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Im vorliegenden Werk werden typische Strukturen der gesprochenen romanischen Sprachen auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen Informationsstruktur, Syntax (Satzbau), Prosodie (Intonation/Tonhöhenverlauf bzw. Akzente/Wortbetonungen) analysiert und zum ersten Mal für das Französische, Spanische und Italienische anhand eines Korpus authentischer dialogischer Sprachaufnahmen kontrastiv verglichen.
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Seitenzahl: 626
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Christoph Hülsmann
Initiale Topiks und Foki im gesprochenen Französisch, Spanisch und Italienisch
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8233-0168-4
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meiner Ende 2017 an der Paris-Lodron-Universität Salzburg eingereichten Dissertationsschrift.
Zu danken habe ich zahlreichen Personen, von denen an dieser Stelle nur einige wenige genannt seien. Mein Dank gilt zunächst Matthias Heinz, dem Hauptbetreuer und Erstgutachter der Arbeit, Bernhard Pöll, dem Nebenbetreuer, sowie der (externen) Zweitgutachterin Manuela Moroni. Andreas Dufter danke ich sehr herzlich für seine vielen konstruktiven Hinweise zur Überarbeitung des Manuskripts und – zusammen mit Bernhard Teuber – für die Aufnahme des Bandes in die Reihe Orbis Romanicus. Für das Einräumen der für die Überarbeitung notwendigen Zeit danke ich Margareta Strasser.
Der VG Wort bin ich für die Übernahme der Druckkosten zu Dank verpflichtet. Für die Betreuung seitens des Verlags bedanke ich mich bei Kathrin Heyng.
Salzburg, 2019
Christoph Hülsmann
« [A]près la faculté de penser, celle de communiquer ses pensées à ses semblables est l’attribut le plus frappant qui distingue l’homme de la brute. »
(Robespierre, séance du 11 mai 1791 au club des Jacobins)
« On peut entrer dans la phrase par différentes portes, mais il n’y a rien d’arbitraire dans le choix que l’on fait. »
(Weil 1844, 28)
Zwischenmenschliche Kommunikation kann grundsätzlich unterschiedlichen Zwecken dienen. Eine ihrer zentralen Funktionen besteht zweifelsohne im Austausch von Information. Dabei hängt die Art und Weise, wie Information von einem Sprecher (oder Produzenten) an einen Hörer (oder Rezipienten)1 vermittelt wird, nicht nur maßgeblich vom Kommunikationsziel ab, das der Sprecher in der konkreten Sprechsituation verfolgt, sondern auch vom Informationsstand des Hörers, der vom Sprecher im Zuge seiner Äußerung zu berücksichtigen ist. (cf. Musan 2010, 1) Darüber hinaus sind die unterschiedlichen Möglichkeiten der Strukturierung von Information aber auch an die formalen Eigenschaften der jeweiligen Sprache gebunden. Im Allgemeinen können hier prosodische, morphologische, lexikalische sowie syntaktische Mittel zur Anwendung kommen. (cf. Musan 2010, 73)
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Informationsstruktur gesprochener Sprache und ihren Schnittstellen mit der Syntax und der Prosodie. Von besonderer Relevanz für die Strukturierung von Information ist nach allgemeiner Ansicht das initiale Feld von Positionen linear mehrteiliger Diskurseinheiten, in dem – je nach den kommunikativen „Bedürfnissen“ der Gesprächspartner – sehr heterogene Elemente auftreten können.2 Häufig sind hier diskursalte Konstituenten zu beobachten, über die der Sprecher in der weiteren Folge der Äußerung eine Aussage tätigt. Strukturen, in denen solch initiale Topiks wie in (1) und (2) mit einer syntaktisch markierten Wortfolge einhergehen, werden in der Literatur meist als Linksdislokationen bzw. als hanging topic left dislocations bezeichnet.3 Zum anderen können Sprecher ihre Äußerungen auch mit Konstituenten beginnen, die fokale, d.h. die aus kommunikativer Sicht besonders relevante Information ausdrücken, und somit, wie etwa in Satz (3), Fokus-Fronting-Strukturen realisieren.4
(1)
it.
La dieta, non la rispetta tanto.
(2)
fr.
Les moustiques, là-bas, il y en a beaucoup.
(3)
sp.
Un ÓSCAR se lleva.5 (C-Oral-Rom, Cresti/Moneglia 2005)
Die Arbeit verfolgt mehrere Ziele. Zunächst sollen die einzelnen Dimensionen, aus denen sich die Informationsstruktur zusammensetzt, eingehend beschrieben werden. Nach einem kurzen, theoretisch möglichst unvoreingenommenen Überblick zu den grundlegenden Mechanismen des Zusammenspiels zwischen Informationsstruktur, Syntax und Prosodie im Allgemeinen sowie für das gesprochene Französische, Spanische und Italienische im Speziellen sollen die bisherigen Erkenntnisse zu den grammatisch-syntaktischen, pragmatisch-semantischen sowie prosodischen Eigenschaften der Topik- und Fokus-Fronting-Strukturen zusammengefasst werden. Die Ergebnisse dieses Teils sollen in der Folge durch eine empirische Analyse gesprochener Belege aus dem C-Oral-Rom-Korpus von Cresti und Moneglia (2005) überprüft werden. Die Verifizierung bzw. Falsifizierung der postulierten Eigenschaften der Konstruktionen6 anhand von authentischen Belegen ist insofern von Relevanz, als bislang vor allem nicht spontane oder semi-spontane Sprachaufnahmen für prosodische Analysen zur Informationsstruktur herangezogen wurden. Neben der mangelnden Authentizität dieser Äußerungen ist auch die Tatsache problematisch, dass der Großteil der Studien auf Daten basiert, die von einer relativ geringen Anzahl von Sprechern stammen.7 Bei der vorliegenden Arbeit handelt sich um die meines Wissens erste Studie, die die Thematik auf der Grundlage authentischen spontansprachlichen Korpusmaterials, das in möglichst natürlichen Kontexten erhoben wurde, in den drei genannten romanischen Sprachen kontrastiv untersucht.
Das Interesse an informationsstrukturellen Fragestellungen ist in der Linguistik bereits seit längerer Zeit ausgeprägt. Die zahlreichen Publikationen und Forschungsprojekte der letzten Jahre geben eine ungefähre Vorstellung von der Forschungsrelevanz des thematischen Großkomplexes der Informationsstruktur, der zentrale Fragen des Funktionierens von Sprache umfasst, die teils noch nicht hinreichend verstanden sind.8
Dabei sind die theoretischen Zugänge und Methoden, die zu dessen Erforschung herangezogen werden, sehr heterogen. Auch die rezentesten Monographien, die sich mit der Informationsstruktur romanischer Sprachen auseinandersetzen, spiegeln die Diversität der Ansätze wider. Der pragmatisch basierte Beitrag von Ewert-Kling (2010) etwa untersucht die funktionalen Aspekte von Links- und Rechtsdislokationen im gesprochenen Französischen und Spanischen anhand von Korpusanalysen. Als analoge Untersuchung für das Italienische kann die Arbeit von Meier (2008) genannt werden. Einen vor allem diskursorientierten Ansatz wählt Hidalgo-Downing (2003) für das Spanische. Auch Avanzi (2012) gründet seine Analysen zum Französischen auf Korpora gesprochener Sprache. Er widmet sich in erster Linie der Prosodie ausgewählter Strukturen wie Links- und Rechtsdislokationen. Die Tatsache, dass in den letzten Jahren vermehrt auch generative Beiträge im Bereich der Informationsstruktur zu verzeichnen sind, wie etwa die Arbeiten von Frascarelli (2000) und Bocci (2013) zum Italienischen sowie von Gabriel (2007) zum Spanischen, zeugt von der zunehmenden Bedeutung, die dieser sprachlichen Dimension mittlerweile auch in stärker auf formalen Theorien basierenden Ansätzen beigemessen wird.9
Zweifellos bedarf die gleichzeitige Beschäftigung mit verschiedenen sprachlichen Ebenen wie der Informationsstruktur, der Syntax und der Prosodie einer Kombination unterschiedlicher Methoden. Es ist ersichtlich, dass für den Zweck dieser Arbeit, deren Untersuchungsgegenstand die gesprochene Sprache ist, primär jene Zugänge geeignet sind, die die Akzeptabilität bzw. Angemessenheit von (markierten) Strukturen aus dem Zusammenspiel von grammatisch-syntaktischen und nicht syntaktischen, d.h. prosodischen, aber auch diskursspezifischen sowie außersprachlichen Faktoren zu erklären versuchen, und die damit auch den kommunikativen Kontext von Äußerungen in ihrer Analyse berücksichtigen.10 Einen derartigen Zugang bieten vor allem funktional-pragmatische Ansätze.
