Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen - Silvia Natale - E-Book

Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen E-Book

Silvia Natale

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Beschreibung

Im Prozess der Sprachproduktion organisieren Sprecher Inhalte, die zum Ausdruck gebracht werden, indem sie Informationen auswählen, eine Perspektive einnehmen sowie Vorder- und Hintergrund voneinander abgrenzen. Diese Prozesse folgen sprachspezifischen Prinzipien, die zur Folge haben, dass der Informationsaufbau in mündlichen Nacherzählungen je nach Sprache unterschiedliche Präferenzen aufweist. Die vorliegende Studie zeigt auf, inwieweit sich das Französische und Italienische in Bezug auf die Organisation von Informationen voneinander unterscheiden und berücksichtigt dabei auch bilinguale Sprecher des Italienischen und Französischen.

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Seitenzahl: 314

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Silvia Natale

Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen

Italienisch und Französisch im Vergleich unter Berücksichtigung bilingualer SprecherInnen

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0083-0

Inhalt

Ich war in der ...TabellenverzeichnisAbbildungsverzeichnis1. Einleitung2. Erzählungen2.1. Einleitung in das Kapitel2.2. Definition der Textsorte »Erzählung«2.3. Zur Struktur von Erzählungen2.4. Zur Funktion von Erzählungen2.5. Die kognitive Komponente beim Erzählen3. Der Quaestio-Ansatz3.1. Vorgaben der Quaestio für die Textplanung3.1.1. Der referentielle Rahmen3.1.2. Die Wissensbasis3.1.3. Die Perspektive3.2. Strukturelle Vorgaben: Haupt- und Nebenstruktur3.3. Quaestio und Informationsstruktur3.3.1. Exkurs: Informationsstruktur und der Topikbegriff3.3.2. Die Quaestio und die Topik- Fokusgliederung4. Die Rolle der Grammatik für die Informationsorganisation4.1. Die Grammatik als steuernder Faktor für die Informationsorganisation4.2. Konkrete Beispiele für die Korrelation von Grammatik und Informationsorganisation4.2.1. Die Grammatikalisierung von aspektuellen Kategorien und die Sequenzierung von Ereignissen4.2.2. Informationsselektion4.3. Relevante grammatikalische Eigenschaften4.3.1. Das Merkmal SVO und Wortstellungsregeln4.3.2. Das Merkmal Nullsubjekt5. Zweisprachigkeit5.1. Typen von bilingualen Sprechern5.2. Den Spracherwerb beeinflussende Variablen5.3. Der Zusammenhang von Zweisprachigkeit und Kognition6. Methode6.1. Das Stimulusmaterial: Der Animationsfilm Quest6.2. Ablauf der Datenerhebung6.3. Transkription und Aufbereitung der Daten6.4. Die Probandenschaft7. Der temporale Referenzrahmen7.1. Der temporalen Referenzrahmen im Sprachvergleich: Englisch vs. Deutsch7.2. Das italienische und das französische Tempus-Aspektsystem im Vergleich8. Der temporale Referenzrahmen in der Nacherzählung des Kurzfilms Quest: Italienisch und Französisch im Vergleich8.1. Analyseverfahren und Kodierung8.2. Ergebnisse zum Italienischen und Französischen mit Ausblick auf frühe und späte Bilinguale8.3. Zusammenfassung9. Referenz auf Protagonisten und Entitäten9.1. Die referentiellen Mittel im Allgemeinen9.2. Wiedereinführung in einem neuen Erzählabschnitt9.2.1. Italienisch, Französisch sowie frühe und späte Bilinguale im Vergleich9.2.2. Die Einwirkung einer weiteren Entität (Erzähler) auf die Mittel der Wiedereinführung9.3. Referenz auf den Protagonisten innerhalb des Erzählabschnittes9.3.1. Italienisch9.3.2. Französisch9.3.3. Frühe Bilinguale9.3.4. Späte Bilinguale9.4. Zusammenfassung10. Das Zusammenspiel von Protagonist und unbelebten Entitäten10.1. Häufigkeit der Nennung von unbelebten Entitäten10.1.1. Italienisch und Französisch im Vergleich10.1.2. Frühe und späte Bilinguale im Vergleich zum Italienischen10.2. Die Kodierung der unbelebten Entitäten10.2.1. Italienisch und Französisch im Vergleich10.2.2. Frühe und späte Bilinguale im Vergleich zum Italienischen10.3. Bedingungen für die Erwähnung der unbelebten Entitäten als Subjekt eines Hauptsatzes10.3.1. Die Rolle der Konkurrenzsituation und ihre Auswirkung auf die Kodierung einer unbelebten Entität als Subjekt eines Hauptsatzes10.3.2. Die Art der Einführung10.3.3. Die Vorbereitung der Konkurrenzsituation im Italienischen und Französischen10.4. Zusammenfassung11. Linkage11.1. Einleitung11.2. Ergebnisse zur Subordination11.2.1. Italienisch und Französisch im Vergleich11.2.2. Frühe und späte Bilinguale11.3. Ergebnisse Koordination11.4. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen12. Zusammenfassung und Schlusswort12.1. Ergebnisse zum Italienischen und Französischen12.2. Frühe und späte BilingualeBibliographie

Ich war in der Zeit, in der diese Arbeit entstanden ist, umgeben von vielen Menschen, die mich mit ihren wertvollen Ratschlägen, mit ihren kritischen Anstössen, mit ihren Aufmunterungen und ihrer praktischen Hilfe in vielfältiger Weise unterstützt haben. Ihnen möchte ich von Herzen danken.

Beginnen möchte ich mit Mary Carroll, die mich zu dieser Arbeit motiviert und mich in Form unzähliger Telefonate zwischen Bern und Heidelberg nicht nur fachlich begleitet und unterstützt hat. Wie schon einst bei meiner Dissertation, haben die Gespräche mit ihr wichtige Denkprozesse angeregt und mich zu kritischem Denken ermuntert. Die Arbeiten von ihr und Christiane von Stutterheim haben dabei den Rahmen geschaffen, um meine Analysen in einer für mich überzeugenden Form einzubetten. Ich danke Mary Carroll und Christiane von Stutterheim, dass ich Bestandteil ihres Projekts sein darf, das mich nicht nur fachlich, sondern auch menschlich nach wie vor begeistert.

