Im Todesnebel - Clive Cussler - E-Book

Im Todesnebel E-Book

Clive Cussler

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Auf einer Testfahrt verschwindet die Starbuck, das neueste und modernste U-Boot der Welt, spurlos irgendwo im Pazifik. Und das ist keineswegs ein Einzelfall: Bereits 37 Schiffe sind im Laufe der letzten 30 Jahre in einem kreisrunden Seegebiet nördlich des Hawaii-Archipels in einem Todesnebel verschollen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 403

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Clive Cussler

Im Todesnebel

Roman

Übersetzt von Hans Ewald Dede

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Pacific

Vortex« bei Bantam Books, New York.

1. Auflage

E-Book-Ausgabe 2015 bei Blanvalet, einem Unternehmen der

Verlagsgruppe Random House GmbH, München.

Copyright © der Originalausgabe 1983 by

Clive Cussler Enterprises, Inc.

All rights reserved throughout the world.

By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc.

551 Fifth Avenue, Suite 1613 New York, NY 10176 - 0187 USA

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1984 by Blanvalet

Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter

Verwendung von Motiven von Shutterstock.com

HK · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-15204-8

www.blanvalet.de

Prolog

Jeder Ozean fordert seinen Tribut an Schiffen und Mannschaften, doch kein Meer verschlingt sie mit solch unersättlicher Gier wie der Pazifik. Die Meuterei auf der Bounty ereignete sich auf dem Pazifik; die Meuterer verbrannten das Schiff später vor der Insel Pitcairn. Die Essex, das einzige Schiff, von dem man sicher weiß, dass es von einem Wal versenkt wurde (Melville fand hier das Thema zu seinem Roman Moby Dick), liegt begraben unter den Wogen des Pazifiks. Ebenso die Hai Maru, die in tausend Stücke zerrissen wurde, als unter ihr in der Tiefe der See ein Vulkan explodierte.

Trotz alledem ist das größte Meer der Welt im Grunde ein ruhiges Gewässer. Selbst sein Name heißt es friedlich und von sanftem Temperament.

Vielleicht deshalb verschwendete Commander Felix Dupree auch nicht den leisesten Gedanken an die Möglichkeit einer Katastrophe, als er auf die Brücke des Atom-U-Bootes Starbuck stieg. Es war kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Dupree nickte dem wachhabenden Offizier zu und beugte sich dann über die Reling. Sein Blick ging nach vorn zum Bug des Schiffes, der mit fast schon gemächlicher Mühelosigkeit die Meeresdünung durchbrach.

Seeleute betrachten gewöhnlich das Meer mit Respekt: Sogar Ehrfurcht befällt sie angesichts seiner Ruhe. Aber Dupree war nicht wie die anderen; er hatte sich nie von dem Zauber überwältigen lassen. Zwanzig Jahre fuhr er jetzt zur See, vierzehn davon hatte er auf Unterseebooten zugebracht – und immer noch quälte ihn der Hunger nach Anerkennung. Dabei war Dupree Captain des modernsten und revolutionärsten U-Bootes der Welt; doch das reichte ihm nicht. Er wollte mehr.

Die Starbuck war in San Francisco auf Kiel gelegt worden, aber kein Unterseeboot vor ihr war gebaut worden wie sie. Jedes Bauteil, jedes technische System in ihrem Druckkörper war von Computern entworfen worden. Sie war das erste einer neuen Generation von Unterwasserschiffen, die wie riesige, unter die Wogen verlegte Städte in sechshundert Meter Tiefe und mit einer Geschwindigkeit von einhundertfünfundzwanzig Knoten ihrem Kurs folgen konnte. In gewisser Hinsicht glich die Starbuck einem Vollblutfohlen, das auf seiner ersten Leistungsschau ungeduldig an seinem Zügel reißt, bereit zu zeigen, was es kann.

Doch es gab für die Starbuck kein Publikum. Das Amt für Unterwasserkriegführung hatte angeordnet, dass die Versuche unter strengster Geheimhaltung in einem abgelegenen Seegebiet des Pazifiks stattfinden sollten. Nicht ein einziges Begleitschiff war mit dem Unterseeboot ausgelaufen.

Dass Dupree das Kommando für diese Jungfernfahrt der Starbuck übertragen worden war, verdankte er seinem außergewöhnlichen Ruf. Das »Computerhirn« hatten ihn seine Klassenkameraden in Annapolis genannt: Füttere ihm ein Bündel Fakten ein, und er wird dir in kürzester Zeit die einzig logische Antwort geben. Duprees Kenntnisse und Fähigkeiten waren bei der ganzen U-Boot-Flotte bekannt, aber wer in der Navy die Karriereleiter hinaufwollte, brauchte neben fachlichem Können auch Persönlichkeit, Einfluss und ein Geschick für wirksame Auftritte in der Öffentlichkeit. Da Dupree keines dieser drei Merkmale auszeichnete, war er bei den letzten Beförderungen einfach vergessen worden.

Ein Summton zerriss die Stille. Der wachhabende Offizier, ein großer schwarzhaariger Lieutenant, nahm das Brückentelefon ab. Unsichtbar für den Anrufer am anderen Ende nickte er zweimal und legte dann wieder auf.

»Der Kontrollraum«, sagte er knapp zu Dupree. »Nach der Anzeige des Echolots ist der Meeresgrund während der letzten zehn Kilometer um vierhundertfünfzig Meter angestiegen.«

In Gedanken versunken, wandte sich Dupree langsam um. »Wahrscheinlich ein kleines Unterwassergebirge. Aber wir haben immer noch zwei Kilometer Wasser unter unserem Kiel.« Ein Lächeln zog auf sein Gesicht. »Auf Grund werden wir also nicht gleich laufen.«

Der Lieutenant lächelte zurück. »Es geht doch nichts über ein paar Handbreit Sicherheit.«

Dupree wandte sich wieder dem Wasser zu. Er hob ein Fernglas, das an einem Riemen um seinen Hals hing, an die Augen und beobachtete aufmerksam den Horizont. Während Tausender einsamer Stunden auf See, in denen er die Ozeane der Welt nach anderen Schiffen abgesucht hatte, war ihm diese Geste zur Gewohnheit geworden. Nichtsdestoweniger war sie vollkommen nutzlos. Das ausgeklügelte Radarsystem der Starbuck hätte jedes Objekt auf dem Meer lange entdeckt gehabt, bevor es mit bloßem Auge zu sehen gewesen wäre. Dupree wusste das natürlich, doch schien es ihm, als könne das stumme Beobachten des Meeres einem Mann die Seele reinigen.

Schließlich seufzte er und ließ das Fernglas sinken. »Ich gehe jetzt hinunter zum Abendessen. Sichern Sie nachher die Brücke, damit wir Punkt einundzwanzig Uhr mit dem Tauchmanöver beginnen können.«

Dupree stieg die drei Ebenen des Kommandoturms hinunter und ließ sich in den Kontrollraum fallen. Der Erste Offizier und ein zweiter Mann, der Navigationsoffizier, hatten sich tief über den Kartentisch gebeugt und studierten eine Reihe von Tiefenangaben. Als der Erste Offizier den Captain kommen hörte, sah er zu ihm auf.

»Wir haben hier ein paar merkwürdige Daten, Sir.«

»Nichts kann einen Tag schöner beenden als etwas Geheimnisvolles«, antwortete Dupree gut gelaunt.

Er schob sich zwischen die beiden Männer und sah hinunter auf die Karte, die von einer Lampe unter der Milchglasplatte des Tisches angestrahlt wurde. Eine Reihe von kurzen schwarzen Linien, an die mit hastiger Schrift Zahlen und mathematische Formeln geschrieben waren, überzog das Kartenblatt.

»Was gibt es denn?«, fragte Dupree.

