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Schon bei seiner Ankunft im Hotel Inselfrieden hat Lennart kein gutes Gefühl. Nicht nur liegt es einsam auf einer verlassenen Insel, es geschehen bizarre Dinge und der Concierge scheint es als seine Aufgabe zu sehen die Gäste nacheinander ins Jenseits zu befördern. Nun muss Lennart gemeinsam mit seiner einzigen Verbündeten Susanne einen Weg finden, um dem Hotel zu entkommen.
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Seitenzahl: 373
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Bleierne Müdigkeit rief ein Frösteln hervor, das ihm einen Schauer über den Rücken und hinten an den Beinen hinab jagte. Unwillkürlich umklammerte er seine lederne Aktentasche fester und riss die Augen auf. Wäre er glatt eingenickt, wenn der Minibus nicht mit einem Ruck vor dem Hoteleingang gehalten hätte. Lennart blinzelte durchs Fenster. Es dauerte einen Moment, bis er das, was er sah, auch wahrnahm und sich wunderte. Die Palmen und Rosenbüsche, die den Eingang zierten, wirkten computergemacht, wie aus Plastik. Sämtliche Blüten schauten der Sonne entgegen. Keine verwelkten waren darunter, kein gelbes oder braunes Blatt; kein einziges bewegte sich.
Die dunkel getönten Fensterfronten des Empfangsgebäudes schluckten das Licht. Rund um das einstöckige Haupthaus verlief unterhalb des Daches eine Stuckatur aus nach unten weisenden Dreiecken. Weiß hoben sie sich wie Zähne vom dunkelroten Mauerwerk ab. Auf der leicht schrägen Dachfläche funkelte Fotovoltaik; ein Zugeständnis an den Umweltschutz, den die Gäste, die viele tausend Kilometer mit Fliegern, Schiffen, Autos und Booten anreisten, selbstverständlich forderten. Irrsinn, dachte Lennart und spürte dabei eine gewaltige Welle schlechter Laune in sich hochkochen. Wasch mich, aber mach mich nicht nass, dieses Motto kam dem Tourismus heutzutage am nächsten und solche Leute konnte er nicht einmal verknusen, wenn er nicht übermüdet und von der langen Anreise verschwitzt in einem stickigen Bus hockte.
Der Mann, der die Gäste mit dem Boot von der Hauptinsel zu diesem kleinen Eiland geholt und im Minibus hergefahren hatte, stand von seinem Platz auf und drehte sich zu den Passagieren um. Er legte die Hände auf die vorderste Sitzlehne und verzog die Lippen zu einer Grimasse, die er als Lächeln hätte deuten können, wenn Lennart nicht so erledigt gewesen wäre. Die dunkelrote Uniform des Hotelangestellten gefiel ihm überhaupt nicht, die goldenen Knöpfe und flatternden Kordeln fand er lächerlich. Der Mann hätte mit diesem Outfit im Zirkus als Requisiteur arbeiten können. Nur passte zu jemandem, der in einer Zirkushierarchie ganz unten stand, nicht dieser überhebliche, herablassende, arrogante Gesichtsausdruck. Lennart mochte es nicht, wie dieser Kerl die Gäste der Reihe nach musterte und die ältere Dame, die ihm am nächsten saß, fragte: „Wie finden Sie es, Madame?“
Die Frau wandte ihm das faltige Gesicht zu. Ihre dunkelbraune Dauerwellenfrisur saß kurz über den Ohren und war von der langen Anreise zerknautscht. Die weiße Stoffhose und die bunte Bluse konnten trotz aller Farbenpracht nicht über ihre Müdigkeit hinwegtäuschen. Ihre runden Augen blickten ins Leere. Sie hatte entschieden, ob sie antworten oder weiter sinnieren wollte: „Hinreißend.“
Lennart spürte seine linke Augenbraue nach oben zucken. Offenbar hatte der Alten die lange Anreise nicht gut getan. Ehe sein Gesicht diese unfreundlichen Gedanken verriet, guckte er wieder aus dem Fenster, hin zu der Mauer, die das Hotelgelände zur nordwestlichen Seite begrenzte. Sechs schmiedeeiserne Tore waren in die Mauer eingelassen, was die gesamte Erscheinung auflockerte und dem Flair das gefängnisartige nahm. Dichtes Grün wucherte über die Mauer und schwer mit Blüten beladene Rosentriebe baumelten auf die Außenseite. Von Innen, überlegte Lennart, war die Mauer wegen der üppigen Bepflanzung wohl kaum zu erkennen.
„Kommen Sie“, winkte der Mann vom Hotel. „Steigen Sie aus, meine Damen und Herren. Lassen Sie die beste Zeit Ihres Lebens beginnen, eine Zeit, in der Sie vollkommene Glückseligkeit erleben werden. Kümmern Sie sich nicht ums Gepäck, das wird Ihnen gleich gebracht.“ Als wäre die Choreografie lange einstudiert, erhoben sich die Gäste einer nach dem anderen. Sie standen vom Sitzplatz auf, traten in den Mittelgang und verließen den Kleinbus mit dem linken Fuß voran. Kein Wort wurde gesprochen, niemand drängelte oder schimpfte über die Unvernunft der anderen, niemand suchte verloren geglaubtes Gepäck zusammen. Nichts, was Lennart vertraut vorgekommen wäre. Selbst das obligatorische Gejammer über die Hitze, die einen wie mit einer Keule niederknüppelte, und das schlechte Essen im Flieger fehlte. Obwohl er nach tausend langen Anreisen aus ebenso vielen Bussen gestiegen war, kam ihm diese Situation überhaupt nicht bekannt vor. In seinem Magen begann es zu ziehen. Er schob sein Unwohlsein auf die Müdigkeit, nahm seine Ledertasche vor die Brust und stieg als Letzter aus. „Ference“, las er auf dem Namensschild des Angestellten mit dem zementierten Lächeln. Keineswegs freundlich, wie Lennart fand, bestenfalls höflich. Tiefe dunkle Augen, leblos wie die Palmen, die sich nicht rührten. Leblos wie die Blätter der Rosen in der stockenden Luft. Lennart ging einen Schritt vom Minibus weg und wunderte sich.
„Haben Sie ein Problem, Sir?“, sprach ihn Ference an und Lennart drehte sich zu ihm, die Augen zu einer stummen Gegenfrage weit geöffnet. Ference legte die Finger vor der Brust aneinander. „Als Concierge ist es meine Aufgabe, die Sorgen meiner Gäste zu eliminieren, Sir.“ Ein Schatten legte sich über die ohnehin dunklen Augen. „Sie wirken“, sagte der Concierge leise, „als gehörten Sie nicht hierher. Steht Ihnen der Sinn nicht nach Ruhe, Erholung, gutem Essen? Oder möchten Sie lesen, sich sportlich betätigen, den Gedanken nachhängen? Sir?“
Urlaub, Ruhe, Entspannung? Lennart spürte jeden Muskel im Rücken, ein Hungerloch im Bauch und bleischwere Gewichte, die seine Augendeckel nach unten zwangen. „Ich würde mich tatsächlich gern ausruhen. Die Anreise war lang und ermüdend.“ Diese immense Hitze ließ ihn schwer atmen. Wie eine Decke legte sie sich um seine Schultern und drückte ihn nieder. Er fühlte sich, als würde er keine Luft bekommen. Er schob einen Finger zwischen Hals und Krawatte, obwohl er diese Geste, wenn er sie bei anderen sah, zutiefst verabscheute.