Bruno Moretti möchte ich dafür danken, dass er mich zunächst als Gastwissenschaftlerin, später als Lehrbeauftragte und Oberassistentin und letztendlich als Dozentin am Institut für italienische Sprache und Literatur der Universität Bern willkommen geheissen hat. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen Aline Kunz und Etna Krakenberger bilden wir ein Team, in dem Lehren und Forschen auf so motivierende, inspirierende, kollegiale und auch heitere Art geschieht, dass es einfach nur schön ist, dazuzugehören. Auf diesem Wege danke ich auch allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Instituts, die ebenfalls zu dieser sehr angenehmen Atmosphäre beitragen.

Meine Freunde und Freundinnen in der Schweiz, in Deutschland und Italien haben mich immer wieder motiviert, zwischendurch aufgemuntert und gemeinsam mit mir die Abgabe der Habilitationsschrift, den Habilitationsvortrag, meine Antrittsvorlesung gefeiert und haben sich mit mir gefreut. Euch allen, die Ihr ganz genau wisst, wer gemeint ist, danke ich, dass ich Euch meine Freunde nennen darf.

Mein grösster Dank gilt meiner Familie. Meinem Mann und bestem Freund Armin, der nicht nur geduldig formatiert und Korrektur gelesen hat, den Habilitationsvortrag am Ende sogar auswendig konnte, sondern mich auch immer angefeuert hat, wenn ich den Spagat zwischen Arbeit, Familie und Forschung als mühsam empfunden habe. Meinen Kindern Lea und Luca, die in der Zeit der Habilitation zu wunderbaren Schulkindern herangewachsen sind, danke ich ebenfalls. Ich möchte keine einzige Unterbrechung dieser Arbeit durch meine zauberhaften Nervensägen missen, in der ich Transkripte, Excel-Tabellen und Notizen beiseitegelegt habe, um mich ihnen zu widmen. Meiner Mama und meinen Brüdern, meinen Webers und meiner grossen Familie zwischen Neapel und Hessen danke ich, dass sie immer für mich da sind.

Tabellenverzeichnis

Tab. 1:

Kombinationsmöglichkeiten der Konstituenten Subjekt, Verb und Objekt

Tab. 2:

Vergleich der Singularformen der Verben parlare und parler

Tab. 3:

Anzahl ausgewerteter Transkriptionen nach L1- und Bilingualen-Gruppen

Tab. 4:

Kategorien zur Selbsteinschätzung der Sprachkompetenz

Tab. 5:

Einfache Tempora des Indikativs im Italienischen und Französischen

Tab. 6:

Zusammengesetzte Tempora des Indikativs im Italienischen und Französischen

Tab. 7:

Sprachliche Mittel und Zugänglichkeit zum Topik

Tab. 8:

Referenzbereiche nach Chini (2003)

Tab. 9:

Wiedereinführung in einem neuen Erzählabschnitt: L1 Italienisch

Tab. 10:

Wiedereinführung in einem neuen Erzählabschnitt: L1 Französisch

Tab. 11:

Die Perspektivenzugehörigkeit

Tab. 12:

Transkriptionsbeispiel für die Perspektivenzugehörigkeit

Tab. 13:

Italienische Formen für die Wiedereinführung innerhalb des Erzählabschnittes

Tab. 14:

L1 Italienisch: Transkriptionsbeispiel 1 zur Wiederaufnahme des Protagonisten

Tab. 15:

L1 Italienisch: Transkriptionsbeispiel 2 zur Wiederaufnahme des Protagonisten

Tab. 16:

L1 Italienisch: Transkriptionsbeispiel 3 zur Wiederaufnahme des Protagonisten

Tab. 17:

Französische Formen für die Wiedereinführung innerhalb des Erzählabschnittes

Tab. 18:

L1 Französisch: Transkriptionsbeispiel zur Wiederaufnahme des Protagonisten

Tab. 19:

Beispiel für Nullanapher im Französischen

Tab. 20:

Beispiel für die Wiederaufnahme des Protagonisten durch NP im Französischen

Tab. 21:

Frühe Bilinguale: Wiedereinführung durch Nullsubjekte

Tab. 22:

Formen des Referenzerhalts und der Wiedereinführung bei frühen Bilingualen

Tab. 23:

Formen des Referenzerhalts und der Wiedereinführung bei späten Bilingualen

Tab. 24:

L1 Italienisch: Kodierungsoptionen für die Erwähnung der unbelebten Entität

Tab. 25:

L1 Französisch: Kodierungsoptionen für die Erwähnung der unbelebten Entität

Tab. 26:

L1 Italienisch vs. L1 Französisch: Kodierungsoptionen der unbelebten Entität

Tab. 27:

Frühe Bilinguale: Kodierung der unbelebten Entität im Vergleich zum Italienischen und Französischen

Tab. 28:

Späte Bilinguale: Kodierung der unbelebten Entität im Vergleich zum Italienischen, Französischen und frühen Bilingualen

Tab. 29:

Überblick über den Status von unbelebten Entitäten im Italienischen und Französischen

Tab. 30:

Sprachliche Mittel zur Vorbereitung der Erwähnung von unbelebten Entitäten

Tab. 31:

Subordinationsbeispiele aus dem Italienischen

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1:

Der temporale Referenzrahmen im Italienischen und Französischen

Abb. 2:

Der temporale Referenzrahmen bei frühen und späten Bilingualen

Abb. 3:

Kausale Verknüpfungen im Italienischen und Französischen

Abb. 4:

Genuin kausale Verknüpfungen im Italienischen und Französischen

Abb. 5:

Kausale Verknüpfungen im Italienischen und Französischen verglichen mit späten Bilingualen

Abb. 6:

Progressivität im Italienischen und Französischen

Abb. 7:

Progressivität im Italienischen und Französischen verglichen mit frühen und späten Bilingualen

Abb. 8:

Akzeptabilitätsskala nach Lambrecht (1994)

Abb. 9:

Wiedereinführung in einem neuen Erzählabschnitt: Italienisch und Französisch im Vergleich

Abb. 10:

Wiedereinführung in einem neuen Erzählabschnitt: L1 und Bilinguale im Vergleich

Abb. 11:

Die Perspektivenzugehörigkeit

Abb. 12:

L1 Italienisch: Die Wiedereinführung des Protagonisten nach Perspektivenzugehörigkeit

Abb. 13:

L1 Französisch: Die Wiedereinführung des Protagonisten nach Perspektivenzugehörigkeit

Abb. 14:

Frühe Bilinguale: Die Wiedereinführung des Protagonisten nach Perspektivenzugehörigkeit

Abb. 15:

Späte Bilinguale: Die Wiedereinführung des Protagonisten nach Perspektivenzugehörigkeit

Abb. 16:

Wiederaufnahme des Protagonisten: Italienisch und Französisch im Vergleich

Abb. 17:

Der Referenzerhalt im Italienischen, Französischen und bei frühen Bilingualen

Abb. 18:

Häufigkeit der Erwähnung der unbelebten Entitäten im Italienischen und Französischen

Abb. 19:

Häufigkeit der Erwähnung von unbelebten Entitäten: Späte und frühe Bilinguale im Vergleich zum Italienische

Abb. 20:

Hierarchie der syntaktischen Kodierung

Abb. 21:

Mapping der unbelebten Entitäten im Italienischen und Französischen

Abb. 22:

Unbelebte Entitäten als Subjekt von Haupt- und Nebensätzen

Abb. 23:

Kodierung der unbelebten Entitäten: Italienisch, Französisch und frühe Bilinguale

Abb. 24:

Kodierung der unbelebten Entitäten: Italienisch, Französisch sowie frühe und späte Bilinguale im Vergleich

Abb. 25:

Erwähnung des Blatts Papier in Abhängigkeit der Konkurrenzsituation

Abb. 26:

Die Art der Einführung

Abb. 27:

Überblick über die Vorbereitung der Erwähnung von unbelebten Entitäte

Abb. 28:

Subordination im Italienischen

Abb. 29:

Subordination: Italienisch und Französisch im Vergleich

Abb. 30:

Subordination: Französisch, Italienisch und späte Bilinguale im Vergleich

Abb. 31:

Subordination: Italienisch, Französisch sowie späte und frühe Bilinguale im Vergleich

Abb. 32:

Koordination: Italienisch, Französisch sowie späte und frühe Bilinguale im Vergleich

1.Einleitung

Die vorliegende Arbeit widmet sich einem linguistischen Arbeitsgebiet, das den Zusammenhang zwischen sprachlicher Form und Informationsgliederung in der Sprachproduktion zum Gegenstand hat.1 Unter Einbezug von psycholinguistischen Forschungsmethoden und aufbauend auf typologischen Eigenschaften, steht der Zusammenhang zwischen sprachspezifischen grammatikalisierten Kategorien und spezifischen Mustern der Informationsorganisation bei der Versprachlichung von Ereignissen im Vordergrund der Analyse. Untersucht wird dieser Zusammenhang auf der Grundlage von mündlichen Nacherzählungen eines Kurzfilms, die von italienischen und französischen Muttersprachlern sowie von späten und frühen Bilingualen mit den Sprachen Italienisch und Französisch produziert wurden. Grammatikalisierte Kategorien stehen im Vordergrund des Sprachvergleichs, da sie für den Sprecher obligatorisch sind.

Wenn Sprecher einen komplexen Text, wie beispielsweise eine Erzählung produzieren möchten, müssen sie zum einen aus ihrer Wissensbasis Informationen auswählen und diese zum anderen ordnen, damit ein kohärenter Text entstehen kann. Die Ausgangsbasis für diese Untersuchung beruht auf der Grundannahme, dass Sprecher über ein konzeptionelles Wissen verfügen, das sprachspezifisch ist, da es von grammatisch-kodierten Kategorien abhängig ist.

Der Informationsaufbau im Text wird dabei vom grammatikalischen Regelwerk einer Sprache samt seiner spezifischen Ausprägungen bestimmt (Talmy 1988, Berman und Slobin 1994, von Stutterheim, Carroll, Klein 2003; Carroll und Lambert 2003). Es konnte gezeigt werden, dass grammatisch-kodierte Kategorien bereits auf der Makroplanungsebene Steuerungsgrössen liefern (vgl. Levelt 1999), die als global geltende Leitlinien bei der Informationsorganisation fungieren (Carroll, Rossdeutscher, Lambert und von Stutterheim 2008). Grammatikalisierte Kategorien einer Sprache wirken demnach nicht nur lokal beim Erzählen, sondern sind bestimmend bei der Etablierung des gesamten Erzähltexts, indem sie beispielsweise die Informationsselektion (z.B. welche Informationen werden in die Erzählung integriert?) sowie das information packaging (z.B. wie werden die Informationen sprachlich kodiert?) steuern.

Die vorliegende Arbeit bettet sich in diesen Forschungsbereich ein und untersucht, wie einzelsprachliche grammatikalische Kategorien im Italienischen und Französischen auf makrostrukturelle Planungsprinzipien im Bereich der Informationsorganisation wirken. Der Vergleich zwischen den beiden romanischen Sprachen Italienisch und Französisch soll Aufschluss darüber geben, nach welchem Muster diese typologisch eng beieinander liegenden Sprachen den Informationsaufbau handhaben und welche grammatisch kodierten Kategorien als Steuerungsfaktoren bei der Makroplanung bestimmend sind. Trotz der typologischen Nähe zwischen dem Italienischen und Französischen unterscheiden sich die beiden Sprachen in Bezug auf wesentliche strukturelle Eigenschaften, die für den Informationsaufbau und die Informationsgewichtung bestimmend sind, wie beispielsweise syntaktische Unterschiede oder Mittel für die Personenreferenz.

Im syntaktischen Bereich unterscheiden sich Italienisch und Französisch hinsichtlich der Wortstellungsvarianten, die für die Kennzeichnung des Informationsstatus eines Referenten dienen. Während im Französischen die Wortstellung durch feste Regeln gekennzeichnet ist, weist das Italienische hingegen eine relativ freie Wortstellung auf. Der Parameter der Wortstellungsregeln stellt somit ein typologisch-relevantes Kriterium dar, das für die Beschreibung des Informationsaufbaus und der Informationsgewichtung relevant ist. Ferner unterscheiden sich Italienisch und Französisch unter anderem in der Anwendung von referentiellen Mitteln, die den informationsstrukturellen Status eines Referenten kennzeichnen. Während im Französischen die Verwendung von Pronomina zumeist bei Referenzerhalt obligatorisch ist, gehört das Italienische zu den Nullsubjektsprachen, in denen die Kategorie »Person« morphologisch am Verb markiert wird. Dadurch kann der Erhalt eines Referenten in der Subjektrolle durch eine »leere« Subjektposition markiert werden.

In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, wie sich diese strukturellen Unterschiede auf den Informationsaufbau in mündlichen Erzähltexten auswirken. Die Kernfrage lautet dabei:

Korrelieren Unterschiede und Übereinstimmungen beim Informationsaufbau mit grammatisch-typologischen Eigenschaften der untersuchten Sprachen?