»Der Meeresboden steigt noch immer mit erstaunlicher Geschwindigkeit an«, begann der Navigationsoffizier langsam. »Wenn das die nächsten fünfzig Kilometer so weitergeht, dann werden wir mit unserem Bug gegen eine Insel oder eine Inselkette stoßen, die es laut unserer Karte gar nicht geben dürfte.«

»Wie ist unsere Position?«

»Wir befinden uns hier, Sir«, antwortete der Navigationsoffizier und zeigte mit seinem Stift auf einen Punkt auf der Karte. »Eintausendvierhundert Kilometer von Kahuku Point auf Oahu entfernt.«

Dupree trat an den Gerätetisch und schaltete ein Mikrophon ein. »Radarraum, hier spricht der Captain. Gibt es bei Ihnen irgendetwas?«

»Nichts, Sir«, war eine monotone Stimme aus dem Lautsprecher zu hören. »Der Schirm ist frei … Warten Sie … Ich muss mich korrigieren, Sir. Ich sehe ein schwaches Zeichen in sechsundvierzig Kilometer Entfernung am Horizont, Sir.«

»Ein Schiff?«

»Nein, Sir. Es scheint mir eher eine Wolke zu sein; oder vielleicht auch eine Rauchfahne. Ich kann es noch nicht sicher erkennen.«

»In Ordnung. Melden Sie sich, wenn Sie wissen, was es ist.« Dupree schaltete das Mikrophon aus und sah die beiden Männer am Kartentisch an. »Nun, meine Herren, was halten Sie davon?«

Der Erste Offizier wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Wo Rauch ist, muss auch ein Feuer sein. Und wo Feuer ist, muss etwas brennen. Vielleicht eine Ölspur?«

»Eine Ölspur, wovon?«, fragte Dupree ungeduldig. »Wir sind fernab der nördlichen Schifffahrtswege. Die Handelsroute von San Francisco nach Honolulu und weiter nach Asien verläuft achthundert Kilometer weiter südlich. Wir befinden uns an einem der einsamsten Punkte des Pazifiks; gerade deshalb hat die Navy dieses Seegebiet für die ersten Tests mit der Starbuck ausgewählt. Hier gibt es mit Sicherheit keine neugierigen Zuschauer.« Er schüttelte den Kopf. »Eine brennende Ölspur kann es nicht sein. Da vermute ich schon eher, dass sich auf dem Meeresboden ein neuer Vulkan gebildet hat und ausgebrochen ist. Aber auch das ist eben nur eine Vermutung.«

Der Navigationsoffizier trug die Position, die von dem Radarbeobachter genannt worden war, auf der Karte ein und zeichnete einen Kreis um den Punkt. »Eine tiefe Wolke über der Wasseroberfläche.« Es schien, als dächte er laut nach. »Das ist mehr als ungewöhnlich. Die atmosphärischen Bedingungen für eine solche Erscheinung sind in diesem Seegebiet nicht gegeben.«

Aus dem Lautsprecher war ein Klicken zu hören. »Captain, hier ist der Radarraum.«

»Ich höre Sie«, antwortete Dupree.

»Ich habe das Radarbild identifiziert, Sir.« Die Stimme zögerte, bevor sie weitersprach. »Alles deutet darauf hin, dass es eine dichte Nebelbank ist, mit einem Durchmesser von annähernd sechs Kilometern.«

»Sind Sie sicher?«

»Darauf wette ich meine Ärmelstreifen.«

Dupree drückte einen Schalter an seinem Mikrophon und rief die Brücke an. »Hören Sie, Lieutenant, die Radarkontrolle glaubt, in ungefährer Richtung unseres Kurses etwas ausgemacht zu haben. Melden Sie sich, sobald Sie irgendetwas sehen.« Er unterbrach die Verbindung und wandte sich an den Ersten Offizier. »Wie tief liegt der Meeresboden jetzt?«

»Achthundertvierzig Meter, aber er steigt noch immer an.«

Der Navigationsoffizier zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich den Nacken ab. »Das ist kaum zu glauben. Bisher habe ich nur von einer Erhebung gehört, die dieser hier nahekommt; es ist die im Peru-Chile-Graben. Sie beginnt siebentausendfünfhundert Meter unter dem Meeresspiegel und steigt mit jedem Kilometer in horizontaler Richtung auch einen Kilometer. Bis heute galt das auf der ganzen Welt als die größte Hangneigung unter Wasser.«

»Dann wird unsere kleine Entdeckung die Meeresgeologen wohl ein bisschen aus dem Häuschen bringen«, brummte der Erste Offizier.

»Fünfhundertfünfundfünfzig Meter«, ertönte monoton die Stimme des Echolotbeobachters.

»Herr im Himmel!« Der Navigationsoffizier schnappte nach Luft. »Das bedeutet einen Anstieg von dreihundert Metern in weniger als einem Kilometer. Das ist doch unmöglich.«

Dupree ging hinüber zur Backbordseite des Kontrollraums und beugte sich tief hinunter, bis seine Augen nur noch wenige Zentimeter von dem Glas entfernt waren, das das Echolot umschloss. Entsprechend den digital angezeigten Zahlenwerten wurde das Profil des Meeresbodens als eine lange schwarze Zickzacklinie aufgezeichnet, die steil zu der roten Gefahrenmarkierung am oberen Ende der Skala emporkletterte. Dupree ließ eine Hand auf die Schulter des Mannes sinken, der vor dem Echolot saß.

»Ist es möglich, dass bei der Eichung des Gerätes ein Fehler gemacht worden ist?«

Der Mann legte einen Schalter um und sah auf ein zweites Sichtfenster. »Nein, Sir. Das unabhängige Reservesystem zeigt dieselben Zahlenwerte an.«

Einige Sekunden lang beobachtete Dupree die aufsteigende Linie, dann kehrte er zurück an den Kartentisch und sah auf die eingetragenen Zahlen, die die Position des Schiffes im Verhältnis zu dem ansteigenden Meeresgrund zeigten.

»Hier spricht die Brücke«, meldete sich eine roboterhafte Stimme. »Ich habe das fragliche Objekt entdeckt.« Der Lieutenant schien zu zögern. »Wenn ich nicht wüsste, dass das unmöglich ist, würde ich behaupten, dass vor uns die verkleinerte Ausgabe einer Nebelbank liegt, wie ich sie aus dem guten alten New England kenne.«

Dupree schaltete kurz das Mikrophon ein. »Verstanden.« Er starrte weiter auf die beleuchtete Seekarte, seine Miene ließ keine Regung erkennen, die Augen waren nachdenklich.

»Sollen wir Pearl Harbor benachrichtigen?«, fragte der Navigationsoffizier. »Die Leitstelle könnte uns einen Aufklärer schicken, der sich die Sache einmal ansieht.«

Dupree antwortete nicht sofort. Die Finger seiner einen Hand trommelten in trägem Rhythmus auf die Ecke des Kartentisches, die andere Hand ließ er ruhig herunterhängen. Nur äußerst selten ließ sich Dupree zu einer schnellen Entscheidung hinreißen. Vielmehr entsprach es seinem Verhalten, jeden Schritt genau abzuwägen.

Viele Besatzungsmitglieder der Starbuck hatten auf anderen Schiffen bereits früher einmal unter Duprees Kommando gestanden. Und wenn sie ihm auch nicht gerade blind ergeben waren, so schätzten und bewunderten sie doch seine Fähigkeiten und sein Urteilsvermögen. Sie vertrauten ihm als einem Mann, dem niemals ein entscheidender Fehler unterlaufen und der ebenso wenig jemals ihr Leben aufs Spiel setzen würde. Und wahrscheinlich hatten sie mit dieser Meinung bisher auch immer recht gehabt, doch diesmal irrten sie sich auf schicksalhafte Weise.

»Wir wollen selbst nachsehen, was es mit der Nebelbank auf sich hat«, sagte Dupree in ruhigem Ton.

Der Erste Offizier und der Navigationsoffizier sahen sich fragend an. Ihr Einsatzbefehl lautete, die Starbuck durchzuprüfen – und nicht, geheimnisvollen Nebelbänken nachzujagen, die sich am Horizont zeigten.

