Jamie zuckte unter Seanans musterndem Blick mit keiner Wimper, obwohl Dee das Herz fast bis zum Hals schlug.

Immer noch hielt Seanan Jamies Hand fest. »Speedbike?«

»Aye, Sir. Eine Tornado 5100-X. Neuestes Modell. Macht dreihundertfünfzig Sachen.«

»Aha.« Erst jetzt ließ Seanan Jamies Hand los. Sein Blick fand Dee. Er runzelte die Stirn.

»Nun setzt euch erst einmal«, sagte Siobhan. »Ich habe auf der Terrasse gedeckt. Kann ich euch etwas zu trinken anbieten?«

»Wasser.« Jamies Antwort kam ganz automatisch.

Ohne ein weiteres Wort verschwand Seanan durch die Tür, durch die er gekommen war.

Ganz selbstverständlich folgte Dee Siobhan in die Küche. Ohne sich umzudrehen, holte Siobhan eine Vase aus einem Schrank, füllte sie mit Wasser und stellte die Blumen hinein.

Zwei Arme umfassten Dee von hinten und ein feuchter Kuss landete zwischen ihren Schulterblättern.

»Kann ich helfen?«, fragte Jamie. Entgegen seinen Worten hielt er Dee fest umschlungen.

Siobhan sah auf und lächelte ihn an. »Der erste Mann, der mich das fragt. Aber ja. Jederzeit.« Sie stellte Gläser auf den Küchentisch und eine Flasche Wasser. »Hier! Dee, nimmst du den Kaffee und die Milch? Dann nehme ich den Kuchen.«

Bevor Dee etwas sagen konnte, ließ Jamie sie los und griff nach den Gläsern und dem Wasser. Das war verrückt! Sienahm den Kaffee und die Milch und ging voraus. Schritte hinter ihr sagten ihr, dass Jamie und Siobhan ihr folgten.

Seanan saß bereits auf der Terrasse. Harry, der Hund, lag neben ihm und beobachtete Mister Peebles, den schwarzen Kater, der sich unter den Sträuchern versteckte. Der kleine Garten war liebevoll gepflegt. Irgendwo weit im Hintergrund war das Meer zu sehen. Als Dee den Kaffee und die Milch abstellte, sah Seanan auf.

Wortlos stellte Jamie die Gläser und das Wasser daneben, schenkte sich ein Glas ein und trank es in einem Zug leer. Mit einem Seufzen zog er die schwere Jacke aus, warf sie einfach in eine Ecke der Terrasse und streckte sich mit Blick auf den Garten, den Rücken Seanan zugekehrt. Ohne sie anzusehen, strich er über Dees Arm.

Dee wollte gerade etwas sagen, als Siobhan erschien und den Kuchen auf den Tisch stellte. Bei ihrem Anblick ließ Harry ein leises »Wuff« hören.

»Hey, wer bist du denn?« Mit einem Lächeln beugte Jamie sich zu dem Hund hinunter und streichelte seinen dicken Kopf.

»Das ist Harry«, erklärte Dee. »Er ist schon …« … ein wenig alt, wollte sie sagen.

Aber Jamie hatte bereits den Ball entdeckt, der neben Harrys Pfoten lag. »Hi, Harry. Komm! Na, komm!« Neckend hielt er Harry den Ball vor die Nase.

Entgegen allen Erwartungen stand Harry auf und sah Jamie erwartungsvoll an.

»Hol den Ball, Harry!«

Harry bellte und eilte mit langen Sätzen dem Ball hinterher, den Jamie durch den Garten warf. Mit wedelndem Schwanz kehrte er zu Jamie zurück.

»Guter Hund«, lobte Jamie, als Harry den Ball zu seinen Füßen fallen ließ. Er packte ihn, rannte über den Rasen und bot Harry den Ball an.

Der folgte bellend. Bevor er Jamie erreichte, warf dieser den Ball wieder fort. Er eilte jedoch neben dem Hund hinter dem Ball her, erreichte ihn tatsächlich als Erster, indem er sich in einer Rolle auf ihn warf. Harry umrundete ihn aufgeregt, schnappte nach dem Ball, bekam ihn zu fassen und zerrte daran.

Jamie lachte. »Aus. Aus! Braver Hund.« Der Ball fiel neben ihm zu Boden und das Spiel begann von Neuem.

Dee setzte sich, den Blick auf Jamie und den Hund gerichtet.

Mit einem Lächeln schenkte Siobhan Kaffee ein und setzte sich neben sie. »Ich kann mich nicht daran erinnern, wann Harry sich das letzte Mal so verausgabt hat.«

Seanans finsterer Blick wurde etwas milder. »Wie alt ist der Kerl? Höchstens so alt wie Jason.«

»Ein Jahr jünger«, antwortete Dee. Unwillkürlich biss sie sich auf die Lippen, da Jamie gerade im Blumenbeet gelandet war.

Schweigen herrschte am Tisch. Nur Jamies Lachen und Harrys Bellen brachen die Stille.

»Und dieses Bürschchen hat Lee vermöbelt?«

»Hat er«, antwortete Dee trocken. »Und glaub mir: Lee hatte keine Chance. Nicht die Geringste.«

»Dee, das ist nicht dein Ernst.« Mit gerunzelter Stirn sah Seanan sie an.

»Doch. Bitterernst, Seanan. Und es ist mir egal, ob es dir passt oder nicht. Ich liebe ihn.«

»Ein Speedbike.«

»Ja, und ich bin mit ihm gefahren und ich habe mich außerordentlich sicher gefühlt.«

Mister Peebles fauchte, als Jamie neben der Katze im Dreck landete, um Harry den Ball abzujagen. Lachend wälzte er sich mit dem Hund im Gras.

»Pilot.«

»Der Beste der Flotte. Und ich weiß, wovon ich rede.«

»Mutant.« Seanans Blick wurde zornig.

»Wie ich.« Dee erwiderte den Blick. »Und verdammt, ihr … ach was, die gesamten Kolonien können froh darum sein. Er hat sein Leben für uns alle riskiert. Und das nicht nur einmal. Gib ihm eine Chance, Seanan. Er verdient es. Wie oft er mir das Leben gerettet hat, davon rede ich gar nicht.«

Seanan richtete den Blick auf Jamie, der aufstand und mit dem Ball in der Hand zur Terrasse zurückkehrte. Harry tappte mit hängender Zunge neben ihm her, als wären sie alte Freunde. Mit einem Laut, der wie ein Seufzen klang, ließ der Hund sich wieder neben Seanan nieder.

»Braver Hund«, sagte Jamie und rubbelte noch einmal dessen Kopf, bevor er den Ball zwischen Harrys Pfoten legte. Verschwitzt und dreckig richtete er sich neben Seanan auf. »Sorry!« Schniefend wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht und hinterließ dort eine Dreckspur. Sein Blick suchte Dee.

