Inklusive Pädagogik und Didaktik (E-Book, Neuauflage) - André Kunz - E-Book

Inklusive Pädagogik und Didaktik (E-Book, Neuauflage) E-Book

André Kunz

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Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Die inklusive Schule – die Schule für alle – nicht nur zu fordern, sondern Realität werden zu lassen, ist eine zentrale Herausforderung sowohl für Lehrkräfte als auch für Fachkräfte aus der Heilpädagogik. Wie gelingt die Umsetzung im Schulalltag? Wie kann moderner Unterricht für alle praktisch umgesetzt werden, und welches sonderpädagogische Fachwissen wird in einer inklusiven Schule gebraucht? Das Studienbuch gibt Antworten auf diese Fragen und bietet übersichtlich aufbereitetes Handlungswissen für Studierende sowie Praktikerinnen und Praktiker, das den komplexen Anforderungen realer Schulsituationen gerecht wird. Konkrete Unterrichtssituationen mit besonderen pädagogischen Herausforderungen bilden deshalb die Ausgangspunkte der einzelnen Kapitel. Sie sind nach schulisch relevanten Bereichen wie Aktivität und Partizipation strukturiert. Fachliche, klare Orientierung bietet die Gliederung nach der internationalen Klassifikation von Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO.

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André Kunz, Reto Luder, Cornelia Müller Bösch (Hrsg.)

Inklusive Pädagogik und Didaktik

ISBN Print: 978-3-0355-1706-4

ISBN E-Book: 978-3-0355-1707-1

Umschlagbild: Paul Klee, Südliche Gärten, 1919, 80.

Aquarell und Feder auf Papier auf Karton.

24,4 × 18,7 / 18,9 cm. The Metropolitan Museum of Art,

New York, The Berggruen Klee Collection.

Dieses Werk erschien von 2014 bis 2018 über die Publikationsstelle der Pädagogischen Hochschule Zürich (Verlag Pestalozzianum).

2., vollständig überarbeitete Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.com

Inhalt

Vorwort

Unterricht und Heterogenität

Das Besondere der Pädagogik einer inklusiven Schule

Reto Luder, André Kunz und Cornelia Müller Bösch

Das Phänomen «schulische Behinderung»

Kai Felkendorff und Reto Luder

ICF als gemeinsame konzeptuelle Grundlage

Judith Hollenweger

Multiprofessionelle Zusammenarbeit für gemeinsame Förderplanung

André Kunz und Reto Luder

Didaktische Möglichkeiten im Unterricht für alle

Empirische Unterrichtsforschung im Kontext von Heterogenität und Inklusion

Silvia Pool Maag

Inklusiver Unterricht: Lernen in einem universellen Design am gemeinsamen Gegenstand

Cornelia Müller Bösch und Anita Schaffner Menn

Kognitive Beeinträchtigung im inklusiven Unterricht

Cornelia Müller Bösch

Autismussensibler Unterricht

Andreas Eckert

Inklusiver Unterricht unter dem Aspekt der Förderung von hochbegabten Schülerinnen und Schülern

Anita Schaffner Menn und Inge Rychener

Beziehungsgestaltung und Anerkennung im inklusiven Unterricht – eine kommunikative Antwort

Dieter Rüttimann

Im Gespräch mit einer inklusiven Schule: Möglichkeiten in der Gestaltung von Lernen in einem universellen Design

Dieter Rüttimann im Gespräch mit Cornelia Müller Bösch

Situationen im Unterricht und Handlungsmöglichkeiten für die Praxis

Handlungsmöglichkeiten im Bereich Lernen und Wissensanwendung

Aussichtsreicher inklusiver Schriftsprachunterricht für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf im Lesen- und Schreibenlernen

Erich Hartmann

Kinder mit erhöhtem Förderbedarf in Mathematik: Was bedeutet dies für die Unterrichtsgestaltung?

Esther Brunner

Handlungsmöglichkeiten in den beiden Bereichen Lernen und Wissensanwendung sowie Aufgaben und Anforderungen

Generalisierte Lernstörung und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

Christoph Schmid

Handlungsmöglichkeiten im Bereich Spracherwerb und Begriffsbildung

Begriffsbildung im Kindergarten und in der Grundschule

Inge Rychener

Handlungsmöglichkeiten im Bereich Kommunikation

Unterstützte Kommunikation

Karen Ling

Entwicklungsbedingungen und Förderung von Kindern mit einer Hörbeeinträchtigung

Daniela Nussbaumer

Handlungsmöglichkeiten im Bereich Mobilität

Unterrichtssituationen mit Kindern mit einer Beeinträchtigung der motorischen Kompetenzen

Angela Nacke und Peter Diezi-Duplain

Unterrichtssituationen mit Kindern und Jugendlichen mit einer Beeinträchtigung des Sehens

Helen Zimmermann

Handlungsmöglichkeiten im Bereich interpersonelle Interaktionen und Beziehungen

Handlungsmöglichkeiten zur Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit Verhaltensauffälligkeiten

Christoph Michael Müller und Carmen Zurbriggen

Handlungsmöglichkeiten im Bereich Selbstversorgung

«Selbstversorgung – für sein Selbst sorgen»: Ein Lernfeld für eine inklusive Schule

Roman Manser und Ariane Bühler

Anhang

Glossar

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Vorwort

«Ich kann es aus meiner Sicht sagen, als jemand einer Minderheit, die sonst separiert würde, dass es für mich eine extreme Bereicherung ist, mit dem Rest der Gesellschaft durchmischt zu werden.» Moritz Wyder[1]

Die inklusive Schule – die Schule für alle – nicht nur zu fordern, sondern Realität werden zu lassen und im Alltag zu gestalten, ist eine zentrale aktuelle Herausforderung unserer Gesellschaft: Wie gelingt die Umsetzung im Schulalltag? Wie kann moderner Unterricht für alle praktisch umgesetzt werden, und welches sonderpädagogische Fachwissen wird in einer inklusiven Schule gebraucht? Was müssen Lehrpersonen in Regelklassen über Sonderpädagogik wissen? Welche sonderpädagogischen Aufgaben haben sie, und welche Art der Zusammenarbeit mit schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen und therapeutischen Fachpersonen müssen sie leisten?

Das Studienbuch «Inklusive Pädagogik und Didaktik» gibt Antworten auf diese Fragen und bietet aktuelles, übersichtlich aufbereitetes Handlungswissen.

Das vorliegende Buch in der komplett überarbeiteten Fassung von 2021 besteht aus drei Teilen. Der erste Teil thematisiert das zugrunde liegende Verständnis inklusiver Sonderpädagogik, verweist auf die diesbezüglich wichtigen Definitionen und führt die Begrifflichkeiten und das bio-psycho-soziale Verständnis von Funktionsfähigkeit und Behinderung auf der Basis der internationalen Klassifikation von Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO ein. Zudem widmet sich Teil 1 der multiprofessionellen Zusammenarbeit von Regelschullehrpersonen und Fachpersonen aus dem Bereich der Sonderpädagogik. Der zweite Teil fokussiert auf den Unterricht: Was macht guten inklusiven Unterricht in einem universellen Design aus? Wie können der Unterricht und die Lernbegleitung angepasst werden, damit Menschen mit Beeinträchtigungen partizipieren können? Zwei Texte zeigen zuerst grundlegende Begriffe und Herausforderungen von inklusivem Unterricht sowie den empirischen Forschungsstand dazu auf. Die Gestaltung eines universellen Designs im Unterricht wird an konkreten Beispielen dargestellt. Anschließend werden wichtige Aspekte der Kommunikation beschrieben. Anhand von kognitiver Beeinträchtigung in Lernsituationen, von einem autismussensiblen Unterricht und Begabungen im Lernen wird im Weiteren exemplarisch aufgezeigt, wie ein Unterricht angepasst werden kann, damit alle Schüler und Schülerinnen partizipieren können. Der dritte Teil beschreibt sonderpädagogische Handlungsmöglichkeiten zu ausgewählten Lebens- und Erfahrungsbereichen entlang der ICF-Komponente «Aktivität und Partizipation». Der Blick wird dabei auf spezifische differenzielle Maßnahmen und Interventionen gerichtet. Im Zentrum stehen Möglichkeiten und Beeinträchtigungen von Lernenden, und damit verbundene, ausgewählte Handlungsansätze und Konzepte zur Prävention und Intervention, die sich für eine Umsetzung in der Regelklasse eignen.

Das Buch enthält folgende Hinweise zur Leserinnen- und Leserführung:

Glossarbegriffe in schwarzer Schrift

— Ein Glossar nimmt einige wichtige Begriffe zur Thematik «Inklusive Schule» auf. Verweise in schwarzer Schrift in der seitlichen Spalte zeigen dies an.

Hinweise in blauer Schrift

—Hinweise zu relevanten Begriffen im Text sowie Verweise auf die ICF erscheinen ebenfalls in der seitlichen Spalte, jedoch in blauer Schrift.

—Verweise auf andere Beiträge in diesem Buch sind mit einem Pfeil ( →) im Text ersichtlich und machen die Leserin und den Leser auf inhaltliche Verbindungen zwischen den Beiträgen aufmerksam.

Die Idee zum Buch entstand ursprünglich im Fachteam Sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Dieses zeigt sich inhaltlich verantwortlich für sonderpädagogische Themen in Ausbildung, Weiterbildung, Beratung und Forschung. Umgesetzt wurde die Idee von Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Hochschulen in der Schweiz und Luxemburg mit Expertise in den Themen der jeweiligen Beiträge. Die aktuell vorliegende komplette Überarbeitung entstand in enger Kooperation mit allen Autorinnen und Autoren.

Dieses Buch richtet sich vor allem an angehende und praktizierende Lehrpersonen, schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, therapeutische Fachpersonen sowie Schulleitungen.

Das dargestellte Handlungswissen ist weder vollständig noch abschließend, sondern soll Grundlage für eine Auseinandersetzung mit dem Thema und für die Diskussion darüber sein.

Wir danken allen Kolleginnen und Kollegen, die sich als Autorinnen und Autoren der Aufgabe angenommen haben, einen Beitrag für dieses Studienbuch zu leisten. Sie haben die Texte verfasst und sie aufgrund von Rückmeldungen aus dem langjährigen Einsatz des Studienbuchs in der Lehre sowie aus Feedbacks von Kolleginnen und Kollegen im Team der Autorinnen und Autoren überarbeitet, was wir sehr schätzen. In einem Beitrag konnten wir mit Hilfe von Barbara Frey wichtige Fotos zur Illustration realisieren, und im Beitrag «Kognitive Beeinträchtigung im inklusiven Unterricht» hat Lucien Le als Gastautor einen Text zum Thema «Möglichkeiten und Grenzen im gemeinsamen Unterricht» als Erfahrungsbericht in Form eines Exkurses verfasst – vielen Dank an beide!