Die vorliegende Untersuchung zielt darauf ab, einen klärenden wie auch neue Aspekte erschließenden Beitrag zum Gesamtbild dieser komplexen Thematik zu leisten. Aus funktionaler Perspektive ist die initiale Realisierung von Fokus- und Topikkonstituenten zunächst auf die informationsstrukturellen „Bedürfnisse“ der Gesprächsteilnehmer zurückzuführen. Die im Vergleich zur als unmarkiert geltenden Struktur häufig zu beobachtende Alternation der linearen Abfolge der Konstituenten im Satz und die prosodischen Charakteristika, die mit dieser modifizierten Wortfolge einhergehen, sind demnach – wie die vorliegende Arbeit darzulegen versuchen wird – in erster Linie diskursanalytisch zu erklären und als Manifestationen bzw. als Markierungsmechanismen der Informationsstruktur zu analysieren.
Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Kapitel 2 befasst sich mit den Grundlagen und wichtigsten Modellen der Informationsstruktur. Diesem Abschnitt muss insofern relativ viel Raum gewidmet werden, als die Beschäftigung mit Informationsstruktur seit jeher von einer höchst heterogenen Terminologie geprägt ist. Auch in der aktuellen Literatur manifestiert sich die grundlegende Problematik des Gegenstandbereichs darin, dass elementare informationsstrukturelle Termini mit zum Teil sehr unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden. Ziel des Kapitels ist demnach eine klare Abgrenzung der einzelnen Dimensionen innerhalb der Informationsstruktur sowie die Festlegung einheitlicher und möglichst operabler Definitionen zentraler Termini.
Das anschließende Kapitel 3 soll einen kurzen, theoretisch unvoreingenommenen Überblick über die grundlegenden, teils universalen Aspekte des Zusammenspiels von Informationsstruktur, Syntax und Prosodie geben, ohne bereits systematisch sprachenspezifische Aspekte zu berücksichtigen. Es erhebt dementsprechend keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr sollen die verschiedenen Grundannahmen, die in der Literatur vorherrschen, und ihre zentralen Argumente skizziert werden. Näher eingegangen wird in diesem Kapitel darüber hinaus auf die wichtigsten theoretischen Grundlagen der autosegmentalen Phonologie, die aufgrund der guten übereinzelsprachlichen Komparabilität auch für den empirischen Teil der Arbeit von Relevanz sein werden.
Ab Kapitel 4 wird sprachenspezifisch und sprachvergleichend vorgegangen. Kapitel 4.1 klärt zunächst die Frage der Markiertheit von Sätzen im code parlé der drei romanischen Sprachen. Nach einem Überblick über die unmarkierten Muster auf syntaktischer, informationsstruktureller sowie prosodischer Ebene werden in Kapitel 4.2 und Kapitel 4.3 die bisherigen Erkenntnisse zum Topik- bzw. Fokus-Fronting in den jeweiligen Sprachen resümiert.
Kapitel 5 beinhaltet den empirischen Teil der Arbeit. Nach einer kurzen Vorstellung des gewählten Korpus werden Belege mit initialen Topiks und Foki auf unterschiedlichen Ebenen analysiert. Berücksichtigt werden die Art und die Definitheit der Konstituenten, ihre syntaktischen Funktionen, die Belebtheit der Referenten und mögliche kontrastive Lesarten zu entsprechenden Topik- bzw. Fokus-Alternativen. Ebenfalls untersucht wird der syntaktische und prosodische Integrationsgrad der Topiks und Foki. Neben einzelsprachlichen Analysen wird auch ein kontrastiver Vergleich zwischen den drei Sprachen angestrebt, der typologische Ähnlichkeiten und Differenzen aufzeigen soll.
In Kapitel 6 werden die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst und ein Ausblick auf zukünftige Forschungsfragen gegeben.
Der Terminus Informationsstruktur, der heute jenen Teilbereich der Linguistik bezeichnet, der die Art und Weise der Vermittlung von Information auf Satz- und Diskursebene untersucht, geht auf den Beitrag von Halliday (1967a/b) zurück. (cf. Konerding 2003, 209) Halliday (1967a, 55) verwendet den Begriff erstmals, um die Akzeptabilität von Strukturen zu erklären: „[T]he acceptability of a given item is not in fact determined solely by the verb, […] it is often possible to construct acceptable clauses by selecting appropriate lexical items and arranging them in appropriate information structures […].“1
Das Bewusstsein über informationsstrukturelle Aspekte von Sprache reicht bis zur aristotelischen Logik und der dort erfolgten Differenzierung eines Satzes in hypokeimon (‚das Zugrundeliegende‘, ‚Vorhandene‘) und kategorumenon (‚das Ausgesagte‘) zurück, die sich in der Folge zur Dichotomie subjectum-praedicatum entwickelte. (cf. Molnár 1991, 13) Zu einer expliziten und systematischeren Auseinandersetzung mit Informationsstruktur kommt es jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Beitrag des deutsch-französischen Philologen Henri (geb. Heinrich) Weil, der Wortstellungsvariationen von Sprachen – am Beispiel des Lateinischen – durch die „succession des idées“ (Weil 1844, 5) erklärt. Weil zufolge muss die Abfolge der Wörter im Satz grundsätzlich mit der Reihenfolge der Gedanken des Sprechers übereinstimmen. Mit anderen Worten ausgedrückt, ist für ihn die Wortstellung von der Informationsstruktur abhängig und ihr damit in gewissem Maße untergeordnet: „[L]’ordre des mots doit correspondre à l’ordre des idées or, pour lui correspondre, si celui-ci change et se renverse, il doit aussi changer et se renverser.“ (Weil 1844, 52) Gleichzeitig weist Weil darauf hin, dass sich Informationsstruktur und Grammatik durchaus auch gegenseitig beeinflussen: „Toutefois dans beaucoup de langues, sinon dans la plupart, la syntaxe et l’ordre des parties de la proposition marchent de front, se déterminent mutuellement.“2 (Weil 1844, 53) Die Zweiteilung des Satzes, auf die Weil in der Folge hinweist, nimmt bereits die zum Teil heute noch gängigen Definitionen der Begriffe Topik und Kommentar3 vorweg:
Il y a donc un point de départ, une notion initiale, qui est également présente et à celui qui parle et à celui qui écoute, qui forme comme le lieu où les deux intelligences se rencontrent et une autre partie du discours, qui forme l’énonciation proprement dite: cette division se retrouve dans presque tout ce que nous disons. (Weil 1844, 25)
Mit Ammann (1928), der in seinem Beitrag der Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sprechen nachgeht, wird die Relevanz des Hörers im Zuge einer Äußerung noch stärker berücksichtigt. Ammann verwendet den Begriff Thema, um den Gegenstand einer Mitteilung zu bezeichnen, und schlägt den Terminus Rhema zur Bezeichnung dessen vor, was dem Hörer über das Thema mitgeteilt wird.4 (cf. Ammann 1928, 3) Er weist unter anderem darauf hin, dass Thema und Rhema nicht zwangsläufig mit den grammatischen Kategorien Subjekt bzw. Prädikat korrelieren.5 (cf. Ammann 1928, 22)
Die Systemhaftigkeit, mit der der Gegenstandbereich der Informationsstruktur im 20. Jahrhundert erforscht wird, ist vor allem auf die strukturalistischen Arbeiten der Prager Schule zurückzuführen. (cf. Gabriel/Müller 2013, 123) Einer ihrer wichtigsten Vertreter, der direkt auf Weil Bezug nimmt, ist Mathesius. Er prägt, ähnlich wie Ammann, die Begriffe Thema als „Basis der Äußerung“ und Rhema als jenes Element, das eine Aussage über die Basis macht, und das somit auch als „Kern der Äußerung“ bezeichnet werden kann. (cf. Mathesius 1975 [11961], 81) Die Strukturierung eines Satzes in Thema und Rhema nennt Mathesius funktionale Satzperspektive, da sie – so sein Grundgedanke – von einem funktionalen Zugang des Sprechers bestimmt ist.6 (cf. Mathesius 1975, 82)
Obwohl auch Mathesius auf einer grundsätzlichen Trennung zwischen der funktionalen und der grammatischen Dimension von Sprache insistiert, lassen sich auf einzelsprachlicher Ebene ihm zufolge durchaus Korrelationen beobachten. (cf. Mathesius 1975, 84) Für das (Neu-)Englische etwa stellt der Autor zwei Korrelationen fest. Zum einen wird hier das Subjekt bevorzugt präverbal realisiert, zum anderen weist es meist eine thematische Funktion auf. Dem Deutschen schreibt Mathesius eine vergleichsweise weniger stark ausgeprägte Tendenz zur Kodierung des Themas als Subjekt zu.7 (cf. Mathesius 1964, 64–66)
