Interferenzen beim Simultandolmetschen vom Spanischen ins Deutsche aus (psycho)linguistischer und dolmetschprozessorientierter Perspektive - Jennifer Konzett - E-Book

Interferenzen beim Simultandolmetschen vom Spanischen ins Deutsche aus (psycho)linguistischer und dolmetschprozessorientierter Perspektive E-Book

Jennifer Konzett

0,0

Beschreibung

Das Werk befasst sich mit Interferenzen beim Simultandolmetschen in die A-Sprache in der Sprachkombination Spanisch - Deutsch. Die Erforschung von Interferenzen wurde im Bereich der Dolmetschwissenschaft bislang vernachlässigt, obwohl das Phänomen der Interferenzerscheinungen nicht nur aus linguistischer Perspektive interessant ist, da so sprachspezifische Schwierigkeitsstellen erfasst werden können, sondern auch aus dolmetschprozessorientierter Perspektive, da es einen Einblick in die Sprachverarbeitung und Strategien während des Simultandolmetschens ermöglicht. Es wurde folglich eine interdisziplinäre Perspektive an der Schnittstelle zwischen Linguistik und Dolmetschwissenschaft für die Erforschung von Interferenzen gewählt, um sowohl die linguistischen und sprachenpaarspezifischen Erkenntnisse als auch die Spezifika des Dolmetschprozesses berücksichtigen zu können.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 479

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



[1]Studien zur kontrastiven deutsch-iberoromanischen Sprachwissenschaft (SkodiS)

Band 7

[2]Studien zur kontrastiven deutsch-iberoromanischen Sprachwissenschaft (SkodiS)

Herausgegeben von

Meike Meliss und Bernhard Pöll

Wissenschaftlicher Beirat

Joachim Born (Universität Gießen)

José Antonio Calañas Continente (Universitat de València)

Mireia Calvet Creizet (Universitat de Barcelona)

Juan Cuartero Otal (Universidad Pablo de Olavide, Sevilla)

Paul Danler (Universität Innsbruck)

María José Domínguez Vázquez (Universidade de Santiago de Compostela)

Brigitte Eggelte (Universidad de Salamanca)

Christian Fandrych (Universität Leipzig, Herder-Institut)

Marta Fernández Villanueva (Universitat de Barcelona)

María Jesús Gil Valdés (Universidad Complutense de Madrid)

Sybille Große (Universität Heidelberg)

José Luis Herrero Ingelmo (Universidad de Salamanca)

Thomas Hüsgen (Universidade do Porto)

Rafael López Bodineau (Universidad de Sevilla)

Macià Riutort Riutort (Universitat Rovira i Virgili, Tarragona)

Paloma Sánchez Hernández (Universidad Complutense de Madrid)

Bernd Sieberg (Universidade de Lisboa)

María Teresa Zurdo Ruiz Ayúcar (Universidad Complutense de Madrid)

Jennifer Konzett

[3]Interferenzen beim Simultandolmetschen vom Spanischen ins Deutsche aus (psycho)linguistischer und dolmetschprozessorientierter Perspektive

[4]Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

DOI: https://doi.org/10.24053/9783823396017Publiziert mit Unterstützung der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Universität Salzburg.

© 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

Satz: typoscript GmbH, WalddorfhäslachCPI books GmbH, Leck

ISSN 2365-3337ISBN 978-3-8233-8601-8 (Print)ISBN 978-3-8233-9601-7 (ePDF)ISBN 978-3-8233-0479-1 (ePub)

[5]Inhalt

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Danksagung

Abstract

1

Einleitung

1.1

Themenwahl

1.2

Forschungsziele

1.3

Forschungsvorhaben und Aufbau der Arbeit

Teil I:

Theoretische Grundlagen

2

Interdisziplinarität und Sprachenpaarspezifik

3

Sprachverarbeitungsprozesse beim Simultandolmetschen

3.1

Psycholinguistische Grundlagen

3.2

Kognitionspsychologische Grundlagen zum Arbeitsgedächtnis

3.3

Dolmetschprozessmodelle

3.4

Dolmetschstrategien

3.5

Monitoring und Autokorrektur

4

Interferenzen

4.1

Interferenzen als fächerübergreifender Gegenstand

4.2

Interferenzen in der Translationswissenschaft

4.3

Stand der Forschung in der empirischen Dolmetschwissenschaft

4.4

Mögliche Ursachen für Interferenzen im Dolmetschprozess

4.5

Dolmetschstrategien und Interferenzen

Teil II:

Empirisches Experiment

5

Fragestellungen und Hypothesen

6

Methodik und Experimentbeschreibung

6.1

Analysematerial

6.2

Versuchspersonen

6.3

Ablauf des Experiments

6.4

Auswertungskriterien

7

Resultate, Überprüfung der Hypothesen und Diskussion

7.1

Quantifizierung und Klassifizierung der ermittelten Interferenzen

7.2

Auswertung und Ergebnisse der Fragebögen

7.3

Studenten und professionelle Dolmetscher im Vergleich

7.4

Sprachstrukturelle Besonderheiten

7.5

Psycholinguistische Ursachen

7.6

Autokorrekturen und Monitoringprozesse

8

Fazit und Ausblick

Bibliographie

Anhang

Anhang 1:

Fragebogen 1: Studenten

Anhang 2:

Fragebogen 1: professionelle Dolmetscher

Anhang 3:

Fragebogen 2

Anhang 4:

Ausgangsrede

[6]Abbildungsverzeichnis

Abb. 1:Visual representation of the interpreter’s position on the language mode continuum when doing simultaneous interpreting (Grosjean 1997:174)

Abb. 2:Aktivierungsausbreitung bei der Sprachproduktion am Beispiel des Satzes „Some swimmers sink.“ (Dell 1986:290)

Abb. 3:Baddeleys Arbeitsgedächtnismodell (Baddeley 2000a:418)

Abb. 4:Cowans Embedded Processes Model of Working Memory (Cowan 1999:64)

Abb. 5:Schematische Verteilung der Verarbeitungskapazität beim Simultandolmetschen eines einfachen Satzes mit einem Segment, das einen hohen Informationsgehalt hat [t2–t4] (Gile 1997:201)

Abb. 6:Settons Modell des Simultandolmetschens (Setton 1999:65)

Abb. 7:Levelts perceptual loop theory of self-monitoring (Levelt 1989:470)

Abb. 8:Interferenztypologie nach Schneider (2007:41)

Abb. 9:Klassifizierung in Interferenzkategorien

Abb. 10:Studenten: Interferenzen pro 100 Wörter

Abb. 11:Professionelle Dolmetscher: Interferenzen pro 100 Wörter

Abb. 12:Studenten: Klassifizierung in Interferenzkategorien

Abb. 13:Professionelle Dolmetscher: Klassifizierung in Interferenzkategorien

Abb. 14:Korrekturen von Interferenzen (Studenten)

Abb. 15:Korrekturen von Interferenzen (professionelle Dolmetscher)

Abb. 16:Korrekturen in Relation zur Interferenzanzahl

Abb. 17:Korrekturen nach Interferenzkategorien

[9]Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:Interferenzbegünstigende linguistische Besonderheiten des Sprachenpaars Spanisch – Deutsch

Tabelle 2:Interferenzbegünstigende Faktoren aus psycholinguistischer Perspektive (inhaltliche und externe Ursachen)

Tabelle 3:Sprachliche Schwierigkeitsstellen mit Interferenzpotential in der Rede

Tabelle 4:Inhaltliche Schwierigkeitsstellen in der Rede

Tabelle 5:Quantifizierung von Interferenzen und Korrekturen (Studenten)

Tabelle 6:Quantifizierung von Interferenzen und Korrekturen (professionelle Dolmetscher)

Tabelle 7:Sprachbiographie (Studenten)

Tabelle 8:Sprachbiographie (professionelle Dolmetscher)

Tabelle 9:Dolmetscherfahrung/-ausbildung (Studenten)

Tabelle 10:Dolmetscherfahrung/-ausbildung (professionelle Dolmetscher)

Tabelle 11:Retrospektive Einschätzung (Studenten)

Tabelle 12:Retrospektive Einschätzung (professionelle Dolmetscher)

Tabelle 13:Lexikalische Interferenzen: Übersicht der betroffenen Strukturen

Tabelle 14:Phonetische Interferenzen: Übersicht der betroffenen Strukturen

Tabelle 15:Morphosyntaktische Interferenzen: Übersicht der betroffenen Strukturen

Tabelle 16:Syntaktische Interferenzen: Übersicht der betroffenen Strukturen

[11]„Wir müssen uns eine harte Haut zulegen, sozusagen eine Kokodrilshaut.“Dr. Jennifer Konzett

[13]Danksagung

Diese Monographie ist die leicht überarbeitete Version meiner im März 2022 am Fachbereich Romanistik der Universität Salzburg abgeschlossenen Dissertation.

