Imagines - Anna Todd - E-Book

Imagines E-Book

Anna Todd

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Beschreibung

Storys über Benedict Cumberbatch, Kanye West, Selena Gomez, Zayn Malik, Tom Hardy und viele mehr!

Manchmal verschwinden wir gerne in eine Fantasiewelt, die uns den Alltag versüßt und unsere Vorstellungskraft anregt. Genau das tun auch die Autoren dieses Bandes. In Imagines bringen namhafte Autoren, allen voran Anna Todd, uns mit unseren liebsten Prominenten zusammen und erzählen Geschichten voller Ruhm, Glamour, Leidenschaft und Liebe.

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ZUM BUCH

Manchmal verschwinden wir gerne in eine Fantasiewelt, die uns den Alltag versüßt und unsere Vorstellungskraft anregt. Genau das tun auch die Autoren dieses Bandes. In Imagines bringen namhafte Autoren, allen voran Anna Todd, uns mit unseren liebsten Prominenten zusammen und erzählen Geschichten voller Ruhm, Glamour, Leidenschaft und Liebe. Sie holen uns ganz an die Celebrities heran, die so viele lieben: Zayn Malik, Cameron Dallas, Kanye West, Selena Gomez, Benedict Cumberbatch und viele mehr.

LIEFERBARE TITEL VON ANNA TODD

After passion

After truth

After love

After forever

Before us

Nothing more

IMAGINES

Storys von

ANNA TODD

Doeneseya Bates | Kevin Fanning

Kora Huddles | Katarina E. Tonks

und weiteren -Autoren

Dein Star ganz nah

Aus dem Amerikanischen von

Nicole Hölsken

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe Imagines erschien bei Gallery Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Obwohl dieses Buch viele Persönlichkeiten des echten Lebens erwähnt,

sind die Geschichten frei erfunden.

Copyright © 2016 by WP Technology, Inc.

Die Autoren werden vertreten durch Wattpad.

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Maren Wetcke

Umschlaggestaltung: Zero Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: © FinePic, München.

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-19757-5V003

www.heyne.de

I * mag * ines (i-‚mag-jәnz) n.

Eine Form der Fanfiction, in der der Leser als Hauptperson in die Story integriert wird.

»Durch Fanfiction können wir uns kreativ und auf vertraute Weise mit Menschen austauschen, die genauso denken wie wir. Fanfiction inspiriert Millionen von Lesern und Autoren weltweit, und ich bin wahnsinnig stolz darauf, Teil dieser tollen Gemeinschaft zu sein.

ANNA TODD

Die Geschichten in diesem Buch sind frei erfunden. Jeder Bezug zu historischen Ereignissen, tatsächlichen Menschen oder Orten ist rein fiktiv. Die Namen, Personen, Orte und Ereignisse sind ausschließlich der Fantasie der Autoren entsprungen, und jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Orten oder Personen, ob lebend oder tot, ist vollkommen zufällig.

Für die Fans und die Menschen, die sie inspirieren …

Inhaltsverzeichnis

Kim Kardashians Selfies gegen die männliche Vorherrschaft

Kevin Fanning

Superheld im Einsatz

Annelie Lange

Medium

Anna Todd

Zehnjähriges Jubiläum

Blair Holden

Being Mrs. Reedus

Bella Higgin

Escape aus Ashwood Manor

Marcella Uva

Die beste Nacht ever

Jen Wilde

The One That Got Away

Ariana Godoy

Denkzettel für Eve

Rebecca Sky

Eine merkwürdige Freundschaft

Anna Todd

Knock-out

Katarina E. Tonks

Ein ganz normaler Freitag

Scarlett Drake

Dein bester Freund

Peyton Novak

May the Best Team Win

C. M. Peters

Happy Birthday

Ashley Winters

Channing Tatums Dance Academy

Bryony Leah

Supernatural – wie im richtigen Leben

E. Latimer

Everything Is Not What It Seems

Karim Soliman

Der Sucher

Rachel Aukes

Redirection – ein neuer Weg

Debra Goelz

Reine Magie

Steffanie Tan

Eine neue Verbindung

Leigh Ansell

Die Bourne-Identitäts-Krise

Dmitri Ragano

Winterkuss

Michelle Jo Quinn

Aus heiterem Himmel

Tango Walker

Akuter Kim-Ernstfall

Kate J. Squires

Ein englisches Herz

Kora Huddles

Ring & Rums

Laiza Millan

The Tonight Show Starring You (and Jimmy Fallon)

Elizabeth A. Seibert

Mit Michael Clifford auf den Ball

Kassandra Tate

Aus heiterem Ian-Himmel

Jordan Lynde

Rollentausch

Evansley

Ein bleibender Eindruck

Bel Watson

Lass dich vom Herz leiten

Doeneseya Bates

Die Autoren

Kim Kardashians Selfies gegen die männliche Vorherrschaft

Kevin Fanning

Imagine …

Stell dir vor, dass Kim Kardashian gerade ein Selfie gepostet hat und sich dein Freund extrem darüber ärgert.

Ihr wart gerade mitten in einem Gespräch, als seine Stimmung plötzlich umschlug. Besser gesagt: Eigentlich wart ihr gerade kurz vor einem Gespräch. Oder noch besser: Du wolltest gerade ein Gespräch mit ihm anfangen. Und jetzt hat Kims Selfie dir alles vermasselt.

Dein Freund ist gerade nach Hause gekommen. Er hat einen sehr schwierigen und stressigen Job bei der Regierung, und heute ist einer der seltenen Abende, an denen du von deinem Job bei Best Buy freihast. Du hast schon mal erwähnt, dass es vielleicht ganz nett wäre, zusammen auszugehen. Er hat dich lange nicht mehr zu einem richtigen Date ausgeführt. Ihr seid schon eine ganze Weile zusammen, und du bist zufrieden. Auf gute Art … aber dann auch wieder nicht hundertprozentig auf gute Art. Du weißt nicht, wie du es ansprechen sollst, aber so langsam beschleicht dich das Gefühl, dass er eure Beziehung für selbstverständlich hält. Nicht, dass du ihn nicht immer noch liebst! Ganz sicher tust du das. Und er liebt dich ganz bestimmt auch. Du findest es ätzend, dass du überhaupt das Gefühl hast, mit ihm darüber reden zu müssen. Du weißt ja, wie stressig sein Job ist. Vielleicht ist zwischen euch ja auch alles voll in Ordnung, und du erfindest Probleme, wo gar keine sind.

Aber du kriegst eine Megakrise, wenn du noch einen Abend mit Nichtstun verbringen musst und, nur an seine Schulter gelehnt, vor dem Fernseher einschläfst. Du willst dich nicht langweilen, aber noch wichtiger ist dir, dass er dich nicht für langweilig hält. Aber du bist gelangweilt, frustriert und fühlst dich irgendwie eingeengt, und das vielleicht nicht mal nur seinetwegen. Aber darüber willst du im Moment noch nicht nachdenken.

Du hast beschlossen, heute darüber mit ihm zu reden. Du sagst also – sanft, forschend und in neutralem Ton: »Also, willst du heute Abend was unternehmen?«

Ein leichter und vollkommen wertfreier Einstieg. Du machst es einfach nur zum Thema.

Er schaut auf sein Handy, wahrscheinlich liest er noch ein paar dienstliche Mails, obwohl er gerade erst aus dem Büro gekommen ist. Er ist besessen. Nicht besessen: getrieben. Hoch konzentriert. Eigentlich magst du das an ihm. Nachdem du die Frage gestellt hast, sieht es aus, als wäre er mit seiner Aufmerksamkeit bei dir, als wolle er sein Handy weglegen und dich ansehen, wirklich ansehen und mit dir reden. Aber dann wischt er noch mal über das Display und entdeckt etwas, das sein ganzes Verhalten sofort ändert. Dir wird ganz kalt. Sein Griff um das Handy wird fester; seine Fingerknöchel werden weiß. Er starrt jetzt nicht mehr auf das Handy, sondern hindurch, auf irgendein Objekt in der Ferne, das schlagartig in sein Blickfeld gerückt ist.

Er ist nicht mehr im gleichen Zimmer wie du. Plötzlich scheint er weit weg zu sein. Und dir wird klar, dass es heute sicher kein Date mehr geben wird.

»Was ist los?«, fragst du. »Ist was passiert?«

Dein Freund atmet tief ein. Sein Kinn zittert. Dann schließt er die Augen und dreht das Handydisplay zu dir.

»Sie hat gepostet. Noch ein Selfie«, stößt er hervor, wobei er jede Silbe einzeln betont.

Sie.

Und du weißt genau, wen er meint. Es kann nur eine Person geben, auf die er sich bezieht, denn es gibt nur eine Frau, die heute noch Selfies postet. Nur eine Frau, die das wagt.

Du streckst die Hand aus, um deinem Freund das Handy aus der Hand zu nehmen. Du willst es mit eigenen Augen sehen. Du weißt, das solltest du nicht, aber es ist wie bei einem Autounfall: Du hast das Gefühl, einfach hinsehen zu müssen.

Du nimmst ihm also das Handy aus der Hand, aber dann erwacht er plötzlich wieder zum Leben. »Warte, nein, du solltest es dir besser nicht angucken!«, sagt er besorgt.