Zusätzlich zu den sprachvergleichenden Untersuchungen von monolingualen Sprechern, die Einblicke in makrostrukturelle Planungsprinzipien eröffnen, wird im Hinblick auf die Erlernbarkeit globaler Planungsprinzipien auch die Analyse bilingualer Sprecher in die Untersuchung integriert. Dabei geht es um die Frage, inwieweit frühe und späte Bilinguale jene Prinzipien erwerben, die für die Bewerkstelligung einer komplexen Aufgabe, wie sie die Produktion einer Erzählung darstellt, erforderlich sind, um einen kohärenten Text zu produzieren. Dabei geht es jedoch nicht um die Produktion von vermeintlich grammatikalisch korrekten Äusserungen, sondern um die Beschreibung jener Prinzipien, die wesentliche Prozesse der Informationsorganisation steuern. Es ist bereits gezeigt worden für weit fortgeschrittene Lerner, dass bestimmte einzelsprachliche makrostrukturellen Planungsprinzipien nur schwer zu erlernen sind (vgl. Carroll et al. 2008). Trotz Korrektheit im lexikalischen bzw. grammatischen Bereich treten bei der Informationsorganisation Muster der L1 im Sinne eines Transfers zutage oder es werden lernerspezifische Muster beobachtet, die ebenfalls von den Textaufbauprinzipien der Zielsprache abweichen (vgl. hierzu Carroll und von Stutterheim 2003; von Stutterheim und Carroll 2007). Prinzipien der Informationsgliederung werden somit nicht auf der Ebene einzelner Äusserungen sondern kontextgebunden im Rahmen des Textaufbaus analysiert.

Die Untersuchung von frühen und späten Bilingualen des Italienischen und Französischen ist insofern von Bedeutung, da so eine weitere Perspektive auf die Ausführung von komplexen Aufgaben und die Steuerungsgrössen bei Makroplanungsprinzipien durch diese beiden Sprechergruppen eröffnet wird. Es finden sich hier Strategien, die als bilingual-spezifisch zu definieren sind (s. zum Beispiel Flecken 2010). Abweichungen von den Mustern monolingualer Sprecher beim Informationsaufbau erlauben weitere Einblicke in die Steuerungsfaktoren, die beim Informationsaufbau wirksam werden.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Der theoretische Teil gliedert sich in vier Kapitel, die die Vielfältigkeit der mit der Untersuchungsfrage verbundenen Themengebiete widerspiegeln. Der theoretische Teil umfasst zum einen die Behandlung der Textsorte »Erzählung«, zum anderen eine Beschreibung des für die Auswertung der erhobenen mündlichen Filmnacherzählungen ausgewählten Analyseinstruments. Ferner werden die Rolle, die die Grammatik bei der Makroplanung spielt, sowie das Phänomen der Zweisprachigkeit behandelt.

Kapitel 2 ist der Textsorte Erzählung gewidmet, da mündliche Erzählungen die Analysegrundlage für den empirischen Teil der Arbeit liefern. Die Textsorte »Erzählung« wird in diesem Kapitel definiert (Kapitel 2.2), wobei ihre Struktur (Kapitel 2.3) und ihre Funktion (Kapitel 2.4.) im Vordergrund stehen. Eine Behandlung der kognitiven Komponente beim Erzählen (Kapitel 2.5.) schliesst Kapitel 2 ab.

Kapitel 3 enthält die Beschreibung des Quaestio-Ansatzes, der als Analysewerkzeug für die empirische Auswertung der Arbeit gewählt wurde. (Kapitel 3.1.). Dazu gehören auf inhaltlicher Ebene der referentielle Rahmen der Erzählung (Kapitel 3.1.1.), die Wissensbasis für die Erzeugung einer konzeptuellen Struktur (Kapitel 3.1.2.) sowie die Wahl der Perspektive für die Produktion eines Textes (Kapitel 3.1.3.). Unter den strukturellen Vorgaben wird die Gliederung des Textes in Haupt- und Nebenstruktur erläutert (Kapitel 3.2.). Das Quaestio-Kapitel enthält ferner Ausführungen zum Zusammenhang zwischen dem Quaestio-Ansatz und der Informationsstruktur. Das terminologisch umfangreiche Feld der Informationsstruktur wird in einem Exkurs umrissen (Kapitel 3.3.1.) und schliesst mit der Topik-Fokusgliederung ab, wie sie mit dem Quaestio-Ansatz gehandhabt wird (Kapitel 3.3.2.).

Kapitel 4 erläutert die Rolle der Grammatik für die Informationsorganisation. Behandelt werden einleitend Forschungsergebnisse, die konkrete Beispiele für die Korrelation von grammatikalisierten Kategorien und Informationsorganisation liefern (Kapitel 4.2.), die von der Grammatikalisierung z.B. von aspektuellen Kategorien über die Sequenzierung von Ereignissen (Kapitel 4.2.1.) bis zur Informationsselektion reichen (Kapitel 4.2.2.). Des Weiteren enthält Kapitel 4 Ausführungen zu den relevanten grammatikalischen Eigenschaften, die für den Vergleich Italienisch und Französisch unabdingbar sind (Kapitel 4.3.). Dazu gehören Unterscheide wie Wortstellungsmerkmale (relativ feste SVO-Stellung im Französischen gegenüber einer eher relativ freien Regelung im Italienischen (Kapitel 4.3.1.) sowie das Vorhandensein des Merkmals »Nullsubjekt« im Italienischen aber nicht im Französischen (Kapitel 4.3.2.).

Das letzte Kapitel des theoretischen Teils (Kapitel 5) ist der Zweisprachigkeit gewidmet. Darin werden zunächst Typen von bilingualen Sprechern unterschieden (Kapitel 5.1.) sowie Variablen besprochen, die den Spracherwerb beeinflussen (Kapitel 5.2.). Der Zusammenhang zwischen Zweisprachigkeit und Kognition schliesst den theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit ab.

Der empirische Teil gliedert sich in sieben Kapitel. Kapitel 6 illustriert die angewandte Methodik und erläutert das Stimulusmaterial sowie den Ablauf der Datenerhebung. Ebenso enthalten sind Details zur Transkription und zur Aufbereitung der Daten. Das Kapitel wird mit einem Überblick über die Probandenschaft abgeschlossen.