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mich auf meinem Weg zur Dissertation unterstützt haben und mir in dieser Zeit sowohl fachlich als auch persönlich zur Seite gestanden haben.

Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Bernhard Pöll, der als Hauptbetreuer der Arbeit stets ein offenes Ohr für meine Anliegen hatte, mich mit seinem ausgezeichneten fachlichen Wissen bestens beraten und mein Forschungsvorhaben auch organisatorisch immer unterstützt hat. Als Dissertantin unter seinem Lehrstuhl gab er mir die Möglichkeit, Einblicke in neue Fachgebiete über die Translationswissenschaft hinaus zu bekommen und hat mich auf diesem Weg immer gefördert, wofür ich ihm sehr dankbar bin.

Meiner Zweitbetreuerin Frau Prof. Martina Behr möchte ich ebenfalls meinen großen Dank aussprechen für ihre ausgezeichnete Unterstützung bei allen offenen Fragen und ihre wertvollen Anregungen, vor allem zu den dolmetschwissenschaftlichen Aspekten sowie dem methodischen Vorgehen in der empirischen Studie.

Ich bedanke mich auch herzlichst bei der Universität Salzburg für die finanzielle Unterstützung im Rahmen eines Förderungsstipendiums, welches eine große Hilfe bei der Durchführung meines Forschungsvorhabens war. Die Publikation der Dissertation wurde mit Fördergeldern der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Universität Salzburg unterstützt, was dieses Projekt überhaupt möglich gemacht hat und wofür ich mich herzlichst bedanken möchte.

Bei Kathrin Heyng möchte ich mich für die ausgezeichnete Betreuung seitens des Verlags bedanken.

Die Datenerhebung wäre ohne die Teilnahme der Probanden am empirischen Experiment nicht möglich gewesen. Daher möchte ich ein großes Dankeschön an alle Dolmetscher sowie an alle Dolmetschstudenten aussprechen, die an meiner Studie mitgewirkt und somit einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung geleistet haben. Bedanken möchte ich mich auch bei allen, die mir bei der Probandensuche unter die Arme gegriffen haben und meine Anfrage weitergeleitet bzw. veröffentlicht haben.

Für die Unterstützung bei der Ausarbeitung des empirischen Experiments möchte ich mich insbesondere bei Astrid Schmidhofer für die hilfreichen [14]Anmerkungen und Tipps im Rahmen des Pretests sowie bei David More Trujillo für das Einlesen der Originalrede als Audio-Datei bedanken.

Bei Melanie Reisinger und Karoline Wurzer möchte ich mich herzlich fürs Korrekturlesen sowie die wertvollen Anregungen und Ratschläge bedanken. Sonja Riebandt danke ich für ihre Unterstützung bei der Auswertung der Daten sowie die Korrekturen von Abstracts in englischer Sprache und dafür, dass sie immer ein offenes Ohr für meine Fragen und Unsicherheiten hatte.

Mein Dank gilt auch allen Arbeitskolleginnen und -kollegen, die mich in diesen Jahren begleitet haben, für den fachlichen Austausch, aber auch die persönlichen Gespräche und gemeinsamen Aktivitäten. Insbesondere möchte ich mich bei Anne-Kathrin Gärtig, Christoph Hülsmann, Birgit Füreder, Romina Palacios, Damien Wilhelmy und Karoline Wurzer bedanken, da sie in dieser Zeit wichtige Ansprechpersonen waren und stets mit Tipps und Tricks zur Stelle waren.

Die erfolgreiche Vollendung des Dissertationsprojekts verdanke ich auch der emotionalen Unterstützung und dem Rückhalt meiner Freunde. Ganz besonders bedanke ich mich bei Simone, Hans, Stoffl, Sonja, Christina mit Elina, Karo, Julia und Romeo mit meinem kleinen Zaney, dafür, dass sie immer für mich da sind sowie für die ausgleichenden Aktivitäten zwischen Salzburger Kletterhalle und Tiroler Bergwelt und die gemeinsamen heiteren Momente.

Zuletzt möchte ich noch meinen Großeltern, Eltern und meinem Bruder Mario mit Jeong-Eun danken, dass sie mich auf meinem Weg immer unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, Elisabeth und Reinhard Konzett, dass sie mich stets ermutigt haben, meinen Horizont zu erweitern und neue Pfade einzuschlagen. Ohne ihre Unterstützung im Studium, bei den unterschiedlichen Auslandsaufenthalten und ohne den emotionalen Rückhalt wäre ich nicht da, wo ich heute bin.

[15]Abstract

Im vorliegenden Forslchungsprojekt werden Interferenzerscheinungen beim Simultandolmetschen in der Sprachkombination Spanisch – Deutsch beim Dolmetschen in die A-Sprache aus (psycho)linguistischer und dolmetschprozessorientierter Perspektive behandelt.

Die Erforschung von Interferenzen wurde im Bereich der Dolmetschwissenschaft bislang vernachlässigt, obwohl das Phänomen der Interferenzerscheinungen nicht nur aus linguistischer Perspektive interessant ist, da so sprachspezifische Schwierigkeitsstellen in einer bestimmten Sprachkombination erfasst werden können, sondern auch aus psycholinguistischer und dolmetschprozessorientierter Perspektive, da es einen Einblick in die Abläufe der Sprachverarbeitung und der Strategien während des Simultandolmetschens ermöglicht. Es bietet sich folglich eine interdisziplinäre Perspektive an der Schnittstelle zwischen Linguistik und Dolmetschwissenschaft für die Erforschung von Interferenzen an, um sowohl die linguistischen und sprachenpaarspezifischen Erkenntnisse zu Interferenzen als auch die Spezifika des Dolmetschprozesses berücksichtigen zu können.

Der erste Teil des Werkes behandelt die für den Forschungsgegenstand relevanten theoretischen Grundlagen und der zweite Teil das empirische Experiment. Im Rahmen des empirischen Teils wird das Auftreten von Interferenzerscheinungen bei Dolmestschstudenten und professionellen Dolmetschern anhand der Simultandverdolmetschung einer zuvor präparierten Rede vom Spanischen ins Deutsche untersucht. Zusätzlich werden mittels Fragebögen Daten zu den Teilnehmern und zur Selbstwahrnehmung erhoben.

Ausgehend von den im Theorieteil ausgearbeiteten Grundlagen zum mentalen Lexikon, zur Aktivierungsausbreitung, zum Arbeitsgedächtnis und den unterschiedlichen Dolmetschprozessmodellen sowie unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der kontrastiven Linguistik und empirischen Experimenten zu Interferenzen beim Simultandolmetschen in anderen Sprachenpaaren wird überprüft, welche linguistischen Besonderheiten im Sprachenpaar Spanisch – Deutsch besonders interferenzanfällig sind und wie sich allgemeine Schwierigkeitsstellen auf Interferenzen auswirken. Zusätzlich geben die aus den Fragebögen gewonnen Daten Aufschluss über die Sprach- und Dolmetschbiographie der Probanden sowie zur Einschätzung der Rede und retrospektiven Selbsteinschätzung der Verdolmetschung, wobei mögliche Korrelationen mit der Interferenzhäufigkeit und den ermittelten Selbstkorrekturen erfasst wer[16]den. Die Studie hat gewissermaßen explorativen Charakter, da aktuell keine Daten zu Interferenzerscheinungen beim Simultandolmetschen im Sprachenpaar Spanisch – Deutsch vorliegen. Allerdings können ausgehend von den theoretischen Grundlagen und Ergebnissen empirischer Experimente zu Interferenzen in anderen Sprachenpaaren auch Hypothesen aufgestellt werden, die in der Studie für das Sprachenpaar Spanisch – Deutsch überprüft werden.