Niemand erfuhr jemals, warum Commander Dupree in diesem Moment derart wider seinen Charakter handelte und gegen seine Befehle verstieß. Vielleicht war der Reiz des Unbekannten zu stark. Vielleicht aber sah sich Dupree auch schon als gefeierter Entdecker, dem endlich das Ansehen zuteil wurde, das ihm so lange versagt geblieben war. Was immer der Grund gewesen sein mochte, er ging verloren, als die Starbuck wie ein von der Leine gelassener Bluthund, der einer frischen Witterung folgt, Kurs auf die Nebelbank nahm.

Am Montag der folgenden Woche wurde die Starbuck in Pearl Harbor zurückerwartet. Als sie nicht in ihrem Heimathafen erschien und eine ausgedehnte Suchaktion zu Lande und zu Wasser keinen Erfolg hatte, blieb der Navy keine andere Wahl, als einzugestehen, dass sie ihr neuestes U-Boot samt seiner Besatzung von einhundertsechzig Mann verloren hatte. Einer erstaunten Nation wurde offiziell mitgeteilt, dass die Starbuck in der unendlichen Weite des nördlichen Pazifiks verschollen war.

Als hätte ein düsteres Geheimnis seine Schleier über sie gebreitet, war sie spurlos mit der gesamten Mannschaft verschwunden. Zeit, Ort und Ursache des Unglücks blieben unbekannt.

1

Trotz der überfüllten Strände, die fast schon zu einem Wahrzeichen der Inseln, die zum Hawaii-Archipel gehören, geworden sind, ist es immer noch möglich, da und dort einen Flecken Sand zu entdecken, der ruhig und einsam liegt. Kaena Point, die nördliche Landspitze der Insel Oahu, die wie die linke Führhand eines Boxers in den Kanal von Kauai hinausreicht, ist einer dieser wenigen Punkte, die noch abseits der Touristenpfade liegen und an denen ein leerer Strand zur Erholung einlädt. Es ist ein wunderschöner Platz, aber die Schönheit ist trügerisch. Oft wird die Küste von gefährlichen Uferströmungen heimgesucht, die jedem Schwimmer, der nicht allergrößte Umsicht walten lässt, zur lebensbedrohenden Gefahr werden können. Und jedes Jahr, als entrolle sich eine todesmächtige Fügung, lässt sich ein Sonnenhungriger, dessen Name zumeist unbekannt bleibt, von dem einsamen Sandstrand und den sanften Wellen verführen: Er geht ins Meer und wird von der Strömung innerhalb von Minuten in die offene See hinausgetragen.

An diesem Strand lag, ausgestreckt auf einer Bastmatte, ein dunkel sonnengebräunter Mann, der eine knappe weiße Badehose trug. Der Mann war ungefähr einen Meter neunzig groß, auf seiner breiten behaarten Brust, die sich bei jedem Atemzug leicht hob, bildeten sich immer wieder Schweißperlen, die dann in Schlangenlinien an den Seiten des Brustkorbs hinunterliefen und sich mit dem Sand vermischten. Sein Arm, den der Mann sich über die Augen gelegt hatte, um sie vor der starken Strahlung der tropischen Sonne zu schützen, war muskulös, aber ohne jene übertrieben starke Muskelbildung, wie man sie gewöhnlich bei Bodybuildern antrifft. Der Mann hatte dichtes schwarzes Haar, das ungekämmt und etwas verwildert wirkte. Es fiel ihm halb in die Stirn, unter der ein scharf geschnittenes, aber freundliches Gesicht zu erkennen war.

Dirk Pitt erwachte aus einem Halbschlaf und stützte sich auf seinen Ellbogen hoch. Seine tiefgrünen Augen sahen unverwandt auf das Meer hinaus. Pitt gehörte nicht zu den gewöhnlichen sonnenhungrigen Strandbesuchern. Für ihn war der Strand etwas Lebendiges, etwas, das Form und Wesen unter dem dauernden Ansturm von Wind und Wellen ständig veränderte. Pitt beobachtete die Dünung, wie sie hereinrollte von ihrer Tausende von Kilometern entfernten sturmgepeitschten Geburtsstätte auf der offenen See. Die Wellen wuchsen an und steigerten ihre Geschwindigkeit, wenn ihre Täler den flacher werdenden Meeresboden erahnten. Sie verwandelten sich in Brecher, die höher und höher stiegen – von Kamm zu Tal schätzte Pitt sie auf mindestens zweieinhalb Meter –, bevor sie sich überschlugen und zu einer donnernden Masse aus Schaum und Gischt wurden. Dann erstarben sie allmählich in kleinen Wirbeln und Strudeln.

Plötzlich glaubte Pitt, weit draußen hinter den Brechern, ungefähr dreißig Meter vom Strand entfernt, einen Farbfleck gesehen zu haben. Im nächsten Augenblick war er wieder hinter einem Wellenkamm verschwunden. Angestrengt hielt Pitt den Blick auf den Punkt gerichtet, an dem der Farbfleck zuletzt zu sehen gewesen war. Nachdem die nächste Welle hochgestiegen war und sich überschlagen hatte, konnte er die Farbe wieder in der Sonne glitzern sehen. Wovon sie herrührte, war auf die Entfernung nicht zu erkennen, doch das grell leuchtende Gelb war nicht zu übersehen.

Am bequemsten wäre es, folgerte Pitt, wenn er einfach liegenbleiben und sich das unbekannte Etwas von der Dünung zutragen lassen würde. Doch er schob alle vordergründige Vernunft beiseite, stand auf und ging langsam ins Wasser. Nach wenigen Schritten riss er die Arme hoch und tauchte so geschickt unter einem heranrollenden Brecher weg, dass er die sich überschlagende Brandung nur noch an seinen Füßen spürte. Das Wasser war warm wie eine lau gefüllte Hotelbadewanne. Als sein Kopf die Wasseroberfläche wieder durchbrochen hatte, begann er, mit ruhigen Zügen durch den wirbelnden Schaum zu schwimmen und ließ sich von der Strömung in das tiefere Wasser tragen.

Nach einigen Minuten hielt er inne und versuchte, sich auf der Stelle zu halten. Seine Augen suchten dabei das Wasser nach dem gelben Farbfleck ab. Er entdeckte ihn ungefähr zwanzig Meter rechts von sich. Während er den Abstand verringerte, bemühte er sich, das sonderbare Treibgut nicht aus dem Blick zu verlieren. Pitt spürte, dass ihn die Strömung viel zu weit nach rechts trug. Er richtete sich neu aus und schwamm mit schnelleren Schwimmzügen weiter, um die Gefahr einer frühzeitigen Erschöpfung seiner Kräfte so gering wie möglich zu halten.

Dann streckte er seinen Arm aus, und seine Finger berührten einen glitschigen, zylindrisch geformten Gegenstand, der vielleicht sechzig Zentimeter lang war und einen Durchmesser von zwanzig Zentimetern hatte. Das sonderbare Treibgut wog weniger als drei Kilogramm. Es war eingehüllt in eine gelbe Schutzfolie aus Plastik, auf die an beiden Enden des Zylinders in großen Blockbuchstaben U.S. NAVY geschrieben stand. Pitt schloss seinen Fund fest in beide Arme und ließ sich einen Moment lang treiben, um sich einen Überblick über seine nicht wenig gefährliche Position hinter der Brandung zu verschaffen.

Seine Augen suchten den Strand ab, ob vielleicht jemand gesehen hatte, wie er hinausgeschwommen war. Aber so weit sein Blick reichte, war der Uferstreifen in beiden Richtungen menschenleer. Pitt machte sich gar nicht erst die Mühe, auch noch auf dem felsigen Steilhang hinter dem Strand nach einem möglichen Helfer Ausschau zu halten. Mitten in der Woche kletterte bestimmt niemand in den Felsen herum.

