Im Sonnenwinkel 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Im Sonnenwinkel 3 – Familienroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Im Sonnenwinkel ist eine Familienroman-Serie, bestehend aus 75 in sich abgeschlossenen Romanen. Schauplätze sind der am Sternsee gelegene Sonnenwinkel und die Felsenburg, eine beachtliche Ruine von geschichtlicher Bedeutung. Wundervolle, Familienromane die die Herzen aller höherschlagen lassen. Der Schnee rieselte in feinen Flocken auf die Erde und bedeckte die Häuser vom Sonnenwinkel mit einer weißen Schicht. Die alte Felsenburg ragte jetzt bei Weitem nicht mehr so drohend über dem Herrenhaus von Erlenried empor. Der Schnee hatte ihr eine kleine Haube aufgesetzt. So sah sie richtig gemütlich aus und passte viel besser zu dem Dorf, das sich um das Gut herum gebildet hatte. Aus einem hübschen Nebengebäude vom Herrenhaus hörte man das fröhliche Kinderlachen bis auf die Dorfstraße. Das ganze Haus duftete nach dem köstlichen Gebäck, das Teta mit unermüdlichem Enthusiasmus für die bevorstehende Adventszeit fabrizierte, als wolle sie den ganzen Ort damit versorgen. Nun, Abnehmer würden sich genug finden. Selbst Felix Münster schnupperte genüsslich, wenn er abends aus der Fabrik heimkam. Der November mit seinen trüben, nebligen und regnerischen Tagen neigte sich dem Ende entgegen. Die Zeit freudiger Erwartung nahte. »Es schneit, Teta, es schneit!« Mit einem Jubelschrei stürzte der kleine Manuel atemlos in die Küche. »Deswegen brauchst du mich nicht gleich über den Haufen zu rennen«, brummte sie gutmütig. Noch immer musste Teta staunen, wie sehr sich dieser stille, scheue Junge in den wenigen Wochen gemausert hatte. Seine Augen blitzten, seine Wangen glühten, und Teta, obgleich so sehr beschäftigt, kam nicht umhin, aus dem Fenster zu schauen. Fedrige weiße Flocken rieselten vom Himmel herab, setzten sich an die Scheiben und wurden zu bizarren Gebilden, bevor die Wärme, die aus der Küche kam, sie hinwegschmolz. »Warum bleiben sie nicht so schön, Teta?«, fragte Manuel bekümmert. »Sie sehen so sehr hübsch aus, wenn sie sich ans Fenster setzen.

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Im Sonnenwinkel – 3 –

Das Kind vom Herrenhaus

Manuel gibt Anlass zur Sorge

Patricia Vandenberg

Der Schnee rieselte in feinen Flocken auf die Erde und bedeckte die Häuser vom Sonnenwinkel mit einer weißen Schicht. Die alte Felsenburg ragte jetzt bei Weitem nicht mehr so drohend über dem Herrenhaus von Erlenried empor. Der Schnee hatte ihr eine kleine Haube aufgesetzt. So sah sie richtig gemütlich aus und passte viel besser zu dem Dorf, das sich um das Gut herum gebildet hatte. Aus einem hübschen Nebengebäude vom Herrenhaus hörte man das fröhliche Kinderlachen bis auf die Dorfstraße.

Das ganze Haus duftete nach dem köstlichen Gebäck, das Teta mit unermüdlichem Enthusiasmus für die bevorstehende Adventszeit fabrizierte, als wolle sie den ganzen Ort damit versorgen. Nun, Abnehmer würden sich genug finden. Selbst Felix Münster schnupperte genüsslich, wenn er abends aus der Fabrik heimkam. Der November mit seinen trüben, nebligen und regnerischen Tagen neigte sich dem Ende entgegen. Die Zeit freudiger Erwartung nahte.

»Es schneit, Teta, es schneit!« Mit einem Jubelschrei stürzte der kleine Manuel atemlos in die Küche.