„Außerdem, Sir?“
„Nur das Wetter.“ Lennart drehte sich halb um sich selbst, ohne mit dieser Bewegung wenigstens einen leisen Luftzug zu erzeugen. „Mich irritiert die Windstille.“
„Ah.“ Ference guckte ihn aus leicht zusammengekniffenen Augen an und knetete nebenbei seine Finger, bis die Knöchel knackten. Lennart ignorierte dieses scheußliche Geräusch und den Schauer, den es ihm über den Rücken trieb. Vor dem Einchecken wollte er es sich mit dem unsympathischen Concierge nicht verderben. „Meer und Wind“, lachte Lennart gezwungen, „das gehört zusammen wie Urlaub und Entspannung.“
„Wie Nacht und Dunkelheit“, bestätigte Ference. „Wie Tod und Trauer, Schmerz und Leid…“
„Bitte“, hob Lennart die Hand, „keine weiteren düsteren Vergleiche. Mir ist schlicht Windstille am Meer nie vorgekommen.“ Ference hielt ihm die Glastür auf. „Alles ist immer so, wie meine Gäste es wünschen, Sir.“
Lennart stutzte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie steif und unbewegt die Palmblätter standen. Gerade als er den Kopf drehte, um mit einer Geste auf die starren Pflanzen aufmerksam zu machen, begannen sich die Blätter zu bewegen. Sie schwangen nicht einfach nur im lauen Wind, sie zappelten regelrecht, als hätte sie eine unsichtbare Hand angestoßen. Einen Luftzug, der von der Stärke her nicht zum Zappeln der Blätter passte, sondern viel schwächer war, spürte Lennart nun auch. „Na so was.“ Er suchte den Weg, den sie gekommen waren, nach einem Grund für sein ungutes Gefühl ab.
Eine einzige Straße führte vom Anlegeplatz, einem ins Meer gebauten Steg, der die Bezeichnung Hafen nicht verdiente, zum einzigen Hotel der Insel. Ihm waren keine weiteren Häuser aufgefallen und auch keine Straße, die am Hotel vorbei in die andere Richtung führte, wo die Mitarbeiter zusammen mit ihren Angehörigen wohnten. Groß war die Insel nicht. Es gab einen Berg und einige Hügel in der Mitte und vielleicht verbarg sich das Inselleben dahinter, abgeschieden von den Urlaubern, die sich im fremden Land die Sonne und Entspannung nicht gern vom Anblick verarmter Einheimischer vermiesen ließen…
„Ist etwas, Sir? Ein weiteres Problem, Sir?“, fragte Ference mit hörbar wachsender Ungeduld. „Darf ich Ihnen die Tasche abnehmen, Sir?“
„Diese Tasche trage ich immer selbst“, beharrte Lennart und seine Finger schlossen sich fester um den Griff. „Darin befinden sich nicht nur all meine Dokumente und Papiere, sondern auch ein ideell sehr wertvoller Füllfederhalter. Damit will ich Sie nicht langweilen; ich fragte mich gerade, warum es hier so still ist. Kein Geräusch, kein Motorenlärm, keine Kinder.“
„Sir, ich bringe meine Gäste nun zu ihren Zimmern.“
„Wo wohnen und leben denn die Einheimischen? Setzen sie, um zur Arbeit zu gelangen, täglich von der Hauptinsel über?“
„Ich zeige auch Ihnen Ihr Zimmer, Sir.“
„Okay.“ Lennart machte seine Tasche auf und holte den Hotelvoucher hervor, der ganz vorn separat in einem Fach steckte. Er reichte ihn Ference. „Hier, bitte.“
„Bei allen Heiligen!“ Ference nahm den Voucher und warf ihn mit derselben fließenden Bewegung in den Abfalleimer, der hinter ihm stand. „Sie brauchen mir nichts anzubieten, Herr Schneider. Ich verfüge längst über alle relevanten Informationen. Nun folgen Sie mir bitte. Die Herrschaften sind erschöpft und die Zimmer warten.“
Ference ging voraus, gefolgt von der Dame, die im Bus vor Lennart gesessen war. Ference wies sie auf die Gartenanlage hin, sie kommentierte: „Hinreißend!“ Ference erzählte von den Rosenbeeten, den Steinplatten im Weg, der Farbe der weißen Bungalows. Die Dame sagte: „Hinreißend. Hinreißend. Hinreißend!“
„Der Garten“, sagte auch die Frau, die hinter der „hinreißenden“ Dame marschierte, „der Garten ist eine Wucht, nicht wahr, Manfred?“
„Verschone mich damit“, murmelte Manfred, der in seinem faltenfreien Anzug kerzengerade schritt. Offenbar war er ein Mann, der öfter lange Fernreisen unternahm und wusste, wie man sie spurlos überstand.
„Siehst du die perfekt geschnittenen Pflanzen?“, fuhr seine Gattin fort. Sie wischte ihre aus der Form geschlagene Dauerwelle nach hinten. Frisch gewaschen und geföhnt wirkte sie wohl wie eine Löwenmähne, im Moment allerdings machte der Löwe einen ziemlich zerzausten Eindruck. „Da steckt sehr viel Arbeit dahinter, Manfred, das kannst du mir glauben. Man muss ein Händchen haben dafür und viel Ahnung von den verschiedenen Pflanzgruppen. Welche Bedürfnisse die Pflanzen haben, wann sie blühen, wie oft sie Wasser brauchen und ob sie die pralle Sonne vertragen. Ich bin ja so gespannt auf diesen Gartenkurs. Natürlich, Manfred, werde ich dir alles erzählen.“
„Detailliert, fürchte ich.“ Ihr Gatte tastete nach seinem akkurat kurzgeschnittenen Haar und fand es in tadelloser Form. Er reckte seine Nase selbstsicher über die Höhe seines engen Kragens hinweg. Für die schlicht aussehende Uhr am Handgelenk hatte er wahrscheinlich ein Vermögen hingeblättert. In seiner hinteren Gesäßtasche gab es eine Beule vom Portmonee mit der Reisekasse.
„Gleich morgen“, sagte seine Ehefrau, an deren rechter Hand Lennart den gleichen Ring entdeckte wie der Mann ihn trug, nur mit einer Reihe glitzernder Steinchen verziert, „gleich morgen fange ich mit dem Kurs an. Liebe Güte, ich bin ja so gespannt. So sehr gespannt!“
„Das“, nickte ihr Gatte knapp, „ist mehr als offensichtlich.“
Die Frau begann in ihrer Handtasche zu wühlen, wobei Lennart die Bezeichnung „Reisekoffer für die Armbeuge“ treffender fand. Die Tasche war riesig. Sie trug das Emblem eines bekannten Designers, der gewiss ein Meister seines Fachs war, nur hätte er mehr Reißverschluss einplanen sollen. Gattinnen reicher Männer trugen gern all ihr Gepäck am Arm herum. Die Tasche barst fast und der Reißverschluss stand ein Stückchen offen. „Diese Hitze“, murmelte sie und hatte gefunden, wonach sie suchte. Sie sprühte sich mit einem Zerstäuber an den Hals, wobei sie tunlichst darauf achtete, die Perlenkette mit einer Hand abzuschirmen. „Willst du auch? Manfred? Ich habe das Spray mit der Aloe-Zitrus-Tinktur gefüllt, wie mir zu Hause die Gärtnerin geraten hat.“
„Bleib mir vom Leib damit.“
„Du solltest dich für den Garten begeistern“, sprayte seine Gattin heftig weiter und Lennart nahm einen leichten Zitronenduft wahr. „Würde dich von deinen Geschäften ablenken und mal zur Ruhe kommen lassen. Soll ich dich zu dem Gartenkurs mit anmelden? Ich bin sicher, für einen unauffälligen Maulwurf wie dich ist ein Plätzchen frei.“
„Auf keinen Fall.“ Der Mann warf über die Schulter hinweg seiner Frau ein einstudiertes Lächeln zu. „Ich werde Ruhe und Entspannung finden, sobald du diesen Kurs besuchst.“
So ging es hin und her, wie Lennart mit schwindendem Interesse verfolgte. Sie schwärmte von ihrem Garten und dem Kurs, den sie wohl besuchen wollte. Er sehnte sich nach Ruhe vor eben jenem Garten und seiner Frau. Mit nur mehr einem halben Ohr verfolgte Lennart das Gespräch, während sich seine Aufmerksamkeit auf das andere Paar heftete.
