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Harlan Coben

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Beschreibung

Fünfzehn Jahre ist es her, dass Detective Nap Dumas seinen Zwillingsbruder Leo verlor. Damals wurden Leo und dessen Freundin Diana unter mysteriösen Umständen tot auf den Eisenbahngleisen ihrer Heimatstadt in New Jersey gefunden. Damals verschwand auch Maura, Naps große Liebe, ohne ein Wort des Abschieds. Als jetzt im Wagen eines Mordverdächtigen Mauras Fingerabdrücke auftauchen, hofft Nap, endlich Antworten zu bekommen. Doch stattdessen stößt er nur auf immer neue Fragen: über die Frau, die er einst liebte, über eine verlassene Militärbasis und vor allem über Leo und Diana. Denn die Gründe, warum sie sterben mussten, sind dunkel und gefährlich ...

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Seitenzahl: 480

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Buch

An einem eigentlich ganz normalen Tag im letzten Jahr der Highschool verändert sich Nap Dumas’ Leben für immer: Im Morgengrauen werden die Leichen eines jungen Paares auf den Eisenbahngleisen der Kleinstadt gefunden. Es handelt sich um Naps geliebten Zwillingsbruder Leo und dessen Freundin Diana. Die genauen Umstände ihres Todes bleiben rätselhaft. Und das ist nicht der einzige schwere Verlust, den Nap in dieser furchtbaren Nacht erleidet. Auch seine große Liebe Maura verschwindet spurlos; nur in einer kurzen Textnachricht lässt sie ihn wissen, dass er nicht nach ihr suchen soll.

Fünfzehn Jahre später glaubt Nap, das Trauma seiner Jugend endlich überwunden zu haben. Er ist Detective geworden, führt ein geregeltes, wenn auch recht einsames Leben. Bis die Vergangenheit mit Macht wieder über ihn hereinbricht: Im Auto eines flüchtigen Polizistenmörders werden Fingerabdrücke gefunden – Mauras Fingerabdrücke. Nap heftet sich an ihre Fersen. Und bringt damit auch wieder Bewegung in die ruhenden Ermittlungen um den Tod seines Bruders. Denn in der fatalen Nacht vor fünfzehn Jahren geschah weit mehr, als er sich jemals hätte träumen lassen …

Weitere Informationen zu Harlan Coben und zu lieferbaren Titeln des Autors finden Sie am Ende des Buches.

HARLAN COBEN

In deinem Namen

Thriller

aus dem Amerikanischen von Gunnar Kwisinski

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Don’t let go« bei Dutton, a member of Penguin Random House LLC, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © der Originalausgabe 2017 by Harlan Coben

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018

by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Anja Lademacher

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: plainpicture/BY; FinePic®, München

TH · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-22070-9 V002

www.goldmann-verlag.de

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Pour Anne A Ma Vie de Cœur Entier

ANMERKUNG DES VERFASSERS

Als ich im vorstädtischen New Jersey aufwuchs, waren zwei Legenden über meine Heimatstadt weit verbreitet.

Die eine erzählte davon, dass in einem noblen, von einem Eisentor und bewaffneten Wachleuten geschützten Anwesen ein berüchtigter Mafiaboss lebte und dass sich dahinter eine Verbrennungsanlage befand, die womöglich behelfsmäßig als Krematorium benutzt wurde.

Die zweite Legende, die dieses Buch inspiriert hat, rankte sich um das angrenzende Anwesen, das sich in der Nähe der Grundschule befand, mit Stacheldrahtzaun abgesperrt und offiziellen »Betreten verboten«-Schildern versehen war. Es hieß, dass sich dort eine Basis für Nike-Raketen befand, die mit Atomsprengköpfen ausgerüstet werden konnten.

Jahre später habe ich erfahren, dass beide Legenden der Wahrheit entsprachen.

Daisy trug ein eng anliegendes schwarzes Kleid, mit einem Dekolleté, das solch tief greifende Einsichten vermittelte, dass es Philosophie hätte lehren können.

Sie entdeckte ihre Zielperson auf einem Hocker am hinteren Ende des Tresens. Er trug einen grauen Nadelstreifenanzug. Hmm. Er war alt genug, um ihr Vater sein zu können. Möglicherweise würde das ihr Vorgehen erschweren – musste es aber nicht. Bei alten Knackern wusste man nie. Manche, besonders die frisch geschiedenen, waren ganz wild darauf zu beweisen, dass sie es noch draufhatten. Das galt auch für diejenigen, die »es‹« schon früher nicht draufgehabt hatten. Besonders für diejenigen, die es schon früher nicht draufgehabt hatten.

Als Daisy durch die Bar schlenderte, spürte sie, wie die Blicke der männlichen Gäste ihre nackten Beine hinaufkrochen. Am Ende des Tresens erklomm sie etwas theatralisch den Hocker neben ihm.

Die Zielperson starrte in das vor ihm stehende Whiskeyglas wie eine Zigeunerin in ihre Glaskugel. Daisy wartete darauf, dass er sich ihr zuwandte. Das tat er nicht. Sie musterte sein Profil einen Moment lang. Der dichte, graue Bart. Die Knollennase mit der wachsartigen Haut, die ein wenig wie eine Hollywood-Spezialanfertigung aus Silikon wirkte. Die langen, strähnigen Wischmopp-Haare.

Vermutlich seine zweite Ehe, dachte Daisy. Und somit auch die zweite Scheidung.

Dale Miller – so hieß ihre Zielperson – griff behutsam nach seinem Whiskeyglas und umfasste es mit beiden Händen, als wäre es ein verletzter Vogel.

»Hi«, sagte Daisy und warf routiniert die Haare nach hinten.

Miller wandte ihr den Kopf zu. Er sah ihr direkt in die Augen. Sie wartete darauf, dass sein Blick den Ausschnitt hinabwanderte – verdammt, selbst Frauen konnten sich das nicht verkneifen, wenn sie dieses Kleid trug –, doch er sah ihr weiter in die Augen.

»Hallo«, antwortete er. Dann drehte er sich um und starrte wieder in seinen Whiskey.

Normalerweise ließ Daisy sich von der Zielperson anbaggern. Das war ihre Lieblingstechnik. Sie lächelte und sagte auf diese gewisse Art »Hi«, worauf der Mann fragte, ob er ihr einen Drink ausgeben dürfe. Sie kennen das. Aber Miller war offenbar nicht in Flirtlaune. Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. Dann noch einen.

Das war gut. Das Saufen. Das machte es einfacher.

»Kann ich irgendetwas für Sie tun?«, fragte er.

Vierschrötig, dachte Daisy. Das Wort beschrieb ihn am besten. Selbst im Nadelstreifenanzug hatte er diese vierschrötige Vietnam-Veteran-Motorradfahrer-Ausstrahlung. Seine Stimme war tief und rau. Daisy fand diesen Typ älterer Männer sexy, vermutlich machte sich da ihr legendärer Vaterkomplex bemerkbar. Sie mochte Männer, in deren Gegenwart sie sich geborgen fühlte.

Und es war sehr lange her, dass sie mit einem solchen Mann zusammen gewesen war.

Zeit für einen zweiten Anlauf, dachte Daisy.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich einfach zu Ihnen setze?« Daisy beugte sich zu ihm hinüber, gewährte ihm einen noch etwas tieferen Einblick in ihren Ausschnitt und flüsterte: »Dieser Mann da …«

»Belästigt er Sie?«

Nett. Er sagte es nicht auf diese machohafte Tour wie so viele andere Flachpfeifen, die sie im Lauf der Jahre kennengelernt hatte. Dale Miller fragte ruhig und sachlich, fast schon galant – wie ein Mann, der sie beschützen wollte.

»Nein, nein … nicht direkt.«

Er drehte sich um, ließ den Blick durch die Bar schweifen. »Wer ist es?«

Daisy legte eine Hand auf seinen Arm.

»Es ist kein Problem. Wirklich nicht. Ich meine bloß … hier bei Ihnen fühle ich mich sicher, okay?«

Wieder sah Miller ihr in die Augen. Die Knollennase passte nicht zum Gesicht, was aufgrund der durchdringenden, blauen Augen jedoch kaum ins Gewicht fiel. »Natürlich«, sagte er, allerdings recht zurückhaltend. »Darf ich Ihnen einen Drink ausgeben?«

Viel mehr brauchte Daisy nicht. Sie war eine gute Zuhörerin, und Männer – ob verheiratet, alleinstehend, getrennt lebend – schütteten ihr gerne das Herz aus. Dale Miller brauchte etwas länger als üblich – bis zum vierten Drink, wenn sie richtig mitgezählt hatte –, doch schließlich erzählte er von seiner bevorstehenden Scheidung, von Clara, seiner – Volltreffer – zweiten Frau, die achtzehn Jahre jünger war als er. (»Hätte ich doch wissen müssen, oder? Ich bin so ein Idiot.«) Beim nächsten Drink erzählte er von seinen beiden Kindern, Ryan und Simone, dem Sorgerechtsstreit, seinem Job im Finanzwesen.

Auch sie musste etwas von sich erzählen. So lief das nun mal. Den Gesprächspartner ein bisschen anfüttern. Für solche Situationen hatte sie eine Story parat, natürlich frei erfunden. Millers Auftreten verleitete sie jedoch dazu, ein paar Brocken Ehrlichkeit einzuflechten. Natürlich würde sie ihm niemals die Wahrheit erzählen. Die kannte keiner, außer Rex vielleicht. Doch selbst Rex wusste nicht alles.

