Individualisierte Burnout-Therapie (IBT) - Gert Kowarowsky - E-Book

Individualisierte Burnout-Therapie (IBT) E-Book

Gert Kowarowsky

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Beschreibung

Dieses Manual enthält das Hintergrundwissen und die Praxisanleitung zur Individuellen Burnout-Therapie (IBT). Es vermittelt umfassende Kenntnisse über die beteiligten Faktoren und deren Wechselwirkungen, die einen Zustand völliger Erschöpfung auslösen und aufrechterhalten. Zusätzliche, online zur Verfügung gestellte, umfangreiche Arbeitsmaterialien können direkt in Therapie und Beratung eingesetzt werden und helfen individuell und systematisch Burnout-Symptome zu erfassen, Ursachen zu analysieren, Ressourcen zu aktivieren, fehlende Kompetenzen zu vermitteln und notwendige Lebensstiländerungen zu unterstützen.

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Seitenzahl: 528

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Gert Kowarowsky

Individualisierte Burnout-Therapie (IBT)

Ein multimodaler Behandlungsleitfaden

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechteinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032341-4

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-032342-1

epub:   ISBN 978-3-17-032343-8

mobi:   ISBN 978-3-17-032344-5

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Prolog

Einleitung

1 Burnout – Was ist das eigentlich?

1.1 Das Burnout betritt das Behandlungszimmer …

1.1.1 Sozialrechtliche Aspekte der Diagnostik

1.1.2 Burnout ist immer etwas Individuelles

1.1.3 Burnout: Der Persönlichkeit oder den Verhältnissen geschuldet?

1.1.4 Burnout kennt inzwischen jedes Kind

1.2 Die Geschichte des Burnout-Begriffs

1.3 Definitionen von Burnout

1.3.1 Die Grundelemente der Burnout-Definition

1.3.2 Burnout-Definitionen: Fazit

1.4 Die verschiedenen Burnout assoziierten Symptome

1.5 Der Burnout-Verlauf

1.5.1 Die verschiedenen Phasenmodelle des Burnout-Verlaufs

1.5.2 Die zwölf Stadien des Burnout-Verlaufs nach Freudenberger und North (1997)

2 Differenzialdignostik bei Burnout

2.1 Hinweise zu Besonderheiten bei der Gesprächsführung während der Anamnese und Diagnostik

2.2 Das biopsychosozial-environmentale Modell

2.3 Die somatische Ursachenvielfalt für einen Zustand völliger Erschöpfung

2.3.1 Adrenalinmangel

2.3.2 Allergie

2.3.3 Anämie

2.3.4 Andere Vitamin- oder Mikronährstoffdefizite im Blutbild

2.3.4.1 Vitamin-B1-Mangel

2.3.4.2 Vitamin-B2-Mangel

2.3.4.3 Vitamin-B3-Mangel

2.3.4.4 Vitamin-B4-Mangel

2.3.4.5 Vitamin-B5-Mangel

2.3.4.6 Vitamin-B6-Mangel

2.3.4.7 Vitamin-B7-Mangel

2.3.4.8 Vitamin-B8-Mangel

2.3.4.9 Vitamin-B9-Mangel

2.3.4.10 Vitamin-B10-Mangel

2.3.4.11 Vitamin-B11-Mangel

2.3.4.12 Vitamin-B12-Mangel

2.3.4.13 Biotin-Mangel

2.3.4.14 Coenzym-Q10-Mangel

2.3.4.15 Eisen-Mangel

2.3.4.16 Folsäure-Mangel

2.3.4.17 Kalium-Mangel

2.3.4.18 Kalzium-Mangel

2.3.4.19 Kupfer-Mangel

2.3.4.20 Magnesium-Mange

2.3.4.21 Molybdän-Mangel

2.3.4.22 Selen-Mangel

2.3.4.23 Thiamin-Mangel

2.3.4.24 Tryptophan-Mangel

2.3.4.25 Vitamin-A-Mangel

2.3.4.26 Vitamin-C-Mangel

2.3.4.27 Vitamin-D-Mangel

2.3.4.28 Vitamin-E-Mangel

2.3.4.29 Vitamin-K-Mangel

2.3.4.30 Zink-Mangel

2.3.4.31 Mangel an Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren

2.3.4.32 Wasser-Mangel

2.3.5 Weitere biologisch-medizinisch mögliche Gründe für Erschöpfung

2.3.5.1 Infektionen (bakterielle, virale)

2.3.5.2 Fernreisefolgen mit potenziellen Infektionen vor dem Auftreten der Erschöpfungssymptome

2.3.5.3 Hepatitis (Leberentzündung)

2.3.5.4 Diabetes

2.3.5.5 Starke Menstruationsblutungen und/oder starke hämorrhoidale Blutungen

2.3.5.6 Schwangerschaft

2.3.5.7 Krebs (Malignome, Lymphome, Leukämie)

2.3.5.8 Chronische Krankheiten

2.3.5.9 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises (incl. Fibromyalgie)

2.3.5.10 Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)

2.3.5.11 Nierenerkrankung

2.3.5.12 Lungenerkrankungen (z. B. Tuberkulose)

2.3.5.13 Herz-Kreislauf-Erkrankungen

2.3.5.14 Magen-Darm-Erkrankungen

2.3.5.15 Übergewicht (starke Gewichtszunahme vor Beginn der Erschöpfung)

2.3.5.16 Untergewicht (starke Gewichtsabnahme vor Beginn der Erschöpfung)

2.3.5.17 Chronisch ungesunde, unregelmäßige, nährstoffarme und vitalstoffarme Ernährung

2.3.5.18 Aktuell oder seit längerem vorgenommene radikale Ernährungsumstellung

2.3.5.19 Nebenwirkungen von Medikamenten

2.3.5.20 Borreliose

2.3.5.21 Epstein-Barr-Virus

2.3.5.22 Aktuell oder länger zurückliegende operative Eingriffe oder größere Verletzungen

2.3.5.23 Schlafstörungen

2.3.5.24 Andere Krankheiten mit einhergehender tiefer Erschöpfung

2.3.6 Zusammenfassung der sinnvollen somatischen Untersuchungen bei Burnout

2.4 Psychische/psychologische Ursachen

2.4.1 Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit (Störung durch Alkoholkonsum)

2.4.2 Angststörungen

2.4.2.1 Panikstörung

2.4.2.2 Agoraphobie

2.4.2.3 Soziale Phobie

2.4.2.4 Spezifische Phobien

2.4.2.5 Generalisierte Angststörung

2.4.2.6 Krankheitsangststörung (Hypochondrische Störung)

2.4.2.7 Zwangsstörung

2.4.3 Depressive Erkrankungen

2.4.3.1 Unipolare Depression

2.4.3.2 Bipolare Störungen

2.4.3.3 Posttraumatische Belastungsstörungen

2.4.3.4 Anpassungsstörungen

2.4.4 Neurasthenie

2.4.5 Chronisches Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome: CFS/ME) – Systemic Exertion Intolerance Disease (SEID)

2.4.6 Somatoforme Störungen – Somatische Belastungsstörungen

2.4.7 Persönlichkeitsstörungen

2.4.7.1 Paranoide Persönlichkeitsstörung

2.4.7.2 Schizoide Persönlichkeitsstörung

2.4.7.3 Schizotype Persönlichkeitsstörung

2.4.7.4 Antisoziale Persönlichkeitsstörung

2.4.7.5 Borderline-Persönlichkeitsstörung

2.4.7.6 Histrionische Persönlichkeitsstörung

2.4.7.7 Narzisstische Persönlichkeitsstörung

2.4.7.8 Vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung

2.4.7.9 Dependente Persönlichkeitsstörung

2.4.7.10 Zwanghafte Persönlichkeitsstörung

2.4.7.11 Persönlichkeitsveränderung aufgrund eines anderen medizinischen Krankheitsfaktors, andere näher bezeichnete Persönlichkeitsstörungen, nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörungen

2.4.8 Substanzkonsumstörungen

2.4.9 Essstörungen

2.4.9.1 Anorexie

2.4.9.2 Bulimie

2.4.9.3 Binge-Eating

2.4.10 Negativsymptomatik der Schizophrenie

2.5 Arbeitsplatzbedingte Ursachen

2.6 Soziale Ursachen

2.7 Umweltbedingte Ursachen

3 Individuelle Behandlungsplanung

3.1 Das individuelle Burnout-Verständnis erfassen

3.2 Die individuellen Einflussfaktoren gewichten – Sinnvolle Diagnostik

3.2.1 Burnout-Testverfahren

3.2.1.1 MBI – Maslach Burnout-Inventar

3.2.1.2 Tedium Measure – Die Überdruss-Skala (Tedium Scale)

3.2.1.3 Freudenberger-Test (Burnout-Test nach Freudenberger)

3.2.1.4 Canaff-Test (Burnout-Test nach Canaff)

3.2.1.5 BOSS – Burnout-Screening-Skalen

3.2.1.6 Possnigg-Test (Fragebogen zum Burnout-Zustand nach Possnigg)

3.2.1.7 HBI – Hamburger Burnout-Inventar

3.2.2 Erweiterte Burnout-Syndrom-Diagnostik

3.2.2.1 Das Stressverstärker-Profil nach Kaluza

3.2.2.2 AVEM – Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster

3.2.2.3 BDI-II – Beck Depressions-Inventar

3.2.2.4 Arbeitsblatt 1 und SCL-90

3.2.2.5 Störungsspezifische Diagnostik

3.3 Den Arbeitsauftrag erarbeiten

3.4 Individuelle Therapieziele festlegen

3.5 Therapiestrategien auswählen

3.6 Die therapeutische Allianz sichern durch motivierende Gesprächsführung

4 Therapiebausteine zur kompetenten Burnout-Behandlung – Die Behandlungsmodule

4.1 Die Grundlagen der Burnout-Behandlung

4.2 Modul 1: Das individuelle Burnout verstehen – Psychoedukation

4.3 Modul 2: Motivierung

4.4 Modul 3: ABC-Modell

4.4.1 Das ABC-Modell vermitteln

4.4.1.1 Das ABC-Modell praktisch anwenden

4.4.1.2 Antworten auf häufig von Patienten gestellte Fragen

4.4.1.3 Die Rationale Selbstanalyse (RSA) vermitteln

4.5 Modul 4: Burnout verstärkende Kognitionen kennenlernen

4.5.1 Die Top Ten irrationaler Grundeinstellungen nach Ellis

4.5.2 Eine ganz besondere Kognition

4.5.3 Die fünf Stressverstärker nach Kaluza

4.6 Modul 5: Burnout vermeidende Kognitionen einüben

4.6.1 Die Rationale Vorstellungsübung (RVÜ)

4.6.2 Konstruktive Kognitionen einüben mit dem Ein-Personen-Rollenspiel

4.6.3 Eine ganz besondere Art, konstruktive Kognitionen einzuüben

4.7 Modul 6: Äußere Belastungsfaktoren verringern – Stressbewältigungskompetenz vermitteln

4.7.1 Die eigenen Körperreaktionen unter Belastung kennenlernen

4.7.2 Entspannungsübungen selbständig durchführen können

4.7.3 Das ABC-Modell verstehen und anwenden können

4.7.4 Techniken der kognitiven Umstrukturierung anwenden können

4.8 Modul 7: Achtsamkeit und Akzeptanz verstehen und anwenden können

4.9 Modul 8: Selbstwertkonzept verstehen und anwenden können

4.10 Modul 9: Selbstregulationsfähigkeiten erlernen und anwenden können

4.10.1 Fehlt es an der Klarheit der Ziele?

4.10.2 Realistische Einschätzung eigener Kompetenzen

4.10.3 Die Fähigkeit, mit inneren und äußeren Störungen auf dem Weg hin zu Zielen kompetent umgehen zu können

4.10.4 Positive Konsequenzerwartung

4.11 Modul 10: Problemlösungsstrategien kennen und anwenden können

4.12 Modul 11: Zeitmanagement individuell anwenden können

4.13 Modul 12: Ressourcenaktivierung durchführen können

4.14 Modul 13: Resilienzfaktoren aktivieren können

4.14.1 Der Zehn-Punkte-Plan der APA zur Resilienz

4.14.2 Antonovsky: Resilienz durch Kohärenz

4.14.3 Die sieben Resilienzfaktoren nach Emmy Werner

4.15 Modul 14: Selbstfürsorge – Motivierung zur Lebensstiländerung

4.15.1 Relevante Bereiche der Selbstfürsorge

4.15.2 Selbstfürsorge aus der Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM)

4.15.3 Selbstfürsorge aus der Sicht des Ayurveda

Epilog

Individualisierte Burnout-Therapie (IBT) Flussdiagramm

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Onlinematerialien

Stichwortverzeichnis

 