»Kuchen?«, fragte Siobhan und legte ein Stück auf den Teller, der neben Jamie stand.

»Danke.« Er lächelte sie an, schnappte sich den Kuchen mit den schmutzigen Fingern und stopfte ihn sich in mehreren Happen in den Mund. »Der ist gut«, sagte er mit vollem Mund, während er nach Dees Hand fasste.

Sie war klebrig und dreckig, aber Dee ergriff sie trotzdem.

Siobhan biss sich auf die Lippen. »Wollen Sie sich die Hände waschen?«

Ertappt ließ er Dees Hand los, wischte sich die Handflächen an seinem Hosenboden ab und nickte.

»Folgen Sie mir! Ich zeige Ihnen das Bad.« Sichtlich um Gleichmut bemüht, stand Siobhan mit einem Wink auf und wies zur Tür.

Mit einem Blick in Dees Richtung strich Jamie über Dees Arm und folgte Siobhan.

Ein leises »Wuff« ertönte, als wolle Harry sich in Erinnerung rufen.

»Bin gleich wieder da, Alter«, sagte Jamie. Doch es war Dee, der er dabei über die Schulter zuzwinkerte. Dann verschwand er im Innern des Hauses.

Kaum dass er außer Sicht war, schüttelte Seanan den Kopf. »Dee, ich bitte dich!«

Zu seinen Füßen wedelte Harry erwartungsvoll mit dem Schwanz.

»Ich sagte es bereits: Gewöhn dich an ihn. Du hast keine andere Wahl. Nicht wahr, Harry?« Dee wandte sich dem Hund zu. »Wenigstens du magst ihn.«

»Wuff«, bestätigte der Hund.

2. Kapitel

»Sie sind Pilot«, fragte Seanan.

Jamie aß das dritte Stück Kuchen – immerhin war er jetzt sauber. Nur seine Haare waren nass und wiesen noch auf sein Spiel mit dem Hund hin. Dem schwarzen Shirt, das er trug, konnte man den Dreck wenigstens nicht ansehen. »Aye.« Er verschränkte die Hände im Nacken und lehnte sich zurück.

Seanan hob die Augenbrauen. »Wann haben Sie Ihren Abschluss gemacht?«

»Vor …« Jamie überlegte kurz. »… drei Jahren.«

»Abgangsnote?«

»Jahrgangsbester. Im zweiten Anlauf. Hatte ein paar Probleme.«

»Welcher Art?«

»Was wird das? Ein Verhör?«

Seanan legte die Kuchengabel auf den Teller. »Dee, holst du in der Küche noch eine Flasche Wasser? Dein Gast hat Durst.«

Die Wasserflasche, die auf dem Tisch stand, war noch halb voll.

»Seanan …«

Behutsam legte Siobhan ihre Hand auf Dees. »Komm«, sagte sie. Als Dee nicht gleich reagierte, fasste sie nach Dees Schulter.

»Geh nur«, sagte Jamie, »ich verspreche dir, dass wir uns nicht gegenseitig an die Kehle gehen, solange du fort bist.«

Seanans Miene verfinsterte sich.

Mit einem Seufzen stand Dee auf. Siobhan folgte ihr. Als sie die Küche erreichten, hätte Dee am liebsten ein Glas an die Wand geworfen, nur um das Geräusch zerberstenden Glases zu hören. »Was bildet er sich ein? Er hat kein Recht, ihn so zu behandeln.«

»Nun beruhige dich doch!« Siobhan legte die Hand auf Dees Schulter. »Und versuche, Seanan ein wenig zu verstehen.«

»Ich weiß nicht, was ich da verstehen soll!«

»Dee, nun sieh doch hin! Dein Jamie hat genau die Eigenschaften, über die sich Seanan bei unseren vier Jungs schon immer aufgeregt hat. Er ist provokant, unangepasst und ein wenig zu sehr von sich selbst überzeugt. Was hast du erwartet?«

»Etwas mehr Mitgefühl mit mir zum Beispiel?«

Siobhan seufzte. »Seanan will nur das Beste für dich. Das wollte er schon immer.«

»Dann ist Jamie also nicht gut genug? Ist es das?«

»Nein. Er ist nur nicht das, was Seanan sich für dich erhofft hat. Mehr nicht.«

»Und was hat er sich für mich erhofft? Jemanden wie … wie Ciaran oder Deaglan oder Aodhan? Die drei waren in Jamies Alter eher noch schlimmer als er.«

Siobhan lachte. »Da hast du durchaus recht. Und auch Seanan wird das irgendwann einsehen. Gib ihm einfach ein wenig Zeit. Das wird schon.«

Nun war es Dee, die seufzte. »Und du?«, fragte sie. »Was hältst du von ihm?«

»Meine ehrliche Meinung?«

Dee nickte.

Sanft fasste Siobhan nach Dees Schultern. »Pass gut auf ihn auf. Er braucht dich mehr, als du glaubst.«

»Heißt das nun, dass du ihn magst?« Zweifelnd sah Dee Siobhan an.

»Wie sollte ich ihn nicht mögen?« Siobhan lächelte. »Er ist die personifizierte Frucht der Versuchung, die jede Frau gerne einmal kosten würde.«

»Siobhan!« Dee musste über ihre eigene Entrüstung lachen.

»Nein, wirklich! Verflucht attraktiv und sexy. Dabei hängt er an deinen Lippen, als wärst du seine Göttin. Wenn du jetzt noch sagst, er ist gut im Bett, werde ich neidisch.«

»Und ob …« Dee prustete los vor Lachen. »Nein, ich behalt’s für mich.«

»Besser so«, sagte Siobhan trocken. »Jetzt lass uns mal nach den beiden Herren sehen. Und denk daran, du kannst immer bei uns vorbeikommen, wenn es Probleme gibt.«

»Ich habe eine Menge Unsinn angestellt, Sir«, hörte Dee Jamies Stimme im Esszimmer. Unwillkürlich blieb sie stehen. Als Siobhan zu ihr aufschloss, hob sie die Hand und legte die Finger an die Lippen.

Siobhan verstand und verharrte.

»Ja, ich habe damals den Befehl verweigert. Meine Mutter war an Bord dieses Schiffes. Hätte ich einfach zusehen sollen? Hätten Sie einfach zugesehen?«

Schweigen antwortete. Ein Räuspern ertönte. »Und die Anklage? Welche Ausrede haben Sie dafür?«

»Ich war es nicht. Ich habe nur keine Beweise dafür. Sie müssen mir das einfach glauben.« Nach einer Pause fügte Jamie hinzu: »Dee glaubt es mir.«

»Natürlich. Und mit welchen Hindernissen muss meine Schwester noch leben?« Seanans Stimme wurde lauter. »Glauben Sie, ich sehe nicht, wie sie offenen Auges in ihr Unglück rennt? Glauben Sie, das lasse ich zu? Wollen Sie das? Wollen Sie, dass sie unglücklich ist – nur Ihretwegen?«

»Nein.«

Schweigen herrschte.