»Deswegen brauchst du mich nicht gleich über den Haufen zu rennen«, brummte sie gutmütig. Noch immer musste Teta staunen, wie sehr sich dieser stille, scheue Junge in den wenigen Wochen gemausert hatte. Seine Augen blitzten, seine Wangen glühten, und Teta, obgleich so sehr beschäftigt, kam nicht umhin, aus dem Fenster zu schauen.

Fedrige weiße Flocken rieselten vom Himmel herab, setzten sich an die Scheiben und wurden zu bizarren Gebilden, bevor die Wärme, die aus der Küche kam, sie hinwegschmolz.

»Warum bleiben sie nicht so schön, Teta?«, fragte Manuel bekümmert. »Sie sehen so sehr hübsch aus, wenn sie sich ans Fenster setzen. Wie Sternchen! Soll ich dir das Lied von den Schneeflöckchen vorsingen? Mami hat es mir beigebracht. Ich kann es schon ganz richtig.«

»Na, dann sing nur«, sagte Teta, und ein gutes Lächeln legte sich über ihr Gesicht. Manuel und seine Mami – es musste einem ja das Herz aufgehen, wenn der Junge so voller Zärtlichkeit diesen Namen aussprach. Dass er sie vor wenigen Wochen noch Sandra genannt hatte, obgleich nicht weniger zärtlich, hatte Manuel bereits vergessen. Teta war auf ihre alten Tage, wie sie immer sagte, restlos glücklich geworden, dass Felix Münster eine solche Frau gefunden hatte, die nicht nur ihm alles gab, sondern auch diesem Jungen, für den nun doch noch eine unbeschwerte, glückliche Kindheit angebrochen war.

Nur ungern dachte die alte Teta an die letzten Jahre zurück. Seit Felix Münster dieses Haus bezogen hatte, schien endlich ein guter Stern über seinem schweren Leben zu stehen. Seine Frau war vor drei Jahren an einer tückischen Krankheit gestorben. Manuel war damals erst ein Jahr alt. Alle waren glücklich gewesen, dass Ellen Düren, Felix’ Schwägerin, ins Haus kam und Manuel versorgte. Aber Felix Münster merkte schnell, dass es ihr mehr auf eine Heirat und sein Geld ankam. Er zog sich von ihr zurück und ließ sie deutlich seine Abneigung spüren. Ellen wurde immer gereizter und ungerechter gegenüber Manuel. Besonders schlimm aber wurde es, als Felix Münster Sandra von Rieding, die Besitzerin von Erlenried, kennen- und liebenlernte. Teta stöhnte leise auf, als sie an all die hässlichen Anschläge von Ellen dachte, die die beiden mit Gewalt auseinanderbringen wollte. Nur gut, dass Felix so schnell Sandra geheiratet und Ellen davongejagt hatte. Es war eine Freude, nun diese glückliche Familie zu betrachten.

Dass Sandra heute mit ihrem Mann nach Stuttgart gefahren war, machte Manuel gar nicht mehr so viel aus. Manchmal musste die Mami den Papi ja auch für sich haben, das hatten ihm seine Freunde bereits klargemacht.

Seine Freunde – das waren die Auerbach-Kinder, Bambi und Hannes, und natürlich auch Henrike, wenn sie auch schon achtzehn Jahre alt war. Freilich auch Ulla Lamprecht, Henrikes Freundin, die drüben bei Marianne von Rieding wohnte, jetzt Manuels heißgeliebte Omi.

»Ich muss es Omi sagen, dass es schneit«, erklärte er eifrig. »Kann ich rasch mal rüberlaufen, Teta?«

»Das kannst du, aber sehen wird sie es ja selber«, meinte Teta.

»Wenn sie doch wieder über diesen dummen Rechnungen sitzen muss wegen der Steuer«, murmelte er. »Warum muss man Steuern bezahlen, Teta?«

»Das frag lieber die Omi, die weiß es besser«, erwiderte Teta. »Ich verstehe von dem ganzen Zeug nichts.«

»Aber vom Kochen und Backen, da verstehst du etwas«, schmeichelte er. »Darf ich Omi ein paar Plätzchen mitnehmen?«

Immer wollte er ihr etwas bringen. Mit leeren Händen ging er nie, sooft er auch zum Herrenhaus hinüberlief. Wenn er mal gar nichts hatte, malte er ihr rasch ein Bildchen. Unendlich dankbar war Manuel für all die Liebe, die er nun in so reichem Maße empfing, nachdem er fünf Jahre seines kleinen Lebens unter dem tyrannischen Regiment seiner Tante Ellen gestanden hatte, an die er sich nicht mehr erinnern wollte.