Onlinematerial:

Arbeitsmaterialien

Memoblätter

Rezeptvorschläge

Videotipps

Abbildungen

 

 

 

Hinweis zum Onlinematerial:

Alle im Text erwähnten Arbeitsblätter, Memoblätter, Comics und Abbildungen finden Sie als Download unter http://downloads.kohlhammer.de/?isbn= 978-3-17-032341-4 (Passwort: 7t0tbllw)1. Hier können Sie die Unterlagen im direkt für die Praxis benutzbaren DIN-A4-Format ausdrucken.

 

Zusatz-Information

Die Memoblätter für Ihre Klienten, die Sie hier im Download zum Buch finden, können im Copyshop vergrößert werden auf jede beliebige Größe – DIN A3, 2, 1 oder ganz riesig auf beeindruckendes DIN-A0-Format. Viele Patienten berichten, dass die für sie wichtigsten Informationen als Poster in der Küche, im Flur, im Büro und sogar am Ort der Stille – in der Toilette – sie immer wieder an ihre Veränderungsziele erinnern. Beachten Sie jedoch bitte das Copyright. Eine Vervielfältigung zu professionellen Zwecken ist nicht gestattet.

1     Wichtiger urheberrechtlicher Hinweis: Alle zusätzlichen Materialien, die im Download-Bereich zur Verfügung gestellt werden, sind urheberrechtlich geschützt. Ihre Verwendung ist nur zum persönlichen und nichtgewerblichen Gebrauch erlaubt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Prolog

Was ist der Mensch – die Nacht vielleicht geschlafen,

doch vom Rasieren wieder schon so müd,

noch eh ihn Post und Telefone trafen,

ist die Substanz schon leer und ausgeglüht …

(Dr. med. Gottfried Benn 1955, in dem Gedicht „Melancholie“)

 

Einleitung

Erschöpfung, sich ausgebrannt fühlen, nicht mehr können – diese Erfahrung gibt es seit Menschengedenken, bis hin zur legendären biblischen Elias-Müdigkeit. Der Begriff „Burnout“ dagegen ist relativ neu. In den letzten Jahren hat die Bezeichnung „Burnout“ eine weite Verbreitung gefunden. In Talkshows, Tageszeitungen, Zeitschriften und vielen wissenschaftlichen und unwissenschaftlichen Büchern wird darüber berichtet. Am Arbeitsplatz fehlt dieser oder jener wegen „Burnout“. Viele Patienten2 kommen in die Sprechstunde mit der klaren Ansage: „Ich kann nicht mehr, bitte helfen Sie mir, ich habe Burnout.“

Burnout – die Krankheit der Manager? Immer mehr Personen aus helfenden, erzieherischen, kreativen oder Dienstleistungsberufen, und nicht wie oftmals angenommen nur aus dem Management, zunehmend Studierende und Alleinerziehende, letztendlich Menschen aus allen Arbeitsbereichen wenden sich an Beratungsstellen, Praxen und Kliniken auf der Suche nach Hilfe bei Burnout. Der Auftrag ist klar – zumindest vermeintlich. Doch welche Symptomatik bezeichnet der jeweilige Patient als Burnout und welche impliziten Vorstellungen von angemessener Hilfe bringt er mit? Viele Patienten finden es ich-synton, also unproblematisch und mit ihrem Selbstbild übereinstimmend, unter Burnout zu leiden und Hilfe zu suchen. Ausgebrannt zu sein beinhaltet für sie die selbstwerterhaltende Botschaft, intensiv für ihr Leistungsfeld gebrannt zu haben. Die möglichen Diagnosen Anpassungsstörung, depressive Episode, Angststörung, somatoforme Störung oder gar Persönlichkeitsstörung würden diese Patienten ganz sicher weit von sich weisen.

Diese Diagnosen jedoch findet der professionelle Helfer leicht in der 2016 noch gültigen Internationalen Klassifikation der Krankheiten ICD-10 im Kapitel V (F). „Burnout“ dagegen befindet sich in der ICD-10 erst weit hinten im Kapitel XXI (Z) unter der Überschrift: „Z73 Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. Der Unterpunkt Z73.0 definiert Burnout lapidar als: „Erschöpfungssyndrom (Ausgebranntsein; Burnout-Syndrom)“. Die Popularität dieses Begriffs wird dadurch jedoch in keinster Weise geschmälert. Immer mehr Helfende erfahren in ihren Praxen, Beratungsstellen und Kliniken die ungebrochen wachsende Nachfrage nach qualifizierter Hilfe.

Das vorliegende Buch möchte Ihnen dabei helfen, Burnout kompetent zu behandeln. Es zeigt die wichtigsten Symptome und Ursachenzuschreibungen auf, die Patienten gewöhnlich als Grundlage ihres persönlichen Burnouts verstehen. Daraus folgt die Notwendigkeit, den Uniformitätsmythos zu verlassen und jedem Patienten nach einer individuellen Analyse seines Burnoutverständnisses und seiner je individuellen Persönlichkeits- und Störungscharakteristika auch ein ganz individualisiertes Therapieangebot für seine real vorliegende Symptomatik zu erstellen. Folgen wir dem Ausgangsauftrag („Helfen Sie mir, mein Burnout zu bewältigen!“), können wir vielen Menschen stigmatisierungsfreie, adäquate Hilfe bei einer Vielzahl von relevanten Krankheitsbildern zuteilwerden lassen, die ansonsten nie um eine Therapie nachgefragt haben würden.

Auf der Basis der kognitiven Verhaltenstherapie, insbesondere der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie und der motivierenden Gesprächsführung wird ein multimodaler individualisierter Behandlungsansatz vermittelt. Individualisierbare verhaltenstherapeutische Bausteine befassen sich mit persönlichen Ansprüchen, den realen Veränderungsmöglichkeiten der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie den Verbesserungsmöglichkeiten der Selbstfürsorge und der Pflege sozialer Netzwerke bei vorliegendem hohem Stress im Beruf bzw. bei der aktuell vorliegenden Haupttätigkeit – sei diese Schulbesuch, Studium, Haushaltsführung, Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen. Ziel ist eine dauerhafte Änderung des Lebensstils, die das Burnout minimiert.

Der multimodale Behandlungsansatz der Individualisierten Burnout-Therapie (IBT) vermittelt Kompetenzen zur Motivierung für einen gesundheitsbewussteren Lebensstil und zur Bewältigung von Berufsstress, Arbeitsplatzangst, anderen Ängsten, Erschöpfung bedingenden Störungen und Depression. Bewährte Elemente der in diesem Buch beschriebenen Behandlungsbausteine sind Psychoedukation, die Verbesserung sozialer Kernkompetenzen, die kognitive Umstrukturierung dysfunktionaler Basisüberzeugungen durch die Rationale Selbstanalyse sowie die Vermittlung von Techniken zur Verhaltensänderung und zur Regeneration der verloren gegangenen Kraft und Energie auf der Basis vermehrter Selbstfürsorge. Auf dem Memoblatt M0 und Seite 282–283 finden Sie das Flussdiagramm der Gesamtbehandlungskonzeption anschaulich dargestellt.

Das Ziel dieses Buches ist, dass Therapeuten das Burnout-Syndrom als subjektiv erlebte Belastungserfahrung verstehen und auf dem Hintergrund der Theorie der Multikausalität Betroffene individualisiert, kompetent und wirksam behandeln können.

Ich habe dieses Buch für Psychotherapeuten, Psychologen, Ärzte und Berater, Ausbildungskandidaten und Angehörige helfender Berufe geschrieben. Selbstverständlich ist es auch für alle gedacht, die an Burnout leiden und es kompetent mit IBT behandelt wissen wollen.

 

Bad Steben, 12.1.2017

Gert Kowarowsky

2     Patient oder Patientin: Die maskuline Sprachform in diesem Buch schließt allzeit die Wahrnehmung der Rolle durch eine Frau mit ein.

 

1          Burnout – Was ist das eigentlich?

1.1       Das Burnout betritt das Behandlungszimmer …

… doch es bringt Herrn Maier mit. Das Konzept „Burnout“ birgt eine große Chance, Menschen mit klinisch relevanten Störungsbildern stigmatisierungsfreie Hilfe zuteilwerden zu lassen. Menschen, die spüren, dass ihr alltägliches Mit-sich-und-der-Welt-Klarkommen nicht mehr funktioniert, betreten das Behandlungszimmer mit einem Auftrag an uns Behandelnde, der aus ihrer Sicht sehr klar ist: Ich habe Burnout und ich wünsche mir Hilfe dabei, aus diesem Zustand wieder herauszukommen. Unsere Aufgabe ist es nun herauszufinden, worin genau dieser als Burnout bezeichnete Zustand besteht. Tatsächlich ist das, was jeder konkrete einzelne Hilfesuchende unter Burnout versteht, oftmals sehr unterschiedlich.

Fallbeispiele:

Herr Maier, 42 J., Niederlassungsleiter eines internationalen Konzerns, fühlt sich völlig ausgebrannt: nächtliche Telefonkonferenzen mit den Geschäftspartnern in Ländern mit versetzten Zeitzonen bei unausgesprochener Erwartung der Geschäftsleitung, morgens um 7 Uhr wieder im heimischen Werk bereit zu stehen. Die Vorbereitungen für das nächste Audit zur Qualitätssicherung sitzen ihm im Nacken. Nebenbei Umbau und Modernisierung seines kürzlich günstig erworbenen über fünfzig Jahre alten Hauses. Zunehmender Druck von der Geliebten, die dadurch die Hoffnungen schwinden sieht, dass er sich endlich von seiner Ehefrau scheiden lassen wird. Der 16-jährige Sohn hat einen „blauen Brief“ von der Schule mit nach Hause gebracht: Versetzung gefährdet! Die Eltern werden in die Elternsprechstunde geladen.