Wortlos trat Siobhan neben Dee und legte den Arm um ihre Schultern, als wolle sie sie so auf die Terrasse drängen. Aber Dee schüttelte den Kopf. Jetzt wollte sie alles hören.

»Und?« Jamies Stimme war gefährlich leise, sodass Dee ihn kaum verstehen konnte. »Was soll ich dann tun? Gehen?«

»Das wäre vielleicht das Beste. Für alle Beteiligten.«

Ein Stuhl wurde über den Boden geschoben. »Okay, Sir. Das reicht. Ich habe verstanden.«

Ein zweites Scharren ertönte. »Oh nein, Sie haben nichts verstanden. Dee hat gerade einen Idioten hinter sich gelassen. Ich will nicht, dass sie jetzt ihr Herz an den zweiten verliert.«

Stille folgte, so lastend, dass Dee daran fast erstickte.

»Sie verschwinden aus ihrem Leben. Sofort. Bevor sie sich noch mehr an Sie gewöhnen kann.«

»Und wenn ich nicht will?«

»Dann werde ich Mittel und Wege finden, um Sie zu entfernen. Das schwöre ich Ihnen. So wahr ich Seanan MacNiall heiße.«

Schwein! Mit einem Ruck schüttelte Dee Siobhans Hand ab und stürmte hinaus auf die Terrasse.

»Dee?« Sichtlich erschrocken drehte Jamie sich zu ihr um.

Dee fasste nach seiner Hand. Zorn, Schmerz und Verzweiflung überfielen sie bei der Berührung. »Es ist Zeit, dass wir gehen.«

»Aber wieso …«

»Komm einfach! Bitte!«

Er gehorchte, griff wortlos nach seiner Jacke und ließ sich von Dee ins Haus ziehen.

»Dee«, rief Seanan. »Du wirst jetzt nicht gehen!«

Er konnte sie mal! Sie würdigte ihn keines Blickes.

»Dee!« Seanans Stimme reichte bis in den Flur, so laut schrie er. Wurde nur von Harrys Bellen übertönt, der sich nicht beruhigen wollte.

Als Dee die Haustür erreichte, holte Siobhan sie ein. »Dee. Nimm es ihm nicht zu sehr übel.«

»Du kannst Seanan ausrichten, dass ich eine Entschuldigung von ihm erwarte. Vorher wird er mich nicht mehr hier sehen.«

»Dee, ich bitte dich! Nun geh doch nicht einfach …« Bittend griff Siobhan nach Dees Arm.

Aber Dee entwand sich ihr und riss die Haustür auf, um hinauszustürmen. Zerrte Jamie dabei hinter sich her, der Siobhan einen entschuldigenden Blick zuwarf.

»Dee!«, rief Siobhan ihr hinterher.

»Keine Angst. Du hast nichts damit zu tun, Siobhan. Bring ihn einfach zur Vernunft, wenn du kannst. Wir telefonieren.«

Siobhan nickte nur.

Voller Zorn stürmte Dee weiter. Erst am Speedbike hielt sie inne, um nach Atem zu ringen.

Sanft fing Jamie sie ein und zog sie zu sich herum, sodass sie ihm gegenüber stand. »Was ist los?«

»Ich habe gehört, was er zu dir gesagt hat.«

Schmerz, wie der Stich eines Messers. »Ich …«

»Scht!« Bevor er weiterreden konnte, legte Dee ihre Fingerspitzen auf seine Lippen. »Hör nicht auf das, was er sagt. Ich bin nicht unglücklich, weil du bei mir bist. Ohne dich wäre ich unglücklich. Aber niemals mit dir. Hörst du?«

Ganz langsam nickte er. »Okay.« Seine Lippen streiften ihre Wange, während er seufzend die Arme um sie legte.

»Glaubst du mir das?«

Er vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und drückte sie fest an sich. »Ja. Ja, ich glaube dir.«

Es dunkelte bereits, als sie sich New Haven näherten. Auf der Straße oberhalb der Klippen steuerte Jamie eine der Nothaltebuchten an und deaktivierte den Motor. Mit einem ersterbenden Summen sank das Speedbike zu Boden.

Dee klappte das Visier des Helms nach oben. »Warum halten wir?«

Unter ihr klackte es, als Jamie die Stützen aktivierte. Mit einer ausholenden Armbewegung öffnete er den Helmgurt und nahm den Helm ab. »Strandgang. Schon vergessen?«

Es kostete Dee Mühe, ein Seufzen zu unterdrücken. Eigentlich wollte sie nur nach Hause in ihre Wohnung, duschen und sich aufs Sofa kuscheln und mit einem Glas Wein in der Hand den Besuch bei Seanan und Siobhan vergessen. »Du willst wirklich noch runter an den Strand?«

»Hey, das war der Deal.« Bei den Worten schwang er sich vom Speedbike herunter und hängte den Helm an den Lenker. Bittend streckte er die Hand nach ihr aus. »Dee, nun komm schon! Das ist unfair.«

Nun seufzte sie doch, als sie sich widerwillig von ihm vom Bike herunter ziehen ließ. Wenig begeistert nahm sie den Helm ab, damit er ihn auf die andere Seite des Lenkers hängen konnte. Während Jamie einen der beiden Koffer öffnete, trat sie vorsichtig an den Rand der Nothaltebucht und lugte nach unten. Was sie sehen konnte, ließ sie an Jamies Verstand zweifeln. »Du willst allen Ernstes da hinunterklettern?«

»Sieht schlimmer aus, als es ist. Vertrau mir!« Seine Arme umschlangen sie von hinten und ein Kuss traf ihren Nacken.

»Jamie, ich …«

Ohne ihre Worte zu beachten, drehte er sie um und öffnete die Schutzkombi. »Ausziehen. Da! Deine Schuhe stehen schon bereit.«

Tatsächlich standen neben dem Bike bereits ihre Sandalen. Dee seufzte ein weiteres Mal. »Jamie …«

»Bitte! Du hast es versprochen.« Er schälte bereits die Kombi von ihren Schultern. Seine Hände strichen wie unabsichtlich in der Öffnung nach unten und legten sich über ihre Brüste. Sanft berührten seine Lippen die ihren.

Sie konnte nichts anders und erwiderte den Kuss. Ihre Zungen fanden sich, seine Hände glitten unter der Kombi auf ihren Rücken und streichelten ihn. Sie fühlte, wie er sich gegen sie drängte, als fühle er ihren Hunger.