Teta packte ihm Gebäck ein. Bevor er ging, schaute er noch einmal zum Fenster hinaus.

»Die Felsenburg sieht richtig schön aus, wenn es schneit«, stellte er fest. »Wie im Märchen. Ob da auch mal ein Dornröschen gewohnt hat, Teta?«

»Mag schon sein.« Von Märchen verstand Teta nichts, besonders redselig war sie auch nicht, wenngleich es sich auch bei ihr in diesen Wochen gebessert hatte und sie lebhafter geworden war.

Omi dagegen konnte wunderschöne Märchen erzählen, und deshalb hielt sich Manuel jetzt nicht mehr länger in der Küche auf. Jauchzend streckte er die Hand aus und freute sich, als die weißen Flocken darauf fielen. In seinen Haaren blieben sie liegen und sogar auf seiner kleinen Nase, die gleich ganz kalt geworden war. Für Manuel war die Welt voller Wunder, seit Sandra seine Mami geworden war, aber ein solcher Tag, wo er zum ersten Mal Schnee genießen konnte, ohne durch eine strenge Stimme ermahnt zu werden, sich nur ja nicht zu erkälten, wie es Ellen immer getan hatte, war besonders schön.

Marianne von Rieding hob den Kopf, als er auf Zehenspitzen in ihr Arbeitszimmer getrippelt kam.

»Guten Morgen, mein Kleiner«, begrüßte sie ihn liebevoll. »Du bist aber schon früh unterwegs.«

»Es schneit, Omi«, freute er sich und umarmte sie stürmisch. »Mami ist doch mit Papi nach Stuttgart gefahren, und ich wollte schnell mal nach dir gucken. Ich hab dir auch Plätzchen mitgebracht.«

»Du brauchst mir nicht immer etwas zu bringen, Manuel. Ich freue mich auch so, wenn du kommst.« Sie streichelte ihm über das Haar. Seine Augen strahlten sie an.

»Auch wenn ich dich bei den Steuern störe?«, fragte er schüchtern. »Muss das denn sein? Kann das nicht jemand anders machen, der nicht so viel dabei stöhnen muss!«

Sie lachte leise. »Eine Beschäftigung muss ich ja auch haben, mein Schatz.«

»Du kannst dich aber mit mir beschäftigen«, erklärte er eifrig.

Sie hatte sich nicht allzu sehr in die junge Familie drängen wollen. Marianne von Rieding war eine vernünftige Frau, obgleich es eine große Umstellung für sie gewesen war, als ihre einzige Tochter den Industriellen Felix Münster heiratete und zugleich die Mutterstelle für Manuel übernahm. Sandra war glücklich, das machte sie froh. Von ihrem Mann wurde sie auf Händen getragen, von dem Kind innig geliebt. So hatte sie sich auch leichten Herzens in die ungewohnte Omi Rolle hineingefunden. Man musste ihr lassen, dass sie eine sehr attraktive Omi war. Das fand nicht nur Carlo Heimberg, der Architekt, der eben auf das Haus zukam, als sie zum Fenster hinausschaute.

»Onkel Carlo sieht aber nicht froh aus«, stellte Manuel fest. Auch mit ihm war er versöhnt, obgleich er anfangs nahezu allergisch gegen ihn gewesen war, weil er immer fürchtete, dass Carlo ihnen Sandra wegnehmen könnte. Es war eine unnütze Sorge gewesen, und nun wollte Manuel gutmachen, dass er früher immer so abweisend zu ihm gewesen war.

»Onkel Carlo freut sich nicht über den Schnee«, bemerkte Marianne von Rieding lächelnd. »Da geht es mit dem Bau nicht voran.«

Schnee konnte also auch Nachteile bringen. Manuel hatte wieder etwas gelernt. Carlo Heimberg erklärte es ihm dann noch ausführlich, warum man im Winter so schlecht bauen konnte.