Die beiden waren Lennart zum ersten Mal kurz vor dem Abflug in München aufgefallen, als die Menschenmenge das Flugzeug stürmte und er selbst in aller Ruhe seinen Laptop einpackte. Zu dem Zeitpunkt hatte Lennart sich gefragt, ob die beiden überhaupt zusammen waren, weil sie optisch völlig verschieden waren und während der gesamten Zeit kein Wort wechselten.
Der Mann war eine gut dreißig Jahre alte Katastrophe auf zwei Beinen. Krummer Rücken, schlechte Haltung, keinerlei Körperpflege. Sein Haar war ohrenlang und strähnig, er war schlecht rasiert und fürchterlich angezogen. Seine alte, ausgewaschene Jeans wies an den Innenseiten der Oberschenkel kleine Löcher auf. Der Saum war niedergetreten und ausgefranst. Obendrein sah die Hose aus, als wäre sie seit Jahren keine Runde in der Waschmaschine gefahren. Dazu passend trug der Kerl ein altes T-Shirt, das einen südamerikanischen Rebellen auf einer schwarzweißen Fotografie zeigte. Über der Schulter baumelte ein Rucksack, ein Träger abgerissen, der andere fleckig. Um seine schlechte Erscheinung zu betonen, bohrte der widerliche Kerl in der Nase, mehr als genüsslich, mochte Lennart sagen, und schnippte den Popel ins nächste Blumenbeet. „Ich brauch jetzt unbedingt ein Bier“, sagte er leise zu seiner Begleitung, die eine herausragend schöne Frau war und deutlich jünger aussah als er. Sie ging mal schneller, mal langsamer, je nachdem, ob ihr Smartphone volle Aufmerksamkeit forderte oder nur einen schnellen Wisch.
„Ich habe keinen Empfang“, jammerte sie und drängte sich an ihrem Mann vorbei. „Verzeihung, Ference, wie lange ist das Mobilfunknetz außer Betrieb? Gibt es in der Lobby oder den Bungalows WiFi?“
Wie angewurzelt blieb Ference stehen und drehte sich zu ihr herum. „Madame, Sie sollten sich in Ihrem Urlaub nicht mit technischem Schnickschnack herumärgern. Legen Sie das Ding weg und genießen Sie die Ruhe, die Sie so dringend suchen.“
„Unmöglich.“ Sie schüttelte das Smartphone, als wäre es ein altes Funkgerät mit Wackelkontakt. „Ich habe meiner Assistentin versprochen mich sofort zu melden. Es gibt ein Problem mit farblich passenden Rosen. Ich habe die Telefonnummer einer anderen Gärtnerei im Kopf, bei der ich nachfragen möchte, ob sie genügend Darcey Bussel bis übermorgen besorgen kann.“
„Aha.“
„Vor der Überfahrt hierher hatte ich kein Netz“, fuhr die wunderschöne Frau fort, „deshalb muss ich das jetzt erledigen.“
„Madame“, drehte Ference sich herum und setzte seinen Weg langsam fort, „es gibt hier kein Mobilfunknetz.“
„Kein Netz?“
„Meine Gäste, Madame, buchen mein Haus, um dem alltäglichen Leben zu entfliehen. Diese gesamten technischen Gerätschaften bringen zweifellos ein gehöriges Maß an Unruhe mit sich, weshalb ich Vorkehrungen getroffen habe, um eben diese Gerätschaften nutzlos zu machen. Sie werden hier kein Netz finden.“
„Kein Netz.“ Sie schob ihr Smartphone in ihre kleine Handtasche und rieb sich kurz die Stirn. „Telefoniere ich eben vom Festnetz aus.“
„Madame“, hörte man Ference schmunzeln, „Herr Stucks wird nicht begeistert sein, wenn Sie die Zeit lieber am Telefon als mit ihm verbringen. Nicht wahr, Herr Stucks?“
Der Angesprochene nahm den Finger aus der Nase und schleckte ihn schnell ab. „Du bist im Urlaub, Schätzchen, also lass deine Arbeit mal eine Weile liegen. Die Scheiß-Blumen laufen dir nicht weg.“
„Natürlich nicht“, gab sie zurück. „Vielleicht tut es der Kunde, der Wert auf eben diese Rosen legt.“
„Soll mir Recht sein.“
„Sollte es nicht.“ Sie senkte die Stimme. „Mit solchen Kunden verdiene ich mein Geld und es schadet meinem Ruf, wenn nicht alles perfekt läuft.“
„Dein Geld“, äffte er. „Dein Geld, dein Geld, ich kann die Leier nicht mehr hören.“ Er schmatzte laut. „Hab ich einen Durst. Ich werde mir so viel Bier reinkippen, bis es mein Gehirn flutet. Dann vergesse ich deine dämlichen Kunden garantiert und ich muss mir dein Ich-hab-kein-Netz-Gesicht nicht länger anschauen.“
„Wenn du dich nur halb so viel begeistern könntest…“
„Wozu?“, unterbrach er sie. „Mein Projekt ist vorgestern ausgelaufen, was nun kommt, weiß der Himmel.“
„Ich könnte dringend jemanden brauchen, der mir zur Hand geht.“
„Dir?“ Er schnitt eine üble Grimasse und stieß dazu schnaubend Luft durch die Nase. „Wenn ich für deine Event-Agentur arbeiten würde, wäre meine nächste Lebenskrise vorprogrammiert.“ Er verzog das Gesicht in eine geschätzte Million Falten und schielte dazu. „Außerdem mag ich reichen Fuzzis nicht in die Ärsche kriechen und mich für ein Blumensträußchen tagelang durch die Gärtnereien fragen.“ Er tippte sich an die Stirn. „Das ist total bescheuert und nur ein Vollidiot macht sich diese Mühe.“
Grobes Foul, dachte Lennart, der den wütenden Blick der jungen Frau geradezu spüren konnte. Er glaubte ein Zähneknirschen zu hören, ehe sie ein sarkastisches „Danke“ hervor presste. Stucks bemerkte entweder nicht, wie verletzend seine Worte waren, oder er wusste und ignorierte es. „Ference“, fragte er nach vorn, „ist die Minibar im Zimmer inklusive? Ich bin völlig ausgetrocknet.“
„Alles hier ist inklusive“, sagte Ference und setzte seinen Weg fort. „Sie dürfen natürlich die Minibar leeren. Wesentlich komfortabler wäre es, wenn Sie sich an eine der Bars begeben. Dort geht das Bier garantiert nicht aus.“
„Perfekt!“, freute sich Stucks. „Das ist mein Urlaub!“
„Mhm“, machte die Frau an seiner Seite, „perfekt für dich.“
„Hinreißend!“, kommentierte die ältere Dame, die Lennart für ziemlich sonderbar hielt. „Junge Liebe ist ja so hinreißend.“
Im Stillen gab Lennart dieser jungen Liebe keine fünf Minuten mehr. Er glaubte zu sehen, wie die junge Frau über die Trümmer dessen schritt, was einmal tiefe Zuneigung gewesen sein mochte. Sie holte ihr Smartphone hervor und versuchte damit ihr Glück, während Ference die Gruppe vorbei an der großen Poollandschaft führte. Zwei Wasserfälle verbanden drei aufwändig gestaltete Becken. In einem Teilbereich blubberte es wie in einem Whirlpool.