Und du weißt, dass er recht hat, aber du siehst trotzdem hin.

Kim Kardashian hat ein Selfie gepostet. Sie schaut in die Kamera, sie schaut dich an, selbstbewusst, kühn, fast glücklich. Ihr Make-up ist perfekt, ihre Haut strahlt, als ob sie von innen heraus leuchtet. Ihr Haar ist glatt und schwarz und schimmernd, wie das einer Katze in der Nacht. Ihre Lippen sind leicht geöffnet, und sie lächelt verhalten, aber etwas in ihren Augen sagt dir, dass sie sich wirklich prächtig amüsiert. Dass sie diesen Moment genießt.

Die Bildunterschrift lautet: Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen, die mich hassen, für dieses perfekte Selfie! Es ist nicht verboten, sich selbst zu lieben!

Während du das Bild betrachtest, spürst du, wie sich irgendwas in dir regt. Etwas Wildes, Verzweifeltes, das seine Krallen in eine winzige Kammer tief in deinem Herzen gräbt. Das Selfie von Kim versaut deinem Freund den Abend – und damit auch deinen. Du spürst eine schmerzhafte, winzige Panik in deinem Herzen. Das muss Wut sein. Wut auf diese Frau, die sich anders verhält, als sie sollte. Und die dir damit in die Quere kommt. Ist es das? Was könnte es sonst sein?

Du gibst deinem Freund das Handy zurück. Er mustert dich aufmerksam und wartet auf deine Reaktion.

»Warum tut sie das immer wieder?«, fragst du. »Sie weiß doch schließlich, dass Selfies illegal sind.«

»Keine Ahnung«, antwortet dein Freund. Dann noch mal lauter, extrem frustriert: »Keine Ahnung!« Er wendet sich ab. »Tut mir leid. Ich sollte es nicht so nah an mich rankommen lassen. Nicht so vor dir. Ich wünschte, ich könnte mehr tun.«

»Aber du tust doch schon so viel«, sagst du, massierst seine Schulter, knetest die verspannten Muskeln. »Du bist einer der Topagenten der Regierung. Du hast schon so viele berühmte Selfie-Taker überführt. Lindsay Lohan, Rihanna, Willow Smith, Chrissy Teigen, Ariana Grande – alle hinter Gittern, deinetwegen.«

»Das reicht aber nicht«, sagt er, den Blick in die Ferne gerichtet. »Bis wir Kim Kardashian nicht dingfest gemacht haben, reicht es nicht.«

»Du kriegst sie schon noch«, sagst du. Du kannst förmlich sehen, wie deine Worte als seltsame Blasen aus deinem Mund aufsteigen. Glaubst du sie denn auch? Egal. Du willst nur deinen Freund trösten. Jetzt geht es nur darum, wie er sich fühlt.

»Sie ist die am meisten gesuchte Verbrecherin landesweit«, fügst du hinzu. »Irgendwann kriegst du sie.«

Draußen geht gerade die Sonne unter. Der Himmel nimmt ein zartes Grau an, die gleiche Farbe wie die Augen deines Freundes. Du hattest eigentlich gehofft, dass ihr heute Abend ins Kino gehen würdet. Es gibt diesen neuen Matt-Damon-Film über einen Mann, der einige Herausforderungen bewältigen muss. Er soll richtig gut sein. Man sagt, dass er sogar ein paar Preise kriegen wird.

Aber ist schon gut. Du musst dich um deinen Freund kümmern. Da ist jetzt dein Platz.

Die Regierung, und besonders die männlichen Entscheidungsträger, fand, dass die Leute zu viel Zeit damit verbrachten, auf ihre Handys zu starren, Bilder von sich zu machen und zu viel darüber nachdachten, wie sie aussahen. Sie hielten es für eigenartig und ungesund, wenn Menschen ständig Aufnahmen von sich selber machten und diese posteten. Sie behaupteten, dass das ein schlechtes Bild auf uns als Nation werfen würde. Und sie behaupteten, dass es ein Risiko, ein Sicherheitsproblem darstellen würde. Sie forderten, dass wir uns auf andere, wichtigere Dinge konzentrieren sollten, erwähnten aber nicht, was diese wichtigeren Dinge sein sollten.

Das Gesetz war nicht geschlechtsspezifisch formuliert, aber in der Realität betraf es nur Frauen. Männer waren im Selfies-Machen nie gut gewesen. Was kümmerte es sie also, ob sie jetzt illegal wurden? Offen gesagt, war es für Männer eine Erleichterung: eine Sache weniger, die sie nicht gut konnten.

Zuerst machten die Frauen einfach weiter ihre Selfies. Niemand glaubte, dass dieses Gesetz ernst gemeint war. Wollten sie das wirklich durchsetzen? Aber dann wurden die Frontkameras auf den Smartphones verboten. Die Regierung argumentierte, dass Autos schließlich auch bestimmten Sicherheitsanforderungen genügen mussten, um öffentlich genutzt zu werden; das Gleiche gelte auch für Handys. Die Frontkameras würden eine zu große Bedrohung darstellen. Sie würden die Leute dazu verleiten, nach innen und nicht nach außen zu schauen, und das sei schädlich.

Dann wurde eine staatliche Sondereinheit gebildet, und sie fingen an, die dreistesten Promi-Selfie-Taker zu verfolgen, sie zu verhaften und ins Gefängnis zu stecken.

Jeder hatte noch die Videos von Kylie Jenner im Kopf. Der Gedanke, keine Selfies mehr machen zu dürfen, hatte sie vollkommen in den Wahnsinn getrieben. Wilder Zorn loderte in ihren dämonischen Augen, während sie, um sich tretend, schlagend und schreiend, aus dem Gerichtssaal in eine psychiatrische Anstalt geschleift wurde.

Und nachdem Kylie hinter Schloss und Riegel war, verschwand ihre Schwester Kendall. Man hielt sie für tot. Es kam allerdings nie heraus, wie genau sie ums Leben gekommen war, denn eine Leiche wurde nie gefunden. Aber die Briefe, die man in ihrer Wohnung gefunden hatte, deuteten an, dass sie keinen Grund mehr gesehen hatte, am Leben zu bleiben, wenn ihre Schwester im Gefängnis saß und sie keine Selfies mehr schießen durfte.

Die Medien und die Regierung verdrehten die Geschichte wie üblich. Seht ihr?, lautete die offizielle Botschaft. Wenn Menschen sich in puncto Selfies so verhalten, dann ist es doch richtig, wenn man sie für gesetzeswidrig erklärt.

Als das Sonderkommando noch mehr Promis festnahm, wurden normale, nicht berühmte Leute immer weniger dazu angeregt, selbst Selfies zu machen. Den Rest besorgte das Marketing. Instagram stellte sich neu auf und wurde zu einer Make-up-Firma mit einer Foundation-Produktlinie, die sich an den Filtern der Vergangenheit orientierte. Wer interessiert sich schon für Selfies, wenn man die ganze Zeit selbst wie ein Selfie aussehen kann? Die Sache war ein Riesenerfolg.

Die Interessen der Menschen veränderten sich. Sie vergaßen, warum sie sich über das Selfie-Verbot so aufgeregt hatten, warum es ihnen so wichtig erschienen war. Alle bewegten sich weiter.

Alle außer Kim Kardashian.

Kim weigerte sich, kampflos aufzugeben.

Kim war eine Gesetzlose, eine selbst ernannte Freiheitskämpferin. Sie lebte ständig auf der Flucht. Sie hatte ihr ganzes bisheriges Leben hinter sich gelassen und war verschwunden. Niemand wusste, wo sie lebte und wie sie überlebte. Man wusste nur, dass sie hin und wieder online ging, ein Selfie postete, sodass alle ausflippten, und dann wieder im Untergrund verschwand.

Die Regierung setzte ihre besten Hacker ein, um herauszufinden, wo sie war, um sie einzukreisen, aber es gelang ihr nie. Sie besaß eine Software, mit deren Hilfe sie Selfies online aufspüren und löschen konnte. Diese hatte maßgeblich dazu beigetragen, die Leute davon abzuhalten, Bilder zu schießen und zu posten. Aber Kim war zu gut für sie, zu clever und immer einen Schritt voraus.

Sie löschten ihre Accounts und all ihre bekannten Zugangsdaten. Aber plötzlich tauchte ein neuer Account auf, auf dem nur ein einziges Bild zu sehen war. Ihre Follower würden es finden, und es würde viral gehen. Alle würden es sehen, das illegale neue Selfie von dieser Kriminellen, der einzig wahren Meisterin auf diesem Gebiet, der ehemaligen und zukünftigen Königin.

Die Männer schäumten vor Wut. Auf keinen Fall würde diese Geschichte für Kim gut enden. Irgendwann würden sie sie kriegen. Das konnte nicht ewig dauern. Mit jedem Selfie, das sie postete, kamen sie ihr einen Schritt näher. Sie träumten davon, ihr das Handy abzunehmen. Es zu zerschmettern, während sie hässlich und verheult vor ihnen stand.