Pitt fragte sich plötzlich verwundert, wie er je hatte so dumm sein können, dieses leichtsinnige Risiko auf sich zu nehmen. Der grell leuchtende Farbfleck hatte ihn dazu verführt, das Wagnis einzugehen; und nachdem einmal der erste Schritt getan war, hatte er nie wieder daran gedacht umzukehren. Jetzt hatte ihn die gnadenlose See fest in ihrer Gewalt.

Für einen Augenblick überlegte er, einfach in gerader Linie zum Strand zurückzuschwimmen. Doch diesen Gedanken hatte er wirklich nur einen kurzen Augenblick lang. Mark Spitz hätte es vielleicht geschafft, aber Pitt musste nur an seine tägliche Packung Zigaretten und die Scotch Whiskeys denken, mit denen er sich seine Abende verkürzte, um sicher zu sein, dass er jene olympischen Goldmedaillen nicht gewonnen hätte. Also beschloss er, die raue Mutter Natur mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

Wenn Pitt sich in etwas auskannte, dann in den gefährlichen Strömungsverhältnissen, die in Strandnähe auftreten können; nicht umsonst betrieb er seit Jahren Bodysurfing. Ein Mann kann an einer Stelle des Strandes schon im Flachwasser von einem Sog erfasst werden, der ihn unrettbar hinausträgt in die See, während nur hundert Meter von der Unglücksstelle entfernt Kinder in den Wellen herumtollen, ohne auch nur im Geringsten gefährdet zu sein. Solch ein unbezähmbarer Sog entsteht, wenn das Wasser auf seinem Weg zurück vom Strand in offenere Gewässer durch tiefe Riefen in den Sandbänken vor der Küste abfließen muss, die meistens während eines Sturmes herausgewaschen wurden. Durch den Druck des zurückschießenden Wassers ändert die hereinkommende Brandung an diesen Stellen plötzlich ihre Richtung und strömt nun auch mit unüberwindlicher Kraft vom Land fort. An dem Punkt, wo Pitt das sonderbare Treibgut aufgefischt hatte, war die Strömung fast schon ohne Kraft. Er brauchte also nur parallel zum Strand weiterzuschwimmen, bis er aus dem Gebiet der Sandbänke heraus war, dann konnte er ohne Gefahr zum Ufer zurückkehren.

Das Einzige, was ihm dabei Sorgen machte, waren die Haie. Nicht immer geben diese Mördermaschinen ihre Gegenwart dadurch zu erkennen, dass ihre Rückenflosse die Wasseroberfläche wie ein Krummsäbel zerschneidet. Genauso gut konnten sie ohne Warnung aus der Tiefe angreifen, und dann hatte Pitt ohne eine Tauchmaske keine Chance, rechtzeitig zu erkennen, aus welcher Richtung die wütende Attacke kam. Er konnte nur hoffen, dass er die rettende Brandung erreichte, bevor ihn einer dieser Menschenjäger auf seinen Speiseplan setzte. Worauf er sein Glück baute, war, dass Haie sich nur selten in die Nähe eines Strandes wagen, da Wasserstrudel und Wellen ihnen den aufgewirbelten Sand in die Kiemen drücken. Und um diese Gefahr zu vermeiden, verzichtet auch noch der hungrigste Mörderhai auf seine Lieblingsspeise.

An Schonung seiner Kräfte war nun nicht mehr zu denken, und Pitt kämpfte sich durch die See, als ob sämtliche Haie des Pazifischen Ozeans Jagd auf ihn machten. Fast fünfzehn Minuten musste er mit höchster Anstrengung schwimmen, bis ihn die erste Woge näher an den Strand trug. Die nächsten neun hereinrollenden Brecher blieben ohne Wirkung, aber der zehnte erfasste den Zylinder, den Pitt immer noch fest in den Armen hielt, und trug beide bis auf vier Meter an den Ufersaum heran. Als er wieder Grund unter seinen Füßen spürte, richtete Pitt sich schwankend wie ein schiffbrüchiger Seemann auf und taumelte aus dem Wasser; seinen Fund hatte er nicht einen Moment losgelassen. Dann ließ er sich erschöpft und zugleich froh über den glücklichen Ausgang seines riskanten Unternehmens auf den sonnendurchwärmten Sand niedersinken.

Noch immer müde, wandte er seine Aufmerksamkeit nach einiger Zeit dem Zylinder zu. Unter der gelben Plastikhülle war eine ungewöhnliche Kapsel aus Aluminium verborgen. Sie war merkwürdig geriffelt und hatte an einem Ende einen Schraubverschluss. Pitt begann, den Verschluss zu öffnen, und war erstaunt, wie viele Umdrehungen nötig waren, bis die Kappe endgültig in seine Hand fiel. Die Kapsel enthielt eine fest zusammengedrehte Rolle beschriebener Blätter, sonst nichts. Vorsichtig zog er die Papiere ans Tageslicht und begann, das fein säuberlich in engen Spalten geschriebene Manuskript zu lesen.

Schon nach den ersten Zeilen lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken, und seine Körperhaare richteten sich trotz der Sonnenhitze frierend auf. Mehr als einmal drängte es ihn, die Blätter aus der Hand zu legen, aber er war wie gelähmt von der Ungeheuerlichkeit dessen, was er las.

Geistesabwesend starrte Pitt, nachdem er auch die letzte Seite umgeblättert hatte, für volle zehn Minuten auf das Meer hinaus. Das Manuskript endete mit einem Namen: ADMIRALLEIGHHUNTER. Nachdenklich schob Pitt die Papiere zurück in die Kapsel und schraubte den Verschluss zu. Dann steckte er seinen Fund wieder in die gelbe Plastikhülle.

Eine unheimliche Stille hatte sich wie eine Decke über Kaena Point gelegt. Sogar das Rollen der Brandung schien dumpfer geworden zu sein. Pitt stand auf und rieb sich den Sand vom Körper. Dann nahm er den Aluminiumzylinder unter den Arm und begann, den Strand hinunterzulaufen. Dort, wo er vor kurzem noch in der Sonne gedöst hatte, blieb er einen Moment stehen und rollte seine Bastmatte auf. Anschließend eilte er den schmalen Pfad hinauf, der zur Küstenstraße führte.

Der strahlend rote Ford Cobra stand verlassen neben dem schwarzen Teerband. Pitt verlor jetzt keine Zeit mehr. Er warf seinen Fund auf den Beifahrersitz, und während er noch hinter das Steuer glitt, schob seine Hand schon den Zündschlüssel ins Schloss.

Pitt lenkte den Wagen auf den Highway 99, der ihn erst durch Waialua führte und dann an dem malerischen, für gewöhnlich trocken daliegenden Flussbett des Kaukomahua entlanglief. Als das Schofield-Militärgelände bereits in seinem Rückspiegel zu sehen war, nahm Pitt unterhalb von Wahiawa die nächste Abzweigung und fuhr mit Höchstgeschwindigkeit weiter in Richtung Pearl City. Nicht eine Sekunde dachte er daran, dass jede Polizeistreife, die zufällig seinen Weg kreuzte, seine rasante Fahrt sofort stoppen würde.

Zu seiner Linken zog sich das Koolau-Bergmassiv hin, dessen Spitzen in dunklen, tiefhängenden Regenwolken verschwunden waren. Vor der Felskette lagen in strahlendem Grün gepflegte Ananasplantagen, die einen lebendigen Gegensatz zu der roten vulkanischen Erde bildeten. Pitt geriet in einen Regenschauer und schaltete automatisch die Scheibenwischer ein.

Schließlich sah er das Haupttor zum Militärgelände von Pearl Harbor vor sich liegen, und langsam ließ er den Wagen ausrollen. Ein Soldat trat aus der Wachstube. Pitt entnahm seiner Brieftasche Führerschein und Ausweispapiere und trug sich in das Besucherbuch ein. Der junge Marinesoldat deutete einen Gruß an und winkte Pitt durch.