Frau Müller, 36 J., dagegen pflegt ihre anspruchsvolle und von ihr nie geliebte Schwiegermutter zu Hause und bekommt von ihrem Mann jeden Abend nur Vorwürfe zu hören, weshalb sie seine Mutter nicht liebevoller und fürsorglicher behandle. Zeit zum Treffen mit ihrer besten Freundin hat sie schon seit Monaten nicht mehr gefunden. Sie hört sich immer öfter zu sich selbst sagen: „Ich kann einfach nicht mehr!“ Frau Müller versteht unter ihrem Burnout ganz sicher etwas anderes als Herr Özdemir:

Herr Özdemir, 49 J., spürt von Woche zu Woche mehr, wie ihm die Kräfte schwinden. Er wurde vor einigen Monaten zum Polizeidienststellenleiter befördert und sieht sich nun einer Fülle persönlicher Anfeindungen von vormals gleichgestellten Kollegen ausgesetzt. Zusätzliche administrative Aufgaben können nur durch regelmäßige Überstunden, oft bis spät in die Nacht hinein, bewerkstelligt werden. Der bei einigen Kollegen nach Feierabend zu beobachtende entlastende Griff zur Flasche kommt für ihn jedoch schon aus Glaubensgründen nicht in Frage. Zum Abschalten hat er sich stattdessen angewöhnt, spät abends viel zu viel zu essen. Dennoch hat er in den letzten drei Monaten schon fünf Kilogramm abgenommen. Es beunruhigt ihn. Eigentlich müsste er mal wieder zum Arzt, um sich gründlich durchchecken zu lassen. Aber nein! Dafür ist nun wirklich keine Zeit.

Frau Schulze, 38 J., indessen ist seit drei Jahren auf der Suche nach einem neuen Lebenspartner. Dutzende von Verabredungen hat sie nun schon erfolglos mit viel Einsatz und oft wochenlanger vorbereitender Lektüre hinter sich gebracht. Sie fühlt sich müde, erschöpft, zunehmend gereizter und fragt sich völlig verzweifelt, ob das alles überhaupt noch einen Sinn hat, angesichts der Übermacht an jüngeren, attraktiveren Konkurrentinnen. So richtig deprimiert wird sie immer dann, wenn sie daran denkt, wie viel Geld sie für die Mitgliedschaft in entsprechenden Internet-Partnerschaftsportalen schon ausgegeben hat. Eigentlich hasst sie sich dafür, dass sie tut, was sie tut. Da sie aber keine wirkliche Alternative zu sehen vermag, macht sie eben weiter. Wenn bloß diese bleierne Schwere und Müdigkeit, dieses tiefe hoffnungslose Erschöpftsein von ihr fallen würde!

Frau Piazolo, 24 J., dagegen sitzt derzeit Tag und Nacht über ihrer Dissertation im Fach Pädagogik. Sie hat sich ein anspruchsvolles Thema gewählt. Die junge Frau fühlt sich völlig ausgebrannt und ist kurz davor aufzugeben – nicht nur ihre Dissertation, sondern auch das ganze besch… Leben.

Praxistipp:

Unsere initiale Aufgabe als Behandelnde besteht in jedem Einzelfall darin zu klären, ob und welche sozialrechtlich relevante(n) Diagnose(n) in der vorgebrachten Beschwerdenschilderung vorliegt bzw. vorliegen. Es bedarf einer exakten Differenzialdiagnose, um diese gemäß den Kriterien der ICD-10 angemessen vergeben zu können.

1.1.1     Sozialrechtliche Aspekte der Diagnostik

Die meisten Hilfesuchenden gehen davon aus, dass Burnout eine anerkannte Krankheit ist, deren Behandlung sowohl von den gesetzlichen als auch den privaten Krankenkassen übernommen wird und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtfertigt. Dies ist jedoch nicht der Fall!

ICD-10. In der internationalen Klassifikation aller Krankheiten, der ICD-10, wird Burnout nur unter der Rubrik „Zusatzdiagnosen“ unter der Überschrift „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“ aufgeführt. Als Unterpunkt Z73 findet sich hier die Überschrift: „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ und darunter letztendlich: „Z73.0 Erschöpfungssyndrom (Ausgebranntsein; Burnout-Syndrom)“.

Dieser Definition fehlen die sonst üblichen spezifizierenden Zusatzangaben über typische Symptombündel, Mindestanzahl der Symptome, Länge der Symptomdauer oder Auftretenshäufigkeit der Symptome. Eine genaue, sozialrechtlich anerkannte spezifische Burnout-Diagnose ist daher mangels genauer wissenschaftlich festgelegter Kriterien prinzipiell unmöglich und ganz offensichtlich von den für das Gesundheitswesen Verantwortlichen auch nicht erwünscht.

DSM-5. Noch deutlicher spiegelt sich diese Tatsache im Klassifikationssystem der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung wider. In ihrem diagnostischen und statistischen Manual in der seit 2013 gültigen fünften Version DSM-5 (American Psychiatric Association: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition, DSM-5) finden wir Burnout weder im Glossar noch unter der Auflistung der Störungsbegriffe der seit Oktober 2016 verbindlichen ICD-10-CM-Kodes. Für die ICD-10-Ziffer Z73.0 findet sich kein entsprechender Referenzeintrag zu einer DSM-5-Diagnose.

Unter der Rubrik „Andere klinisch relevante Probleme“ finden sich lediglich:

•  Z 56.9 Andere Probleme im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit

•  Z 65.8 Anderes Problem im Zusammenhang mit psychosozialen Umständen

Bei diesen Klassifikationen handelt es sich jedoch um Phänomene, die nach dem DSM-5-Klassifikationssystem nur zusätzlich kodiert werden, wenn sie Anlass zum Hilfesuchen waren oder wenn das Problem den Verlauf, die Prognose oder die Behandlung einer psychischen Störung oder einer körperlichen Erkrankung beeinflusst. Sie gelten auch hier nicht als sozialrechtlich relevante Diagnosen, sondern sind lediglich äquivalent zu den Z-Diagnosen des ICD-10 zu sehen.

Die Burnout-Diagnose nach DSM-5 könnte eng begrenzt auf den Berufsbereich folglich lauten:

•  Z 56.9 Andere Probleme im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit

Sollte sich die Burnout-Diagnose auf überwiegend andere psychosoziale Belastungen beziehen, könnte gemäß DSM-5 kodiert werden mit:

•  Z 65.8 Anderes Problem im Zusammenhang mit psychosozialen Umständen

Soweit im Vorfeld der aktuellen Arbeiten am ICD-11 (geplantes Erscheinungsjahr 2017) bekannt wurde, ist Burnout auch in den neueren Versionen dieses Klassifikationssystems nicht als offizielle Krankheitsdiagnose vorgesehen. „Burnout“ ist demnach keine sozialrechtlich anerkannte Krankheitsdiagnose, sondern lediglich eine Zusatzdiagnose ohne immanenten Behandlungsauftrag.

Praxistipp:

„Burnout“ sollte niemals als alleinige Diagnose gestellt werden, wenn eine gerechtfertigte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt werden soll oder eine über eine private oder gesetzliche Krankenkasse finanzierte Therapie angestrebt wird. Es ist sozialrechtlich von absoluter Notwendigkeit, mindestens eine zusätzliche anerkannte Hauptdiagnose zu stellen, die den vorgebrachten Symptomen und Beschwerden angemessen ist und nach den ICD-10- bzw. ICD-11- Kriterien objektiv validiert werden kann.

Im weiteren Verlauf der Ausführungen wird im Kapitel 2 deutlich werden, wie groß das Spektrum der relevanten Hauptdiagnosen tatsächlich sein kann, die zu den Symptomen gehören können, die hinter dem Begriff Burnout vorgebracht werden. Nicht selten finden wir hierunter: Depression, Angststörung, Tinnitus, Bluthochdruck, somatoforme Schmerzstörungen, Persönlichkeitsstörungen und viele weitere psychische, psychosomatische und somatische Erkrankungen mit eindeutiger ICD-10- Diagnosenzuordnung.

Vor dem Hintergrund der Popularität der Verwendung des Burnout-Begriffs wird offensichtlich, dass es für nicht mit dem Diagnostiksystem vertraute Hilfesuchende nicht nachvollziehbar wäre, wenn wir wissenschaftlich exakt antworten würden: „Ich kann Sie nicht auf Kosten Ihrer Krankenkasse wegen Burnout behandeln. Burnout gibt es nicht als sozialrechtlich anerkannte behandlungsrelevante Diagnose.“ Nutzen Sie deshalb die Chance zu einer individuellen, stigmatisierungsfreien adäquaten Hilfestellung, wenn ein Patient sich mit der Bitte an Sie wendet, sein Burnout-Problem bearbeiten zu wollen. Dies ist Ihnen jederzeit legal als Kassenleistung möglich, wenn Sie auf der Basis der jeweiligen Symptomschilderungen eine wissenschaftlich anerkannte, sozialrechtlich behandlungsrelevante Diagnose stellen.

1.1.2     Burnout ist immer etwas Individuelles

Die Analyse typischer Aussagen, die von Patienten üblicherweise unter der Einleitung: „Ich habe Burnout – …“ geäußert werden, macht jedem Behandelnden schnell deutlich: Burnout ist für jeden Hilfesuchenden etwas ganz Eigenes.

Hier einige typische Erstgesprächsaussagen von Hilfesuchenden aus dem Praxisalltag:

•  „Ich habe Burnout – bitte helfen Sie mir.“

•  „Ich habe Burnout – es ist mir einfach alles zu viel, ich kann nicht mehr.“

•  „Ich habe Burnout – mein ganzer Körper schmerzt, ich bin völlig fertig.“

•  „Ich habe Burnout – ich kann nicht mehr! Was soll das alles? Bringe ich es noch?“

•  „Ich habe Burnout – Stress pur, ich bin nur von Idioten umgeben, nichts geht mehr.“

•  „Ich habe Burnout – ich bin völlig antriebslos, leer, nur noch ein Schatten meiner selbst.“

•  „Ich habe Burnout – Müdigkeit, das Gefühl, alles ist schon vorbei.“

•  „Ich habe Burnout – ich fühle mich so ausgebremst; ich glaube, ich bin echt depressiv.“

•  „Ich habe Burnout – ich fühle mich meinen Aufgaben nicht mehr gewachsen.“

•  „Ich habe Burnout – ich bringe keine Leistung mehr.“

•  „Ich habe Burnout – ich fühle mich ständig angespannt, habe so eine ständige Unruhe in mir, kann nicht mehr schlafen, kann mich überhaupt nicht mehr richtig erholen, kann nicht mehr abschalten, drehe ständig zu hoch, komm gar nicht mehr runter, kann mich über alles und alle aufregen, gehe bloß noch mit Widerwillen zur Arbeit, wo einem eh nix gedankt wird.“

•  „Ich habe Burnout – wenn ich morgens aufwache, habe ich keinen Bock auf gar nichts mehr, ich überbiete meine Schüler noch an Widerwillen gegenüber der Schule.“

•  „Ich habe Burnout – mir ist jedes Gespräch zu viel, ich will nur noch in Ruhe gelassen werden und knirsche nachts so sehr mit den Zähnen, dass mein ganzer Unterkiefer schon seit Wochen weh tut.“

•  „Ich habe Burnout – ich bin ständig grantig, keiner versteht mich. Meine Akkus sind leer und ich finde die Ladestation nicht mehr. Wenn ich frühmorgens komme und schon zehn Patienten im Wartezimmer sitzen und mich anglotzen, könnte ich grad wieder umdrehen und schreiend davonlaufen.“

Der Patient hat unser Behandlungszimmer betreten mit der Hoffnung auf Hilfe. Er hat uns die aus seinem Verständnis wichtigsten Informationen über seine Symptome mitgeteilt und hat nun aus seiner Sicht zu Recht die Erwartung auf kompetente Unterstützung bei seiner persönlichen Burnout-Bewältigung.