In Anlehnung an die Arbeiten von Mathesius prägt Firbas in den 60er Jahren den Begriff der kommunikativen Dynamik. Elemente eines Satzes können ihm zufolge einen höheren oder weniger hohen Grad an kommunikativer Dynamik aufweisen. Bestimmt wird der Grad für Firbas durch „the extent to which the sentence element contributes to the development of the communication, to which it ‚pushes the communication forward‘ […]“ (Firbas 1964, 270). Dieses Kriterium nimmt Firbas als Grundlage für seine Definition des Themas, das er als jenes Element im Satz identifiziert, das den geringsten Grad an kommunikativer Dynamik aufweist. (cf. Firbas 1964, 272) Firbas betont, dass der Grad der kommunikativen Dynamik eines Elements nicht mit seinem Status als neue oder alte Information im Diskurs gleichgesetzt werden darf. Auch wenn neue Information offensichtlich kommunikativ dynamischer als alte, bereits gegebene Information ist, sind für ihn auch in einem sogenannten all-new-Satz, also einem Satz, der ausschließlich aus neuer Information besteht, unterschiedliche Grade an kommunikativer Dynamik zu beobachten. Folglich kann auch neue Information als das Thema eines Satzes fungieren. (cf. Firbas 1964, 270–272) In späteren Beiträgen differenziert Firbas den nicht thematischen Teil einer Äußerung in rheme und transition, wobei letzteres Element hinsichtlich seines Grads an kommunikativer Dynamik zwischen dem Thema und dem Rhema einzuordnen ist. (cf. Firbas 1982, 98–99) Mit dieser weiteren Unterscheidung werden die ursprünglich diskreten Begriffe Thema und Rhema zu graduellen. (cf. Casielles-Suárez 2004, 17–18)
Firbas’ Ansatz wurde vor allem aufgrund seines Begriffs der kommunikativen Dynamik kritisiert. Auf dessen eingeschränkte Operabilität weist etwa Sgall (2003, 280–281) hin, der an der grundlegenden Idee des Terminus in informationsstrukturellen Analysen dennoch festhalten will. Für Contreras (1976) hingegen ist Firbas’ Zugang zu arbiträr. Er plädiert dafür, Mathesius’ ursprüngliche Differenzierung in Thema und Rhema zu bewahren, die Termini jedoch neu, basierend auf der – wiederum diskreten – Unterscheidung zwischen neuer und gegebener Information, zu definieren. (cf. Contreras 1976, 16)
Spätestens an dieser Stelle manifestiert sich die terminologische Problematik innerhalb der Informationsstruktur. Die zahlreichen Begriffe, die in der Literatur zur Bezeichnung informationsstruktureller Einheiten zu finden sind, wurden und werden immer noch mit zum Teil höchst unterschiedlichen Definitionen verwendet. Der Hauptgrund für diese konfuse terminologische Situation liegt darin, dass im Laufe der Beschäftigung mit Informationsstruktur immer wieder neue Begriffe und Begriffspaare eingeführt wurden, die sich aber nur zum Teil auf tatsächlich neu differenzierte informationsstrukturelle Dimensionen bezogen. Die Begriffe selbst wurden zum Teil unterschiedlich – etwa je nach syntaktischem oder prosodischem Schwerpunkt der Analysen – definiert. (cf. Musan 2010, 59–60) Grundlage der Definitionen zentraler Termini waren damit neben funktionalen auch formale Kriterien, aber auch reine Korrelate. (cf. Molnár 1991, 11) Darüber hinaus wurden bereits bestehende Begriffe immer wieder zu neuen Begriffspaaren kombiniert.8 (cf. Musan 2010, 60)
Auch heute ist der terminologische status quo innerhalb der Informationsstruktur noch dermaßen uneinheitlich, dass letztendlich jedem Beitrag zur Thematik konkrete Definitionen der zentralen Termini vorangehen müssen, wenn das Verständnis für den Leser gewährleistet werden soll. De facto werden die Termini, wie Casielles-Suárez (2004, 15) anmerkt, aber oft stillschweigend vorausgesetzt, als ob es allseits anerkannte Definitionen gäbe.9
Ein grundsätzlicher Konsens besteht heute für viele Autoren darin, dass sich die Informationsstruktur aus drei Dimensionen zusammensetzt.10 Die erste Dimension betrifft den vom Sprecher beim Hörer angenommen Status von Referenten in dessen Bewusstsein bzw. Gedächtnis. Je nach Status können die einzelnen Bestandteile von Äußerungen auf Satz-, vor allem aber auch auf Diskursebene allgemein als neue, gegebene oder inferierbare Information klassifiziert werden. Die zweite Dimension, jene der Topik-Kommentar-Gliederung, bezieht sich auf die grundlegenden Strukturierungsmöglichkeiten, über die ein Sprecher auf Satzebene verfügt. Die Ebene der Fokus-Hintergrund-Gliederung schließlich betrifft die Markierung der aus informationeller Sicht besonders relevanten Teile der Äußerung bzw. die Nicht-Markierung von weniger relevanten (Hintergrund-)Informationen.
Ebenfalls relativ unbestritten ist die Erkenntnis, dass im Zuge von informationsstrukturellen Analysen auch den Differenzen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache Rechnung getragen werden muss.11 Dass die diamesischen Unterschiede nicht zuletzt die Informationsstruktur betreffen, stellt etwa Klein (2012, 105) fest: „[T]he information flow is different in spoken interaction.“ In diesem Zusammenhang weitestgehend akzeptiert ist auch die Ansicht, dass die Informationsstruktur das Primat über die Wortstellung innehat, und zwar insofern, als sie zu Veränderungen der kanonischen, d.h. syntaktisch unmarkierten Abfolge von Wörtern im Satz führen kann.12 (cf. Helfrich/Pöll 2012, 340–341) „Ob ein neutrales oder markiertes syntaktisches Muster aktiviert wird, hängt von der jeweiligen Zuweisung der Informationsrollen durch den Sprecher im konkreten Diskurskontext ab.“13 (Helfrich/Pöll 2012, 341)
Darüber hinaus lässt sich im Bereich der Informationsstruktur jedoch eine Pluralität von Ansätzen und Methoden feststellen. Auch innerhalb einer theoretischen Ausrichtung ist die Rolle der Informationsstruktur im Vergleich zu den weiteren Dimensionen von Sprache nicht immer unumstritten. Während etwa manche Anhänger der Prager Schule – in Anlehnung an die Arbeiten von Daneš und Firbas – die Organisation einer Äußerung als dritte, eigenständige Strukturierungsebene neben der syntaktischen und semantischen Struktur von Sätzen verstehen14, wird die Informationsstruktur von anderen aufgrund ihrer potenziellen Auswirkungen auf den Wahrheitsgehalt von Aussagen innerhalb der Semantik verortet.15 (cf. Molnár 1991, 17) In generativen Ansätzen wiederum werden informationsstrukturelle Kategorien wie Topik und Fokus in der Regel auf der Ebene der Syntax analysiert.
Das Zusammenspiel zwischen der Informationsstruktur und den weiteren Dimensionen von Sprache soll in Kapitel 3 näher beleuchtet werden. Zuvor jedoch sollen die Unterkapitel 2.2–2.4 einen umfassenden Überblick über die drei genannten informationsstrukturellen Ebenen, ihre zentralen Begriffe und die damit verbundenen problematischen Aspekte geben.
Der informationelle Status, den Referenten von Konstituenten für die Gesprächsteilnehmer in einer bestimmten Kommunikationssituation aufweisen, hat in der Regel Auswirkungen auf morphologischer, prosodischer1 und zum Teil auch syntaktischer2 Ebene von Äußerungen. Geht ein Sprecher etwa davon aus, dass ein gewisser Referent3 für den Hörer in einer Gesprächssituation salient – d.h. leicht wahrnehmbar – ist, wird er sich im Zuge seiner Äußerung mit großer Wahrscheinlichkeit dazu entscheiden, ihn wie in Satz (1) mit einem definiten Artikel zu kodieren. (cf. Musan 2010, 1)
(1)
dt.
Ich habe gestern den Strumpf gestopft. (Musan 2010, 1)
Erwähnt ein Sprecher einen im Diskursuniversum des Hörers (noch) nicht gegebenen, d.h. neuen Referenten, verfügt er über verschiedene Möglichkeiten diesen einzuführen. Im Deutschen kann er eine präsentative Struktur in Verbindung mit einem definiten Artikel verwenden (2), den Referenten durch einen indefiniten Artikel einführen (3) oder auf eine explizite Einführung verzichten und den Referenten damit stillschweigend, oft aufgrund von allgemeinem Weltwissen, präsupponieren. Wie der letzte Satz der Sequenz (4) zeigt, ist auch in diesem Fall die Einführung des Referenten (hier: von Schule) mit dem definiten Artikel möglich.4 (cf. Musan 2010, 4–6)
(2)
dt.
Das ist die Mini.
(3)
dt.
Auf Burg Eulenstein haust ein kleines Gespenst.
(4)
dt.
