Im Meer der Furcht - Sandy Curtis - E-Book
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Im Meer der Furcht E-Book

Sandy Curtis

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Beschreibung

Wenn die Suche nach der Wahrheit zur tödlichen Gefahr wird: Der Australien-Thriller »Im Meer der Furcht« von Sandy Curtis als eBook bei dotbooks. Dem Meer und seinen Gewalten kann sie trotzen – aber wenn es um ihre Gefühle geht, ist sie machtlos … Ihr Vater soll ein Mörder sein? Niemals! Für die junge Sam Bretton steht fest, dass sie die Unschuld des schweigsamen Seemanns beweisen muss, und schmiedet einen gewagten Plan: Ab sofort wird sie seinen Job übernehmen und bei Wind und Wetter aufs Meer hinausfahren, um so unauffällig die Crew, aber auch die Kapitäne anderer Schiffe aushorchen zu können. Doch plötzlich gerät sie mehr als einmal in größte Gefahr – und immer ist es der neue Saisonarbeiter, der ihr zur Hilfe eilt. Aber welches Geheimnis verbirgt der ebenso raue wie attraktive Chayse vor Sam? »Sandy Curtis verwebt meisterhaft einen rasanten Thriller mit einer emotionsgeladenen Liebesgeschichte.« Australian Crime Fiction Jetzt als eBook kaufen und genießen: der temporeiche Australien-Thriller »Im Meer der Furcht« von Sandy Curtis wird Leserinnen und Leser von Karen Rose und Sandra Brown begeistern! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 390

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Über dieses Buch:

Dem Meer und seinen Gewalten kann sie trotzen – aber wenn es um ihre Gefühle geht, ist sie machtlos … Ihr Vater soll ein Mörder sein? Niemals! Für die junge Sam Bretton steht fest, dass sie die Unschuld des schweigsamen Seemanns beweisen muss, und schmiedet einen gewagten Plan: Ab sofort wird sie seinen Job übernehmen und bei Wind und Wetter aufs Meer hinausfahren, um so unauffällig die Crew, aber auch die Kapitäne anderer Schiffe aushorchen zu können. Doch plötzlich gerät sie mehr als einmal in größte Gefahr – und immer ist es der neue Saisonarbeiter, der ihr zur Hilfe eilt. Aber welches Geheimnis verbirgt der ebenso raue wie attraktive Chayse vor Sam?

»Sandy Curtis verwebt meisterhaft einen rasanten Thriller mit einer emotionsgeladenen Liebesgeschichte.« Australian Crime Fiction

Über die Autorin:

Sandy Curtis lebt an der Küste des australischen Bundesstaates Queensland. Die Mutter von drei erwachsenen Kindern hat in den verschiedensten Bereichen gearbeitet – doch seit sie als junges Mädchen ihre erste Geschichte geschrieben hat und es ihr sogar gelang, für die Recherche dazu von der örtlichen Polizei eingeladen zu werden, stand ihr Herzenswunsch fest, als Spannungsautorin erfolgreich zu werden.

Mehr Informationen über die Autorin und ihre Thriller finden sich auf ihrer Website: www.sandycurtis.com

Bei dotbooks erschienen Sandy Curtis‘ Thriller der locker zusammenhängenden Spannungsserie »Australian Heat« mit den unabhängig voneinander lesenswerten Bänden »Das Tal der Angst«, »Der Fluss des Vergessens«, »Am Abgrund der Vergeltung« und »Im Sog der Täuschung« sowie der Einzelband »Der Sturm der Rache«.

***

eBook-Neuausgabe April 2021

Die australische Originalausgabe erschien erstmals 2003 unter dem Originaltitel »Deadly Tide«.

Copyright © der Originalausgabe © 2003 Sandy Curtis.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung verschiedener Bildmotive von shutterstock/schankz und Andrii Slonchak

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-360-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Sandy Curtis

Im Meer der Furcht

Roman

Aus dem Englischen von Cécile G. Lecaux

dotbooks.

Prolog

Chayse Jarrett betrachtete den bleichen nackten Körper zwischen den schimmernden Satinlaken.

Seidiges, blondes Haar.

Helle, beinahe durchsichtige, blaue Augen.

Kein Lippenstift auf den wohlgeformten Lippen, kein Make-up auf der blassen, bis auf einen Kratzer auf der Wange, makellosen Haut.

Sein Blick folgte den schlanken Rundungen ihres Halses und ihrer Schultern und ruhte dann einen Augenblick lang auf den nahezu kindlichen, kleinen Brüsten mit den zart rosafarbenen Warzenhöfen.

Mehr wollte er nicht sehen, um nicht noch einmal das Grauen zu durchleben, das ihn vorhin erst befallen hatte.

»Ist sie das?« Der massige Sergeant von der Mordkommission sah Chayse fragend an, aus forschenden Augen, die mehr sahen, als sie preisgaben.

Chayse nickte. »Ja.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, das fast verschluckt wurde von der plüschigen Ausstattung des Zimmers.

Er zwang sich, den Blick langsam weiter abwärts wandern zu lassen, über den etwas fülligen Brustkorb bis dorthin, wo die klaffende Wunde begann. Die Messerklinge hatte Haut, Fett- und Muskelgewebe und schließlich den Darm durchtrennt. Dessen Inhalt hatte sich mit dem tiefroten Blut vermischt, das an der beinahe weißen Haut klebte.

Das Schambein hatte die Klinge gebremst, aber nur kurz. Noch zwei Mal hatte der Mörder zugestochen, das Fleisch des jungen Mädchens zerfetzt.

Schmerz und Schuldgefühle durchströmten Chayse und er schloss für eine Sekunde die Augen. Dann schaute er wieder hin und konzentrierte sich auf die rechte Hand des Mädchens, die ein paar schwarze Haare umklammert hielt.

Als er das Aufstampfen und Schleifen von Füßen draußen auf dem Flur hörte, fuhr er herum. Zwei uniformierte Beamte hatten alle Hände voll zu tun, eine groß gewachsene Frau mit ausgesprochen weiblichen Rundungen zu bändigen. Sie wehrte sich mit Füßen und Zähnen gegen die Männer, die sie nun in den Raum zerrten.

»Sehen Sie mal, Sarge!«, rief der ältere der beiden Polizisten. »Die hatte sich oben versteckt.«

Sobald der Blick der Frau auf Chayse fiel, gab sie den Widerstand auf. Ihre Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen. Sie erinnerten an eine blutende Wunde, so rot wie ihr Haar, und verwandelten ihr recht hübsches Gesicht in eine hässliche Fratze. Ihre hasserfüllten Augen bohrten sich in Chayses.

»Jetzt wird sie Ihnen nicht mehr von großem Nutzen sein, nicht wahr?«, zischte sie mit einem Blick auf den verstümmelten Leichnam.

Kapitel 1

Acht Wochen später

Chayse parkte seinen verbeulten Falcon vor einer kleinen Fischhandlung des kleinen Vorortes im Osten Brisbanes. Der abblätternde Anstrich wurde noch hervorgehoben von einem blinkenden Licht, das die Aufmerksamkeit auf die Angebote des Tages auf einem breiten Brett im Schaufenster lenkte. Menschen betraten den Laden, die Nachrichtenagentur nebenan und die wiederum daneben liegende Bäckerei.