In der prallen Sonne, statt unter einem der Schirme wie die anderen Gäste, lag eine Frau bäuchlings auf einer Liege. Ihr Kopf ruhte schräg auf einem Handtuch; sie schlief mit einem seligen Lächeln auf den aufgeplatzten Lippen, obwohl ihr sonnenverbrannter Rücken grellrot leuchtete und Blasen wie dicke Trauben emporwuchsen.
„Ference!“ Lennart schloss mit einigen schnellen Schritten zu dem Concierge auf. „Sie sollten die Dame über ihren fürchterlichen Sonnenbrand informieren und ihr einen Arzt kommen lassen.“
Obwohl Ference langsamer wurde, zeigten seine Augen, wie wenig er von diesem Vorschlag hielt. Zusammengekniffen starrten sie Lennart wie den Leibhaftigen an. Die Lippen gespitzt hob der Concierge die Hand und schnippte mit den Fingern. „Diese Dame“, sagte er leise, „will nichts weiter als ein Sonnenbad nehmen, um die Erinnerungen an einen zu langen und zu kalten Winter zu tilgen. Temperaturen dauerhaft unter zehn Grad Minus, dazu einen Ehegatten, dessen Gefühlskälte diese Temperaturen geradezu wohlig warm scheinen lässt. Verständlich, wenn diese Frau ihre Erinnerungen auslöschen will.“
„Da wird bald alles ausgelöscht sein.“ Lennart reckte das Kinn nach vorn und hielt Ferences Blick stand. „Sie wird einen Sonnenstich erleiden und völlig dehydriert einen Arzt benötigen. Das sollten Sie tun, mein Freund, einen Arzt rufen, der sich um die Brandverletzung dieser bedauernswerten Frau kümmert.“
Tatsächlich lehnte Ference sich nach vorn und sein Atem streifte Lennarts Gesicht. „Ich glaube, ich bin nicht Ihr Freund, Sir.“
„Unterlassene Hilfeleistung“, sagte Lennart leise, „ist moralisch und gesetzlich absolut inakzeptabel. Entweder Sie sprechen die Dame an oder ich werde es.“
Ferences Augen bohrten sich in Lennarts, als wollte der Concierge ihm auf den Grund der Seele schauen. Lennart zwinkerte nicht. Er schob den Unterkiefer nach vorn, um bedrohlicher zu wirken.
„Wie Sie wünschen“, presste Ference hervor. „Sir.“ Abrupt drehte der Concierge sich herum und eilte mit großen Schritten auf die Frau zu. Ohne lange zu fackeln, hob er die Liege an und zog sie samt Passagier aus der Sonne, Richtung Schatten.
Einen Moment beobachtete Lennart die Szene. Er begann sich zu wundern, aus welchem Material die Liege und die Fliesen rund um den Pool waren. Er vermisste das Quietschen, das eine Liege verursachte, die über Fliesenboden gezwungen wurde, das typische Quietschen, das einem die Haare zu Berge stehen ließ, einem eine Gänsehaut über den Rücken jagte und Zahnschmerzen machte. Eben jenes Quietschen, das benachbarte Gäste zu lauten Proteststürmen trieb. Just in dem Moment setzte das Geräusch ein. Lennart runzelte die Stirn. Brauchte ein Quietschen mehrere Augenblicke, um die kurze Strecke zwischen dem Pool und ihm zurückzulegen? Er versuchte sich an die Physikstunde zu erinnern, in der sein Lehrer über Schallgeschwindigkeiten referierte.
Ference hatte den Schatten eines Bungalows erreicht und stellte die Liege ab. Prompt hob die Frau den Kopf. Sie reckte ihre Hände nach vorn, als wollte sie prüfen, ob es regnete. Plötzlich sprang sie auf, packte die Liege und zog sie zurück in die Sonne. Ehe Lennart einmal geblinzelt hatte, lag sie wieder an der ursprünglichen Stelle.
„Sehen Sie, Sir“, sagte Ference, als er zurückkam, „diese Dame möchte in der Sonne liegen und die Wärme genießen. Ich könnte sie tausendmal in den Schatten bringen, sobald ich mich umdrehe, legt sie sich zurück in die Sonne.“
„In der Tat.“ Lennart stand mit hängenden Schultern da. „Haben Sie ihr gesagt, wie fürchterlich verbrannt ihr Rücken aussieht?“
„Hätte ich sollen, Sir?“
„Ja!“, stieß Lennart aus. „Immerhin sehen Sie es als Ihre Verantwortung für das Wohl Ihrer Gäste zu sorgen.“
Erneut folgte einer dieser tiefen Blicke. Lennart hätte viel darum gegeben, wenn er gewusst hätte, was in diesem Moment im Kopf des Concierge vorging. So musste er sich mit dem Ergebnis begnügen. Ference ging zu der Frau, sprach kurz mit ihr, ließ sich mit einer heftigen Handbewegung wegschicken und kam zurück zu Lennart. „Zufrieden, Sir? Wenn Sie gestatten, setzen wir unseren Weg zu den Zimmern nun fort.“
„Bleibt mir wohl nichts anderes übrig“, murrte Lennart und behielt, während er der Gruppe folgte, die Umgebung im Auge.
Unter anderen Strohschirmen ruhten auf weißen Holzliegen und schneeweißen gepolsterten Auflagen weitere Hotelgäste. Sie schliefen oder dösten oder träumten vor sich hin. Ein Mann hatte es sich auf seiner Liege offensichtlich bequem gemacht. Ein riesiger Sonnenschirm spendete Schatten, denn dem Schatten nachrücken, wie die meisten Urlauber es taten, war diesem Mann schwer möglich. Seine Liege war umgeben von Büchern in mehreren Stapeln. Lennart hatte Leseratten gesehen, die fünf oder sechs Bücher neben sich hatten; dieser Mann hortete gewiss einhundert oder mehr. Die Nase hatte er tief im Buch vergraben und so ernst, wie er schaute, würde es niemand wagen ihn zu stören. E-Books, überlegte Lennart still, wären für ihn eine echte Alternative. Allein das Übergepäck hatte diesen Mann deutlich mehr gekostet als ein sehr gutes Lesegerät.
Lennart überließ den Bücherwurm seinen geschriebenen Abenteuern. Er entdeckte auf der nahen Wiese eine Tischtennisplatte, die offensichtlich lange nicht benutzt worden war. Eine Kletterrose rankte ihre langen Triebe über den Tisch und durch das Metallgitter, das als Netzersatz diente. Stellenweise schimmerte die Oberfläche der Platte stumpf und erinnerte Lennart an seinen Schreibtisch im Büro. Wenn er eine Woche lang seine Unterarme ablegte, gab es ähnliche Flecken und die Putzfrau schimpfte, weil Hautfett nicht mit einem Staubtuch zu entfernen war. Er lächelte über seine eigenen Gedanken. Wer legte schon irgendwelche Körperteile auf einer Tischtennisplatte ab?