Die Mini ist ein sehr großes Mädchen. Früher hat sie sich für ihre „Überlänge“ geniert. Aber seit sie in die Schule geht, ist das anders. (Musan 2010, 6)
Ist ein Referent in den Diskurs eingeführt worden, ist in der Folge ein Rückbezug auf ihn möglich. (cf. Musan 2010, 7) In vielen Sprachen kann es als Normalfall angesehen werden, dass eine Einheit zunächst durch eine lexikalische Nominalphrase eingeführt und anschließend – je nach Sprache – durch anaphorische Pronomen oder Nullpronomen fortgeführt wird. Wird der Referent jedoch über einen gewissen Zeitraum hinweg nicht mehr erwähnt, hat dies zur Konsequenz, dass er nicht mehr im Bewusstsein der Kommunikationspartner ist, weshalb eine neuerliche Bewusstmachung oft wieder eine volle Nominalphrase als semantisch reichere Form erfordert.5 (cf. Downing 1995, 12)
Um im Zuge von informationsstrukturellen Analysen neue Einheiten im Satz zu identifizieren, wird häufig auf den Fragetest zurückgegriffen.6 Diesem liegt die Annahme zugrunde, dass W-Fragesätze jene Elemente erfragen, die in den jeweils adäquaten Antworten eindeutig als neue Information auftreten.7 (cf. Musan 2010, 18) Da Sprecher auf eine Frage jedoch nicht immer nur in einem Satz oder mit einer einzelnen Konstituente wie in (5), sondern auch in mehreren zusammenhängenden Sätzen wie in (6) antworten8, wurde mit dem Quaestio-Modell ein Ansatz vorgeschlagen, der davon ausgeht, dass ein solcher Text nicht nur tatsächlich realisierte, sondern auch implizite Fragen beantwortet.9 (cf. Musan 2010, 80–81)
(5)
en.
(Which car came from the left?) – A BMW730 (came from the left).
(6)
en.
(Which car came from the left?) – From my position, I could not see it very well. Everything went so fast. But it was a big car, a limousine; blue, dark blue. One of my neighbours had such a car. I guess it must be very expensive, one of these old-fashioned fossils … (Stutterheim/Klein 2002, 69)
Um zuverlässige informationsstrukturelle Analysen zu gewährleisten, ist es unabdingbar, die häufig verwendeten, auf den ersten Blick jedoch sehr vagen Adjektive alt sowie neu zu präzisieren. Für Chafe (1974), der immer wieder die Bedeutung des Bewusstseins der Gesprächspartner für die Analyse der Informationsstruktur unterstreicht, ist Information dann alt (oder auch gegeben), wenn der Sprecher annehmen kann, dass sie zum Zeitpunkt der Äußerung im Bewusstsein des Hörers vorhanden ist. Ist das Gegenteil der Fall, d.h. ist die Information nach Annahme des Sprechers zum Zeitpunkt der Äußerung (noch) nicht im Bewusstsein des Hörers, ist die Information neu (oder nicht gegeben). (cf. Chafe 1974, 111–112) In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Fragetest zur Eruierung von neuer Information ungeeignet ist, da problemlos auch explizit geäußerte und damit als gegeben einzustufende Elemente wie in (7) erfragt werden können.
(7)
en.
(Which car came from the left, the BMW or the Mercedes?) – The Mercedes (came from the left).
In einem späteren Beitrag ergänzt Chafe (1987) seine diskrete Einteilung um eine weitere Kategorie. Der Autor differenziert nun drei Aktivierungszustände von Elementen im menschlichen Bewusstsein, einen aktiven, halbaktiven und einen inaktiven Zustand:
An active concept is one that is currently lit up, a concept in a person’s focus of consciousness. A semi-active concept is one that is in a person’s peripheral consciousness, a concept of which a person has a background awareness, but which is not being directly focused on. An inactive concept is one that is currently in a person’s long-term memory, neither focally nor peripherally active. (Chafe 1987, 25)
Als typisches Beispiel für aktive Elemente nennt Chafe die Personalpronomen der ersten und zweiten Person, die durch den Kontext selbst, d.h. in der konkreten Äußerungssituation, bereits ihren Status als gegeben erlangen. Auch jene Konzepte, auf die ein Sprecher nach einer erstmaligen sprachlichen Realisierung wieder – etwa in pronominaler Form – referiert, gehören für ihn in diese Kategorie.10 (cf. Chafe 1987, 26)
Der Status von semi-aktiven Elementen ist für Chafe folgendermaßen zu erklären. Einerseits können diese Konzepte zu einem früheren Zeitpunkt bereits aktiv gewesen sein, diesen Status aber verloren haben, da Konzepte grundsätzlich nicht lange im Bewusstsein aktiv bleiben. Anstatt jedoch sofort inaktiv zu werden, bleiben sie über einen gewissen Zeitraum halbaktiv. Andererseits kann es sich um Elemente handeln, die, so Chafe (1987, 29), Teil eines „set of expectations associated with a schema“ sind. Wird ein Schema evoziert, treten manche oder alle Erwartungen, die das Schema betreffen, in das semi-aktive Bewusstsein des Sprechers, wo sie zugänglicher sind als inaktive Elemente. Als Beispiel nennt Chafe das Schema class, durch dessen Nennung Elemente wie students, instructor, classroom, teaching assistants etc. halbaktiviert werden. (cf. Chafe 1987, 29) In Anlehnung an Chafe ergänzt Lambrecht (1994, 99) weitere semi-aktive Elemente. So zählen für ihn auch jene Entitäten zu dieser Kategorie, die in der textexternen Welt der Gesprächspartner präsent und dadurch leicht zugänglich sind, wie etwa Gegenstände im Raum, in dem die Äußerung realisiert wird.
Werden inaktive Elemente aktiviert, kann von neuer Information gesprochen werden. Aus kognitiver Sicht hält Chafe (1987) diesen Prozess für relativ anspruchsvoll. Er erfordere unmittelbar vor der Äußerung seitens des Sprechers dementsprechend eine gewisse Zeit, was sich, so Chafe, in Form einer Pause manifestiert. Der Autor geht noch einen Schritt weiter und formuliert die Hypothese, dass ein Sprecher pro realisierter Intonationseinheit nur ein zuvor inaktives Element aktivieren kann. Diese Beschränkung bezeichnet er als one new concept at a time constraint.11 (cf. Chafe 1987, 31–32) Dass Sprecher als prototypisch geltende Sätze wie (8) realisieren, in denen alle Konstituenten neue Information kodieren, ist in der Tat deutlich seltener der Fall als man generell versucht ist anzunehmen. Vielmehr ist die Tendenz festzustellen, dass neue und nicht neue Information in Sätzen kombiniert wird.12 (cf. Downing 1995, 12)
(8)
en.
A farmer kills a duckling. (Downing 1995, 12)
Der Grund dafür liegt sehr wahrscheinlich in der mentalen Verarbeitung des Menschen, der größere Mengen an neuer Information nicht auf einmal bewältigen kann. (cf. Downing 1995, 13) Dem schließt sich auch Molnár (1991, 4) an:
Dadurch, dass die Hinzufügung von neuen Wissenselementen schrittweise auf dem Weg über etwas Bekanntes, bereits Etabliertes erfolgt, wird die Aufnahmefähigkeit des Adressaten nicht überstrapaziert, und der Zusammenbruch der Kommunikation wird vermieden.
Chafe (1976, 28) spricht in diesem Zusammenhang von packaging, um hervorzuheben, dass sich Sprecher eigens – und zwar im ersten Schritt – mit dem „Wie“ einer Mitteilung befassen müssen, bevor sie sich der Mitteilung selbst, also der Inhaltsseite, widmen können. Im Idealfall sind laut Chafe die Elemente der Äußerung für den Sprecher unmittelbar vor der Realisierung der entsprechenden Intonationseinheiten aktiviert. Gleichzeitig hat der Sprecher auch eingeschätzt, welche Konzepte für den Hörer bereits aktiviert sind. Das Resultat dieses Prozesses kann in der konkreten Realisierung der Äußerung beobachtet werden. (cf. Chafe 1987, 26)
Wie Wehr (2000, 247) zu Recht kritisch anmerkt, vernachlässigt Chafe in seinen früheren Beiträgen die Möglichkeit, dass ein Sprecher im Zuge einer Äußerung auch Konzepte versprachlichen kann, die für den Hörer nicht nur auf der Bewusstseins-, sondern auch auf der Wissensebene neu sind. Um den Unterschied zwischen dieser beiden Ebenen zu illustrieren, kann Beispielsatz (9) herangezogen werden. In diesem Satz ist der Referent von Larry beiden Gesprächspartnern insofern vertraut, als sie von der Existenz dieser (spezifischen) Person wissen und daher in der Lage sind, den konkreten, individuellen Referenten der Konstituente zu identifizieren. Im Bewusstsein des Hörers aktiviert wird der Referent jedoch erst durch die Realisierung im Diskurs. (cf. Chafe 1994, 72)
(9)
en.