Er trank Whiskey, sie Wodka. Sie versuchte, langsamer zu trinken als er. Zweimal nahm sie ihr volles Glas mit zur Toilette, goss es ins Waschbecken und füllte es mit Wasser auf. Trotzdem war Daisy leicht angeschickert, als Rex die SMS schickte.

B?

B für »Bereit«.

»Alles in Ordnung?«, fragte Miller.

»Klar. Nur eine Freundin.«

Sie antwortete J für »Ja« und drehte sich wieder zu ihm um. Normalerweise schlug sie zu diesem Zeitpunkt vor, dass sie sich ein ruhigeres Fleckchen suchen könnten. Die meisten Männer ergriffen die Gelegenheit beim Schopf – in diesem Punkt waren Männer sehr berechenbar. Sie war aber nicht überzeugt, dass dieser direkte Weg bei Dale Miller zum Erfolg führen würde. Nicht, dass er nicht interessiert wirkte. Er schien aber irgendwie – wie sollte sie es ausdrücken – darüberzustehen.

»Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«, begann sie.

Miller lächelte. »Sie stellen mir schon den ganzen Abend Fragen.«

Er lallte leicht. Gut.

»Haben Sie ein Auto?«, fragte sie.

»Hab ich, ja. Wieso?«

Sie ließ den Blick durch die Bar streifen. »Dürfte ich Sie bitten, äh, mich nach Hause zu fahren? Es ist nicht weit.«

»Klar, kein Problem.«

Dann: »Ich brauche vielleicht noch einen Moment, um den Kopf wieder klarzukriegen.«

Daisy hüpfte vom Hocker. »Ach, schon gut. Dann geh ich einfach zu Fuß.«

Miller richtete sich auf. »Augenblick, was?«

»Ich muss langsam zusehen, dass ich nach Hause komme, aber wenn Sie nicht fahren können …«

»Nein, nein«, sagte er und streckte die Beine aus. »Ich bring Sie gleich hin.«

»Falls es irgendwie ein Problem ist, kann ich …«

Er sprang vom Hocker. »Nein, absolut nicht. Kein Problem, Daisy.«

Bingo. Als sie sich auf den Weg zur Tür machten, simste Daisy schnell an Rex:

ADW

Kurzform für: »Auf dem Weg«.

Man konnte es als Betrug oder Gaunerei ansehen, Rex beharrte jedoch darauf, dass es »redlich verdientes« Geld sei. Von der Redlichkeit war Daisy nicht vollkommen überzeugt, größere Schuldgefühle hatte sie allerdings auch nicht. Der Plan und seine Umsetzung waren simpel, das zugrunde liegende Motiv war hingegen etwas komplexer. Ein Mann und eine Frau ließen sich scheiden. Der Sorgerechtsstreit wurde hässlich. Beide Seiten waren verzweifelt. Die Ehefrau – im Prinzip könnte auch der Ehemann ihre Dienste in Anspruch nehmen, bisher war es jedoch immer die Frau gewesen – erteilte Rex den Auftrag, um sich bei dieser blutigsten aller Schlachten einen Vorteil zu verschaffen. Wie machte er das?

Er erwischte den Ehemann mit Alkohol am Steuer.

Wie könnte man besser nachweisen, dass er unverantwortlich handelte und damit als Erziehungsberechtigter ungeeignet war?

So lief das. Daisys Job umfasste zwei Aufgaben: Zuerst verleitete sie den Ehemann dazu, zu viel zu trinken, sodass er nicht mehr Auto fahren durfte, dann lotste sie ihn hinters Steuer. Rex war Polizist. So konnte er ihn anhalten, einen Alkoholtest durchführen und schwupps, hatte ihre Klientin im Sorgerechtsprozess einen riesigen Vorteil. Rex wartete zwei Blocks weiter in seinem Streifenwagen. Er suchte sich immer ein ruhiges Plätzchen in der Nähe der Bar, in der die Zielperson am fraglichen Abend etwas trank. Je weniger Zeugen, desto besser. Dann stellte auch niemand unangenehme Fragen.

Halt den Kerl an, nimm ihn fest, und fertig.

Daisy und Dale Miller wankten durch die Tür und weiter Richtung Parkplatz. »Hier entlang«, sagte Miller. »Da steht mein Wagen.«

Der Parkplatz war mit groben Kieseln bedeckt. Auf dem Weg zum grauen Toyota Corolla trat Miller ein paarmal hinein, sodass sie durch die Luft flogen. Er drückte auf den Schlüssel. Das Auto hupte zweimal leise. Als Miller zur Beifahrertür ging, war Daisy verwirrt. Sollte sie fahren? Herrje, bloß nicht. War er betrunkener, als sie gedacht hatte? Das war durchaus möglich. Dann begriff sie jedoch, dass es weder um das eine noch um das andere ging.

Dale Miller öffnete die Tür und hielt sie ihr auf. Wie ein echter Gentleman. Daisy hatte schon so lange nichts mehr mit echten Gentlemen zu tun gehabt, dass sie gar nicht begriffen hatte, was er da tat.

Er hielt ihr die Tür auf und wartete. Daisy stieg ein. Dale Miller ließ ihr Zeit, sich richtig hinzusetzen, dann schloss er die Tür vorsichtig.

Sie bekam leichte Gewissensbisse.

Rex hatte immer wieder darauf hingewiesen, dass sie nichts Illegales oder auch nur moralisch Verwerfliches taten. Erstens ging ihr Plan nicht immer auf. Manche Typen hingen einfach nicht in Bars ab. »In dem Fall«, hatte Rex zu ihr gesagt, »ist er aus dem Schneider. Aber unser Mann ist schließlich von sich aus losgezogen, um was zu trinken, oder? Du versetzt ihm nur noch einen leichten Schubs, weiter nichts. Keiner zwingt ihn, sich ans Steuer zu setzen, nachdem er Alkohol getrunken hat. Im Endeffekt ist das seine Entscheidung. Du setzt ihm ja nicht die Pistole auf die Brust.«

Daisy schnallte sich an, genau wie Dale Miller. Dann ließ er den Motor an und legte den Rückwärtsgang ein. Der Kies knirschte unter den Reifen. Nachdem er aus der Parklücke gefahren war, blieb Miller noch einen Moment stehen und musterte Daisy. Sie versuchte, sich ein Lächeln abzuringen, was ihr aber nicht recht gelang.

»Was verbergen Sie, Daisy?«, fragte er.

Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken, aber sie antwortete nicht.

»Irgendetwas muss Ihnen zugestoßen sein. Das sehe ich in Ihrem Gesicht.«

Weil ihr nichts Besseres einfiel, versuchte Daisy die Worte mit einem Lachen abzutun. »Ich habe Ihnen meine Lebensgeschichte doch in der Bar schon erzählt, Dale.«

Miller wartete noch ein oder zwei Sekunden, die ihr wie eine Stunde vorkamen. Schließlich blickte er nach vorn und legte den Vorwärtsgang ein. Er sagte nichts mehr, während sie den Parkplatz verließen.

»Hier links«, sagte Daisy, und hörte die Anspannung in ihrer Stimme. »Dann die zweite rechts.«

Dale Miller schwieg jetzt, fuhr konzentriert um die Kurven, wie man es macht, wenn man zu viel getrunken hatte und nicht angehalten werden wollte. Der Toyota Corolla war sehr sauber, wirkte unpersönlich und roch etwas zu stark nach Lufterfrischer. Als Miller an der zweiten Kreuzung rechts abbog, hielt Daisy die Luft an und wartete auf Rex’ Blaulicht und die Sirene.

Vor dieser Situation hatte Daisy die größte Angst, weil man nie wusste, wie die Leute reagierten. Einer hatte versucht, sich aus dem Staub zu machen, dann aber noch vor der nächsten Kurve erkannt, dass es keinen Sinn hatte. Manche begannen zu fluchen. Manche – zu viele – brachen in Tränen aus. Das fand sie am schlimmsten. Erwachsene Männer, die sie gerade noch cool angebaggert hatten – manche hatten noch eine Hand unter dem Kleidersaum auf ihren nackten Beinen –, fingen urplötzlich an, wie Kleinkinder zu plärren.

Diese Männer erkannten den Ernst der Lage sofort. Und die Erkenntnis erdrückte sie fast.

Daisy hatte keine Ahnung, was sie bei Dale Miller zu erwarten hatte.

Rex hatte das Timing mit fast wissenschaftlicher Akribie perfektioniert. Wie aufs Stichwort erschien das rotierende Blaulicht, direkt gefolgt von der Sirene. Daisy drehte sich zur Seite und sah Dale Miller ins Gesicht, um festzustellen, wie er reagierte. Seine Miene zeigte weder Beunruhigung noch Überraschung. Er wirkte gefasst, wenn nicht sogar entschlossen. Er blinkte rechts und hielt ordentlich am Straßenrand. Rex blieb ein paar Meter hinter ihnen stehen.

Die Sirene war aus, doch das Blaulicht rotierte weiter.

Dale Miller schaltete auf Parken und wandte sich ihr zu. Sie wusste nicht recht, was den Gesichtsausdruck am besten beschrieb: Überraschung? Mitleid? Ein Was-soll-man-da-machen-Seufzer?