Überhaupt war die Anlage außergewöhnlich gut gepflegt. Der Rasen sattgrün und gut gewässert. In den Beeten blühten ausnahmslos prächtige Rosen mit großen Blüten, dazwischen standen Büsche von Heckenrosen oder Rosenstämmchen. Offenbar hatte der Gärtner ein Faible für Rosen und die nötige Sachkenntnis, um das Beste aus den Pflanzen herauszuholen. Die Palmen, das sah Lennart, als er den Kopf in den Nacken legte und nach oben blickte, trugen keine schweren Nüsse. Die Wege waren sauber gefegt und frei von spitzen Steinen oder Glasscherben. Perfekt. Als hätte sich eine erhabene Persönlichkeit für einen Besuch angekündigt.
Plötzlich blieb die Gruppe stehen und Lennart, der mit Schauen beschäftigt war, wäre beinahe in die ältere Dame gelaufen. Sie hatte unvermittelt angehalten, weil Ference den Arm streckte und auf einen der Bungalows zeigte. „Herr und Frau Duschke, Ihr Domizil. Darf ich Sie hineinbringen, während die anderen für einen Moment warten. Sir“, klopfte Ference mit dem Absatz seines Schuhs auf die Pflastersteine, „sind auch Sie gewillt einige Momente zu warten oder werden Sie die Zeit nutzen, um mir Ihre Anwesenheit mit angeblichen Problemen und Einmischungen zu vergällen?“
„Wie bitte?“, schnappte Lennart nach Luft.
„Möchten Sie einen Sitzplatz an der Bar“, fragte Ference, „während Sie einige Momente auf mich warten?“
„Ich hatte etwas völlig anderes verstanden.“
„Die Hitze“, lächelte Ference amüsiert, „und die lange Anreise, Sir, zollen ihren Tribut. Sie sollten vielleicht lieber Platz nehmen und eine Kleinigkeit trinken?“
„Danke.“ Lennart lächelte dem Ehepaar Duschke zu. „Einen schönen Aufenthalt wünsche ich.“
„Werden wir haben“, begann Herr Duschke zu lächeln, „sobald der Gartenkurs angefangen hat.“
„Wie Recht du hast“, flötete Frau Duschke, „wie absolut Recht.“
Lennart verfolgte mit wachen Augen, wie Ference mit dem Schlüssel die Tür öffnete und die Gäste eintreten ließ. Das war der Moment, in dem Lennart sich abwandte. Wahrscheinlich musste er deutlich länger als wenige Minuten warten. So war es immer. Weil hier eine Frage auftauchte, man dort Höflichkeiten tauschte, weil das Personal das Zimmer zeigte und mit den Widrigkeiten der Klimaanlage vertraut machte, eben weil es viel zu besprechen gab. Wartezeit dehnte sich besonders. Lennart hätte mit den anderen Reisenden sprechen können, worauf er keine Lust hatte. Die ältere Dame würde ihm zweifellos gern ein Gespräch aufdrängen und aus ihrem gewiss ereignisreichen Leben erzählen. Kinder, Ehe, Enkel – dafür interessierte er sich überhaupt nicht. Der Stoffel Stucks fiel ebenfalls durchs Raster. Mit dergleichen Personen sprach Lennart nie, wenn es sich vermeiden ließ. Die einzige Person, mit der er gern ein paar Worte gewechselt hätte, starrte auf ihr Smartphone und machte dabei ein Gesicht, als könnte sie Godzilla mit einem gezielten Schrei augenblicklich in einen zahmen Schoßhund verwandeln. Ihre Augen schossen Blitze, immer auf das Smartphone und in regelmäßigen Abständen in Richtung Stucks, sämtliche Muskeln ihres schlanken Körpers waren angespannt, als würde sie bei nächster Gelegenheit jemanden zerfleischen wollen, vorzugsweise den Idioten, der das WLAN in diesem Teil der Welt nicht eingebaut hatte.
Blieb Lennart nur, sich mit der eingehenden Betrachtung der Bungalows abzulenken. Er atmete tief ein und schaute. Alle Häuser waren in gutem Zustand. Bröckelnde Mauern, lose Bretter, gesprungene Scheiben, abblätternde Farbe oder andere Mängel, wie er sie in vielen Hotels auf der ganzen Welt erlebt hatte, entdeckte er nicht. Der Wasserhahn für die Bewässerung der Gartenanlage in diesem Teil des Hotelkomplexes tropfte nicht. Die zahlreichen Abfalleimer, die er im Umkreis sah, waren geleert und sauber. Die Rosen, die sich an den Bungalows nach oben rankten, sparten Fenster und Türen akkurat aus. Selbst die höchsten Triebe waren tadellos gepflegt und in beneidenswert schönem Zustand.
„Zufrieden mit dem, was Sie sehen, Sir?“
Ference war unvermittelt und ohne ein Geräusch zu verursachen neben ihn getreten. Lennart schreckte zusammen. „Das ging ja schnell.“
„Gefallen Ihnen die Bungalows, Sir?“
„Ja“, nickte Lennart. „Erinnern mich von der Form her an mich selbst.“ Die Eventmanagerin hinter ihm lachte mit angenehm heller Stimme und einer Fröhlichkeit, die überhaupt nicht zu dem Löwenbändigerblick von vorhin passen wollte. „Kleiner Kopf. Bauch. Nicht übermäßig hoch.“
Lennart drehte sich zu ihr und sah, wie sie auf eine Reaktion ihres Begleiters wartete. Der Stoffel bohrte ausgiebig im Ohr und gähnte dabei.
„Susanne Brenner“, sagte sie und streckte die Hand aus. „Tut mir Leid, wenn ich Sie mit einem Urlaubsbungalow verglichen habe. Es kam einfach über mich.“
Ihre Hand war warm und trocken, sehr weich, ihr Händedruck angenehm fest und selbstbewusst, ebenso ihr Blick. Ende zwanzig schätzte Lennart sie. Nicht, weil sie so aussah, sondern weil der selbstsichere Ausdruck ihres ganzen Wesens nicht zu einem jungen Teenager passte. Kurzes, schwarzes Haar, blaue Augen. Sie trug lange Ohrringe und um den Hals eine Goldkette mit feinen Gliedern. Sie war nicht geschminkt, also war während der Anreise keine Farbe verlaufen. Sie sah umwerfend gut aus und Lennart hatte sich schon immer von Frauen angezogen gefühlt, die größer waren als er.