I talked to Larry last night. (Chafe 1994, 72)
Während Konzepte durch ihre Versprachlichung im Diskurs also ein Teil des temporären Registers von Sprechern werden, ist Wehr zufolge zusätzlich ein permanentes Register von Sprechern anzunehmen, das einerseits Weltwissen umfasst, wie etwa die Konzepte „die Sonne“, „Ludwig der XIV.“ oder „Wale“, andererseits aber auch Konzepte, die den unmittelbaren Lebensbereich der jeweiligen Personen betreffen („die Katze“, „Fritz“, etc.). Diese müsse ein Sprecher nicht explizit in den Diskurs einführen, da er davon ausgehen kann, dass der Gesprächspartner sie jederzeit präsent hat.13 (cf. Wehr 1984, 6–8) Nach der Terminologie von Ewert-Kling (2011, 81) sind diese Elemente identifizierbar [+IDENT], im Gegensatz zu nicht identifizierbaren Konzepten [-IDENT]. Prince (1992) spricht in diesem Zusammenhang von hearer-old bzw. hearer-new entities, um sich auf das Wissen zu beziehen, und von discourse-old bzw. discourse-new entities auf der Ebene des Bewusstseins. Während discourse-old hearer-old zur Folge habe („since hearers are expected to remember what they have been told“; Prince 1992, 303), können discourse-new entities entweder hearer-old oder hearer-new sein. (cf. ibid) Dem schließt sich auch Ewert-Kling an, die sich mit der Kategorie [±NEU] auf die (Nicht-)Nennung von Konzepten im Diskurs bezieht. Für sie sind die Kombinationen [+IDENT] und [±NEU] sowie [-IDENT] und [+NEU] möglich. „La combinaison des paramètres [-IDENT] et [-NOUV] est, par contre, impossible, car une entité mentionnée dans le discours précédent est toujours identifiable.“14 (Ewert-Kling 2011, 81)
Ein Ansatz, der für die Klassifikation von Information sowohl die Ebene des Bewusstseins als auch die des Wissens berücksichtigt, ist jener von Prince (1981). In ihrem (vielzitierten) Modell differenziert die Autorin drei Arten von Gegebenheit. Erstere nennt sie predictability bzw. recoverability. Hier geht der Sprecher im Zuge seiner Äußerung davon aus, dass der Hörer vorhersagen kann (oder vorhersagen hätte können), dass ein konkretes sprachliches Element innerhalb eines Satzes in einer bestimmten Position auftauchen wird. (cf. Prince 1981, 226) In Beispiel (10) betrifft dies das deiktische Subjektpronomen you, das der Hörer kontextuell erschließen kann und das vom Sprecher nicht realisiert werden muss.
(10)
en.
Ø Wanna fight? (Prince 1981, 232)
Die zweite Art von Gegebenheit, die der (ursprünglichen) Unterscheidung von Chafe in given und new entspricht, nennt Prince saliency. In diesem Fall nimmt der Sprecher an, dass der Hörer bei der Realisierung einer Konstituente eine konkrete Entität in seinem Bewusstsein hat, wie etwa beim Personalpronomen he, das in (11) auf eine sich im Umfeld der Gesprächspartner befindende Person verweist. (cf. Prince 1981, 228)
(11)
en.
(A to B as C walks by, in view and out of earshot) He’s going to Austria. (Prince 1981, 232)
Die dritte Form von Gegebenheit, jene des shared knowledge, bezieht sich auf das Wissen von Sprechern. Auf dieser Ebene geht der Sprecher davon aus, dass der Hörer etwas weiß, annimmt oder inferieren kann, aber nicht notwendigerweise auch gerade daran denkt. In Satz (12), der von einer Person produziert wird, die ihre Präsenz ankündigt, betrifft dies das Personalpronomen I, anhand dessen der Hörer auf die Identität des Sprechers schließen kann. (cf. Prince 1981, 230)
(12)
en.
Hi, I’m home. (Prince 1981, 232)
Prince verweist in ihrem Beitrag darauf, dass sowohl der Terminus shared knowledge als auch jener der Gegebenheit insofern problematisch sind, als es sich dabei im Grunde genommen – wie von Chafe beschrieben – lediglich um seitens des Sprechers angenommenes oder vermutetes Wissen (bzw. Gegebenheit) handelt. Als präzisere Alternative schlägt die Autorin daher den Begriff der assumed familiarity vor.15 (cf. Prince 1981, 232–233) Die drei Arten der Gegebenheit hängen für Prince nun taxonomisch zusammen:
If a speaker assumes that the hearer can predict that some particular item or items will occur in some particular position within a sentence, then the speaker must assume that it is appropriate that the hearer have some particular thing in his/her consciousness. And, if the speaker assumes that the hearer has some particular thing in his/her consciousness, then the speaker must assume that the hearer has some assumption or can draw some inference. (Prince 1981, 231)
Basierend auf den drei genannten Arten von Gegebenheit unterteilt Prince den Informationsstatus von sprachlichen Elementen16 in neu, inferierbar und evoziert. (cf. Prince 1981, 235–236) Neue Elemente differenziert die Autorin in zwei Subtypen. (Brand-)new sind für Prince informationelle Einheiten, die der Hörer neu konstruieren muss. Ein Beispiel dafür ist die initiale Nominalphrase in Satz (13). Die von ihr als unused bezeichneten Einheiten hingegen sind beim Hörer bereits vorhanden und müssen daher nur, wie etwa der Eigenname Noam Chomsky in Satz (14), in das Diskursmodell transferiert werden. (cf. Prince 1981, 235)
(13)
en.
A guy I work with says he knows your sister.
(14)
en.
Noam Chomsky went to Penn. (Prince 1981, 233)
Elemente, die brand-new sind, können ihrerseits differenziert werden. Bei anchored information wie jener in (13) ist im Gegensatz zu unanchored information die betreffende (lexikalische) Nominalphrase mit einem anderen Diskurselement – hier I – verknüpft. Dabei darf der „Anker“ selbst in der Regel nicht brand-new sein, was die eingeschränkte Akzeptabilität von Strukturen wie (15) erklärt. (cf. Prince 1981, 236)
(15)
en.
?A guy a woman works with. (Prince 1981, 233)
Den komplexesten Typ von Diskurseinheiten stellen Prince zufolge die inferierbaren Elemente dar. Die Autorin spricht von Inferierbarkeit, wenn der Sprecher annimmt, dass der Hörer ein Element über logisches oder plausibles Denken, ausgehend von bereits evozierten oder anderen inferierbaren Diskurseinheiten, ableiten kann.17 In der Äußerung (16) betrifft dies die Nominalphrase the driver, die aufgrund der zuvor realisierten Konstituente a bus für den Hörer inferierbar ist. (cf. Prince 1981, 236)
(16)
en.
I got on a bus yesterday and the driver was drunk. (Prince 1981, 233)
Eine Untergruppe bilden die containing inferrables, bei denen das Element, von dem aus ein anderes inferiert wird, selbst einer inferierbaren Konstituente entspricht. Ein Beispiel dafür ist die Nominalphrase one of these eggs in (17), deren Referent für den Hörer ausgehend von den (situationell) inferierbaren Eiern (these eggs), d.h. anhand einer Teil-Ganzes-Beziehung, abgeleitet werden kann. (cf. Prince 1981, 236)
(17)
en.
Hey, one of these eggs is broken! (Prince 1981, 233)
Evozierte Elemente schließlich können durch eine Vorerwähnung im Diskurs ihren Status beim Hörer erlangen. Diese Art der Evokation nennt Prince textually evoked. Ist eine Entität für den Hörer aufgrund einer konkreten Situation salient, spricht Prince von situationally evoked. In (18) ist he textuell evoziert, in (19) ist you situationell evoziert. (cf. Prince 1981, 236)
(18)
en.
A guy I work with says he knows your sister.
(19)
en.
Pardon, would you have change of a quarter? (Prince 1981, 232)
Abbildung 1 gibt einen Überblick über die zentralen Begriffe des Modells von Prince:
Abb. 1: Assumed familiarity (Prince 1981, 245)
Ausgehend von den vorgenommenen Differenzierungen erstellt Prince folgende familiarity scale zur Beschreibung der Grade an „(Un-)Vertrautheit“ von Elementen:
Abb. 2: Familiarity scale18 (Prince 1981, 245)
Vergleicht man das Modell von Prince mit jenem von Chafe, fällt auf, dass zwei der grundlegenden Kategorisierungen großteils übereinstimmen. So entsprechen Chafes aktive Elemente grosso modo den evozierten nach Prince und die halbaktivierten den inferierbaren Elementen. Insgesamt kann das Modell von Prince als differenzierter gesehen werden, vor allem insofern, als es durch die Subklassifikation von neuer Information in brand-new und unused neben der Bewusstseinsebene auch die Wissensebene von Sprechern berücksichtigt, was bei Chafes Kategorie der inaktiven Elemente nicht der Fall ist. Auch gegenüber der binären Differenzierung der Ebenen von Ewert-Kling [±NEU/±IDENT] bietet das Modell von Prince den Vorteil, dass die einzelnen Arten von Gegebenheit jeweils eigene Kategorien (mit entsprechenden Bezeichnungen) bilden, während die Kategorie [±IDENT] bei Ewert-Kling doch recht heterogene Arten von Gegebenheit und Identifizierbarkeit subsumiert.19
Einen im Vergleich zu den Modellen von Chafe und Prince alternativen bottom-up-Zugang wählen Gundel et al. (1993). Sie knüpfen den kognitiven Status von nominalen Elementen bei Sprechern direkt an die einzelnen Verweisausdrücke des Englischen. In ihrer givenness hierarchy, die hier in Abbildung 3 wiedergegeben wird, nehmen die Autoren insgesamt sechs kognitive Status an.