Doch Pitt hielt noch einmal kurz neben dem Wachhabenden und fragte ihn nach der Richtung zu Admiral Hunters Hauptquartier. Der Soldat zog Block und Bleistift aus seiner Brusttasche, zeichnete eine grobe Lageskizze und reichte sie Pitt. Dann verabschiedete er sich mit einem zweiten Gruß.

Pitt fuhr weiter bis zu einem unauffälligen Betonbau in der Nähe der Docks. Wahrscheinlich wäre er an dem Gebäude vorbeigefahren, hätte er nicht ein kleines Schild gelesen: HAUPTQUARTIER, 101. BERGUNGSFLOTTE. Pitt schaltete den Motor aus, griff sein Fundstück vom Beifahrersitz und stieg aus dem Wagen. Als er durch den Eingang trat, verwünschte sich Pitt dafür, dass er nicht umsichtig genug gewesen war, ein T-Shirt und eine Hose mit an den Strand zu nehmen. Er trat an einen Schreibtisch, hinter dem ein Soldat in der weißen Sommeruniform der Navy mechanisch auf die Tastatur einer Schreibmaschine einhämmerte. Auf einem kleinen Schild auf dem Schreibtisch stand: SEAMAN G. YAGER.

»Entschuldigen Sie«, murmelte Pitt in etwas schüchtern klingendem Ton. »Ich würde gern Admiral Hunter sprechen.«

Der Soldat sah beiläufig von der Schreibmaschine auf, dann sprangen ihm fast die Augen aus den Höhlen.

»Mein Gott, Kerl, sind Sie noch ganz bei Trost? Was wollen Sie hier mit nichts an als einer Badehose? Wenn der Alte Sie so erwischt, ist das Ihr Ende. Verschwinden Sie hier schnellstens, oder Sie landen noch im Gefängnis.«

»Ich weiß selbst, dass ich nicht gerade für einen Nachmittagsempfang gekleidet bin«, erwiderte Pitt ruhig und freundlich. »Trotzdem muss ich den Admiral dringend sprechen.«

Der Soldat erhob sich von seinem Stuhl, sein Gesicht war rot geworden vor Zorn. »Jetzt machen Sie aber Schluss mit Ihren Albereien«, sagte er laut. »Entweder gehen Sie jetzt in Ihr Quartier und schlafen Ihren Rausch aus, oder ich rufe die Militärpolizei.«

»Dann rufen Sie sie!« Pitts Stimme hatte plötzlich einen scharfen Ton.

»Hören Sie zu, Mann.« Der Soldat konnte seine Verwirrung kaum noch verbergen. »Tun Sie sich doch selbst einen Gefallen: Gehen Sie zurück auf Ihr Schiff, und beantragen Sie Ihr Gespräch mit dem General auf dem normalen Dienstweg.«

»Das wird nicht nötig sein, Yager.« Die Stimme in ihrem Rücken verriet das Feingefühl eines Bulldozers, dessen Schaufel über einen Zementgrund schabt.

Pitt wandte sich um und sah in das faltenzerfurchte Gesicht eines großen Mannes, der im Rahmen einer Bürotür stand. Der Mann war vom Kragen bis hinunter zu den Schuhen in Weiß gekleidet. Nur die Ärmelenden seiner Uniformjacke waren mit goldenen Streifen versehen, und golden waren auch die Rangabzeichen auf seinen Schultern. Das Haar des Mannes war buschig und weiß, das müde, ausgehöhlte Gesicht darunter hatte fast schon dieselbe Farbe. Nur in den Augen schien noch Leben zu sein. Sie starrten neugierig auf den gelbverhüllten Aluminiumzylinder in Pitts Händen.

»Ich bin Admiral Hunter. Ich gebe Ihnen genau fünf Minuten, mein Bester, und ich empfehle Ihnen, die Zeit nicht nutzlos verstreichen zu lassen. Und bringen Sie das da mit.« Sein Finger zeigte auf den Metallzylinder.

»Ja, Sir« war alles, was Pitt antworten konnte.

Hunter hatte bereits auf dem Absatz kehrtgemacht und war in seinem Büro verschwunden. Wenn Pitt die ganze Situation nicht ohnehin schon unangenehm gewesen wäre, so hätte sie ihn spätestens jetzt, als er ebenfalls den großen Büroraum betrat, peinlich berührt. Um einen altehrwürdigen, auf Hochglanz polierten Konferenztisch herum saßen noch drei weitere Marineoffiziere. Als sie Pitt eintreten sahen, halbnackt und mit seinem sonderbaren Paket unter dem Arm, zog Erstaunen auf ihre Gesichter.

Hunter stellte die Anwesenden mit scheinbar unbeteiligter Stimme vor, aber Pitt ließ sich von der falschen Freundlichkeit nicht täuschen. Der Admiral versuchte, ihn mit den Diensträngen seiner Gäste zu erschrecken, und er beobachtete aufmerksam Pitts Augen, um sich seine Reaktion nicht entgehen zu lassen. So erfuhr Pitt, dass der große blonde Lieutenant Commander mit dem John-Kennedy-Gesicht Paul Boland hieß und Erster Offizier der 101. Flotte war. Der untersetzte Captain, der so heftig schwitzte, trug den merkwürdigen Namen Orl Cinana und war Kommandierender Offizier von Hunters kleiner Bergungsflotte. Der kleine, fast schon gnomenhafte Mann, der herbeigeeilt kam und eifrig Pitts Hand schüttelte, stellte sich selbst als Commander Burdette Denver vor, Adjutant des Admirals. Er starrte Pitt an, als versuchte er, sich an dessen Gesicht zu erinnern.

»Also los, mein Bester.« Schon wieder dieser Ausdruck. Pitt hätte liebend gern auf ein Monatsgehalt verzichtet, wenn er dafür Hunter die Faust hätte ins Gesicht schlagen dürfen. Die Stimme des Admirals klang sarkastisch. »Wenn Sie nun so freundlich sein wollen, uns zu erzählen, was diese Störung zu bedeuten hat, dann werden wir Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet sein.«

»Für jemanden, der seine Neugier darauf, woher ich dieses Ding hier habe, kaum beherrschen kann, sind Sie ziemlich rüde«, antwortete Pitt und machte es sich in einem freien Sessel bequem.

Cinana starrte Pitt über den Tisch hinweg an, sein Gesicht zuckte böswillig. »Sie Dreckskerl! Wie können Sie es wagen, hier hereinzukommen und einen Offizier zu beleidigen!«

»Der Mann muss krank sein«, fauchte Boland. Er beugte sich zu Pitt, seine Miene war kalt und abweisend. »Sie Dummkopf«, fügte er hinzu. »Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie reden?«

»Da Sie mir vorgestellt worden sind«, sagte Pitt ruhig, »kann ich darauf nur mit einem klaren Ja antworten.«

Cinana ließ seine verschwitzte Faust geräuschvoll auf den Tisch fallen. »Mein Gott, jetzt muss die Militärpolizei her. Ich lasse Yager die Militärpolizei rufen, und dann wandert dieser Kerl hinter Gitter.«

Hunter zündete sich eine lange Zigarette an, schnippte das Streichholz in Richtung Aschenbecher, verfehlte ihn um gute zehn Zentimeter und sah Pitt nachdenklich an. »Sie lassen mir wirklich keine andere Wahl, mein Bester.« Er wandte sich an Boland. »Commander, sagen Sie Seaman Yager, er soll die Militärpolizei rufen.«

»Ich würde das an Ihrer Stelle nicht tun, Admiral.« Denver erhob sich von seinem Platz. Eine wiedergefundene Erinnerung schien sein Gesicht aufzuhellen. »Dieser Mann, der sich von uns als Dreckskerl und Dummkopf beschimpfen lassen musste und den wir hinter Gitter gewünscht haben, dieser Mann ist Dirk Pitt, der zufälligerweise noch Leiter der Abteilung für Sonderaufgaben beim Nationalen Unterwasser- und Marineamt ist und dessen Vater, Senator George Pitt aus Kalifornien, zufällig dem Marine-Beschaffungskomitee vorsitzt.«

Cinana ließ einen kurzen, nicht druckreifen Fluch hören.