Mit einem Ruck schob sie ihn eine Handbreit von sich. »Okay«, sagte sie. »Okay, du hast gewonnen. Wir gehen runter. Bevor du auf die Idee kommen kannst, es mit mir hier am Straßenrand zu treiben.«

Grinsend ließ er sie los. »Wieso nicht? Wäre mal was anderes.«

»Ha ha! Sehr witzig.« Mit einem Kopfschütteln streifte Dee die Schutzkombi und die Stiefel ab und warf Jamie beides zu, bevor er erneut auf dumme Gedanken kommen konnte.

Geschickt fing er das Bündel auf und verstaute es im Koffer des Speedbikes. Die Beine lässig übereinandergelegt, lehnte er sich an sein Bike und wartete, bis sie die Sandalen angezogen hatte. »Bereit?«

»Ja.« Eigentlich nicht, aber das behielt sie für sich. Unwillkürlich fasste sie nach seiner Hand.

»Ich gehe voran«, sagte er, »damit ich dich auffangen kann. Schau mal!« Er zog kurz eine Taschenlampe aus seiner Jackentasche. »Ich habe sogar an die Taschenlampe gedacht.«

»Wie beruhigend.« Dabei war die Aussicht, auf dem Rückweg die Taschenlampe zu benutzen, alles andere als beruhigend.

»Hier«, sagte er.

Die Stelle sah genauso steil aus wie die direkt neben der Nothaltebucht. Doch Jamie kümmerte das nicht, vielmehr schien er einem unsichtbaren Pfad zu folgen. »Schau nach oben! Ich bin direkt hinter dir und helfe dir. Du musst überhaupt keine Angst haben. Okay?«

Sie nickte nur und tastete mit den Füßen nach einem Halt. Seine Hände umfassten ihre Taille. Sofort fühlte sie sich sicherer. Langsam bewegte sie sich auf diese Weise weiter voran.

Recht schnell begriff sie, dass Jamie recht hatte. Es war bei Weitem nicht so steil und unwegsam, wie es von oben aussah. Vielmehr wand sich ein schmaler Trampelpfad den Hang hinab. Ohne Geländer. Und das machte den Abstieg für sie zu einer Herausforderung.

Ohne Jamies Gegenwart hätte sie spätestens nach der Hälfte aufgegeben und sich heulend und mit geschlossenen Augen auf den Boden gesetzt, nicht dazu bereit, sich auch nur noch einen Millimeter voranzubewegen. Aber allein zu wissen, dass er da war, um ihr zu beizustehen, half ihr. Und wenn er gar die Hände um ihre Taille legte, war jeder Schritt nur noch ein Schritt auf ihn zu in seine Arme.

Sie bemerkte kaum, dass sie unten anlangten. Als er sie unter den Achseln fasste und sie einmal herum wirbelte, schrie sie erst auf vor Schreck, um dann festzustellen, dass er ihre Füße in feinem, warmem Sand absetzte. »Mach das nie wieder! Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen.«

Lachend legte er den Arm um sie und küsste sie. »Arme Frau! Komm! Ich spendier dir als Entschuldigung etwas zu trinken.« Bei den Worten zog er sie bereits weiter durch den Sand.

Einige Hundert Meter entfernt konnte Dee in der hereinbrechenden Dunkelheit eine Hütte ausmachen, die von bunten Lampen und Kerzen erhellt war. Lachen und Musik drang zu ihnen, übertönten das ferne Rauschen der Wellen, die auf den weißen Strand liefen.

Dees Blick glitt an sich herunter. Das Blumenkleid, das bei Seanan und Siobhan noch ein wenig frivol gewirkt hatte, war hier der Ausbund an Biederkeit. Die Frauen, – nein, Mädchen, korrigierte Dee –, die ihnen entgegenkamen, trugen entweder knappe Bikinis oder Strandkleider. So wie die Männer meist knielange, bunte Shorts und Shirts mit Wellenmotiven anhatten.

Ein treibender Beat war von der anderen Seite der Hütte zu hören, wohin auch die meisten Menschen strömten.

Jamie führte sie jedoch zuerst in die Hütte. Der Innenraum war klein, aber trotz der Einfachheit gemütlich eingerichtet. Roh gezimmerte Tische und Stühle standen herum. Die Holzwände waren teils mit bunten Tüchern behängt. Ebenso wie die Theke, hinter der ein dunkelhaariger junger Mann in Shorts und Wellenshirt ausschenkte.

»Hi«, grüßte er Jamie und bot ihm die ausgestreckte Hand.

Jamie schlug ein, als wären sie alte Bekannte. »Ein Bier und was Süßes für meine Begleitung.«

»Kommt sofort.«

»Ziemlich was los.« Den Arm um Dee gelegt, lehnte Jamie sich an die Theke und bediente sich an den Nüssen, die dort standen.

»Kann man wohl sagen.« Der junge Mann stellte ein geöffnetes Bier vor Jamie auf die Theke. Während er diverse Säfte und Alkoholika in einem Becher mixte, setzte er hinzu: »Heute nicht zum Joggen und Schwimmen hier?«

Jamie schüttelte den Kopf. »War mit dem Speedbike unterwegs.« Sein Blick wurde von einem Stapel Zettel angezogen, der neben der Schale mit den Nüssen auf der Theke lag. »Braindead?« Er angelte sich einen, überflog die Ankündigung und steckte ihn in seine rechte Jackentasche.

»Yep«, sagte der Barkeeper. »Morgen Abend. Hier, Lady!« Lächelnd stellte er ein hohes Glas mit gelbem und rotem Inhalt vor Dee ab. »Cheerio!«

Jamie hob nur die Hand. Noch während Dee nach ihrem Glas griff, legte er ein paar Münzen auf den Tisch und zog Dee mit sich nach draußen.

Ein Feuer brannte Richtung Ozean etwa hundert Schritt entfernt. Zu ihrer Rechten am Hang war eine Bühne aus Brettern errichtet, auf der fünf Musiker in Bikerhosen und Stiefeln den treibenden Beat produzierten. Ein Pulk von Zuschauern stand davor, klatschte im Rhythmus, tanzte oder johlte vor Begeisterung mit. Etliche von ihnen trugen ebenfalls Bikerkleidung wie Jamie. Selbst einige Frauen in Bikermontur waren zu sehen.

Dee kam sich so deplatziert vor wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Mit einem Seufzen ergab sie sich in ihr Schicksal und nippte versuchsweise an dem Glas. Der Cocktail war süß und bitter zugleich, der Alkohol kaum zu schmecken.

»Und?«, fragte Jamie.

Wider Willen leckte Dee sich über die Lippen. »Gut. Überraschend gut.«

»Hunger?«

Tatsächlich drang der Geruch nach gebratenem Fleisch in Dees Nase. Ihr Magen knurrte als Antwort. »Ich glaube schon.«

Er zog sie einfach mit sich, steuerte zielsicher die meerseitige Wand der Hütte an, wo ein Mann und zwei Frauen auf einem Rost Fleischstücke brieten, die Dee unheimlich echt vorkamen. Während sie sich noch wunderte, wo die Strandbar echtes Fleisch aufgetrieben hatte, wandte Jamie sich an eine der beiden jungen Frauen.