»Ich dachte, wir bringen wenigstens die Dächer noch auf die ersten beiden Häuser«, brummte er. »Dann wäre es drinnen vorangegangen. Aber überall fehlt es eben an Arbeitskräften.«

Davon wusste Manuel noch nicht viel, aber er wusste immerhin, dass diese beiden ersten Häuser eigentlich schon im März bezogen werden sollten.

»Und was machen die Leute, wenn sie nicht einziehen können?«, fragte er.

»Das ist ja eben das Dilemma, Manuel«, seufzte Carlo Heimberg. »Beide Familien kommen von weit her.«

»Nun lass nicht gleich den Kopf hängen«, munterte ihn Marianne von Rieding auf. »Der erste Schnee bleibt nicht gleich liegen.«

»Dann freust du dich, Onkel Carlo, und ich bin traurig«, meinte Manuel. »Die Felsenburg sieht so schön aus, wenn alles weiß wird. Für Kinder ist eben vieles schöner, was für Erwachsene nicht schön ist. Ich möchte wissen, was Bambi sagt.«

»Das kannst du gleich hören. Da kommt sie ja«, lachte Carlo.

Pamela Auerbach, genannt Bambi, kam in ihrem dunkelblauen Anorak und langen Hosen den Weg herauf. Natürlich wurde sie von dem jungen Collie Jonny begleitet, der in den letzten Wochen schon recht gewachsen war. Er sprang übermütig um sie herum. Manuel lief ihnen entgegen, und sie begrüßten sich, als hätten sie sich Wochen nicht gesehen.

»Ist schön so, nicht wahr, Manuel?«, freute sich Bambi. »Wenn’s so weiterschneit, können wir bald Schlitten fahren, sagt Mami. Darfst du ein bisschen draußen bleiben?«

»Na klar«, meinte Manuel, »frische Luft ist gesund.« Die Zeiten, wo er vor jedem Lufthauch flüchten musste, weil Tante Ellen kein krankes Kind haben wollte, waren ein für alle Mal vorbei, und so gesund wie jetzt war Manuel noch nie gewesen.

»Musst aber auch ’nen Anorak anziehen«, stellte Bambi fürsorglich fest.

»Wie gut die beiden sich verstehen«, sagte drinnen Carlo Heimberg zu Marianne. »Der Junge lebt richtig auf. Ich hatte immer Sorge, dass er so eine richtige kleine Memme bleibt.«

»Erziehungssache«, stellte sie fest. »Er ist ein liebes Kerlchen. Ich kann es mir gar nicht mehr vorstellen, was ich ohne ihn machen würde.«

»Hoffentlich vergisst du darüber nicht, dass du noch viel zu jung bist, um dich ganz in großmütterlicher Fürsorge zu ergehen«, brummte er.

Es hatte sich ganz von selbst ergeben, dass sie sich auch zu dem Du gefunden hatten. Wenn er auf dem Bau weilte, was an den meisten Tagen der Fall war, obgleich es nicht immer nötig gewesen wäre, besuchte er sie. Er unterhielt sich gern mit der lebensklugen, natürlichen Frau, die für alles ein offenes Ohr hatte. Jetzt war sie leicht verlegen.

»Wie meinst du das nun wieder, Carlo?«, fragte sie.

»Nun, ich denke, dass du endlich einmal mit mir ausgehen solltest, Marianne«, erklärte er. »Ich habe für morgen Karten für die Oper bekommen. Die Butterfly, das wäre doch etwas für dich.«

»Seit wann haben wir in Hohenborn eine Oper?«, fragte sie.

»Ich rede nicht von Hohenborn, sondern von München, liebe Marianne.«

»München? Aber sonst bist du gesund? Wann soll ich denn heimkommen?«

»Gar nicht«, lächelte er. »Du sollst das Wochenende über dortbleiben.«

»Jetzt glaube ich es aber«, murmelte sie.