„Sie haben Recht“, lächelte er. „Ich bin nur eins siebzig. Für mein Gewicht bin ich zu klein – ein ganzes Stück zu klein – und um wenigstens stimmige Proportionen zu haben, ist mein Kopf nicht groß genug. Bei den Bungalows ist es der kirchturmartige Aufbau, der schlecht aussieht und die wahrscheinlich darunter liegende Gerätschaft zur Heißwassergewinnung verbirgt.“
„Sie sind ein Mann vom Fach?“
„Nur ein guter Beobachter“, schränkte Lennart ein, woraufhin Susanne herzlich und einladend lächelte, er aber ging auf Distanz und flüsterte ihr zu: „Und ich beobachte gerade den missmutigen Blick unseres Concierge.“
Tatsächlich stand Ference mit verschränkten Armen schräg hinter ihr. Auf der Zunge lagen ihm einige scharfe Zurechtweisungen; Lennart konnte sie beinahe lesen. Susanne gönnte ihm nicht mal einen kurzen Blick. „Damit ich mich wohlfühle, ist wesentlich mehr nötig als diese Grabesruhe und ein Concierge, der mich umschwänzelt wie eine Katze den Futternapf.“
„Sie sind hier, Madame“, sagte Ference mit fester Stimme, „also werden Sie und Ihr Mann sich gefälligst wohlfühlen.“
„Zu Befehl“, lachte sie und hob ihre schlanken Finger in die Höhe. „Kein Ring. Wir sind nicht verheiratet.“
„Weil du partout nicht willst“, maulte Stucks nicht ganz so leise wie es angebracht wäre.
„Warum sollte ich?“, konterte die Frau, die ihm – Lennarts Meinung nach – längst aus den Händen entglitten war. Sie wartete einen Moment, ob Stucks reagierte und als sein Mund geschlossen blieb, fuhr sie leise fort: „Wahrscheinlich wären wir längst geschieden.“
„Oder wir hätten Kinder.“
„Für Kinder“, flüsterte sie, „braucht es keine Heirat.“
Nun senkte auch Stucks die Stimme und Lennart konnte ihn nur verstehen, weil er einen Schritt nach vorn machte und die Ohren spitzte.
„Dazu“, murmelte Stucks, „hast du ja keine Lust. Immer ist dir dein Smartphone wichtiger, deine Assistentin, deine verdammten Kunden mit ihren versnobten Ansprüchen, deine Firma, deine Rechnungen, deine Termine, deins, deins, deins.“
Dieser Disput begann interessant zu werden. Zu seinem Bedauern unterbrach ihn Ference: „Frau Brenner, Herr Stucks, der nächste Bungalow ist Ihrer.“
Natürlich gingen Susanne und Stucks direkt hinter Ference, was Lennart Zeit gab, sie gründlich zu mustern. Nein, er hatte absolut kein Interesse an Stucks und dessen abstoßender Art. Susanne war es, die seine Aufmerksamkeit fesselte. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug mit feinen weißen Nadelstreifen. Stand ihr gut und betonte ihren runden, festen Po. Ihre Oberschenkel füllten die enge Hose aus, nicht mit Fett, sondern mit stahlharten Muskeln. Da schwabbelte nichts. Sie hielt den Rücken gerade, was nach so vielen Stunden anstrengender Anreise auf eine gut ausgeprägte Muskulatur schließen ließ. Sportfreak, schlussfolgerte Lennart und rollte heimlich die Augen. Wie ihm anzusehen war, mied er Sport so gut es ging.
Auch Stucks konnte dem Sport wie es aussah nichts abgewinnen. Unterm ausgewaschenen T-Shirt war ein Bauchansatz zu sehen, seine schlaffen Oberarme baumelten haltlos herum. Dank Doppelkinn und Bartschatten sah er aus wie Mitte vierzig. Fürchterlicher Anblick, kein Anstand. Dieser Penner hatte offenbar ohne Rücksprache mit seiner Holden einen Urlaub gebucht und ungeniert ihre Kohle dafür ausgegeben. Im Bett stimmte es nicht, sie hatten nichts, worüber sie plaudern konnten, sie konnten nicht einmal gemeinsam einen Gartenweg entlang gehen, ohne im Streit übereinander herzufallen. Nach dem Urlaub, spätestens, würde sie ihm den Laufpass geben. Seine Fantasien von Kindern und Heirat würden genau das bleiben, jedenfalls mit dieser Frau.
„Frau Thienemann“, fragte Ference in seine Gedanken hinein, „wie finden Sie es hier?“
„Hinreißend“, sagte sie, „diese Ruhe. Diese Stille. Dieser Frieden.“
„Oh ja, Frau Thienemann“, sagte Ference, „Sie werden Ihren Frieden hier finden.“
„Ich will den Alltag vergessen“, sagte Frau Thienemann. „Völlig vergessen will ich alles, was mir Tag für Tag nicht aus dem Kopf geht und mich nachts um den Schlaf bringt.“
„Das werden Sie“, lächelte Ference breit. „Frau Thienemann, seien Sie versichert, das werden Sie.“ Er blieb vor dem Bungalow mit der Nummer achtzehn stehen. „Frau Brenner, Herr Stucks, Ihr Domizil für die Dauer Ihres Aufenthalts.“ Er sperrte auf und schob die Tür nach innen. „Bitte, treten Sie ein.“
Stucks schlurfte in den Bungalow, ließ seinen Rucksack mitten ins Zimmer fallen und sich selbst auf das Sofa, wie Lennart durch die offene Tür hindurch sehen konnte. Stucks platzierte seine Füße auf dem Tisch, kratzte sich zwischen den Beinen, verlagerte sein Körpergewicht auf die rechte Arschbacke und ließ einen fahren. „Das ist das Essen im Flieger. Das bläht.“
Susanne rollte die Augen, dankte Ference leise und griff nach der Tür. Sie sah zu Lennart und lächelte.
Er lächelte zurück.
Sie winkte.
Er hob die Hand.
Sie zwinkerte ihm zu. Auffordernd.