Aber für ihre Mühe ernteten sie nur noch mehr Selfies. Kims ruhiges, strahlendes Auftreten, ihr markantes und auffälliges Gesicht, ihr Lächeln. Worüber sie lächelte, wusste niemand.

An dem Tag, an dem du Kim kennenlernst, bist du sehr schlecht drauf, das Leben fühlt sich mies und aussichtslos an. Du bist fast am Ende deiner Schicht bei Best Buy, und dein Manager schikaniert dich wie ein Weltmeister. Er behauptet, dass eine Beschwerde eines Kunden über dich eingegangen sei, der sich darüber beklagt habe, dass du ihm nicht weitergeholfen und beim Bedienen nicht genug gelächelt hättest.

Was soll das heißen, nicht genug gelächelt? Du hast eigentlich überhaupt nicht gelächelt, das weißt du noch. Warum hättest du das auch tun sollen? Der Kunde war ein totales Arschloch. Er hat sich nach Bluetooth-Lautsprechern erkundigt, und du hast ihm höflich, hilfsbereit und präzise Auskunft gegeben, wo man sie findet, und hast ihm sogar einen empfohlen. Damit hast du deinen Anteil an sozialer Interaktion durchaus korrekt erfüllt.

Aber dann hat er angefangen, dich anzumachen, hat dich gefragt, wie lang du hier schon arbeitest und wie es kommt, dass du so viel von Musik verstehst. Hat dich gefragt, was du machst, wenn du nicht arbeitest. Das ging ihn doch einen Dreck an! Du bist schließlich nicht verpflichtet, unerwünschte Annäherungsversuche von Kunden zu erwidern. Soweit du weißt, ist Best Buy eine US-amerikanische Elektronikhandelskette und kein Bordell.

Und dann wurde dem Typ klar, dass du keinen Bock auf seine Anmache hattest, und er änderte seine Taktik. Er begann deinen Ansichten über Bluetooth-Lautsprecher zu widersprechen, zog die Informationen, die du ihm gegeben hattest, ins Lächerliche und erklärte endlos, warum er glaubte, dass du im Irrtum warst. Über Lautsprecher! Dabei hatte er dich erst um Hilfe gefragt!

Na gut, Alter, was soll’s. Er hat dir eine Frage gestellt, du hast ihm eine vernünftige Antwort gegeben; wenn er darüber mit dir streiten wollte, war das sein Problem. Du weißt mehr über Elektronik, als er in seinem ganzen Leben verstehen wird. Und jetzt musstest du höflich da rumstehen und dich von ihm beschimpfen lassen. Als du nur ein ganz klein wenig die Augen verdreht hast, ist er prompt davongestürmt, um sich bei deinem Chef über dich zu beschweren.

Also bekommst du jetzt einen längeren Vortrag von diesem Sklaventreiber von Manager über Kundenservice zu hören. Du könntest natürlich versuchen, ihm die Situation zu erklären, aber was würde dir das bringen? Du brauchst diesen Job wirklich. Du hast sonst keinerlei Fähigkeiten, mit denen du Geld verdienen kannst. Früher hattest du beruflich durchaus eine Zukunft. Na ja, so irgendwie. Denn war YouTuber überhaupt eine berufliche Perspektive? Du fandest es toll, YouTube-Videos über Digitaltechnik zu machen, Rezensionen über Produkte zu erstellen und anderen Menschen beizubringen, wie sie funktionierten. Ihnen zu zeigen, wie man Apps und Software hacken konnte, um Sachen damit anzustellen, die die Hersteller nicht beabsichtigt hatten.

Aber du hast beschlossen, es aufzugeben, und schließlich ist »Kleines-You-Tube-Sternchen« auch nicht unbedingt das, was im Lebenslauf massiv Eindruck schindet. Deshalb bist du in diesem miesen Job bei Best Buy gelandet, wo du locker die klügste und überqualifizierteste Mitarbeiterin bist … trotz der Tatsache, dass dein Boss und die Kunden dich standardmäßig wie einen Idioten behandeln. Du findest Elektronik geil, und erst hast du gedacht, dass du hier etwas tun kannst, das zumindest in etwa mit deinen Interessen zu tun hat. Wenigstens so lange, bis dir was anderes einfällt.

Aber dir ist nie was anderes eingefallen. Und hier zu arbeiten, bedeutet auch, diese grässliche Uniform aus schwarzer Hose und einem schlechten Baumwoll-Polyester-Polohemd zu tragen, sodass du dir mega unattraktiv vorkommst. Obwohl du anscheinend nicht unattraktiv genug bist, denn die Männer werden immer noch aufdringlich! Vielleicht gibt es also noch Hoffnung! Wer weiß?

Während dein Boss seine Tiraden ablässt, bemerkst du aus den Augenwinkeln, dass seltsamerweise ein Kunde ganz in der Nähe lauert. Eine Frau? Schon möglich. Sie lungert vor dem Glaskasten herum und mustert träge die Kameras, die darin verschlossen sind. Sie trägt schwarze Klamotten, einen langen Kapuzenmantel, der bis zum Boden reicht, und eine riesige, dunkle Sonnenbrille, die einen Großteil ihres Gesichts verdeckt. Sie steht auf eine Weise vor den Kameras herum, die einen vermuten lässt, dass sie eigentlich gar nichts anschaut, sondern eurer Unterhaltung lauscht. LOL – »Unterhaltung«! Sie lauscht dem langen, einseitigen Vortrag, der dir gehalten wird.

Du hörst die Worte, die aus deinem Mund kommen und die so gar nichts mit dem zu tun haben, was in deinem Hirn vor sich geht. »Oh, ja, Kundenservice geht vor«, sagst du automatisch. Einfach irgendwas, um diesen Augenblick zu überstehen, damit du wieder Kabel oder sonst was in die Regale räumen kannst, sodass du zu beschäftigt aussiehst, als dass Kunden dich ansprechen und um Rat fragen wollen.

Das Wort Kundenzufriedenheit hörst du jetzt schon zum vierzehnten Mal, und es klingt mittlerweile auf hinterhältige Weise sexuell. Aber das denkst du sicher nur, oder? Wenn man etwas so oft hört, verliert es eben irgendwann seinen Sinn.

Er redet immer noch, sagt immer wieder das Gleiche, und du fragst dich, ob sein Vortrag je enden wird, als die Frau in Schwarz zu euch herüberkommt und deinen Manager unterbricht. So buchstäblich mitten im Wort Kunden und Zufriedenheit.

»Entschuldigen Sie, sind Sie der Manager hier?«, fragt die Frau. Ihre Stimme ist heiser und leise.

»Ja, das bin ich«, sagt der Manager, überrascht über die Unterbrechung.

»Ich bräuchte Ihren Rat zu diesen Kameras«, sagt sie.

Der Manager mustert die Frau neugierig. »Sie wollen eine Kamera kaufen?«

»Oh nein«, sagt sie und lacht. Dann legt sie offensichtlich flirtend die Hand auf ihre Brust. »Doch nicht für mich! Für meinen Mann.«

»Oh natürlich, ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung«, sagt er und sieht sich nach dir um. Aber du hast schon verstanden und machst, dass du wegkommst; dank der koketten Ehefrau hast du es endlich hinter dir. Und eigentlich darfst du sowieso nicht allzu viel über Kameras wissen. Du kannst dich also guten Gewissens vom Acker machen, als könntest du es gar nicht erwarten, dich wieder in die Arbeit zu stürzen.

Im Stillen dankst du der Frau für die Atempause und dafür, dass sie dir den Abgang ermöglicht hat. Du verbringst den Rest deiner Schicht damit, dich, so gut es geht, von möglicherweise bedrohlichen Kunden und deinem Manager fernzuhalten und den Anschein zu erwecken, fleißig zu arbeiten.

Später hat der letzte mürrische Kunde endlich den Laden verlassen, deine Kollegen sind alle gegangen, der Laden ist abgeschlossen, und du bist allein im Lager und machst noch eine Inventarliste, wie dein Chef es dir aufgetragen hat.

Als du gerade dabei bist, alles möglichst schnell an den richtigen Platz zu räumen, hörst du eine Stimme, die von irgendwo hinten kommt, hinter den Regalen mit den Druckern. Du schaust an den unzähligen Reihen der deckenhohen Metallregale entlang, die alle rammelvoll mit chaotisch übereinandergestapelten Schachteln und Behältern voller Unterhaltungselektronik sind. Du spähst dorthin, wo die Lagerhalle im Schatten versinkt.

»Äh, hallo?«, rufst du. Außer dir sollte eigentlich niemand mehr hier sein. Vielleicht hast du dir das ja nur eingebildet. Du sortierst also weiter die Schachteln mit den SD-Karten ein.

Dann hörst du wieder ein Geräusch. Eine Schachtel, die über ein Regalbrett gezogen wird. Und ein Summen? Oder was ist das?

Das hast du dir definitiv nicht eingebildet.