»Zweimal«, sagte er.

»Oh! Hi, Allister!« Das Lächeln in dem von langen Haaren umrahmten Katzengesicht erlosch schlagartig, als die Blondine Dee bemerkte. »Zwei Steaks. Macht sechs Kredits.«

Jamie kramte noch die Münzen aus seiner Hosentasche, als die Blondine zwei Steaks in aufgeschnittenen Brötchen über den Grill reichte. Daher nahm Dee sie an Jamies Stelle entgegen, was mit dem Glas in der einen Hand ein ziemlicher Balanceakt war.

»Bis später«, sagte Jamie und umrundete mit Dee die Ecke der Hütte, sodass sie die Bühne vor sich hatten. Verwundert warf er einen Blick zurück. »Was war denn mit Jeena los?«

Ein Seufzen entrang sich Dee. »Ich glaube, du hast gerade ein Herz gebrochen.«

»Hey, ich habe nie mit ihr … Echt.« Bei den Worten griff er nach einem der beiden Steakbrötchen.

»Ich glaube dir.« Auf seine betroffene Miene hin setzte sie hinzu: »Ganz ehrlich. Ich glaube dir.« Sie platzierte einen sanften Kuss auf seinem Mund. »Du Dummkopf merkst es gar nicht, wenn dich jemand anziehend findet.«

»Ausziehend ist besser.« Er grinste.

Darauf konnte Dee nur lachen.

Der Alkohol tat seine Wirkung, ebenso wie der treibende Beat. Dee ertappte sich dabei, wie sie mit dem Fuß den Rhythmus tappte. Neben ihr wippte Jamies ganzer Körper im Takt.

Bevor sie protestieren konnte, holte er ihr einen zweiten Cocktail, als ihr Glas leer war. Etwas verloren drückte sie sich an die Hüttenwand und beobachtete, wie Jamie sich durch die johlende Menge drängte. Ein breitschultriger Hüne in schweren Hosen und schwarzem Shirt schien ihm den Weg zu versperren. Ein kurzer Wortwechsel entstand, bis der Mann Jamie den Weg freigab. Dee glaubte zu sehen, dass eine Frau mit langen dunklen Haaren und im Achselshirt Jamie einen Zettel in die Hand drückte. Doch bevor sie sich noch darüber wundern konnte, war Jamie in der Hütte verschwunden.

Der Mann und die Frau verloren sich in der Menge. Dee versuchte noch, ihren Weg zu verfolgen, da tauchte Jamie wieder neben ihr auf. Mit einem Cocktailglas und einer Flasche Bier. »Alkoholfrei«, rief er, ehe er die Flasche ansetzte.

»Wer war das?«, fragte Dee. Sie musste fast schreien, um sich verständlich machen zu können.

»Keine Ahnung.« Jamie zuckte mit den Schultern. »Haben mir einen Flyer gegeben mit Braindead.« Bei den Worten zog er sie in seine Arme.

Dee genoss die Wärme seines Körpers hinter sich. Dann fühlte sie, wie der Rhythmus von seinem Körper auf sie überging. Sie nippte an ihrem Drink, kuschelte sich in Jamies Arme, gab endlich dem Wippen seines Beckens nach, das sich von hinten an sie drängte. Bis sie mit Erstaunen bemerkte, dass sie mit ihm tanzte.

Das Glas war leer. Der Beat wurde immer treibender, riss sie gegen ihren Willen mit sich. Auf einmal war das Glas fort, ohne dass sie wusste, wohin es verschwunden war – ebenso wie Jamies Bierflasche. Eine seiner Hände glitt zu ihren Brüsten, die andere lag auf ihrem Schoß, und gemeinsam lenkten sie ihre Bewegungen. Sie merkte, dass sie sich zunehmend gehen ließ und sich ihm anvertraute. Begriff gleichzeitig am Rande ihres Bewusstseins, wie aufreizend und unanständig ihr Verhalten war. Und wunderte sich darüber, wie wenig sie die Erkenntnis kümmerte.

Willenlos lehnte sie sich an ihn, ließ sich mitreißen von seinem Rhythmus und seiner Begeisterung. Seine Lippen streiften ihren Hals, ihren Haaransatz. Seine Hände lenkten sie irgendwann nicht nur, sondern streichelten sie, weckten Verlangen. In ihrem Schoß pochte es. Sie stöhnte leise und schloss die Augen, war nur noch Rhythmus und Begierde, wartend auf mehr.

Die Ekstase schien kein Ende nehmen zu wollen. Erlosch auch dann nicht, als die Musik endete. Nur die Menschenmenge zerstreute sich vor ihnen. Sie fand sich auf einmal am Rande des Feuerscheins wieder. Jamies Hand kroch unter ihren Rock, streichelte ihre Scham. Als sie leise keuchte, schob er ihren Slip beiseite und ließ seine Finger in ihre Höhle gleiten. Sanft begann er, sie zu massieren. Dee wand sich vor Lust.

Die Leute, konnte sie noch denken.

Dann fühlte sie, wie er sein steifes Glied von hinten zwischen ihre Beine drängte. Seine Finger machten Platz, und bevor sie protestieren konnte, drang er in sie ein.

»Jamie … nicht …«

Schritte waren zu hören, näherten sich.

Sanft, aber bestimmt hielt Jamie sie fest und drückte sie vorneüber.

Ein Tuscheln, Lachen. Jamie schien es nicht zu hören, hielt Dees Hüften fest und begann sich in ihr zu bewegen. Wider Willen drang ein Stöhnen aus Dees Mund. Die Schritte entfernten sich.

»Jamie«, keuchte sie erneut.

Seine Stöße wurden härter. Dee biss sich auf die Lippen. Ganz plötzlich ließ er sie los, drehte sie um und drängte sie zu Boden. Sie kam auf seiner Jacke zu liegen, sah aus dem Augenwinkel noch einen Zettel aus der Innentasche ragen, auf dem etwas Handgeschriebenes stand, das sie in der Dunkelheit jedoch nicht lesen konnte. Dann lag er auf ihr, winkelte ihre Beine an und stieß in sie hinein, so hart und tief, dass Dee aufschrie. Während er tief in ihr innehielt, entblößten seine Hände ihre Brüste.

Sie hörte noch sich nähernde Schritte. Der Strahl einer Taschenlampe fingerte nach ihnen. Aber es war ihr egal.

