Imprint: Außer Kontrolle - Katrin Fölck - E-Book

Imprint: Außer Kontrolle E-Book

Katrin Fölck

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Beschreibung

Körperlich unversehrt kehrt er von seinem Einsatz in Afghanistan zurück. Doch der Schein trügt. Während anfangs Schlafstörungen und Albträume sein Leben bestimmen, von denen er glaubt, dass sie normale Reaktionen auf die von ihm gemachten Erlebnisse sind und mit der Zeit von selbst wieder verschwinden, läuft es zunehmend aus der Bahn. Bald hat er es nicht mehr im Griff. Er gerät außer Kontrolle und wird selbst zur Gefahr.

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Imprint: Außer Kontrolle

Copyright: Katrin Fölck © 2015

Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN: 978-3-7375-8116-5

Titelbild: © Aundre Larrow

Katrin Fölck

Außer Kontrolle

1

Jemand steht da, unten auf der Straße, außerhalb des Lichtkegels der Straßenlaterne. Scheinbar von der Person so beabsichtigt, hält sie sich etwas abseits. Zudem ist sie dunkel gekleidet.

Ich kann sie dennoch sehen.

Und zwar immer dann, wenn sie kurzzeitig in den Lichtschein eines vorüber fahrenden Autos gerät.

Da Neuschnee gefallen ist, löst sie sich auch deswegen schon vom dunklen Hintergrund heraus.

Die Gestalt verharrt regungslos. Scheint auf etwas oder jemanden zu warten. Und das bereits seit einer geraumen Weile.

Ich weiß das daher, weil ich sie, aus dem Dunklen heraus, hinter der Gardine meines Wohnzimmerfensters stehend, beobachte. Und dies auch schon seit einiger Zeit.

Nichts verrät mich dabei. Kein Wackeln des Stoffes, kein Luftsog, kein Lichtschein.

Der Größe und dem Umfang nach zu urteilen, ist es ein Mann, der da ab und an ein paar Schritte hin und her geht, seine Hände aneinander reibt oder sie an den Mund führt und hineinpustet, um sie dadurch mit der verbrauchten, aber angewärmten Atemluft etwas zu wärmen. Immer dann, wenn er das tut, steigen kleine Wölkchen empor.

Ich habe genug gesehen und löse mich wieder vom Fenster. Vorerst wechsle ich die Räumlichkeit.

Die Vorderseite meiner Wohnung, welche zur Straße hinführt, würde heute dunkel bleiben. Ich würde später noch mal nachsehen.

Der Mann unten auf der Straße merkt nichts davon, von mir beobachtet zu werden.

Es würde ihm nicht einmal in den Sinn kommen.

Aus welchem Grund auch?

Wie immer donnerstags hatte er sich mit seinen Freunden zum Skatspielen getroffen. Nur hatte es heute etwas länger gedauert, so dass er den letzten Bus nehmen musste, um nach Hause zu kommen.

2

Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, das passiert.

Doch, dass sich so gar nichts tut, macht mich unsicher, bringt mich erst auf den Plan.

Jeder Andere wäre jetzt beruhigt.

Für mich macht es die Sache nur verdächtiger.

Ich wittere Gefahr.

Als ich abermals einen Blick nach unten wage, ist die Straße leer. Der Mann fort.

Das macht mich erst richtig kirre, zumal ich mich da bereits frage, warum der Mann dort gestanden hat und wohin er gegangen ist. Und ob für diesen nun ein anderer gekommen war…

Am Morgen erst hatte es lange an meiner Wohnungstür geklingelt. Das fand ich schon aus dem Grund seltsam, da niemand außer meiner Familie von meinem Umzug wusste.

Ich habe die ganze Zeit hinter der Tür gestanden und durch den Türspion gesehen, aber nicht geöffnet, weil ich den, der davor stand, nicht kannte.

Ich frage mich, ob das bereits eine beginnende Paranoia ist, da selbst Nadine, meine Frau, sagt,

dass ich immer wunderlicher werde…

Mein Messer, welches ich für den Fall der Fälle immer griffbereit am Kopfende meines Bettes zwischen Holz und Matratze versteckt halte, ist neuerdings genau so wenig auffindbar wie eines meiner Lieblingsshirts. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, wo diese Dinge abgeblieben sind.

Natürlich sind in letzter Zeit immer wieder mal ein paar einzelne Socken beim Wäschewaschen verloren gegangen, aber ein ganzes Shirt?

Unmöglich…

So haben es gerade diese, für jemand Anderen unbestreitbar äußerst unspektakulären, Geschehnisse geschafft, mich aus meiner Lethargie zu reißen, in die ich verfallen war.