Du gehst nach hinten, trittst leise auf in deinen schwarzen Sneakers. Du wunderst dich, warum es dich so beschäftigt, ob noch jemand anders im Laden ist. Eigentlich sollest du lieber in die andere Richtung laufen; die Firma bezahlt dir nicht genug, um dein Leben für Unterhaltungselektronik aufs Spiel zu setzen. Aber nach diesem Gespräch mit deinem Boss … na ja. Noch ein einziger Vorfall, und du wirst definitiv gefeuert. Und dann musst du es deinem Freund erzählen, und er wird dich mitleidig ansehen. Er hält deine Arbeit bei Best Buy sowieso für einen Deppenjob. Und das ist er vielleicht auch! Vermutlich stellt er sich vor, dass ihr beiden demnächst heiratet und du nicht mehr arbeiten gehst. Du bleibst zu Hause und kümmerst dich um seine Babys. Was, wenn deine Kündigung der Auslöser ist, der über dein restliches Leben entscheidet? Willst du das? Wirklich? Dieser Job verschafft dir zumindest Zeit, darüber nachzudenken. Nicht, dass du das wirklich tust. Nicht aktiv jedenfalls.

Aber wenn du in den nächsten fünf Minuten im Lagerraum von Best Buy ermordet wirst, musst du diese Entscheidung nicht mehr treffen. Tatsächlich würde es jede Menge Probleme lösen. Du müsstest auch nicht mehr hier arbeiten. Du müsstest dich auch nicht mehr fragen, ob die Gefühle, die du glaubst, für deinen Freund zu empfinden, echt sind oder nicht. Du kämst dir nicht mehr verrückt vor, weil du dir Dinge wünschst, die du noch nicht mal benennen kannst.

Jetzt gelangst du in den hinteren Teil des Lagers, und dort ist es vollkommen leer und totenstill. Na toll, jetzt bist du also völlig übergeschnappt! Und vielleicht hat dein Freund ja recht; vielleicht musst du ja wirklich mal irgendwelche Pillen schlucken. Mach, dass du hier rauskommst. Höchste Zeit für den Heimweg. Du solltest neben deinem wahrscheinlich schon schnarchenden Freund ins Bett kriechen, dort herumliegen, nicht einschlafen können und dann auf die Couch umziehen und dir die TV-Show reinziehen, die du immer guckst, über einen Mann, der jede Menge Probleme hat, daraus aber viel über sich selbst und über die Welt lernt.

Du drehst dich also um und willst gehen, doch im Schatten genau vor dir steht eine dunkle, vermummte Gestalt.

Du schreist auf vor Schreck, und die Gestalt legt dir die Hand auf den Arm und sagt mit leiser, trauriger Stimme: »Sorry! Ich wollte Sie nicht erschrecken!«

»Na ja, haben Sie aber!«, sagst du und versuchst, wieder zu Atem zu kommen. Die Gestalt tritt ins Licht, und du erkennst in ihr die Frau von vorhin.

»Hey, verdammt«, sagst du. »Was machen Sie hier? Sie haben hier nichts zu suchen.«

»Pssst. Ich habe eigentlich nirgends was zu suchen«, antwortet die Frau. »Ich muss mit Ihnen reden. Aber wir müssen uns beeilen. Wir haben nur drei Minuten, bevor der Sicherheitsbeamte der Mall diesen Bereich hier checkt.«

Sie zieht die Kapuze zurück und enthüllt den glänzendsten, seidigsten Haarknoten, den du je gesehen hast. Dann nimmt sie die Sonnenbrille ab und sieht dich lächelnd an. Es ist Kim Kardashian. Kim Kardashian steht vor dir und strahlt Klarheit und Makellosigkeit aus, und das in diesem chaotischen, dreckigen Lagerraum von Best Buy nach Geschäftsschluss.

Du bist überzeugt, dass du gleich in Ohnmacht fällst, als sie einen Schritt auf dich zu macht.

»Ich bin Kim«, sagt sie. »Und ich brauche wirklich deine Hilfe.«

Also: Wenn du dich je gefragt haben solltest, was du tun würdest, wenn Kim Kardashian dich am Arbeitsplatz überrascht und sagt, dass sie deine Hilfe braucht, dann weißt du es jetzt. Du bist vor Schreck erstarrt und bringst keinen Ton raus. Du kannst nicht glauben, dass dir das hier passiert. Oder ob das hier überhaupt so was wie die Realität ist.

Du bist doch nur ein ganz normaler Mensch. Du hast ein langweiliges, uninteressantes Leben. Du bist total unwichtig. Du bist eine Enttäuschung für jeden, den du kennst, auch für dich selbst. Du bist einfach eine Null. Aber jetzt sieht Kim Kardashian dich an, und ihre Augen sind wie Zimt mit Diamanten, und du bist total sprachlos.

»Alles in Ordnung mit dir?«, fragt sie.

Blinzelnd erwachst du zum Leben und zwingst dich, aktiv zu werden. Diese Frau ist die meistgesuchte Verbrecherin des Landes. Solltest du vielleicht Angst haben? Du hast das Gefühl, dass du Angst haben solltest, aber du hast keine. Du bist aufgeregt.

»Nein! Alles in Ordnung! Du hast mich nur überrascht. Ich hab nicht erwartet, dich hier zu treffen.«

Was offiziell das Allerdümmste überhaupt ist, was man sagen kann, denn NATÜRLICH HAST DU NICHT ERWARTET, ZUFÄLLIG KIM KARDASHIAN IM LAGERRAUM VON BEST BUY IN DER MALL ZU TREFFEN, WO DU ARBEITEST. Dein Hirn bittet deinen Mund inständig Bitte sei still, du bist nur peinlich.

Aber Kim nickt verständnisvoll. Sie ist so freundlich und so geduldig. »War sicher ein langer Tag, was? Ist dein Boss immer so?«

Du nickst. »Ja, meist schon. Übrigens danke, dass du ihn abgelenkt hast.«

»Ich war total sauer! Die Art, wie er mit dir gesprochen hat! Ich hab ernsthaft darüber nachgedacht, ihm mit meiner Handtasche eins überzuziehen und ihm zu sagen, dass er nicht so verdammt unverschämt sein soll.«

»Nett von dir. Wenn du dich nicht eingemischt hättest, würde er mich wahrscheinlich immer noch anschreien.«

»Ich war allerdings nicht vollkommen selbstlos, wenn ich ehrlich sein soll«, sagt Kim. »Ich bin eigentlich nur reingekommen, weil ich etwas für meine Handys brauchte, aber dann habe ich dich erkannt.«

Anscheinend hast du dich verhört. »Du hast mich erkannt?«

Kim nickt. »Du hattest doch so einen YouTube-Kanal, stimmt’s?«

Du blinzelst. »Vor langer Zeit«, sagst du. »Ich bin überrascht, dass sich jemand daran erinnert.«

»Du warst einfach umwerfend!«, ruft Kim begeistert. »Du weißt so viel über die ganze Elektronik und übers Hacken … und das Entschlüsseln von Dateien?«

Du musterst Kim aus verengten Augen. »Ich glaube nicht, dass ich Folgen über Entschlüsselung gemacht habe.«

»Aber du hättest es tun können, wenn du gewollt hättest, stimmt’s?«

Du zuckst mit den Achseln. »Vielleicht. Keine Ahnung.«

Kim neigt den Kopf, und ihr Blick wird noch intensiver. »Weißt du das wirklich nicht? Oder sagst du das nur, weil uns in diesem patriarchalen System die Männer einreden, an unseren Fähigkeiten zu zweifeln?«

»Was? Was haben denn die Männer damit zu tun?«

Kim atmet aus und schüttelt den Kopf. »Hör zu, tut mir leid, dass ich es jetzt gerade so eilig habe, aber ich brauche wirklich deine Hilfe. Auf diesem Gerät hier befindet sich eine verschlüsselte Datei. Ein Link darauf stand in einem Kommentar unter meinem letzten Selfie, und ich muss wissen, ob sie wirklich die Informationen enthält, die ich vermute. Ist es irgendwie möglich, dass du es dir ansiehst und schaust, was du findest?«

Sie streckt es dir hin, und instinktiv nimmst du das Ding, das sie dir gibt, entgegen. Es ist ein Prepaid- Wegwerf-Handy, das aussieht, als hätte es den Krieg überlebt. Komplett verkratzt und stellenweise provisorisch zusammengeklebt.