Die validierende, empathisch wertschätzende Grundhaltung des Helfers, der dem Hilfesuchenden deutlich macht, dass er bereit ist, die Details der aus Patientensicht dem Burnout geschuldeten Beschwerden umfassend verstehen zu wollen, ist hierbei der erste Schritt zum Aufbau einer konstruktiven therapeutischen Allianz. Rainer Sachse spricht 2006 hierbei von initialen Einzahlungen ins Beziehungskonto als unabdingbare Voraussetzung für jede effektive therapeutische Intervention. Für die im weiteren Verlauf der Behandlung unvermeidlichen Konfrontationen mit dysfunktionalen Denk- und Verhaltensweisen, die nach Sachse Beziehungskredit kosten, wird somit eine belastbare Basis geschaffen. Wie bei jeder anderen therapeutischen Intervention gilt es dann, unter dem Arbeitsauftrag „Burnout-Behandlung“ gemeinsam erreichbare Ziele festzulegen, Ressourcen zu orten, Möglichkeiten, aber auch Grenzen des Patienten und seines Umfeldes sowie der aktuellen gesellschaftlichen und weltwirtschaftlichen Randbedingungen realistisch einzuschätzen und authentisch zu vermitteln. Ein gemeinsamer Blick auf die Comics von Mester kann an dieser Stelle bereits helfen, den Blick über das im Individuum Liegende und individuell Veränderbare hinaus zu weiten. Sie finden diese auch als Handouts zum Download unter Abb.1.1, Abb.1.2, Abb.1.3 und Abb.1.4 (s. Hinweis auf S. 10).

Praxistipp:

Informieren Sie zu Beginn einer Therapie Ihre Patienten, dass Sie ihnen im Verlauf der Behandlung diverse für sie persönlich ausgewählte Materialien aushändigen werden, wie Arbeitsblätter, Memoblätter (wegen ihrer Wirksamkeit auch „Textpillen“ genannt), Comics sowie Rezeptvorschläge für hilfreiche Verhaltensweisen. Empfehlen Sie ihnen, dafür einen Ordner anzulegen und diesen zu jeder Sitzung mitzubringen. So entsteht nach und nach ein ganz individuelles Therapiehandbuch, das in jeder Therapiestunde weiter aufgefüllt werden kann und außerdem den Zugriff auf früher erarbeitete Ergebnisse erlaubt. Auch erhält jeder Patient ein Arbeitsblatt zur Nachbearbeitung der Therapiestunde (Arbeitsblatt 1a). Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Effekt jeder Stunde vertieft werden kann durch die Reflexion darüber, was das Wichtigste in der Stunde war, wie zufrieden der Patient mit dem Verlauf der Stunde, mit sich selbst und mit dem Therapeuten war, was ihm eventuell gefehlt hat, was beim nächsten Mal angesprochen werden sollte und was er selbst sich bis zum nächsten Mal zu tun vorgenommen hat. Schlagen Sie Ihren Patienten außerdem vor, sich die für Sie wichtigsten und prägnantesten Textpillen groß auszudrucken und gut sichtbar zu Hause aufzuhängen (s. Hinweis auf S. 10).

1.1.3     Burnout: Der Persönlichkeit oder den Verhältnissen geschuldet?

Abb. 1.1: Individuelles Versagen oder zu schneller Taktschlag?

Abb. 1.2: Dreht das Rad zu schnell oder grübelst du zu viel?

Abb. 1.3: Sind die Anforderungen zu hoch oder bist du zu schwach?

Abb. 1.4: Sind die Vorgaben zu hoch oder bist du zu langsam und zu geschwätzig?

1.1.4     Burnout kennt inzwischen jedes Kind

Abb. 1.5: Ohne Worte

1.2.       Die Geschichte des Burnout-Begriffs

Herbert Freudenberger (1926–1999) gilt als der Vater des Burnout-Begriffs. Seine eigene Biografie wird gerne als geradezu dafür prädestiniert angeführt, dass er es war, der den Begriff Burnout in Zusammenhang mit beruflicher und persönlicher Überlastung und deren psychischen und physischen Folgen brachte. Er arbeitete als Psychoanalytiker in eigener Praxis in New York, daneben als Lehranalytiker sowie ehrenamtlich in sozialen Einrichtungen, etwa einer „Free Clinic“ in Spanish Harlem (Klientel: u.a. drogenabhängige Jugendliche). Dazu kamen Besprechungen, Supervision, Fortbildungen oft bis spät in die Nacht. Er und viele seiner Mitarbeiter arbeiteten bis zur völligen Erschöpfung. Burnout als psychologischer Begriff wurde durch ihn zum Synonym für einen Zustand völliger psychischer und körperlicher Erschöpfung.

Nach einem eigenen körperlichen Zusammenbruch schrieb er 1974 zum ersten Mal einen Artikel über Burnout im Journal of Social Issues. Der Begriff Burnout sollte sich durch diesen nur sieben Seiten umfassenden Artikel nach anfänglich geringer Resonanz über die ganze Welt ausbreiten. Viele weitere Veröffentlichungen zum Thema folgten.

1.3       Definitionen von Burnout

1.3.1     Die Grundelemente der Burnout-Definition

Burnout wird in der Literatur oft definiert als Endzustand einer Entwicklungslinie, die mit Begeisterung und Engagement begann und sich durch frustrierende Ereignisse schleichend zu Desillusionierung wandelt.

Übereinstimmend beschreiben viele Autoren Burnout als eine chronifizierte, arbeitsbezogene Stressreaktion, die zu einem dauerhaften negativen Gemütszustand bei „normalen“ Individuen führt, also bei Menschen, die ansonsten keinerlei Kriterien für eine psychische Krankheit erfüllen. In fortgeschrittenen Stadien wird die Erschöpfung als die wesentlichste Komponente dargestellt.

Der Begriff „Burnout“ wird hierbei sehr vielschichtig und unterschiedlich verwendet. Prinzipiell lassen sich nach Barth (1992) drei Sichtweisen eruieren:

•  Burnout wird beschrieben als Syndrom, mit je nach Autor unterschiedlichsten Kombinationen von Symptomen.

•  Burnout wird beschrieben als der Endzustand eines fortschreitenden Verausgabungsprozesses.

•  Burnout wird beschrieben als der Verausgabungsprozess selbst.

Zur Definition von Burnout gehören die drei Dimensionen

1.  emotionale Erschöpfung,

2.  Zynismus, Entfremdung, Distanzierung und Demotivierung sowie

3.  subjektiv eingeschätzte Leistungsminderung.

Burnout wird als Ausdruck einer ungenügenden Bewältigung arbeitsrelevanter Belastungen beziehungsweise als Resultat einer mangelnden Übereinstimmung zwischen den Ressourcen und Eigenschaften eines Arbeitnehmers und seiner Arbeitsumgebung interpretiert. Als Risikofaktoren zur Entstehung eines Burnouts gelten einerseits bestimmte Charakteristika oder Einstellungen des Individuums, andererseits spezifische Arbeitsbedingungen, deren Interaktion bei den Betroffenen zur subjektiven Wahrnehmung von Stress und bei Dauerbelastung zu einer Burnout-Symptomatik führt.

Die drei Hauptkennzeichen, auf die in den meisten Burnout-Definitionen Bezug genommen wird und mit denen das Burnout-Syndrom am häufigsten charakterisiert wird, sind:

•  Erschöpfung

•  Depersonalisation

•  Leistungsabbau

Erschöpfung. Körperliche, geistige und emotionale Ermüdung gelten hierbei als erste Warnsignale, mit einer oftmals nach und nach entstehenden Apathie.

Depersonalisation. Verschlechterte Beziehungen zur sozialen Umwelt durch Zynismus, Reizbarkeit, Ungeduld, Vorwürfe gelten als charakteristisch. Das kann bis hin zur Dehumanisierung des Gegenübers gehen, bedingt durch die Veränderung der eigenen Persönlichkeit durch chronisch überhöhte Arbeitsbelastung, unerfüllte Bedürfnisse und Erwartungen.

Die in den Beschreibungen oft als Depersonalisation bezeichnete Veränderung in der Einstellung und im Verhalten der Betroffenen bezieht sich dabei sowohl auf die nicht-wertschätzende Verhaltensweise anderen Personen gegenüber als auch auf die Veränderung der eigenen Person, die nach und nach nur noch ein Schatten ihres ursprünglichen, oft sehr prosozialen Persönlichkeitsprofils zu sein scheint. Diese Entwicklung wird oft auch verstanden als dysfunktionaler Bewältigungsversuch gegenüber der zunehmenden Erschöpfung. Diese zunehmende Entfremdung sich selbst, der Arbeit und den anderen gegenüber begünstigt aber in den meisten Fällen das Auftreten psychosomatischer Erkrankungen (Herz-Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Dysfunktionen etc.) bis hin zu Depression, Panikattacken, Zwangs- und Suchterkrankungen.

Leistungsabbau ist dadurch unvermeidlich – zuerst subjektiv wahrgenommen, später zunehmend objektiv beobachtbar. Widerwillen gegen überhaupt alles kennzeichnet die Beschreibungen des Endzustands. Bezieht sich dieser Widerwille mit zunehmender Frustration und Depressivität auf sich selbst, ist Selbsttötung als unumkehrbarer Burnout-Endpunkt nicht ausgeschlossen.

Es gibt eine Fülle unterschiedlichster Definitionsversuche des Burnout-Syndroms; einige der bekanntesten sind enthalten in den Arbeiten von Maslach (1982), Pines und Aronson (1981), Brill (1984), Cherniss (1999), Edelwich und Brodsky (1980) sowie von Schaufeli und Enzmann (1998). Bei Burisch (2010) finden sich zusammenfassende und differenzierte Darstellungen dieser Definitionsversuche seiner Kolleginnen und Kollegen.

1.3.2     Burnout-Definitionen: Fazit

Selbst bei dem Versuch, ein Fazit aus all diesen vielfältigen Definitionsversuchen zu formulieren, erhalten wir ein schillerndes Bild, dessen letztendliche Konturen noch nicht abschließend festgelegt sind.

Burnout wird auf dem Hintergrund der meisten Definitionsversuche häufig als occupational stress bezeichnet, Berufsstress also, der sich im Wesentlichen auf besondere Belastungen im Zusammenhang mit der Arbeit bezieht und sich in multiplen psychischen und körperlichen Beschwerden manifestiert bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. Burnout wird als im Wesentlichen tätigkeitsbezogene Erschöpfung verstanden und schließt z.B. auch Menschen in der Ausbildung, bei der Arbeitssuche, bei der Haushaltsführung für eine Familie oder der häuslichen Pflege Angehöriger mit ein.

Das Fehlen einer allgemein akzeptierten Definition hat zur Folge, dass Burnout beinahe alles und damit nichts ist. Der inflationäre Gebrauch des Wortes Burnout ist die logische Folge davon. Systematische Forschung und daraus resultierende miteinander vergleichbare Ergebnisse sind damit von der Ausgangslage her nahezu unmöglich. So wie in der Intelligenzforschung das geflügelte Wort galt „Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst“, versuchen viele Autoren die fehlende allgemeinverbindliche wissenschaftliche Definition pragmatisch zu überwinden, indem sie für ihre Arbeiten Burnout definieren als „das, was das Maslach Burnout-Inventar misst“ (und dieses hat seine eigene Validitätsproblematik …).