Boland war der Erste, der sich wieder erholte. »Sind Sie sich sicher?«

»Ja, Paul, absolut.« Denver kam um den Tisch herum und blieb vor Pitt stehen. »Ich habe ihn vor ein paar Jahren, zusammen mit seinem Vater, auf einer NUMA-Konferenz gesehen. Außerdem ist er mit meinem Cousin befreundet, der ebenfalls bei der NUMA ist, Commander Rudi Gunn.«

Pitt lachte überrascht auf. »Natürlich kenne ich Rudi. Wir haben ein paar Projekte gemeinsam abgewickelt. Jetzt sehe ich auch, wie sehr Sie ihm ähneln. Der einzige auffallende Unterschied zwischen Ihnen ist, dass Rudi eine Hornbrille trägt.«

»Als wir noch klein waren, haben wir ihn deshalb Biberauge genannt«, sagte Denver lachend.

»Das werde ich mir merken, bis ich ihn wiedersehe«, antwortete Pitt mit einem Lächeln.

»Ich hoffe, Sie … es hat Sie nicht zu sehr beleidigt … was wir gesagt haben«, brachte Boland stockend hervor.

Pitt legte allen Zynismus, dessen er fähig war, in seinen Blick und antwortete schlicht: »Nein.«

Hunter und Cinana tauschten einen Blick aus, dessen Sinn Pitt sich ohne Mühe erklären konnte. Falls die beiden gerade versuchten, ihr Unbehagen darüber zu vertuschen, dass der Sohn eines Senators der Vereinigten Staaten an ihrem Tisch saß, dann gelang ihnen das nur sehr schlecht.

»Also gut, Mr. Pitt, jetzt ist es Ihr Spiel. Wir nehmen an, dass Sie wegen des Behälters hier sind, den Sie im Arm halten. Bitte erklären Sie uns doch, wie Sie in seinen Besitz gekommen sind.«

»Eigentlich bin ich nur eine Art Bote«, sagte Pitt ruhig. »Ich habe dieses Ding hier entdeckt, als ich heute Nachmittag am Strand in der Sonne lag. Es gehört Ihnen.«

»Oh, vielen Dank«, sagte Hunter mit schwerer Stimme. »Ich fühle mich geehrt. Aber warum sollte es ausgerechnet mir gehören?«

Pitt sah die drei Männer nachdenklich an und stellte den in gelbes Plastik gehüllten Aluminiumzylinder auf den Konferenztisch. »Da drinnen werden Sie ein paar handschriftliche Aufzeichnungen finden. Auf dem letzten Blatt steht Ihr Name.«

Nicht das leiseste Zucken in Hunters Gesicht verriet seine Gedanken.

»Wo haben Sie dieses Ding gefunden?«

»Nahe der Landspitze von Kaena Point.«

Denver beugte sich vor. »Ist es an den Strand gespült worden?«

Pitt schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin hinausgeschwommen und habe es geholt.«

Denver sah ihn verdutzt an. »Sie waren in Kaena Point und sind über die Brandung dort hinausgeschwommen? Ich habe bis heute geglaubt, dass das unmöglich ist.«

Hunter sah Pitt abschätzend an, aber er sagte nichts.

»Es war das grelle Gelb der Plastikhülle, was mich aufmerksam werden ließ«, fuhr Pitt fort.

Hunter nahm den Aluminiumzylinder in die Hände und hielt ihn einen Moment in die Höhe. »Sie wissen, was das ist, meine Herren?«

Die drei Offiziere nickten.

»Sie haben nie auf einem U-Boot gedient, Mr. Pitt, sonst hätten auch Sie wissen müssen, dass dies eine Nachrichtenboje ist.« Hunter stellte die Kapsel zurück auf den Tisch und ließ seine Hand leicht über sie hinweggleiten. »Wenn ein Unterseeboot auf Tauchstation bleiben will und dennoch eine Nachricht an ein Begleitboot geben möchte, das seinem Kurs über Wasser folgt, dann wird die Mitteilung in einem Aluminiumzylinder wie diesem verschlossen.« Während er langsam sprach, zog er die Kapsel aus ihrer Plastikhülle. »Der Zylinder wird mit einem roten Farbsignal versehen und durch eine Druckluftschleuse ins Wasser gebracht. Wenn die Kapsel die Wasseroberfläche erreicht hat, entfaltet sich das Farbsignal und macht die Boje über einige tausend Quadratmeter für jedes Begleitschiff sichtbar.«

Einen Augenblick lang schwieg Hunter und sah Pitt erwartungsvoll an. »Sie haben die Papiere gelesen?«, fragte er dann.

Pitt nickte. »Ja, Sir.«

Weder Boland noch Cinana noch Denver begriffen, ja, sahen nicht einmal den Schmerz und die Verzweiflung in Hunters Augen.

»Würden Sie uns dann bitte sagen, was Sie entdeckt haben?«, fragte Hunter und wusste doch schon mit schreckensvoller Sicherheit, wie die Antwort lauten würde.

Einige Sekunden verstrichen, in denen Pitt stumm blieb und sich zum hundertsten Male wünschte, dass er den verfluchten Aluminiumzylinder nie gesehen hätte. Aber jetzt gab es für ihn keinen Fluchtweg mehr vor der grausamen Wahrheit. Einen letzten Satz noch, und er würde sich diese ganze unangenehme Sache vom Hals geschafft haben. Er holte tief Luft und sprach die Worte langsam und deutlich aus.

»In der Kapsel werden Sie eine an Sie persönlich gerichtete Nachricht finden, Admiral. Und außerdem noch sechsundzwanzig Seiten, die aus dem Logbuch des Atom-U-Bootes Starbuck herausgerissen worden sind.«

2

Es folgt nun eine Zusammenfassung der Aufzeichnungen von Commander Dupree, erzählt von Admiral Hunter:

Für die höllischen Schrecken, die wir während der letzten fünf Tage durchgemacht haben, lassen sich keine erklärenden Worte finden. Ich allein trage die Verantwortung dafür, dass wir von unserem Kurs abgewichen sind, wodurch meinem Schiff und der Mannschaft ein so sonderbares und teuflisches Ende zuteil geworden ist. Es bleibt mir nur, so gut ich eben kann, die Umstände des Unglücks zu beschreiben – mein Verstand funktioniert nicht mehr, wie er das tun sollte.

Das Eingeständnis, nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zu sein, klingt erstaunlich von einem Mann wie Dupree, der den Ruf hatte, ein Gehirn wie ein Computer zu besitzen.

Am 14. Juni, um 20.40 Uhr, fuhren wir in die Nebelbank ein. Kurz darauf, wir hatten nur noch zehn Faden Wasser unter unserem Kiel, erschütterte eine Explosion den Bug. Eine donnernde Flutwelle ergoss sich in den vorderen Torpedoraum und überflutete ihn fast augenblicklich.

Aus den Worten des Commanders war nicht eindeutig zu lesen, ob er wusste, wo die Explosion stattgefunden hatte: innerhalb oder außerhalb der Starbuck.

Sechsundzwanzig Mann der Besatzung hatten das große Glück, in den ersten Sekunden zu sterben. Von den dreien, die noch auf der Brücke gewesen waren, Lieutenant Carter, Seaman Farris und Seaman Metford, hofften wir, dass sie sich hatten in Sicherheit bringen können, bevor das Schiff sank. Die tragische Entwicklung der Dinge sollte jedoch noch zeigen, dass wir uns geirrt hatten.

Wenn die Starbuck tatsächlich, wie Dupree andeutet, zum Zeitpunkt des Unglücks über Wasser fuhr, dann ist es allerdings äußerst merkwürdig, wieso es Carter, Farris und Metford nicht gelungen sein sollte, innerhalb von weniger als dreißig Sekunden die Brücke zu räumen und nach unten zu verschwinden. Es ist fast undenkbar, dass Dupree einfach die Luken verschließen ließ und die Männer ihrem Schicksal überlassen hat. Es ist ebenso undenkbar, dass die Zeit nicht gereicht hätte, die Männer zu retten – und genauso unwahrscheinlich ist es, dass die Starbuck gesunken sein sollte wie ein Stein.