Abb. 3: Givenness hierarchy (Gundel et al. 1993, 275)
Der Grundgedanke in diesem Modell ist folgender: Verwendet ein Sprecher eine bestimmte Verweisform zusammen mit einem nominalen Element, signalisiert er damit dem Hörer, dass er annimmt, dass bei ihm der jeweils zugrundeliegende kognitive Status für den Referenten vorliegt. (cf. Gundel et al. 1993, 275) Produziert ein Sprecher des Englischen etwa eine Nominalphrase mit einem unbestimmten Artikel wie in (20), impliziert dies seine Annahme, dass der Hörer über die Vorstellung eines Typus der jeweiligen Entität verfügt. Die Autoren nennen diese erste Kategorie type identifiable. (cf. Gundel et al. 1993, 276)
(20)
en.
I couldn’t sleep last night. A dog (next door) kept me awake. (Gundel et al. 1993, 276)
Will ein Sprecher auf eine spezifische Entität hinweisen, wird er eine Verweisform wählen, durch die der Hörer in der Lage ist, auf diese zu schließen. Das kann im umgangssprachlichen Englisch durch this + Nomen erfolgen. (cf. Gundel et al. 1993, 276)
(21)
en.
I couldn’t sleep last night. This dog (next door) kept me awake. (Gundel et al. 1993, 277)
Bei uniquely identifiable elements ist der Hörer alleine durch das Nomen in der Lage den vom Sprecher intendierten Referenten zu identifizieren. Hier kann ein Sprecher des Englischen etwa den bestimmten Artikel the verwenden. (cf. Gundel et al. 1993, 277)
(22)
en.
I couldn’t sleep last night. The dog (next door) kept me awake. (Gundel et al. 1993, 277)
Familiar elements kann der Hörer identifizieren, da sie entweder in seinem Langzeitgedächtnis oder – durch Vorerwähnung im Diskurs – in seinem Kurzzeitgedächtnis sind. Nimmt ein Sprecher dies beim Hörer an, kann er im Englischen den Demonstrativbegleiter that realisieren. (cf. Gundel et al. 1993, 278)
(23)
en.
I couldn’t sleep last night. That dog (next door) kept me awake. (Gundel et al. 1993, 278)
Bei activated elements ist der Referent im aktuellen Kurzzeitgedächtnis präsent. Ein entsprechendes Verweiselement ist unter anderem das Demonstrativpronomen that. (cf. Gundel et al. 1993, 278)
(24)
en.
I couldn’t sleep last night. That kept me awake. (Gundel et al. 1993, 278)
Einheiten, die in focus sind, befinden sich nicht nur im Kurzzeitgedächtnis des Hörers, auf sie konzentriert sich darüber hinaus dessen momentane Aufmerksamkeit.20 Passende Verweisformen sind Nullpronomen sowie prosodisch nicht prominente Pronomen.21 (cf. Gundel et al. 1993, 279)
Nach einem Vergleich ihres Modells mit jenem von Prince kommen Gundel et al. zu dem Ergebnis, dass manche Status einander entsprechen, während andere sich nur teilweise decken. (cf. Gundel et al. 1993, 280–281) Darüber hinaus ist bei der givenness hierarchy zu beachten, dass – wie durch den Begriff Hierarchie bereits angedeutet wird – jeder Status die jeweils niedrigeren Status miteinschließt, sodass ein Element, das als in focus zu klassifizieren ist, automatisch auch activated, familiar, uniquely identifiable, referential und type identifiable ist. (cf. Gundel et al. 1993, 276) Damit impliziert das Modell, dass eine bestimmte Verweisform grundsätzlich immer mit den anderen Formen, die bei niedrigeren kognitiven Status realisiert werden können, austauschbar ist, wodurch die genaue Distribution der expression forms hinsichtlich der konkreten kognitiven Status von Referenten nicht näher erklärt werden kann. (cf. Gundel et al. 1993, 294) Um dieses Problem zu lösen, greifen die Autoren auf die zwei Submaximen der Quantität von Grice (1975, 45) zurück:
Make your contribution as informative as required (for the current purposes of the exchange).
Q2:Do not make your contribution more informative than is required.
Anhand der Grice’schen Submaximen kann nach Gundel et al. die Wahl der jeweiligen Verweisformen erläutert werden. So impliziert etwa die Realisierung eines unbestimmten Artikels nach Q1, dass der Hörer den Referenten nicht eindeutig identifizieren kann. (cf. Gundel et al. 1993, 296) Die Tatsache, dass nach einer Analyse der Autoren 85 % der vollen Nominalphrasen, deren Referenten zumindest familiar waren, sowohl im Englischen als auch im Spanischen mit dem bestimmten Artikel eingeführt wurden, obwohl auch ein Demonstrativbegleiter als die „stärkere“ Form möglich gewesen wäre, könne durch Q2 erklärt werden.22 (cf. Gundel et al. 1993, 299–300)
Die Autoren listen in ihrem Beitrag die Korrelationen zwischen kognitivem Status und Verweisform auch für weitere Sprachen auf. Anders als für das Englische nehmen sie beim Spanischen nicht sechs, sondern nur fünf Status an, da in dieser Sprache die Kategorien referential und type identifiable ihnen zufolge zusammenfallen. (cf. Gundel et al. 1993, 283–284) Die Referenten von Nullpronomen sind im Spanischen für die Autoren in focus, jene von overten Pronomen (sowohl Personal- als auch Demonstrativpronomen) zumindest activated. Die Referenten jener Substantive, die mit den Determinierern ese/esa kombiniert werden, sind zumindest familiar, jene mit den bestimmten Artikeln el/la zumindest uniquely identifiable und schließlich jene mit den unbestimmten Artikeln un/una zumindest type identifiable. (cf. Gundel et al. 1993, 292) Die Tabelle 1 bietet einen Überblick über die Korrelationen.23
in focus
activated
familiar
uniquely identifiable
referential
type identifiable
Englisch
it
HE, this, that, thisN
thatN
theN
thisN
aN
Spanisch
Ø, él
ÉL, éste, ése, aquél, esteN
eseN, aquelN
elN
Ø N, unN
Tab. 1: Givenness hierarchy für das Englische und Spanische (Gundel et al. 1993, 284)
Einen vor allem aus terminologischer Sicht alternativen Zugang zur Dimension des Informationsstatus von Referenten wählt Krifka (2007). Er geht, in Anlehnung an Stalnaker (1974), von einer gemeinsamen Basis zwischen Sprecher und Hörer, dem common ground (CG), aus, der im Laufe einer Kommunikation ständig modifiziert wird. (cf. Krifka 2007, 15–16) Givenness zeigt Krifka zufolge an, ob – und wenn ja bis zu welchem Grad – die Denotation eines Ausdrucks im CG präsent ist oder nicht. Auch für ihn lässt die Verwendung bestimmter Formen Rückschlüsse auf den Informationsstatus der Referenten zu. Üblicherweise geben Klitika und (Personal- und Demonstrativ-)Pronomen an, dass die Denotation im unmittelbaren CG gegeben ist, definite Artikel können auch anzeigen, ob eine Denotation im generellen CG gegeben ist.24 Unbestimmte Artikel hingegen weisen auf eine Nicht-Gegebenheit des Referenten hin. Dabei ist – wie auch von Gundel et al. (1993) postuliert wurde – die grundsätzliche Tendenz feststellbar, einfachere anaphorische Ausdrücke zu wählen, um sich auf salientere Denotate zu beziehen. (cf. Krifka 2007, 37–38) Neben dem Einsatz von anaphorischen Elementen verfügen Sprecher über weitere Möglichkeiten givenness anzuzeigen. Gegebenes kann deakzentuiert (25) oder ausgelassen (26) werden. Auch syntaktische Mittel stehen dem Sprecher – vor allem in Sprachen mit freier Wortstellung – zur Verfügung. Aber auch im Englischen wird etwa in ditransitiven Konstruktionen wie jenen in (27) das gegebene Objekt in der Regel vor dem neuen realisiert.25 (cf. Krifka 2007, 38–39)
(25)
en.
Ten years after John inherited an old farm, he SOLD [the shed]geg.
(26)
en.
Bill went to Greenland, and Mary did _ too.
(27)
en.