Kim registriert, dass du dir das Handy genau ansiehst, und schüttelt bedauernd den Kopf. »Die Regierung macht es mir sehr schwer, Selfies zu posten, ohne meine geogetaggte Position preiszugeben. Sie machen uns überhaupt das Schießen von Selfies sehr schwer, LOL. Ich habe ein paar alte Handys, die wir frisieren, aber es ist nicht leicht, sie am Laufen zu halten.«

»Wir?«

Kim zuckt mit den Achseln. »Ich und meine … Freunde.«

»Und das hier hast du selber frisiert?«

»Wahrscheinlich könntest du es besser. Ich muss noch viel lernen. Weißt du, ich musste kreativ werden. Ich war immer schon sehr anpassungsfähig, aber ich hätte nie gedacht, dass ich je ein Profi in den sozialen Medien werden würde. Doch dann war ich gezwungen, eine Marke zu schützen, die von einem Mann in Gefahr gebracht worden war. Manchmal zwingen einen eben Dinge, die sich der eigenen Kontrolle entziehen, über sich hinauszuwachsen.«

Du spürst ihren Schmerz hinter den einfachen Worten. Früher war sie so berühmt gewesen. So allgegenwärtig. Und jetzt war ihre gesamte Existenz illegal. Früher hatte sie das öffentliche Leben geprägt, Kardashian war in aller Munde gewesen. Aber die Welt war eine andere geworden. Ohne Kim und ihren ständigen Zugriff auf die sozialen Netzwerke hatte sich alles verändert, war kaputtgegangen. Du siehst, dass der Stress ihres jetzigen Lebens Spuren hinterlassen hat, ein Leben, das vom Blitzlichtgewitter der Kameras in den Schatten gedrängt wurde. Keiner konnte wohl nachvollziehen, wie sie sich fühlte. Sie war ganz weit oben gewesen, gewohnt, alles zu bekommen, was sie sich wünschte, alles tun, überall hingehen zu können. Und jetzt führt sie ein Leben auf der Flucht. Immer im Verborgenen. Du hast die Berichte über Razzien gelesen, die nach anonymen Hinweisen an Orten durchgeführt wurden, an denen sie angeblich gesehen wurde. Doch jedes Mal hat man sie um ein paar Stunden verpasst. Wie das wohl war? Du willst sie fragen. Du willst mehr darüber herausfinden.

»Ich muss los«, sagt Kim jetzt bedauernd. »Ich hab mich wirklich gefreut, dich kennenzulernen, und es tut mir leid, dass ich dich hier so überfalle. Aber ich brauche eben dringend deine Hilfe. Ist das okay? Kann ich dir vertrauen?«

NEIN, schreit dein Verstand. Dein Freund wird dich umbringen. »Ja«, sagt dein Mund.

Kim lächelt. Du spürst ein kleines Feuer in deinem Herzen und bist den Tränen nah, weißt aber nicht, wieso. Sie wendet sich ab, um zu gehen. Dann bleibt sie noch mal stehen.

»Es tut mir leid, dass dein Job hier so schlimm ist«, sagt sie. »Aber gib die Hoffnung nicht auf, okay? An sich selbst zu glauben ist harte Arbeit, und sie legen uns immer mehr Steine in den Weg. Aber es ist die Sache wert. Das kann ich dir versprechen.«

Du verstehst nicht richtig, was sie damit meint, und willst gerade nachhaken, als du ein Geräusch hinter dir hörst. Es ist der Wachmann, der dir mit der Taschenlampe direkt ins Gesicht leuchtet. Du hältst dir die Hand vor die Augen.

Dann drehst du dich wieder um und stellst fest, dass Kim verschwunden ist, nur die Schatten sind geblieben.

»Sie immer noch hier?«, sagt der Wachmann und schlendert zu dir hinüber.

»Ja, mache gerade eine Inventarliste für meinen Boss. Sie wissen ja, wie das ist!«, trällerst du, etwas zu fröhlich.

»Sind Sie allein?«, fragt er und späht in die Dunkelheit hinter dir. »Dachte, ich hätte hier Stimmen gehört.«

»Hmm, ja, das war nur ich. Ich habe ein bisschen mit mir selbst geredet, weil ich so gelangweilt und einsam hier hinten war.«

Es fällt dir schwer, Autoritätspersonen anzulügen. Aber ist so ein Wachmann überhaupt eine Autoritätsperson? Er ist ein Mann. Ein alter Mann. Er sieht nicht aus, als ob er wirklich für Ordnung und Sicherheit sorgen könnte. Er hat eine Taschenlampe und eine offiziell aussehende Uniform, aber eigentlich ist das nur ein Outfit, und er macht bloß seinen Job. Du könntest ihm mit Leichtigkeit davonlaufen. Aber es fällt dir trotzdem schwer, jemanden wie ihn anzulügen.

»Jedenfalls bin ich jetzt fertig und gehe nach Hause«, fährst du fort.

»Gelangweilt und einsam?« Er schaut dich misstrauisch an und nickt vor sich hin. Oder vielleicht mustert er dich auch einfach nur. Dann wendet er sich ab und schlurft davon.

Vor wenigen Minuten hast du dich ganz ruhig und vernünftig mit der gefährlichsten Verbrecherin des Landes unterhalten, dem Staatsfeind Nummer eins auf der Flucht. Und das war gut gewesen. Es hat dir sogar Spaß gemacht. Und dann stellt dir dieser alte, abgewrackte Wachmann eine Frage, und du erstarrst vor Schreck.

Was ist verdammt noch mal nur los mit dir?

Du wachst ganz plötzlich und voller Panik auf, ringst nach Luft und schlägst wild um dich. Schnell stellst du fest, dass keiner versucht, dich umzubringen, keiner hinter dir her ist, nichts passiert und alles in Ordnung ist. Dann versuchst du, deine Atmung zu beruhigen und dein wahnsinniges Herzklopfen in den Griff zu kriegen. Das kommt in der letzten Zeit immer häufiger vor. Du wachst mit dem Gefühl auf, dass jemand dich angreift, und du hast keine Ahnung warum. Als ob zwei Teile deines Selbst im Augenblick nicht miteinander sprächen. Dieses vage Gefühl, dass dein Herz weiß, dass irgendetwas falsch läuft, dein Hirn aber keine Ahnung hat, was es sein könnte. Aber es ist alles in Ordnung. Du bist in deinem Zimmer. Du bist allein. Es ist Morgen. Du kannst dich nicht erinnern, ob dein Freund da war, als du gestern Abend vor Erschöpfung eingeschlafen bist, aber jetzt ist er definitiv nicht da.

Dein Herz pocht immer noch wie verrückt. Was hast du nur geträumt? Es war entsetzlich, was immer es war. Du kannst dich nur noch daran erinnern, dass es um ein Treffen mit Kim Kardashian ging.

Warte.

Dein Rucksack liegt auf dem Boden neben dem Bett. Du beugst dich vor und ziehst ihn zu dir herüber, legst ihn auf deinen Schoß. Wenn du in deinem Rucksack kein illegales Handy hast, dann war es eindeutig ein Traum. Du kramst darin herum und findest ein Gerät, das nicht dir gehört. Du lässt dich in die Kissen zurücksinken. Die Einzelheiten des gestrigen Abends kommen dir langsam wieder in den Sinn.

Kim Kardashian hat dich wiedererkannt. Hat ganz konkret um deine Hilfe gebeten. Was irre ist, denn so toll du deinen YouTube-Kanal damals auch fandest, letztlich hast du dich damit lange Zeit nur selbst gequält. Du hast wirklich gern über Elektronik und Software und das Darknet und so weiter gesprochen. Es hat dir Spaß gemacht, mehr über diese Themen zu erfahren und dir Methoden auszudenken, wie du deine Kenntnisse deinen Zuhörern vermitteln konntest. Zuerst war es dir irgendwie peinlich, dich selbst zu filmen und zu sehen, wie du aussahst, wie du klangst. Aber dann dachtest du eigentlich an nichts anderes mehr, als daran, deine Folge fertigzustellen, an den zeitlichen Rhythmus, in dem du deine verschiedenen Beiträge veröffentlichtest. Der Stress, ob du auf dem Bildschirm doof oder hässlich aussahst, war wie weggeblasen. Weil es dir einfach so viel Spaß gemacht hat.

Na ja, meistens jedenfalls. Da du als Frau im Internet über Elektronik sprachst, warst du einem ständigen Sperrfeuer männlicher Kritik ausgesetzt, die dir erklärten, wie es #eigentlich gehen würde. Die Leute haben dich aus vielerlei Gründen gehasst. Sie behaupteten, dass du keine Ahnung von der Materie hättest, du hässlich seiest und deine Filmchen nicht sehenswert seien. Das musstest du erst einmal verdauen. Du hast versucht, dich trotzdem durchzubeißen, aber irgendwann hast du eben doch an dir selbst gezweifelt. Und dann, eines Tages, wurde es dir einfach zu viel. Du konntest es nicht mehr ertragen, also hast du aufgehört. Ein paar deiner Fähigkeiten kannst du in deinem Job bei Best Buy durchaus nutzen. Der Job ist nicht so kreativ wie dein YouTube-Kanal, aber zumindest musst du dir jetzt keine gehässigen Kommentare mehr durchlesen. Trotzdem: So viel hat sich eigentlich gar nicht geändert. Die Leute halten dich immer noch für eine inkompetente Null und erzählen dir, wie es #eigentlich geht. Dein Boss unterbricht dich ständig und macht dich vor den Kunden runter. Die Kunden erklären dir jetzt persönlich, wie es besser ginge. Entweder weil du eine Frau bist oder weil sie einen Artikel zu irgendeinem Thema gelesen haben und sich daher für Experten halten.

Jetzt drehst du das Handy in deinen Händen, untersuchst es, um zu sehen, was Kim damit gemacht hat. Es ist schlampig zusammengebaut – Teile passen nicht zusammen, überall ist Kleber, aber das Ergebnis ist durchaus funktionstüchtig. Sie hatte es auseinandergenommen, hatte ein paar Ersatzteile aus anderen Handys eingebaut, ein Loch in die Vorderseite des Gehäuses gebohrt und wieder alles zusammengeklebt. Aber wie war es ihr gelungen, dort eine zweite Kamera einzubauen, fragst du dich. Eigentlich gab es dafür gar keinen Platz. Was hatte sie ausgebaut, um den Raum zu schaffen? Vielleicht hatte sie einen kleineren Akku eingesetzt? Aber dann untersuchst du den hinteren Teil etwas näher – und es fällt dir wie Schuppen von den Augen: Sie hatte die Hauptkamera ausgebaut und einfach umgedreht. Genial und teuflisch zugleich.