Inzwischen schlossen wir die Luken und alle Entlüftungsklappen. Ich gab den Befehl, alle Ballasttanks auszublasen und ein schnelles Auftauchmanöver durchzuführen. Doch es war bereits zu spät. Das metallische Scheuern und Kreischen, das zu hören war, konnte nur bedeuten, dass sich das Schiff mit dem Bug in den Grund gebohrt hatte.

Eigentlich sollte man annehmen können, dass das Heck der Starbuck bei leeren Ballasttanks selbst dann noch über die Wasseroberfläche hätte hinausragen müssen, wenn der Bug in knapp fünfzig Meter Tiefe festsaß. Schließlich besaß das U-Boot eine Gesamtlänge von siebenundneunzig Metern. Doch war das nicht der Fall.

Wir liegen jetzt auf Grund. Das Deck ist acht Grad nach Steuerbord geneigt, unsere Neigung in Längsrichtung beträgt etwa zwei Grad. Bis auf den vorderen Torpedoraum sind alle Schiffsräume sicher abgeschottet und zeigen keine Spuren von Wassereinbruch. Bald werden wir nun alle tot sein. Mein Leichtsinn kostet uns allen das Leben.

In diesem Abschnitt verbergen sich die rätselhaftesten Geheimnisse von Duprees Aufzeichnungen. Der Druckkörper der Starbuck war gute siebeneinhalb Meter hoch; von dem Notausstieg im Heck bis zur Wasseroberfläche konnten es also kaum noch zweiundvierzig Meter sein. Für einen Mann mit einem Atmungsgerät, wie es alle U-Boote für sämtliche Besatzungsmitglieder an Bord haben, ist das ein gemütlicher Aufstieg. Während des Zweiten Weltkriegs sind acht Besatzungsmitglieder des gesunkenen U-Bootes Tang aus über fünfzig Meter Tiefe ohne solche Atmungsgeräte zur Wasseroberfläche geschwommen, und auch sie überlebten.

Die letzten Sätze sind noch unverständlicher. Was trieb Dupree eigentlich in den Wahn? Hat ihn der Stress erdrückt, den die albtraumhafte Situation ihm auferlegte? Jedenfalls ist seine Beurteilung der Lage immer weniger von Vernunft geprägt.

Wir haben keine Lebensmittel mehr, und der Sauerstoff reicht bestenfalls noch für ein paar Stunden. Trinkwasser besitzen wir schon seit dem dritten Tag nicht mehr.

Das ist unmöglich! Mit einem funktionierenden Reaktor – und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass er ausgefallen war – hätte die Besatzung mehrere Monate überleben können. Die Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung hätten ohne Probleme einen mehr als ausreichenden Wasservorrat bereitstellen können, und mit ein paar vorbeugenden Maßnahmen hätte das Überlebenssystem, das die Luft im U-Boot reinigte und Sauerstoff produzierte, die gesamte Besatzung mit Sicherheit versorgen können, bis es zum Erliegen gekommen wäre, ein äußerst unwahrscheinliches Ereignis. Nur die Lebensmittelversorgung hätte langfristig zu einem Problem werden können. Dennoch hätten die Vorräte auf der Starbuck, wären sie nur etwas rationiert worden, für mindestens neunzig Tage reichen müssen. Alles hing davon ab, dass der Reaktor arbeitete. Wenn er starb, starben auch die Männer.

Die Entscheidung ist gefallen, ich fühle einen seltsamen Frieden in mir. Ich habe unseren Bordarzt angewiesen, den Männern eine Injektion zu geben, die ihr Leiden beendet. Selbstverständlich werde ich als Letzter sterben.

Mein Gott: Ist es wirklich möglich, dass Dupree den Befehl zu einem Massenmord an den Überlebenden des Unglücks gegeben hat?

Wieder sind sie zurückgekehrt. Carter klopft von außen an den Druckkörper. Mutter Gottes! Warum muss sein Geist uns so quälen?

Dupree hatte den Verstand verloren und war vollkommen dem Wahnsinn verfallen. Wie konnte das alles in nur fünf Tagen geschehen?

Wir können ihnen nur noch wenige Stunden standhalten. Fast ist es ihnen schon gelungen, die Luke des hinteren Notausstiegs aufzubrechen. Schrecken, Schrecken … (unleserlich) Sie wollen uns töten. Aber am Ende werden wir sie doch überlisten. Kein Triumph, kein Sieg. Wir werden alle tot sein.

Wen, zum Teufel, meint Dupree mit sie? Ist es möglich, dass irgendjemand, vielleicht ein russisches Spionageschiff, versucht hat, die Besatzung zu retten?

Es muss jetzt Nacht sein, sie haben die Arbeit unterbrochen. Ich werde diese Nachricht und die letzten Seiten des Logbuchs in einer Nachrichtenboje an die Wasseroberfläche schicken. Die Chancen sind günstig, dass sie die Kapsel in der Dunkelheit übersehen. Hier noch einmal unsere Position: (die ersten Zahlen sind durchgestrichen) 32°43'15" Nord – 161°18'22" West.

Die Positionsangabe macht keinen Sinn. Sie liegt weit über siebenhundert Kilometer von der letzten Position entfernt, die die Starbuck über Funk durchgegeben hatte. Und zwischen dem letzten Funkkontakt und Duprees Logbucheintragungen ist so wenig Zeit verstrichen, dass die Starbuck die Entfernung nicht einmal mit voller Fahrt hätte zurücklegen können.

Niemand soll nach uns suchen; es hätte doch keinen Zweck. Sie können es nicht zulassen, dass auch nur eine Spur von uns gefunden wird. Mit welch gemeinen Tricks sie uns ausgespielt haben! Hätte ich es nur geahnt, dann könnten wir alle weiterleben und die Sonne wiedersehen. Diese Nachricht soll Admiral Leigh Hunter in Pearl Harbor überbracht werden.

Das letzte Rätsel. Warum mir? Soweit ich weiß, bin ich Commander Dupree nie begegnet. Warum hat er ausgerechnet mich zum Empfänger des Testamentes der Starbuck bestimmt?

3

Dirk Pitt lehnte an der Bar des altehrwürdigen Royal Hawaiian Hotel und starrte abwesend in seinen Drink, während seine Gedanken den Ereignissen des Tages nachhingen. Wie Blitze zuckten sie hinter seinen Augen auf, um sich dann in einem undurchdringlichen Nebel zu verlieren. Nur ein Bild wollte und wollte nicht aus seiner Erinnerung verschwinden: das bleiche Gesicht Admiral Hunters, als er das Manuskriptbündel durchlas – die Sinnlosigkeit des tragischen Schicksals der Starbuck und die erschreckenden, vom Wahnsinn diktierten Worte Commander Duprees.

Nachdem Hunter das letzte Blatt aus der Hand gelegt hatte, war er langsam aufgestanden und hatte Pitt zugenickt. Pitt hatte die ausgestreckte lederhäutige Hand des Admirals geschüttelt, den anderen Offizieren noch einen Abschiedsgruß zugemurmelt und war dann wie in Trance aus dem Raum gegangen. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wie er den zäh sich hinschlängelnden Verkehr auf dem Nimitz Highway hinter sich gebracht hatte. Ebenso fehlte ihm jede Erinnerung daran, wie er sein Hotelzimmer betreten, sich geduscht und umgezogen hatte, nur um das Zimmer dann ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen wieder zu verlassen. Selbst jetzt, da er sein Glas mit dem Scotch in der Hand drehte, drangen die Gespräche, die um ihn herum in der Cocktail Lounge geführt wurden, nicht an sein Ohr.