Burisch (2010) fasst angesichts dieser Uneinheitlichkeit in der Verwendung des Begriffs Burnout deshalb analytisch klar zusammen: „Der Begriff Burnout ist nicht wirklich eindeutig. Er bezieht sich auf eine randunscharfe Menge, also auf ein ,Fuzzi Set‘, wie man in der Mengenlehre sagt. Er umfasst viele Veränderungen bei Menschen.“ (Burisch 2010, S. 15) Er stellt ferner die Frage nach der nicht geklärten Differenzialdiagnostik, wer denn nun ,ausgebrannt‘, wer nur müde, wer nur „normal depressiv“ ist. Paine wiederum schlug bereits 1982 vor, Burnout nach fünf

Definitionsebenen zu unterscheiden:

1.  Burnout als Cluster emotional-verhaltensmäßiger Symptome

2.  Burnout als mentale Störung – den Endzustand eines Burnout-Prozesses

3.  Burnout als Prozess mit regelhaften Phasen

4.  Burnout- Faktoren, d. h. alles, was zu Burnout beiträgt

5.  Burnout als Folgewirkung auf der Organisationsebene

Andresen vertritt in seinen Vorlesungen im WS 2012 an der Universität Hamburg in einer kritischen Rezeption des Burnout-Begriffs und seinem erfolglosen Versuch, eine eindeutige Definition für Burnout zu finden, die These, dass Burnout kein berechtigterweise eigenständiges Konstrukt darstelle. Prinzipiell ist seiner Meinung nach eine Definition des Burnout-Syndroms unangemessen, da Burnout als Schnittmenge verschiedener anderer Konstrukte zu verstehen sei (Abb. 1.6 und 1.7).

Andresen schließt sich damit Kaluza an, der bereits 2011 formulierte: „Beim Burnout-Syndrom handelt es sich nicht um ein fest umschriebenes Krankheitsbild, es stellt auch keine eigenständige psychiatrische Diagnose dar. Es bestehen vielfältige symptomatische Überlappungen insbesondere zu depressiven Störungsbildern und psychosomatischen Störungen.“ (Kaluza 2011, S. 25)

Gemäß dem „Autonomie-Postulat“ wird Burnout als eigenständiges Konstrukt definiert.

Abb. 1.6: Modell – Burnout als eigenständiges Konstrukt

Burnout als eigenständiges Konstrukt ist jedoch nicht erfassbar. Mitgemessen, aber nicht mitgeteilt werden immer auch andere Konstrukte.

Abb. 1.7: Modell – Burnout als Teilmenge anderer Konzepte

Das Fazit zu Burnout der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, veröffentlicht in der S3-Leitlinie zur Depressionsbehandlung, lautet wissenschaftlich nüchtern auch in ihrer am 20. Juli 2015 aktualisierten Version so:

„Das Burnout-Syndrom ist wissenschaftlich nicht als Krankheit kodiert. Es handelt sich hingegen um eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung aufgrund beruflicher oder anderweitiger Überlastung bei der Lebensbewältigung. Diese wird meist durch Stress ausgelöst, der wegen der verminderten Belastbarkeit nicht bewältigt werden kann. Burnout wird in der ICD-10 als ‚Ausgebranntsein‘ und ‚Zustand der totalen Erschöpfung‘ mit dem Diagnoseschlüssel Z73.0 erfasst. Er gehört zum übergeordneten Abschnitt Z73 und umfasst ‚Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung‘. Nach dieser Einstufung ist Burnout eine Rahmen- oder Zusatzdiagnose und keine Behandlungsdiagnose, die zum Beispiel eine Therapie erforderlich macht. Längerfristige Arbeitsüberforderungen können aber das Risiko für die Entwicklung einer psychischen Erkrankung, wie zum Beispiel einer Depression, erhöhen, und Burnout bzw. Burnout-ähnliche Symptome können ein Hinweis auf eine zugrundeliegende Depression sein, weswegen Anzeichen von Burnout ernst genommen werden sollten.“ (S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression Langfassung Konsultationsfassung, 20. Juli 2015, S. 22)

Anders ist die Position der drei holländischen Spitzenverbände des niederländischen Krankensystems, die zu einem davon deutlich abweichenden Fazit kamen. Der Landesweite Verband von Notfallpsychologen, die Niederländische Hausärztegesellschaft und der Niederländische Verband für Arbeits- und Betriebsmedizin veröffentlichten nach mehrjähriger vorausgehender Zusammenarbeit 2011 eine umfangreiche Richtlinie zur diagnostischen Festlegung von Burnout. In Holland stellt die ICD-10 nicht das Maß aller Dinge im Gesundheitswesen und seiner Finanzierung dar, so dass diese Richtlinie, die auch einen Definitionsvorschlag enthält, gesundheitsrechtsrelevante Bedeutung hat. Burnout ist in Holland damit eine anerkannte, richtliniendefinierte Krankheit, deren Behandlung mit den Krankenkassen abgerechnet werden kann. Eine deutsche Übersetzung dieser Regelung nahm Matthias Burisch (2012) vor, die Sie hier nachlesen können: http://www.burnout-institut.eu/ fileadmin/user_upload/Def_BO_NL.pdf (Stand 08.04.2016). Burisch hält diese Definition in weiten Teilen für sinnvoll und möglicherweise auch wichtig für Deutschland als Vorlage für eine entsprechende Regelung.

Koch, Lehr und Hillert (2015), die ausgewiesenen Experten für stationäre Behandlung von Burnout bei Lehrern und Autoren mehrerer diesbezüglicher Veröffentlichungen, übernehmen jedoch ungeachtet der Bemühungen der holländischen Kollegen, wie inzwischen auch viele andere Autoren, die Position der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Sie schlagen deshalb vor, den Begriff „Burnout“ lediglich als Bezeichnung für einen Risikozustand für das Auftreten psychischer Erkrankungen gemäß der ICD-10, infolge beruflicher Überlastung, bzw. als ein subjektives Störungsmodell, mit dem unspezifische Symptome als berufliche Überlastungsfolgen attribuiert werden, zu verwenden. Die Zusammenfassung ihrer Burnout-Definition kann derzeit als Fazit vieler gleichlautender Überlegungen anderer Autoren gelten.

Diese Definition erweiternd weisen Mathesius und Wolf (2014) darauf hin, dass der Begriff „berufliche“ Überlastungsfolgen besser durch den Begriff „tätigkeitsbezogene“ Belastungsfolgen ersetzt werden sollte. Sie argumentieren:

„Für viele Menschen entstehen nicht mehr zu bewältigende Anforderungen neben dem beruflichen Bereich auch in der Familie, der Kindererziehung, der Pflege von Angehörigen u.a.m. Zusätzliche Belastungen ergeben sich auch teilweise aus einem sich verändernden teilweise auflösenden und neu herausbildenden Rollenverständnis beispielsweise zwischen den Geschlechtern, aber auch zwischen den Generationen. Identifikationsunsicherheiten bis Identifikationsstörungen können auftreten, wenn Anforderungen, Verantwortungen und gesellschaftliche Bewertungen der Erfüllung und Befriedigung individueller Ziele und Bedürfnisse entgegenstehen. Insgesamt geht es dabei nicht nur um leistungsorientierte, sondern vor allem auch um sozial bedingte und aus gesellschaftlichen Normen resultierende Belastungen, denen Menschen gerecht werden wollen, einige jedoch auf Dauer nicht gewachsen sind“. (Mathesius & Scholz 2014, S. 81)

Diese Definition von Burnout als subjektives Störungsmodell in Wechselwirkung mit tätigkeitsbezogenen, sozialen und gesellschaftlichen Belastungen stellt die Notwendigkeit eines individualisierten Behandlungsansatzes in den Fokus einer jeglichen effektiven und kompetenten Burnout-Behandlung:

Praxistipp:

Kompetente Burnout-Behandlung bedeutet somit: Individualisierte Burnout-Therapie (IBT).

Wir behandeln nicht das Burnout – wir behandeln den in unserer Praxis oder Klinik erscheinenden Patienten mit den spezifischen Symptomen seines individuellen Burnouts. Zu behandeln wird sein, was gemäß ICD-10 eine sozialrechtlich relevante Erkrankung darstellt und worunter der überlastete Patient leidet – als von ihm individuell so erlebte spezifische Burnout-Symptomatik, die zu verändern er motiviert ist.

Was sind nun die Symptome, die Patienten – nicht zuletzt durch viele populärwissenschaftliche Veröffentlichungen dafür sensibilisiert – als spezifisch für Burnout erachten und unter der Diagnose Burnout behandelt wissen wollen?

1.4       Die verschiedenen Burnout assoziierten Symptome

Insgesamt finden sich in den unterschiedlichsten Veröffentlichungen mehr als 130 Burnout assoziierte Symptome. Verschiedene Autoren haben auch hier versucht, der Fülle der beschriebenen und von den Betroffenen genannten Symptome durch ihre je eigene Art und Weise der Kategorisierung zu begegnen.

Die Symptom-Schnittmenge wird dabei mehr als offensichtlich: progredienter Verlust von Lebensfreude, persönlicher Gesundheit und Schaffenskraft; ausgeprägte körperliche und geistige Erschöpfung mit mangelnder Regenerationsfähigkeit; zunehmende körperliche Beschwerdevielfalt und Persönlichkeitsveränderungen.

Entlang der „Big Five“, des Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeit, verändern sich sukzessiv mit zunehmender Burnout-Symptomatik immer deutlicher beobachtbar die fünf Dimensionen:

1.  Extraversion: von Geselligkeit zu Zurückgezogenheit

2.  Verträglichkeit: von Freundlichkeit zu Barschheit und Reizbarkeit

3.  Gewissenhaftigkeit: von Gewissenhaftigkeit zu Nachlässigkeit und Unachtsamkeit

4.  Neurotizismus: von Stabilität und Entspanntheit zu Verletzlichkeit und negativistischer Überempfindlichkeit

5.  Offenheit für Erfahrung: von Kreativität zu Fantasielosigkeit und Stumpfheit.

Praxistipp:

Wenn Menschen nach der Arbeit nicht mehr abschalten können, stellt dies aus der Fülle der aufgelisteten Burnout Symptome nach Burisch (2010) ein Warnsignal erster Güte dar.

Pelz (2014) sichtete die Burnout-Symptomatik unter dem Blickwinkel der Auswirkungsebenen: Andere, Selbst, Arbeit. Er kategorisierte die Fülle der Symptome sowohl in ihren negativen Auswirkungen für die anderen, mit denen sich der Betroffene im sozialen Kontext befindet, als auch in ihren problematischen Auswirkungen für den Betroffenen selbst und in ihren Auswirkungen für die zunehmend ineffektivere Erledigung der je individuellen Arbeitsaufgaben. Kaluza (2011) beschreibt die wichtigsten Symptome des Burnout-Syndroms aus einer Vierfach-Kategorisierung der Erschöpfungssymptomatik nach den Bereichen: Körper, Emotion, geistig-mentaler Bereich und sozial-interaktiver Bereich. Faust (2011) wiederum ist bemüht, die Burnout-Symptome darzustellen als ein beobachtbares Schmelzen der Pyramide im Sinne von Maslow, bei der den Betroffenen aktualisierte, also bereits höher entwickelte Persönlichkeitsmerkmale zunehmend abhandenkommen, bis hin zum Nicht-mehr-weiterleben-Wollen. Es beginnt an der Spitze der Pyramide mit dem Verlust von Kreativität, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden, geht weiter mit zunehmenden Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, seelischen Tiefs, psychosomatischen Beschwerden über soziale Schwierigkeiten im privaten und beruflichen Umfeld, zunehmend negativer werdenden Einstellung gegenüber der Arbeit sowie gegenüber Patienten, Kunden, Schülern. Irgendwann wächst alles über den Kopf, es gibt keine Erholungsmöglichkeiten mehr, potenzielle Ressourcen der Regenerierung (z.B. Hobbys, Zusammensein mit Freunden) werden aufgegeben – bis hin zur Depression, zum Ende des Weiter-leben-Wollens durch Suizidgedanken.