Sie schloss die Augen, griff nach Jamies angespanntem Hintern und hielt ihn fest. Fordernd begann er ihre Brüste zu streicheln, bis sie sich unter ihm wand und keuchend ihre Fingernägel in die Haut seiner Oberschenkel grub. Als er endlich wieder in sie hinein stieß, schrie sie auf vor Lust und dann war sie nur Gier, die gestillt werden wollte.

3. Kapitel

Der Wecker klingelte viel zu früh und scheuchte Dee aus seltsam surrealen Träumen, in denen sie in Jamies Armen im Tiefflug wie ein Abfangjäger durch eine Landschaft aus Klippen, Kiesstränden und kleinen Dörfern raste. Nur das Geschrei der Möwen blieb. Stammte von denen, die unweit ihrer Dachterrasse am Himmel ihre ersten Kreise zogen.

Dee gähnte und warf einen Blick auf die Uhr, obwohl sie wusste, wie spät es war. Null siebenhundert. Jamies Arm lag immer noch über ihrer Taille.

Zu früh, stellte sie erneut fest. Als sie tief in der Nacht nach Hause kamen, hatten sie es kaum bis zum Sofa geschafft, bevor sie übereinander herfielen. Dee hatte das Gefühl, dass sie alle Plätze ihrer Wohnung durchprobiert hatten, die auch nur annähernd geeignet für Sex waren, bis sie gegen vier endlich im Bett zur Ruhe kamen. Ihr Unterleib schmerzte. Ein ungewohntes und dennoch angenehmes Gefühl.

Sie drehte sich unter Jamies Arm um, um sein Gesicht zu studieren. Er schien den Wecker nicht gehört zu haben. Seine Züge waren völlig entspannt, die Lippen leicht geöffnet. Der Anblick wärmte Dee. »Aufwachen«, hörte sie sich sagen. Obwohl sie gerne noch länger diesen Anblick genossen hätte.

Er brummte etwas. Die Hand auf ihrer Taille bewegte sich, hielt sich an ihr fest und zog sie zu sich heran in seine Arme. Sie fand sich umhüllt von seinem Geruch und seiner Nähe. Seufzend schmiegte er sein Gesicht in ihren Nacken, sodass sein Atem ihren Haaransatz kitzelte.

»Aufstehen! In zwanzig Minuten müssen wir los zur Klinik.«

Sein Brummen klang unwillig. Der Griff um ihre Taille wurde fester. Sein Körper drückte sich von hinten an ihren. Nackt und warm. Verführerisch.

Dee seufzte. »Sei vernünftig.«

Statt einer Antwort tastete seine Hand nach ihrer Brust.

»Nein.« Sie fing sie auf. »Jamie, wir müssen aufstehen. In einer Stunde sollen wir in der Klinik sein.«

Abrupt ließ er sie los. Mit einem Stöhnen wälzte er sich von ihr fort, sprang auf und flüchtete unter die Dusche.

Verwirrt starrte Dee ihm nach. Angst? Nicht Jamie. Oder doch?

Wie eine Schaufensterpuppe saß er eine Kaffeetasse später neben ihr auf dem Beifahrersitz des Mietgleiters. In Jeans, Turnschuhen, schwarzem Braindead-Shirt, Bikerjacke und mit feuchten Haaren. Der Duft des Duschgels haftete noch an ihm. Sein Blick war hartnäckig nach draußen gerichtet auf seine Seite der Fahrbahn, als suche er etwas.

Das Schweigen wurde lastend. Tat endlich weh. Wie eine Nadel, die sich immer tiefer ins Fleisch bohrt, unmerklich erst und dann umso schmerzlicher. Um sich dann zu entzünden.

Gut, dass das Navigationssystem den Gleiter von selbst den Weg finden ließ. Dee glaubte bereits, sie würden zu spät kommen, als die Silhouette der Flottenklinik sich gegen den morgendlichen Dunst abzeichnete. »Alles klar?«

Er antwortete nicht. Hüllte sich nur umso brütender in die Stille, angeblich versunken in den Anblick des Panoramas der Stadt, der trotz allem schön war.

Sie parkte in der Nähe des Eingangs, den Tipton ihr übermittelt hatte, stieg aus, als wäre dieser Besuch ganz normal, etwas Alltägliches, während er wie erstarrt sitzen blieb. Es fühlte sich an, als würge jemand Dees Kehle. Nach einem Herzschlag des Zögerns glitt sie wieder hinter das Steuer und berührte seinen Arm. »Jamie?«

Statt einer Antwort senkte er nur den Kopf. Nach einer Sekunde öffnete er die Tür und sprang hinaus. Wartete, bis sie wieder ausgestiegen war und mit einem Knopfdruck den Gleiter verriegelte, um dann auf den Eingang zuzugehen, ohne ihr auch nur einen Blick zu gönnen.

Nur keine Hilfe annehmen, begriff sie. Keine Schwäche zugeben. Niemals.

An der Eingangstür holte sie ihn ein, fasste nach seiner Hand, die wie ein lebloses Stück Fleisch an seiner Seite hing.

Er sah sie an, das erste Mal, seit er aufgestanden war. Versuchte ein halbherziges Lächeln, das im Ansatz erstarb. »Sch… Ich will nicht.«

Die Worte wirkten wie ein Sonnenstrahl, der durch eine dichte Wolkendecke fingert. Erleichtert schlang sie unter der Bikerjacke die Arme um ihn, drückte ihn an sich, so fest sie konnte. »Ich bleibe bei dir.« Ein Kuss folgte ihren Worten, der seine stoppelige Wange traf.

»Nein. Bitte, Dee.« Seine Arme, die sie bereits an sich ziehen wollten, ließen sie wieder los.

Endlich verstand sie. Sie löste sich ein wenig von ihm, strich mit einer Hand über seine Wange. »Sicher?«

Er nickte.

»Okay. Wenn es das ist, was du willst, dann …« Und warum tat es dann so weh? Wieder streichelte sie seine Wange, spürte seine Erleichterung, die sich in ihren Schmerz mischte.

Er schenkte ihr ein winziges Lächeln und griff nach ihrer Hand. »Danke.« Nur das. Aber es genügte, um sie zu versöhnen.

Hand in Hand gingen sie den Korridor entlang, der zum medizinischen Labor führte, in das Tipton Jamie bestellt hatte. Jamies Gesicht glich einer Maske, reglos und scheinbar ohne Emotionen. Doch Dee spürte seine Angst und begriff, dass er sie sich weder eingestehen, noch ihre Hilfe annehmen würde. Gott, wie idiotisch!

»Jamie.« Wider besseres Wissen blieb sie stehen. Zu hoffen, dass sie ihn vielleicht doch zur Vernunft bringen könnte – das war wirklich idiotisch!

Sein Blick glitt über sie hinweg durch das Fenster, blieb an irgendetwas haften, das seine Aufmerksamkeit erregte.

»Jamie, hör mir zu!« Weshalb wusste sie bereits, dass ihre Bitte vergeblich war?