Zum einen musste sie dadurch keinen kleineren Akku mit geringerer Lebensdauer einsetzen. Außerdem ließ es sich leichter handhaben, denn es nutzte im Grunde alle gewohnten Handyfunktionen, nur eben ein bisschen anders als sonst. Das Resultat war eine hervorragende Kamera, deren hochauflösendes Objektiv für Selfies genutzt werden konnte! Ausschließlich! Man konnte gar keine normalen Fotos mehr damit machen. Das Teil war nicht nur illegal, sondern auch ein gigantisches »Fuck you« an die Regierung mit der Botschaft: Ich werde nicht nur Selfies machen, ich werde NUR NOCH Selfies machen!

Du sitzt da und denkst nach. Der Umbau muss ganz schön aufwendig gewesen sein. Viel Arbeit und kompliziert dazu. Sogar Kim selbst riskiert es nur gelegentlich, ein Selfie online zu stellen. Du erinnerst dich in diesem Jahr höchstens an vier oder fünf. Fast nichts. Besonders im Vergleich zu ihrer früheren Arbeit. Aber trotzdem hat sie jede Menge Zeit und Energie in den Umbau dieses Selfie-Handys investiert. Du fragst dich, wie viele Selfies sie wohl schießt – im Vergleich zu den wenigen, die sie postet. Du stellst dir vor, dass sie alle auf irgendeinem Server gespeichert sind, alle in einer Reihe wie eine Armee, die auf den Marschbefehl wartet, bereit zuzuschlagen und in jedem Augenblick kampflustig.

Das Bild ist so lächerlich, dass du fast lauthals LOLst. Du greifst in deinen Rucksack und holst dein Laptop heraus. Kurz zögerst du und überlegst, ob du das hier wirklich tun solltest. Kim Kardashian ist eine Kriminelle. Eine Kriminelle, der dein Freund auf den Fersen ist. Er würde dich umbringen, wenn er wüsste, dass du Kontakt zu ihr hast, ganz zu schweigen davon, was er sagen würde, wenn er wüsste, dass du ihr hilfst.

Aber Moment! Hilfst du ihr denn überhaupt? Noch nicht. Beziehungsweise wahrscheinlich zuletzt gar nicht. Du bist nur neugierig, willst dir diese Datei ansehen. Wahrscheinlich kannst du sowieso nichts damit anfangen. Du betrachtest die Sache eher als technische Herausforderung. Vielleicht findest du ja irgendeine nützliche Information, die du an deinen Freund weitergeben kannst. Dann wäre er stolz auf dich. Tief im Innern weißt du, dass du dich selbst belügst, wenn du glaubst, dass du Kim verraten würdest. Trotzdem tust du so als ob, schiebst das Haar hinters Ohr und verbindest das Handy mit deinem Laptop. Du fängst an zu tippen und das System nach der einen fraglichen Datei zu durchforsten.

Du scannst das Handy und findest eine Datei mit ein paar Bildern. Kims Selfies, wie sich herausstellt. Du kommst dir ganz komisch vor, als du sie dir ansiehst. Zum einen, weil sie nicht existieren sollten. Zum zweiten, weil du das Gefühl hast, in ihre Privatsphäre einzudringen. Diese Selfies hat sie aufgenommen, um das Beste davon irgendwann zu posten. Sie sieht auf jedem der Fotos umwerfend aus; wie kann sie da eine Auswahl treffen? Du schaust sie durch, suchst nach den Unterschieden. Eine leichte Neigung des Kopfes, ihr Mund offen oder geschlossen, ihre Zunge sichtbar oder nicht, der Blick weicher oder intensiver. Es sind Kleinigkeiten, Details. Aber was spielen die schon für eine Rolle? Das alles kommt dir blöd vor. Wie Zeitverschwendung. Wie kann man es nur ertragen, sich selbst so häufig anzusehen. Vielleicht ist es ja anders, wenn man so hübsch ist wie Kim Kardashian. Du selbst könntest das nie.

Schließlich findest du die fragliche Datei. Sie sieht aus wie eine Bilddatei, lässt sich aber nicht hochladen. Du öffnest sie in einem Texteditor und siehst, dass es nur eine Folge von Buchstaben und Zahlen ist, die sich als Bilddatei tarnt. Das kann alles Mögliche sein.

Du recherchierst über Verschlüsselungsmethoden, lädst verschiedene heuristische Programme herunter, die von Nutzen sein könnten. Du vergisst die Welt um dich herum, es bleiben nur noch du selbst und dieses Puzzle, das du lösen musst. Du probierst verschiedene Methoden, unterschiedliche Ideen aus. Immer wieder glaubst du, dass du es gleich hast, und immer wieder hast du dich getäuscht. Dein Herz rast. Das alles macht dir großen Spaß. Das hier hast du früher geliebt – die Kreativität der Technologie. Der künstlerische Prozess, der darin besteht, gleichzeitig etwas zu lernen und ein Problem zu lösen.

Du bleibst stundenlang über deinem Laptop kauernd im Bett. Du vergisst, zu duschen, zu essen und was du sonst noch für den restlichen Tag geplant hattest. Und dann, endlich, urplötzlich, hast du es raus. Ein falscher Befehl, als du versucht hast, eine Dechiffrier-Methode umzukehren, enthüllt dir einen Teil des Textes. Diesen Faden nimmst du auf und ziehst daran, vorsichtig, langsam, und dann zeigt sich dir des Rätsels Lösung. Es ist ein Ort, geografische Koordinaten und ein spezifischer Zeitpunkt. Du hast keine Ahnung, was diese Information bedeutet oder warum sie wichtig ist, aber wahrscheinlich kann Kim was damit anfangen.

Du lehnst dich zurück und bist echt zufrieden mit dir. Du hast die Information, die Kim Kardashian braucht. Sie hat dich um Hilfe gebeten, und du hast ihr wirklich weiterhelfen können. Okay, bleibt immer noch die Tatsache, dass du ins Gefängnis wanderst, wenn jemand es herausfindet, aber egal. Trotzdem irgendwie ein cooler Tag. Du musst ein bisschen darüber nachdenken, was du jetzt mit dieser Information anfangen willst. Aber wenn du ehrlich bist, willst du wissen, wo dieser Weg hinführt. Aber bist du wirklich bereit dazu? Deinen Freund so zu betrügen, deine Regierung, dein Land?

Du siehst auf die Uhr, merkst, wie spät es ist, und beschließt, diese Überlegungen auf später zu verschieben. Du löschst sämtliche Daten und legst alles auf den Boden, nimmst dir ein Handtuch und sprintest unter die Dusche. Bald musst du auf der Arbeit sein. Man sollte sich eines merken: versuche gar nicht erst, glücklich zu sein, denn irgendwas holt dich immer ziemlich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und beweist dir das Gegenteil.

Nach der Dusche bürstest du dir das Haar und wirfst zufällig in dem beschlagenen Spiegel einen Blick auf dich selbst. Du zuckst zusammen, als hättest du einen Geist gesehen. Du wischst über das Glas, um dich besser erkennen zu können. Du stehst da, siehst dich an und erkennst dich kaum. Normalerweise schaust du schon gar nicht mehr in den Spiegel. Zumindest nicht, solange du es vermeiden kannst. Du hasst dein Aussehen. Welchen Sinn hätte es also, dir den Tag zu versauen und nur zu bestätigen, was du sowieso über dich weißt?

Du hast die Tipps aus den Instagram-Make-up-Filtern ausprobiert, und ein bisschen haben die geholfen, aber nicht wirklich. Es reicht einfach nicht. Du bist noch nicht mal sicher, ob du es richtig machst. Es gibtYouTube-Tutorials, die einem beibringen sollen, wie man die Schminke am besten aufträgt … Du hast sie noch nicht abonniert, aber tief im Innern hast du das Gefühl, dass du es tun solltest.

Du gibst den Versuch, dich vernünftig zu kämmen und herzurichten, auf und kehrst in dein Schlafzimmer zurück. Dein Herz springt dir sofort aus der Brust, denn Hi! Da steht dein Freund, mitten in deinem Zimmer, in der Hand das Handy, das Kim dir gegeben hat.

»Äh, hi?«, sagst du, und deine Stimme klingt kleinlauter und unsicherer als beabsichtigt.

Dein Freund sieht dich an, aber das sind nicht seine Augen. »Wir müssen reden«, sagt er, und das ist nicht seine Stimme.

»Okay«, sagst du, setzt dich auf die Bettkante und wartest. Du hast ein Problem. Ein – Riesen – Großes – Problem.

»Woher hast du das?«, fragt er in einem kalten Ton.

Du willst seine Frage nicht hundertprozentig beantworten, aber du ahnst, dass eure Beziehung jetzt an einem Wendepunkt angelangt ist.