»Sieh einer an!«, sagte Miller. »Da hat uns wohl die Vergangenheit eingeholt, was?«

Seine Worte, sein Tonfall und seine Miene verunsicherten sie. Sie wollte Rex zurufen, dass er sich beeilen sollte, doch der ließ sich in typischer Cop-Manier viel Zeit. Dale Miller betrachtete sie weiter, selbst dann noch, als Rex mit den Fingerknöcheln an sein Fenster klopfte. Miller wandte sich langsam ab und ließ die Scheibe heruntergleiten.

»Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Officer?«

»Den Führerschein und den Fahrzeugschein, bitte.«

Dale Miller reichte sie ihm.

»Haben Sie heute Abend etwas getrunken?«

»Einen Drink, vielleicht«, sagte er. Zumindest mit dieser Antwort lag er auf einer Linie mit den anderen Zielpersonen. Sie logen alle.

»Würden Sie bitte kurz aussteigen?«

Wieder sah Miller Daisy an. Daisy bemühte sich, unter diesem Blick nicht zu erschaudern. Sie starrte nach vorne durch die Windschutzscheibe, um den Blickkontakt zu vermeiden.

Rex sagte: »Sir? Ich hatte Sie gebeten …«

»Natürlich, Officer.«

Dale Miller zog am Griff. Als sich die Innenbeleuchtung einschaltete, schloss Daisy für einen Moment die Augen. Mit einem Grunzen stieg Miller aus. Er ließ die Autotür auf, doch Rex streckte die Hand aus und schlug sie zu. Das Fenster war noch offen, daher konnte Daisy alles hören.

»Sir, ich möchte Sie bitten, ein paar Übungen durchzuführen, damit ich feststellen kann, ob Sie betrunken sind.«

»Wollen wir das nicht überspringen?«, fragte Dale Miller.

»Wie bitte?«

»Warum lassen Sie mich nicht gleich pusten? Das wäre einfacher.«

Das Angebot überraschte Rex. Er sah Daisy an Miller vorbei an. Sie zuckte kurz die Achseln.

»Ich gehe davon aus, dass Sie ein Alkoholtestgerät in Ihrem Streifenwagen haben?«, sagte Miller.

»Das habe ich, ja.«

»Dann lassen Sie uns keine Zeit verschwenden. Weder Ihre noch meine noch die der hübschen Lady.«

Rex zögerte. Dann sagte er: »Gut, bitte warten Sie hier.«

»Selbstverständlich.«

Als Rex sich umdrehte, um zum Streifenwagen zu gehen, zog Dale Miller eine Pistole und schoss ihm zweimal in den Hinterkopf. Rex sank zu Boden. Dann drehte Dale Miller sich um und richtete die Pistole auf Daisy.

Sie sind wieder da, dachte sie.

Nach all den Jahren haben sie mich gefunden.

EINS

Ich verberge den Baseballschläger hinter meinem Bein, damit Trey – oder der, den ich für Trey halte – ihn nicht sieht.

Der potenzielle Trey mit seiner falschen Bräune, den Emo-Fransen im Gesicht und den bedeutungslosen Tribal-Tattoos um den aufgeblähten Bizeps tänzelt in meine Richtung. Ellie hat Trey als »ausgemachten Schwachkopf und Arschloch« bezeichnet. Die Beschreibung passt perfekt auf den Typen.

Aber ich darf in dem Punkt kein Risiko eingehen.

Im Laufe der Jahre habe ich eine absolut coole Ermittlungstechnik entwickelt, um festzustellen, ob ich es mit der richtigen Person zu tun habe. Also pass auf:

»Trey?«

Der Schwachkopf bleibt stehen, legt die Neandertaler-Stirn in tiefe Falten und sagt: »Wer will das wissen?«

»Soll ich jetzt ›ich‹ sagen?«

»Hä?«

Ich seufze. Siehst du, mit was für Schwachköpfen ich es zu tun habe, Leo?

»Sie haben gesagt: ›Wer will das wissen?‹«, fahre ich fort. »So als wären Sie ein wenig misstrauisch. Hätte ich zum Beispiel ›Mike?‹ gerufen, hätten Sie doch sicher gesagt: ›Nein, tut mir leid, da haben Sie sich vertan.‹ Aber Sie haben gefragt: ›Wer will das wissen?‹ Und so haben Sie mir verraten, dass Sie Trey sind.«

Du müsstest die Miene des Typen sehen.

Ich trete einen Schritt näher an ihn heran, achte aber darauf, dass er den Baseballschläger nicht sieht.

Trey gibt sich komplett im Gangster-Style, doch ich spüre seine Angst, die er in heißen Schüben verströmt. Das überrascht mich nicht. Ich bin ein großer, kräftiger Mann, keine eins fünfzig große Frau, die er herumschubsen kann, damit er sich groß und stark fühlt.

»Was wollen Sie?«, fragt Trey.

Noch einen Schritt näher.

»Reden.«

»Worüber?«

Ich schlage einhändig zu, weil das schneller geht. Der Schläger schnellt wie eine Peitsche auf Treys Knie. Er schreit, geht aber nicht zu Boden. Jetzt nehme ich den Baseballschläger in beide Hände. Weißt du noch, wie Coach Jauss uns in der Little League das Schlagen beigebracht hat? »Schläger nach hinten, Ellbogen hoch«, war sein Mantra. Wie alt waren wir damals? Neun? Zehn? Egal, ich tue das, was Coach Jauss uns beigebracht hat. Ich hole mit dem Schläger weit aus, hebe die Ellbogen, ziehe durch und trete dabei mit dem vorderen Fuß vor.

Das dicke Ende des Schlägers landet mitten auf demselben Knie.

Trey fällt um, als hätte ich auf ihn geschossen. »Bitte …«

Dieses Mal hole ich über Kopf aus, wie mit einer Spaltaxt, nutze den ganzen Hebel, lege mein Gewicht in den Schlag und visiere wieder dasselbe Knie an. Als das Holz auftrifft, zersplittert etwas. Trey heult auf. Wieder hebe ich den Schläger. Inzwischen hat Trey beide Hände aufs Knie gelegt und versucht, es zu schützen. Scheiß drauf. Ich kann auch auf Nummer sicher gehen, oder?

Ich ziele auf den Knöchel. Der Knochen gibt nach und zerbricht. Es knackt, als hätte man mit einem Stiefel auf trockene Zweige getreten.

»Sie haben mein Gesicht nicht zu sehen bekommen«, sage ich zu ihm. »Wenn Sie mich verraten, komme ich zurück und bringe Sie um.«

Ich warte nicht auf eine Antwort.

Erinnerst du dich noch an den Tag, als Dad mit uns zum ersten Mal zu einem Major-League-Baseballspiel gegangen ist, Leo? Im Yankee Stadium? Wir haben in dieser Box unten an der Linie zur dritten Base gesessen. Wir haben während des gesamten Spiels unsere Baseballhandschuhe anbehalten, weil wir hofften, dass ein Ball zu uns ins Aus fliegt. Das ist natürlich nicht passiert. Ich weiß noch, wie Dad den Kopf schräg gehalten hat, die schwarze Sonnenbrille auf der Nase und dieses leichte Lächeln im Gesicht. Wie cool Dad war. Als Franzose kannte er die Regeln nicht – auch er war damals das erste Mal bei einem Baseballspiel –, aber das war ihm völlig egal. Für ihn war es einfach ein Tag, den er mit seinen Zwillingen verbringen konnte.

Das hat ihm gereicht.

An einem 7-Eleven-Markt drei Straßen weiter werfe ich den Schläger in einen Müllcontainer. Ich habe Handschuhe getragen, sodass keine Fingerabdrücke darauf sind. Den Schläger habe ich vor vielen Jahren bei einem Garagen-Flohmarkt in Atlantic City gekauft. Ausgeschlossen, dass man ihn zu mir zurückverfolgen kann. Nicht, dass mir das Sorgen bereiten würde. Die Cops werden nicht zwischen den Kirsch-Slurpee-Bechern in den Müllcontainern herumwühlen, um einem Profi-Arschloch wie Trey zu helfen. Im Fernsehen vielleicht. Im wahren Leben werden sie es als Streit unter Gleichgesinnten verbuchen, als einen fehlgeschlagenen Drogendeal, nicht beglichene Spielschulden oder sonst irgendetwas, für das Trey die Prügel wirklich und wahrhaftig verdient hat.

Ich überquere den Parkplatz und nehme einen langen, gewundenen Umweg, um zu meinem Wagen zu kommen. Ich trage eine schwarze Brooklyn-Nets-Kappe – ein klassisches Straßen-Outfit in dieser Gegend – und halte den Kopf gesenkt. Obwohl ich, wie gesagt, nicht davon ausgehe, dass sich jemand ernsthaft mit dem Fall beschäftigen wird, muss man doch immer mit einem übereifrigen Neuling rechnen, der die Videos sämtlicher Überwachungskameras der Umgebung überprüft oder etwas in dieser Art.

Etwas Vorsicht kann ja nicht schaden.

Ich steige in mein Auto, fahre auf die Interstate 280 und direkt zurück nach Westbridge. Mein Handy klingelt – Ellie ruft an. Als wüsste sie, was ich getan habe. Miss Gewissen. Ich gehe jetzt nicht ran.