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern inspirierende Ideen für den Alltag und die tägliche Herausforderung, eine inklusive Schule zu gestalten und damit zu erhalten.

— Zürich, im Sommer 2021

— André Kunz, Reto Luder und Cornelia Müller Bösch

[1] Moritz Wyder ist Gastreferent im Grundmodul «Inklusive Bildung» an der PH Zürich und sehbehindert. Die zitierte Aussage stammt aus der DVD «Integrative und individualisierende Lernförderung». Sie wurde im Auftrag der Bildungsdirektion des Kantons Zürich im Jahr 2007 durch die FRAMIX GmbH realisiert.

Unterricht und Heterogenität

Kai Felkendorff Judith Hollenweger André Kunz Reto Luder Cornelia Müller Bösch

Das Besondere der Pädagogik einer inklusiven Schule

Reto Luder, André Kunz und Cornelia Müller Bösch

Inklusion. Eine Schule für alle. Integration. Umgang mit Vielfalt. Diese Schlagworte prägen aktuell die Bildungslandschaft. Was ist eine inklusive Schule in der Praxis? Was bedeutet Inklusion konkret im Schulalltag für die Schülerinnen und Schüler, für den Unterricht und für die Lehrperson? Diesen Fragen will das vorliegende Buch nachgehen und Antworten dazu liefern – Antworten primär für Lehrerinnen und Lehrer und Studierende, die Lehrerin oder Lehrer werden wollen. Aber auch für pädagogisch-therapeutische Fachpersonen, Eltern und weitere Interessierte. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie inklusive Förderung und Unterstützung oder, mit einem anderen Wort, Inklusion praktisch umgesetzt werden kann. Im ersten Kapitel geht es darum, was eine inklusive Schule ausmacht und ob es in einer inklusiven Schule überhaupt noch Sonderpädagogik braucht – und falls ja, in welcher Form, was deren Aufgabe ist und was das für die Praxis bedeutet. Auf dieser Grundlage folgt eine Übersicht über die Inhalte des Buches und die Struktur, nach der diese Inhalte aufbereitet sind.

Die Entwicklung der Schule in Richtung Inklusion ist in vollem Gang und im deutschsprachigen Raum mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem weniger die grundsätzlichen ethischen Debatten um den Sinn von Inklusion im Allgemeinen im Zentrum stehen, sondern das Interesse vermehrt auf Fragen der konkreten Umsetzung in der Praxis liegt.

Inklusion und inklusive Schule

Inklusion/Integration

Gelungene Inklusion nach UNESCO

In der Fachdiskussion der letzten Jahre wird der Begriff der Inklusion sehr oft und sehr unterschiedlich gebraucht (vgl. Leidner, 2012; Luder, 2016). In der Literatur sind die Begriffe «Integration» und «Inklusion» nicht einheitlich mit Inhalten gefüllt. Uneinigkeit besteht darüber, welche Praxis dem einen oder anderen Begriff zuzuordnen ist. So ist der Sachverhalt, dass als «behindert» diagnostizierte Kinder zum Beispiel in einem Kindergarten geschult werden, in einigen Beschreibungen schon ein Merkmal für Inklusion, in anderen erst der Beginn der Integration. Im internationalen Kontext wird nur der Begriff inclusion beziehungsweise inclusive education verwendet als ein zielgerichtetes, förderorientiertes Miteinander in Situationen im Unterricht ohne Ausschluss. Um eine gelungene Inklusion zu realisieren, genügt es nicht, einen Schüler oder eine Schülerin mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen einfach in die Regelklasse zu schicken. Vier Bedingungen müssen zumindest erfüllt sein, damit von gelungener Inklusion gesprochen werden kann (UNESCO, 2005):

—Presence: Alle Kinder sollen die Möglichkeit haben, den Unterricht gemeinsam mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern in einer Regelklasse zu besuchen.

—Acceptance: Alle Kinder sollen mit ihren unterschiedlichen, jeweils individuellen Eigenschaften in der Gemeinschaft in gleicher Weise akzeptiert und angenommen werden.

—Participation: Alle Kinder sollen an gemeinsamen Aktivitäten und am gemeinsamen Unterricht mitmachen und teilhaben können.

—Achievement: Alle Kinder sollen im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten anspruchsvolle Lernziele erreichen, Leistungen erbringen und Fortschritte machen können.

Behindertenrechtskonvention

Heterogenität

Mit dem Begriff «Inklusion» verbindet man sehr verschiedene Anliegen an eine inklusive Schule. Die Ansprüche reichen von einem Recht auf gemeinsame Schulung und Betreuung (z. B. Behindertenrechtskonvention, 2008, SR 0.109) bis hin zu allgemeinen Forderungen nach umfassender Dekategorisierung (Behinderung gibt es nicht) und Abschaffung jeglicher Segregation in allen Bereichen der Gesellschaft (z. B. Hinz, 2009). Für die Schule als Praxis ist der Ansatz umfassender Dekategorisierung problematisch, weil er den spezifischen Blick auf das Individuum verhindert. Schule hat einen pädagogischen Auftrag; sie kann sich nicht damit begnügen, alle einfach so zu akzeptieren, wie sie im Moment sind, und sich über diese farbige Vielfalt zu freuen. Vielfalt (in der Literatur meist Heterogenität oder Diversity) muss «mehr sein als affirmative Bestätigung, dass ja ‹alles so schön bunt ist›» (Plösser, 2013, S. 61). Der pädagogische Auftrag in der Schule besteht ja gerade darin, gewisse Formen von Unterschiedlichkeit (genauer: Diversitätsdimensionen) nicht zu akzeptieren, sondern sie anzugleichen. Sie soll zum Beispiel nicht einfach akzeptieren, dass einige lesen können und andere nicht, sondern dafür sorgen, dass alle Schülerinnen und Schüler möglichst gut lesen lernen. Dafür müssen zunächst unterschiedliche Dimensionen der Diversität festgelegt werden. Für die schulische Praxis muss geklärt werden, welche Diversitätsdimensionen in welchen Situationen relevant sind, welche Bedeutung ihnen zukommt (und zukommen soll, was nicht unbedingt dasselbe ist) und wie die Schule auf die Heterogenität ihrer Schülerinnen und Schüler in diesen einzelnen Dimensionen reagieren kann. Aus dieser Sicht ist es nicht falsch, beispielsweise ein Kind als hörbehindert zu kategorisieren. Im Gegenteil, es ist notwendig, diese Hörbehinderung und ihre Auswirkungen in der Schule möglichst genau zu bestimmen und geeignete Maßnahmen zu treffen, damit dieses Kind im Unterricht lernen kann und damit seine Teilhabe an der Gemeinschaft der Schule ermöglicht und unterstützt wird. Genauso wichtig, um ein zweites Beispiel zu nennen, ist etwa die Bestimmung einer Lese-/Rechtschreibstörung durch eine möglichst differenzierte Erfassung des Schriftspracherwerbs und die Planung und Durchführung geeigneter Fördermaßnahmen. Diese Förderplanung verfolgt das Ziel, dass dieses Kind an gemeinsamen Lernprozessen der Klassengemeinschaft teilhaben und dadurch für das eigene Lernen profitieren kann. Aus der gleichen Kategorisierung «Lese-/Rechtschreibstörung» wird sich jedoch vielleicht in einer Unterrichtssituation, in der an der mathematischen Problemstellung «Gesetzmäßigkeiten an verschiedenen Zahlenmauern untersuchen» (vgl. Hengartner et al., 2006) gearbeitet wird, kein besonderer Förderbedarf ergeben: Die Schülerin oder der Schüler kann in dieser Situation gut ohne spezifische Maßnahmen am Unterricht teilhaben und lernen. Unterschiedliche Situationen erfordern auch beim gleichen Individuum unterschiedliche Interventionen.

Inklusive Schule

Eine inklusive Schule ist eine Schule, welche die unterschiedlichen individuellen Lern- und Verhaltensvoraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schüler möglichst genau wahrnimmt und in den konkreten Unterrichtssituationen der Praxis mit geeigneten, spezifischen Maßnahmen berücksichtigt. Gleichzeitig nimmt sie auch ihren Auftrag wahr, eine Gemeinschaft zu gestalten, in der allen Schülerinnen und Schülern, unabhängig von ihren individuellen Lern- und Verhaltensvoraussetzungen, die gleiche Akzeptanz und Wertschätzung entgegengebracht wird.

Besondere Situationen – besondere Bedürfnisse

Special Educational Needs (SEN)

Sonderpädagogik beschäftigt sich mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen (Special Educational Needs oder SEN). Im Anschluss an den bio-psycho-sozialen Behinderungsbegriff der Weltgesundheitsorganisation WHO ist dies die Unterstützung und Förderung von Kindern und Jugendlichen, deren Aktivitäten und Möglichkeiten zur Partizipation im Kontext des schulischen Lernens und Lebens eingeschränkt oder von Einschränkungen bedroht sind. Eine solche Einschränkung ist niemals nur das Ergebnis einer Eigenschaft des betroffenen Kindes, sondern entsteht aus der Wechselwirkung von Eigenschaften des Kindes mit den Anforderungen und Rahmenbedingungen seiner Umwelt in und außerhalb der Schule.

Damit wird postuliert, dass es übliche und eben besondere pädagogische Bedürfnisse (englisch: special needs) gibt. Die Frage, was Bedürfnisse besonders macht und sie von gewöhnlichen Bedürfnissen unterscheidet, ist eine normative Frage. Die Bedürfnisse, von denen hier die Rede ist, entstehen im Zusammenspiel von Eigenschaften des Individuums mit Anforderungen und Rahmenbedingungen seiner Umwelt und lassen sich deshalb nicht einseitig dem Individuum zuordnen. Ein Schüler oder eine Schülerin hat nicht besondere pädagogische Bedürfnisse, sondern diese besonderen pädagogischen Bedürfnisse entstehen erst in einer konkreten schulischen Situation, in der die individuellen Eigenschaften des Kindes im Kontext der Anforderungen und Rahmenbedingungen dieser Situation zu einem Problem führen. Dieses Problem betrifft in der Regel alle Beteiligten: das Kind und seine unmittelbare Umwelt (Lehrperson, Peers, Eltern usw.).