Bill showed the boy a girl. / *Bill showed a boy the girl. / Bill showed the girl to a boy. (Krifka 2007, 38)
Den common ground differenziert Krifka weiter in CG content und CG management. Unter den CG content fällt für den Autor alles, was im Laufe des Diskurses explizit oder implizit eingeführt wurde sowie ein „set of propositions that is presumed to be mutually accepted“ (Krifka 2007, 16–17). Der Autor schlägt nun vor jene Aspekte, die Auswirkungen auf den Wahrheitsgehalt einer Aussage haben, dem CG content zuzuordnen. Die pragmatischen Aspekte, die kommunikativen Interessen und Ziele der Sprecher hingegen subsumiert Krifka unter dem CG management. Auf dieser Ebene gehe es vor allem um die Frage, wie sich der CG im Laufe eines Gesprächs weiterentwickeln soll. (cf. Krifka 2007, 17)
Diese Unterscheidung zwischen einer semantischen und einer pragmatischen Komponente des CG ist vor allem für die Begriffe Topik und Fokus relevant. Ersterer wird im folgenden Kapitel zur Topik-Kommentar-Gliederung behandelt. Die Fokus-Hintergrund-Gliederung wird in Kapitel 2.4 näher beschrieben.
Die Termini Topik bzw. Thema wurden im Zuge der Beschäftigung mit Informationsstruktur zum Teil sehr unterschiedlich definiert.1 Ein Hauptgrund dafür liegt in der Tatsache, dass die Topik-Kommentar-Gliederung, wie in diesem Kapitel gezeigt werden soll, oft nicht ausreichend von den weiteren Dimensionen der Informationsstruktur, aber auch von anderen sprachlichen Ebenen abgegrenzt wurde.2
Heute versteht man unter den Begriffen Topik und Kommentar (en. topic/comment) auf der Ebene des Satzes üblicherweise die Unterscheidung zwischen jenem Element, über das etwas ausgesagt wird (Topik), und dem Teil, der die Aussage bildet (Kommentar). (cf. Musan 2010, 25) Das komplementäre Begriffspaar geht auf Hockett (1958, 201) zurück, der damit prädikative Strukturen beschreibt: „The most general characterization of predicative constructions is suggested by the terms ‚topic‘ and ‚comment‘ for their I[mmediate] C[onstituent]s3: the speaker announces a topic and then says something about it.“ Eine etwas spezifischere pragmatische Definition von Topik findet sich bei Gundel (1988b, 210): „An entity, E, is the topic of a sentence, S, iff in using S the speaker intends to increase the addressee’s knowledge about, request information about, or otherwise get the addressee to act with respect to E.“ Den Kommentar definiert die Autorin anhand des Topiks wie folgt: „A predication, P, is the comment of a sentence, S, iff, in using S the speaker intends P to be assessed relative to the topic of S.“ (Gundel 1988b, 210)
Bezieht man sich auf größere Einheiten als Sätze, wird – in Anlehnung an Barnes (1985) – meist der Begriff Diskurstopik verwendet. (cf. Stark 1997, 39) „A D[iscourse] T[opic] is, roughly, that thing which a segment of discourse larger than the sentence is about, i.e. about which it supplies information.“4 (Barnes 1985, 28) Wird ein Diskurstopik sprachlich realisiert, kann es gleichzeitig die Rolle des Satztopiks einnehmen. Darüber hinaus können aber auch außersprachliche Sachverhalte als Diskurstopiks fungieren. (cf. Stark 1997, 40)
Als prototypische Topikkonstituenten5 gelten im Allgemeinen Nominalphrasen (NP). (cf. Molnár 1991, 193) Eine generelle Übereinstimmung herrscht darin, dass die Referenzialität von Konstituenten eine notwendige Voraussetzung für ihren Status als Topik ist.6 (cf. Gundel/Fretheim 2006, 187) Quantifizierte Konstituenten mit der Bedeutung ‚ein nicht spezifisches x‘, ‚jedes x‘ oder ‚kein x‘ gelten als nicht topikfähige Elemente, wie Jacobs (2001, 652) anhand des Beispiels (28) illustriert. Allquantifizierte nominale Ausdrücke, die wie in (29) auf eine gesamte Referentenklasse beziehbar sind, können hingegen durchaus als Topiks analysiert werden. (cf. Reinhart 1981, 65) Dass belebte Referenten im Vergleich zu nicht belebten tendenziell häufiger als Topiks fungieren, wurde unter anderem von Dahl und Fraurud (1996, 59–60) gezeigt.
(28)
dt.
??Irgendein / *Jedes / *Kein Buch, ich hoffe, wir haben noch ein Exemplar. (Jacobs 2001, 652)
(29)
en.
Parents don’t understand. But all grownups, they do it to kids, whether they’re your own or not. (Reinhart 1981, 65)
Gundels topic-identifiability condition zufolge muss der Hörer darüber hinaus in der Lage sein, das Topik der Äußerung eindeutig zu identifizieren: „An expression, E, can successfully refer to a topic T, iff E is of a form that allows the addressee to uniquely identify T.“ (Gundel 1988b, 214) Dies ist, so die Autorin, vor allem bei definiten Ausdrücken der Fall.7 Zusätzlich nimmt Gundel mit der topic-familiarity condition eine zwingende Korrelation zwischen Topikalität und der assumed familiarity nach Prince an: „An entity, E, can successfully serve as a topic, T, iff, both speaker and addressee have previous knowledge of or familiarity with E.“ (Gundel 1988b, 212) Mit diesem letzten Kriterium verbindet Gundel die Topik-Kommentar-Struktur nun auch direkt mit dem Informationsstatus von Referenten und postuliert eine 1:1-Entsprechung zwischen Topiks und gegebener bzw. identifizierbarer Information. Die Antwort auf die Frage in Beispielsatz (30) zeigt den durchaus als typisch zu bewertenden Fall, in dem das Topik Teil der gegebenen Information ist, während der Kommentar neue Information enthält.8 Aufgrund ihrer Gegebenheit, d.h. ihrer Nennung im Diskurs, sind Topiks wie das in (30) sehr empfänglich für Pronominalisierungen: „Die einmalige Setzung des Topiks zu Anfang genügt; es muß im folgenden nicht explizit benannt werden, solange es identisch bleibt und als Subjekt kodiert wird.“9 (Wehr 1984, 13)
(30)
dt.
Was hat Wolfgang gelesen? – Wolfgang/Er hat einen englischen Familienroman gelesen. (Musan 2010, 29)
Reinhart (1981, 66) hingegen ist der Ansicht, dass auch neue, indefinite Nominalphrasen als Topiks interpretiert werden können, sofern sie, wie in (31), spezifisch sind.10 Wehr (1984, 11) sieht keinen Grund, warum nicht auch neue, indefinite Konstituenten in all-new-Sätzen wie dem in (32) als Topiks fungieren sollen, da hier das aboutness-Kriterium eindeutig erfüllt ist. Indefinite Nominalphrasen mit generischer Lesart sind Lambrecht (1994, 154) zufolge wiederum deshalb als Topiks möglich, da sie auf ein Set verweisen, wie etwa in (33). Auch in Beispiel (34) entspricht das Topik einer indefiniten, neuen Nominalphrase, die in der Folge jedoch pronominal wiederaufgenommen wird.11
(31)
en.
When she was five years old, [a child of my acquaintance]T announced a theory that she was inhabited by rabbits. (Reinhart 1981, 66)
(32)
it.
Un re s’ammalò. (Wehr 1984, 11)
(33)
dt.
Ein Arzt kann dir nicht helfen. (Lambrecht 1994, 154)
(34)
en.
A daughter of a friend of mine, she got her BA in two years. (Gundel 1985, 89)
Ein auf den ersten Blick besonders deutliches Beispiel dafür, dass Topiks nicht immer auf gegebene oder identifizierbare Referenten beschränkt sind, ist die Äußerung (35), da hier die (potenzielle) Nicht-Identifizierbarkeit vom Sprecher explizit verbalisiert wird.
(35)
en.
Pat McGee, I don’t know if you know him, he – he lives in Palisades […]. (Reinhart 1981, 78)
Unmittelbar nachdem der Sprecher den Eigennamen Pat McGee äußert, wird er sich dessen bewusst, dass der Hörer möglicherweise nicht in der Lage ist den Referenten zu identifizieren.12 Nach Lambrecht (1988, 146) verstößt er damit gegen folgende diskurspragmatische Maxime: „Do not introduce a referent and talk about it in the same clause.“13 Für Stechow (1981, 124) könnte der Einschub I don’t know if you know him folglich „an excuse of the speaker for possibly inappropriate speech“ sein. Wenn etwas alte Information sein sollte, aber nicht ist, verändere der Sprecher den common ground oft auch stillschweigend und agiere einfach so, als wäre die Information bekannt. (cf. ibid.) Lambrecht und Michaelis (1998, 495) haben in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, zwischen zum Zeitpunkt der Äußerung bereits etablierten Topiks (ratified topics) und nicht etablierten Topiks (unratified topics) zu unterscheiden.14
Eine Art Vermittlerposition nimmt Lambrecht (1994) ein. Für ihn sind gegebene Elemente aufgrund ihrer pragmatischen Zugänglichkeit eher Topiks.15 Im Gegensatz zu Gundel geht er jedoch, wie in Abbildung 4 deutlich wird, von einer skalaren Topikalität aus.