Westbridge ist einer dieser Vororte, den die Medien wohl als die »familienfreundliche« Version des amerikanischen Traums beschreiben würden, vielleicht auch als »gut situiert« oder gar »wohlhabend«, ohne das Level »todschick« erreichen zu können. Es gibt Rotarier-Grillfeste, eine Parade am Unabhängigkeitstag, vom Kiwani-Club organisierte Jahrmärkte und am Samstagmorgen einen Bio-Bauernmarkt. Die Kinder fahren hier noch mit dem Fahrrad zur Schule. Die Highschool-Footballspiele sind gut besucht, besonders wenn wir gegen unseren Erzrivalen Livingston spielen. Die Little League für die kleinen Baseballspieler ist hier noch eine große Sache. Coach Jauss ist zwar vor ein paar Jahren gestorben, aber sie haben ein Feld nach ihm benannt.

Ich schaue dort immer noch gelegentlich vorbei, inzwischen allerdings in einem Polizeiwagen. Genau, so ein Cop bin ich. Dann denke ich an dich, Leo, rechts draußen im Outfield. Du wolltest eigentlich gar nicht spielen – das habe ich inzwischen begriffen –, du wusstest aber, dass ich ohne dich womöglich auch nicht mitgemacht hätte. Ein paar der Älteren sprechen immer noch über den No-Hitter, der mir als Werfer im Halbfinale der State Championship gelungen war. Du warst nicht gut genug, um es in die Mannschaft zu schaffen. Also haben die Typen, die in der Little League etwas zu sagen hatten, dich mitgenommen, damit du die Spielstatistik führst. Wahrscheinlich sollte aber vor allem ich zufriedengestellt werden. Ich glaube nicht, dass mir das damals aufgefallen ist.

Du warst immer klüger als ich, Leo, klüger und reifer, also hast du es wahrscheinlich gemerkt.

Ich biege in meine Einfahrt und parke. Tammy und Ned Walsh von nebenan – insgeheim sehe ich in ihm Ned Flanders, weil er diesen Pornobalken trägt und immer vor Herzlichkeit überschäumt – reinigen ihre Dachrinnen. Beide winken mir zu.

»Hey, Nap«, sagt Ned.

»Hey, Ned«, sage ich. »Hey, Tammy.«

Ich bin immer so freundlich. Der nette Nachbar. Weißt du, ich bin eine dieser extrem seltenen Kreaturen im Vorort – ein heterosexueller, alleinstehender, kinderloser Mann ist hier so etwas wie eine Zigarette im Fitnessstudio –, daher gebe ich mir große Mühe, normal, langweilig und zuverlässig zu erscheinen.

Harmlos.

Dad ist vor fünf Jahren gestorben, daher glaube ich, dass ein paar Nachbarn mich als einen von diesenAlleinstehenden betrachten – einen, der noch zu Hause wohnt und sich dort vergraben hat wie Boo Radley in Wer die Nachtigall stört. Deshalb halte ich das Haus gut in Schuss. Deshalb achte ich darauf, gelegentlich bei Tageslicht angemessene weibliche Begleitung mitzubringen, selbst wenn ich weiß, dass die Verabredung zu nichts führen wird.

Es gab Zeiten, in denen ein Typ wie ich als reizender Exzentriker und überzeugter Junggeselle gegolten hätte. Heutzutage machen sich die Nachbarn wahrscheinlich eher Sorgen, dass ich ein Pädophiler oder etwas in dieser Art sein könnte. Ich tue alles, um diese Angst zu zerstreuen.

Allerdings kennen die meisten Nachbarn unsere Geschichte, Leo, also finden sie es nachvollziehbar, dass ich hierbleibe.

Ich winke Ned und Tammy immer noch.

»Wie läuft’s bei Brodys Team?«, frage ich.

Es interessiert mich nicht, auch hier geht es nur um den äußeren Anschein.

»Acht Siege, eine Niederlage«, sagt Tammy.

»Das ist grandios.«

»Du musst nächsten Mittwoch zum Spiel kommen.«

»Wäre schön«, sage ich.

Es wäre auch schön, wenn man mir eine Niere mit einem Grapefruit-Löffel herausoperieren würde.

Ich lächle noch ein wenig, winke noch einmal wie ein Idiot und gehe ins Haus. Aus unserem alten Zimmer bin ich ausgezogen, Leo. Nach jener Nacht – ich nenne es immer »jene Nacht«, weil ich weder bereit bin, von einem »Doppel-Selbstmord« noch von einem »tödlichen Unfall« zu sprechen, und auch nicht von einem »Mord«, was allerdings auch niemand glaubt – habe ich den Anblick unseres alten Etagenbetts nicht mehr ertragen. Ich schlafe seitdem unten im Erdgeschoss in dem Raum, den wir damals das »kleine Wohnzimmer« genannt haben. Wahrscheinlich hätte einer von uns schon eher da runter ziehen sollen, Leo. Für zwei Jungs war unser Schlafzimmer in Ordnung, für zwei männliche Teenager war es einfach viel zu eng.

Was mich damals allerdings nicht gestört hat. Dich vermutlich auch nicht.

Nach Dads Tod bin ich wieder nach oben ins Elternschlafzimmer gezogen. Ellie hat mir geholfen, unser altes Zimmer zum Büro umzubauen – mit so weißen Einbaumöbeln in einem Stil, den sie »Modern Urban Farmhouse« nennt. Ich weiß noch immer nicht, was das bedeutet.

Ich bin unterwegs ins Schlafzimmer und ziehe mir schon das Hemd aus, als es klingelt. Ich nehme an, dass es ein Paket ist, weil UPS und FedEx die Einzigen sind, die vorbeikommen, ohne sich vorher anzumelden. Also gehe ich nicht runter. Als es ein zweites Mal klingelt, überlege ich, ob ich etwas bestellt habe, für das der Bote eine Unterschrift braucht. Mir fällt aber nichts ein. Ich gucke aus dem Schlafzimmerfenster.

Cops.

Sie sind in Zivil, aber ich sehe das immer sofort. Ich weiß nicht, ob es an ihrer Haltung liegt, am Outfit oder an irgendetwas anderem, nicht recht Greifbarem, ich glaube aber nicht, dass es nur daran liegt, dass ich selbst einer bin – eine Cop-zu-Cop-Sache, gewissermaßen. Ein Mann und eine Frau. Einen kurzen Moment denke ich, ihr Erscheinen könnte etwas mit Trey zu tun haben – logische Schlussfolgerung, oder? Ein kurzer Blick auf ihr Zivilfahrzeug, das so deutlich als Zivilfahrzeug der Polizei zu erkennen ist, dass es ebenso gut auf beiden Seiten den Schriftzug »Zivilfahrzeug der Polizei« tragen könnte, verrät mir aber, dass sie nicht von hier sind. Das Nummernschild ist aus Pennsylvania.

Ich ziehe mir schnell eine graue Jogginghose über und werfe einen Blick in den Spiegel. Bei dem Anblick kommt mir nur ein einziges Wort in den Sinn: schneidig. Na ja, das einzige Wort ist es nicht, aber belassen wir es dabei. Ich laufe die Treppe hinunter und greife nach dem Türknauf.

Ich hatte keine Ahnung, was das Öffnen der Tür für mich bedeuten würde.

Ich hatte keine Ahnung, Leo, dass es mich zu dir zurückbringen würde.

ZWEI

W ie schon gesagt, zwei Cops – ein Mann und eine Frau.

Die Frau ist älter, wahrscheinlich Mitte fünfzig. Sie trägt einen blauen Blazer, Jeans und bequeme Schuhe. Ich bemerke die Beule an ihrer Hüfte, dort wo sie ihre Dienstwaffe trägt. Es schmeichelt ihrer Figur nicht gerade, aber sie scheint auch keine Frau zu sein, die so etwas stört. Der Mann ist etwa vierzig und trägt einen Anzug im Farbton »abgestorbenes Laub«, wie ihn auch ein Konrektor der flotteren Sorte gewählt hätte.

Die Frau lächelt mir zu und sagt: »Detective Dumas?«

Sie spricht meinen Namen »Duh-mass« aus. Da mein Vater Franzose war, müsste es eigentlich »Düh-mah« heißen, wie der berühmte Schriftsteller. Leo und ich wurden in Marseille geboren.

Weißt du noch, als wir mit acht nach Westbridge in die USA zogen, hielten unsere neuen »Freunde« es für unglaublich clever statt Dumas «Dummarsch« zu sagen. Manche Erwachsene tun das auch heute noch, aber wir, äh, stimmen nicht für dieselben Kandidaten, wenn du verstehst, was ich meine.

Ich mache mir nicht die Mühe, sie zu korrigieren.

»Was kann ich für Sie tun?«

»Ich bin Lieutenant Stacy Reynolds«, sagt sie. »Das ist Detective Bates.«

Die Schwingungen, die ich empfange, gefallen mir nicht. Ich vermute, dass Sie gekommen sind, um irgendwelche schlechten Nachrichten zu überbringen, zum Beispiel dass jemand, der mir nahestand, gestorben ist. Solche Kondolenzbesuche habe ich dienstlich selbst schon oft gemacht. Das ist nicht unbedingt meine Stärke. Aber – so traurig das auch klingen mag – mir fällt niemand ein, der mir so viel bedeutet, dass man seinetwegen einen Streifenwagen schicken würde. Ellie wäre die Einzige, aber die lebt in Westbridge, New Jersey, nicht in Pennsylvania.

Ich spare mir das ›»Nett, Sie kennenzulernen« und komme direkt zum: »Worum geht’s?«

»Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir kurz reinkommen?«, fragt Reynolds mit einem müden Lächeln. »Es war eine lange Fahrt.«

»Ich müsste mal ins Bad«, fügt Bates hinzu.