Im Anschluss an das in der Einleitung dieses Abschnitts Gesagte bedeutet die Annahme besonderer pädagogischer Bedürfnisse die Konstruktion einer Diversitätsdimension mit einem dazugehörenden Schwellenwert. Unterhalb dieses Schwellenwerts wird ein Bedürfnis als üblich, oberhalb des Schwellenwerts als besonders eingeschätzt. Beispielsweise ist es in der Situation eines Lehrervortrags ein übliches Bedürfnis von Schülerinnen und Schülern, dass die Lehrperson angemessen laut und deutlich spricht, damit sie verstanden wird. Ein Kind mit einer Hörbehinderung hat in dieser Situation besondere Bedürfnisse und ist beispielsweise auf den Blickkontakt mit der Lehrperson oder auch auf die elektronische Verstärkung der Stimme der Lehrperson angewiesen. Ein Kind mit Lese-/Rechtschreibstörung benötigt in Situationen, in denen Lesen oder Schreiben eine Rolle spielt, besondere, üblicherweise nicht notwendige Unterstützung und Förderung, um seine Ziele erreichen zu können.

Welche Diversitätsdimensionen in der Schule in welchen Situationen wichtig sind und wie bedeutsam sie sein sollen, ist nicht per se gegeben, sondern Gegenstand gesellschaftlicher und bildungspolitischer Wahrnehmungs- und Aushandlungsprozesse. → Siehe auch Beitrag von Felkendorff und Luder. Das Gleiche trifft für den jeweiligen Schwellenwert zu, oberhalb dessen bestimmte Bedürfnisse als besonders wahrgenommen werden. Dieser Schwellenwert ist nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit den jeweils verfügbaren Ressourcen für Unterstützung und Förderung zu sehen.

Aus einer Betrachtungsweise, die sich nur auf Defizite von Schülerinnen und Schülern bezieht, lassen sich keine Handlungsmöglichkeiten für den konkreten Unterricht oder Maßnahmen für eine Förderung ableiten, denn diese Maßnahmen sind stark situationsabhängig. Dazu braucht es die Analyse von konkreten Situationen, in denen Schülerinnen und Schüler aufgrund verschiedener Faktoren in ihren Aktivitäten und an ihrer Partizipation eingeschränkt sind. → Siehe auch Beitrag von Hollenweger. Durch eine inklusive Didaktik und durch die Einbeziehung spezifischer individueller Maßnahmen kann die Partizipation in der Situation gestärkt werden. → Siehe auch Beitrag von Müller Bösch und Schaffner Menn. Die Lehrpersonen brauchen hierfür – neben differenziertem Wissen um mögliche Schwierigkeiten – Wissen um situationsbedingte Faktoren, welche die Partizipation stärken können. Spezifische pädagogische Interventionen richten sich auf Schülerinnen und Schüler in einer bestimmten Situation. In einer Unterrichtssituation zum Beispiel, in der die Lehrperson an der Wandtafel eine neue Arbeitsweise einführt, werden andere Interventionen erforderlich als in einer Situation, in der in einer Gruppe kooperatives Lernen gefordert ist. Die Situationen und dadurch auch die besonderen pädagogischen Bedürfnisse sind im Unterricht in einem stetigen Wandel. Die Lehrperson ist gefordert, diesem Wandel durch adaptive Unterrichtskompetenz nachzugehen und ihre Unterstützung und Lernbegleitung den Situationen anzupassen.

Im Unterricht für alle gibt es unterschiedliche Situationen, die differenzielle Maßnahmen erfordern können. Ziel dieser Maßnahmen ist die Partizipation und Teilhabe aller Lernenden an der aktiven Auseinandersetzung mit den Bildungsinhalten im sozialen Netz der Klasse. Alle Lernenden sollen dabei ihren Voraussetzungen entsprechend gefördert werden.

Dieses oben beschriebene Verständnis lässt sich wissenschaftlich als bio-psycho-soziales Modell bezeichnen. → Siehe auch Beitrag von Hollenweger. Gesundheit (oder auch Behinderung) ist in diesem Modell ein funktional definiertes Phänomen, das sich nur im Zusammenspiel biologischer, psychologischer oder gesellschaftlicher Faktoren verstehen lässt.

Definition Behinderung

Behinderung ist eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit auf biologischer, psychologischer oder sozialer Ebene, in einem oder mehreren Lebensbereichen, so wie sie von einem Individuum mit einem Gesundheitsproblem in Interaktion mit seiner Umwelt erlebt wird (vgl. Leonardi et al., 2006).

Für die Analyse schulischer Situationen folgen aus diesem Verständnis drei wichtige Prämissen:

1. Funktionsfähigkeit und Behinderung sind konzeptuell zu trennen von Krankheiten und Störungen.

2. Ein mehrdimensionales Verständnis von Funktionsfähigkeit und Behinderung ist einer eindimensionalen (= kategorialen) Umschreibung von Behinderungen vorzuziehen.

3. Funktionsfähigkeit und Behinderung sind nur im Kontext spezifischer Lebensumstände definierbar.

Nach einem solchen Verständnis haben Lehrpersonen und die Schule als Institution einen zentralen Anteil an der Lernsituation aller Schülerinnen und Schüler und damit auch bei Kindern und Jugendlichen mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen. Lehrpersonen agieren (a) als Partizipationspartner der Kinder und Jugendlichen, (b) als Umweltfaktor und Umweltgestalter der Lernprozesse im Unterricht und der Schule und natürlich auch (c) als Individuum mit eigener Funktionsfähigkeit. Bei der Planung von Förderung in der Schule sind diese Anteile am Lernprozess der Schülerinnen und Schüler wichtig.

Praktisches Handeln als gemeinsame Aktivität

Förderung aller Kinder, eben auch von Kindern mit SEN, kann im Begriffsverständnis der Aktivitätstheorie (vgl. AT der dritten Generation: z. B. Engeström, 1987, 1999) als Tätigkeit aufgefasst werden. Das Motiv für die besondere Förderung eines Kindes ist ein pädagogisches, indem nämlich die Reduktion von Differenz in den an Schulen relevanten Diversitätsdimensionen angestrebt wird wie zum Beispiel die Möglichkeit, Texte zu lesen, zu verstehen und selbst auch produzieren zu können. Die umfassende Tätigkeit «Förderung» unterteilt sich in einzelne Handlungen (z. B. die Planung von unterschiedlichen Fördermaßnahmen während eines Schuljahrs), die durch gemeinsam verantwortete Ziele im Förderteam gesteuert werden. Diese Handlungen wiederum unterteilen sich in einzelne Operationen (zum Beispiel konkrete Leseförderungstrainings durchführen, Rechtschreibprogramme anleiten, die Arbeit der Kinder damit begleiten), die sich aus instrumentellen Bedingungen ergeben. Dabei stellt die Tätigkeit «Förderung» eine kollektive Tätigkeit dar (zum Beispiel durch mehrere Personen, die ihre je individuell ausgeführten Handlungen jeweils auf die Ziele ausrichten).

Eine inklusive Schule ist angewiesen auf spezifische, professionelle sonderpädagogische Förder- und Unterstützungsangebote. Die Abschaffung einer disziplinären Sonderpädagogik zugunsten einer Pädagogik der Vielfalt würde bedeuten, dass es den Lehrpersonen allein obliegt, über diese Wissensbestände und dieses praktische Können zu verfügen und Wissen und Können weiterzuentwickeln. Es dürfte sehr schwierig sein, angehende Lehrpersonen im Rahmen ihrer allgemeinen Ausbildung zusätzlich auch noch auf diese Aufgabe vorzubereiten, das heißt neben ihrer anspruchsvollen Unterrichtspraxis von ihnen auch noch die spezifische sonderpädagogische Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen zu fordern. Wenn das aber nicht gelingt, ist das Ergebnis ein substanzieller Verlust von Wissen und Praxiskönnen und damit ein massiver Verlust an gezielter Förderung für die betroffenen Kinder. Inklusive Förderung und Unterstützung gelingt nur in Anbindung an eine entsprechende Praxis und im damit verbundenen Austausch von Praxiswissen mit weiteren Personen. Dazu braucht es spezialisierte Netzwerke, Ausbildungsgänge und Weiterbildungsangebote von und für Spezialistinnen und Spezialisten. Notwendig ist deshalb eine Klärung der Aufgaben, Kompetenzen und gegenseitigen Pflichten zwischen spezifisch ausgebildeten Fachpersonen mit spezifischem Wissen und entsprechender Praxis einerseits und Klassenlehrpersonen andererseits.

Pädagogisch-therapeutische Fachperson (PTF)

— Pädagogisch-therapeutische Fachpersonen (PTF) im Bereich Sonderpädagogik, Therapie usw. verfügen über das fachliche Wissen und Können in Bezug auf die diagnostische Erfassung von Lern- und Verhaltensvoraussetzungen und die Entwicklung individuell angepasster, pädagogisch-therapeutischer Förderziele, Fördermaßnahmen und Unterrichtsmaterialien. Sie arbeiten aktiv mit den Regelschullehrpersonen im gemeinsamen Unterricht zusammen. Sie unterstützen und fördern Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen in Bezug auf individuelle Lern- und Entwicklungsziele.

Lehrperson

— Eine Lehrperson (Klassenlehrperson oder Fachlehrperson) gestaltet einen differenzierten, inklusiven Unterricht, plant lehrplanbezogen die Lernziele aller Schülerinnen und Schüler und überprüft, ob sie sie erreichen können. Sie schafft ein positives und auf gegenseitiger Hilfe und Rücksichtnahme basierendes Klassenklima. Sie ist in der Lage, Lernschwierigkeiten und besondere Lern- und Verhaltensvoraussetzungen wahrzunehmen. Die Lehrperson arbeitet für eine solche Förderung mit der PTF zusammen. Sie gestaltet die Zusammenarbeit mit den Eltern und im Schulteam und übernimmt die Verantwortung für die schulische Gesamtsituation all ihrer Schülerinnen und Schüler.

Wie kommt in einer inklusiven Schule dieses spezifische Know-how für die Förderung in einem inklusiven Schulsystem den Kindern zugute, die es benötigen? Eine einzelne Lehrperson allein kann diesem Anspruch nicht genügen. Eine inklusive Schule erfordert die Zusammenarbeit eines multiprofessionellen Schulteams. Inter- und intradisziplinäre Zusammenarbeit von Lehrpersonen an der Regelschule und den pädagogisch-therapeutischen Fachpersonen erweist sich dabei als Arbeitsform, welche die Kompetenzen der Lehrpersonen verbessert (vgl. Baumert & Kunter, 2006) und zur Professionalisierung in den Bereichen inklusive Unterrichtsgestaltung und individuelle Förderplanung beiträgt (vgl. Luder et al., 2011). Dabei ist es wesentlich, die gemeinsame Praxis an gemeinsam formulierten Förderzielen auszurichten: «Die Freiheitsgrade der disziplinären Praxis sollen […] nicht verringert werden, die interdisziplinäre Ausrichtung der pädagogisch-therapeutischen Handlungen hingegen soll verstärkt werden» (Kunz, Gschwend & Luder, 2011, S. 21).