Die Auswertung der im empirischen Experiment gesammelten Daten konnte aufzeigen, dass Interferenzen sowohl bei Dolmetschstudenten als auch bei professionellen Dolmetschern als häufiges Phänomen beobachtet werden können, und umfasst dabei folgende Teilbereiche: sprachspezifische Besonderheiten in den unterschiedlichen linguistischen Teildisziplinen beim Dolmetschen zwischen den Sprachen Spanisch und Deutsch; der Einfluss einer kognitiven Überlastung auf die Interferenzhäufigkeit; Unterschiede zwischen professionellen Dolmetschern und Dolmetschanfängern hinsichtlich Interferenzen, was auch Rückschlüsse auf unterschiedliche Sprachverarbeitungsprozesse zwischen diesen beiden Gruppen zulässt; Monitoringprozesse, Selbstkorrekturen und retrospektive Selbsteinschätzung in Bezug auf Interferenzen.

[17]1Einleitung

„Der Übersetzungsvorgang hat mit dem Austausch von Wörtern so wenig zu tun wie das Schachspiel mit dem Verrücken von Schachfiguren.“ (Hans G. Hönig)

Das Simultandolmetschen als besondere bilinguale Kommunikationsform bietet interessante Möglichkeiten, um Sprachen im Kontakt zu beobachten und Vorgänge der bilingualen Sprachverarbeitung im Dolmetschprozess zu erforschen. Inwieweit, unter der Simultaneität der Sprachproduktion in einer und der Sprachrezeption in einer anderen Sprache, die Ausgangssprache einen Einfluss auf die Zieltextproduktion hat, ist dabei eine grundlegende Frage. Die Erforschung dieses Einflusses in Form von Interferenzerscheinungen kann Einblicke in die ablaufenden Sprachverarbeitungsprozesse im Dolmetschprozess sowie in das strategische Vorgehen des Dolmetschers1 und gleichzeitig in die linguistischen Besonderheiten des jeweiligen Sprachenpaares geben und liegt somit an der Schnittstelle zwischen Dolmetschwissenschaft und Linguistik.

Im Rahmen des vorliegenden Forschungsprojekts werden Interferenzerscheinungen beim Simultandolmetschen in die A-Sprache in der Sprachkombination Spanisch – Deutsch untersucht, wobei ein interdisziplinärer, sprachenpaarspezifischer Ansatz verfolgt wird. Als Grundlage für die Ausarbeitung des empirischen Experiments werden linguistische (insbesondere psycholinguistische und kontrastiv-linguistische), kognitionspsychologische sowie dolmetschprozessorientierte Erkenntnisse und Perspektiven zur Sprachverarbeitung beim Simultandolmetschen, zu kontrastiven Besonderheiten des Sprachenpaars Spanisch – Deutsch und zu Interferenzen im Konkreten herangezogen. Die empirische Studie hat folglich zum Ziel, sowohl Daten zu den sprachstrukturellen Herausforderungen beim Dolmetschen vom Spanischen ins Deutsche als auch Rückschlüsse zu den Abläufen, Störungen und strategischen Entscheidungen im Dolmetschprozess in Zusammenhang mit Interferenzen zu gewinnen.

[18]1.1Themenwahl

Interferenzerscheinungen sind ein bislang vernachlässigtes Themengebiet in der Translationswissenschaft. Wolfram Wilss (1989:5) schreibt dazu: „Sprachmittlung ist der praktisch bedeutsamste Weg, interlinguale und damit interkulturelle Textkontakte herzustellen. Umso erstaunlicher ist es, daß die Übersetzungswissenschaft bislang kaum zu einer mehr als punktuellen Diskussion der spezifisch translatorischen Erscheinungsweise von Interferenz gefunden hat.“ Seit Wolfram Wilss vor über 30 Jahren diese Forschungslücke für die Übersetzungswissenschaft festgestellt hat, hat sich nur wenig in Bezug auf die Erforschung von Interferenzen in der Translations- und im Konkreten der Dolmetschwissenschaft geändert, wohingegen in unterschiedlichen Bereichen der Linguistik die Interferenzproblematik umfassend und aus verschiedensten Blickwinkeln behandelt wurde. In der Dolmetschwissenschaft im Speziellen wurden Interferenzen erst sehr spät thematisiert. Interferenzen wurden zwar in einigen dolmetschwissenschaftlichen Experimenten empirisch untersucht, jedoch häufig im Rahmen von Diplom- und Masterarbeiten, oft mit kleinen Probandengruppen, die teilweise nur aus Studenten bestanden, und nur in einigen wenigen Sprachenpaaren. Für das Sprachenpaar Spanisch – Deutsch liegen aktuell noch keine Daten in Bezug auf Interferenzerscheinungen oder sprachstrukturelle Herausforderungen beim Simultandolmetschen vor.

Folglich ist es von besonderer Relevanz, einen sprachenpaarspezifischen Beitrag für das Simultandolmetschen in dieser Sprachrichtung zu leisten. Zusätzlich stellen Interferenzen aber ebenfalls ein interessantes Forschungsfeld aus dolmetschprozessorientierter Perspektive dar, welches einen Einblick in die dahinter ablaufenden Sprachverarbeitungs- und Dolmetschprozesse geben kann. Fromkin (1973:43 f) schreibt bezüglich der bereichernden Erkenntnisse, die aus der Erforschung von Versprechern gewonnen werden können, Folgendes: „[S]peech error data […] provide us with a window into linguistic processes and provide, to some extent, the laboratory data needed in linguistics.“ Während Versprecher Aufschluss über verborgen ablaufende Sprachverarbeitungsprozesses in der monolingualen Kommunikation geben können, ermöglicht die Beobachtung von Interferenzen ähnliche Rückschlüsse über die Sprachverarbeitung in multilingualen Settings und im konkreten Fall der Sprachmittlung über dabei stattfindende Prozesse.

Die Relevanz von Interferenzerscheinungen ist auch empirisch in der Translationswissenschaft belegt, da diese als häufiges Phänomen nicht nur bei Translaten in die Fremdsprache, sondern auch in die Grundsprache, dabei ebenso bei Studenten wie auch professionellen Dolmetschern beobachtet werden können. Wolfram Wilss (1977:36) spricht von einem „hypnotischen [19]Zwang“ des Ausgangstextes, der dazu führt, dass „[…] ausgangssprachliche Formulierungsweisen ungefiltert, im Rahmen einer mechanischen Texterzeugungsprozedur, so auf die Primärsprache projiziert werden, daß daraus Kollisionen mit primärsprachlichen Normen resultieren“. Interferenzen können dabei sowohl an erwartbaren als auch an unerwarteten Stellen vorkommen und in Zusammenhang mit gewissen textinternen Faktoren auf inhaltlicher und sprachlicher Ebene, mit den externen Umständen, in denen das Translationsprodukt entsteht, sowie mit der individuellen Erfahrung und Sprachbiographie des Übersetzers oder Dolmetschers stehen. Diese Auslöser für Interferenzen und Zusammenhänge mit unterschiedlichen weiteren Aspekten sind bisher nur sehr wenig untersucht und bergen noch ein großes Forschungspotential, sowohl bezüglich sprachenpaarspezifischer linguistischer Besonderheiten als auch in Bezug auf dolmetschprozessorientierte Fragestellungen.

1.2Forschungsziele

Ziel des vorliegenden Forschungsprojekts ist es, erstmalig empirische Daten zu Interferenzerscheinungen beim Simultandolmetschen vom Spanischen ins Deutsche zu erheben. Besonderes Augenmerk bei der durchgeführten Studie richtet sich einerseits auf die kontrastiven linguistischen Besonderheiten im Sprachenpaar Spanisch – Deutsch und andererseits auf die dolmetschprozeduralen Vorgänge. Die Dolmetschrichtung wurde dabei auf Verdolmetschungen in die A-Sprache beschränkt, da der Fokus auf der Erforschung von sprachstrukturellen und psycholinguistischen Ursachen im Dolmetschprozess liegt und nicht auf Sprachkompetenzproblemen in einer Fremdsprache. Bei Verdolmetschungen in die B-Sprache (aktive Fremdsprache beim Dolmetschen) ist es sehr viel schwieriger und teilweise unmöglich zu beurteilen, inwieweit ein Kompetenzmangel oder eine Störung auf Performanzebene vorliegt. Die A-Sprache ist dabei immer die stärkste Sprache des Dolmetschers und üblicherweise die Muttersprache bzw. L1 und/oder frühe Bildungssprache und wird laut Internationalem Verband der Konferenzdolmetscher (AIIC) wie folgt definiert: „The interpreter's native language (or another language strictly equivalent to a native language), into which the interpreter works from all her or his other languages, and as a general rule, in both modes of interpretation, simultaneous and consecutive“ (AIIC 2018:4).