»Pinkeln gehen können Sie später«, sage ich. »Warum sind Sie hier?«

»Kein Grund, so gereizt zu sein«, sagt Bates.

»Aber auch keiner, so zurückhaltend zu sein. Ich bin selbst Cop, und Sie kommen von weit her, also lassen Sie uns die Sache nicht in die Länge ziehen.«

Bates wirft mir einen finsteren Blick zu. Interessiert mich nicht die Bohne. Reynolds legt ihm eine Hand auf den Arm, um die Situation zu beruhigen. Interessiert mich immer noch kein Stück.

»Sie haben recht«, sagt Reynolds. »Ich fürchte, wir haben schlechte Nachrichten.«

Ich warte.

»Bei uns im Bezirk wurde ein Mord verübt«, sagt sie.

»Ein Polizistenmord«, ergänzt Bates.

Damit haben sie meine Aufmerksamkeit. Es gibt Morde. Und es gibt Polizistenmorde. Eigentlich sollte beides gleich schlimm sein, es dürfte da keinen Unterschied geben – aber eigentlich dürfte es vieles nicht geben.

»Wer wurde ermordet?«, frage ich.

»Rex Canton.«

Sie bleiben stehen und warten, ob ich eine Reaktion zeige. Das tue ich nicht. Ich überlege aber, warum sie zu mir gekommen sind.

»Kannten Sie Sergeant Canton?«, fragt sie.

»Ja, ich kannte ihn«, sage ich. »Ist ewig her.«

»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«

Ich überlege immer noch, warum sie hergekommen sind. »Das weiß ich nicht mehr. Vielleicht bei der Abschlussfeier der Highschool.«

»Seitdem nicht mehr?«

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Es wäre aber möglich.«

Ich zucke die Achseln. »Er könnte auf einer der Jahrgangsfeiern gewesen sein, oder so etwas.«

»Aber das wissen Sie nicht genau.«

»Nein, das weiß ich nicht genau.«

»Sie wirken nicht so, als wären Sie wegen seiner Ermordung am Boden zerstört«, sagt Bates.

»Tief im Herzen sterbe ich tausend Tode«, sage ich. »Ich bin aber einfach ein echt harter Bursche.«

»Kein Grund, sarkastisch zu werden«, sagt Bates. »Ein Kollege von uns ist tot.«

»Ist aber auch kein Grund, meine Zeit zu verschwenden. Wir kannten uns von der Highschool. Mehr nicht. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen. Ich wusste nicht, dass er in Pennsylvania gelebt hat. Ich wusste nicht einmal, dass er bei der Polizei war. Wie wurde er ermordet?«

»Er wurde bei einer Verkehrskontrolle erschossen«, sagt Reynolds.

Rex Canton. Natürlich habe auch ich ihn damals gekannt, aber eigentlich war er dein Freund, Leo. Gehörte zu deiner Clique. Ich erinnere mich noch an das alberne Foto, auf dem ihr euch für eine Talentshow der Schule als Rockband verkleidet hattet. Rex war der Drummer. Er hatte eine kleine Lücke zwischen den Vorderzähnen. Schien ein netter Kerl zu sein.

»Können wir jetzt auf den Punkt kommen?«, frage ich.

»Auf welchen Punkt?«

Ich habe absolut keine Lust auf solche Spielchen. »Was wollen Sie von mir?«

Reynolds blickt zu mir hoch, vielleicht mit dem Anflug eines Lächelns im Gesicht. »Irgendeine Idee?«

»Nicht die geringste.«

»Lassen Sie mich Ihre Toilette benutzen, bevor ich Ihnen auf die Schwelle pinkele. Dann erzählen wir es Ihnen.«

Ich trete vor die Tür und lasse sie herein. Reynolds geht als Erste auf die Toilette. Bates wartet und tritt dabei von einem Bein aufs andere. Mein Handy klingelt. Wieder Ellie. Ich drücke sie weg und schicke ihr eine SMS, dass ich sie so schnell wie möglich zurückrufe. Ich höre Wasser laufen, als Reynolds sich die Hände wäscht. Sie kommt raus. Bates geht rein. Er ist, äh, laut. Er musste, wie man so schön sagt, pissen wie ein Rennpferd. Wir gehen ins Wohnzimmer und setzen uns. Auch dieses Zimmer hat Ellie eingerichtet. Nach dem Konzept »frauenfreundliche Männerhöhle« – Holzvertäfelung und riesiger Fernseher, die Bar ist aber aus Acryl, und die Kunstleder-Couch hat einen seltsamen Malventon.

»Und?«, sage ich.

Reynolds sieht Bates an. Er nickt. Dann wendet sie sich wieder an mich. »Wir haben Fingerabdrücke gefunden.«

»Wo?«, frage ich.

»Wie bitte?«

»Sie sagten, Rex wäre bei einer Verkehrskontrolle erschossen worden.«

»Das stimmt.«

»Wo wurde seine Leiche gefunden? Im Streifenwagen? Auf der Straße?«

»Auf der Straße.«

»Und wo genau haben Sie dann Fingerabdrücke gefunden? Auch auf der Straße?«

»Das Wo spielt keine Rolle«, sagt Reynolds. »Viel wichtiger ist, wessen Fingerabdrücke es waren.«

Ich warte. Niemand sagt etwas. Also frage ich: »Wessen Fingerabdrücke waren es?«

»Tja, das ist Teil des Problems«, sagt sie. »Wissen Sie, die Fingerabdrücke befanden sich nicht in der Verbrecher-Datenbank. Die fragliche Person ist nicht vorbestraft. Aber, na ja, sie waren trotzdem im System.«

Die Redewendung »Meine Nackenhaare sträuben sich«, ist mir nicht unbekannt, aber bisher habe ich sie offensichtlich nie richtig begriffen. Reynolds wartet, aber ich gönne ihr den Triumph nicht. Sie hält den Ball in den Händen, und sie darf ihn in die Endzone tragen.

»Die Fingerabdrücke waren im System«, fährt sie fort, »weil Sie, Detective Dumas, sie in die Datenbank eingegeben haben, mit dem Hinweis »Person von besonderem Interesse«. Vor zehn Jahren, sie waren ganz neu bei der Polizei, haben Sie darum gebeten, informiert zu werden, wenn diese Fingerabdrücke gefunden werden.«

Ich versuche, mir den Schock nicht anmerken zu lassen, glaube aber nicht, dass mir das besonders gut gelingt. Ich denke an die Vergangenheit, Leo. Ich denke an das, was vor fünfzehn Jahren passiert ist. Ich denke an die Sommernächte, in denen sie mit mir im Mondschein zur Lichtung auf dem Riker Hill hinaufgegangen ist, und wir eine Decke ausgebreitet haben. Ich denke an die Hitze, und natürlich an die Intensität und die Reinheit der Lust, vor allem aber denke ich an das »Danach«, als ich flach auf dem Rücken liege, immer noch nach Luft schnappe und in den Nachthimmel starre, ihr Kopf auf meiner Brust, ihre Hand auf meinem Bauch, und wie wir die ersten paar Minuten geschwiegen und dann auf eine Art und Weise miteinander geredet haben, dass ich wusste – ich wusste es einfach –, dass ich nie genug davon haben würde, mich mit ihr zu unterhalten.

Du wärst der Trauzeuge gewesen.

Du kennst mich. Ich habe nie viele Freunde gebraucht. Ich hatte dich, Leo. Und sie. Dann habe ich dich verloren. Und dann habe ich sie verloren.

Reynolds und Bates sehen mir ins Gesicht. »Detective Dumas?«

Ich reiße mich zusammen. »Wollen Sie mir sagen, dass das Mauras Fingerabdrücke waren?«

»Das waren sie, ja.«

»Aber Sie haben sie noch nicht gefunden.«

»Nein, noch nicht«, sagt Reynolds. »Möchten Sie uns das erklären?«

Ich schnappe mir mein Portemonnaie und die Hausschlüssel. »Das mache ich unterwegs. Fahren wir.«

DREI

Natürlich wollen Reynolds und Bates mich sofort befragen.

»Im Wagen«, wiederhole ich. »Ich will den Tatort sehen.«

Wir gehen den Backsteinweg entlang, den mein Vater vor zwanzig Jahren selbst verlegt hat. Ich gehe vor. Sie eilen hinter mir her.

»Nehmen wir mal an, wir würden nicht wollen, dass Sie mitkommen«, sagt Reynolds.

Ich bleibe stehen und winke wie zum Abschied. »Dann sage ich Tschüss und wünsche eine angenehme Heimfahrt.«

Bates mag mich wirklich nicht. »Wir können Sie dazu verdonnern, unsere Fragen zu beantworten.«

»Meinen Sie? Okay.« Ich drehe mich um und gehe zurück zum Haus. »Melden Sie sich und sagen Sie Bescheid, wenn Sie wissen, wie die Sache ausgegangen ist.«

Reynolds tritt mir in den Weg. »Wir suchen einen Polizistenmörder.«

»Ich auch.«

Ich bin ein sehr guter Ermittler – das bin ich einfach, es gibt keinen Grund, hier falsche Bescheidenheit vorzuschützen –, aber ich muss den Tatort mit eigenen Augen sehen. Ich kenne die Beteiligten. Vielleicht kann ich helfen. Und wenn Maura wieder da ist, lasse ich mir das Ganze sowieso nicht entgehen.

Das will ich Reynolds und Bates allerdings nicht auf die Nase binden.