Menschen. Ganz gewöhnliche Menschen. Ganz gewöhnliche Menschen, die alltägliche Dinge taten wie einkaufen, mit Bekannten plaudern und dem nicht abreißenden Strom von Autos zusehen, die die schmale Straße hinunterfuhren. Fremde Leute. So hatte er begonnen, sie zu sehen. Als wären sie mit ihrem durchschnittlichen Dasein Außerirdische von einem anderen Stern.

Er ging hinüber zur Fischhandlung, stieß die Tür auf, woraufhin prompt eine Glocke laut bimmelte, und trat ein. Eine junge Frau, deren üppige Hüften in einer zu engen schwarzen Lederhose steckten, bezahlte gerade. Sie zählte die letzte Münze ab, legte sie auf den Tresen, griff nach ihren Einkäufen und verließ den Laden. Sofort kam ein neuer Kunde herein.

Chayse seufzte und ließ dann den Blick über die Fische und Filets auf den Edelstahltabletts in der Kühltheke gleiten. Auf Eis gebettete Shrimps starrten ihn aus glasigen Augen an. Es roch stark nach Fisch und Meeresfrüchten. Chayse schaute den soeben eingetretenen jüngeren Mann an. »Gehen Sie nur vor, ich kann mich noch nicht entscheiden.«

Eine Minute später war der junge Mann wieder draußen, und Chayse nickte dem stämmigen Ladeninhaber zu. Der Mann zeigte mit dem Kinn flüchtig in Richtung Hinterzimmer, und Chayse glitt durch einen Perlenvorhang in einen größeren Raum. Er schenkte den Arbeitsflächen aus Edelstahl, den Filetiermessern und Sicherheitshandschuhen ebenso wenig Aufmerksamkeit wie den riesigen Kisten Eis, die an zwei Wänden gestapelt waren. Der weiß geflieste Fußboden war erst kürzlich gereinigt worden, und ein unangenehmer chemischer Geruch stieg ihm in die Nase.

Er schlenderte zu einer Treppe am anderen Ende des Raumes und klopfte Sekunden später an eine Tür. Er wartete die obligatorischen Sekunden ab, in denen er durch den Spion gemustert wurde. Dann schwang die Tür auf.

»Das Opfer hieß Ewan McKay, Seemann auf der Kladium, einem Fischerboot mit Heimathafen Bundaberg.« Peter, sein Vorgesetzter, reichte Chayse das Foto eines Mannes, der lang ausgestreckt auf dem Rücken lag. Aus seiner Brust ragte ein Messer.

»Er wurde im Kühlraum gefunden, und obwohl die Luke offen stand, konnte der Leichenbeschauer den Todeszeitpunkt aufgrund der niedrigen Temperatur nicht genau bestimmen. Der Besitzer des Hauses, vor dem das Boot festgemacht war, hörte zuvor Schreie und Geräusche, die auf einen Kampf schließen ließen, und schaute nach, was dort vor sich ging. Sein Haus liegt ein Stück oberhalb der Anlegestelle, aber als er vor Ort eintraf, sah er, wie dieser Mann ...«, er legte ein zweites Foto vor Chayse auf den Tisch, »... gerade versuchte, aus dem Kühlraum zu klettern.«

Chayse betrachtete das Foto eingehend. Mitte fünfzig, helles Haar mit grauen Schläfen, ein breites, sonnengebräuntes Gesicht. Keinerlei Aggression in den grünen Augen. »Wer ist er?«

»Allan Bretton, genannt Tug. Ihm gehört die Sea Mistress, ebenfalls ein Fischerboot.«

»Ist das sein Messer?«

»Nein. Das stammt von der Kladium. Ein Filetiermesser. Brettons Fingerabdrücke waren drauf, obwohl er schwört, er hätte das Messer nicht angerührt. Er sagt, ihm wäre die offene Luke aufgefallen. Als er hingeschaut und den Toten entdeckt habe, sei er hinterrücks niedergeschlagen worden und erst viel später mit gebrochenem Bein neben dem Toten wieder zu sich gekommen.«

»Was meinen die Kollegen?«

»Nun, er hatte tatsächlich eine Beule am Hinterkopf, aber die Jungs sind davon überzeugt, dass die beiden Männer miteinander gekämpft haben. Sie glauben, dass Bretton McKay erstochen hat, zusammen mit ihm in den Kühlraum gefallen ist und sich die Verletzung beim Sturz durch die Luke zugezogen hat.«

»Und jetzt steht Brettons Wort gegen ziemlich belastende Indizien.«

Peter nickte. »Die Spurensicherung hat nichts Gegenteiliges feststellen können, und alles spricht gegen ihn. Er ist übrigens auf Kaution draußen.«

»Und wo komme ich ins Spiel? Und warum?«

»Anfangs sah es nach einer Auseinandersetzung mit tödlichem Ausgang aus. Bretton weigerte sich zu sagen, was er an Bord der Kladium wollte, daher deutete alles darauf hin, dass der Fall gelöst ist. Aber dann hat irgendein Schlaukopf die Kladium überprüft und festgestellt, dass das Boot AGZ Investments gehört. Weitere Nachforschungen ergaben, dass diese Firma wiederum Eigentum einer Gesellschaft ist, die sich im Besitz dieses Mannes befindet.« Peter legte ein drittes Foto neben die ersten beiden. »Stefan Kosanovos.«

Der Mann Ende vierzig hatte schütteres, schwarzes Haar und eine Knollennase, die in scharfem Kontrast zu den schlitzförmigen, dunklen Augen und schmalen Lippen stand.

»Kosanovos«, fuhr Peter fort, »ist eine Schlüsselfigur im Melbourner Drogenhandel. Vor etwa vier Monaten hat seine Firma eine Fischereilizenz erworben und dazu einem Fischer von der Gold Coast die Kladium abgekauft. Ein Kapitän aus Brisbane und ein Decksmann wurden angeheuert.«

»Und besagter Decksmann war dieser McKay, nehme ich an.« Chayse lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und streckte die langen Beine unter dem Tisch aus. Manchmal fragte er sich, ob Peter die unbequemen harten Plastikstühle ausgewählt hatte, um zu verhindern, dass irgendjemand darin einschlief. Er war versucht, um einen Kaffee zu bitten, wusste aber aus Erfahrung, dass die Qualität miserabel war und das Gebräu zudem so brühend heiß, dass er den Becher nicht würde austrinken können, ehe es ihn drängte, aus diesem schmucklosen, ungemütlichen Zimmer zu verschwinden. Nicht einmal der Pin-up-Kalender an der Tür des altmodischen Kühlschranks und die bunten, nicht zusammen passenden Tassen neben dem Spülbecken konnten die Kälte und Sterilität mildern.

»Wir wollten einen Mann einschleusen, der den Toten ersetzte, aber der Kapitän der Kladium, Karl Folter ...«, das nächste Foto wurde auf den wachsenden Stapel gelegt, »... wollte vor Ort zuerst niemanden anheuern. Als das Boot allerdings nach der Beschlagnahme wieder freigegeben wurde, hatte er ganz schnell einen neuen Mann.«

»Aus Brisbane?«

Peter zog die buschigen Brauen zusammen und schüttelte den Kopf. »Nein, Melbourne. Wir überprüfen den Mann gerade.«

»Und Folter?« Das quadratische, gerötete Gesicht auf dem Bild, eingerahmt von unordentlichen, braunen Locken, wirkte vollkommen unschuldig, aber Chayse hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass sogar Serienmörder unglaublich charmant und sympathisch sein konnten - bis man zu einem ihrer Opfer wurde.