Dem zum Teil explorativen Charakter der Studie, der vor allem das gewählte Sprachenpaar und die damit verbundene sprachstrukturelle Ausarbeitung von interferenzbegünstigenden Strukturen betrifft, soll mit einer systematischen quantitativen Aufstellung und Klassifizierung von Interferenzen und Korrek[20]turen sowie der Ermittlung möglicher Korrelationen mit unterschiedlichen Aspekten Rechnung getragen werden. Die Auswertung der Ergebnisse zielt darauf ab, Antworten auf die sich aus dem Theorieteil ergebenden Forschungsfragen in diesen Bereichen zu geben. Zusätzlich werden die aus den theoretischen Grundlagen und empirischen Experimenten zu Interferenzen beim Simultandolmetschen in anderen Sprachenpaaren abgeleiteten Hypothesen im empirischen Experiment überprüft. Die Forschungsfragen und Hypothesen werden im Kapitel 5 der vorliegenden Arbeit im Detail erläutert.

Im Rahmen des Forschungsprojekts werden die im Folgenden zusammenfassend dargestellten Ziele verfolgt:

Ein erstes Ziel ist die Quantifizierung und Klassifizierung von Interferenzen im Sprachenpaar Spanisch – Deutsch beim Simultandolmetschen in die A-Sprache und in diesem Zusammenhang die Beantwortung der folgenden Forschungsfragen: Mit welcher Häufigkeit treten Interferenzen auf und wie verteilen sich diese auf die unterschiedlichen Interferenzkategorien? Welche Erkenntnisse können in Bezug auf Autokorrekturen bei Interferenzen gewonnen werden? Gibt es Unterschiede zwischen Studenten und professionellen Dolmetschern bezüglich der Interferenzrate und Klassifizierung in Interferenzkategorien? Welche weiteren möglichen Korrelationen zwischen Interferenzerscheinungen und der Sprach- bzw. Dolmetschbiographie der Probanden können gefunden werden? Wie sieht ein Vergleich mit vorangehenden Studien zu anderen Sprachenpaaren aus?

Ein weiterer wichtiger Forschungsbereich sind sprachstrukturelle Besonderheiten im Sprachenpaar Spanisch – Deutsch, welche aus theoretischen Gesichtspunkten als interferenzbegünstigend gesehen werden können und empirisch auf ihre tatsächliche Interferenzanfälligkeit überprüft werden. Hierbei geht es darum, sprachenpaarspezifische linguistische Schwierigkeitsstellen beim Simultandolmetschen sowie mögliche damit zusammenhängende strategische Entscheidungen zu identifizieren, was in weiterer Folge dolmetschprozedurale sowie dolmetschdidaktische Rückschlüsse ermöglicht. Bezüglich dieses Aspekts ist auch ein Vergleich von Studenten und professionellen Dolmetschern von besonderer Relevanz, da somit mögliche Unterschiede in der Sprachverarbeitung und im strategischen Vorgehen im Dolmetschprozess möglich sind.

Neben den linguistischen Besonderheiten des Sprachenpaares Spanisch – Deutsch sind jedoch auch psycholinguistische Interferenzursachen, die in Zusammenhang mit einer kognitiven Überlastung des Dolmetschers stehen können, von Interesse. Diesbezüglich sollen allgemeine inhaltliche Schwierigkeitsstellen in Bezug auf die Interferenzhäufigkeit untersucht sowie mögliche [21]individuelle Problemstellen der einzelnen Dolmetscher auf eine Korrelation mit den ermittelten Interferenzen überprüft werden.

Die Erfassung von Wahrnehmungs- und Monitoringprozessen sowie Autokorrekturen in Bezug auf Interferenzerscheinungen stellt einen letzten großen Forschungsbereich dar, da hier wichtige Daten zur Wahrnehmung von Interferenzen und zu strategischen Entscheidungen im Dolmetschprozess gewonnen werden können. Neben der reinen Beobachtung von Selbstkorrekturen in den Verdolmetschungen sind diesbezüglich retrospektive Einschätzungen der Dolmetscher zu wahrgenommenen Schwierigkeiten und Korrekturentscheidungen von besonderem Interesse. Zusammenhänge zwischen der Selbsteinschätzung der Qualität der eigenen Verdolmetschung sowie der Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Ausgangsrede und Interferenzerscheinungen sind ein weiteres Teilgebiet bezüglich der Erforschung von Wahrnehmungspozessen, das in der vorliegenden Arbeit behandelt werden soll.

Die Forschungsziele sind, wie im Laufe des Kapitels ersichtlich wird, relativ breit gefächert, was der großen Forschungslücke im Bereich von Interferenzerscheinungen in der Dolmetschwissenschaft und des damit verbundenen teilweise explorativen Charakters der vorliegenden Studie geschuldet ist. In diesem Sinne kann die Themenstellung des vorliegenden Forschungsprojekts einen wichtigen Beitrag sowohl zur Sprachenpaarspezifik aus einer linguistischen Perspektive konkret für das Dolmetschen vom Spanischen ins Deutsche, als auch zur empirischen Dolmetschwissenschaft, insbesondere zur Dolmetschprozessforschung, leisten und hat zum Ziel, zumindest einen kleinen Teil der Forschungslücke in Bezug auf Interferenzerscheinungen in der Dolmetschwissenschaft zu schließen.

1.3Forschungsvorhaben und Aufbau der Arbeit

Das Forschungsvorhaben beinhaltet die Ausarbeitung einer empirischen Studie, welche ausgehend von den theoretischen Grundlagen, aber auch Erkenntnissen aus vorangehenden empirischen Experimenten zu Interferenzen beim Dolmetschen in anderen Sprachenpaaren entworfen wird. Die theoretische Fundierung stützt sich dabei einerseits auf psycholinguistische und kognitionspsychologische Grundlagen zur Sprachverarbeitung und den aktuellen Forschungsstand zum Dolmetschprozess, zu sprachenpaarspezifischen Ansätzen in der Dolmetschwissenschaft sowie zu strategischem Vorgehen und Monitoringprozessen beim Simultandolmetschen. Andererseits bilden Forschungsergebnisse zu Interferenzen sowohl in der Linguistik als auch in der Translationswissenschaft und zu sprachstrukturellen Unterschieden zwischen dem [22]Spanischen und dem Deutschen aus dem Bereich der kontrastiven Linguistik ebenfalls eine wichtige Ausgangsbasis. Darauf aufbauend sollen besonders interferenzanfällige Strukturen für das Simultandolmetschen vom Spanischen ins Deutsche sowie mögliche inhaltliche Schwierigkeitsstellen, welche eine vermehrte Kapazität beim Dolmetschen beanspruchen, identifiziert werden.