Lennart wollte mit einer Geste zu einem gemeinsamen Drink an der Bar auffordern, als der Flirt rüde unterbrochen wurde. Ference nahm die Tür in die eigene Hand und zog sie zu. Sein düsterer Blick streifte Lennart und er machte einen langsamen Schritt an ihm vorbei. „Frau Thienemann“, sagte Ference drohend, „möchten Sie nicht von sich erzählen, um diesen Herrn hier abzulenken von Dingen, die ihn nichts angehen?“
„Mein Mann“, gehorchte die ältere Dame wie auf Kommando, „ist vor zehn Jahren gestorben. Während der Arbeit traf ihn der Schlag, er fiel um und war tot. Nichts mehr zu machen. Ich hasse Steuererklärungen, Herr… äh…“
„Schneider“, half ihr Ference aus. „Sie führen diese angeregte Unterhaltung mit Herrn Lennart Schneider. Darf ich Sie nun zu Ihrem Bungalow bringen, Frau Thienemann. Er liegt gleich hier um die Ecke.“ Er war keine Ausgeburt an Sympathie, dieser Ference, aber Frau Thienemann fraß ihm aus der Hand. Sie folgte ihm und betrachtete einige Rosen, auf die Ference zeigte. „Hinreißend“, sagte sie immer wieder. „Hinreißend.“
„Hier, bitte, Frau Thienemann“, öffnete Ference die Tür zu ihrem Bungalow. „Richten Sie sich ein, genießen Sie Ihren Aufenthalt und finden Sie Ihren Frieden.“
„Vollpfosten“, brummelte Lennart in sich hinein. „Das wird eine anstrengende Woche werden.“ Ference kam schnell die paar Meter zurück zu Lennart. „Sind Sie unzufrieden, Sir?“
„Ich bin“, gab Lennart zu, „von Ihrer Wortwahl irritiert. Seinen Frieden finden – das sagt man, wenn jemand stirbt.“
Ference schürzte die Lippen und beugte sich näher zu Lennart. „Können Sie sich unter normalen Umständen gut auf Ihr Gedächtnis verlassen, Sir?“
„Was ist das für eine Frage?“ Lennart stemmte eine Hand in die Hüfte. Es sah komisch aus, weil er in der anderen Hand seine Tasche hielt. Zusätzlich setzte er einen bösen Blick auf. „Sie haben eine seltsame Art mit Gästen umzugehen.“ Er streckte die Hand. „Bitte, geben Sie mir meinen Schlüssel. Ich werde den Weg allein finden.“
„Kommt nicht in Frage, Sir.“ Fest schlossen sich Ferences Finger zur Faust. Er ging in kleinen Schritten los und zeigte gleichzeitig kurz hinter sich. „Vom Hauptgebäude, Sir, erstreckt sich die Anlage in fünf Ebenen bis zum Meer. Sechs Pools, Sir, davon drei mit Süßwasser, die übrigen Salzwasser. Der Strand hat eine Länge von etwa einem Kilometer und ist der einzige Sandstrand der kleinen Insel. Die übrige Küste ist sehr steil, die Wellen brechen spät und der Meeresboden fällt tief ab. Ein vorgelagertes Riff ist sehenswert, vorausgesetzt, Sie möchten tauchen oder schnorcheln.“
Lennart war Ference gefolgt und hatte sich nebenbei umgesehen. Von den Bungalows war ein jeder freistehend, mit Fenstern auf drei Seiten und der Eingangstür auf der Vorderseite des Häuschens. Vorn gab es eine möblierte Terrasse. „Sie verstehen es, das Gespräch in eine Ihnen angenehme Richtung zu lenken.“ Diesen Einwurf ignorierte Ference und so betrachtete Lennart die Pflanzen. Jedes Gebäude war mit Rosen überwachsen. Herrliche Blüten, prachtvolles Grün. Keine Anzeichen von Schädlingen oder den typischen Rosenkrankheiten. „Wie viele Gärtner beschäftigt das Hotel?“, wollte Lennart wissen und diesmal blieb er stehen. Es war eine wunderschöne Edelrose in einem Pflanzkübel, die seine Aufmerksamkeit fesselte. Purpurrot-weiß gemustert, genau wie die Rose, mit der sich seine Großmutter Jahr und Jahr mühte. Genau genommen war sie nur solange eine Schönheit, bis die Blüten aufgingen. Als Knospe eine Pracht, bereits einen Tag nach dem Erblühen fielen die Blütenblätter auseinander und ließen das Gebilde labbrig und haltlos wirken. Trotzdem hing Oma daran mehr als an ihren unzähligen anderen Rosen, weil dieser Rosenstock das letzte Geschenk ihrer Tochter war. „Osiria“, fragte Lennart, „nicht wahr?“
Ference ignorierte auch diese Frage und schritt weiter. „Das Hotel verfügt über gut vierzig Bungalows, die sich über das Areal verteilen und von denen ein jeder günstig zum nächsten Pool liegt. Ich habe genügend Sonnenschirme, Pavillons, Liegen und Stühle aufgestellt, um jedem Gast das zu bieten, wonach er verlangt.“
Sie waren dem Hauptweg rechts des größten Pools gefolgt, an prachtvollen Rosenbeeten und sattgrünen Rasenflächen vorbei gegangen. Sie hatten Urlauber gesehen, die auf Liegen vor sich hin dösten. Lennart war ein Mann mittleren Alters aufgefallen, der seine Runde um die Anlage joggte. „Prima!“, hatte Ference dem Mann zugerufen. „Immer weiter so! Nur nicht nachlassen!“ An Lennart gewandt fuhr der Concierge mit der Hotelbeschreibung fort: „Drei Restaurants stehen Ihnen zur Verfügung. Das Hauptrestaurant am Pool – gleich dort vorne rechts – bietet verschiedene Speisen in Büffetform, in der Trattoria finden Sie vorwiegend italienische Küche und das Sushi-Lokal…“ Er lachte leise. „Nun, das erklärt sich von selbst. Es bietet auch asiatische Gerichte, die nichts mit Sushi zu tun haben. Außerdem, Sir“, und dabei ließ Ference seinen Blick über Lennarts Gestalt gleiten, „außerdem stehen Ihnen eine Snackbar am Strand und die Imbissecke der Poolbar zur Verfügung. Die Köstlichkeiten des Eiscafés werden Ihre Zustimmung ebenfalls finden.“
Unverschämt. Lennart presste die Lippen aufeinander. Er verkniff sich eine Zurechtweisung für den abfälligen Ton und den geringschätzenden Blick. Schweigend ließ Lennart die Einführung im Bungalow über sich ergehen. Wohnraum, Schlafzimmer, Badezimmer, die Klimaanlage funktionierte auch, wenn die Fenster geöffnet waren. Als Mahnung zum Umweltschutz leuchtete eine Warnlampe neben der Eingangstür rot auf. „Wenn das Licht Sie stört“, sagte Ference, „klebe ich es ab, Sir.“
„Nein, lassen Sie nur.“
„Bisher, Sir“, fuhr Ference nach einem bestätigenden Kopfsenken fort, „lebte in diesem Bungalow ein Langzeitgast. Er war mehrere Monate hier und ich hatte mich an seine Gegenwart gewöhnt. Interessant, für welchen Nachfolger er Platz machen musste. Hier ist der Schlüssel. Ich hoffe, Sir, Sie werden sich wohlfühlen, obwohl Sie nicht hierher passen.“
Lennart nahm den Schlüssel und wog das altertümliche, große Stück in der Hand. „Weil mir die Art nicht gefällt, wie Sie Ihre Gäste zu kategorisieren pflegen? Oder Ihr Umgangston, wenn Sie mich zur Erholung geradezu nötigen? Oder zum Essen?“
„Sie essen nicht gern?“ Ference lächelte verhalten. „Sir, so sehen Sie gar nicht aus.“
Erneut bahnte sich ein Disput an und Lennart schluckte alles, was er sagen wollte, hinunter. So viele Konflikte war er wenige Minuten nach der Anreise nicht gewohnt. „Lassen Sie es gut sein“, sagte er. „Fürs Erste möchte ich mich einfach bequem hinsetzen, den Kopf zurücklegen und die Augen für einen Moment schließen.“
„Ist es das, weswegen Sie gekommen sind, Sir? Sitzen und die Augen geschlossen halten?“
Lennart unterdrückte ein aufsteigendes Gähnen und kramte in seiner Hosentasche nach dem Fünfer, den er sich im Minibus zurechtgelegt hatte. „Danke für den höflichen Empfang, Ference. Das ist für Sie.“
„Welche Unverfrorenheit!“ Der Concierge ignorierte den Fünfer. „Sämtliche Kosten, Sir, Zuwendungen und Trinkgelder sind mit dem Reisepreis abgegolten.“ Er ging rückwärts zur Tür. „Genießen Sie Ihren Aufenthalt und gehen Sie mir nicht länger auf die Nerven.“
„Wie bitte?“
Ference hatte ein Lächeln im Gesicht und die Tür in der Hand.
„Entspannen Sie Ihre Nerven, Sir.“
„Ich hatte…“ Lennart rieb sich die Stirn. Er sollte dringend nachrechnen, wie lange er unterwegs war, und grübeln, ob ihn der Jetlag seit Neuestem derart durcheinander brachte.