»Schau!« Sein Finger zeigte zum Fenster.

Sie folgte ihm, fand einige schwarze gepanzerte Fahrzeuge. »Die Special Forces?«

Ein Nicken antwortete ihr. »Das sind wenigstens drei Einsatzteams. Möchte wissen, was die hier wollen. Sieht fast so aus, als würden sie das Gelände abriegeln.«

»Und haben uns beide dabei vergessen?«

Er ließ ihre Hand los, um besser in alle Richtungen nach draußen spähen zu können. Ging zum Fenster gegenüber.

Ein Hauch von Neugier hieß ihr, ihm zu folgen. »Und?«

»Da ist noch ein Team unterwegs. Wenn du mich fragst, dann suchen die jemanden. Unauffällig.«

»Seit wann sind die Special Forces unauffällig?«

»Hast du sie bemerkt?«

Abgewatscht, dachte Dee. »Okay, du hast recht und ich gebe mich geschlagen. Aber es ist schon null acht null sieben. Wir kommen zu spät.«

»Angst um deine Akte?«

Dee biss die Zähne zusammen und ließ ihn einfach stehen.

»Dee!« Nach einem Moment der Stille folgten ihr seine Schritte. Er holte sie bereits nach wenigen Metern ein und fasste nach ihrem Arm. »Dee …«

»Lass mich los!«

Seltsamerweise gehorchte er. Starrte sie reglos an, als wisse er nicht, was er nun tun sollte.

»Macht es dir Spaß, mir wehzutun?«

Er schwieg. Wieder einmal. Wie meistens, wenn sie sich stritten. Keine Entschuldigung. Kein »Es tut mir leid«. Nichts.

»Ach, mach doch, was du willst!« Sie eilte weiter, der Tür mit der Nummer 459 entgegen und begriff erst im nächsten Augenblick, dass das hier sein Termin war und nicht der ihre. Sie war nur die Begleitung, und wenn sie sich über ihn ärgerte, konnte sie genauso gut gehen. Langsam drehte sie sich um, fand ihn am gleichen Platz wie kurz zuvor. Der Blick seiner dunkelgrauen Augen verlor sich im Nirgendwo.

Zögerlich ging sie ihm entgegen. Was tue ich hier?, durchschoss es sie. Will ich etwa wieder einlenken?

Als sie die Hand hob, klärte sich sein Blick. »Du musst nicht bleiben. Niemand zwingt dich dazu. Ich will ohnehin nicht, dass du zusiehst.«

»Oh, ich dränge mich nicht vor. Ich befolge nur meine Befehle – falls du dich erinnerst. Also wenn du mir jetzt endlich folgen würdest? Oder muss ich es dir befehlen?« Bildete sie es sich ein oder war er tatsächlich zusammengezuckt?

»Nein.« Den Blick starr geradeaus gerichtet ging er an ihr vorbei auf die Tür zu.

Der Raum war leer bis auf einem Wasserspender und ein paar Stühle, die an der Wand aufgereiht waren. Eine Tür führte nach links, auf der »Anmeldung« stand.

Wortlos ging er darauf zu. Schloss sie wieder hinter sich, als wolle er sichergehen, dass Dee ihm nicht folgte.

Sie war der Idiot. Er hatte Angst und sie wusste warum. Schließlich hatte sie zweimal gesehen, was ihn erwartete. Jetzt mit ihm zu streiten, war so ziemlich das Dümmste, was sie tun konnte. Ohja, immer schön einlenken! Sollte er doch auf ihr herumhacken. Der arme Junge! War es so schwer, Entschuldigung zu sagen? Wieso fiel sie jedes Mal auf diesen verletzten Blick herein?

Die Tür mit der Aufschrift »Anmeldung« öffnete sich. Jamie kam heraus. »Du kannst gehen«, sagte er. »Es wird noch eine Weile dauern. Ich nehme ein Taxi.«

»Das ist jetzt nicht dein Ernst!«

»Du kannst gehen.«

»Ich bleibe.«

»Hast du Angst, dass ich abhaue?«

Noch ein Schlag. Dee schloss für einen Moment die Augen. »Befehl ist Befehl. Ich bleibe.«

Mit regloser Miene kehrte er ihr den Rücken zu und trat ans Fenster. »Deine Entscheidung.«

Er schien nicht gewillt, mit ihr zu reden, starrte nur weiter aus dem Fenster, während die Stille wie ein tonnenschweres Gebirge in dem kleinen Raum lastete.

Was war so schwer am Reden, überlegte Dee, während sie seinen Rücken musterte. Warum war es so schwer, einfach hinzugehen und ihn in den Arm zu nehmen? Eine Frage des Prinzips, war es das? Weil immer sie diejenige war, die einlenkte und nachgab? Dieses Mal nicht. Sollte er sich die Zähne ausbeißen. Dieses Mal nicht.

Die Zeit verstrich, als habe diese sie vergessen. Als wären sie ausgespart in einem kleinen Raum jenseits der tickenden Uhr. Eine Insel im Raum, in der nur sie beide existierten und nur das Jetzt herrschte. Kein Vor, kein Zurück. Ewige Stasis.

Dee fühlte sich wie gelähmt. Allein die Vorstellung aufzustehen, schien unmöglich.

Als die Sonne um die Ecke des Gebäudes fingerte und das Fenster erreichte, vor dem Jamie stand, immer noch reglos wie eine Statue, dämmerte ihr, wie viel Zeit bereits verstrichen sein musste. Verstohlen kramte sie in ihrer Manteltasche nach dem Pad, schielte in der Tasche auf die Uhr. Nul acht sechsundfünzig.

Warteten sie hier etwa schon eine Stunde?

Entschlossen stand Dee auf und ging auf die Tür mit der Aufschrift »Anmeldung« zu. Sie glaubte zu sehen, dass Jamie sie aus den Augenwinkeln beobachtete, schaffte es jedoch, es zu ignorieren.

Eine dunkelhaarige Schönheit Anfang dreißig sah hinter dem Schreibtisch auf. Ein Namensschild wies sie als E. Olivera aus. »Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte sie.