Kapitel 7 beschäftigt sich mit der Anwendung von Tempus und Aspekt bei der Verknüpfung von Ereignissen. Einleitend werden Forschungsergebnisse zum Deutschen und Englischen in Bezug auf die Etablierung eines temporalen Referenzrahmens dargestellt (Kapitel 7.1.). Ausführungen zum Vergleich des italienischen und französischen Tempus- und Aspektsystems (Kapitel 7.2.) bereiten auf das Kapitel 8 vor, in welchem der temporale Referenzrahmen in den Nacherzählungen des Kurzfilms Quest beschrieben wird. Das Kapitel startet mit Hinweisen auf das Analyseverfahren und die Kodierung (Kapitel 8.1.) und stellt die Ergebnisse zum Italienischen und Französischen mit einem Ausblick auf frühe und späte Bilinguale dar (Kapitel 8.2.). Kapitel 8.3. fasst die Ergebnisse zusammen.

Kapitel 9 ist der Personenreferenz gewidmet. Nach einer Einführung werden referentielle Mittel im Allgemeinen (Kapitel 9.1.) dargestellt. In Kapitel 9.2. wird analysiert, welche referentiellen Mittel für die Referenz auf den Protagonisten gewählt werden, wenn dieser in der Erzählung in einem neuen Erzählabschnitt wieder eingeführt wird (die Filmnacherzählungen sind in vier verschiedene Abschnitte gegliedert, in welchen der Protagonist der Erzählung jeweils neu eingeführt werden muss). Dabei wird untersucht, wie sich die Rolle des Erzählers auf die Wahl der referentiellen Mittel auswirkt. Kapitel 9.3. beschäftigt sich mit der Personenreferenz innerhalb eines Erzählabschnittes und ist auf die Rolle der Kontinuität (Referenzerhalt/Wiederaufnahme) ausgerichtet. Kapitel 9.4. fasst die Ergebnisse zusammen.

In Kapitel 10 wird das Zusammenspiel zwischen dem Protagonisten, der einzigen belebten Entität der Erzählung, und anderen unbelebten Entitäten geschildert, die als Agens von einzelnen Handlungen als Konkurrenten des Protagonisten für die Subjektbesetzung in Erscheinung treten. Dabei wird herausgearbeitet, wie häufig diese unbelebten Entitäten erwähnt werden (vgl. 10.1.), wie diese kodiert werden (vgl. 10.2.) und unter welchen Bedingungen sie als Subjekt eines Hauptsatzes erscheinen (vgl. 10.3.). Dabei stehen die systematischen »Vorbereitungen«, die die Sprecher treffen, im Vordergrund (Art der Einführung der Entitäten in die Diskurswelt sowie die Darstellung einer Konkurrenzsituation (Topikstatus (Protagonist) oder Agens (unbelebte Entität) als Kriterium bei der Versprachlichung als Subjekt). Kapitel 10.4. fasst die Ergebnisse zusammen.

Kapitel 11 beschäftigt sich mit der Verknüpfung von Ereignissen innerhalb der Erzählung. Nach einer allgemeinen Einleitung (11.1) wird im Besonderen auf die Subordination (11.2.). und die Koordination (11.3.) als Mittel der Ereignisverknüpfung eingegangen.

Kapitel 12 beinhaltet die Zusammenfassung aller erzielten Ergebnisse und endet mit einem Ausblick, der sich mit der Relevanz und Anwendbarkeit der Ergebnisse befasst.

2.Erzählungen

2.1.Einleitung in das Kapitel

Die Datengrundlage für die folgende Arbeit bilden Filmnacherzählungen. Diese Textsorte wurde zum einen gewählt, um eine Vergleichbarkeit der erhobenen Daten zu gewährleisten.1 Zum anderen bildet die Textsorte Erzählung komplexe linguistische Strukturen ab, die einen Einblick in die zugrundeliegenden Organisationsprinzipien gewähren. Erzählungen, die aus einer »sozial erprobten Wissensorganisation« resultieren (Antos 1997: 61), stellen somit eine fruchtbare Analysebasis für die hier formulierten Forschungsziele dar, die sich an der Schnittstelle zwischen psycho- und textlinguistischen Fragestellungen platzieren.

Das folgende Kapitel befasst sich mit der Textsorte Erzählung, welche für diese Arbeit von zentraler Bedeutung ist. Im ersten Unterkapitel wird die Erzählung als solche definiert (Kapitel 2.1.). Es folgen Ausführungen zur Struktur (Kapitel 2.2.) im Hinblick auf ihre Komponenten und zu den Funktionen (Kapitel 2.3), die die Textsorte Erzählung erfüllt. Das Kapitel bietet ferner einen Ausblick auf die kognitiven Leistungen (Kapitel 2.4.), die sich beim Erzählen vollziehen.

2.2.Definition der Textsorte »Erzählung«

Erzählungen stellen seit jeher eine wesentliche Grundform von Kommunikation dar und prägen die Menschheitsgeschichte seit ihren Anfängen. Barthes und Duisit (1975) schreiben hierzu:

Narrative starts with the very history of mankind; there is not, there has never been anywhere, any people without narrative.

Erzählungen stellen somit eine Form des sprachlichen Handelns dar, das als international, transhistorisch und transkulturell zu betrachten ist. Jede Form der menschlichen Gemeinschaft wird geprägt von Geschichten, die in verschiedenen Arten wiedergegeben und tradiert werden (vgl. Chroniken, Bildergeschichten, Volkserzählungen, Interviews, Romane usw.) (Barthes & Duisit: 1975).

Erzählen repräsentiert eine Schlüsselkompetenz in der menschlichen Kommunikation. Das Erschaffen und Interpretieren einer erzählten Welt (vgl. den Begriff story world von Herman 2009) kommt nicht nur beim ausgewiesenen Erzählen zum Tragen, sondern auch in Situationen, in denen Menschen versuchen, unorganisierte Ereignisse zu strukturieren. Erzählen stellt somit ein ordnendes Prinzip dar, das eine sinnstiftende Funktion hat.

Die Definition von Erzählung von Labov und Waletzky (1967: 28), die bis heute als zentral erachtet wird, beruht im Sinne der strukturierenden Funktion von Erzählungen auf der temporalen Verbindung (»temporal junction«) zwischen zwei Äusserungen wie beispielsweise in I shot and killed him. Labov und Waletzky (1967: 20) definieren eine Erzählung folglich als »one method of recapitulating past experience by matching a verbal sequence of clauses to the sequence of events which actually occurred« (zum Ansatz von Labov und Waletzky siehe Kapitel 2.3.; für die strukturierende Funktion siehe Kapitel 2.4.).