Exemplarisch für patientengerecht vereinfachend dargestellte Burnout-Symptomlisten sei abschließend auch auf die Symptomkategorisierung verwiesen, die die Klinik Heiligenfeld auf die vier Beschreibungsebenen körperlich, emotional, kognitiv und verhaltensbezogen zusammengestellt und im Internet veröffentlicht hat. (https://www.heiligenfeld.de/images/pdf/burnout_web.pdf, Zugriff: 09.06.2016)

Als konkret benannte Symptome werden übereinstimmend bei allen unterschiedlichen Systematiken der Darstellungsweisen immer wieder beschrieben: Energiemangel, chronische Müdigkeit, Erschöpfung, Schlafstörungen, häufige Infekte, Kopf- und Rückenschmerzen, erhöhter Blutdruck, Herzrasen, Schwindel, Magen- und Darmbeschwerden, reduzierte Libido, sexuelle Funktionsstörungen, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme, Entscheidungsschwierigkeiten, Interessenlosigkeit, negative distanzierte Einstellung zur Arbeit, unbestimmte Angst,Ruhelosigkeit, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Ausweglosigkeit, Gefühl von innerer Leere, Verlust der Empathie, Gereiztheit, Zynismus, Rückzug aus privaten Kontakten, Partnerschaftsprobleme, vermehrte Konfliktemit Kollegen, Kunden und Vorgesetzten, Vernachlässigung von Selbstfürsorge ,Hobbys und Freizeitbeschäftigungen. Sekundär als dysfunktionaler Bewältigungsversuch können oftmals zunehmende Substanzkonsumstörungen und andere kurzfristig Entlastung verschaffende, aber mittelfristig selbstschädigende Verhaltensweisen auftreten.

Praxistipp:

Burnout, als höchst individueller Prozess, scheint nach Burisch (2009) dennoch einen gemeinsamen Kennwert zu haben. Bei den meisten Betroffenen findet sich eine Zwickmühle, eine Falle, in der jemand steckt, für die bisher noch kein Lösungsweg gefunden wurde.

1.5       Der Burnout-Verlauf

1.5.1     Die verschiedenen Phasenmodelle des Burnout-Verlaufs

Ebenso wie bei den vorliegenden Definitionen und der Beschreibung der Symptomatik des Burnouts ergeben sich von Autor zu Autor unterschiedliche Beschreibungen der Phasenbezeichnungen und der Abfolge der Phasenverläufe. Lalouschek merkt deshalb zu Recht kritisch an: „Die unterschiedlichen Phasen der unterschiedlichen Phasentheorien sind nicht wissenschaftlich abgesichert. Alle Phasenmodelle haben ‚Modellcharakter‘, der individuelle Verlauf kann von Überlappungen und unterschiedlichen Gewichtungen der Symptome gekennzeichnet sein.“ (Lalouschek 2011, S. 17)

Unstrittig erscheint allen Autoren die Tatsache, dass die Burnout-Symptome langsam und oftmals vom Betroffenen selbst unbemerkt, weil schleichend, einsetzen. Die von Phase zu Phase offensichtliche Zunahme der Intensität und Schwere der Symptome werden in den meisten Fällen anfänglich ignoriert. Das Bild des Frosches drängt sich hier auf, der im Topf sitzen bleibt, weil er die langsam, aber stetig zunehmende Aufheizung des Wassers, obwohl von außen beobachtbar, selbst nicht wahrnimmt.

Im Sinne des S-O-R-K-C-Modells liegt gerade hier eine Herausforderung für die Anamnese, den oder die individuell auslösenden Stimuli mit den dazu pathoplastisch interagierenden Personenvariablen zu finden, die die individuelle Burnout-Dynamik ursprünglich aktivierten, und diejenigen, welche sie zusätzlich aktuell aufrechterhalten.

Situationen momentan erhöhter persönlicher Vulnerabilität mit Belastung ohne Aussicht auf Entlastung sowie Leistungsherausforderungssituationen im Bewusstsein der Sinnlosigkeit oder des zunehmenden Handelns im Widerspruchs zum eigenen Wertesystem gehören hierbei neben den Verausgabungssituationen ohne Eintritt der erwarteten Belohnung ganz sicher zu den vordersten Plätzen auf der Suche nach den üblichen Verdächtigen (nach Faust 2011, Burisch 2010, Bräutigam 1968, Lauderdale 1982). Der eigene Anspruch und die Erwartungshaltung der privaten und beruflichen Umwelt nach ständiger Verfügbarkeit und digitaler Präsenz stellen hierbei einen zusätzlichen Belastungsfaktor dar.

Exemplarisch für die verschiedenen – und dies sei noch einmal betont: nicht empirisch gesicherten! – Phasenbeschreibungen soll hier die bekannteste und in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen am häufigsten3 zitierte Phasenbeschreibung nach Freudenberger und North (1992) wiedergegeben werden.

Die Bandbreite der in der wissenschaftlichen Literatur zu findenden Anzahl der Phasen des Burnout-Verlaufs reicht dabei von drei bis zu zwölf Phasen, wobei die Reihenfolge der Phasen von den Autoren selbst als mehr oder weniger verbindlich angesehen werden.

In den Konzeptionen von Cherniss (1999), Maslach (1982) und Lauderdale (1982) werden jeweils drei unterschiedliche Phasen benannt, fünf in der Beschreibung von Edelwich und Brodsky (1980), während Burisch (2010) meint, im typischen Burnout-Verlauf sieben Phasen erkennen und beschreiben zu können. Freudenberger und North (1992, 1997) übertreffen diese Sieben-Phasen-Einteilung mit ihrer Beschreibung von insgesamt zwölf Burnout-Phasen.

1.5.2     Die zwölf Stadien des Burnout-Verlaufs nach Freudenberger und North (1997)

•  Stadium 1: Der Zwang,sich zu beweisenSie haben einen Beruf, den Sie mit großer Begeisterung und hohem Einsatz ausüben. Ihre persönlichen Erwartungen steigen und Sie arbeiten immer verbissener und wollen den Erfolg erzwingen. Koste es, was es wolle – und es kostet immer mehr. Sie selbst setzen sich unter Leistungszwang. Die Wahrnehmung der eigenen Grenzen und die Bereitschaft, Rückschläge anzuerkennen und zu akzeptieren, nehmen ab.

 

•  Stadium 2: Verstärkter EinsatzArbeiten zu delegieren, fällt Ihnen immer schwerer. Sie haben das Gefühl, alles selbstständig erledigen zu müssen. Das Delegieren wird als Bedrohung der eigenen Unentbehrlichkeit erlebt. Die anderen sind – Ihrer Ansicht nach – nicht in der Lage, die Aufgaben korrekt zu erfüllen. Ängste, nicht gut genug zu sein, nehmen zu.

 

•  Stadium 3: Subtile Vernachlässigung eigener BedürfnisseDie Arbeit nimmt in Ihrem Leben einen immer größeren Platz ein, sowohl gedanklich wie auch zeitlich. Persönliche Bedürfnisse und soziale Kontakte wie Familie und Freunde hingegen treten immer stärker in den Hintergrund. Sie werden zunehmend ernsthafter, verspüren weniger Lust auf Sex und sozial unbeschwerte Kontakte erscheinen Ihnen nur noch als Zeitverschwendung. Dieses Verhalten wird jedoch aufgrund Ihrer beruflichen Situation verstanden.

 

•  Stadium 4: Verdrängung von Konflikten und BedürfnissenEs schleichen sich die ersten Fehler ein, wie z. B. Unpünktlichkeit oder das Verwechseln von Terminen. Sie können sich jedoch diese Fehler nicht eingestehen. Sie nehmen sich weniger Zeit zum ausreichenden Schlafen. Die ersten körperlichen Beschwerden treten auf, Müdigkeit nimmt zu, Erschöpfungsgefühle werden immer ausgeprägter.

 

•  Stadium 5: Umdeutung von WertenSie stumpfen langsam emotional ab. Soziale Kontakte werden als Belastung empfunden und früher wichtige Ziele werden umgewertet. Wichtiges und Unwichtiges können immer schwieriger erkannt werden, die Selbstfürsorge befindet sich auf dem Nullpunkt.

Abb. 1.8: Freudenberger Burnout-Stadien. Eigene Darstellung des Autors der ursprünglichen Kreisdarstellung – Die 12 Stadien des Burnout-Verlaufs nach Freudenberger & North 1997, S. 259)

•  Stadium 6: Verstärkte Verleugnung der auftretenden ProblemeDie Verdrängung der eigenen und fremden Bedürfnisse wird zur Gewohnheit. Sie ziehen sich immer weiter aus Ihrem sozialen Umfeld zurück. Unterdrückte Wut staut sich an, Gereiztheit nimmt zu. Sie reagieren zynisch und aggressiv auf normale Fragen und beurteilen viele Ihrer Mitmenschen als dumm und undiszipliniert. Deutliche Leistungseinbußen und körperliche Beschwerden wie z. B. ständige Müdigkeit oder Migräne treten ein.

 

•  Stadium 7: RückzugDie Fähigkeit, aus eigener Kraft soziale Kontakte herzustellen, ist auf ein Minimum gesunken. Beruflich wird nur noch „Dienst nach Vorschrift“ verrichtet. Orientierungslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Entfremdung herrschen vor. Der Wunsch nach Ersatzbefriedigung steigt. Sie spüren, dass Sie nicht mehr so intensiv arbeiten können, wie Sie es sich wünschen. Sie bemerken den Leistungsabfall. Eine Krise deutet sich an, emotionale Verflachung und zunehmend depressivere Grundstimmungen nehmen zu.

 

•  Stadium 8: Beobachtbare VerhaltensänderungenDie Verhaltensänderung wird sichtbar. Freunde und Familie ziehen sich zurück. Zu oft wurden sie zurückgewiesen. Die Schuldzuweisungen an die Umwelt steigen und Sie vermeiden immer häufiger die soziale Nähe. Von Ihrer beruflichen Tätigkeit sind Sie regelrecht besessen, die Leistungsfähigkeit nimmt jedoch zusehends ab und mit Kritik können Sie nur noch aggressiv abwertend umgehen.

 

•  Stadium 9: Depersonalisation– Verlust des Gefühls für die eigene PersönlichkeitDie eigene Wertschätzung sowie auch die Wertschätzung anderer sinken deutlich. Ein Privatleben existiert nicht mehr. Sie sind eigentlich nicht mehr arbeitsfähig. Die Umwelt erlebt Sie als kalt, distanziert, schwankend, unberührbar. Das Burnout-Syndrom wird unübersehbar und Hilfe von außen ist dringend nötig.

 

•  Stadium 10: Innere LeereEs kommt in Ihnen zu einer inneren Leere. Ein Gefühl der Sinnlosigkeit breitet sich aus, das zunehmend durch selbstschädigende Verhaltensweisen zu unterdrücken versucht wird: Alkohol, Drogen, wahlloser Sex, Exzesse mit nachfolgend vertiefter innerer Leere. In Folge werden Sie zunehmend teilnahmsloser und werden selbst bei selten ausreichendem Schlaf nicht mehr richtig wach. Die Situation spitzt sich zu und es wären dringend Menschen vonnöten, die anwesend sind. Die meisten davon haben Sie in diesem Stadium jedoch bereits selbst verprellt.