An und für sich ist es mir mittlerweile ganz und gar schleierhaft, wie ich mich habe so lange hängen lassen können …

Doch spätestens jetzt bin ich alarmiert. Mein Instinkt sagt mir, auf der Hut zu sein.

Und das fällt mir nicht sonderlich schwer, schließlich bin ich Soldat und habe sechs Monate in Afghanistan überlebt.

3

Meine Eltern sind wenig begeistert, als ich ihnen davon erzähle, nach Afghanistan zu gehen. Und dass ich mich auch noch freiwillig für den Einsatz gemeldet habe, ist ihnen schier unbegreiflich.

„Wie ich mich aus freien Stücken in Gefahr bringen könne… Ich hätte doch eine Frau und einen kleinen Jungen… Natürlich wäre ich Soldat, aber deswegen müsse ich doch nicht freiwillig in anderer Herren Länder Krieg ziehen…“ ist in etwa das, was ich so über mich ergehen lassen muss.

Meine Beschwichtigungen, nicht der Einzige zu sein, der dorthin ginge, weil wir den Menschen dort helfen müssten, stoßen ebenso auf Unverständnis wie meine Erklärung, dass ich es ja auch des Geldes wegen tue, um meiner kleinen Familie etwas bieten zu können. Außerdem will ich meine Grenzen ausloten und auch beruflich weiterkommen.

Natürlich ist mir klar, dass meine Familie Angst davor hat, dass mir etwas passieren könnte.

Die habe ich auch. Dennoch lasse ich mich nicht mehr von meinem Vorhaben abbringen. Außerdem werden wir schon Wochen vor dem Einsatz auf mögliche Extremsituationen, mit denen wir im Einsatz konfrontiert werden könnten, vorbereitet.

Am Hindukusch angekommen, holt uns die Realität jedoch schneller ein, als gedacht. Noch mit der Illusion im Kopf, als Helfer in dieses Land gekommen zu sein, werden wir schnell vom Gegenteil überzeugt. Hass und Ablehnung schlagen uns, den unerwünschten Eindringlingen, entgegen. Immer wieder gibt es Zwischenfälle und Angriffe auf uns. Doch ebenso verstörend und befremdlich sind für uns Europäer die vorherrschenden Bedingungen und Gegebenheiten in diesem Land. Wir fühlen uns nahezu ins Mittelalter zurückversetzt und dies nicht nur des unterentwickelten Lebensstandards wegen.

Der eigenwilligen Schönheit der Landschaft stehen die bitterste Armut der Menschen, blühender Drogenhandel und Korruption entgegen.

Unverständlich für uns auch der Anblick der Frauen in ihren Burkas.

Verhüllt. Unsichtbar gemacht.

Wert- und würdelos. Ohne jegliches Recht.

Schockierend, zu wissen, dass hier bereits Mädchen im Alter von zwölf Jahren zwangsverheiratet werden, und es ein offenes Geheimnis ist, dass viele von ihnen noch jünger sind und die zukünftigen Ehemänner oft selbst mehr als dreimal älter als die Braut.

Wir haben davon gehört, dass Männer ihre Ehefrauen durch Schläge gefügig machen, um sie zur Prostitution zu zwingen. Dass Frauen überdies auch von allen anderen Familienangehörigen des Ehemannes geschlagen, gedemütigt und misshandelt würden und falls sie versuchten, aus ihrer Ehehölle zu entkommen und flohen, ihre Bestrafung von Steinigung bis zu Gefängnis reichten.

Und, als wäre dies nicht alles schon schlimm und unvorstellbar genug, gäbe es Ehemänner, welche ihren Frauen Ohren und Nase abschnitten oder sie mit Säure übergossen, um sie zu bestrafen und öffentlich bloßzustellen und ihnen somit die Chance auf ein nahezu normales Leben nahmen.

Man erzählte uns vom „Bacha Bazi“, dem so genannten Knabenspiel, dass seit Jahrhunderten Tradition in diesem Land sei, wo vermögende und einflussreiche Männer sich mit elf- bis sechzehnjährigen Jungen umgeben und sie dann für etwas Geld und Geschenke für sich tanzen ließen, es jedoch nicht beim Tanzen bliebe…

Für uns als Europäer ist das alles nur sehr schwer greifbar. Und doch ist es hier allgegenwärtige Praxis. Unvorstellbar für jemanden, der aus einem Land kommt, in dem Werte wie Selbstbestimmung, Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung von Mann und Frau selbstverständlich sind.