Professionelle Zusammenarbeit

Die professionelle Zusammenarbeit zwischen Klassenlehrperson (KLP) und pädagogisch-therapeutischen Fachpersonen (PTF) kann unterschiedlichste Formen annehmen (vgl. Kunz et al., 2012). Wenn ein Tandem oder Team, bestehend aus mindestens einer KLP und einer PTF, sich optimal ergänzt und aufeinander abgestimmt ist, dann kann von getrennten jeweiligen Zuständigkeiten und einer Überlappung von gemeinsam verantworteten Aufgaben gesprochen werden. Die Personen bleiben einerseits in ihren Funktionen mit klaren Aufgabenbereichen unabhängig und bringen andererseits ihre unterschiedlichen Kompetenzen im Unterricht ein. Beide Personen teilen sich die Verantwortung für das Gelingen schulischer Förderung.

Geht man von multiprofessionellen Lehrerteams aus, die in flexiblen Formen schulischer Arbeitsorganisation zusammenarbeiten, dann gibt es auch eine Reihe möglicher Kombinationen, nicht zwingend im Sinn von getrennten Zuständigkeiten. So kann das gesamte Team für eine bestimmte Fragestellung zuständig sein, die Aufgaben und Funktionen sind jeweils unterschiedlich und untereinander koordiniert. Aber auch hier bedingt dies eine klare Rollenaufteilung entlang der Kompetenzen einzelner Personen. Auf der Basis des Modells «getrennte Zuständigkeiten mit einer Schnittmenge» lassen sich diesbezüglich solche Absprachen spezifischer und gemeinsamer Aufgaben von Klassenlehrpersonen und pädagogisch-therapeutischen Fachpersonen bestimmen. In Tabelle 1 werden exemplarisch für die Bereiche Unterricht, individuelle Förderung und Förderplanung, Evaluation und Beurteilung sowie Zusammenarbeit und Koordination solche Aufgaben beschrieben, die auf Praxiserfahrungen und entsprechenden Empfehlungen beruhen (vgl. u. a. Ramírez Moreno, 2010; Bildungsdirektion des Kantons Zürich, 2011). Sie werden nicht als abschließende Zusammenstellung, sondern als mögliche Beispiele und Diskussionsgrundlage verstanden.

TABELLE 1: Aufgabenklärung für die Zusammenarbeit von Lehrpersonen und pädagogisch-therapeutischen Fachpersonen (schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, Therapeutinnen und Therapeuten) (in Anlehnung an Kunz & Gschwend, 2011)

Bereich

Zuständigkeit primär bei der Lehrperson

Schnittmenge: gemeinsame Zuständigkeit

Zuständigkeit primär bei der pädagogisch-therapeutischen Fachperson

Unterricht

Gestaltung eines integrationsfähigen Unterrichts (innere Differenzierung und Individualisierung)

Individuelle Unterstützung und Förderung im gemeinsamen Unterricht (z. B. Teamteaching)

Gemeinsame Unterrichts-reflexion und Unterrichts-entwicklung

Entwicklung individuell angepasster Förder- und Unterrichtsmaterialien

Gezielte Förderung und Unterstützung in Bezug auf individuelle Lern- und Entwicklungsziele

Individuelle Förderung und Förderplanung

Erkennen von Lernschwierigkeiten und Entwicklungs-auffälligkeiten

Zielsetzung und Vereinbarung von Maßnahmen

Diagnostische Erfassung von Lern- und Entwicklungs-voraussetzungen

Case Management / Verfassen individueller Förderpläne

Evaluation und Beurteilung

Beurteilung aller Schülerinnen und Schüler in Bezug auf die Lehrplanziele

Prognostische Beurteilung und Laufbahnberatung

Diagnostische Erfassung von Lern- und Verhaltens-voraussetzungen (im Sinne pädagogischer Diagnostik / Verlaufsdiagnostik)

Führungsrolle beim Verfassen individueller Lernberichte

Zusammenarbeit und Koordination

Hauptansprechperson für die Eltern und Gesamtverantwortung für alle Schülerinnen und Schüler der Klasse

Zusammenarbeit mit Eltern und im Schulteam

Einbringen von fachlichem sonderpädagogischem Wissen, Beratungsangebote

Koordination der Zusammenarbeit mit externen Stellen

Inklusive Sonderpädagogik – mit einem Widerspruch umgehen

Sonderpädagogik

Sonderpädagogik (englisch: special needs education) geht von besonderen Lern- und Lehrsituationen aus. Dies heißt, dass es daneben auch übliche, nicht besondere Lern- und Lehrsituationen gibt. Dieses Verständnis wird von Vertreterinnen und Vertretern einer Inklusionspädagogik (z. B. Wolfgang Jantzen, Ines Boban, Andreas Hinz) infrage gestellt. Sie argumentieren, dass die Schaffung einer Kategorie «besonderer» pädagogischer Bedürfnisse eine künstliche Abgrenzung ist. Dieser Argumentation folgend ist jedes Kind besonders und hat auch besondere pädagogische Bedürfnisse im Vergleich zu anderen Kindern. Eine besondere Pädagogik für eine bestimmte Gruppe von Kindern ist demzufolge nicht nur unnötig, sondern vor allem mit negativen Konsequenzen wie Stigmatisierung, systematischer Unterforderung und Diskriminierung verbunden. Einfacher formuliert: Wenn die allgemeine Pädagogik gut genug für alle Schülerinnen und Schüler ist, braucht es keine Sonderpädagogik.

Von sonderpädagogischer Seite her kann dagegen argumentiert werden, dass es pädagogische Bedürfnisse einzelner Kinder gibt, die das in der Praxis bestehende Schulsystem überfordern. Eine adäquate Förderung dieser Kinder erfordert spezielles Know-how, besondere Rahmenbedingungen oder spezifische Ressourcen, die üblicherweise in der Schule nicht zur Verfügung stehen und die für den größten Teil der Schülerinnen und Schüler auch nicht notwendig und nicht angemessen sind.

Mit der Gegenüberstellung dieser beiden Argumentationen ergeben sich zwei wesentliche Fragen für die Praxis:

1. Wie können «besondere» pädagogische Bedürfnisse definiert werden, und wie unterscheiden sich Schülerinnen und Schüler mit von solchen ohne besondere pädagogische Bedürfnisse?

— Eine mögliche Antwort auf diese erste Frage ergibt sich über einen bio-psycho-sozial definierten Behinderungsbegriff, wie zum Beispiel eine Begriffsdefinition auf der Basis der ICF. → Siehe auch Beitrag von Hollenweger.

2. Wie können Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen gefördert werden, ohne sie Nachteilen wie Stigmatisierung, Unterforderung oder Diskriminierung auszusetzen? In welchen Situationen brauchen einzelne Lernende bzw. einzelne Gruppen von Lernenden spezifische Anpassungen des Unterrichts? Wie können solche Situationen aussehen? Welche Handlungsmöglichkeiten haben Lehrpersonen, um in solchen Situationen ohne die genannten Nachteile intervenieren zu können?

— Eine mögliche Antwort auf die zweite Frage ist die inklusive Umsetzung sonderpädagogischer Förderung und das Lernen in Kooperation am gemeinsamen Gegenstand im inklusiven Unterricht der Regelschule. → Siehe auch Beitrag von Müller Bösch und Schaffner Menn.

Aufbau des Studienbuchs

ICF: Umweltfaktoren

Es geht in diesem Buch um besondere Situationen in der Schule, im Unterricht. Das Studienbuch unterstützt einen Unterricht für alle, ohne Ausschluss von Lernenden, und hat damit vor allem Maßnahmen in konkreten Unterrichtssituationen und damit auf der Mikroebene des Bildungssystems (vgl. Fend, 2006) im Fokus. Daneben werden Handlungsmöglichkeiten auf der Mesoebene (Schuleinheit und professionelle Zusammenarbeit im Team) sowie Aspekte auf der personalen Ebene (Einstellungen, Grundhaltungen) aller Beteiligten immer wieder aufgegriffen und ausgeführt.

Das Buch hat zum Ziel, sonderpädagogische Grundlagen in kompakter Form zu vermitteln und Handlungsmöglichkeiten im Unterricht aufzuzeigen. Es orientiert sich in allen seinen Bereichen nicht an den Defiziten des Kindes, sondern an Handlungsmöglichkeiten von Lehrpersonen in konkreten Unterrichtssituationen.

Fokussiert werden Handlungsmöglichkeiten in verschiedenen Situationen im Unterricht, in denen unterschiedliche besondere Bedürfnisse bei einzelnen oder mehreren Lernenden auftreten: Den besonderen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen müssen Lehrpersonen in der Praxis kompetent begegnen können. Lehrpersonen haben den Auftrag, im Unterricht der Vielfalt an Lernvoraussetzungen gerecht zu werden und alle Lernenden zielbezogen zu fördern. Das Studienbuch orientiert sich hier an einer Vielfalt von Situationen, die kategorisiert werden, und an den Handlungsmöglichkeiten von Lehrpersonen im inklusiven Unterricht.

Nach dem einführenden ersten Teil, in dem grundlegende Modelle und Konzepte einer inklusiven Schule besprochen werden, widmet sich der zweite Teil der Praxis inklusiven Unterrichts: Wie kann Unterricht didaktisch so gestaltet werden, dass gemeinsamer Unterricht aller Schülerinnen und Schüler möglich wird?

ICF

Als Struktur für den dritten, differenziellen Teil nutzt das Buch die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO (z. B. in Deutsch erhältlich beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information DIMDI, 2005). → Siehe auch Beitrag von Hollenweger. Entlang der Kapitel der Domäne «Aktivität und Partizipation» werden Handlungsmöglichkeiten im Unterricht aufgezeigt:

— Handlungsmöglichkeiten im Bereich des Lernens und der Wissensanwendung

— Handlungsmöglichkeiten im Bereich Aufgaben und Anforderungen

— Handlungsmöglichkeiten im Bereich Spracherwerb und Begriffsbildung

— Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Kommunikation

— Handlungsmöglichkeiten im Bereich Mobilität

— Handlungsmöglichkeiten im Bereich interpersonelle Interaktionen und Beziehungen

— Handlungsmöglichkeiten im Bereich Selbstversorgung

— Handlungsmöglichkeiten im Bereich Gemeinschaft, soziales und staatsbürgerliches Leben

 

Literatur

Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Professionelle Kompetenz von Lehrpersonen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4), 469–520.