 

•  Stadium 11: Depression

 

•  Sie fühlen sich lust- und antriebslos, sind müde und haben existenzielle Zweifel; Gedanken daran, nicht mehr weiterleben zu wollen, nehmen zu. Sie riskieren zunehmend, einen tödlichen Unfall billigend in Kauf zu nehmen. Sie sehnen sich nach dem „ewigen Schlaf“.

 

•  Stadium 12: Völlige Burnout-ErschöpfungEs kommt zu völliger psychischer und körperlicher Erschöpfung mit desolatem Zustand des Immunsystems, des Herz-Kreislauf-Systems und nicht selten zu zunehmenden Selbstmordgedanken.

(In Anlehnung an die Ausführungen von Freudenberger und North 1997, S. 122–156)

3     Ihr Buch „Burnout bei Frauen“ wurde allein in der deutschen Übersetzung in der nunmehr 14. Auflage veröffentlicht (Stand: Mai 2016), und von unzähligen Journalisten wurde die darin enthaltene Phasenbeschreibung als Grundlage ihrer Burnout-Berichterstattung zitiert.

 

2          Differenzialdiagnostik bei Burnout

2.1       Hinweise zu Besonderheiten bei der Gesprächsführung während der Anamnese und Diagnostik

Bedenken Sie: Der Patient, der mit der Selbstdiagnose „Burnout“ zu Ihnen kommt, hat in den meisten Fällen das Grundempfinden einer „ehrenhaften“ Funktionsstörung mit den Leitsymptomen der völligen körperlich-seelischen Erschöpfung und der Leistungsreduktion, wegen der er oder sie sich berechtigterweise schlecht fühlen und mit krankheitswertiger Intensität Sorgen machen sowie um Hilfe bitten darf. Burnout selbstdiagnostizierte Rat- und Hilfesuchende erwarten mehr als viele andere Patientengruppen eine besonders empathische Grundhaltung seitens ihres Therapeuten. Ihre sich ausgebrannt fühlende Grundempfindung und ihre prämorbid oftmals erbrachten hohen beruflichen Leistungen wollen angemessen gewürdigt werden. Eine Gesprächsführung aus einer initialkritischen Haltung des Helfenden heraus – wie wissenschaftlich angemessen und berechtigt sie auch sein mag –, ob es sich bei den vorgebrachten Beschwerden denn nun auch wirklich um ein „echtes Burnout“ handle, wäre das Ende vor dem Anfang einer konstruktiven therapeutischen Allianz.

Und lassen Sie sich hier erneut daran erinnern: Die dünne wissenschaftliche ICD-10-Definition von „echtem Burnout“ als Zustand völliger Erschöpfung bedarf eines kritisch distanzierten Blicks!

Die Grundlage einer kompetenten Burnout-Behandlung besteht in Anlehnung an die Formulierung von Rösing (2008, S. 236) immer darin, die Betroffenen selbst und direkt zu fragen, worunter sie leiden; die Betroffenen zu fragen, was für sie persönlich „Burnout“ bedeutet; ihnen Raum und Zeit zu geben, ihre individuellen Symptome ausführlich zu schildern, bevor eine weiterführende, systematische und differenzierte Diagnostik durch Fragebögen und weitere Untersuchungsmethoden erfolgt.

Ausgehend von diesen individuellen Aussagen nutzt der Therapeut den Wunsch nach Therapie des Burnout für ein systematisches Vorgehen, das alle individuellen Aspekte erfasst, und kann dafür gezielt differenzialdiagnostische Fragebögen, Untersuchungen und Testverfahren auswählen. Machen Sie deutlich, dass Sie das Anliegen, bei subjektiv erlebtem Burnout Hilfe erhalten zu wollen, nicht nur ernst nehmen, sondern auch als sehr berechtigt empfinden. Dies geschieht für den Patienten am überzeugendsten durch die Erfahrung, dass seine meist vorliegende subjektiv sehr ausgeprägte Erschöpfung und die geklagten Begleitstörungen von Ihnen in ihrer Vielschichtigkeit differenziert erfasst und quantifiziert werden. Sein individuelles Burnout-Verständnis wird ernst genommen. Fragen Sie nach Mikroelementen, die die Symptomatik auslösen und aufrechterhalten. Fragen Sie frühzeitig nach Therapiezielen: Dies sind erste Samenkörner der Botschaft – ganz im Sinne von Kanfer und Erickson –, dass Betroffene nicht nur passive Opfer der Umstände sind, sondern dass sie lernen können, ihre Probleme selbstbestimmt zu bewältigen.

Die optimale Grundhaltung: Bearbeiten Sie vertrauensvoll und zielgerichtet mit dem Patienten seine Beschwerden und entwickeln Sie gemeinsam mit ihm Strategien, die seine Fähigkeiten zum Selbstmanagement erhöhen. Die Basis dafür ist der Raum und die Freiheit, die Sie dem Hilfesuchenden geben, sein Burnout-Erleben ausführlich zu schildern.

Praxistipp: Die therapeutische Allianz bei Burnout-Therapie sichern

Ein wichtiger Faktor für die Erfolgsprädiktion wurde bereits 1994 von Grawe beschrieben, der auch für die Individualisierte Burnout-Therapie (IBT) gilt: die Induktion einer realistischen Besserungserwartung. Am besten wird diese auf empathische und wertschätzende Art und Weise dadurch vermittelt, dass der Helfende sich bemüht, alle individuellen Burnout-Details und deren gewünschte Veränderung so genau wie möglich zu erfassen.

Kompetente individualisierte Burnout-Behandlung wird darüber hinaus realisierbar auf der Basis individuell gemeinsam erarbeiteter angemessener Ziele. Partizipative Entscheidungsfindung sollte mehr sein als nur ein Lippenbekenntnis, das oftmals schon dadurch konterkariert wird, dass der Behandlungsplan bereits feststeht, bevor der Patient in der Klinik anreist. Gemeinsam mit dem Patienten wird in einer kompetenten Burnout-Therapie die Selbstregulationsfähigkeit verbessert. Der Patient erlebt mehr Selbstwirksamkeit, indem er lernt, unveränderliche von veränderlichen Tatsachen zu unterscheiden und sein subjektives Problemerleben in Beziehung zu setzen zu seinen Gedanken und Bewertungen über die ihn umgebenden Tatsachen. Die Zusatzdiagnose „Z73.0: Zustand völliger Erschöpfung“ kann dabei ethisch und sozialrechtlich unbedenklich immer dem sich ausgebrannt fühlenden Patienten diskussionslos zugestanden und für ihn demonstrativ sichtbar dokumentiert werden.

Was sich nun auch immer im weiteren Verlauf der Differenzialdiagnostik tatsächlich ergeben mag – die Selbstdiagnose „Burnout“ muss in keinem Fall als unangemessen ersetzt werden durch eine wissenschaftlich „richtige“ Diagnose. Die kompetente Behandlung des Patienten, für den die Diagnose „Burnout“ eine stigmatisierungsfreie Bezeichnung seines seelischen und körperlichen Leidens darstellt, besteht darin, die angemessenen therapeutischen Maßnahmen immer als wirksame Behandlungsbausteine zur individuell geschilderten Burnout-Symptomatik einzuführen. Auch wenn sich beispielsweise als Hauptursache für den Erschöpfungszustand ein bisher noch nicht diagnostizierter behandlungsbedürftiger Diabetes erweisen sollte, bleibt es ethisch vertretbar, die notwendige Behandlung immer auf das Hauptanliegen des Patienten zu beziehen, eine angemessene Burnout-Therapie erhalten zu wollen. Der therapeutische Kommentar könnte dann lauten: „Gut, dass Sie in die Sprechstunde gekommen sind, jetzt wissen wir, was Sie und Ihr Körper – neben möglicherweise zusätzlich sinnvollen arbeitsplatzbezogenen beruflichen Veränderungen – am dringendsten brauchen, um bei dem, was Sie leisten, wieder aus diesem Zustand völliger Erschöpfung herauszukommen.“

2.2       Das biopsychosozial-environmentale Modell

Nach Egger (2005) ist das biopsychosoziale Modell das gegenwärtig kohärenteste, kompakteste und auch bedeutendste Theoriekonzept, innerhalb dessen der Mensch in Gesundheit und Krankheit erklärbar und verstehbar wird. Für ihn ist das biopsychosoziale Modell aus Studien zur Allgemeinen Systemtheorie und seiner Anwendung auf die Biologie hervorgegangen und im Wesentlichen das Verdienst von Bertalanffy und Weiss. Die Ausformulierung und Propagierung des Modells als Grundlage für die psychosomatische Medizin ist für Egger wiederum im Wesentlichen auf die Arbeit des Sozialmediziners Engel (1976) und der Verhaltensmediziner Schwartz und Weiss zurückzuführen. Meiner Meinung nach hat das Lehrbuch „Psychosomatische Medizin“ von Uexküll, in der Erstauflage 1979 erschienen und bis 2013 in sieben Überarbeitungen insgesamt acht Mal neu aufgelegt, ganz sicherlich wesentlich, wenn nicht am meisten zu der Verbreitung dieses Modells beigetragen, ebenso wie Uexkülls zweites, 2002 erschienenes Standardwerk „Integrierte Medizin“.

In Bezug auf die Behandlung des Burnout-Syndroms lautet in Anlehnung an Egger (2005) die Frage nunmehr: An welchen Punkten der Ätiopathogenese oder des Heilungsprozesses haben psychosoziale Faktoren einen wie großen Einfluss – sind sie eventuell vernachlässigbar oder aber prozesssteuernd?

Gerade und vor allem bei einem subjektiven Erleben von völliger Erschöpfung wird deutlich, dass das seit nunmehr 40 Jahren als State-of-the-Art geltende biopsychosoziale Modell unverzichtbar ist, um eine angemessene Differenzialdiagnose durchzuführen.

Allerdings waren 1976 Umwelteinflüsse auf körperliche und seelische Gesundheit noch kaum im Blickfeld des öffentlichen Bewusstseins. Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ereignete sich erst zehn Jahre später. Bürgerinitiativen gegen Sendemasten für mobile Kommunikation waren unbekannt, da sich nur wenige materiell privilegierte Individuen ein mobiles Telefon leisten konnten. Das normale Telefon war fest verkabelt. WLAN-dauerdurchflutete Klassen-, Arbeits-, Hotel-, Wohn- und Schlafzimmer waren ebenfalls nicht existent. Das zwei Jahre zuvor von der Firma Monsanto auf den Markt gebrachte Breitbandherbizid „Roundup“ mit dem Hauptwirkstoff Glyphosat galt noch als landwirtschaftlicher Segen und wurde weltweit eingesetzt, um Unkraut zu vernichten. Allein in Deutschland kam es auf rund einem Drittel aller Felder zum Einsatz, ebenso wie im Weinbau, in Obstanlagen, privaten Gärten, auf Bahngeländen und in öffentlichen Parkanlagen. Erst Anfang 2015 wurde es von der WHO als Klasse 2A – krebsartige und neurodegenerative Erkrankungen auslösendes Umweltgift eingestuft (Lancet 2015). Von dem vom gleichen Hersteller weltweit in Umlauf gebrachten genveränderten Saatgut und daraus resultierenden genveränderten problematischen Nahrungsmitteln sprach in den 1970ern fast noch niemand. Asbest galt wegen seiner vielen praktischen Eigenschaften als idealer Baustoff, bevor er in Deutschland im Jahr 1993 verboten wurde. Inneneinrichtungsgegenstände und Bodenbeläge evaporierten ebenso von der öffentlichen Diskussion unbehelligt ihre Materialabgase in die Atemluft wie Lacke, Farben und andere problematische Bau- und Renovationsstoffe. Umweltzonen in Innenstädten und Sorgen um Feinstaub waren unbekannt. Rauchen in Restaurants, in öffentlichen Gebäuden und am Arbeitsplatz galt als völlig normal und für die betroffenen passiv Mitrauchenden als hinzunehmende Tatsache. „Stell Dich nicht so an!“ war eine gesellschaftlich akzeptierte Antwort für um Rücksicht bittende nichtrauchende Mitmenschen.