»Wir … ich meine Mister Jameson McAllister hatte um null achthundert einen Termin bei Doktor Basrat. Wir warten jetzt schon eine Stunde. Wieso …«

»Oh, Doktor Tipton wird jeden Augenblick hier eintreffen. Es kann wirklich nicht mehr lange dauern.«

»Doktor Tipton? Wieso Doktor Tipton? Ich dachte …«

»Doktor Basrat ist leider verhindert. Ich musste ganz kurzfristig Doktor Tipton um Hilfe bitten. Bitte verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten, Misses …«

»Lieutenant Commander Deirdre MacNiall. Lieutenant McAllisters befehlshabender Offizier.«

Dezente Röte färbte Oliveras Wangen. »Verzeihung, Ma’am. Aber wie ich Ihnen bereits versicherte: Doktor Tipton muss jeden Augenblick hier eintreffen. Wenn Sie sich also noch gedulden würden? Ich lasse es Sie wissen, sobald er …«

In diesem Augenblick ging die Tür hinter Olivera auf. Tipton kam mit jovialem Lächeln herein. Er trug Zivil, was ihn noch älter und zerknautschter wirken ließ als sonst. »Ah, meine Verehrteste! Entschuldigen Sie das lange Warten. Aber zwischen acht und neun sind die Straßen in New Haven ein einziges Chaos.« Er gab ihr tatsächlich die Hand. »Schön, dass Sie mitgekommen sind, um ihren Schützling zu bemuttern.«

»Es freut mich auch, Sie zu sehen. Jamie wird begeistert sein.«

»Das wird er ganz sicher, meine Liebe. Wir haben nämlich ein neues Serum für ihn. Dadurch genießt er zwei Wochen Schonfrist, bis er mich wieder aufsuchen muss. Miss Olivera, wenn Sie unsere Testperson rufen würden.«

Olivera sprang auf. »Sofort, Sir.«

»Wurden die Tests bereits durchgeführt?«, fragte Tipton, während er sich das Pad nahm, das auf Oliveras Schreibtisch lag.

Sie schien protestieren zu wollen, ließ es aber, als Tipton die Stirn runzelte. »Nein, Sir.«

»Worauf warten Sie dann noch? Hopp, hopp!«

»Ich soll …«

»Wozu sind Sie hier? Um den Stuhl dort mit Ihrem Hintern zu wärmen? Der Junge ist hübsch. Sie werden es genießen. Versprochen.« Mit Blick auf Dee setzte er hinzu. »Aber vorsichtig. Seine LAG beobachtet Sie.«

Olivera wurde knallrot und stürzte aus dem Zimmer.

»Sie können es nicht lassen, oder?«

Tipton warf das Pad zurück auf den Schreibtisch. »Manche Personen brauchen einfach etwas Motivation.« Er lächelte breit.

Olivera kam mit Jamie im Schlepptau zurück. »Hier entlang«, sagte sie geschäftsmäßig. Nur eine dezente Röte verriet noch ihre Verlegenheit.

Jamies Miene war so reglos wie zuvor. Er würdigte weder Tipton noch Dee eines Blickes.

»Vergessen Sie die Urinprobe nicht«, rief Tipton Olivera hinterher, bevor diese die Tür zum Labor schloss. Dabei grinste er hinterhältig, als habe er Olivera gerade aufs Glatteis geführt.

»Brauchen Sie die wirklich?«

»Ich brauche alles. Und was brauchen Sie, meine Liebe?«

Wider Willen entrang sich Dee ein Seufzer.

»Ärger?«

»Kann ich dem Prozedere beiwohnen, ohne dass er es bemerkt?«

»Ich werte das als ›ja‹. Und ja, Sie können. Darf ich wissen weshalb?«

»Interessiert Sie das wirklich?«

»Pathologische Neugier.«

»Wir haben uns gestritten.«

»Und worum ging es dieses Mal?«

»Wenn ich das wüsste, würde ich es Ihnen gerne sagen.«

»Chronische Unfähigkeit sozialer Interaktion?«

Dee hörte sich lachen. »Das haben Sie schön gesagt.«

»Dann sagen Sie bitte nie, ich hätte Sie nicht gewarnt. Aber ich glaube, das wollen Sie nicht hören.«

Dees Blick irrte zur Tür, hinter der Jamie mit Olivera verschwunden war. »Und ich glaube, Ihre Warnung kommt zu spät.« Viel zu spät!

Vom Schreibtisch im Nachbarlabor hatte sie durch das Fenster einen guten Blick auf die Liege, auf der Jamie festgeschnallt war. Sie hatte sich zuvor vergewissert, dass die Scheibe tatsächlich verspiegelt war, sodass Jamie sie nicht sehen konnte. Tiptons skurrilem Humor wäre ein derartiger Betrug durchaus zuzutrauen.

Tipton hatte die Sensoren auf Jamies Brust und Schläfen befestigt und die Konsole eingestellt. Auf einem Stuhl mit Rollen schob er sich neben die Liege, in der Hand den vorbereiteten Injektor. »Ohne mich wiederholen zu wollen«, drang Tiptons Stimme durch den Lautsprecher. »Ich rechne damit, dass die Wirkung dieses Mal heftiger und länger wird. Möglicherweise muss ich ein Muskelrelaxans spritzen.«

»Nein, verdammt.« Jamies Lippen waren nur ein schmaler Strich.

Tipton hob die Hände. »Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Wenn Sie die Schmerzen geil machen, werde ich natürlich warten, bis Sie kurz vorm Abkratzen sind.«

»Ich habe etwas Besseres zu tun, als hier noch länger herumzuhängen.«

»Oh, natürlich. Sie sind ja ein ganz harter Junge. Was ist schon ein wenig Schmerz gegen die Aussicht, hier eine Stunde länger ausharren zu müssen.«

»Worauf warten Sie?«

»Frieden? Die Kapitulation der Erdregierung? Oder einfach nur auf ein wenig mehr Vernunft?«

Auf eine Welt, in der das hier nicht nötig ist. Fast glaubte Dee, Tipton habe die Worte wirklich gesagt.

»Hören Sie auf, mich mit Ihrem Gesülze zu nerven!«

Tipton zuckte mit den Schultern. »Letzte Worte?«

»Sie können mich mal!«

»Mit dem größten Vergnügen.« Bei den Worten jagte Tipton den Inhalt des Injektors in Jamies Armvene.

Obwohl Dee wusste, was folgen würde, beschleunigte sich ihr Herzschlag.

Routiniert griff Tipton nach einer Gummileiste und schob sie in Jamies Mund. Keine Sekunde zu früh. Ein Krampf schüttelte Jamies Körper. Sie konnte hören, wie seine Zähne in das Gummi schlugen. Seine Lider flatterten und ein leises Keuchen drang durch seine Lippen.

Mit gerunzelter Stirn studierte Tipton die Konsolenanzeige.

Ein zweiter Krampf folgte auf dem Fuß. Noch einer und noch einer. Sie kamen in immer schnellerer Folge, zwangen Jamies Körper dazu, sich aufzubäumen, als stemme er sich gegen die Gurte.

Mit düsterer Miene begann Tipton, die Gurte strammer zu ziehen. Dee konnte sehen, wie sie sich in Jamies Fleisch gruben und ihn auf die Liege zurück drückten. Ein Schauer rann durch seinen Körper, bevor der nächste Muskelkrampf ihn zu einem hilflosen Bündel aus Fleisch und Knochen machte. Ein Stöhnen drang aus seinem Mund.