Zur Überprüfung der Fragestellungen und Hypothesen wird als Methodik die Kombination einer Dolmetschproduktanalyse von Verdolmetschungen derselben Rede seitens unterschiedlicher Experimentteilnehmer und der Auswertung von Fragebögen gewählt. Dadurch sollen Interferenzerscheinungen nicht nur als Resultat, sondern auch im Zusammenhang mit der Sprachbiographie und Dolmetscherfahrung der Teilnehmer sowie unter möglichen Rückschlüssen auf den Dolmetschprozess und die Selbstwahrnehmung interpretiert werden. Die spanische Originalrede wird dabei in Übereinstimmung mit den aus den theoretischen Grundlagen abgeleiteten Schwierigkeitsstellen und Strukturen ausgewählt und präpariert. Bei der Ausarbeitung der Fragebögen wird darauf geachtet, dass einerseits ausreichend Daten zur Dolmetschausbildung und -erfahrung sowie zur Sprachbiographie der Dolmetscher und andererseits retrospektive Daten zur Einschätzung der Ausgangsrede sowie der eigenen Verdolmetschung gewonnen werden, damit die Wahrnehmung von Problemstellen und mögliche Zusammenhänge mit den ermittelten Interferenzerscheinungen erfasst werden können. Die anvisierte Anzahl der Probanden wird dabei auf 20 festgelegt, was angesichts der Schwierigkeiten in der Dolmetschwissenschaft, geeignete Teilnehmer mit den festgelegten Voraussetzungen für ein Experiment zu gewinnen, und angesichts der Länge der Rede von 20 bis 30 Minuten, als angemessen für die Beantwortung der Forschungsfragen sowie für die gewählte methodische Vorgehensweise zur Bearbeitung der Thematik erachtet wird und eine große Menge an Analysematerial liefert. Die nicht zu große, aber dennoch ausreichende Anzahl an Probanden erlaubt eine quantitative Aufstellung der Daten und eine Ableitung von Tendenzen in einigen Bereichen, ermöglicht aber gleichzeitig auch eine qualitative Analyse von Aspekten, die bei einzelnen Dolmetschern beobachtet werden können und von besonderem Interesse in Bezug auf die Themenstellung sind. Bei der Auswertung der Daten kommt also ein Mixed-Methods-Forschungsdesign zum Einsatz. Die Fragestellungen, die unter anderem auf einen Einfluss der Dolmetscherfahrung auf Interferenzerscheinungen abzielen, erfordern eine Unterteilung in zwei Probandengruppen, alle mit A-Sprache Deutsch und Spanisch in ihrer Sprachkombination, wobei die Hälfte der Teilnehmer Studenten im Masterstudium Konferenzdolmetschen und die andere Hälfte professionelle Dolmetscher sein werden. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt anhand der transkribierten Verdolmetschungen und der aus den Fragebögen [23]gewonnen Daten. Eine detaillierte Beschreibung der Methodik, der Ausgangsrede, der Fragebögen, der Probandengruppe sowie des Ablaufs des Experiments findet sich in Kapitel 6 der vorliegenden Arbeit.

Im Anschluss wird noch kurz der Aufbau des Werkes skizziert:

Teil I beschäftigt sich mit den theoretischen Grundlagen zum Dolmetschprozess, zur bilingualen Sprachverarbeitung, zu sprachenpaarspezifischen Ansätzen sowie Interferenzerscheinungen im Konkreten.

Zunächst wird in Kapitel 2 der Forschungsstand zur Sprachenpaarspezifik und Interdisziplinarität in der Dolmetschwissenschaft, welche grundlegende Aspekte für den gewählten Ansatz in der vorliegenden Arbeit sind, thematisiert.

In Kapitel 3 soll anschließend ein Überblick über die Sprachverarbeitungsprozesse beim Simultandolmetschen gegeben werden. Dabei werden zunächst ausgewählte psycholinguistische Grundlagen zu Gedächtnistypen, zum mentalen Lexikon und zur Aktivierungsausbreitung unter besonderer Berücksichtigung der mündlichen gemittelten Kommunikation behandelt und im Anschluss kognitionspsychologische Grundlagen zum Arbeitsgedächtnis, besonders in Verbindung mit den Erkenntnissen zu Arbeitsgedächtnis und Simultandolmetschen skizziert. Des Weiteren werden dolmetschprozessorientierte Theorien und der aktuelle Forschungsstand zu Dolmetschstrategien insbesondere in Hinblick auf die Thematik von Interferenzerscheinungen diskutiert und schlussendlich noch grundlegende Aspekte zu Monitoringprozessen und Selbstkorrekturen erläutert.

Kapitel 4 befasst sich ausführlich mit dem Themenbereich der Interferenzerscheinungen. Nachdem zunächst ein Überblick über Interferenzen als fächerübergreifender Gegenstand gegeben wird, werden Interferenzen aus der Perspektive der Translationswissenschaft behandelt und schlussendlich die Resultate und Erkenntnisse aus der empirischen Dolmetschwissenschaft vorgestellt. Dabei werden unterschiedliche Definitionen, Klassifizierungsmöglichkeiten von Interferenzen, die Ergebnisse empirischer Experimente sowie mögliche Interferenzursachen und Aspekte, die im Zusammenhang mit Interferenzerscheinungen von Interesse sind, thematisiert. Am Ende dieses Kapitels wird auch die Brücke zum empirischen Teil geschlagen, da konkret, ausgehend von den theoretischen Grundlagen und Resultaten von vorangehenden empirischen Experimenten, inhaltliche und sprachstrukturelle Schwierigkeitsstellen, die als besonders interferenzanfällig erachtet werden können, ausgearbeitet und systematisch aufbereitet werden. Diese bilden wiederum die Grundlage für die Auswahl und Bearbeitung der Rede für das empirische Experiment.

Teil II der Arbeit befasst sich mit der Methodik, dem Aufbau sowie der Durchfürung der empirischen Studie.

[24]Zunächst werden in Kapitel 5 das Forschungsgebiet, die Fragestellungen und Hypothesen im Detail angeführt.

Im Kapitel 6 geht es um die Methodik und Experimentbeschreibung. In den Unterkapiteln werden zunächst die Rede und die dort enthaltenen Schwierigkeitsstellen mit Interferenzpotential sowie die Fragebögen genauer beschrieben. Anschließend werden das Anforderungsprofil an die Versuchspersonen sowie der Ablauf des Experiments erläutert und schlussendlich die Auswertungskriterien, darunter die Anfertigung der Transkripte, die Vorgehensweise bei der Auswertung und die verwendeten Definitionen und Interferenzkategorien, detailliert dargestellt.

Kapitel 7 widmet sich schließlich der Auswertung der Ergebnisse, wobei die Forschungsfragen und Hypothesen überprüft und diskutiert sowie mögliche zusätzliche Aspekte, die im Zusammenhang mit Interferenzen als relevant erscheinen, thematisiert werden.

In Kapitel 8 werden abschließend die wichtigsten Ergebnisse der Datenanalyse der empirischen Studie zusammengefasst und ein Ausblick auf zukünftige Forschungsfragen gegeben.

Die leeren Fragebögen sowie die spanische Ausgangsrede sind im Anhang abgedruckt. Die kommentierte Version der Originalrede, die ausgefüllten Fragebögen der Teilnehmer und die Transkripte der Verdolmetschungen werden online unter folgendem Link https://files.narr.digital/9783823386018/Zusatzmaterial.pdf zur Verfügung gestellt.

1

Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird jeweils auf die grammatisch maskuline Form zurückgegriffen, die hinsichtlich des natürlichen Geschlechts als neutral zu verstehen ist.

[25]Teil I:Theoretische Grundlagen

[26]2Interdisziplinarität und Sprachenpaarspezifik

Für die Durchführung des Forschungsprojekts wird eine interdisziplinäre und sprachenpaarspezifische Vorgehensweise als geeignetste Herangehensweise erachtet.

Die Interdisziplinarität1 in der Dolmetschwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten stark an Wichtigkeit gewonnen. Als junge Wissenschaftsdisziplin war gerade zu Beginn eine gewisse Diskrepanz zwischen der Notwendigkeit, sich methodisch und theoretisch an andere Disziplinen anzulehnen, einerseits, und dem Wunsch nach Abgrenzung, andererseits, spürbar. Kalina (1998:33) schreibt zu diesem Prozess Folgendes: „Eine neu zu begründende Disziplin oder Teildisziplin kann sich zunächst nur in Abgrenzung von anderen Wissenschaften und in ihrer Schnittmenge mit ihnen definieren.“

In den letzten Jahrzehnten gewann die Berücksichtigung der Erkenntnisse aus benachbarten Forschungsfeldern für viele Themenstellungen an Wichtigkeit. (Vgl. Pöchhacker 1994:25 f.) Kurz (1996), zum Beispiel, sieht dieselbe Notwendigkeit einer interdisziplinären, multiperspektivischen Forschung, die Snell-Hornby (1986) für die Übersetzungswissenschaft fordert, auch für die Dolmetschwissenschaft und erkennt vor allem großes Potential in der Miteinbeziehung von grundlegenden Erkenntnissen aus Forschungsbereichen wie „der allgemeinen Sprachwissenschaft, der Textlinguistik, der Kommunikationswissenschaft, der kognitiven Psychologie, der Sprachpsychologie oder Neurophysiologie“ (Kurz 1996:16). Die Autorin weist darauf hin, dass Interdisziplinarität keine Gefahr für die Eigenständigkeit der Translationswissenschaft darstellt, in Worten Snell-Hornbys (1995:84): „[…] [A]n integrated approach to translation is not only possible, but […] is even essential if translation studies is to establish itself as an independent discipline.“ Welche Forschungsdisziplinen von besonderer Relevanz sind, hängt wiederum stark von der jeweiligen Fragestellung ab und eine Bereicherung durch interdisziplinäre Ansätze findet nicht nur unidirektional statt, sondern bidirektional, wobei auch andere Disziplinen von translationswissenschaftlichen Fragestellungen und Untersuchungen profitieren können. (Vgl. Kurz 1996:15 ff.)