Bildungsdirektion des Kantons Zürich (2011). Förderplanung. Bildungsdirektion des Kantons Zürich.

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Links

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ICF über DIMDI: www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/ [04.06.2021].

Das Phänomen «schulische Behinderung»

Kai Felkendorff und Reto Luder

Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) bildet die gemeinsame konzeptuelle Grundlage dieses Studienbuchs. Im Folgenden soll eine Gruppe von Umweltfaktoren im Sinne der ICF beleuchtet werden, die maßgeblichen Einfluss auf das professionelle Handeln von Lehrpersonen, auf das Gelingen inklusiver Pädagogik und Didaktik und damit auf Behinderung und Funktionsfähigkeit in der Schule hat: Schulsysteme und deren Handlungsgrundsätze und Dienste. Schulsysteme bringen aufgrund ihrer spezifischen Ziele, Fähigkeitserwartungen und Funktionslogiken eigenständige Institutionalisierungen von Behinderung hervor.

Schulische Behinderung hat viele Namen

Vielen Kindern und Jugendlichen werden in Schulsystemen temporär oder dauerhaft «besondere pädagogische Bedürfnisse» oder «sonderpädagogischer Förderbedarf» attestiert; sie erhalten «sonderpädagogische Maßnahmen» wie «integrative Förderung», «heilpädagogische Unterstützung» oder «besondere Hilfsmittel» in unterschiedlichen «Fördersettings», möglicherweise sind sie in bestimmten Fächern auch «lernzielbefreit», besuchen temporär «Time-out-Klassen» oder mehr oder weniger dauerhaft «Integrationsklassen», «Förderklassen», «Förderschulen» oder «Schulen zur individuellen Lernförderung». Manche werden wegen attestierter «Schulunfähigkeit» temporär oder dauerhaft vom Besuch der Schule ausgeschlossen, während andere während oder nach der Unterrichtszeit schulinterne Therapieangebote für Logopädie oder Psychomotorik besuchen. Wieder andere nehmen zusätzlich zu oder gänzlich unabhängig von pädagogisch-therapeutischen Interventionen «Nachteilsausgleiche» für spezifische Funktionsbeeinträchtigungen in Anspruch, beispielsweise in Form einer Verlängerung der Bearbeitungszeit oder technischer Modifikationen bei Prüfungen.

Behinderung

Begrifflichkeiten und Handlungsgrundsätze politisch reguliert

In diesem Sinne wird Behinderung als Phänomen, als etwas also, was «sich zeigt», im Kontext Schule als «schulische Behinderung» sichtbar. Da die verwendeten Begriffe und Kategorien sowie die zugehörigen Dienste und Handlungsgrundsätze durch die jeweils zuständigen politischen Instanzen festgelegt werden, gelten Begriffe, Kategorien, Dienste und Handlungsgrundsätze innerhalb der politisch-regulatorischen Grenzen von Schulsystemen. Gleiches gilt für die verfügbaren Ressourcen, die genauen Prozeduren für deren Vergabe sowie für die Prozeduren zur Zuweisung von «Förderorten». Je nachdem, auf welcher politischen Ebene ein Sachverhalt reguliert wird, kann er in der nächsten Gemeinde, im benachbarten Kanton, Bundesland oder eben im Nachbarstaat anders ausgestaltet sein. Begriffe, Kategorien, Dienste und Handlungsgrundsätze werden durch Wissenschaft und Öffentlichkeit kritisch hinterfragt, sie verändern sich über die Zeit, vermittelt über politische Prozesse, und sind damit stets Ausdruck des aktuellen Standes der Institutionalisierung schulischer Behinderung.

Begriffe bezeichnen schulspezifische Formen der Bearbeitung von Behinderung

Viele der aktuell gebräuchlichen Begriffe werden alltagssprachlich nicht oder nicht direkt mit Behinderung in Zusammenhang gebracht. Die Ausführungen von Hollenweger zur ICF (nachfolgender Beitrag) verdeutlichen aber, dass diese Begriffe schulsystemspezifische Formen der Bearbeitung von Behinderung und der Einflussnahme auf Funktionsfähigkeit und Performanz in der Schule im Sinn der ICF bezeichnen.

Bewertung und Prestige von Maßnahmen und Förderorten

Ferner wird deutlich, weshalb unterschiedliche Maßnahmen, Status und Förderorte sowohl von Betroffenen und deren Eltern als auch von wissenschaftlichen und politischen Akteuren sehr unterschiedlich bewertet werden. Eine wöchentliche psychomotorische Therapielektion oder individuell vereinbarte Nachteilsausgleiche für die Beeinträchtigung spezifischer Seh- oder Aufmerksamkeitsfunktionen sind sozial anders konnotiert und haben andere Folgen für Betroffene als beispielsweise der langjährige Besuch einer Klasse oder Schule für Jugendliche oder Kinder mit «Problemverhalten» (ausführlich: Tomlinson, 2017).

Schulische Behinderung ist anforderungsbasiert, kategorial und fluid

Systemspezifität von schulischen Behinderungsstatus

Schulsysteme weisen spezifische Anforderungsstrukturen, spezifische Hierarchien von Fähigkeiten und damit spezifische Person-Umwelt-Verhältnisse auf. Die Anforderungsstrukturen, Ziele und Förderstrategien von Pflichtschulsystemen sind im Kern auf schulisch relevante Formen der «Performanz» (ICF) hin orientiert. Aus diesem Grund haben moderne Pflichtschulsysteme spezifische Behinderungsstatus hervorgebracht. «Sonderpädagogischer Förderbedarf» oder «individuelle Lernziele» können Menschen nur in ihrer Rolle als Schülerin und Schüler zugeschrieben werden – nicht aber Verkehrsteilnehmenden, Frührentnerinnen oder Personen, die ein barrierefreies Hotelzimmer buchen möchten. Umgekehrt gelten viele junge Menschen als «Menschen mit Behinderung» im Sinne des Sozial- oder Antidiskriminierungsrechts, ohne jemals in Schulsystemen als sonderpädagogisch förderbedürftig klassifiziert zu werden. Die verbreitete Annahme, es existiere eine stabile, klar identifizierbare Gruppe von Menschen mit Behinderung und diese Menschen würden in Schulsystemen eben sonderpädagogisch gefördert oder hätten allesamt einen schulischen Behinderungsstatus, ist unzutreffend.

Elemente der Institution «schulische Behinderung»

Um die Besonderheiten des Verhältnisses von Schulsystemen und Behinderung verstehen zu können, ist es vielmehr notwendig, mit Powell (2013) von einer eigenständigen – was nicht bedeutet: von anderen Systemen völlig losgelösten – Institution schulischer Behinderung auszugehen. Die Institution der schulischen Behinderung ist gekennzeichnet und getragen durch spezifische politische Diskurse. Hieraus entstanden Rechtsetzungen wie Lehrpläne, Bedarfsfeststellungs- und Zuweisungsreglemente oder Promotionsverordnungen, durch spezifische Professionen und deren Interessen, spezifische Begrifflichkeiten, Überzeugungen, Organisationsformen, Maßnahmentypen, implizite und explizite Normalitätsvorstellungen, Klassifizierungssysteme und Kategorisierungsprozesse.

Im nachfolgenden Beitrag legt Hollenweger dar, dass die ICF Behinderung und Funktionsfähigkeit als situiertes Kontinuum versteht, und sie zeigt auf, wie Professionelle ein kontinuierliches Verständnis von Behinderung pädagogisch fruchtbar machen können. Ähnlich argumentiert Weisser (2010, S. 6, Hervorh. im Orig.), wenn er festhält, es handle sich im Falle von Situationen der Behinderung «um Fähigkeitskonflikte als Konflikte zwischen dem, was (für jemanden) gerade möglich [ist], und dem, was gerade gefordert wird». Mit anderen Worten: Fähigkeitskonflikte sind nicht durch Behinderungen (mit-)determiniert, sie sind Behinderung.

Realität schulischer Anforderungsstrukturen

Die Frage, wo genau denn nun Funktionsfähigkeit endet und Behinderung beginnt, lässt sich mithin nur vor dem Hintergrund je gegebener Umwelten beantworten. Deren implizite und explizite Anforderungsstrukturen, so der Soziologe Kastl (2010, S. 126), «müssen und können […] auf ihre soziale Bedeutung und Änderbarkeit hin befragt werden», sind jedoch «so real wie Kaffeemaschinen» (ebd.). Wer sich vergewissern möchte, wie real allein die expliziten Anforderungsstrukturen von Bildungssystemen sind, wird in der baulichen Struktur und der Infrastruktur von Schulgebäuden ebenso fündig wie in Lehrplänen, Lehrmitteln, Testverfahren, in Beschreibungen von Performanz- oder Kompetenzstandards für fachliche und überfachliche Fähigkeiten, in Beobachtungsinstrumenten zuhanden von Lehrpersonen oder in Schul- und Klassenregeln.

So wird zum Beispiel eine psychodiagnostische Kategorie wie «Lese-/Rechtschreibstörung» nur im Kontext eines Schulsystems relevant, das spezifische Anforderungen an die Fähigkeit des Lesens und Schreibens richtet und Ressourcen für deren Diagnose und Förderung zur Verfügung stellt. Diese Anforderungen sind in Lehrplänen recht genau festgeschrieben, werden regelmäßig erfasst und bewertet und können auch mittels Tests diagnostisch überprüft werden. Weicht die Performanz einer Schülerin in einem definierten Ausmaß von diesen Anforderungen ab, können Angehörige einer hierzu ermächtigten Profession (Schulpsychologie, Logopädie, Medizin oder Heil-/Sonderpädagogik) möglicherweise eine Lese-/Rechtschreibstörung diagnostizieren, einen entsprechenden besonderen Förderbedarf feststellen und damit bewirken, dass die Schülerin oder der Schüler von Fachpersonen gefördert wird. Verlässt die Schülerin aber das Schulzimmer und spielt mit Freunden im Wald, dann ist sie dabei in keiner Weise eingeschränkt oder behindert. Und wenn ihre schulische Performanz nicht mehr von Mindestanforderungen abweicht, dann endet grundsätzlich auch ihre besondere pädagogische Förderung in einem (hypothetischen) «Förderschwerpunkt Lesen und Schreiben».