»Wie lange braucht man bis dahin?«, frage ich.

»Zwei Stunden. Wenn wir Gas geben.«

Ich breite die Arme wie zu einem Willkommensgruß aus. »Ich stehe die ganze Zeit zu Ihrer Verfügung. Überlegen Sie doch mal, was Sie mich in der Zeit alles fragen können.«

Bates runzelt die Stirn. Entweder passt ihm das nicht, oder er hat sich schon so daran gewöhnt, den bösen Cop als Gegenstück zu Reynolds zu spielen, dass es einfach ein Automatismus ist. Sie werden nachgeben. Das wissen wir alle. Es geht nur noch ums Wie und Wann.

Reynolds fragt: »Und wie kommen Sie wieder zurück?«

»Wir sind nämlich nicht Uber«, ergänzt Bates.

»Ja, ja, das Verkehrsmittel für die Rückfahrt«, sage ich. »Das ist genau das Problem, dem wir jetzt unsere volle Aufmerksamkeit schenken sollten.«

Beide runzeln noch kurz die Stirn, aber die Sache ist durch. Reynolds setzt sich hinters Lenkrad, Bates auf den Beifahrersitz.

»Will mir denn niemand die Tür aufhalten?«, frage ich.

Das ist überflüssige Stichelei, aber was soll’s. Bevor ich einsteige, ziehe ich mein Handy aus der Tasche und wähle eine Nummer aus der Favoritenliste. Vom Fahrersitz sieht Reynolds mich mit einem Was-soll-der-Mist-Blick an. Ich hebe den Zeigefinger, um ihr mitzuteilen, dass es nur einen Moment dauern wird.

Ellie meldet sich: »Hey.«

»Ich muss für heute Abend absagen.«

Sonntagabend arbeite ich immer unentgeltlich in Ellies Notunterkunft für misshandelte Frauen.

»Was ist los?«, fragt sie.

»Erinnerst du dich an Rex Canton?«

»Von der Highschool? Klar.«

Ellie ist glücklich verheiratet und hat zwei Kinder. Ich bin Pate von beiden, was seltsam ist, aber funktioniert. Ellie ist der beste Mensch, den ich kenne.

»Er war Cop in Pennsylvania«, sage ich.

»Ja, das weiß ich.«

»Hast du mir nie erzählt.«

»Warum sollte ich?«

»Auch wieder wahr.«

»Was ist mit ihm?«

»Rex wurde ermordet. Jemand hat ihn bei einer Verkehrskontrolle erschossen.«

»Oh, das ist ja schrecklich. Das tut mir wirklich leid.«

Bei den meisten Menschen wäre das nur so daher gesagt. Bei Ellie spürt man das Mitgefühl.

»Was hast du damit zu tun?«, fragt sie.

»Das erklär ich dir später.«

Ellie verschwendet keine Zeit mit Fragen nach dem Warum oder nach weiteren Einzelheiten. Sie weiß, wenn ich mehr hätte erzählen wollen, hätte ich das getan.

»Okay, wenn du irgendwas brauchst, ruf mich an.«

»Kümmer dich für mich um Brenda«, sage ich.

Es entsteht eine kleine Pause. Brenda ist Mutter von zwei Kindern und eine der misshandelten Frauen in Ellies Frauenhaus. Ein brutales Arschloch hat ihr Leben in einen Albtraum verwandelt. Brenda ist vor zwei Wochen mitten in der Nacht mit einer Gehirnerschütterung, mehreren gebrochenen Rippen und leeren Händen in Ellies Notunterkunft erschienen. Seitdem hat sie nicht den Mut aufgebracht, das Haus zu verlassen, sie traut sich nicht einmal in den geschlossenen Hof des Frauenhauses, um frische Luft zu schnappen. Mit Ausnahme ihrer Kinder hat sie alles zurückgelassen. Sie zittert oft, zuckt zusammen und duckt sich, als würde sie ständig damit rechnen, geschlagen zu werden.

Ich würde Ellie gerne sagen, dass Brenda heute Abend nach Hause gehen und endlich ihre Sachen packen kann, dass ihr Peiniger – ein Kretin namens Trey – ein paar Tage lang nicht nach Hause kommen wird, aber in solchen Punkten herrscht selbst zwischen Ellie und mir eine gewisse Verschwiegenheit.

Sie wird es schon mitkriegen. Tun sie alle.

»Sag Brenda, dass ich zurückkomme«, füge ich hinzu.

»Mach ich«, sagt Ellie, und dann legt sie auf.

Ich sitze alleine hinten im Auto. Es riecht nach Polizeiwagen, also nach Schweiß, Verzweiflung und Angst. Reynolds und Bates sitzen vorn, als wären sie meine Eltern. Sie bombardieren mich nicht mit Fragen. Sie sind völlig still. Ich verdrehe die Augen. Echt jetzt? Haben sie vergessen, dass ich auch Cop bin? Sie warten darauf, dass ich zu reden beginne, dass ich mich verplappere. Der Wagen ist sozusagen ein mobiler Vernehmungsraum, in dem man den Täter absichtlich schmoren lässt.

Ich spiele nicht mit. Ich schließe die Augen und versuche zu schlafen.

Reynolds weckt mich. »Heißen Sie mit Vornamen wirklich Napoleon?«

»Ja«, sage ich.

Mein französischer Vater konnte den Namen nicht ausstehen, aber meine Mutter, die Amerikanerin in Paris, hatte darauf bestanden.

»Napoleon Dumas?«

»Alle nennen mich Nap.«

»Schwuchteliger Name«, sagt Bates.

»Bates«, sage ich. »Nennt man Sie öfter Master statt Mister?«

»Hä?«

Reynolds verkneift sich ein Lachen. Ich finde es unglaublich, dass Bates den nicht kennt. Er probiert es aus, murmelt leise »Master Bates« bis er es verstanden hat.

»Sie sind ein Arschloch, Dumas.«

Dieses Mal spricht er meinen Namen korrekt aus.

»Wollen wir loslegen, Nap?«, fragt Reynolds.

»Fragen Sie.«

»Sie haben Maura Wells ins AFIS eingegeben, richtig?«

AFIS. Automated Fingerprint Identification System – das automatische Fingerabdruckerkennungssystem.

»Tun wir mal so, als hätte ich die Frage bejaht.«

»Wann?«

Das wissen sie natürlich schon. »Vor zehn Jahren.«

»Warum?«

»Sie war verschwunden.«

»Wir haben das überprüft«, sagt Bates. »Ihre Familie hat nie eine Vermisstenanzeige aufgegeben.«

Ich antworte nicht. Wir lassen die Stille einen Moment im Raum hängen, bis Reynolds das Schweigen bricht.

»Nap?«

Es wird nicht gut aussehen. Das ist mir klar, lässt sich aber nicht ändern. »Maura Wells war meine Freundin auf der Highschool. Im letzten Jahr hat sie per SMS mit mir Schluss gemacht. Und auch alle anderen Kontakte abgebrochen. Sie ist weggezogen. Ich habe nach ihr gesucht, konnte sie aber nicht finden.«

Reynolds und Bates sehen sich an.

»Haben Sie mit ihren Eltern gesprochen?«, fragt Reynolds.

»Mit ihrer Mom, ja.«

»Und?«

»Und sie hat gesagt, Mauras Aufenthaltsort ginge mich nichts an und ich sollte mein Leben weiterleben.«

»Guter Rat«, sagt Bates.

Ich schlucke den Köder nicht.

Reynolds fragt: »Und wie alt waren Sie damals?«

»Achtzehn.«

»Sie haben Maura also gesucht und nicht gefunden …«

»Richtig.«

»Und was haben Sie dann getan?«

Ich will es nicht sagen, aber Rex ist tot, Maura könnte zurück sein, und man muss auch ein bisschen was anbieten, damit man im Gegenzug etwas bekommt. »Als ich bei der Polizei angefangen habe, habe ich ihre Fingerabdrücke ins AFIS eingegeben. Und eine Akte angelegt, in der ich sie als vermisst gemeldet habe.«

»Sie waren absolut nicht legitimiert, das zu tun«, sagt Bates.

»Darüber könnte man diskutieren«, sage ich. »Aber sind Sie hier, um mich wegen einer dienstrechtlichen Frage dranzukriegen?«

»Nein«, sagt Reynolds. »Sind wir nicht.«

»Ich weiß ja nicht«, gibt Bates sich zweifelnd. »Ein Mädel macht Schluss mit Ihnen. Fünf Jahre später geben Sie vorschriftswidrig ihre Daten ins System ein, damit Sie … tja, was? … versuchen können, ihr wieder an die Wäsche zu gehen?« Er zuckt die Achseln. »Klingt schon ein bisschen nach einem Stalker.«

»Ziemlich unheimliches Verhalten, Nap«, ergänzt Reynolds.

Ich bin sicher, dass sie einiges über meine Vergangenheit wissen. Aber sie wissen nicht genug.

»Darf ich davon ausgehen, dass Sie auch anderweitig nach Maura Wells gesucht haben?«, fragt Reynolds.

»Ein bisschen.«

»Und davon, dass Sie sie nicht gefunden haben?«

»Ja.«

»Haben Sie irgendeine Idee, wo Maura in den letzten fünfzehn Jahren gewesen sein könnte?«

Wir sind inzwischen auf dem Highway in Richtung Westen. Ich versuche immer noch, mir die Sache zusammenzureimen. Ich versuche, meine Erinnerungen an Maura mit Rex in Verbindung zu bringen. Und ich denke über dich nach, Leo. Du warst mit beiden befreundet. Hat das etwas zu bedeuten? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wir waren alle im gleichen Jahrgang, daher kannten wir uns alle. Aber wie eng waren Maura und Rex befreundet? Hat Rex sie womöglich zufällig erkannt? Und falls ja, bedeutet das, dass sie ihn ermordet hat?