»Wir haben nicht viel über ihn. Seine Frau hat eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt, weil er sie mehrfach verprügelt hat. Sie hat ihn nicht angezeigt, hat sich aber vor sieben Jahren scheiden lassen und ist ins Landesinnere gezogen. Dann ist er nach einer Kneipenschlägerei wegen Körperverletzung verknackt worden, aber mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Ansonsten haben wir nur noch eins herausgefunden: Vor ein paar Jahren war Folter Kapitän auf einem Fischerboot mit Heimathafen Gladstone.«

»Dann kennt er die Gegend also.«

Peter nickte. »Wahrscheinlich hat Kosanovos ihn deshalb ausgewählt.«

»Was schlagen Sie also vor?«

»Unseren Jungs in Melbourne zufolge war Kosanovos in letzter Zeit sehr aktiv. Scheint, als wäre er plötzlich äußerst flüssig, aber bisher sind die Kollegen nicht dahinter gestiegen, wo das Geld herkommt. Wir müssen rausfinden, ob er die Kladium benutzt, um Drogen ins Land zu schmuggeln, und ob Bretton mit der Sache zu tun hat. Die Kladium fällt aus, aber wir möchten, dass Sie auf Brettons Boot, der Sea Mistress, anheuern. Als Seemann.«

»Wenn der Skipper auf Kaution draußen ist und dazu noch ein gebrochenes Bein hat, kann er wohl kaum arbeiten.«

»Stimmt, aber ein gewisser Bill Marvin, der seit mehr als zwanzig Jahren für ihn arbeitet, wird vermutlich einspringen. Normalerweise hat das Boot zwei Seeleute an Bord, und wir wollen, dass Sie einer davon werden.«

Chayses Bedürfnis nach einem Kaffee wurde immer stärker, allerdings nicht so stark wie der Drang, den Stapel Fotos vom Tisch zu fegen und das seelenlose, kleine Zimmer auf der Stelle zu verlassen. Er wusste, was Peter von ihm erwartete: dass er mehr Fragen stellte. Das war typisch für den Älteren, der gern mit seinem Wissen spielte, das er nur bröckchenweise an seinen gehorsamen Oliver Twist weitergab. Das Gleiche mit den Fotos. Viele Instruktoren stellten Infoblätter zu einer Person mit Bild und den wichtigsten Informationen zusammen. Sie legten den gesamten Fall dar. Die verdeckten Ermittler hörten nur zu, machten sich Notizen und versuchten, sich alles zu merken.

Aber Chayse war es leid, Spielchen zu spielen, und so verschränkte er die Arme und wartete.

»Die örtliche Polizei hat uns wissen lassen, dass sie die Sea Mistress im Auge behalten wird«, teilte Peter ihm schließlich mit, »und das scheint jedwedes Interesse an einer Stellung an Bord im Keim erstickt zu haben.«

»Hat Bretton Familie?«

»Er hat eine Frau, Marcy, einen 30-jährigen Sohn, Brendon, eine 29-jährige Tochter, Samantha, und eine 20-jährige Tochter, Tina, die an der Universität von Bundaberg studiert. Alle sauber. Nicht mal ein Bußgeld für zu schnelles Fahren.«

Als Peter die restlichen Bilder auf den Tisch legte, war es ganz still im Raum. Schließlich erhob er sich, um Wasser aufzusetzen. Chayse wusste, dass er ihm einen Kaffee anbieten würde, und das Bedürfnis, das Gespräch zu beenden und zu verschwinden, wurde übermächtig.

»Warum ich?«, fragte er.

»Eigentlich hatten wir jemand anders im Auge. Doch der hat uns eröffnet, dass er seekrank wird.« Peter schnitt eine Grimasse und kehrte an den Tisch zurück. »Furchtbar seekrank. Und da in Ihrer Akte steht, dass Sie gern angeln und Boot fahren ...«

»Ich habe seit Jahren nicht mehr geangelt. Und ich verstehe nicht das Geringste von Shrimps.«

Peter lächelte und nickte in Richtung des Hinterzimmers unter ihnen. »Max wird Ihnen alles beibringen, was er weiß. Sie haben vierundzwanzig Stunden. Sie fangen um vier Uhr früh an.«

Mit einem mühsam unterdrückten Seufzer der Erleichterung stemmte sich Chayse aus dem Stuhl und ging zur Tür. Der Knauf lag kalt in seiner Hand, da fragte Peter leise und mit vielsagendem Unterton: »Chayse, fühlen Sie sich der Aufgabe gewachsen?«

Als er den Türknauf fester umklammerte, traten seine Knöchel weiß hervor, aber er antwortete nicht.

»Dieser Fall in Sydney vor zwei Monaten«, fuhr Peter fort. »Ich habe gehört, Sie hätten Berufliches und Privates vermischt, und es wäre übel ausgegangen.«

»Musste ich deshalb seit meiner Rückkehr bei den Schatten arbeiten?«

»Jeder muss gelegentlich Überwachungsarbeit leisten, wenn nichts anderes ansteht, das wissen Sie.«

Chayse nickte. »Es geht mir gut.«

Das war eine Lüge, aber er war nicht sicher, wem er eigentlich etwas vormachte.

Samantha Bretton beherrschte sich mühsam.

»Ich schaff das schon, Dad.« Sie blickte auf ihren Vater herab, der angestrengt versuchte, aus dem Wohnzimmersessel aufzustehen. Als er auf einem Bein balancierte, rutschte seine Krücke weg, aber Sam ignorierte seinen frustrierten Fluch. Sie wollte die Krücke für ihn aufheben, war sich jedoch im Klaren darüber, dass ihm das seine vorübergehend eingeschränkte Bewegungsfreiheit nur noch bewusster machen und damit seinen Zorn steigern würde. »Ich weiß, dass ein Fischerboot etwas anderes ist als ein Katamaran, aber du musst zugeben, dass die Lady Musgrave ein Prachtstück ist.«

»Ein verfluchter Touristenkahn, ein Wassertaxi. Man braucht nur auf die Insel überzusetzen, die Touristen zu bemuttern und heil wieder zurückzubringen. Das ist nicht zu vergleichen mit der Arbeit auf einem Fischerboot.«

»Ich war schon früher Skipper auf der Sea Mistress.« Es fiel ihr schwer, ruhig zu bleiben, wenn er so redete. Sie wusste, dass es nur sein Beschützerinstinkt war, nein, sein Gluckeninstinkt, aber es war höchste Zeit, dass er ihre Fähigkeiten anerkannte. Und unter den gegebenen Umständen hatte er gar keine andere Wahl. »Ich habe mein Patent, und Bill hat die Master Fisherman’s Licence«, entgegnete sie vernünftig. »Wir stellen einen anderen Decksmann ein und -«

»Niemals!« Wenn der Gips ihn nicht daran gehindert hätte, wäre Tug Bretton zu seiner Tochter hinübergestampft und hätte sie kräftig geschüttelt. Niemals würde er zulassen, dass sie noch einmal in eine Situation geriet wie damals vor neun Jahren. »Ich werde einen neuen Skipper anheuern.«

»Das kannst du dir nicht leisten, Dad, und das weißt du auch.« Sam riss endgültig der Geduldsfaden. »Du hast schon zwei Wochen verloren. Wenn du noch mal sieben Tage verpasst, verlierst du die Sea Mistress. Dann wird die Bank sie zwangsversteigern lassen, zusammen mit dem Haus. So weit werde ich es nicht kommen lassen. Meinst du nicht, Mom hat schon genug Sorgen, wo dir die Verhaftung wegen des Mordes droht?«