Kategoriale Organisation von schulischen Behinderungsstatus

Das Beispiel zeigt noch ein weiteres Charakteristikum schulischer Behinderungsstatus auf: Sie sind fast immer kategorial organisiert. Selbst wenn Lehrpersonen Behinderung und Performanz als etwas Situiertes und Kontinuierliches verstehen, so erfordert die administrative Logik für die Feststellung besonderer Bedarfe doch in der Regel eine Transformation in eine Ja-nein-Entscheidung. Eine Schülerin «hat» nach einer vorgegebenen Bedarfsfeststellungsprozedur einen formellen Förderstatus oder Nachteilsausgleich – oder sie «hat» ihn eben nicht. Ist ihre Performanz im Lesen und Schreiben zwar deutlich beeinträchtigt, weicht aber gerade nicht so weit von Mindeststandards ab, wie dies für die Erlangung eines schulischen Behinderungsstatus erforderlich ist, dann bleibt es bei der «normalen» Förderung, es wird kein Nachteilsausgleich gewährt und so weiter.

Probleme von kategorialen Status

Kategoriale Behinderungsstatus sind Grundlage für die Sicherung individueller Anspruchsberechtigungen auf Unterstützung, Förderung oder Nachteilsausgleich und die damit verbundene Zuweisung von Ressourcen. Sie haben aber auch zahlreiche problematische Nebenwirkungen: Sie können zu einer Stigmatisierung gewisser Kinder und Jugendlicher führen, Erwartungen an deren Performanz absenken, eine Exklusionsdrift in Richtung segregierter Förderorte bewirken oder, wie das vorangehende Beispiel zeigt, auch dazu führen, dass durchaus sinnvolle und notwendige Förderungsmaßnahmen nicht gewährt werden.

Status auch innerhalb des Systems nicht permanent

Doch auch für kategorial verfasste schulische Behinderungsstatus trifft zu, was Barnartt (2010) als «Fluidität von Behinderung» kennzeichnet. Selbst wenn man in Rechnung stellt, Behinderung sei ein zwar relationaler, aber letztlich an Personen innerhalb ihrer jeweiligen Umwelt gebundener Status – die Rede von «Menschen mit Behinderung» legt dies ebenso nahe wie fast alle schulisch-administrativen Behinderungskategorien –, so wäre es doch irreführend, solche Status als grundsätzlich permanente zu verstehen, erst recht innerhalb einer Umwelt, wie sie die Schulsysteme darstellen. Es gehört zum Kernprogramm der Schule, menschliche Fähigkeiten und Performanz als fluid und veränderbar zu betrachten und so umfassend wie möglich zu fördern, wenn nötig auch durch kompensatorische Maßnahmen, Hilfsmittel oder die Variation von Anforderungen. → Siehe Beitrag von Luder und Kunz. Verbessert sich die schulspezifische «Performanz» (ICF) von Schülerinnen und Schülern, weil barrieren- oder individuell-funktionsbezogene Interventionen, auch und gerade jene, die durch kategoriale Bedarfsstatus ausgelöst werden, genau das bewirken, was sie ihrem Anspruch nach bewirken sollen, dann kann die Grundlage für die Zuschreibung schulischer Behinderungsstatus entfallen. Treten Jugendliche mit dem Ende des Pflichtschulalters aus dem Schulsystem aus, dann enden schulspezifische Behinderungsstatus ohnehin.

Schulische Behinderung kann nach wie vor Exklusion legitimieren

Auf schulische Anforderungsstrukturen und deren hohes Maß an öffentlicher und politischer Legitimität ist ein Phänomen zurückzuführen, das gleichsam auf die Schattenseite der Institution der schulischen Behinderung verweist: anhaltende Exklusion. Denn nicht nur Anforderungsstrukturen, Ziele und Förderstrategien von Pflichtschulsystemen sind im Kern performanz- und fähigkeitsbasiert, sondern auch die formalen In- und Exklusionsregeln ihrer Organisationen.

UN-BRK: «Gleichberechtigt mit anderen»

Behinderung ist in allen gängigen, rechtlich relevanten Listen von Diskriminierungsmerkmalen aufgeführt, mittels deren Diskriminierung in Bildungssystemen reduziert werden soll. So hat die Schweiz 2014 das Übereinkommen der UNO über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (kurz: UN-BRK) ratifiziert, einen verbindlichen Völkerrechtspakt, dessen Vertragsstaaten mit der Ratifizierung konkrete Verpflichtungen eingegangen sind (ausführlich: Bielefeldt, 2011; Degener, 2009; Kälin et al., 2008). Zu diesen Verpflichtungen gehören die in Pädagogik und Bildungspolitik intensiv diskutierten Verpflichtungen in Artikel 24, ein «inclusive education system at all levels» ebenso sicherzustellen wie den Zugang aller Schülerinnen und Schüler mit Behinderung zu «inclusive, quality and free primary education and secondary education on an equal basis with others in the communities in which they live» – gleichberechtigt mit anderen, in der Gemeinde, in der sie leben.

Für Schulsysteme, die auf das Vorliegen eines schulischen Behinderungsstatus über Jahrzehnte fast automatisch mit Exklusion in Sonderschulen und Sonderklassen reagiert hatten, brachte die UN-BRK einen deutlichen Veränderungsdruck. Sonderschulen, erwartete die Juristin Degener im Jahr 2009, würden «durch die BRK zwar nicht kategorisch verboten, die systematische Aussonderung behinderter Personen aus dem allgemeinen Bildungssystem stellt allerdings eine Vertragsverletzung dar» (Degener, 2009, S. 216 f.).

Sonderstellung der Differenzdimension «schulische Behinderung »

Doch kommt trotz der UN-BRK auch in Staaten wie der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein und Österreich Kategorien schulischer Behinderung nach wie vor eine einzigartige Stellung zu. Obgleich eine nahezu automatische Exklusion allein wegen des Vorliegens eines schulischen Behinderungsstatus der Vergangenheit angehört, kann Kindern und Jugendlichen nach wie vor ausschließlich unter Rückgriff auf a) spezifische diagnostizierte Performanzdefizite oder b) spezifische Bedürfnisse und Bedarfe, von denen angenommen wird, dass ihnen nur an besonderen Förderorten entsprochen werden kann, der Zugang zu öffentlichen Regelschulen und Regelklassen verwehrt werden. Dies auch dann, wenn an Förderorten Kinder mit externalisierend-aggressivem Verhalten zusammengeführt werden; möglicherweise wird dann eine ungünstigere Entwicklung der Fähigkeiten und Lebenschancen des betroffenen Kindes oder Jugendlichen in Kauf genommen.

Verlagerung von Exklusionsbegründungen auf Performanzdefizite und Fördersemantik

Unter explizitem Rückgriff auf ein Merkmal wie die soziale Herkunft eines Kindes oder Jugendlichen wäre die Begründung eines solchen Ausschlusses offen diskriminierend und damit eindeutig rechtswidrig. Pfahl konstatiert daher eine Verlagerungstendenz: Ehemals ständisch organisierte Bildungssysteme nehmen heute oftmals den Umweg über die Zuschreibung von Performanz- beziehungsweise Kompetenzdefiziten und das Versprechen einer «individuellen Förderung», um Formen der Segregation von Kindern und Jugendlichen entlang sozialer Herkunft zu legitimieren (Pfahl, 2010, S. 1 f.).

 

Literatur

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Weisser, J. (2010). Sozialraumorientierung und Situationen der Behinderung. Über die sozialräumliche Strukturierung von Abhängigkeitsbeziehungen. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, (1), 4–10. doi:10.2378/vhn2010.art01d.

ICF als gemeinsame konzeptuelle Grundlage

Judith Hollenweger

Von einer Behinderung betroffene Kinder und Jugendliche erfahren in der Schule oft eine fehlende Passung zwischen Anforderungen und ihren eigenen Handlungsmöglichkeiten. Behinderung bedeutet immer sowohl «behindert sein» als auch «behindert werden». Traditionelle Behinderungskategorien suggerieren hingegen unveränderliche Eigenschaften und entziehen sich somit einer situativen Analyse. Die «Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit» (International Classification of Functioning, Disability and Health, ICF) bietet die Grundlage für ein neues, adäquateres Verständnis. Die ICF und die Version für Kinder und Jugendliche (ICF-CY) basieren auf einem bio-psycho-sozialen Verständnis: sie analysieren Behinderungen also nicht nur als Probleme des Körpers, sondern auch als Probleme der Aktivitäten einer Person und des Einbezogenseins in Lebenssituationen. Die ICF sieht diese drei Aspekte der Funktionsfähigkeit in Abhängigkeit von Umweltfaktoren und von personbezogenen Faktoren. Das Modell und die Klassifikation der ICF sollen im Folgenden vorgestellt und anhand von Beispielen ausgeführt werden. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei einem besseren Verständnis des Zusammenwirkens dieser Komponenten in spezifischen Situationen gegeben. Auf dieser Grundlage gelingt es besser, die Lebenssituation der betroffenen Kinder oder Jugendlichen zu verstehen und die schulischen Anforderungssituationen anzupassen. Dies ist Voraussetzung dafür, dass Kinder mit Behinderungen am Lernen und Zusammenleben in der Schule partizipieren können.

«Behinderung» neu denken

Unterricht ist dann gut, wenn alle daran beteiligten Kinder für ihre Entwicklung und Bildung optimal profitieren können. Eine Schule für alle ist eine Schule, in der alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam leben und lernen. Dabei sind der Lehrplan, die Lehrmittel, Aufgaben und Unterrichtsmaterialien wichtige Orientierungspunkte. Bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen können hier allerdings Schwierigkeiten auftreten, weil sie erwartete Voraussetzungen nicht mitbringen oder unerwartete Bedürfnisse beim Lernen und Interagieren haben. Wie können Lehrerinnen und Lehrer Unterrichtssituationen planen und gestalten, Hilfen bereitstellen, Ziele festlegen und überprüfen, sodass alle Schülerinnen und Schüler angesprochen und herausgefordert sind und von den geschaffenen Lerngelegenheiten profitieren können? Dies erfordert hohe Professionalität, deren Grundlagen im Studium erworben werden und die sich im Verlaufe der beruflichen Tätigkeit weiterentwickelt. Erforderlich ist auch ein tragendes Netzwerk verschiedener Fachleute, auf das sich Regellehrpersonen abstützen können.