Es erstaunt daher nicht, dass aufgrund des breitgefächerten Anwendungsbereichs gleich in mehreren Disziplinen ein wissenschaftliches Interesse an dieser Textsorte besteht (Literaturwissenschaft, Sozialanthropologie, verschiedene Teilbereiche der Sprachwissenschaft, Politik, Rechtswissenschaft, Erziehungswissenschaft, Psychologie und vor allem Kognitionswissenschaft ). Mit der Begrifflichkeit des narrative turn (Fisher 1984, Fludernik 2005) wird in dieser Hinsicht die Zuwendung der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften zur Textsorte Erzählung deutlich. Erzähltheoretische Ansätze werden interdisziplinär angewandt, um diese universale Kommunikationsform als Analysegrundlage zu nutzen (beispielsweise in der Psychotherapie im Hinblick auf das Erzählen der Lebensgeschichte für diagnostische Zwecke oder im Rechtswesen in Bezug auf Zeugenaussagen).

Die mit dem narrative turn verbundenen Entwicklungen verknüpfen mit der Erzählung folglich nicht nur eine Form der Kunstproduktion, die im Blickfeld der Narratologie steht, sondern beschreiben diese Textsorte als »grundlegendes Verfahren des Menschen, der Welt und dem eigenen Dasein Sinn abzugewinnen, indem Ereignisse in zeitliche und kausale Zusammenhänge eingebunden werden und so Kohärenz erzeugt wird« (Heinen 2007:1). Besonders die Kognitionswissenschaft widmet der Textsorte Erzählung in diesem Hinblick besondere Aufmerksamkeit, um das »world making« und somit menschliche Denkweisen zu ermitteln (Bruner 1986).

Die Nutzbarmachung der Erzählung für verschiedene Disziplinen impliziert, dass ihre Definitionskriterien je nach Forschungsrichtung unterschiedliche Akzentuierungen aufweisen (Gülich & Hausendorf 2000). Bei der Übertragung von erzähltheoretischen Paradigmen in andere Disziplinen, verwässern jedoch erzähltheoretische Definitionen, wie Narratologen bedauern. Gleichzeitig werden Narratologen vor die Herausforderung gestellt, die Anwendbarkeit von erzähltheoretischen Grundlagen in nicht-narratologische Kontexte sicherzustellen (Fludernik 2005). Die Erarbeitung von Definitionskriterien, die verschiedenen Ansätzen gerecht werden, gestaltet sich daher als herausfordernd. Auch aufgrund der Vielzahl von Erzählarten in ihren verschiedenen narrativen Darstellungsformen (mündlich vs. schriftlich, literarisch vs. alltagssprachlich sowie je nach Gattung und Textsorte) wird die Erarbeitung von Definitionskriterien erschwert (Gülich & Hausendorf 2000). Eine Definition kann daher nur auf einer abstrakten Ebene erfolgen, da Präzisierungen nur auf bestimmte, jedoch niemals auf alle Formen des Erzählens zutreffen (Gülich & Hausendorf 2000).

Ryan (2007) versucht die Heterogenität der Definitionskriterien zu systematisieren und fasst sie unter drei semantischen und einer formal-pragmatischen Dimension zusammen.

Zu den semantischen Dimensionen der Erzählung gehören die räumliche, die zeitliche und die mentale Dimension. Räumlich bedeutet, dass die Erzählung in einer Welt angesiedelt ist, die von ausgewiesenen Handlungsträgern (individuated existents) besiedelt ist. Zeitlich heisst, dass die erzählte Welt in einer bestimmten Zeit verankert ist, in der sich signifikante Veränderungen vollziehen. Als sogenannte rekursive Gattung (Luckmann 1986) spezifiziert die Erzählung, dass die Darstellung des Ablaufs realer oder fiktiver Ereignisse in Bezug auf den Erzählzeitpunkt zurückliegt (Gülich 2000). Veränderungen in der erzählten Welt werden dabei von physikalischen Ereignissen verursacht, die nicht habituell sind (non-habitual physical events). Mental bezeichnet, dass einige der Handlungsträger, die die Ereignisse verursachen, intelligent Handelnde (intelligent agents) sind und somit über Geist und Emotionen verfügen. Einige dieser Ereignisse müssen willentlich von den Handelnden ausgeführt werden.

In Bezug auf die formal-pragmatischen Dimensionen führt Ryan aus, dass die Ereignissequenz eine geschlossene Kette bilden muss, die zu einem Abschluss führt. Mindestens eines der erzählten Ereignisse muss als ausgewiesene Tatsache in der Erzählwelt gelten. Die Erzählung als solche muss eine für die Hörerschaft sinnstiftende Mitteilung kommunizieren.

2.3.Zur Struktur von Erzählungen

Erzählungen lassen sich in verschiedene Komponenten aufteilen, deren Organisation hierarchisch strukturiert ist. Von der Organisation der Komponenten lassen sich bestimmte narrative Strukturen ableiten, die für die Erzählung typisch sind. Die Struktur von Erzählungen wird hier aufgrund dreier Grundlagen skizziert:

Gesamtstruktur von Erzählungen

Strukturierende Elemente innerhalb der Erzählung

Struktur der Erzählung als Ergebnis einer Textplanung

In Bezug auf die Gesamtstruktur von Erzählungen hat sich im Bereich der textlinguistischen Fragestellungen der Ansatz des narrativen Schemas (narrative schema) von Labov & Waletzky etabliert (vgl. den Band von Bamberg 1997, der sich mit der Nachhaltigkeit dieses Ansatzes in der Forschung auseinandersetzt). Die grundlegende Studie von Labov & Waletzky (1967) verdeutlicht einerseits, dass mündliche Erzählungen, wie oben ausgeführt, temporal aufgebaut sind, da sie durch die Verknüpfung von Ereignissen eine temporale Sequenz bilden (vgl. I shot and killed him). Andererseits werden funktionale Einheiten bestimmt, aus denen sich Ereignisse zusammensetzen. Für mündliche Erzählungen stellen Labov und Waletzky fest, dass ihre Komponenten häufig in einer bestimmten Anordnung organisiert werden.

Abstract (abstract)

Orientierung (orientation)

Komplikation (complication)

Evaluation (evaluation)

Auflösung (resolution)

Coda (coda)

Im Abstract, das nicht zwingend vorhanden ist, wird ein Gesamtüberblick über den Inhalt der Erzählung angegeben. In der Phase der Orientierung werden Angaben zu Personen, Ort, Zeit und Handlungssituation gemacht, die an der dargestellten Ereignissequenz beteiligt sind (Komplikation). Die Komplikation enthält folglich einen Verweis auf eine Ereigniskette, die schliesslich in der Evaluation reflektiert wird. In der Evaluation sind Kommentare oder expressive Ausdrücke in Bezug auf die Komplikation enthalten. Auf die Evaluation folgt die Auflösung, in welcher der Ausgang der Komplikation geschildert wird. In der Coda wird die Sprecherperspektive wieder auf den Zeitpunkt der Gegenwart gelenkt und schlägt den Bogen zum Abstract zurück.