»Das sollst du auch. Meine Güte, tu doch nicht immer so, als wärest du uralt. Warum solltest du dir nicht mal wieder Großstadtluft um die Ohren wehen lassen. Am Samstag kannst du dann Weihnachtseinkäufe tätigen, und ich werde dich dabei begleiten. Meine Wohnung steht jetzt ohnehin die meiste Zeit leer.«

»Aber …« Nun war sie vollends aus dem Konzept gebracht, aber er lachte laut heraus.

»Komm mir ja nicht mit moralischen Bedenken, Marianne. In deinem Alter solltest du eigentlich über den Dingen stehen.«

»Und in deinem?«, fragte sie spöttisch. Er warf ihr einen schrägen Blick zu. »Ich habe einen wahnsinnigen Respekt vor dir«, erwiderte er dann mit einem versteckten Lächeln. »Nun überlege nicht lange.«

»Ich weiß ja nicht, ob Sandra und Felix etwas vorhaben«, wich sie aus.

»Sie haben nichts vor, ich habe mich bereits informiert. Außerdem wäre Ulla ja auch noch da, die auf Manuel achten könnte.«

»Weihnachtseinkäufe müsste ich wirklich machen.«

»Na, siehst du, woran der liebe Carlo alles denkt. Morgen Mittag hole ich dich ab.«

»Schon mittags?«, stöhnte sie.

»Damit du schön ausgeruht und frisch in die Oper kommst«, sagte er neckend.

*

Manuel und Bambi hatten sich die Kapuzen über die Köpfe gezogen. Das Schneetreiben war noch dichter geworden. Doch ihnen gefiel es, und sie stiegen zur Felsenburg empor.

»Ganz schön kalt ist es«, erklärte Manuel. »Nun kommt bald das Christkind.«

»Das geht schneller, als man denkt«, flüsterte Bambi. »Dann holen wir uns eine schöne Tanne aus dem Wald. Ob es den Bäumen wehtut, wenn man sie absägt?«

»Weiß ich nicht. Haben sie eine Seele?«, fragte Manuel. Er stellte manchmal so komische Fragen, aber Bambi hatte dafür Verständnis.

»Sie können ja auch wachsen, dann haben sie auch ein Seelchen«, war ihre Meinung.

»Dann darf man sie auch nicht absägen, weil sie dann weinen«, gab ihr Manuel recht.

»Und was kriegen wir dann für einen Weihnachtsbaum?«

»Das weiß ich dann auch nicht«, murmelte Manuel.

Bambi meinte, dass sie dieses Problem von ihren Eltern lösen lassen müsse. Marianne von Rieding hielt schon nach ihnen Ausschau und atmete auf, als die beiden aus dem Wald kamen.

»Ihr seid ja schon recht unternehmungslustig«, meinte sie. »Dass ihr euch bloß nicht mal verlauft.«

»Ach wo, wir kennen uns ja aus«, erwiderte Bambi.

»Und wir können ja die Felsenburg immer sehen«, warf Manuel ein. »Brauchst keine Angst zu haben, Omi.«

»Bambi muss jetzt aber nach Hause, sonst kommt sie zu spät zum Essen«, mahnte Frau Rieding.

»Ist Ulla denn schon da?«, fragte Bambi erschrocken.

»Nein, aber sie muss jeden Augenblick kommen.«

Sie begleiteten Bambi noch zum Tor und blickten ihr nach, als sie die Straße zum Sonnenwinkel hinunterlief. Jonny lief mit großen Sprüngen voran.

»Jetzt wird’s ein Schneewinkel«, meinte Manuel skeptisch. »Friert der Sternsee zu, Omi?«

»Wenn es lange kalt bleibt, sicher.«

Sinnend ließ er seinen Blick über die Landschaft schweifen. »Jetzt sieht alles ganz anders aus«, murmelte er, »aber schön ist es immer. – Ulla kommt noch gar nicht.«

Marianne von Rieding blickte auf ihre Armbanduhr. »Sie sind heute spät dran, aber das liegt wohl am Wetter. Da müssen sie vorsichtig fahren.«

*

In der Stadt Hohenborn war der Schnee gleich zu einem grauen, unansehnlichen Matsch geworden. Hannes Auerbach machte ein enttäuschtes Gesicht, als er aus der Schule stürmte.