»Nein«, sage ich. »Keine Ahnung.«

»Komische Geschichte«, sagt Reynolds. »In letzter Zeit gab es keinerlei Aktivitäten von Maura Wells. Sie hatte weder Kreditkarten noch Bankkonten und hat auch keine Steuern bezahlt. Wir suchen noch nach weiteren Unterlagen …«

»Sie werden nichts finden«, sage ich.

»Sie haben das überprüft.«

Das ist keine Frage.

»Wann ist Maura Wells untergetaucht?«, fragt sie.

»Soweit ich weiß«, antworte ich, »vor fünfzehn Jahren.«

VIER

Der Tatort befindet sich in einer ruhigen Nebenstraße, wie man sie aus der Umgebung von Flughäfen oder Betriebsbahnhöfen kennt. Keine Wohnhäuser. Ein Gewerbegebiet, das schon bessere Zeiten erlebt hat, mit ein paar Lagerhäusern, von denen die meisten leer stehen und die anderen auch bald geschlossen werden.

Wir steigen aus. Der Tatort ist provisorisch mit ein paar Holzböcken abgesperrt, um die man aber leicht herumfahren kann. Seit wir hier sind, hat das allerdings niemand getan. Ich merke mir das – den kaum vorhandenen Verkehr. Das Blut ist noch nicht entfernt worden. Jemand hat mit Kreide den Umriss von Rex’ Leiche markiert. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich so etwas das letzte Mal gesehen habe – eine echte Kreidemarkierung.

»Erzählen Sie Schritt für Schritt, was passiert ist«, sage ich.

»Sie ermitteln hier nicht«, faucht Bates.

»Wollen wir hier Pimmelfechten oder einen Polizistenmörder schnappen?«

Bates sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Selbst wenn die Polizistenmörderin Ihre alte Flamme ist?«

Besonders dann. Aber das sage ich nicht laut.

Sie tun noch eine Minute so, als müsste ich sie überzeugen, dann beginnt Reynolds: »Officer Rex Canton hielt gegen ein Uhr fünfzehn einen Toyota Corolla an, angeblich wegen des Verdachts auf Trunkenheit am Steuer.«

»Dann gehe ich davon aus, dass er das über Funk an die Zentrale gemeldet hat?«

»Das hat er, ja.«

Das ist Vorschrift. Wenn man ein Fahrzeug anhält, meldet man das über Funk oder überprüft das Kennzeichen, um festzustellen, ob der Wagen gestohlen wurde, es früher schon irgendwelche Vorkommnisse gab oder etwas anderes nicht stimmt. Außerdem erfährt man so den Namen des Eigentümers.

»Wem gehörte der Wagen?«

»Es war ein Mietwagen.«

Das gefällt mir nicht. Mir gefällt so einiges an dieser Geschichte nicht.

Ich frage: »Vermutlich nicht von einem der großen Verleiher, oder?«

»Wie bitte?«

»Die Mietwagenfirma. Es war nicht Hertz, Avis oder so etwas.«

»Nein, er war von einer kleinen Firma namens Sal’s.«

»Lassen Sie mich raten«, sage ich. »Sie liegt in der Nähe eines Flughafens. Und der Wagen wurde nicht im Voraus reserviert.«

Reynolds und Bates sehen sich an. Bates sagt: »Woher wissen Sie das?«

Ich beachte ihn nicht und sehe Reynolds an.

»Er wurde von einem Mann namens Dale Miller aus Portland, Maine, gemietet«, sagt Reynolds.

»Der Ausweis?«, frage ich. »War er geklaut oder eine Fälschung.«

Wieder sehen sie sich an. »Geklaut.«

Ich berühre das Blut. Es ist trocken. »Überwachungskameras bei der Mietwagenfirma?«

»Wir müssten die Bilder bald bekommen, aber der Mitarbeiter im Büro hat gesagt, Dale Miller sei ein älterer Mann gewesen. Mitte sechzig, vielleicht auch siebzig.«

»Wo wurde der Mietwagen gefunden?«, frage ich.

»Knapp einen Kilometer vom Flughafen Philadelphia entfernt.«

»Fingerabdrücke von wie viel Personen?«

»Auf den Vordersitzen? Nur die von Maura Wells. Die Mietwagenfirma reinigt die Wagen zwischen den Vermietungen offenbar sehr gründlich.«

Ich nicke. Ein Pickup-Truck biegt um die Kurve und fährt an uns vorbei. Das ist das erste Fahrzeug, das ich auf dieser Straße sehe.

»Auf den Vordersitzen?«, wiederhole ich.

»Wie bitte?«

»Sie sprachen von den Fingerabdrücken auf den Vordersitzen. Auf welcher Seite? Fahrer oder Beifahrer?«

Wieder sehen sie sich an.

»Auf beiden.«

Ich betrachte die Straße mit der Kreidezeichnung vom Umriss der Leiche und versuche, mir ein Bild zu machen. Dann drehe ich mich um und sehe sie an. »Vermutungen?«, frage ich.

»Im PKW befanden sich zwei Personen, ein Mann und Maura, Ihre Ex«, sagt Reynolds. »Officer Canton hält sie an, weil er vermutet, dass Alkohol im Spiel ist. Irgendetwas versetzt sie in Panik, sie schießen Officer Canton zweimal in den Hinterkopf und hauen ab.«

»Wahrscheinlich hat der Mann geschossen«, ergänzt Bates. »Er hat das Auto verlassen. Er schießt, Ihre Ex rutscht auf den Fahrersitz, dann springt er auf der Beifahrerseite rein. Das würde erklären, warum wir ihre Fingerabdrücke auf beiden Vordersitzen gefunden haben.«

»Der Wagen wurde, wie bereits erwähnt, mit einem gestohlenen Ausweis gemietet«, fährt Reynolds fort. »Daher gehen wir davon aus, dass der Mann etwas zu verbergen hatte. Canton hält sie an, merkt, dass etwas nicht stimmt – und bezahlt dafür mit dem Leben.«

Ich nicke, als würde ich ihre Arbeit bewundern. Ihre Theorie ist falsch, da ich aber auch keine bessere parat habe, bringt es nichts, ihnen zu widersprechen. Sie verschweigen mir etwas. Würde ich wahrscheinlich auch tun, wenn die Rollen andersherum verteilt wären. Aber ich muss herausbekommen, was genau sie mir vorenthalten, und das geht nur, indem ich nett bin.

Ich setze mein bezauberndstes Lächeln auf und sage: »Darf ich mir die Bilder der Dashcam ansehen?«

Das war natürlich der Schlüssel. Meistens zeigte das Video der Kamera auf dem Armaturenbrett nicht alles, in diesem Fall müsste aber genug zu sehen sein. Ich warte auf ihre Antwort – es wäre ihr gutes Recht, die Kooperation in diesem Moment abzubrechen – aber als sie sich ansehen, spüre ich noch etwas anderes.

Ihnen ist die Sache nicht geheuer.

Bates sagt: »Warum hören Sie nicht erst mal auf, uns zu verarschen.«

So viel zum bezaubernden Lächeln.

»Ich war achtzehn«, sage ich. »Im letzten Highschool-Jahr. Maura war meine Freundin.«

»Und sie hat mit Ihnen Schluss gemacht«, ergänzt Bates. »Das sagten Sie schon.«

Reynolds unterbricht ihn mit einer Handbewegung. »Was ist passiert, Nap?«

»Mauras Mutter«, sage ich. »Sie müssen sie gefunden haben. Was hat sie gesagt?«

»Wir stellen hier die Fragen, Dumas«, erwidert Bates.

Doch wieder erkennt Reynolds, dass ich helfen will. »Wir haben die Mutter gefunden, ja.«

»Und?«

»Und sie behauptet, sie hätte seit Jahren nicht mit ihrer Tochter gesprochen und würde ihren Aufenthaltsort nicht kennen.«

»Haben Sie persönlich mit Mrs Wells gesprochen?«

Reynolds schüttelt den Kopf. »Sie hat sich geweigert, mit uns zu reden und ihre Aussage über einen Rechtsberater zu Protokoll gegeben.«

Mrs Wells hat sich also einen Anwalt genommen. »Kaufen Sie ihr das ab?«, frage ich.

»Tun Sie das?«

»Nein.«

Ich bin noch nicht bereit, ihnen diesen Teil zu erzählen. Nachdem Maura mich verlassen hatte, bin ich in ihre Wohnung eingebrochen. Ja: dumm und impulsiv. Vielleicht aber auch nicht. Ich habe mich verloren gefühlt und war verwirrt, nachdem das Schicksal mir zwei so harte Schläge versetzt hatte. Erst hatte ich meinen Bruder verloren und dann die Liebe meines Lebens. Vielleicht erklärt es das.