Für die Thematik Interferenzerscheinungen beim Simultandolmetschen sind einerseits linguistische Grundlagen aus den unterschiedlichen Teildisziplinen [27]und andererseits psycholinguistische und kognitionspsychologische Erkenntnisse essenziell, um nicht nur sprachstrukturellen Besonderheiten der Dolmetschrichtung Spanisch – Deutsch Rechnung zu tragen, sondern auch mögliche Interferenzursachen auf Dolmetschprozessebene zu identifizieren und somit wichtige Rückschlüsse auf die Sprachverarbeitung beim Simultandolmetschen zu schließen.

Die Frage einer Sprachenpaarspezifik ist ein in der Dolmetschwissenschaft kontrovers diskutiertes Thema, vor allem im Bereich der Dolmetschdidaktik. Während von den Vertretern der Interpretativen Dolmetschtheorie, auch théorie du sens (vgl. Seleskovitch/Lederer 1984), eine rein sinnbasierte Verarbeitung im Dolmetschprozess angenommen wird und sprachenpaarspezifische Besonderheiten somit kaum Beachtung finden, werden in vielen dolmetschwissenschaftlichen Forschungsarbeiten, welche auf den psycholinguistischen und kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen der Informationsverarbeitungstheorie basieren, sprachenpaarspezifische Ansätze und damit einhergehend die linguistischen Grundlagen der beteiligten Sprachen als wichtige Faktoren im Dolmetschprozess angesehen2. Gile (2003:58) schreibt diesbezüglich, dass sich ein sinnbasierter Ansatz, wie er in der théorie du sens vertreten wird, und sprachenpaarspezifische Herangehensweisen nicht gegenseitig ausschließen, sondern weist vielmehr auf die Vorteile einer Kombination aus Deverbalisierungsprozess und sprachspezifischem Vorgehen und auch einem Training in der Dolmetschausbildung, das beide Ansätze miteinbezieht, hin:

„Thus, it is quite possible to acknowledge both the essential advantages of a deverbalization approach in translation work, and the existence of language-specific and language-pair specific features in its practical implementation without there being any contradiction.”

Die Arbeiten zu sprachenpaarspezifischen Fragestellungen beschäftigen sich sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Perspektive mit Dolmetschschwierigkeiten in verschiedenen Sprachenpaaren, welche sich wiederum in einer Häufung bestimmter Fehlerarten manifestieren, der sprachenpaarbedingten Anwendung von unterschiedlichen Strategien sowie dolmetschdidaktischen Rückschlüssen. (Vgl. Niemann 2012:5 ff; Setton 1999:53 ff.)

Ganz allgemein schreibt Gile (1990:20) über mögliche Unterschiede bezüglich des Schwierigkeitsgrades in verschiedenen Sprachenpaaren Folgendes: “ […] there may well be 'easier' and 'more difficult' languages to interpret into […]. In this respect, interpretation from German into English may be 'easier' than [28]interpretation from German into French”. Die Annahme über den tatsächlichen Schwierigkeitsgrad einer Dolmetschrichtung ist zwar empirisch nicht überprüft und auch schwierig zu operationalisieren, aber Studien zu einzelnen Aspekten liefern wichtige Erkenntnisse zu sprachenpaarspezifischen Herausforderungen, Schwierigkeiten und Strategien beim Simultandolmetschen. Sowohl aktuelle psycholinguistische Erkenntnisse zur Sprachverarbeitung (vgl. Kapitel 3.1) als auch empirische Befunde aus der Dolmetschwissenschaft, zum Beispiel zur Antizipation (vgl.u.a. Seeber 2005), zur Décalage (vgl.u.a. Goldman-Eisler 1972), zu morphosyntaktischen Transformationen (vgl. z.B. Donato 2003), aber auch zu Interferenzerscheinungen in unterschiedlichen Sprachenpaaren (vgl. dazu Kapitel 4.3) geben Hinweise darauf, dass die Umkodierung beim Translationsprozess nie vollkommen unabhängig von linguistischen Faktoren der Ausgangs- und Zielsprache ist, dass Strategien sprachenpaarspezifisch eingesetzt werden und die Oberflächenstruktur der Ausgangssprache sich häufig durch Einflüsse in der Zielsprache manifestiert.

Gile (2005:12 ff) spricht einerseits von den linguistischen Besonderheiten, die jede einzelne Sprache aufweist und die, je nachdem, ob es sich um die Ausgangs- oder Zielsprache beim Simultandolmetschen handelt, besondere Herausforderungen darstellen. Diesbezüglich erwähnt er als mögliche Einflussfaktoren auf das Sprachverständnis, zum Beispiel, den Grad an Redundanz und eine niedrige bzw. hohe Dichte von ambigen Wörtern oder Satzstrukturen in der Ausgangssprache. Bei der Sprachproduktion spielen unter anderem die syntaktische Flexibilität und damit einhergehend die Möglichkeiten, wie ein angefangener Satz zu Ende gebracht werden kann, eine Rolle. Andererseits gibt es zusätzlich zu den einzelsprachlichen Herausforderungen auch sprachenpaarspezifische Faktoren, die durch die jeweilige Kombination von Ausgangs- und Zielsprache, eine geringere oder höhere kognitive Verarbeitungskapazität bzw. die Anwendung verschiedener Dolmetschstrategien erfordern, darunter zum Beispiel die syntaktischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie der Verwandtschaftsgrad der beiden Sprachen in Bezug auf lexikalische, phonetische oder morphosyntaktische Ähnlichkeiten. Unterschiedliche syntaktische Abfolgen, vor allem bei komplexen Satzstrukturen in den beteiligten Sprachen, erhöhen die Anforderungen an die Merkkapazität und machen teilweise einen aufwendigen Satzumbau notwendig, was stark ressourcenverbrauchend ist. In diesen Fällen kann es zu Inhaltsfehlern kommen, aber auch Interferenzfehler sind ein häufiges Phänomen, wenn der Dolmetscher zugunsten der inhaltlichen Vollständigkeit so nahe wie möglich an der Struktur des Originals bleibt. Bei typologisch sehr ähnlichen Sprachen kann die Aktivierung von zielsprachlichen Items durch vielfach formähnliche Äquivalente stark erleichtert werden, was eine kognitive Entlastung bedeutet. Allerdings birgt diese Formähnlichkeit [29]gleichzeitig ein erhöhtes Interferenzpotential, wenn nur die Form, nicht aber die Bedeutung übereinstimmen (vgl. Kapitel 3.1.2 und 3.1.5). (Vgl. Gile 2005:12 ff.)

Anhand des Effort-Modells für das Simultandolmetschen (vgl. Kapitel 3.3.1) kann gut dargestellt werden, dass unterschiedliche Sprachenpaare unterschiedliche Anforderungen an die Kapazitätenaufteilung beim Dolmetschen stellen. Gile (1997:209) schreibt diesbezüglich: “The Effort Models would suggest […] that syntactic differences that force interpreters to wait longer before starting to formulate their [target language] speech tend to increase the load on the memory effort. One might even go further and talk about the intrinsic requirements of specific languages in terms of the listening effort and/or in terms of the production effort.”