»Du weißt, dass ich ihn nicht getötet habe, Sam!«

»Dann sag der Polizei endlich, was du auf der Kladium wolltest.«

»Das kann ich nicht.«

»Doch, du kannst. Man hat dich reingelegt.« Sam betrachtete die zusammengepressten Lippen ihres Vaters und verfluchte im Stillen seine Sturheit. »Wenn du weiter schweigst, machst du dich nur verdächtig. Dad, wenn du es nicht tust, gehe ich zur Polizei!«

»Das kannst du nicht machen. Das würde deine Mutter umbringen!«

Sams Zorn verflog angesichts des Schmerzes in seinen Augen. »Sie muss es ja nicht erfahren, Dad. Es muss nichts nach außen dringen.«

»In dieser Stadt kannst du nichts geheim halten.«

»Bisher hat Mom es doch auch nicht mitgekriegt.«

»Nur fünf von uns wissen davon, Sam, und keiner von uns würde je auch nur ein Sterbenswörtchen verraten!«

»Ich muss das Risiko eingehen.« Tränen stiegen ihr in die Augen. »Ich will nicht, dass du ins Gefängnis kommst.«

»Also gut. Du kannst die Sea Mistress als Skipper übernehmen«, gab er sich geschlagen.

»Wie?«

»Wenn du nicht zur Polizei gehst, kannst du mich vertreten.« Flehend blickte er zu ihr auf. »Deine Mutter würde den Schock nicht verkraften, Sam. Wenn sie hört, was passiert ist, wird sie mir die Schuld geben, aber auch sich selbst. Lieber gehe ich ins Gefängnis, als das zu riskieren!«

Sam wischte sich die Tränen aus den Augen. Er hatte Recht, verdammt. Und er wusste, dass sie alles tun würde, um ihre Mutter zu beschützen. Marcy Bretton hatte ihren Kampf gegen den Krebs elf Jahre zuvor gewonnen, aber nur ein Jahr später einen Schlaganfall erlitten. Sie war zunächst rechtsseitig gelähmt und konnte nicht mehr sprechen. Während ihrer mühsamen Genesung hatte die Familie jeden Stress von ihr ferngehalten, der ihr hätte schaden können. Inzwischen erinnerten nur ein leichtes Humpeln und gelegentliches Zögern beim Sprechen an ihren langen Kampf.

Tug hätte es fertig gebracht, das Kommando auf der Sea Mistress vom Kapitänssessel im Ruderhaus aus weiterzuführen, aber das hätte gegen die Kautionsauflagen verstoßen. So war er dazu verdammt, nutzlos daheim herumzusitzen, wo er die verlorene Zeit verfluchte und sich elend fühlte wegen der Sorgen, die er seiner Frau bereitete.

»Sag Bill, wir treffen uns morgen früh um neun am Kai.« Sam ging zur Tür. »Ach ja, Mom hat mir die Bootsschlüssel gegeben, bevor sie gegangen ist. Ich mache mich jetzt mal auf und schaffe ein paar Vorräte an Bord.«

»Ihr braucht noch einen Mann.«

»Keine Sorge, ich werde schon einen finden.« Sie lächelte grimmig. »Einen mit mehr Mumm als Eddie.«

Als sie die Fliegengittertür aufstieß, traf diese beinahe einen Mann, der draußen stand, eine Hand erhoben, als wollte er gerade anklopfen. In Sekundenbruchteilen registrierte sie nicht nur sein umwerfendes Aussehen, sondern außerdem, dass er zwar reglos stehen blieb, aber blitzschnell seinen Arm hob und den Schwung der Tür noch rechtzeitig abfing.

Ihr Instinkt sagte ihr, dass er nicht gerade erst gekommen war, und sie fragte sich, wie lange er schon dort gestanden haben mochte und wie viel er von ihrem Gespräch mit ihrem Vater mitbekommen hatte.

»Ich suche Tug Bretton.«

Die braunen Augen leuchteten warm. Wie poliertes Mahagoni, dachte sie bei sich. Dazu welliges, hellbraunes Haar, eine lange, gerade Nase, fein gemeißelte und doch ausdrucksvolle Züge und perfekt geformte Lippen - genau die Art von gutem Aussehen, dem sie auf den ersten Blick misstraute. Sie schätze ihn auf Anfang dreißig.

»Worum geht es?« Sie bemerkte, wie bei ihrem schroffen Tonfall Interesse über seine Züge huschte, aber der freundliche Gesichtsausdruck blieb.

»Ich brauche Arbeit, und ein Barmann hat mir erzählt, Tug Bretton sucht vielleicht jemanden. Hat gesagt, sein Decksmann hätte gekündigt.«

Sam musterte ihn abschätzig. Die ausgebleichte Jeans und das T-Shirt waren sauber, und wegen der uralten Reeboks würde man ihn sicher nicht im Zug überfallen, trotzdem missfiel ihr seine Erscheinung. »Sie sehen nicht aus wie ein Fischer.«

»Bin ich auch nicht. Aber ich arbeite hart und brauche das Geld. Außerdem habe ich eine Weile in Brisbane in einer Shrimpsfabrik gearbeitet.«

Als er ihre Geste nachmachte und die Arme verschränkte, spannten seine Muskeln den Baumwollstoff über seiner Brust. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie instinktiv eine Abwehrhaltung eingenommen hatte. Beiläufig ließ sie die Arme sinken. »Hat der Barmann Ihnen auch gesagt, dass, wenn Sie ein Drogenproblem haben oder auf der Flucht sind, Sie bei uns an der falschen Adresse sind? Die Sea Mistress wird nämlich von der Polizei beobachtet.«

»Das stört mich nicht. Ich bin sauber. Ich brauche nur Geld für einige Reparaturen an meinem Wagen. Ein Känguru hat es draußen vor der Stadt als Trampolin benutzt. Ich habe keine Kaskoversicherung, und der Karosseriebauer will nicht anfangen, bevor er Kohle gesehen hat.«

»Die Sie nicht haben.«

»Richtig. Jedenfalls nicht genug. Ich habe Aussichten auf einen Job in Townsville, aber dazu brauche ich mein Auto.«

»Unerfahrene Hilfsarbeiter verdienen aber nicht viel.«

»Hauptsache, ich habe ein Dach über dem Kopf und verdiene ein paar Kröten. Das ist immer noch besser, als im Pub rumzuhängen und das bisschen Kohle zu verbraten, das ich noch habe. Ich muss mich schließlich über Wasser halten, bis ich wieder Arbeit habe.«

»Sie könnten Tomaten pflücken.«

»Ich wäre lieber auf dem Wasser.«

Wenn sie Zeit gehabt hätte, sich nach einem anderen umzusehen, hätte sie den Mann vor ihrer Tür weggeschickt. Aber die Wahrscheinlichkeit, einen zu finden, der bereit war, unter einem unerfahrenen, weiblichen Kapitän anzuheuern, dessen Vater zudem auch noch des Mordes beschuldigt wurde, war äußerst gering. Sie schloss die Tür hinter sich und trat auf den Patio hinaus. Die Nachmittagssonne brannte auf ihre nackten Beine herab. Der Fremde machte ihr Platz, jedoch nicht genug für ihren Geschmack. Sam war groß, musste aber trotz der mittelhohen Absätze ihrer Sandalen zu ihm aufblicken. Sie ging einen Schritt zurück. »Der Barmann hat Ihnen vermutlich erzählt, dass mein Vater sich das Bein gebrochen hat und vorübergehend nicht als Skipper arbeiten kann.«

Er nickte. »Er meinte, der zweite Mann, Bill Marvin, würde wohl übernehmen.«

»Bill hat zwar die Fischerlizenz, aber kein Patent.«

Der Fremde zog fragend eine seiner dunklen Brauen hoch.