Irgendwie schien ihm seine Entdeckung der letzten Nachricht der Starbuck mit etwas sonderbar Bösem, ja Bedrohlichem behaftet zu sein. Ein argwöhnischer, in die Vergangenheit gerichteter Gedanke versuchte aus den Tiefen seines Bewusstseins an die klare Oberfläche zu dringen. Doch fehlte ihm die Kraft, und so fiel er zurück in das dunkle Nichts, aus dem er aufgestiegen war.

Aus einem Augenwinkel heraus entdeckte Pitt weiter unten an der Bar einen Mann, der sein Glas in seine Richtung erhoben hatte und ihn offensichtlich zu einem Drink einladen wollte. Es war Captain Orl Cinana. Wie Pitt trug auch er eine einfache Leinenhose und ein blumengemustertes Hawaii-Hemd. Er kam heran und lehnte sich neben Pitt an die Bar. Noch immer schwitzte er, und nahezu ohne Pause tupfte er sich mit einem Taschentuch die Stirn ab und wischte sich die Handflächen trocken.

»Darf ich Sie einladen?« Cinana hatte zu der Frage ein Lächeln aufgesetzt, das nicht gerade von Aufrichtigkeit strahlte.

Pitt hielt sein volles Glas hoch. »Vielen Dank, aber ich habe bisher noch wenig getrunken.«

In Hunters Büro hatte Pitt kaum auf Cinana geachtet, umso überraschter stellte er nun fest, dass ihm etwas Interessantes an seinem Gegenüber völlig entgangen war. Bis auf die ungefähr fünfzehn Pfund mehr Gewicht, die Cinanas Bauch hervorstehen ließen, sahen sie sich beide ziemlich ähnlich.

Cinana schwenkte das Eis in seinem Rum Collins und vermied es nervös, Pitt in die Augen zu sehen.

»Ich möchte mich gern noch einmal entschuldigen für das kleine Missverständnis heute Nachmittag.«

»Vergessen Sie es einfach, Captain. Ich selbst war ja auch nicht gerade ein Ausbund an Höflichkeit.«

»Eine schlimme Sache, der Verlust der Starbuck.« Cinana trank einen Schluck aus seinem Glas.

»Mit den meisten Geheimnissen geht es so, dass sie irgendwann einmal doch gelöst werden. Das war so mit der Thresher, der Bluefin, der Scorpion – nie hat die Navy aufgegeben, bevor sie das Wrack gefunden hat.«

»Diesmal wird es nicht so kommen«, sagte Cinana hart. »Dieses werden wir nie finden.«

»Sagen Sie niemals nie.«

»Die drei Unglücksfälle, von denen Sie sprachen, ereigneten sich im Atlantik. Die Starbuck hatte das tragische Schicksal, im Pazifik zu verschwinden.« Er schwieg einen Augenblick lang, um sich den Schweiß aus dem Nacken zu wischen. »In der Navy gibt es ein Sprichwort über die Schiffe, die im Pazifik verschwinden:

Jenen, die im Atlantik versinken,

wird mit Kränzen und Versen gedacht,

aber jene, die im Pazifik ertrinken,

liegen vergessen in ewiger Nacht.«

»Sie haben doch die Positionsangabe aus Duprees letzter Nachricht«, sagte Pitt. »Mit etwas Glück werden die Sonargeräte Ihrer Suchschiffe die Starbuck auf Anhieb in dem fraglichen Gebiet finden.«

»Ganz so leicht lässt sich die See ihre Geheimnisse nicht entreißen, Major.« Cinana stellte sein leeres Glas auf die Bar. »Ich muss jetzt leider gehen. Eigentlich war ich mit jemandem verabredet, aber offensichtlich hat man mich versetzt.«

Pitt schüttelte Cinanas ausgestreckte Hand und lächelte breit. »Ich kenne das Gefühl.«

»Also, dann auf Wiedersehen und alles Gute.«

»Ihnen auch, Captain.«

Cinana drehte sich um, schob sich durch den dichten Ring von Gästen, die die Bar umlagerten, und verschwand in der Menge, die sich in der weiten Eingangshalle des Hotels drängte.

Pitt hielt noch immer ein volles Glas in der Hand. Nachdem Cinana gegangen war, beschlich ihn, trotz der vielen Stimmen um ihn herum, ein Gefühl der Einsamkeit. Auf einmal hatte er den Wunsch, sich sinnlos zu betrinken. Er wollte den Namen Starbuck endlich vergessen, um sich wieder auf die wichtigeren Dinge konzentrieren zu können. Er konnte zum Beispiel versuchen, eine Sekretärin zu finden, die hier ebenfalls Urlaub machte und ihre sexuellen Hemmungen zu Hause in Omaha, Nebraska, gelassen hatte. Pitt leerte sein Glas in einem Zug und bestellte sich einen neuen Drink.

Gerade wollte er seine Überredungskünste ausprobieren, als er die Berührung zweier weicher weiblicher Brüste spürte, die sich gegen seinen Rücken pressten, und zwei schlanke Arme sah, die sich um seine Hüften legten. Langsam drehte er sich um und sah in das schelmisch lächelnde Gesicht von Adrian Hunter.

»Hallo, Dirk«, murmelte sie mit heiserer Stimme. »Brauchst du jemanden, der dir beim Trinken Gesellschaft leistet?«

»Vielleicht. Kommt ganz darauf an, was dabei für mich herausspringt.«

Sie schloss ihre Arme noch fester um ihn. »Wir könnten zu mir nach Hause gehen, uns den Spätfilm ansehen und uns anschließend über die Krise in der Filmindustrie unterhalten.«

»Das geht nicht. Meine Mami macht sich Sorgen, wenn ich zu spät ins Bett komme.«

»Ach komm, Liebling. Du wirst es doch einer alten Freundin nicht abschlagen, wenn sie sich wieder einmal so richtig mit dir danebenbenehmen will, oder?«

»Sind alte Freunde dafür da?«, fragte er mit sarkastischem Ton in der Stimme. Ihre Hände waren seinen Körper hinuntergewandert, und er zog sie wieder hoch. »Du solltest dir wirklich ein neues Hobby suchen. Du lebst deine Phantasien mit wahrhaft atemberaubender Geschwindigkeit aus, aber wer allzu oft wechselt, wird bald Kleingeld.«

»Das ist ein interessanter Gedanke.« Sie lächelte ihn an. »Geld kann ich immer gebrauchen. Ich frage mich, wie viel es sein würde.«

»Wahrscheinlich nicht mehr, als du für einen alten Ford Edsel bekommen würdest.«

Sie warf sich in die Brust und zog einen Schmollmund. »Nur was sich liebt, neckt sich auch, hat man mir einmal gesagt.«

Wenn er daran dachte, wie anstrengend ihr ausgedehntes Nachtleben sein musste, dann blieb ihm nur zuzugeben, dass sie dafür noch überraschend gut aussah. Er erinnerte sich, wie sie sich das letzte Mal geliebt hatten, und an das Gefühl ihres weichen Körpers auf seiner Haut. Doch erinnerte er sich ebenfalls, dass er sie nie wirklich befriedigen konnte, wie sehr er sich und seine Phantasie auch angestrengt hatte.

»Nicht, dass ich unbedingt das Thema unserer anregenden Unterhaltung wechseln will«, sagte er, »aber ich bin heute zum ersten Mal deinem Vater begegnet.«

Er wartete vergeblich auf ein Zeichen ihrer Überraschung.

Sie schien von der Nachricht völlig unberührt zu bleiben. »Wirklich? Worum muss sich der alte Lord Nelson denn nun schon wieder kümmern?«

»Worum er sich zum Beispiel nicht gekümmert hat, war, wie ich angezogen war.«

»Mach dir nichts daraus. Es kümmert ihn auch nicht, wie ich mich anziehe.«

Pitt trank einen Schluck von seinem Scotch und sah sie über das Glas hinweg an. »In deinem Fall kann ich ihm nicht einmal einen Vorwurf dafür machen. Kein Vater sieht es gern, wenn seine Tochter ein Leben wie eine Hinterhofhure führt.«