Seeber und Kerzel (2011) zeigen anhand von Seebers Modell der Verarbeitungskapazität (vgl. Seeber 2011) auf, dass nicht nur sprachenpaarspezifische Faktoren einen Einfluss auf die kognitive Belastung beim Dolmetschen haben, sondern dass auch intralinguale Aspekte berücksichtigt werden müssen. Eine Messung der kognitiven Belastung führte Seeber empirisch mithilfe von Pupillometrie3 durch und verglich dabei die Verarbeitung unterschiedlicher Satzstrukturen im Sprachenpaar Deutsch – Englisch. Die Hypothese, dass SVO-Strukturen beim Dolmetschen vom Deutschen ins Englische, da sie syntaktisch symmetrisch sind, weniger Verarbeitungskapazität beanspruchen als SOV-Strukturen, welche im gewählten Sprachenpaar syntaktisch asymmetrisch sind, konnte vom Autor in seinem Experiment verifiziert werden. Zumindest für die Verbendstellung im Deutschen konnte somit ein empirischer Nachweis geliefert werden, dass die kognitive Belastung bei derartigen Satzstrukturen höher ist als bei Sätzen, bei denen die Linearität der wichtigsten Konstituenten im Satz in der Zielsprache erhalten werden kann. (Vgl. Seeber/Kerzel 2011:228 ff.) Diese Ergebnisse liefern klare Hinweise darauf, dass nicht nur das jeweilige Sprachenpaar, sondern auch die Art der Formulierung in der Ausgangssprache einen Einfluss auf die kognitive Belastung beim Dolmetschen hat.

Für die gewählte Fragestellung ist im Zusammenhang mit der Sprachenpaarspezifik besonders relevant, dass die Herausforderungen je nach Ausgangs- und Zielsprache variieren. Unterschiedliche Sprachenpaare bergen, was auch mit den empirischen Ergebnissen zu Interferenzen übereinstimmt (vgl. Kapitel 4.3), ein kleineres oder größeres Interferenzpotential, je nach ihrer typologischen Ähnlichkeit. Syntaktische Asymmetrien in den beteiligten Sprachen stellen eine höhere kognitive Belastung für den Dolmetscher dar und können folglich, wenn nicht ausreichend Kapazitäten für eine Umstrukturierung des [30]Satzes zur Verfügung steht, ebenfalls vermehrt zu Interferenzerscheinungen führen. Jedoch ist nicht nur die Sprachkombination ausschlaggebend, sondern auch die Komplexität der verwendeten Strukturen in der Ausgangssprache.

Für das vorliegende Forschungsprojekt wird ein interdisziplinärer und sprachenpaarspezifischer Ansatz konkret für die Spezifika der Dolmetschrichtung Spanisch – Deutsch verfolgt, wobei ausgehend von den dolmetschwissenschaftlichen und psycholinguistischen Erkenntnissen zur Sprachverarbeitung sowie den kontrastiven linguistischen Grundlagen interferenzbegünstigende Schwierigkeitsstellen identifiziert und im empirischen Teil überprüft werden. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse können nicht nur Aufschluss über spezifische linguistische Herausforderungen in der gewählten Sprachkombination und die ablaufenden Sprachverarbeitungsprozesse beim Simultandolmetschen geben, sondern auch wichtige dolmetschdidaktische Anhaltspunkte bezüglich der Schwierigkeiten, Problemstellen, aber auch Übungsmöglichkeiten und Strategien speziell im Sprachenpaar Spanisch – Deutsch liefern.

1

Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Thematik der Dolmetschwissenschaft als Inter- bzw. Transdisziplin vgl. z.B. Behr (2014) und Behr (2020).

2

Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den beiden Standpunkten vgl. z.B. Setton (1999:53 ff).

3

Für detailliertere Informationen zu Forschungsarbeiten im Bereich der Pupillometrie in der Dolmetschwissenschaft siehe zum Beispiel Hyönö/Tommola/Alaja (2007).

[31]3Sprachverarbeitungsprozesse beim Simultandolmetschen

Vorliegendes Kapitel hat es zum Ziel, einen Überblick über die für die Themenstellung relevanten kognitiven, psycholinguistischen und dolmetschwissenschaftlichen Erkenntnisse zur Sprachverarbeitung, zu geben. Diese Grundlagen stellen eine wichtige Ausgangsbasis für die Erklärung von Interferenzerscheinung, vor allem für deren Entstehung im Dolmetschprozess dar. Die Psycholinguistik liefert einen bedeutenden Rahmen mit Daten zur Verarbeitung von Sprache generell und in bilingualen Settings, den beteiligten Gedächtnistypen, den mentalen Wissensrepräsentationen im Gehirn sowie deren Aktivierung und Inhibition, die wiederum Hinweise auf den Zusammenhang zwischen allgemeinen Schwierigkeitsstellen bzw. sprachstrukturellen Besonderheiten und Interferenzerscheinungen geben können. Kognitionspsychologische Grundlagen zum Arbeitsgedächtnis bilden eine wichtige Grundlage für die Erforschung der Beteiligung und der Rolle des Arbeitsgedächtnisses im Dolmetschprozess, wobei besonders die phonologische Schleife als auditiver Kurzzeitspeicher sowie die zentrale Exekutive als Koordinationssymstem interessante Ansätze für die Erforschung von Intereferenzerscheinungen ermöglichen. Unterschiedliche Dolmetschprozessmodelle sowie Modelle zum Monitoring geben einerseits Erklärungen für die Sprachverarbeitungsprozesse beim Simultandolmetschen und helfen andererseits, Dolmetschschwierigkeiten, darunter Interferenzfehler, einzuordnen und als Störungen im Dolmetschprozess zu lokalisieren.

3.1Psycholinguistische Grundlagen

Im Anschluss werden einige wichtige psycholinguistische Grundlagen zur Sprachverarbeitung behandelt, welche essenziell für die Erklärung des Simultandolmetschprozesses an sich und im Speziellen für die Fragestellungen des Forschungsprojekts sind. Zunächst wird ein Überblick über die Gedächtnisarten sowie über die Sprachverarbeitungsprozesse gegeben, um anschließend auf die Besonderheiten der gemittelten Kommunikation, das Modell zum Language Mode von Grosjean sowie die für die Fragestellung der Interferenzproblematik besonders relevanten Erkenntnisse zur Aktivierungs- und Unterdrückungsmechanismen bei der Sprachverarbeitung einzugehen.

[32]3.1.1Gedächtnistypen und ihre Rolle beim Simultandolmetschen

Als Grundlage für das Erfassen und Erklären des Dolmetschprozesses müssen zunächst die unterschiedlichen Gedächtnistypen kurz erläutert werden, die bei Sprachverarbeitungsprozessen generell beteiligt sind. Psycho- und neurolinguistische Forschungen konnten empirische Evidenz dafür liefern, dass das Gedächtnis in unterschiedliche Subsysteme unterteilt werden kann, welche ihrerseits aus mehreren Komponenten bestehen. Eine grobe Unterteilung erfolgt in Ultrakurzzeitgedächtnis (auch sensorisches Gedächtnis), Kurzzeitgedächtnis bzw. in der neueren Forschungsliteratur Arbeitsgedächtnis (working memory) und Langzeitgedächtnis1.

Das Ultrakurzzeitgedächtnis hält Informationen nur für Sekundenbruchteile, bevor sie entweder zur Verarbeitung an das Arbeitsgedächtnis weitergeleitet oder verworfen werden. Die Rolle des Arbeitsgedächtnisses (vgl. Kapitel 3.2) ist primär die temporäre Speicherung und Verarbeitung von Information und es ist ebenfalls beteiligt bei wichtigen Aufgaben wie Verstehensprozessen, Lernen, Schlussfolgern oder bewusster Wahrnehmung. (Vgl. Fabbro 1999:92 f; Gruber 2018:3 ff.)

Das Langzeitgedächtnis wird in implizitesGedächtnis und explizites (oder auch deklaratives) Gedächtnis unterteilt. Das explizite Gedächtnis besteht wiederum aus dem semantischen Gedächtnis, das generelles Weltwissen und Wortbedeutungen enthält, sowie dem episodischen Gedächtnis, in dem autobiographische Erinnerungen gespeichert und bewusst abrufbar sind. Evidenz für die Unterteilung von semantischem und episodischem Gedächtnis in eigene Gedächtnissysteme stammt vor allem aus klinischen Studien, wo Patienten mit Gehirnverletzung teilweise nur in einem der beiden Gedächtnissysteme beeinträchtig waren, während das andere noch intakt war. Diese Trennung in zwei unterschiedliche Subsysteme bedeutet zwar, dass die beiden autonom funktionieren können, jedoch ist auch eine Interaktion der Systeme möglich und häufig gegeben, da eine Aktivierung von Weltwissen, zum Beispiel, dass Wien die Hauptstadt von Österreich ist, auch autobiographische Erinnerungen an Wien mitaktivieren kann, und umgekehrt ist ein Abruf der Erinnerung an ein autobiographisches Erlebnis häufig auch mit einer Aktivierung des darüber gespeicherten Weltwissens verbunden. (Vgl. Gruber 2018:41 ff.) Im impliziten Gedächtnis werden jene Gedächtnisinhalte abgespeichert, die unbewusst, auto[33]matisch und ohne Willensanstrengung aktiviert werden. Die Bereiche, welche dem impliziten Gedächtnis zugeordnet werden, sind die klassische Konditionierung, Priming-Effekte (vgl. Kapitel 3.1.5) sowie das perzeptuelle und das prozeduraleGedächtnis. Das perzeptuelle Gedächtnis dient dazu, bekannte Orte, Personen oder Gegenstände wiederzuerkennen und diese als bekannt wahrzunehmen. Im prozeduralen Gedächtnis wiederum sind motorische und kognitive Prozesse abgespeichert, die durch wiederholtes praktisches Ausführen und Einprägen erlernt werden und automatisch sowie unbewusst ausgeführt werden, wie zum Beispiel Fahrrad fahren oder ein Instrument spielen. (Vgl. Gruber 2018:49 ff.)