»Was tust du hier?«, fragst du.

»Ich habe dich gefragt, wo du das herhast.«

»Warum durchwühlst du meine Klamotten?«

Du siehst, dass sein Kinn zittert. »Ich wollte dich überraschen, deshalb bin ich nach Hause gekommen. Dann hab ich gesehen, dass du unter der Dusche warst, also habe ich hier auf dich warten wollen, und da hab ich das hier entdeckt« – er hält dir das Handy geradewegs ins Gesicht – »auf dem Boden. Ich habe es also aufgehoben, um es mir näher anzusehen, und jetzt muss ich fragen. Woher hast du das?«

Du spürst, wie jede einzelne Zelle in deinem Körper bebt. Wie redet er denn mit dir? Was hat das zu bedeuten? Im Geiste gehst du bestimmt zwanzig verschiedene Lügen durch, die du ihm präsentieren könntest, aber alle klingen schrecklich. Außerdem: Er ist dein Freund. Seit wann lügst du ihn an?

»Aus dem Laden«, antwortest du.

»Du hast es im Laden gefunden? Wann? Oder hat es dir jemand gegeben? Wer?« Das hier ist kein Gespräch. Das ist ein Verhör.

»So ungefähr. Na ja, nicht wirklich.«

»Das hier ist ein Handy mit einer Frontkamera. Einer Frontkamera, wie man sie für Selfies benutzt! Weißt du überhaupt, wie illegal so was ist? Wenn dir das hier jemand gegeben hat, muss ich mein Team alarmieren. Ich muss sie sofort einschalten.«

»Ich …«, fängst du an, dann hältst du inne, weißt nicht, wie du weiterreden sollst, wünschst dir inständig, es hinter dir zu haben. Du willst, dass er dein Zimmer verlässt. Willst die nächsten paar Episoden deines Lebens am liebsten vorspulen. Du warst so gut drauf, als du die Datei dechiffriert hattest, und jetzt kommst du dir wie Abschaum vor, wie die mieseste, schrecklichste Person auf der Welt. Warum kannst du ihm nicht einfach sagen, wo du das Handy herhast?

»Ich wollte damit ja nichts machen«, sagst du und versuchst, beruhigend zu klingen. »Ich meine, es hat ja keine Verbindung zum Internet oder so was.«

»Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass es Gesetze gibt, Gesetze, für deren Aufrechterhaltung ich einen Eid geschworen habe. Und dann kriege ich raus, dass meine Freundin direkt vor meiner Nase mit diesem Ding …«

»Es tut mir leid!«, sagst du. »Es tut mir wirklich leid, okay? Ich habe es erst gestern mit nach Hause gebracht. Heute Abend bringe ich es zurück, und du siehst es nie wieder. Ich weiß gar nicht, was ich mir dabei gedacht habe.«

Bis jetzt keine Lügen, juchu, prima.

»Aber irgendwas musst du dir doch dabei gedacht haben?«, drängt er mich.

»Ich habe nur … war da an so einem Projekt im Laden dran. Ich habe die Einzelteile gefunden und habe angefangen, sie zusammenzupuzzeln.«

Na ja, so viel dazu. Jetzt hast du gelogen. Was bist du nur für ein furchtbarer Mensch.

Dein Freund schweigt, starrt dich an, und schließlich siehst du ihm in die Augen. Sie geben nichts preis – kein Gefühl, keine Liebe, keine Geduld. Das ist schrecklich. Wahrscheinlich hasst er dich in diesem Moment abgrundtief. Warum tust du ihm das an?

»Du hast das gemacht«, sagt er.

Du nickst.

»Du?«, fragt er zur Sicherheit noch mal nach.

»Sag mal, glaubst du mir etwa nicht?« Du hebst die Stimme; so langsam gerätst du in eine Verteidigungshaltung. Okay, technisch gesehen hast du es nicht wirklich gemacht, und dir wäre auch nie die Idee gekommen, so was zu bauen, aber ist es wirklich so abwegig oder unmöglich, dass du es hättest bauen können? Wie kommt er dazu, dir so eine Frage zu stellen?

»Was ist los mit dir?«, fragt dein Freund. »Warum tust du mir das an?«

»Was tue ich dir denn an? Du glaubst nicht, dass ich das bauen kann? Ich war mal ziemlich gut in Elektronik, wie du weißt. So haben wir uns kennengelernt.«

Dein Freund war einer der Zuschauer mit den #Eigentlich-Kommentaren. Keiner von den ganz gemeinen, natürlich. Er hat dich nicht als hässlich oder als Schlampe beschimpft. Er hat nur angemerkt, dass du nicht richtig über die Nützlichkeit von Modifikationen der Firmware am Router informiert gewesen seist. Das war zwar ärgerlich, aber vergleichsweise erheblich weniger ärgerlich als die Kommentare, die du normalerweise einstecken musstest, sodass du geantwortet und dich auf eine Diskussion mit ihm eingelassen hast. Das führte zu einem Diskussionsthread, bei dem du dich zumindest ernst genommen gefühlt hast. Und das hatte zu E-Mails geführt, und das zu einem Treffen IRL, und das wiederum zu dem ganzen Rest deines bisherigen Lebens.

Dein Freund wirkt durcheinander, hin- und hergerissen, frustriert. Du weißt, dass du ihn jetzt in die Enge gedrängt hast. »Es ist nicht so, dass ich denke, dass du dieses Handy nicht hättest hacken können«, sagt er. »Es ist nur, es ist nur …« Seine Stimme fängt an zu beben. Er hat fast Tränen in den Augen.

Was ist hier los?

»Warum hast du plötzlich das Bedürfnis, Selfies zu machen?«, fragt er. »Gefallen dir die Bilder nicht, die ich von uns mache?«

Er zittert, lässt das Handy sinken und starrt die Wand an. Oh. OH. Es geht also um verletzte Gefühle. Das ist was anderes. Das kriegst du leicht wieder hin.

»Oh, Süßer«, sagst du, läufst zu ihm und umarmst ihn fest. »Es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich liebe die Fotos, die du von uns machst. Das machst du SUPER. Sie sind besser als jedes Bild, das ich je von mir selbst machen könnte. Ich brauche keine Selfies, wirklich nicht.«

Er wischt sich die Tränen ab. »Ich versuche fast bei jedem Date mindestens ein schönes Foto von uns zu machen«, sagt er leise.

»Ja. Und ich finde sie toll«, antwortest du. Du hältst sein Gesicht in deinen Händen. »Es tut mir so leid. Ich habe auf der Arbeit einfach nur ein bisschen herumgespielt und nicht darüber nachgedacht, was das für dich bedeuten könnte. Und die Bilder, die du von mir machst, sind mir mehr als genug. Du musst dir keine Gedanken machen, okay? Ich baue das Handy wieder auseinander und lege die Einzelteile wieder zurück. Keiner wird es merken, ich versprech’s.«

Er nickt, schnieft und trocknet sich die Augen.

»Okay? Ist wieder alles in Ordnung? Es tut mir leid. Es tut mir so, so, so leid.« Du reckst dich und gibst ihm einen Kuss auf die Wange. Er sieht dich immer noch nicht an.

»Ich muss jetzt zur Arbeit«, sagst du. »Magst du mich fahren? Damit wir noch ein bisschen zusammen sind? Ich finde es schön, wenn du mich irgendwohin fährst.« Du löst dich von ihm und machst dich langsam fertig. Du nimmst ihm das Handy aus der Hand und spürst seinen Blick auf dir, als du dich so beiläufig und ausdruckslos wie möglich herunterbeugst und es in deinen Rucksack wirfst.

»Okay«, sagt er. »Klar.« Irgendwas geht in ihm vor. Er ist immer noch weit weg. Du hast das Gefühl, dass deine Liebe wie ein Seil ist. Er hängt am Ende dieses Seils an einer hohen Brücke über dem Abgrund, und du musst an deiner Liebe ziehen, Stück für Stück, um ihn wieder hochzuziehen, den ganzen Weg rauf, bis er wieder oben ist, in der Wirklichkeit, im Leben, bei dir. Das ist eine schwierige Aufgabe – jeden Augenblick kann dir die Liebe aus den Händen gleiten, und er fällt wieder runter, dann musst du wieder von vorn anfangen. Ganz schön anstrengend.

»Ich muss mich nur fertig anziehen, dann gehen wir, okay?«

Du hebst deine Kleider auf und wendest dich ab, hältst kurz inne und denkst an das Handy, das in deinem Rucksack auf dem Bett liegt. Ein Teil möchte einfach den Rucksack nehmen und damit davonlaufen, für immer. Aber das ist unrealistisch. Du wärst niemals fähig dazu.

Stunden später, nachdem du schon ein paar Stunden gearbeitet hast, motzt dich mal wieder ein männlicher Kunde mit schütterem Haar wegen irgendetwas an. Du hörst ihm gar nicht richtig zu. Du denkst immer noch über deine Unterhaltung mit deinem Freund nach und fühlst dich mies, weil es so gelaufen ist. Er hat dich zur Arbeit gefahren, und du hast dich noch Millionen Mal entschuldigt. Du hast ihn gefragt, wie sein Tag war, hast versucht, sehr interessiert und unterstützend zu reagieren, aber es nützte nichts. Du hattest die ganze Zeit das Gefühl, dass er mit den Gedanken ganz woanders ist.