Abb. 4: Topic acceptability scale (Lambrecht 1994, 165)
Sein Modell, das sich auf die Kategorien von Prince (1981) stützt und damit sowohl die Wissensebene als auch die Bewusstseinsebene von Sprechern berücksichtigt, bietet den Vorteil, dass Topiks, die brand-new sind, zwar als weniger akzeptabel eingestuft, jedoch nicht a priori ausgeschlossen werden. Ähnlich argumentieren Dalrymple und Nikolaeva (2011). Kategorien wie die Definitheit und die Belebtheit erhöhen für sie die Wahrscheinlichkeit, dass eine Konstituente als Topik fungiert.16 Ob sie dies tatsächlich auch tut, hängt vom Sprecher im jeweiligen Kontext ab.17 (cf. Dalrymple/Nikolaeva 2011, 57)
Betrachtet man nun ausgehend von Lambrechts Modell den oben angeführten Satz (31), zeigt sich, dass hier zwar neue Information eingeführt wird, diese aber verankert und damit als Topik akzeptabler als die nicht verankerte Konstituente in (32) ist. Der Vergleich der beiden Sätze legt nahe, dass die Akzeptabilität von Topiks auch mit der diamesischen Variation von Sprache und den jeweiligen Textsorten in Zusammenhang steht. So ist Satz (32) der (sehr spezifischen) Textsorte Märchen entnommen, in der Lambrechts Maxime nicht zwingend Geltung hat, sodass der Satz als völlig unproblematisch und – innerhalb der Textsorte – als durchaus unmarkiert angesehen werden kann.18 In spontaner (Nähe-)Sprache kommen derartige all-new-Sätze jedoch, wie bereits in Kapitel 2.2 thematisiert wurde, deutlich seltener vor.19 (cf. Downing 1995, 12 und Féry 1993, 29) Dass im Falle einer Realisierung oft – wie auch in (34) – eine zusätzliche Topikalisierung in Form einer Linksdislokation erfolgt, könnte u.a. darin begründet liegen, dass dem Hörer so die Dekodierung erleichtert wird, da er durch die pronominale Wiederaufnahme des Topiks und durch die Pausen, die im Zuge dieser Konstruktionen auftreten können, über mehr Zeit zur kognitiven Verarbeitung des neuen Topiks verfügt.
Neben der Referenzialität, der Belebtheit, der Identifizierbarkeit und der Gegebenheit werden in der Literatur noch weitere Kriterien als mögliche Voraussetzungen für Topiks genannt. So wurde versucht, das Topik syntaktisch-linear als das erste Element des Satzes, grammatisch als das Subjekt und phonetisch als nicht akzentuiertes Element zu definieren. (cf. Reinhart 1981, 56) Nach Hallidays Definition des Themas als „what comes first in the clause“ (Halliday 1967b, 212) müssten jedoch, wie Gundel (1988a, 27) anhand der Beispielsätze (36)–(40) zeigt, höchst diverse Elemente wie Objekt- und Interrogativpronomen, Auxiliare, Adverbien und Verben als Thema bzw. Topik interpretiert werden.
(36)
en.
Him I like.
(37)
en.
Did he call?
(38)
en.
Who called?
(39)
en.
Perhaps John won’t come.
(40)
en.
Close the door. (Gundel 1988a, 27)
Adäquater wäre es, das Topik als die sich am weitesten links befindende Nominalphrase zu definieren, auch wenn selbst dies nicht immer zutrifft, da Topiks – so Gundel (1988a, 33–35) – problemlos auch postverbal sowie als Nicht-Subjekte, wie zum Beispiel in (41), auftreten können.
(41)
en.
What about the proposal? – Archie REJECTED it/the proposal. (Gundel 1988a, 35)
Eine relativ einfache Erklärung für die Initialstellung von Topiks findet sich im Beitrag von Primus (1993, 886): „[T]opics are simpler to conceive of first because they are less complex than predications.“ Mit Komplexität meint Primus in erster Linie das syntaktische „Gewicht“, d.h. die Länge von Topiks, die in der Regel geringer ist als jene des Kommentars. (cf. ibid.) Für Musan (2010) hingegen hängt die Initialstellung von Topiks im Deutschen mit der Tatsache zusammen, dass in dieser Sprache auch Subjekte bevorzugt satzinitial stehen. Ebenfalls von Bedeutung seien die meist zentralen semantischen Rollen von Topiks. (cf. Musan 2010, 32) So wurde gezeigt, dass Topiks oft – wenn auch nicht zwingend – Agens oder Experiencer sind, welche ebenfalls vorzugsweise in satzinitialer Position realisiert werden. (cf. Primus 1993, 886) Auch Givón (1976) führt in seiner topicality hierarchy, in der er jene Eigenschaften auflistet, aufgrund derer eine Nominalphrase tendenziell eine topikale Rolle übernimmt, die semantischen Rollen der Konstituenten an.
Abb. 5: Topicality hierarchy (Givón 1976, 152/160)
Für Brunetti (2011) werden agentive Argumente meist als Subjekte kodiert. Die Verbindung zwischen Subjekt und Topik ist für sie nur eine indirekte.
[L]a sélection du sujet comme AGENT dépend des propriétés lexicales du verbe. Par contre, la sélection du topique AGENT se produit au niveau de l’énoncé: un topique est souvent l’agent de la phrase parce que le locuteur généralement préfère parler de l’AGENT […] le chevauchement de sujet et topique est donc ‚accidentel‘, et ne se produit que quand les règles de sélection des arguments verbaux et les facteurs cognitifs qui déterminent la sélection du topique mènent au même argument. (Brunetti 2011, 11)
Aus Sicht von Li und Thompson (1976, 484) sind Subjekte wiederum nichts anderes als grammatikalisierte Topiks.20 Und als diese werden sie für Wehr (1984, 12) auch deswegen bevorzugt initial realisiert, um an das zuvor Gesagte anzuknüpfen.
Dass Topiks nur im konkreten Kontext zu bestimmen sind, illustriert Reinhart (1981) anhand des Beispielsatzes (42). Ohne genauere diskursive und kontextuelle Einbettung würde sich auch bei diesem für das Englische prototypischen Satz mit der Abfolge SVO die Frage stellen, welche der zwei Nominalphrasen als Topik fungiert, teilt der Satz dem Adressaten doch Informationen über beide erwähnte Personen mit. Die Schwierigkeit der Topikidentifikation führt in der Literatur oft dazu, dass versucht wird durch die Angabe eines passenden Ko(n)texts – meist in Form von vorausgehenden Fragen – das Topik der Antwort schon im Voraus festzulegen. Ist der Satz (42) die Antwort auf die Frage (43), wird nach dem aboutness-Kriterium Max zum Satztopik. Wird der Satz hingegen als Replik auf die Frage (44) realisiert, ist die Konstituente Rosa, die weder in der satzinitialen Position steht, noch die grammatische Funktion des Subjekts innehat, als Topik zu analysieren. (cf. Reinhart 1981, 56–57)
(42)
en.
Max saw Rosa yesterday.
(43)
en.
Who did Max see yesterday?
(44)
en.
Has anybody seen Rosa yesterday? (Reinhart 1981, 56)
Damit scheiden die beiden Versuche, das Topik syntaktisch oder grammatisch zu definieren, endgültig aus. Zwar ist das Topik in (42) in keinen der beiden Fälle akzentuiert, jedoch ist dies vielmehr eine Beobachtung über die mögliche (Nicht-)Markierung von Topiks als ein tatsächlich valides Definitionskriterium.21
Für die Topikdefinition bleibt somit auch weiterhin in erster Linie das oft als zu unpräzise erachtete diskurspragmatische Kriterium der aboutness relevant. Die fehlende terminologische Präzision von Topik wird auch von Klein (2012, 107) problematisiert: „I do not think, incidentally, that an aboutness definition of topic-hood is meaningless; but it is very difficult to make it so precise that it discriminates between what one feels is the topic and between other elements of a sentence.“22
Eine weitere Konsequenz der Definitionsproblematik besteht darin, dass auch die Frage nach der Anzahl an potenziellen Topiks pro Äußerung relativ kontrovers diskutiert wird. In einem passenden Kontext, wie jenem in (45), können offensichtlich auch mehrere Topiks (Max, Moritz) auftreten. (cf. Musan 2010, 30) Andererseits werden kognitive Beschränkungen angenommen, da davon ausgegangen wird, dass Menschen ihre Aufmerksamkeit nicht auf mehrere Entitäten bündeln und gleichzeitig über diese sprechen können. Vermutet wird, dass zumindest zwei Topiks möglich sind, die nach dem Grad ihrer Salienz gegebenenfalls als primäres bzw. sekundäres Topik klassifiziert werden können. (cf. Dalrymple/Nikolaeva 2011, 53–54)
(45)
dt.
Ich erzähl dir was über Max und Moritz: Max hat Moritz beim Schachspielen geschlagen. (Musan 2010, 30)
Um die problematischen Aspekte des Topikbegriffs besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Entwicklung des Terminus. Wie Konerding (2003