»Mist«, brummte er, »richtiger Mist.«

Henrike machte auch kein begeistertes Gesicht. Sie musste ihre Windschutzscheibe putzen, bevor sie losfahren konnten. Ulla hatte das Rückfenster übernommen.

»Steh nicht herum. Hilf uns lieber«, sagte Henrike zu ihrem jüngeren Bruder. »Und sag nicht immer Mist.«

»Mist bleibt Mist«, knurrte Hannes.

»Hast wohl wieder eine schlechte Note geschrieben«, vermutete Ulla.

»Nö – morgen schreiben wir erst Englisch.« Er kletterte in den Wagen. »Du kannst deinem Fabian ruhig mal sagen, dass er die Schulaufgaben nicht so schwer machen soll, Ricky.«

»Erstens ist er nicht mein Fabian – noch nicht«, brummte Henrike, »und in diese Sache mische ich mich schon gar nicht ein.«

»Auch nicht, wenn du mit ihm verheiratet bist?«, fragte Hannes in beleidigtem Ton. »Wenn man schon mal ’nen Pauker als Schwager kriegt, könnte man eigentlich was dabei profitieren.«

»Du hast hübsch deinen Mund zu halten. Ich will nicht, dass du über Fabian und mich redest«, fauchte ihn Henrike an.

»Wir sind doch unter uns«, entrüstete er sich. »Wir wissen doch Bescheid. Ich hänge es schon nicht an die große Glocke. Was ist dir denn heute für eine Laus über die Leber gelaufen.«

Er merkte nun schon, dass Henrike nicht besonders gut gelaunt war. Den Grund dafür verriet sie ihm allerdings nicht. Aber Hannes brauchte nur auf die andere Straßenseite zu schauen, was er jetzt auch tat, denn dort stand Marion Limmert, der Stein des Anstoßes für Henrike.

»Jeden Tag lungert sie vor der Schule herum«, sagte sie erbost. »Fabian kann ihr ja gar nicht auskommen.«

»Och, er weiß schon, wie er es macht«, wurde sie von ihrem Bruder beruhigt. »Er geht hinten raus durch Grunerts Grundstück. Die ist wohl ganz mächtig hinter ihm her.«

Henrike seufzte in sich hinein. Und ob Marion Limmert hinter Fabian Rückert her war. Seit Wochen erregte es ihre Eifersucht. Es war wirklich nicht einfach, mit einem jungen, dazu blendend aussehenden Studienassessor heimlich verlobt zu sein, und um allem Gerede aus dem Weg zu gehen, sich mit ihm nicht zeigen zu dürfen. Wenn es nach Henrike gegangen wäre, hätte es keinen Winter, keinen Frühling und keinen Sommer mehr zu geben brauchen. Sie wartete nur auf den Tag, an dem sie ihr Abitur gemacht hatte und die Schule verlassen konnte, um dann mit ihrem geliebten Fabian vor den Traualtar zu treten. Aber bis dahin würde noch viel Wasser in den Sternsee fließen und jetzt erst mal das des tauenden Schnees.

»Eine reine Freude wird die Fahrerei im Winter auch nicht werden«, schimpfte sie vor sich hin. »Nanu, was ist denn bei uns heute los?«, fuhr sie dann schnell fort. Aber die Wagen, die dort im Sonnenwinkel parkten, gehörten nicht zu ihnen.

»Bei den Dehmels zieht wer ein!«, rief Hannes aus, und seine Augen begannen neugierig zu funkeln. »Da hat sich noch nie einer blicken lassen. Lass mich aussteigen, Ricky.«

»Das könnte dir so passen. Damit die Leute gleich denken, was sie für eine neugierige Nachbarschaft haben. Nein, du verschwindest sofort, Hannes. Ich fahre Ulla noch zum Hügel.«

»Tu doch nicht gar so erwachsen«, murrte Hannes, tat so, als würde er ins Haus gehen, schlich sich dann aber doch noch mal hinaus. Er kam jedoch nicht weit.

»Hinein mit dir«, schallte die Stimme seiner Mutter durch das Fenster.