»Er hat kein Kapitänspatent.« Verstehen zeichnete sich auf seinen Zügen ab. Sofort fügte sie hinzu: »Ich werde vorübergehend das Kommando auf der Sea Mistress übernehmen.«

Er zog nun auch die zweite Braue nach oben, nickte jedoch. »Meinetwegen. Kann ich den Job haben?«

Sie wollte Nein sagen, rang sich jedoch ein »Ja« ab.

»Super.« Lächelnd reichte er ihr die Hand. »Ich bin Chayse. Chayse Jackson.«

Sam hatte geglaubt, sie wäre inzwischen immun gegen das Zahnpastalächeln gut aussehender Männer, aber als sie zögernd seine Hand ergriff, tat ihr Herz gegen ihren Willen einen Sprung. Hitze durchströmte ihre Finger, und das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals. »Sam Bretton.«

Sie widerstand dem Impuls, sich danach die Hand an den Shorts abzuwischen; sie wollte sich nicht zu diesem Mann hingezogen fühlen.

»Wir sehen uns morgen früh um sechs auf der Sea Mistress.« Sie gab ihm eine kurze Beschreibung des Liegeplatzes und steuerte dann die Vordertreppe an.

»Fahren Sie in die Stadt?«, fragte er mit einem Blick auf die Wagenschlüssel in ihrer linken Hand. »Es wäre echt nett, wenn Sie mich mitnehmen könnten. War ein verdammt langer Fußmarsch hier raus.«

Es wäre kindisch gewesen abzulehnen, trotzdem zögerte Sam. Ihr stand nicht der Sinn nach Gesellschaft. Sie hatte zwar ihrem Vater gegenüber Selbstsicherheit demonstriert, aber immerhin war es neun Jahre her, seit sie das letzte Mal am Ruder eines Fischerbootes gestanden hatte, und sie fürchtete, sie könnte vieles vergessen haben. Wenigstens würde sie Bill an ihrer Seite haben, der immerhin seit zwanzig Jahren für ihren Vater arbeitete. »Okay. Ich muss unterwegs einmal anhalten, aber das dauert nur ein paar Minuten.«

»Kein Problem, ich habe sowieso nichts mehr vor. Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen, das Boot klarzumachen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Bill kümmert sich darum. Ich muss nur ein paar Dinge einkaufen. Irgendwelche Vorlieben, was das Essen betrifft?«

»Ich mag gern dicke Steaks. Ansonsten bin ich pflegeleicht.«

»Das will ich auch hoffen«, entgegnete Sam nachdrücklich. »Es ist nicht leicht, wochenlang auf engstem Raum mit denselben Menschen zusammen zu sein. Bill redet nicht viel, und ich werde keine Zeit haben, Ihnen unter die Arme zu greifen, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt.« Als ihr bewusst wurde, wie man ihre Worte auslegen konnte, war sie dankbar, dass sie nicht errötete, eine Schwäche, die sie schon des Öfteren verflucht hatte.

Aber er sagte nur: »Ich lerne schnell.« Er blieb ernst, aber seine Augen blitzten verräterisch.

Chayse wusste, dass das Haus der Brettons vier Kilometer außerhalb der Stadt lag, aber das war nicht der einzige Grund, weshalb er Samantha Bretton gebeten hatte, ihn mitzunehmen. Wenn sie der Kapitän an Bord sein würde, war sie seine Zielperson. Nicht dass es ihn Überwindung kosten würde, der langbeinigen Blondine näher zu kommen. Das Foto des Überwachungsteams hatte weder den wachen Ausdruck in ihren grünen Augen eingefangen noch die goldenen Sprenkel und haselnussbraunen Schlieren in der Iris. Kurzes volles Haar umrahmte ein Gesicht, das eher kantig als rund war, und ihre ein wenig vollere Unterlippe erfüllte Chayse mit Gedanken, die mehr privater als professioneller Natur waren.

Als sie im Schatten eines großen Kampferbaumes parkte, warf sie ihm einen kurzen Seitenblick zu. »Ich bin in einer Minute zurück.« Dann eilte sie auch schon den schmalen Pfad hinunter zu einem niedrigen Holzbungalow und klingelte. Eine Frau öffnete, und ein kleines Kind schoss an ihr vorbei auf Sam zu. Sie nahm den Jungen auf den Arm und drückte ihn. Beim Anblick ihres liebevollen Gesichtsausdrucks zog sich Chayses Herz zusammen.

Er sah zu, wie Sam ein paar Worte mit der Frau wechselte, und fragte sich, ob es richtig gewesen war, den Auftrag anzunehmen. In den vergangenen zwei Monaten hatte er sich viermal krank gemeldet, aber nicht ein Virus hatte ihn ans Bett gefesselt, sondern das Unvermögen, einen weiteren Tag lang in die Niederungen menschlicher Schlechtigkeit einzutauchen, sei es auch nur als Beobachter.

Wenn alles, was er gehört hatte, stimmte, hatte Tug Bretton nichts mit dem Mord an Ewan McKay zu tun, aber welches Geheimnis er auch immer für sich behielt, es hing irgendwie mit McKays Tod zusammen, und Sam Bretton wusste Bescheid. Chayse wurde klar, dass er nicht derjenige sein wollte, der besagtes Geheimnis enthüllte.

Sam kam zurück und stieg ein.

»Niedlich, der Kleine«, bemerkte er.

Ihr Lächeln wurde breiter. »Mein Neffe. Er ist toll.«

»Ich dachte, es wäre vielleicht Ihrer.«

Ihr Lächeln erlosch. »Nein. Ich habe keine Kinder.« Sie legte geräuschvoll den ersten Gang ein und fuhr rasant los.

Auch ohne seine durch die Polizeiarbeit geschärften Instinkte hätte Chayse gespürt, dass er einen wunden Punkt bei ihr getroffen hatte. Sie hielt das Lenkrad mit solcher Kraft umklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten, und presste die Lippen fest zusammen. Chayse sagte sich, dass es wohl das Beste sei, zu schweigen, und so betrachtete er abwechselnd Sam und die Aussicht. Schon bald lösten Geschäfts- und Bürogebäude die Backstein- und Holzhäuser der Wohnviertel ab.

Sam fragte, wo er wohnte, und er nannte ihr den Namen einer einfachen, kleinen Pension.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn wir zuerst zum Hafen fahren?«, fragte sie. »Dann kann ich nachsehen, was noch an Bord ist, und auflisten, was wir brauchen. Sie können ja in der Zwischenzeit ihre Anstellungsformulare ausfüllen.«

Sie fuhr hinunter zum Fluss und parkte vor einem hohen Maschendrahtzaun, der eine Marina abgrenzte.

Als sie am Kai entlanggingen, warfen Sams Sandalen ein leises Echo aufs Wasser. Chayse ging hinter ihr her und riss nur widerwillig den Blick von ihrem rhythmischen Hüftschwung los, um die Sea Mistress in Augenschein zu nehmen, die am Ende des fast leeren Docks vertäut war. Der Schleppnetzfischer war etwa sechzehn Meter lang und glänzte in Dunkelblau und Weiß. Der Anstrich schien auf den ersten Blick ebenso gut in Schuss zu sein wie die Aufbauten.