Um mündliche Erzählungen zu strukturieren, können grammatische, lexikalische und intonatorische Mittel ausgeschöpft werden (Gülich 2004). Über grammatikalische Markierungen am Verb kann in Bezug auf dargestellte Ereignisse verdeutlicht werden, welche Ereignisse als Hintergrundhandlungen bzw. als Vordergrundhandlungen zu verstehen sind (vgl. das Inzidenzschema bzw. aspektuelle Oppositionen zwischen passé simple und imparfait im Französischen, vgl. hierzu Pollak 1988 und insbesondere Weinreich 1964).

Zu den lexikalischen Mitteln gehören beispielsweise die sogenannten Gliederungssignale, die als universales Merkmal der gesprochenen Sprache eine ordnende Funktion innerhalb des Erzählungsaufbaus haben. Durch diese Form der Gesprächswörter werden innerhalb des Textes Markierungen geschaffen, die den Anfang einer Erzählung, ihren Abschluss oder Exkurse in Bezug auf das Hauptthema signalisieren (vgl. Gülich 1970, Quasthoff 1979, Berretta 1984, Bazzanella 1994). Für die Festlegung von Relevanz und für die Hervorhebung von bestimmten Komponenten innerhalb einer mündlichen Erzählung können u.a. intonatorische Verfahren genutzt werden (vgl. Gülich 2004).

Weitere Ansätze für die Beschreibung der Struktur von Erzählungen beziehen eine Planungskomponente ein. Van Dijk, der in diesem Sinne eine Vorreiterrolle einnimmt, setzt für Texte und somit auch für Erzählungen eine Planung voraus, die für den Sprecher semantisch fundiert, aber noch nicht linear ist. Danach besteht jeder Text aus einer Makrostruktur, die hierarchisch aufgebaut ist und sich aus Mikrostrukturen zusammensetzt. Makrostrukturen bilden zum einen den semantischen Rahmen eines Textes (van Dijk, 1972, Kintsch & van Dijk, 1978) und umfassen Propositionen, die das »Informationsskelett« des Textes bilden. Ferner konstituieren schematische Makrostrukturen die formale Struktur eines Textes (Bierwisch, 1965; van Dijk, 1995). Jeder Text stellt für van Dijk das Produkt von angewandten »Makroregeln« dar, nach denen die Konstituenten eines Textes zu einem übergeordnetem Ganzen verbunden werden. Ein Text beruht in diesem Sinne auf einer »vom Sprecher programmierten noch nicht linearen, semantisch basierten Struktur (…), die dann durch Transformationen schrittweise in eine Textoberflächenstruktur überführt wird« (Vater 2001: 67).

Nach diesem einleitenden Kapitel, in dem Erzählungen definiert und im Hinblick auf ihre Struktur beschrieben wurden, werden in den folgenden Abschnitten die Funktionen aufgezeigt, die Erzählungen innehaben.

2.4.Zur Funktion von Erzählungen

Im obigen Abschnitt wurde bereits angedeutet, dass der interdisziplinäre Zugang zu Erzählungen ihre Funktion im Sinne einer identitäts- und kohärenzstiftenden Tätigkeit sieht. Erzählungen werden von der Tatsache gekennzeichnet, dass sie von einem dominanten Erzähler wiedergegeben werden (Gülich & Hausendorf 2000), der deutlich macht, wie er in einem interaktiven Engagement die Beschaffenheit seiner referentiellen Welt zum Ausdruck bringt. So schreibt Bamberg:

The way the referential world is put together points to how tellers »want to be understood,« how they index their sense of self. (Bamberg 2009: 140)

Erzählen ist somit jene Diskursform, die »die Sinnbildungsoperation des Thematisierens (Erlebens) ist« (Gumbrecht 1980: 409). Durch das Erzählen wird der erlebten Welt ein Sinn verliehen, der in einer kohärenten Struktur1 resultiert. Die kohärente Struktur ist nicht zuletzt das Ergebnis einer Verknüpfung von Ereignissen (»temporal junction« nach Labov und Waletzky 1967: 20). Diese Verknüpfung stellt eine grundlegende sowie eine ordnende Eigenschaft von Erzählungen dar. Die identitätsstiftende Funktion von Erzählungen wird besonders aus der Perspektive der Psychologie untersucht. Die Kompetenz des Erzählens, die vom Kindesalter an erworben wird, dient zum einen dem Aufbau der eigenen Identität, zum anderen zeigt die sogenannte narrative Identität auf, welche Verbindungen zur Gesellschaft bestehen:

The stories we construct to make sense of our lives are fundamentally about our struggle to reconcile who we imagine we were, are, and might be in our heads and bodies with who we were, are and might be in the social contexts of family, community, the workplace, ethnicity, religion gender, social class, and culture (…) The self comes to terms with society through narrative identity. (McAdams 2008: 243).

Gumbrecht plädiert daher für einen anthropologisch fundierten Narrations-Begriff. Durch das Erzählen komme ein sinnbildender Prozess zustande, da

subjektive Bewusstseinsabläufe die Ergebnisse subjektiver Erfahrungsprozesse und subjektive Motive in den intersubjektiven Raum der Kommunikation holen. (Gumbrecht 1980: 408–409)

Innerhalb dieser sinnbildenden Funktion kommt das oben erwähnte Charakteristikum zum Tragen, dass Erzählungen von menschlichen oder menschenähnlichen Charakteren getragen werden. Es werden Identitäten von Handlungsträgern aufgebaut, die willentlich Aktionen ausführen und Ereignisse verursachen. Die Entwicklung von Intentionalität, die sowohl den Handlungsträgern als auch den Erzählenden zugrunde liegt, liefert die notwendige mentale Voraussetzung für das Produzieren und Verstehen von Erzählungen (McAdams 2008). Diese kognitiven Prozesse werden im folgenden Abschnitt beleuchtet.