„…mich völlig anders verstanden?“, lachte Ference leise und es klang, als müsste er sich dazu zwingen. Entsprechend schnell starb das Lachen. „Merkwürdig“, hörte Lennart den Concierge murmeln, als dieser den Bungalow verließ. „Überaus merkwürdig.“
Mit einem tiefen Atemzug quittierte Lennart das Schließen der Tür und das Knacken im Schloss. Ference war draußen, er war endlich allein. Nach einem zweiten tiefen Seufzen griff er seinen Trolley. An der Ecke war eine weitere Delle dazugekommen und jemand hatte versucht, den alten eingerissenen Aufkleber der Sesamstraße zu entfernen. Es waren nur kleine Fetzchen übrig. Einige Kratzer mehr gab es im ehemals schwarzen, nun eher grauen Lack, die ihm egal waren. Er sollte sich ohnehin einen neuen Trolley zulegen, bevor dieses alte Ding endgültig auseinander fiel und seine Siebensachen einzeln auf dem Gepäckband daher kamen.
Lennart hob den Trolley auf ein Ablagefach und öffnete ihn. Wie bei jeder seiner Reisen lag obenauf ein Ausdruck mit der Katalogbeschreibung des Hotels. Bisher war keine Zeit dafür gewesen, nun endlich überflog Lennart den Text, wobei sein bewusstes Denken wesentlich mehr mit dem Concierge zugange war. Es war weniger der Inhalt des Gesagten, als der Ton, in dem Ference gesprochen hatte, der Lennart nicht aus dem Sinn ging.
Gleich unter dem Ausdruck lagen weiße Stoffhandschuhe und verschließbare Plastikbeutel. Lennart schlüpfte in einen der Handschuhe und fuhr mit der Hand auf der Oberseite des Schrankes entlang. „Sackgesicht“, fluchte er, als er die blütenweiße Reinheit des Stoffs vor Augen hatte.
Genauer hatte er ein Zimmer selten unter die Lupe genommen. Beinahe jeden Winkel berührte er mit dem Handschuh. Jede Stelle auf der Unterseite der Nachtkästchen und Regale. Lennart suchte nach Staub und Dreck auf der Oberseite des Schrankes, auf jeder Seite der Kleiderstangen, jedem Haken, auf den Türstöcken, auf der Tastatur des Telefons und der Fernbedienung. Er suchte mit einer speziellen Lampe nach körperlichen Hinterlassenschaften, nach Urin und Sperma, denn nirgends, das wusste Lennart, wurde so viel gevögelt wie im Hotel und immer pappten Spuren an der Fernbedienung oder dem Telefon. Einmal hatte er mit seiner Speziallampe Sperma an der Zimmerdecke gefunden und wie das dorthin gekommen war, wollte er lieber nicht wissen.
Er schraubte vom Wasserhahn das Sieb ab, um mit einem Wattestäbchen zu prüfen, wie sauber der Hahn auf der Innenseite war. Vom Stöpsel in Waschbecken, Badewanne und Dusche ganz zu schweigen und die Shampooflaschen, die Wannen und Becken untersuchte er doppelt, dreifach, vierfach.
Als er seine Kontrolle beendet hatte, kniete er vor dem Kühlschrank, der die Minibar beinhaltete. „Der einzige Makel ist die Höhe“, stellte er für sich fest. „Es wäre bequemer, wenn man nicht in die Hocke gehen müsste.“ Über die Schulter hinweg taxierte er das Bett, das im anderen Zimmer stand. Wahrscheinlich war selbst das Bett sauberer als ein Operationssaal. Seine Neugier war geweckt. Gewöhnlich inspizierte er das Bett erst kurz vor der Abreise. Wenn er Dreck und Schmutz und Ungeziefer am Anfang seines Aufenthalts fand, würde er sich auf keinen Fall ins Bett legen wollen, was ein Problem mit dem Schlafen verursachte. Deshalb verschob er eine womöglich unangenehme Entdeckung auf das Ende der Reise. Diesmal hegte er die berechtigte Hoffnung ein tadelloses Bett vorzufinden.
Lennart ging ins Schlafzimmer und vor dem Bett langsam auf die Knie. Er brachte die Wange nahe an den Fliesenboden. Tadellos sauber. Er strich mit dem Handschuh über den Holzrahmen und fand kein Stäubchen. Der Lattenrost war einwandfrei, die Matratze sah aus wie nagelneu, die Bezüge, Decken und Kissen ebenfalls. Strahlende Sauberkeit, keine Falte, die nicht hingehörte, keine Stockflecken oder Verfärbungen. Lennart ließ sich aufs Bett sinken, völlig beruhigt und sicher.
Sein Bungalow war eingeschossig. Schlafzimmer, Wohnzimmer, Badezimmer mit Toilette, zusätzlich eine separate Toilette. Die hatte nur ein kleines Fenster, dafür blickte man, wenn man in der Wanne mit eingebautem Whirlpool ein Bad nahm, durch ein Panoramafenster auf einen Garten voller Palmen und Rosen.
Lennart schaltete seinen Laptop an und während der Rechner hochfuhr, zog er seine Reisekleidung aus und packte die frischen Sachen in den Schrank. Es hatte Hotels gegeben, da räumte er seine Habseligkeiten lieber nicht in den Schrank und trat nur mit Badelatschen unter die Dusche. Hier lief er barfuß und seine Sachen kamen in die Schrankfächer. Er markierte kurz auf einem standardisierten Fragebogen die Ergebnisse seiner Suche: Keine Mängel.
Die Beschreibung des Hotels, die er dabei hatte, ließ sich nicht sehr deutlich über die Verpflegung aus. Zwar war alles inklusive und Ference hatte ihm die Restaurants und Imbissmöglichkeiten aufgezählt, doch die entsprechenden Zeiten wusste Lennart nicht. Er fand auf einem kleinen Tisch einen Hotelprospekt und schlug ihn auf. Schnell fand er, was er suchte.
„Aha“, murmelte er zu sich selbst. Die Restaurants waren allesamt rund um die Uhr geöffnet. Es wurde pausenlos frisches Essen nachgelegt. Wollte man gern ein Gericht essen, das es nicht am Büffet gab, stand ein Koch zur Verfügung, der jeden Wunsch in ein kulinarisches Wunder packte. Lennart drehte sein Handgelenk. Halb sechs. Sein Magen war wegen der kleinen Portion Hühnchen mit Kartoffeln und Erbsen, die er im Flugzeug bekommen hatte, leer. Er würde schnell duschen, sich frisch anziehen und auf den Weg machen. Vielleicht wählte er einen Weg um die Anlage herum, um die Gegend kennenzulernen.
Lennart legte sich Kleidung bereit. Ihm persönlich fehlte ein Fernsehgerät, denn er verfolgte täglich die Nachrichten und ließ sich gern von flimmernden Bildern unterhalten, doch das Hotel warb betont für fernseh- und internetfreie Zimmer ohne Mobilfunkempfang oder telefonische Erreichbarkeit. Sein persönlicher Mangel entsprach genau der gebuchten Leistung.
Nun, eine Woche würde er es aushalten können. Mit einem Murren ob der verpassten Nachrichtensendung und vor allem der nicht gesehenen Wissenschaftsdoku betrat Lennart das Badezimmer und sprang vor Schreck einen guten Meter zurück. Ihn schauderte und gleichzeitig fragte er sich, wie vor wenigen Minuten, als er auf der Suche nach Mängeln gewesen war, ihm das nicht hatte auffallen müssen!
Er griff zum Telefon, hörte es in der Leitung knacken und sagte: „Rezeption? Bitte schicken Sie das Housekeeping in den Bungalow Nummer zwei. Hier liegt eine tote Katze.“
„Sir, es gibt auf der Insel keine Katzen.“