Da Ebbe war, dümpelte das Boot mehrere Meter unterhalb der Kaimauer. Sam blieb stehen, schwang ein schlankes Bein über die Kaimauer und kletterte über eine Metallleiter an Deck. Es war eine ganz natürliche Bewegung, die verriet, dass sie sie häufig ausführte. Chayse kam sie ausgesprochen sinnlich vor, eine Empfindung, die zweifellos vom Schimmer des Sonnenlichts auf ihrer gebräunten Haut noch verstärkt wurde. Er zögerte einen Moment lang, dann folgte er ihr.

Sam sperrte die Tür zum Ruderhaus auf und betrat eine schmale Kombüse, die mit Mikrowelle, zwei Herdplatten und einem großen Kühlschrank ausgestattet war. An den Wänden waren Schränke und Regale angebracht, und gegenüber dem Ruder und dem Kapitänsstuhl befand sich ein kleiner Tisch, wie man ihn in Wohnwagen antrifft. Es gab einen kleinen Salon, der zur Kabine umfunktioniert werden konnte, und gleich daneben ein kleines Bad, dessen Tür halb von einem Vorhang verdeckt wurde. Chayse hatte die Toilette draußen neben dem Ruderhaus bemerkt und war froh, dass dessen dicke Kunststofftür mehr Intimsphäre bot als der dünne Vorhang.

Sam öffnete eine tiefe Schublade und kramte in einigen Unterlagen, bis sie schließlich das Gesuchte fand und ihm einen Stoß Papiere reichte. »Setzen Sie sich da hin und füllen Sie das aus. Ich gebe Ihnen noch einen Kuli.«

»Sie haben eine sehr umfassende elektronische Ausstattung.« Chayse nickte in Richtung Instrumententafel.

Sam folgte seinem Blick. »Die brauchen wir auch. Das hier ist ein Echolot«, erklärte sie. »GPS, Plotter, Radar.«

»Das da sieht aus wie ein Computerbildschirm.«

»Damit sehen wir uns einen Teil der Karten an. Ideal für Ausschnittvergrößerungen bei sehr detailliertem Kartenmaterial.«

»Du stellst eine Menge Fragen«, mischte sich eine tiefe Stimme in ihre Unterhaltung ein.

Chayse fuhr herum. In der Tür stand ein großer, stämmiger Mann mit wettergegerbtem Gesicht in Shorts und ärmellosem Shirt. Kräftige Arme und Beine verrieten, dass er harte körperliche Arbeit gewohnt war.

In der rechten Hand hielt er ein Filetiermesser mit langer, dünner Klinge.

Kapitel 2

»Bill! Du hast mich fast zu Tode erschreckt!«

»Tut mir Leid, Sam. Ich habe Stimmen gehört und dachte, es wären Einbrecher.«

»Lauern Sie Einbrechern immer bewaffnet auf?«, fragte Chayse mit einem Blick auf das Messer, allerdings in freundlichem Tonfall. Auf der Innenseite von Bills Unterarm war der Name einer Frau eintätowiert, und als sich seine Hand fester um den Messergriff schloss, bewegten sich die Schwingen des Adlers an seinem Oberarm.

»Wer will das wissen?«, fragte Bill ebenso ruhig, aber weniger freundlich.

Sam trat zwischen die beiden Männer. »Bill, das ist Chayse Jackson. Er ist unser neuer Decksmann.«

»Unser neuer Decksmann?«

»Hat Dad dich nicht angerufen? Wir fahren morgen mit der Sea Mistress raus.«

»Was ist mit deinem Job?«

»Ich habe mich für zwei Monate beurlauben lassen.«

Drückende Stille senkte sich herab, und Chayse beobachtete interessiert den stummen Austausch zwischen dem Mann mittleren Alters und der entschlossenen jungen Frau. Als Bill Marvin den Blick auf Chayse richtete, schien seine körperliche Anspannung noch zuzunehmen. Dann zuckte er unvermittelt die Achseln, steckte das Messer zurück in die Scheide und brummte: »Ich schätze, du bist alt genug, um zu wissen, was du tust. Der Tank ist voll, aber wenn du Vorräte an Bord bringst, schaltest du besser den Hilfsmotor ein.«

Nachdem Bill das Ruderhaus wieder verlassen hatte, stellte Sam das Aggregat ein, das den Kühlraum mit Strom versorgte. Der Motor sprang an, und gleich darauf erfüllte ein vibrierendes, leises Summen das Schiff. Sam fand einen Kuli und bedeutete Chayse, sich hinzusetzen und die Formulare auszufüllen, die sie ihm gegeben hatte. Dann folgte sie Bill an Deck.

Während der ältere Mann das Filetiermesser zusammen mit einigen anderen Ausrüstungsgegenständen in die Ablage hinter dem Sortiertisch legte, machte er einen völlig entspannten Eindruck. Aber Sam kannte Bill beinahe so gut wie ihren eigenen Vater und wusste, dass er nicht glücklich war mit der Situation.

Sie lehnte sich an die große Fiberglaskiste, auf der auch die Arbeitsplatte ruhte. »Spuck’s aus, Bill.«

Bill schloss den Haken der Backskiste und richtete sich auf. »Dein Vater hat geschworen, dich nie mehr an Bord zu lassen, Sam. Wie hast du es geschafft, ihn umzustimmen?«

Sam trat unter seinem grimmigen Blick nervös von einem Fuß auf den anderen. »Ich habe ihm gesagt, dass ich sonst zur Polizei gehe und verrate, was er von McKay wollte.« Als sich seine Stirn in tiefe Falten legte, fügte sie hastig hinzu: »Ich hätte das natürlich nie getan, Bill, dazu stehe ich viel zu tief in deiner Schuld. Aber ich konnte doch nicht tatenlos mit ansehen, wie Dad Pleite geht.«

Bill strich sich ein paar Strähnen aus der Stirn, sonnengebleichte, goldfarbene, vermischt mit einigen grauen, die bereits das volle braune Haar durchzogen. »Wenn ich glauben würde, dass es deinem Vater nützt, wäre ich selbst längst bei der Polizei gewesen. Aber ich denke, es könnte ihn noch mehr belasten, immerhin wäre das ein Mordmotiv.«

»Wenigstens können wir die Sea Mistress am Laufen halten, bis Dads Bein wieder okay ist.«

»Wo hast du den her?« Er wies mit dem Kinn Richtung Ruderhaus.

Als sie es ihm erzählte, flackerte Misstrauen in seinen Augen auf. »Merkwürdiger Zufall, dass er ausgerechnet dann auftaucht, wenn wir jemanden brauchen, findest du nicht?«

»Ist doch praktisch. Bill, wir wissen beide, dass Dad reingelegt wurde, aber man kann doch nicht allem und jedem misstrauen.«

Bill zuckte die Achseln. »Ich hätte erwartet, dass du die Letzte bist, die so denkt.«

»Ich habe die vergangenen neun Jahre mit mir gekämpft, um Misstrauen und Angst zu überwinden. Ich werde mein Leben nicht mehr davon bestimmen lassen.« Sam wandte sich dem Ruderhaus zu. »Holst du mich morgen früh um acht ab?«, fragte sie über die Schulter.

»Was ist mit unserem Neuen?«

Sie lächelte. »Der kann laufen.«

Zigarettenrauch kräuselte sich träge in der Luft. Musik aus der Disco vermischte sich mit dem Stimmengewirr und dem Klacken der Billardkugeln auf den Pooltischen.