Traditionelle Behinderungsbegriffe sind wenig hilfreich

Was können Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Schulzeit? Was nehmen sie mit an Wissen, Kenntnissen und Erfahrungen, wie viel Selbstvertrauen und Freude am Lernen oder Interesse an Neuem haben sie? Damit Lehrpersonen allen Schülerinnen und Schülern ein adäquates Lernangebot machen können, schätzen sie laufend die Voraussetzungen, die gegenwärtige Situation sowie das Potenzial der einzelnen Kinder und Jugendlichen ein. Doch was ist, wenn ein Kind eine Behinderung hat? Behinderungen schaffen Unsicherheit für alle direkt oder indirekt Betroffenen, weil damit andere Lernvoraussetzungen, besondere Anforderungen an Lernsettings, ungewohnte Interaktionsformen sowie Ungewissheit des Bildungserfolgs verbunden sind. Diese Unsicherheit kann nur reduziert werden, wenn Lehrpersonen ein besseres Verständnis der Situation des Kindes gewinnen – als Grundlage für ihr eigenes Handeln. Traditionelle Behinderungsbegriffe wie geistige Behinderung, Lernbehinderung, Körperbehinderung oder ähnliche Konzepte sind wenig hilfreich, denn sie fokussieren nur auf das, was eine Lehrperson meist nicht ändern kann. Doch auch im schulischen Kontext verwenden immer noch viele Fachpersonen ausschließlich Begriffe wie Down-Syndrom, geistige Behinderung, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Verhaltensstörung, Lernbehinderung oder Autismus, wenn es darum geht, Schwierigkeiten zu erklären. Mit der Bestimmung einer Störung glaubt man zu wissen, was das Kind hat, was dem Kind fehlt und wie man ihm helfen kann. Oft bewirken solche Feststellungen genau das Gegenteil: Lehrpersonen fühlen sich hilflos, weil sie aus solchen Diagnosen keine Informationen ziehen können, die ihnen neue Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Komplexe Schwierigkeiten werden auf eine oft nicht einmal klar definierbare Eigenschaft des Kindes reduziert; problematische Situationen und Probleme zwischen Menschen werden zu einem Problem des Kindes gemacht.

Wichtige Informationen für Planung, Durchführung und Auswertung von Unterricht

Alle wirklich wichtigen Informationen betreffend Planung, Durchführung und Auswertung von Unterricht sind in diesen Begriffen nicht mehr sichtbar: Welche Aufgaben kann das Kind bewältigen, respektive wie müssen diese angepasst werden, damit das Kind sie bewältigen kann? Mit welchen Lehr-Lern-Settings kann es sich am besten am Unterricht beteiligen? Wie lassen sich Ziele setzen und deren Erreichung beurteilen, respektive wie können Rückmeldungen zu Lernen, Leistungen und Entwicklung gegeben werden? Was kann beispielsweise Sarah besonders gut? Wie kann Tobias motiviert werden? Wo brauchen die von einer Behinderung betroffenen Kinder Unterstützung, und wo müssen sie herausgefordert werden? Wann lernen sie besser allein als mit der Hilfe von Klassenkameraden? Wie erklärt die Lehrerin der Klasse, weshalb Ivana beim Schreiben einer Prüfung mehr Zeit erhält? Hinter Diagnosen verschwindet fast alles, was Lehrpersonen über Kinder mit Behinderungen wissen müssen.

Damit Lehrpersonen sich gegenüber Kindern mit Behinderungen als wirksam erleben, müssen sie einen neuen Zugang zum Verstehen der Situation betroffener Kinder entwickeln. Krankheiten und Störungen (Diabetes, Autismus, Down-Syndrom) zu heilen oder zu behandeln, gehört nicht zum Berufsauftrag von Lehrpersonen. In manchen Fällen ist es zwar wichtig zu wissen, dass eine Krankheit vorliegt, weil bestimmte Verhaltensweisen oder Bedürfnisse damit zusammenhängen können. Wichtig ist insbesondere ein gutes Verständnis dessen, wie sich eine Schädigung oder Krankheit auf die Beteiligung am Unterricht und am Schulleben auswirkt. Für die Handlungsfähigkeit von Lehrpersonen ist es indessen vor allem wichtig zu verstehen, was an Behinderungen tatsächlich nicht beeinflusst und was durch Lehr-Lern-Prozesse verändert werden kann.

Wie können Lehrpersonen Behinderungen so verstehen, dass sich Handlungsmöglichkeiten eröffnen statt verschließen? Wie Behinderung in diesem Sinne neu gedacht werden kann und was das für Lehrpersonen und ihre Arbeit bedeutet, ist Gegenstand dieses Beitrags. Behinderungen sind Einschränkungen oder Besonderheiten, die beim Ausführen von Handlungen, beim Bewältigen von Situationen oder beim Problemlösen und Lernen wirksam werden. Behinderungen sind keine fixen Eigenschaften von Personen, sondern das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels zwischen Charakteristiken einer Person und ihrer Umwelt. Behinderungen sind situativ zu verstehen; sie werden immer in ganz bestimmten Situationen sichtbar, wenn etwa bestimmte Anforderungen an das betroffene Kind gestellt werden. Das Planen und das Gestalten von Situationen sind Kernaufgaben von Lehrpersonen, und sehr oft sind sie auch direkt an Lernsituationen mitbeteiligt. Genau hier müssen die Informationen zu allfälligen Behinderungen einfließen können.

ICF – International Classification of Functioning, Disability and Health Behinderung

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2001 zur besseren Erfassung von Behinderungen eine neue Klassifikation verabschiedet und allen ihren Mitgliedsländern zur Anwendung empfohlen. Die «Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit» (International Classification of Functioning, Disability and Health, ICF) und deren Version für Kinder und Jugendliche (Children and Youth Version, ICF-CY, WHO, 2011) bauen auf einem neuen Verständnis von Behinderung auf. Die ICF bringt Ordnung in die bisherigen Behinderungsbegriffe und ermöglicht, für alle Fachpersonen und Betroffenen eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Sie trennt Krankheiten und andere Gesundheitsprobleme von den Komponenten der Funktionsfähigkeit. Gesundheitsprobleme werden mit der «Internationalen Klassifikation der Krankheiten» (International Classification of Diseases, ICD) separat erfasst, wobei die ICD vor allem in medizinischen Arbeitskontexten verwendet wird. Mit der ICF können Probleme auf der Ebene des Körpers, der Handlungsfähigkeit der Person und der Beteiligung an Situationen unterschieden werden. Immer mitgedacht werden die Kontextfaktoren, sowohl seitens der Umwelt (Umweltfaktoren) als auch seitens der beteiligten Personen (personbezogene Faktoren). Damit liegen die Grundlagen vor für ein besseres Verständnis der Situation eines Kindes mit Behinderungen. Im Folgenden sollen die wichtigsten Eigenschaften der ICF, ihre Bedeutung für ein neues Verständnis von Behinderungen in der Schule und für die Handlungsmöglichkeiten von Lehrpersonen dargestellt werden.

Philosophie und Modell der ICF

Die ICF baut auf einem bio-psychosozialen Verständnis von Behinderung auf

ICF und ICF-CY basieren auf einem bio-psycho-sozialen Verständnis von Behinderung. Damit wird deutlich gemacht, dass Behinderungen nicht einfach auf eine Störung oder ein körperliches Problem reduziert werden können. Behinderungen müssen unter der Perspektive des Körpers (z. B. Funktionen des Hörens), der Aktivitäten des Individuums (z. B. Fähigkeit, gesprochene Sprache zu verstehen) und der Beteiligung an sozialen Situationen (z. B. im Klassenzimmer dem Unterrichtsgeschehen folgen) betrachtet werden. «Behinderung» wird also nicht mit einer vorliegenden Schädigung der Körperfunktionen (Sehfunktionen) oder der Körperstrukturen (Retina) gleichgesetzt, auch die Fähigkeiten der Person (zuschauen, lesen) und ihre Beteiligung an verschiedenen Lebenssituationen (Schulweg bewältigen, sich am Unterricht beteiligen) werden berücksichtigt. Das ist besonders wichtig, wenn es darum geht, Schwierigkeiten bei der Beteiligung in der Schule zu verstehen; denn nicht alle Schwierigkeiten ergeben sich zwingend aus einer bestimmten Schädigung.

ABBILDUNG 1: Modell der ICF und der ICF-CY (nach WHO, 2011)

Das Modell der ICF (siehe Abbildung 1) berücksichtigt dieses bio-psychosoziale Verständnis, indem es Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Partizipation als drei getrennte, aber zueinander in Beziehung stehende Konstrukte definiert. → Siehe Beitrag von Felkendorff und Luder. Sie alle können von einem vorliegenden Gesundheitsproblem, aber auch von den Kontextfaktoren (Umweltfaktoren, personbezogene Faktoren) beeinflusst werden und umgekehrt. Mit Gesundheitsproblem sind Krankheiten oder Störungen gemeint, wie sie in der internationalen Klassifikation der Krankheiten erfasst werden. Down-Syndrom, Autismus oder Zerebralparese werden als solche Gesundheitsprobleme verstanden. Umweltfaktoren sind äußere Einflüsse, während personbezogene Faktoren als der betroffenen Person immanent oder zugehörig verstanden werden, wie etwa das Alter oder das Geschlecht (vgl. ICF, Kapitel 3 und 6). Der Begriff «Behinderung» selbst taucht im Modell nicht auf, weil Behinderung als das Ergebnis dieser komplexen Interaktion verstanden wird.

Kontinuum zwischen Funktionsfähigkeit und Behinderung

In der ICF wird Funktionsfähigkeit und Behinderung als Kontinuum verstanden, auf dem alle Menschen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben befinden. Alle Menschen erleben Gesundheitsprobleme, und wer lange genug lebt, wird früher oder später mit Einschränkungen der Funktionsfähigkeit konfrontiert. Deshalb ist die Sprache der ICF universell, sie beschreibt Dimensionen der Funktionsfähigkeit, die für alle Menschen relevant sind. Wenn sich alle auf einem Kontinuum zwischen Funktionsfähigkeit und Behinderung verorten können, gibt es auch keine eindeutige Trennung zwischen behindert und nicht behindert. Ist ein Kind extrem introvertiert, oder ist es autistisch? Ist es expansiv und dominant, oder ist es aggressiv und verhaltensgestört? Ist es verträumt und mehr an Fußball statt an Mathematik interessiert, oder ist es lernbehindert? Ist es einfach schlecht in der Rechtschreibung, oder hat es eine Lese-/Rechtschreibstörung? Entscheidungen in die eine oder andere Richtung werden nach bestimmten Kriterien und mit bestimmten Absichten getroffen, diese können auch von Fachperson zu Fachperson unterschiedlich sein.