Kurzum, körperliche und seelische Beschwerden wurden in der Regel nicht mit Einflüssen aus der chemisch-physikalisch-elektromagnetischen Umwelt in Verbindung gebracht. Sollte ein Patient von Einflüssen des „Bestrahltwerdens“ berichtet haben oder die Meinung geäußert haben, sein Essen könnte irgendwie vergiftet sein, war dies eindeutig als wahnhaftes Gedankengut diagnostiziert worden.

Im Jahr 2016 liegt ein diesbezüglich völlig anderes allgemeines Bewusstsein inklusive national und international geforderter Standards und zum Teil schon realisierter rechtlicher Vorgaben vor. Die Werbungsinhalte gelten als der sensibelste Indikator für verändertes öffentliches Bewusstsein. Ikea z. B. bemüht sich werbewirksam zu betonen, dass ihre Kunststoff-Verpackungen garantiert frei seien vom Weichmacher Bisphenol A (BPA). Damit übertrifft Ikea die aktuellen EU-Gesetze außerhalb Frankreichs. Dort ist der Weichmacher seit 2013 verboten.

In den meisten vorliegenden Veröffentlichungen, die sich auf das biopsychosoziale Modell beziehen, wurde die Erweiterung um die environmentale Dimension bis jetzt noch nicht berücksichtigt im Hinblick auf die vielfältigen chemisch-physikalisch-elektromagnetischen Einflüsse, die einen täglichen Bestandteil unserer modernen Lebensumwelt darstellen und unseren Organismus auf vielfältige Art und Weise beeinflussen. Dies sei hiermit vorgenommen. Das biopsychosoziale Modell wird mit der Aktualisierung und konsequenten Erweiterung um die environmentalen Einflüsse damit erneut wieder zu Recht als das bezeichnet werden können, was es ist:

Das biopsychosozial-environmentale Modell ist das gegenwärtig kohärenteste, kompakteste und auch bedeutendste Theoriekonzept, innerhalb dessen der Mensch in Gesundheit und Krankheit erklärbar und verstehbar wird.

In Bezug auf das Phänomen der völligen Erschöpfung erscheint es daher mehr als angemessen, bei der Differenzialdiagnose dieses aktualisierte, um die Dimension der environmentalen Einflüsse erweiterte biopsychosoziale Modell als Grundlage zu favorisieren.

Praxistipp:

Bei Klagen über Burnout können die vorgebrachten Beschwerden umfassend und ganzheitlich nach dem biopsychosozial-environmentalen Modell erfasst und angemessen, meist mit Mehrfachdiagnosen nach ICD-10 (und in Kürze nach ICD-11), diagnostiziert werden.

Betrachten wir deshalb nachfolgend die potenziellen Ursachen für den individuell geklagten und subjektiv zumeist auf die relevante Haupttätigkeit bezogenen Zustand der völligen Erschöpfung. Und wir betrachten sie idealerweise umfassend aus biologisch-somatischer Sicht, aus psychologischer Sicht, aus sozialer Sicht mit den Teilbereichen „veränderte soziale Interaktionsbedingungen am Arbeitsplatz“ und „veränderte soziale außerberufliche Interaktionsbedingungen“ vor dem Hintergrund der generellen gesellschaftlichen Veränderung und Erosion sozialer Werte sowie aus environmentaler Sicht mit den vielfältigen chemo-physikalisch-elektromagnetischen Einflüssen:

2.3       Die somatische Ursachenvielfalt für einen Zustand völliger Erschöpfung

Jede kompetente Burnout-Behandlung sollte immer mit einer differenzierten somatischen Diagnostik beginnen. Die Behandlung erschöpfungsursächlicher Erkrankungen sowie die parallele Behandlung der körperlichen Folgeerkrankungen sollten sichergestellt sein.

Mit Ina Rösing (2008) stimme ich überein, dass die Unterscheidung der vorgebrachten Klagen in Ursachen von Burnout, Begleiterscheinungen von Burnout oder Folgen von Burnout in jedem Einzelfall schwierig bleibt. Auch teile ich ihre Hypothese, dass z. B. beim Vorliegen einer depressiven Episode sowohl das Ausfüllen eines Fragebogens zu Burnout-Symptomen durch die Depression negativ gefärbt sein wird als auch das Ausfüllen einer Checkliste psychosomatischer Symptome. Gleichermaßen wird letztendlich in beiden Selbstbeurteilungsinstrumenten nur die gesamte Bandbreite depressiver Symptomatik widergespiegelt werden.

Was dessen ungeachtet bleibt, ist die Notwendigkeit zur differenzialdiagnostischen Abklärung vorliegender potenziell behandlungsbedürftiger biologischer, körperlicher, somatischer Veränderungen (die strenggenommen bezeichnet werden müssten als biopsychosozial-environmentale Symptome mit biologisch-somatischem Schwerpunkt – sofern es bei konsequenter Anwendung des psychosomatisch-environmentalen Modells eine solche Aufteilung in rein medizinisch-biologisch erklärbare Ursachen ohne die gleichzeitige Berücksichtigung der anderen Ebenen überhaupt geben kann …).

Von niedergelassenen deutschen Psychologischen Psychotherapeuten wird der obligate somatische Bericht vor Durchführung einer ambulanten Psychotherapie oftmals als formale Lästigkeit empfunden. Mehr als bei anderen Störungs- und Krankheitsbildern hat er jedoch bei der Abklärung der Burnout-Trias von vorliegender völliger Erschöpfung, Depersonalisation und Leistungsabfall mit zunehmenden ich-dystonen Denk-, Verhaltens- und Erlebensweisen eine ganz besonders hohe Bedeutung. Der mit dem Konsiliarbericht beauftragte Arzt – idealerweise der Hausarzt des Patienten, da dieser in der Regel den Patienten schon längere Zeit behandelt und über Vorerkrankungen informiert ist, oder ein Internist – sollte darum gebeten werden, besonders sorgfältig die in Frage kommenden Parameter zu erheben, die mit starker Erschöpfung einhergehen, um die diesbezüglich häufigsten somatischen Erkrankungsursachen oder Folgeerkrankungen auszuschließen oder diagnostizieren zu können.

Bei der Eingangsdiagnostik von Personen mit der Selbstdiagnose „Burnout“ und einem körperlich offensichtlich schlechten Allgemeinzustand sollte der Konsiliararzt darum gebeten werden, neben der Anamnese bezüglich vorliegender aktueller somatischer Erkrankungen immer dann eine besonders umfassende Mikronährstoffstatusanalyse durchzuführen, wenn es sich bei dem Patienten um ein Mitglied einer der nachfolgend genannten Risikogruppen handelt.

Praxistipp:

Eine umfassende Mikronährstoffstatusanalyse ist bei Patienten, die einer Risikogruppe angehören, zu empfehlen. Als ganz besondere Risikogruppe für einen Erschöpfung verursachenden oder verstärkenden, oftmals multiplen Mikronährstoffmangel sind hierbei anzusehen:

•  Personen mit hohem Alkohol- und/oder Zigaretten- und/oder Kaffee- und/oder Schwarztee-Konsum,

•  Personen mit Mikronährstoff-Resorptionsstörungen oder beschleunigter Nährstoffausscheidung durch chronische Krankheiten, insbesondere Magen-Darm-Erkrankungen, multiplen, rezidivierenden oder chronischen Infekten und länger andauernder oder wiederholter Einnahme von Antibiotika,

•  Personen, bei denen in der Anamnese des Auftretens der geklagten Burnout-Trias größere Operationen mit Vollnarkose oder Unfälle mit hohem Blutverlust vorliegen, weiterhin Personen, bei denen maligne Tumore mit Bestrahlungen und/oder Chemotherapie behandelt wurden, sowie Personen mit Langzeitmedikamenteneinnahme.

•  Frauen mit jahrelanger oraler Kontrazeptiva-Einnahme bzw. vorliegender Schwangerschaft oder noch bestehender Stillzeit gehören ebenso zu dieser Risikogruppe wie

•  Personen, die in überschaubarer Vergangenheit eine extreme Umstellung ihrer Ernährungsgewohnheiten vorgenommen haben – oft mit dem Ziel, sich nunmehr einer besonders gesunden Lebens- und Ernährungsweise zuzuwenden – oder aber ganz im Gegenteil eine chronisch ungesunde, unregelmäßige Ernährungsweise habituiert haben, übertrieben fasten oder regelmäßig aus unterschiedlichsten Gründen erbrechen sowie alle Personen, bei denen eine manifeste Essstörung vorliegt.

Das Arbeitsblatt 2, die ausgefüllte Checkliste potenzieller medizinischer Ursachen für Erschöpfung, die im DIN-A4-Format download- und ausdruckbar ist (s. Hinweis auf S. 10), sollte dem Konsiliararzt für seine Untersuchung vorliegen. Im Einzelfall ist hierbei zu entscheiden, ob es günstiger ist, Frage um Frage in der Anamnese selbst zu erheben und auf der Checkliste zu dokumentieren oder den Patienten zu bitten, die Checkliste zu Hause selbständig auszufüllen. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen zur therapeutischen Allianz wird es sich in den meisten Fällen als günstig erweisen, diese relevanten Ausgangsdaten nach der freien Schilderung der vorliegenden Symptome gemeinsam mit dem Patienten entlang der vorgegebenen Checkliste zu besprechen und von ihm selbst in der Liste dokumentieren zu lassen. Eine Kopie davon verbleibt dann in der Akte des Therapeuten, das Original nimmt der Patient zur Konsiliaruntersuchung mit.

Auf Memoblatt M4 „Somatische Untersuchungen“ (s. Hinweis auf S. 10) finden Sie eine Auflistung aller sinnvollen somatischen Untersuchungen, über deren Durchführung es bei vorliegender Erschöpfung aus fachärztlicher Sicht individualisiert zu entscheiden gilt.

Aus praktischer Erfahrung heraus hat es sich als günstig erwiesen, die dem Risikoprofil entsprechenden Patienten bereits im Vorfeld der Konsiliaruntersuchung darauf hinzuweisen, dass in den meisten Fällen sowohl gesetzliche als auch private Krankenkassen einen differenzierten Mikronährstoffstatus nicht als obligaten Teil ihrer Kassenleistung verstehen und mit entsprechender Eigenleistung für die Erhebung dieser Daten zu rechnen ist.

Burnout-relevante Therapieansätze zur Reduktion von Mikronährstoff-Mangelzuständen sind: die Behandlung der fachärztlich diagnostizierten Grunderkrankungen, Zufuhrerhöhung der fehlenden Stoffe durch eine bewusste Nahrungsmittelauswahl, Nahrungsergänzungsmittel oder Medikamente. Bei einer Umstellung der Ernährung sollte der Rat eines Experten (Arzt, Ernährungsberater) hinzugezogen werden, der imstande ist, seine Empfehlungen an die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben des Patienten anzupassen: konventionelle Ernährung, vegetarisch, vegan, ayurvedisch oder sonstige Ernährungsstile.