Eine breiter Türbogen trennte das Billardzimmer von der kleineren Bar, in der Chayse saß und mit dem Rücken an die Wand gelehnt die anderen Gäste beobachtete. Männer verschiedenen Alters auf den Barhockern am Tresen, aber vor allem jüngere Leute an den Pool-Tischen. Obwohl es schon sieben Uhr am Abend war, trugen manche noch Arbeitskleidung; der Rest war lässig gekleidet, wobei manche an diesem kühlen Maiabend bereits einen Pullover dabei hatten.

Obwohl er wusste, dass die Kladium auf See war, hatte Chayse beschlossen, in der Hotelbar einen Drink zu nehmen, die auch Folter frequentierte. Er hoffte, vielleicht etwas aufzuschnappen, das ihm darüber Aufschluss gab, was der Kapitän in seiner Freizeit so trieb. Er nippte an seinem Bier. Ihm war klar, dass er eigentlich Kontakt zu den Besatzungsmitgliedern anderer Schleppnetzfischer aufnehmen sollte, verspürte jedoch nicht die geringste Lust dazu. Vielleicht hatte sein Vorgesetzter ja Recht und er war diesem Job wirklich nicht gewachsen. Für einen Moment blitzte die Erinnerung an Blut und einen verstümmelten jungen Körper auf, und in dem Bestreben, die Bilder auszulöschen, kippte er hastig sein Bier herunter. Er konzentrierte sich auf die anderen Barbesucher und kategorisierte sie nach verschiedenen markanten körperlichen Merkmalen wie Knollennase, Kurzbein, Rotschopf. Das war ein Zeitvertreib, aber außerdem eine effektive Methode, um sich später leichter an Leute zu erinnern sowie an die Situation, in der er sie gesehen hatte.

Er stellte das leere Glas auf den Tresen und überlegte gerade, ob er sich noch ein Bier bestellen sollte, da kam Samantha Bretton herein, in enger Jeans und einem grünen Top, das ihre Körpergröße ebenso betonte wie ihre Kurven. Sie warf einen Blick auf die Billardtische und runzelte die Stirn. Sie wandte sich der Bar zu, hielt jedoch plötzlich inne und lächelte. Ein drahtiger, blonder Mann Ende zwanzig, der gerade im Begriff war, mit seinem Queue einen Stoß auszuführen, lächelte zurück.

Gleich nachdem Sam Chayse am Nachmittag vor der Pension abgesetzt hatte, hatte er seinen Vorgesetzten angerufen und mehr Informationen zu ihrer Person erbeten. Dass sie Kapitän auf einem Touristenschiff war, beruhigte ihn hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, ein Schiff zu führen, aber es gab nicht viel, das ihm mehr über sie als Menschen verraten hätte. Ledig, lebte recht zurückgezogen ... Aber schon das allein passte nicht zu der attraktiven, offensichtlich kompetenten, jungen Frau.

Sie ging zu dem blonden Billardspieler hinüber und wechselte ein paar Worte mit ihm. Er führte noch zwei Stöße aus, beendete die Partie, und die beiden setzen sich zusammen an einen kleinen Tisch. Von seinem Standort aus konnte Chayse die beiden Räume fast vollständig überblicken. Im nächsten Augenblick wurde er auf einen übergewichtigen Mann mittleren Alters mit schütterem rostroten Haar aufmerksam. Er schlenderte von der Bar zu dem Billardtisch hinüber, der Samantha am nächsten war. Mit einem Hals, der fast breiter war als der Schädel, und den leicht vorgezogenen, fleischigen Schultern war er wie gemacht für den Spitznamen Stiernacken. Er legte eine Münze auf eine Ecke des Holztisches, um diesen für sich zu reservieren, sobald er frei wurde. Dann zog er mit dem Fuß einen Stuhl heran und setzte sich mit dem Rücken zu Sam.

Auf einen gewöhnlichen Beobachter mochte Stiernacken einen vollkommen gelösten Eindruck machen, wie er sein Bier trank und sich eine Zigarette anzündete. Aber als er den Kopf zurückbog und den Rauch in die Luft blies, konnte Chayse die Anspannung in seinem Nacken sehen. Er wusste sofort, dass Sams Unterhaltung ihm weit wichtiger war als eine Partie Pool.

Chayse beobachtete Sam. Als sie in ernstem Tonfall etwas zu dem blonden, jungen Mann sagte, runzelte der die Stirn. Dann nickte er, worauf Sam sichtlich erleichtert reagierte. Diese Empfindung teilte Stiernacken offenbar nicht; er machte ein finsteres Gesicht, stand dann abrupt auf und steuerte die Herrentoilette an. Sam und der junge Mann plauderten noch eine Weile lang, dann verabschiedete sie sich und verließ die Bar. Ihr Aufbruch erinnerte Chayse daran, wie früh er aufstehen musste, um am nächsten Morgen pünktlich am Hafen zu sein, und so beschloss er zu zahlen und ebenfalls zu gehen. In dem Moment tauchte Stiernacken wieder auf und folgte Sam nach draußen.

Chayse sträubten sich die Nackenhaare. Er eilte hinaus und blieb auf der Treppe stehen.

Durch das Fenster des Pubs fielen lange Lichtstreifen auf den Gehweg. Laternen an der Straßenecke erhellten die gegenüberliegende Straßenseite, aber der Eingang lag im Dunkeln, am Ende einer Reihe von Häusern älteren Baujahres. Ausladende Bäume, deren Äste über den Gehweg und die am Straßenrand geparkten Autos ragten, säumten die Fahrbahn. Chayse blickte sich um und entdeckte Stiernacken, wie er gerade mit dem Handy am Ohr um die Ecke bog. Sam ging unter der Baumreihe zügig in die entgegengesetzte Richtung.

Jahre der Erfahrung hatten Chayse gelehrt, auf seine Instinkte zu vertrauen, und obwohl es für ihn logisch war, sich Stiernacken an die Fersen zu heften, zögerte er und blickte stattdessen Sam hinterher. Sie bewegte sich sehr zielstrebig, den Kopf hocherhoben, die rechte Hand zur Faust geballt, und Chayse hätte wetten können, dass ein Autoschlüssel zwischen ihren Fingern hervorlugte. Sie schien sich mit den elementarsten Vorsichtsmaßnahmen auszukennen, die Frauen ohne Begleitung nachts beachten sollten.

Sie hatte bereits sechs Autos hinter sich gelassen, da sprang eine dunkle Gestalt hinter einem der Bäume hervor und stürzte sich auf sie.

Sam trat sofort zu. Ihr Angreifer wich zurück, und Chayse sah Stahl aufblitzen. Sams Stiefel traf den Mann oberhalb des Schritts, was ihn jedoch nicht davon abhielt, mit dem Messer zuzustechen. Sie schrie vor Schmerz auf, dann verlor sie das Gleichgewicht und fiel zu Boden.

Chayse stieß einen Schrei aus und rannte los.

Der Angreifer erstarrte für eine halbe Sekunde und flüchtete in die Dunkelheit.

Chayse hätte ihn gern verfolgt, war jedoch zu sehr um Sam besorgt, die vielleicht dringend ärztlich versorgt werden musste. Sie hatte sich aufgesetzt und presste ein Taschentuch auf ihren Oberschenkel. Er kniete sich neben ihr auf den Asphalt. Als sie ihn erkannte, war sie sichtlich überrascht.