2.5.Die kognitive Komponente beim Erzählen

Mit Blick auf eine Funktion von Erzählungen, die im obigen Abschnitt als sinnstiftend bezeichnet wurde, wird deutlich, dass Erzählungen mit Bedeutungszuweisung verknüpft sind. Durch das Erzählen werden Erlebnisse klassifizierbar, erkennbar und erinnerbar gemacht (Nünning 2012). Aus diesem Grunde sieht Herman Erzählungen als ein Werkzeug für das Denken an und bezeichnet sie als

Pattern-forming cognitive systems that organize all sequentially experienced structure, which can then be operationalized to create tools for thinking. (Herman 2003: 171)

Das grundlegende, kognitive Potential beim Erzählen ist verknüpft mit der Auswahl von Ereignissen, die in einen kausalen Zusammenhang gebracht und somit strukturiert werden (Pethes 2008). Zu den kognitiven Prozessen für die Entstehung einer Erzählung gehören nach von Stutterheim und Kohlmann (2003: 466 ff):

Die Bezugnahme auf dynamische Sachverhalte und deren Perspektivierung im Sinne einer Wiedergabe von einzelnen Phasen eines Geschehens oder dem Geschehen als Ganzes.

Die Selektion von Ereignissen aus der Wissensbasis

Die Schaffung eines kohärenten Musters

Die Linearisierung im Sinne einer Übertragung der Ereignisse auf eine lineare Struktur

Diese Prozesse resultieren in einer komplexen linguistischen Struktur, die mentale Prozesse dieser Art abbilden. Im Zusammenhang mit kognitiven Leistungen, die für das Erzählen relevant sind, stehen Intentionalität und Vorstellungskraft (untersucht von der analytischen Philosophie), Wahrnehmung und Kategorisierung (untersucht von der kognitiven Psychologie) sowie Textinterpretation (untersucht von der Linguistik) im Vordergrund. Erzählen wird dabei stets als kognitive Fähigkeit wahrgenommen, die Einblicke in die menschlichen Denkprozesse erlaubt. Die Prozesse, die der Erschaffung einer erzählten Welt (worldmaking) zugrunde liegen, sind komplex. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Konfigurierung einer narrativen Welt, in der Bezüge zu einem WAS, WO und WANN aufgebaut werden, die miteinander verknüpft sind. Aus diesem Zusammenspiel resultiert ein ontologisches Make-up, das kognitiv fundiert ist (Herman 2009).

Die kognitive Komponente von Erzählungen, die in dieser Arbeit im Vordergrund steht, bezieht sich auf die Konzeptualisierung von Ereignissen. Im Sinne der Bildung eines »begrifflichen Entwurfs« in der konzeptuellen Makroplanung (Rickheit & al. 2002: 88, Levelt 1989), die der Produktion von Erzählungen zugrunde liegt, werden in dieser Arbeit sprachspezifische, von der Grammatik gesteuerte Präferenzen bei der Konzeptualisierung von Ereignissen beim Erzählen untersucht. Der kognitive Aspekt kommt bezüglich der Makroplanungsebene zum Tragen, auf deren Ebene relevante Entscheidungen für den Aufbau einer storyworld wirksam werden.

Fassen wir nun dieses Unterkapitel zusammen: Es wurde verdeutlicht, dass Erzählungen eine universelle Kommunikationsform darstellen, die interdisziplinär untersucht wird, da in ihr sinn-, kohärenz- und identitätsstiftende Eigenschaften zum Tragen kommen, die einen Blick in kognitive Prozesse ermöglichen. Der in diesem Zusammenhang bereits gefallene Begriff der Komplexität bezieht sich nicht nur auf die kognitiven Grundlagen bei der Produktion von Erzählungen, sondern auch auf ihre sprachliche Realisierung sowie ihre Einbettung in eine bestimmte kommunikative Situation. Die Analyse von derart komplexen Texten, wie Erzählungen sie darstellen, bedürfen eines klar definierten Instrumentariums, um Planungsprozesse und sprachliche Strukturen im Hinblick auf die Informationsorganisation beschreiben zu können.

Erzählungen werden in der vorliegenden Analyse im Sinne des Quaestio-Ansatzes, der im folgenden Kapitel ausführlich behandelt wird, als eine komplexe Antwort auf eine einleitende Frage aufgefasst. Im folgenden Kapitel wird erläutert, wie sich eine einleitende Frage auf den Aufbau der Erzählung auswirkt und wie der Quaestio-Ansatz als Analyseinstrument für das Datenkorpus nutzbar gemacht werden kann.

3.Der Quaestio-Ansatz

Der Quaestio-Ansatz (vgl. Klein & von Stutterheim 1987, 1992, 2002 sowie von Stutterheim 1997) versteht einen Text und somit auch Erzählungen als komplexe Antwort auf eine explizite oder implizite Frage (= die Quaestio) im Sinne eines Redeanlasses, der die Produktion eines Textes einleitet. Die Quaestio wird als Auslöser für den Textplanungsprozess gesehen, der auf einer globalen Planung basiert (von Stutterheim und Klein 2008).

Ein Erzähltext baut beispielsweise auf folgende Fragen auf:

 

Was geschah zum Zeitpunkt tn?

Was geschah zum Zeitpunkt tn +1?

Was geschah zum Zeitpunkt tn +2?

Was geschah zum Zeitpunkt tn +3?

Die Frage schafft eine Gesamtvorstellung bzw. einen Rahmen für eine Antwort, innerhalb dessen sich der Sprecher für die Beantwortung der Frage bewegt. Die Frage hat somit als Strukturierungsgröße die Funktion, unterschiedliche Komponenten der relevanten Informationen kontextgerecht zu verbinden (Klein und von Stechow 1982). Im folgenden Kapitel werden der Quaestio-Ansatz sowie seine Relevanz für die vorliegende Arbeit behandelt.

Im Kapitel 2.3. wurde bereits auf die Struktur von Erzählungen sowohl im Hinblick auf ihren prototypischen Aufbau (vgl. narrative schema nach Labov und Waletzky 1967) als auch in Bezug auf die Makrostruktur eingegangen, die nach van Dijk (1977) der Planung eines strukturierten und kohärenten Textes zugrunde liegt. Kohärenz entsteht nach van Dijk durch die Überführung von einzelnen Sätzen in eine übergeordnete Makrostruktur. Ein Text beruht somit auf einer hierarchischen Struktur, die sich aus Makro- und Mikrostrukturen zusammensetzt (van Dijk 1977).

Diese Konzeption des Textes erfasst jedoch nicht alle relevanten Eigenschaften, die in folgenden Fragen thematisiert werden (vgl. von Stutterheim & Carroll 2018):

Wie lässt sich das Verhältnis in Bezug auf den Textaufbau zwischen Makro- und Mikrostrukturen beschreiben?