Warum bin ich dort eingebrochen? Weil ich nach Hinweisen auf Mauras Aufenthaltsort gesucht habe. Der achtzehnjährige Jugendliche hat Detektiv gespielt. Ich habe nicht viel gefunden, aber eine Zahnbürste und ein Glas aus ihrem Bad mitgehen lassen. Damals hatte ich keine Ahnung, dass ich einmal bei der Polizei landen würde. Ich habe die beiden Gegenstände einfach für alle Fälle aufbewahrt. Warum, darfst du mich nicht fragen. Aber so eröffnete sich mir die Möglichkeit, Mauras Fingerabdrücke und ihre DNA in die Datenbanken einzugeben, als ich bei der Polizei war.

Oh, und die Sache ist aufgeflogen.

Die Polizei hat mich erwischt. In Person von Captain Augie Styles. Du mochtest Augie, stimmt’s, Leo?

Augie ist für mich seit dieser Sache eine Art Mentor. Seinetwegen bin ich jetzt Cop. Er hat sich auch mit Dad angefreundet. Man könnte sie wohl als Zechkumpane bezeichnen. Wir drei haben in der Tragödie zusammengefunden. Durch solche Ereignisse kommt man sich näher – man hat Menschen um sich, die verstehen, was man durchmacht – trotzdem ist der Schmerz allgegenwärtig. Eine Zuckerbrot-und-Peitschen-Beziehung, die nur ein Wort wirklich beschreibt: bittersüß.

»Warum glauben Sie der Mutter nicht?«, fragt Reynolds.

»Ich habe ihre Telefonverbindungen kontrolliert.«

»Die Telefonverbindungen der Mutter Ihrer Ex?« Bates betrachtet mich ungläubig. »Herrje, Dumas, Sie sind wirklich ein eingetragenes Mitglied im Club der Stalker.«

Ich tue so, als wäre Bates nicht da. »Die Mutter wird von Wegwerf-Handys angerufen. Das wurde sie zumindest.«

»Und woher genau wissen Sie das?«, fragt Bates.

Ich antworte nicht.

»Haben Sie sich einen Gerichtsbeschluss für die Überprüfung ihrer Telefonverbindungsdaten besorgt?«

Ich antworte nicht. Ich starre Reynolds an.

Reynolds sagt: »Sie gehen davon aus, dass Maura sie anruft?«

Ich zucke die Achseln.

»Aber warum gibt Ihre Ex sich so große Mühe, nicht gefunden zu werden?«

Wieder zucke ich die Achseln.

»Irgendeine Vermutung müssen Sie doch haben«, sagt Reynolds.

Die habe ich. Aber ich bin immer noch nicht bereit, sie preiszugeben, denn diese Vermutung ist auf den ersten Blick offensichtlich – und unmöglich. Ich habe lange gebraucht, es zu akzeptieren. Ich habe mit zwei Personen darüber gesprochen – mit Augie und Ellie –, und beide halten mich für verrückt.

»Zeigen Sie mir die Bilder der Dashcam«, sage ich zu ihr.

»Noch stellen wir hier die Fragen«, sagt Bates.

»Zeigen Sie mir die Bilder der Dashcam«, wiederhole ich. »Ich glaube, dann kann ich der Sache auf den Grund gehen.«

Wieder sehen Reynolds und Bates sich mit unbehaglichem Blick an.

Reynolds tritt näher heran. »Es gibt keine.«

Das überrascht mich. Und ich merke, dass auch sie davon überrascht sind.

»Sie war nicht eingeschaltet«, sagt Bates, als würde das irgendetwas erklären. »Canton war nicht im Dienst.«

»Wir gehen davon aus, dass Officer Canton sie abgestellt hat«, sagt Reynolds, »weil er auf dem Weg zurück ins Revier war.«

»Bis wann ging sein Dienst?«

»Mitternacht.«

»Wie weit ist das Revier von hier entfernt?«

»Fünf Kilometer.«

»Und was hat Rex von Mitternacht bis Viertel nach eins gemacht?«

»Wir sind noch dabei, seine letzten Stunden zu rekonstruieren«, sagt Reynolds. »Soweit wir bisher wissen, hat er den Streifenwagen noch etwas länger genutzt.«

»Was nicht ungewöhnlich ist«, ergänzt Bates schnell. »Sie kennen das. Wenn man morgens wieder Dienst hat, nimmt man den Streifenwagen einfach mit nach Hause.«

»Und obwohl das Abschalten der Dashcam nicht den Vorschriften entspricht«, sagt Reynolds, »passiert das immer wieder.«

Ich nehme ihnen die Version nicht ab, aber sie geben sich auch keine große Mühe, mich zu überzeugen.

Das Handy, das Bates am Gürtel trägt, klingelt. Er greift danach und geht ein paar Schritte zur Seite. Nach zwei Sekunden fragt er: »Wo?« Es entsteht eine Pause. Dann legt er auf und wendet sich Reynolds zu. Seine Stimme klingt angespannt. »Wir müssen los.«

Sie setzen mich an einem Busbahnhof ab, der so öde und verlassen wirkt, dass es mich nicht wundern würde, wenn ein Tumbleweed vorbeirollen würde. Am Fahrkartenschalter ist bestimmt niemand. Wahrscheinlich gibt es gar keinen Fahrkartenschalter.

Zwei Blocks weiter entdecke ich ein Stundenmotel, das den ganzen Glanz und alle Vorzüge einer Herpesinfektion verheißt. Auf dem Schild wird mit Stundenpreisen geworben, mit einem Farbfernseher (gibt es wirklich noch Motels mit Schwarz-Weiß-Fernsehern?) und mit »Themenzimmern«.

»Ich nehme die Tripper-Suite«, sage ich.

Der Angestellte legt den Schlüssel so schnell auf den Tresen, dass ich fürchte, die verlangte Suite bekommen zu haben. Das Farbschema des Zimmers könnte man, wenn man ihm schmeicheln wollte, als »ausgeblichenes Gelb« bezeichnen, allerdings nah an einem Urin-Ton. Ich schlage die Decke zurück, beruhige mich damit, dass meine Tetanusimpfung auf dem aktuellen Stand ist, und wage es, mich hinzulegen.

Captain Augie ist damals nicht zu uns nach Hause gekommen, nachdem ich bei Mauras Mutter eingebrochen war.

Ich glaube, er fürchtete, Dad würde einen Anfall erleiden, wenn der Streifenwagen noch einmal in die Einfahrt bog. Auch ich werde das Bild nie mehr aus dem Kopf bekommen – wie in Zeitlupe war der Streifenwagen vorgefahren, Augie hatte die Fahrertür geöffnet und war mit schwermütigen Schritten den Backsteinweg entlanggegangen. Augies eigenes Leben war ein paar Stunden zuvor in Schutt und Asche gelegt worden – und jetzt stand er vor uns und wusste, dass er uns das Gleiche antun würde.

Jedenfalls hat Augie mich deshalb auf dem Schulweg abgefangen und wegen des Einbruchs in Mauras Zimmer vernommen, statt zu Dad zu gehen.

»Ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen«, sagte er, »aber so etwas kannst du nicht machen.«

»Sie weiß was«, sagte ich.

»Tut sie nicht«, sagte Augie. »Maura ist nur ein verängstigtes Kind.«

»Hast du mit ihr gesprochen?«

»Vertrau mir, Junge. Du musst sie loslassen.«

Ich habe ihm vertraut – und tue das immer noch. Aber Maura habe ich nicht losgelassen – immer noch nicht.

Ich lege die Hände hinter den Kopf und starre die Flecken an der Decke an. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, wie sie dorthin gekommen sein könnten. Augie ist gerade im Sea Pine Resort in Hilton Head zu einem Strandurlaub mit einer Frau, die er auf einer Online-Dating-Seite für Senioren kennengelernt hat. Da will ich auf keinen Fall stören. Augie wurde vor acht Jahren geschieden. Seine Ehe mit Audrey hat in »jener Nacht« einen folgenschweren Schlag erhalten, sich dann aber noch sieben Jahre weitergeschleppt, bis sie schließlich gnädigerweise ein Ende fand. Augie hat lange gebraucht, um sich wieder zu verabreden. Warum sollte ich das wegen irgendwelcher Spekulationen kaputtmachen?

Augie würde in ein oder zwei Tagen zurück sein. Bis dahin kann das warten.

Ich überlege, ob ich Ellie anrufen und mit ihr über meine verrückten Ideen reden soll, als es plötzlich laut und eindringlich klopft. Ich stehe auf. Zwei uniformierte Cops stehen vor der Tür. Beide mustern mich mit finsteren Blicken. Es heißt, dass Ehepartner sich mit der Zeit immer mehr gleichen. Das gilt wohl auch für langjährige Partner bei der Polizei. In diesem Fall sind beide weiß, übertrieben muskulös und haben eine fliehende Stirn. Wenn ich ihnen wieder begegnen würde, hätte ich Probleme, sie zu unterscheiden.

»Was dagegen, wenn wir reinkommen?«, fragt Cop eins mit einem höhnischen Lächeln.

»Haben Sie einen Durchsuchungsbeschluss?«, frage ich.

»Nein.«

»Dann ja«, sage ich.

»Ja, was?«

»Ja, ich habe etwas dagegen, dass Sie hereinkommen.«

»Ihr Pech.«

Cop zwei schiebt sich an mir vorbei. Ich lasse ihn. Als beide drin sind, schließen sie die Tür.

Wieder lächelt Cop eins höhnisch. »Hübsches Loch haben Sie sich hier gesucht.«

Das soll, wie ich annehme, eine clevere Beleidigung sein. Als wäre ich höchstpersönlich für das Dekor verantwortlich.

»Wir haben gehört, dass Sie uns hinhalten«, sagt Cop eins.