»Wo ist Ihr Wagen?«, fragte er. »Ich helfe Ihnen.«

»Danke, aber ich komme ganz gut allein zurecht«, brummte sie und stand auf. Er wollte sie stützen, aber sie stieß ihn zurück. »Es geht mir gut.« Sie fischte die Autoschlüssel aus ihrer Jeanstasche und humpelte auf den Magna zu, der einige Meter entfernt parkte. Als sie die Fernbedienung betätigte, leuchteten die Blinklichter auf, und sie hinkte zur Fahrerseite hinüber. Noch bevor sie die Tür öffnen konnte, hob Chayse sie hoch.

»Lassen Sie mich runter!«, rief sie ärgerlich, aber er beachtete ihre Proteste nicht. Stattdessen trug er sie zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und setzte sie ins Auto. Im Licht der Innenbeleuchtung war zu sehen, dass frisches Blut ihre Jeans durchtränkt hatte und über ihre Sandale lief. Er kurbelte die Fensterscheibe herunter, ergriff ihren Fuß und legt ihn auf das Armaturenbrett. Als er die von der Klinge aufgeschlitzte Jeans weiter aufriss, sah er, dass Blut aus der Wunde floss.

»Das muss genäht werden«, erklärte er. Er kramte sein Taschentuch hervor und drückte es auf den Schnitt.

Sam warf ihr eigenes blutgetränktes Taschentuch in den Fußraum. »Verdammt! Musste das sein? Ausgerechnet jetzt!« Sie war sehr blass.

»Schnallen Sie sich an, ich fahre Sie ins Krankenhaus.«

»Nicht nötig. Ich flicke mich schon selbst zusammen.«

»Wer weiß, ob die Klinge nicht verkeimt war. Sie brauchen Antibiotika. Sie wollen doch nicht, dass sich die Wunde entzündet, wenn wir draußen auf See sind, oder?«

Frustriert schüttelte sie den Kopf, nickte dann ergeben und legte den Gurt an. Chayse nahm ihre linke Hand und legte sie auf das Taschentuch. »Fest drücken.«

Während er zur Fahrerseite hinüberging, nahm er das Handy von seinem Gürtel und wählte dreimal die Null. Sekunden später meldete er den Überfall der örtlichen Polizei, die jemanden zur Notaufnahme schicken wollte.

Als sie den Parkplatz des Krankenhauses verließen, betrachtete Sam Chayses Profil.

Es gefiel ihr nicht, in seiner Schuld zu stehen, ebenso wenig wie es ihr gefiel, sich zu ihm hingezogen zu fühlen. Aber vermutlich hatte er ihr das Leben gerettet, und sie war ihm natürlich dankbar für seine Hilfe. Die Polizei hatte sie beide befragt, aber da es zu dunkel gewesen war, um den Angreifer deutlich zu sehen, standen die Aussichten, ihn zu fassen, denkbar schlecht. Trotzdem waren Beamte an den Tatort geschickt worden, um sich dort nach Spuren und Verdächtigen umzusehen. Sam hatte Angaben zu Größe und Körperbau des Mannes gemacht, aber ihr war noch etwas aufgefallen. Doch sie kam einfach nicht darauf, was es gewesen war.

Während der Arzt ihre Wunde genäht hatte, hatte sich Sam gefragt, wie es kam, dass Chayse »rein zufällig« zur Stelle gewesen war. Das ging ihr nicht aus dem Sinn, und sie beschloss, ihn geradeheraus zu fragen. »Wie kommt es eigentlich, dass Sie mich aus dem Pub kommen sahen?«

»Ich war schon vor Ihnen in der Bar. Als Sie wieder aufbrachen, sagte ich mir, dass es das Beste wäre, ebenfalls früh schlafen zu gehen.«

»Oh.« Sam hatte sich nicht in der Bar umgesehen und schämte sich nun, dass sie ihm gegenüber so misstrauisch gewesen war. »Danke für Ihre Hilfe.«

Chayse zuckte die Achseln. »Ich konnte schlecht zulassen, dass der Kapitän nicht rechtzeitig zum Auslaufen zur Stelle ist.«

»Da haben Sie wohl Recht.« Sie versuchte zu lachen, was jedoch nicht richtig gelang. »Es steht zu viel auf dem Spiel.« Sie holte tief Luft. »Wie viel haben Sie gehört, als Sie bei meinem Vater draußen vor der Tür gestanden haben?«

Chayse lächelte; die Frau redete nicht um den heißen Brei herum. »Nicht viel.«

Log er? Sam war nicht sicher. Gott sei Dank hatte sie nichts allzu Belastendes gesagt. »In den letzten Jahren haben sich die meisten Fischer der Gegend ganz schön abstrampeln müssen, um finanziell zu überleben.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Steigende Dieselpreise und die Verkürzung der Fangsaison haben der Industrie arg zugesetzt. Dad hat wegen dieses Mordfalls schon zwei Wochen der Fangzeit versäumt, und wenn er mit der Rückzahlung der Kreditraten für das Boot noch weiter in Verzug gerät, wird die Bank es zwangsversteigern - und mein Elternhaus gleich dazu.«

»Sie müssen also möglichst bald Geld verdienen ...«

Sam seufzte. »Es würde Dad umbringen, die Sea Mistress zu verlieren.« Sie blickte auf die Straße. »Fahren Sie ruhig zu Ihrer Pension. Von da aus komme ich auch allein nach Hause.«

»Zu Ihren Eltern?«

»Nein. Ich habe ein eigenes Haus.« Es hatte sie große Überwindung gekostet, bei ihren Eltern auszuziehen, aber mit den Jahren war die Angst weniger geworden, und allein zu leben war schließlich die letzte Etappe gewesen. Oder beinahe. Sie verzog das Gesicht. An der zweiten wichtigen Etappe war sie gescheitert, und seitdem hatte sie nicht die geringste Lust verspürt, es noch einmal zu versuchen.

»Sie leben allein?«

»Ja.«

»Dann bringe ich Sie hin.« Sein entschlossener Tonfall veranlasste sie, ihn erneut anzusehen. »Ich denke, Sie sollten heute Nacht nicht allein sein«, fuhr er fort. Bei diesen Worten versteifte sie sich.

Er musste ihre Reaktion gespürt haben und fügte mit einem grimmigen Lächeln hinzu: »Sie können mir vertrauen, Sam. Sie können sich im Haus einschließen, und ich übernachte im Wagen, wenn Ihnen das lieber ist, aber es ist zu gefährlich für Sie, ganz allein zu bleiben.«

Erst jetzt sprach sie aus, was sie eigentlich hatte verdrängen wollen, obwohl ihr klar war, dass sie sich der Realität stellen musste. »Sie meinen, der Überfall war kein Zufall?«

»Ich denke, dass jemand Sie entweder ausrauben oder vergewaltigen wollte«, entgegnete er bedächtig. »Oder er wollte Sie töten.«

Ein Schmerz, der schlimmer war als jener, den die Wunde verursachte, durchzuckte sie, und ihr Magen verkrampfte sich. Ihr Herz schlug schneller, und Schweiß perlte über ihrer Oberlippe. Unter Aufbietung ihrer ganzen Willenskraft zwang sie sich, tief durchzuatmen. Als sie ihren Körper wieder unter Kontrolle hatte, wurde ihr bewusst, dass sie zwar die ganze Zeit lang durch die Windschutzscheibe gestarrt hatte, jedoch ohne etwas wahrzunehmen. Sie schüttelte den Kopf.

»Biegen Sie hier links ab«, sagte sie und zeigte auf eine Nebenstraße. »Dann die erste rechts. Das dritte Haus auf der rechten Seite.«