Du hast ihn gefragt, ob ihr später noch zusammen abhängen und nach der Arbeit noch reden könntet, und er hat geantwortet, dass er noch ein Projekt hätte, das ihn sehr in Atem halte. Mit ausdruckslosem Blick hat er dich angeschaut, und du hattest nicht den blassesten Schimmer, was in ihm vor sich ging. Aber du wusstest, dass es an dir lag. Du hättest es ihm einfach erzählen müssen. Von Kim, von dem Handy, der Datei, einfach alles. Warum nicht reinen Tisch machen und von vorn anfangen? Ihm beweisen, dass du hundertprozentig auf seiner Seite stehst.

Andererseits war sicher sowieso bald alles vorbei, warum also hohe Wellen schlagen? Kim würde sich nach deiner Schicht noch mal reinschleichen, du würdest ihr das Handy und die Infos geben, und sie würde wieder rausschleichen – zurück in ihr illegales Selfie-Leben, während du zu deinem … Wie-auch-immer-Leben zurückkehren würdest. Zu dem hier. Einem Leben, in dem du dich von irgendwelchen Kunden anschreien lassen musst, weil ihnen dein Ton nicht passt.

Du stehst da und lässt den Zorn des Kunden über dich ergehen. Du bist wie ein Fels. Sein Zorn ist der Fluss, der dich umspült. Er kann nur eine mikroskopisch dünne Schicht ankratzen. Der Mann könnte dich jahrelang anschreien, ehe er damit irgendwelchen sichtbaren Schaden anrichten würde. Du hast eine dicke, schwielige, emotionale Hornhaut entwickelt, weil du im richtigen Leben und im Internet so oft angeschrien worden bist. Anscheinend kannst du nicht existieren – weder körperlich noch virtuell –, ohne dass die Leute ihren Frust an dir auslassen.

Ja, okay, sagst du zu dem wütenden Mann, der seit Ewigkeiten schon keine Luft mehr geholt hat. Du nickst. Ermutigst ihn. Zeigst ihm, dass du mit ihm fühlst, was du nicht tust, dass du aktiv zuhörst, was du auch nicht tust.

Das hier kann ja nicht ewig dauern. Irgendwann geht ihm die Luft aus, er beendet das Gespräch und ist dann irgendwann auf jemand anderes wütend. Hoffentlich … Obwohl der männliche Zorn an manchen Tagen gefühlt ein Fass ohne Boden zu sein scheint. Genau wie dein Job bei Best Buy. Irgendwas wird irgendwann passieren. Vielleicht findest du ja einen anderen Job? Oder vielleicht heiratest du deinen Freund, dann hast du ihn und das Haus und die Kinder, auf die du dich konzentrieren kannst. Das könnte dich vor diesem Job retten. Scheint doch ein anständiger Fluchtplan zu sein. Wirklich? Ist das dein Plan? Bei Best Buy zu arbeiten, bis du heiratest und schwanger wirst? Warum kommt dir das alles so vorprogrammiert vor? Es sollte sich nicht vorprogrammiert anfühlen, oder? Es sollte dir vorkommen, als ob du eine Wahl hättest. Aber vielleicht ist das Liebe: keine Wahl zu sehen. Nur den einen einzigen Weg für sein gesamtes, zukünftiges Leben.

Jetzt verlangt der Kunde, mit deinem Manager zu reden. Hervorragend!

»Okay. Ich hole den Manager – warten Sie hier«, sagst du und gehst.

Du durchquerst langsam den ganzen Laden, suchst nicht nach deinem Manager, suchst aber auch nicht nicht nach ihm. Das bringt eigentlich alles nichts; dieser Mann wird immer wütend auf dich sein. Du könntest es nie verhindern, außer wenn du nicht geboren worden wärest. Draußen ist es jetzt wenigstens schon mal dunkel, der Laden wird also bald schließen, und der wütende Mann muss gehen. Wenn auch im Laden im Moment mehr los zu sein scheint als normalerweise um diese Uhrzeit. Viele Männer lungern dort herum, sehen sich irgendwelche Computerspiele, Tonerkartuschen oder GPS-Geräte an. Ab und zu treffen sich ihre Blicke und wandern dann wieder zurück zu den Produkten. Wenigstens scheint keiner daran interessiert zu sein, dich anzuschreien. Man ist ja schon mit Kleinigkeiten zufrieden.

Du beschließt, wieder ins Lager zu gehen und dich zu verstecken, bis der wütende Kunde verschwunden ist. Als du den Verkaufsraum verlässt und in den Flur einbiegst, der zum Lager führt, ist jemand hinter dir, und zwar unangenehm nahe. Du drehst dich um und versuchst zurückzuweichen, aber man hat dich quasi schon überwältigt. Schwarz gekleidet, vermummt, ein Schal vor dem Gesicht.

»Entschuldigung. Hier haben nur Mitarbeiter Zutritt«, sagst du. Die Person schiebt die Kapuze zurück und zieht den Schal runter, und plötzlich siehst du das verschwörerische Lächeln von Kim Kardashian.

»Kim!« Du schreist fast, und Kims behandschuhte Hand schießt hervor und hält dir den Mund zu. Komischerweise freust du dich total, sie zu sehen. Sie nickt und schiebt dich weiter vom Verkaufsraum weg, folgt dir auf dem Fuße, ihre Hand in deinem Kreuz. Sie bestimmt, wo du hingehst, aber sanft, liebevoll, nicht aggressiv.

Hinter dem Büro bleibt sie stehen. Jetzt kann man euch vom Verkaufsraum aus nicht mehr sehen.

»Kim! Was zum Teufel tust du denn hier?«, fragst du. »Ich habe erst viel später mit dir gerechnet.«

»Sich nach Ladenschluss hier reinzuschleichen ist nicht so einfach. Außerdem sind wir ja fast mit dem Sicherheitsmann zusammengestoßen. Ich ändere meine Pläne immer wieder und versuche, niemals an zwei Tagen hintereinander das Gleiche zu tun. Außerdem hinke ich hinter meinem Zeitplan her, deshalb dachte ich, versuche ich, dich früh zu fassen zu kriegen. Aber diese Entscheidung bereue ich jetzt – ist es hier immer so voll um diese Uhrzeit?«

Du runzelst die Stirn. »Nein! Ist schon seltsam. Es ist definitiv erheblich voller als sonst.«

Kim schaut weg und denkt offensichtlich scharf nach. Du musst sie trotzdem die ganze Zeit ansehen, denn, na ja, es ist Kim Kardashian. Zum ersten Mal seit heute Morgen fühlst du dich wieder gut und sogar irgendwie entspannt, was schräg ist und eigentlich auch keinen Sinn macht. Oder liegt es einfach daran, dass diese berühmt-berüchtigte, illegale Prominente dich zwei Mal an zwei Tagen an deinem Arbeitsplatz besucht hat? Und sich das irgendwie magisch anfühlt? Nebenbei bemerkt duftet sie toll.

»Konntest du dir die Datei ansehen?«, fragt sie.

Du nickst. »Jep. Sie war eindeutig verschlüsselt. Es geht um einen Ort und einen Zeitpunkt. War nicht so megaschwer, den Code zu knacken; aber dass ich das Handy überhaupt hatte, war leider ein Problem.«

Kim zögert und wirft mir dann lächelnd einen schnellen, verständnisvollen Blick zu: »Warum? Wolltest du vielleicht doch ein Selfie schießen?«

»Nein, nein, nicht wirklich. Nur hat mein Freund mich mit dem Handy erwischt, und der hat Lunte gerochen.«

Kim zieht ein mitfühlendes Gesicht. »Tut mir leid. Freunde sind Mist, sie haben überhaupt keine Ahnung.«

»Na ja, meiner doch irgendwie. Er ist beim Geheimdienst.«

Alles Licht und alle Freude sind sofort aus Kims Gesicht weggewischt. Es bricht dir fast das Herz. »Wie bitte? Der Geheimdienst, der hinter mir her ist?«

Du nickst.

Kims Augen funkeln gefährlich, als sie sich besorgt nach dem Laden umsieht. »Du hast gesagt, dass der Laden normalerweise nicht so voll ist um diese Uhrzeit.«

»Nein. Warum? Ist das wichtig?«

»Was würdest du sagen, ist so die Durchschnittsanzahl?«

»Keine Ahnung, so drei bis vier?«

»Ich habe fünfzehn Männer gezählt. Du auch ungefähr?«

Dir fällt auf, dass es im Verkaufsraum plötzlich seltsam still geworden ist. Normalerweise kann man selbst hier hinten alle möglichen Geräusche hören: Blubbern, Piepsen, Schreien und das leise Gemurmel der Leute, die ihr vages Unbehagen mit ungezügeltem Konsum kompensieren. Aber jetzt hört man plötzlich nichts. Nur Stille.

»Hm, ich hab die Männer nicht gezählt. Ich versuche, nicht mehr als nötig über Männer nachzudenken.«