ICF als universelle Sprache zur Unterstützung der interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Förderplanung

Die universelle Sprache der ICF erleichtert die interdisziplinäre Zusammenarbeit, weil sie nicht ausschließlich auf medizinische, psychologische oder soziale Probleme fokussiert, sondern diese in einer gemeinsamen Systematik erfasst. Augenärztin, Regellehrperson und schulische Heilpädagogin haben je eine spezifische Sicht auf die Situation des Kindes und konzentrieren sich auf diejenigen Aspekte der Behinderung, die primär mit ihrem Wissen und ihren Aufgaben in Zusammenhang stehen. Wenn sie sich auf die ICF und die ICF-CY als gemeinsame Sprache verständigen, können sie ihre Beobachtungen und Überlegungen gemeinsam verorten und integrieren. Nicht nur für eine umfassendere und differenziertere Beschreibung von Behinderungen ist das bio-psychosoziale Modell der ICF hilfreich, sondern auch für das Planen von Maßnahmen. Die Handlungsmöglichkeiten der verschiedenen Fachpersonen sowie der Eltern und des Kindes können so bei der Umsetzung von gemeinsam vereinbarten Zielen koordiniert werden.

Partizipation

Für das Handeln von Lehrpersonen besonders wichtig ist, dass die ICF nicht die Eigenschaften von Personen ins Zentrum stellt, sondern die Lebenssituationen, in denen Menschen sich befinden. Dadurch wird eine Perspektive gewählt, die Lehrpersonen Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Niemand kann die Eigenschaften einer anderen Person ändern, aber auf Situationen haben alle Beteiligten einen Einfluss. Durch die Veränderung unseres Handelns können wir Situationen verändern und die Umwelt so gestalten, dass Lernen unterstützt und gefördert wird. Das Konstrukt der Partizipation ist deshalb für Lehrpersonen zentral. Je besser Lehrpersonen verstehen, welche Faktoren die Partizipation in der jeweiligen Situation wie beeinflussen, desto eher werden sie den Unterricht optimal gestalten können. Statt sich auf nicht veränderbare Schädigungen, bestimmte Eigenschaften oder Dispositionen zu konzentrieren, wird der Blick auf das gelenkt, was verändert werden kann. Im Folgenden sollen die Grundlagen dargestellt werden, die Lehrpersonen helfen, ihre Handlungsmöglichkeiten in konkreten Situationen vor dem Hintergrund von vorhandenen Behinderungen auszuloten und optimal zu nutzen.

Funktionsfähigkeit und Behinderung

ICF: Umweltfaktoren beeinflussen die Partizipation und Aktivitätsmöglichkeiten von Menschen

Wie bereits erwähnt, erleben alle Menschen während ihres Lebens vorübergehende oder anhaltende Beeinträchtigungen ihrer Fähigkeit, an einem guten Leben teilzuhaben. Manchmal stehen Beziehungsprobleme im Vordergrund, manchmal fehlen die notwendigen Ressourcen, manchmal ist man krank, und manchmal ist man einfach müde und niedergeschlagen. Probleme gehören zum Leben, und wir alle müssen damit leben; Schülerinnen und Schülern geht es nicht anders. Oft stehen schwierige Lebenssituationen nicht im Zusammenhang mit Gesundheitsproblemen, sondern mit Krisen in der Familie, mit kritischen Lebensereignissen oder Problemen im schulischen Alltag. Verfügt ein Kind nicht über die erwarteten Kompetenzen, sollte zuerst gefragt werden, ob es genügend Gelegenheiten gehabt hatte, diese zu erwerben. Erst wenn mangelnde Gelegenheiten und andere Ursachen ausgeschlossen werden können, kann eine Behinderung in Betracht gezogen werden. Einige Kinder und Jugendliche sind aufgrund ihrer Lebenssituation oder kritischer Lebensereignisse, aufgrund ihrer Prädisposition oder eines Gesundheitsproblems besonders vulnerabel. Lange andauernde Einschränkungen der Funktionsfähigkeit können zu Behinderungen führen, dabei wirken alle Faktoren, die im ICF-Modell dargestellt sind, zusammen (siehe Abbildung 1). Um diese Dynamik zu verstehen, ist es wichtig, die verschiedenen Dimensionen von Funktionsfähigkeit und Behinderung zu kennen. Auf sie soll in diesem Abschnitt näher eingegangen werden.

Komponenten von Funktionsfähigkeit und Behinderung

Die Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung (Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Partizipation) stehen in einem komplexen Wechselspiel untereinander. Der Selbstorganisation und -regulation des Individuums kommt dabei eine hohe Bedeutung zu; die Beziehungen zwischen den Komponenten sind vielfältig. Mit der ICF werden komplexe Verursachungskonstellationen nicht einseitig auf Krankheiten reduziert, sondern in ihrer bio-psycho-sozialen Mehrdimensionalität erkundet. Die Komponente des Körpers besteht aus zwei Klassifikationen; eine erfasst die Funktionen der Körpersysteme und eine deren Strukturen: «Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersystemen (einschließlich psychologischer Funktionen)»; «Körperstrukturen sind anatomische Teile des Körpers wie Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile» (WHO, 2011, S. 34). Mit dem Begriff «Schädigung» wird die Beeinträchtigung einer Körperfunktion oder -struktur bezeichnet. Die Komponente der Aktivitäten und Partizipation umfasst alle Lebensbereiche, welche die verschiedenen Aspekte der Funktionsfähigkeit aus individueller respektive gesellschaftlicher Perspektive beschreiben: «Eine Aktivität ist die Durchführung einer Aufgabe oder einer Handlung (Aktion) durch einen Menschen.» «Partizipation [Teilhabe] ist das Einbezogensein in eine Lebenssituation.» «Beeinträchtigungen der Aktivität sind Schwierigkeiten, die ein Mensch haben kann, die Aktivität durchzuführen.» «Eine Beeinträchtigung der Partizipation [Teilhabe] ist ein Problem, das ein Mensch im Hinblick auf sein Einbezogensein in Lebenssituationen erleben kann.» (ebd.)

1. Mentale Funktionen

2. Sinnesfunktionen und Schmerz

3. Stimm- und Sprechfunktionen

4. Funktionen des kardiovaskulären, hämatologischen Immun- und Atmungssystems

5. Funktionen des Verdauungs-, des Stoffwechsel- und des endokrinen Systems

6. Funktionen des Urogenital- und des reproduktiven Systems

7. Neuromuskuloskeletale und bewegungsbezogene Funktionen

8. Funktionen der Haut und der Hautanhangsgebilde

ABBILDUNG 2: Kapitelüberschriften zur Klassifikation der Körperfunktionen

ICF: Körperfunktionen

ICF: Körperstrukturen

ICF: Aktivitäten und Partizipation

Die ICF unterteilt innere Bedingungen und Einflussfaktoren entlang von Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und personbezogenen Faktoren; äußere Bedingungen dagegen entlang von Umweltfaktoren. Dabei nicht erfasst werden die subjektiven Empfindungen, Wünsche und Interpretationen der betroffenen Person, die das Erleben dieses Einbezogenseins beeinflussen. Partizipation ist abhängig von inneren und äußeren Bedingungen und ihrem Wechselspiel; auf diese Zusammenhänge wird unten näher eingegangen. Die Körperfunktionen werden wie in Abbildung 2 dargestellt unterteilt. Die Körperstrukturen orientieren sich an den gleichen Körpersystemen. Die ICF unterscheidet zwischen Aktivitäten und Partizipation, um den Unterschied zwischen den individuellen Leistungsfähigkeiten oder Kompetenzen und der in der aktuellen Umwelt gezeigten Leistung oder Performanz zu unterscheiden. Sie werden jedoch entlang der gleichen neun Lebensbereiche erfasst (siehe Abbildung 3). «Erziehung/Bildung» ist einer der drei «bedeutenden Lebensbereiche» (neben «Arbeit und Beschäftigung» sowie «Wirtschaftliches Leben»), die im achten Kapitel zusammengefasst dargestellt werden.

1. Lernen und Wissensanwendung

2. Allgemeine Aufgaben und Anforderungen

3. Kommunikation

4. Mobilität

5. Selbstversorgung

6. Häusliches Leben

7. Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen

8. Bedeutende Lebensbereiche

9. Gemeinschaft, soziales und staatsbürgerliches Leben

ABBILDUNG 3: Kapitelüberschriften zur Klassifikation der Aktivitäten und Partizipation

Partizipationsbeeinträchtigungen sind im schulischen Kontext zentral, denn dort setzt der Auftrag der Schule an. Die Schule stellt nicht eingeschränkte Funktionsfähigkeiten wieder her, sondern sie erweitert die Partizipationsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler und entwickelt sie weiter. Lehrerinnen und Lehrer sind Fachpersonen für das Lernen und Lehren, also für die Veränderung von Verhaltensweisen und die Erweiterung der Fähigkeiten zur kompetenten Bewältigung unterschiedlichster Situationen. Gesundheitsprobleme können die Partizipationsmöglichkeiten beeinträchtigen. Deshalb ist es wichtig, dass Lehrpersonen auch die mit Krankheiten verbundenen Einschränkungen der Körperfunktionen kennen. Hier braucht es jedoch weniger ein systematisches Wissen zu allen möglichen Problemen als vielmehr spezifische Kenntnisse bezüglich konkret betroffener Schülerinnen und Schüler. Wichtig ist es für Lehrpersonen, den Einfluss von Problemen auf der Ebene von Körperfunktionen in den verschiedenen Situationen, an denen das betroffene Kind sich beteiligt, nicht zu über- oder unterschätzen. Denn auch Kinder mit einer Sinnes- oder körperlichen Beeinträchtigung können hochbegabt sein, und wer schlecht und langsam spricht, muss deswegen nicht in seiner kognitiven Funktionsfähigkeit eingeschränkt sein. Andererseits können bereits leichte Hörschädigungen im Klassenverband dazu führen, dass betroffene Kinder ohne entsprechende Maßnahmen dem Unterricht nicht folgen können.

Wie das Wechselspiel zwischen Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Partizipation im Einzelfall genau zu verstehen ist, kann oft nicht eindeutig festgestellt werden. Auffälliges Verhalten kann durch biologische Faktoren ausgelöst werden, es kann aber auch das Ergebnis einer über längere Zeit erfahrenen Einschränkung der Partizipation sein. Verschiedene Fachleute, die Eltern und das Kind können das auch unterschiedlich einschätzen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass alle Beteiligten sich hierzu austauschen und verschiedene Hypothesen in Betracht ziehen; dabei kann das ICF-Modell als gemeinsame Grundlage dienen. Es muss allerdings sichergestellt werden, dass das für die Interpretation und das Verstehen notwendige Wissen tatsächlich verfügbar ist. Was etwa eine Gehörlosigkeit für die Funktionsfähigkeit – und insbesondere für die Beteiligung am Unterricht – bedeutet, kann eine Regellehrperson in den meisten Fällen nicht abschließend einschätzen.

Kontext mitdenken: Umweltfaktoren und personbezogene Faktoren

ICF: Personbezogene Faktoren