Die ständige Angst, auf unseren Patrouillenfahrten angegriffen zu werden oder in einen Hinterhalt zu geraten, durch Sprengfallen oder Selbstmordattentäter umzukommen, tut ihr Übriges, mich bald am Erfolg der Mission zweifeln zu lassen.

In den Briefen, die ich nach Hause schicke, schreibe ich nichts von all dem. Meine Familie halte ich in dem Glauben, dass alles in Ordnung ist.

Die Gefahren spiele ich herunter.

Genauso handhabe ich es bei den Anrufen. Da diese teuer sind, beschränke ich mich bei den Themen meist auf Oberflächlichkeiten und Nachfragen zur Gesundheit und zu unserem Kleinen.

Von dem hier Erlebten werde ich ihnen nie erzählen, und auch nicht über die Zwischenfälle, bei denen ich Glück hatte, mit meinem Leben davongekommen zu sein.

4

Wir sind erstaunt darüber, dass sich nach all der Zeit, die seit der fast ein Jahrzehnt andauernden russischen Intervention vergangen ist, immer noch Spuren davon zu finden sind. Die zerstörten oder ausgebrannten Panzer, welche die Straßen vom Flughafen in Kabul zu unserem Lager säumen, zeugen davon.

Die heute hier vorherrschenden Bedingungen zeigen sich uns das erste Mal nach gut zwei Wochen Aufenthalt, als sich ein Selbstmordattentäter auf einem gut frequentierten Marktplatz in der nahe gelegenen Provinzstadt in einem Lkw in die Luft sprengt.

Neben einem hohen Regierungsvertreter, der sich anlässlich der bevorstehenden Hochzeit eines seiner Cousins vor Ort aufhält, und seinen Leibwächtern werden dreißig weitere unschuldige Menschen in den Tod gerissen und vierzehn verletzt. Darunter viele Frauen und Kinder.

Obwohl wir nicht unmittelbar bei diesem feigen Anschlag zugegen sind, sondern erst etwa zwanzig Minuten später eintreffen, sind wir vom Anblick, der sich uns bietet, schockiert und betroffen.

Der Selbstmordattentäter hat ganze Arbeit geleistet: Mehrere Autos, Häuser und einige der Marktstände im Umfeld werden völlig zerstört oder beschädigt. Auf der Straße, wo der Attentäter seinen Lastkraftwagen geparkt und die Bombe gezündet hatte, klafft ein Loch.

Ziegelsteine, Blut und Leichenteile überall. Und über allem dieser penetrante Geruch von Blut und verbranntem Fleisch, der sich in der Nase festsetzt.

Ein wahrer Albtraum.

Diese Bilder und den Geruch vergisst man im ganzen Leben nie mehr. Sie brennen sich bis ins Mark ein.

5

Es ist Mitternacht und stockdunkel, als wir uns auf den Rückweg zu unserem Lager machen. Wir sind müde, abgekämpft. Die Hitze hat uns den Rest gegeben.

Mit unseren Blicken tasten wir die Umgebung ab, immer darauf gefasst, in einen möglichen Hinterhalt zu geraten. Wir kennen die Gegend bereits in- und auswendig, auch die Stellen, die es dem Feind leicht machen würden, uns aufzulauern und anzugreifen. Doch gerade dies stellt uns immer wieder aufs Neue vor die Herausforderung, nicht nachlässig zu werden.

Nachdem wir die ersten Kilometer zurückgelegt haben, kommen wir in die Nähe einer Siedlung.

Links und rechts der Straße befinden sich die Felder der Bauern. Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, unsere ganze Aufmerksamkeit auf das Gebiet zu lenken.

Langsam durchfahren wir das Dorf.

Mehrere Hunde bellen. Ansonsten ist alles ruhig.

Es geht weiter, wieder ins offene Gelände. Aufgrund der schwierigen Bodenverhältnisse haben wir etwas den Anschluss an die vor uns Fahrenden verloren.

Der Untergrund ist schwierig. Mal ist der Boden hart und steinig, dann wieder sandig und staubig oder mit tiefen Spurrinnen durchzogen, die dann die Fahrzeuge mächtig schaukeln lassen.

Khaled Bakhtari, einer der befreundeten afghanischen Aufklärer, gerät kurz in unser Blickfeld. Während wir aus einer tiefen Bodenwelle wieder auftauchen, wird er vom Licht der Scheinwerfer unseres Fahrzeugs erfasst. Von diesem angestrahlt, erkennen wir, wie er wild mit den Armen fuchtelt und dem neben ihm sitzenden Abdul Jawed etwas zuruft, was aber wegen der lauten Motorengeräusche nicht zu verstehen ist.