Die Implikationen dieser allgemeinen Grundlagen zu den unterschiedlichen Gedächtnissystemen konkret für den Simultandolmetschprozess sind folgende: Beim Simultandolmetschen spielt das implizite Gedächtnis eine entscheidende Rolle für eine Vielzahl von Komponenten im Dolmetschprozess, die unbewusst und automatisiert ablaufen, wie unter anderem das gleichzeitige Hören und Sprechen, die Aufmerksamkeitsverteilung oder das Anwenden unterschiedlicher Dolmetschstrategien. Diese Prozesse, die im prozeduralen Gedächtnis gespeichert sind, können durch explizites Wissen (Wissen über den Dolmetschprozess, Weltwissen etc.) nicht verbessert werden, jedoch durch wiederholtes Ausführen der Tätigkeit trainiert und damit gesteigert werden. Im Gegensatz dazu kann auf die beiden Teile des expliziten Gedächtnisses bewusst zugegriffen und die gespeicherte Information abgerufen werden. Beim Simultandolmetschen kann folglich durch eine gute Vorbereitung und durch das Aneignen von explizitem Wissen (semantisches Wissen einerseits und Allgemein- bzw. Hintergrundwissen andererseits) die Leistung verbessert werden, da während des Dolmetschvorgangs auf die gespeicherten Informationen im semantischen und episodischen Gedächtnis zurückgegriffen wird. (Vgl. Darò 1997:626; Fabbro 1999:96 ff.) Der Abruf der gespeicherten Items im semantischen Gedächtnis kann schneller erfolgen, wenn die Aktivierung erst kürzlich erfolgte und ein größerer Wissensbestand sowie damit verbunden eine bessere Vernetzung besteht (vgl. Kapitel 3.1.5 und 3.2). Bei der Tätigkeit des Simultandolmetschens kommt es auf ein Zusammenspiel zwischen Übung bzw. Erfahrung im Simultandolmetschen an sich und einem möglichst fundierten Wissen (sowohl auf sprachlicher als auch auf inhaltlicher Ebene) an. Empirische Studien, die Verdolmetschungen von Dolmetschanfängern und professionellen Dolmetschern vergleichen, lassen den Rückschluss zu, dass jahrelanges Training im Simultandolmetschen zu einer Automatisierung der Prozesse im prozeduralen Gedächtnis, wie Aufmerksamkeitsverteilung, Dolmetschstrategien, Antizipationsfähigkeit etc., und folglich zu einer besseren Nutzung der kognitiven Ressourcen führt, wobei auch zugleich ein größeres Weltwissen sowie ein [34]vertieftes sprachliches Wissen wichtige Einflussfaktoren für bessere Dolmetschleistungen sind. (Vgl. Moser-Mercer 1997b:257; Pöchhacker 2016b:74 ff.)

Von besonderer Relevanz für die vorliegende Themenstellung ist die Interaktion der unterschiedlichen Gedächtnistypen im Dolmetschprozess, bei dem sowohl die Wissensbestände und prozeduralen Abläufe, die im Langzeitgedächtnis angesiedelt sind, als auch das Arbeitsgedächtnis eine wichtige Rolle spielen. Die im Langzeitgedächtnis gespeicherten Informationen (Sprache, Weltwissen, Kontextwissen etc.) und verinnerlichten Prozesse sind gewissermaßen Grundvoraussetzung, dass eine Verdolmetschung überhaupt stattfinden kann, und liefern wichtige Erklärungen dafür, wie sich Training und Erfahrung im Dolmetschen auswirken, was wiederum theoretische Ansätze liefert, um Vergleiche zwischen Studenten und professionellen Dolmetschern ziehen zu können. Die Gedächtnissysteme und deren Interaktionen liefern eine erste wichtige Grundlage, um die in den nachfolgenden Kapiteln behandelten Forschungsbereiche zur Wissensrepräsentation von sprachlichen Elementen im Gehirn, zum Abruf, zur Selektion und Unterdrückung von Items, insbesondere in einer bilingualen Kommunikationssituation, sowie zu den Besonderheiten der gemittelten Kommunikation darauf aufbauen zu können.

3.1.2Das mentale Lexikon

Der Begriff mentales Lexikon wird für den menschlichen Gedächtnisspeicher für Wörter2 verwendet und umfasst das gesamte damit verbundene Wissen eines Individuums. In der Psycholinguistik wurden viele Experimente durchgeführt, um die Inhalte, die Organisation und den Aufbau des mentalen Lexikons zu erforschen und zu modellieren. (Vgl. Rickheit/Weiss/Eikmeyer 2010:37.) Über einige Aspekte des mentalen Lexikons sind sich die unterschiedlichen Studien mehrheitlich einig, wohingegen andere Auffassungen, vor allem hinsichtlich der Wissensstruktur, den Verbindungen und der Repräsentation von operativen Regeln im Gedächtnis, noch kontrovers diskutiert werden und weiteres Forschungspotential diesbezüglich besteht. Im Anschluss werden einige grundlegende Erkenntnisse über das mentale Lexikon, die für das Simultandolmetschen anwendbar und für vorliegende Arbeit von besonderer Relevanz sind, kurz dargestellt3.

[35]Der aktuelle Forschungsstand in der kognitiven Linguistik belegt, dass im mentalen Lexikon sowohl die sprachlichen Formen (Laut- und Schriftbilder) als auch die Wortbedeutungen und im weiteren Sinn die damit assoziierten kognitiven Konzepte, das sogenannte Weltwissen, abgespeichert sind. Konzepte und Wortformen scheinen dabei getrennt gespeichert zu sein, was unter anderem durch das „tip of the tongue“-Phänomen oder Ergebnisse psycholinguistischer Experimente belegt wird (vgl. Pöll 2018:13). Börner/Vogel (1997:3) schreiben hierzu, dass diese unterschiedlichen Bereiche des Sprachwissens „[…] gemeinsam und dennoch zugleich autonom repräsentiert [sind.] Das mentale Lexikon ist also kein von der Kognition abtrennbares Modul der Sprache, sondern Schnittstelle sprachlicher und konzeptueller Strukturen.“ Die Wortformen, semantischen Konzepte und Strukturen werden als komplexe miteinander vernetzte Einheiten, aufbauend auf den zugrundeliegenden Regeln zur eigenständigen Bildung und Kombination derselben, gespeichert. Die Informationen sind dabei in unterschiedliche linguistische Ebenen gegliedert und umfassen phonologische bzw. graphematische Informationen, morphologische Schemata, syntaktische Regeln und Strukturen sowie semantisch-lexikalische Merkmale, wobei jede Ebene ein unabhängiges, aber zugleich interdependentes Subsystem bildet. Die im mentalen Lexikon gespeicherten Einheiten, Informationen, Strukturen und Regeln zeichnen sich durch ein komplexes System der Vernetzung zwischen den einzelnen Knoten aus, was eine schnelle Aktivierung und Verknüpfung von sprachlichem Material ermöglicht. (Vgl. Börner/Vogel 1997a:3 ff.) Die Vernetzung erfolgt dabei nicht nur zwischen Bedeutung und Wortform, sondern auch zwischen ähnlichen Items auf semantischer, phonologischer, graphemischer oder morphologischer Ebene. Die semantische Beziehung scheint dabei sowohl auf einer tatsächlichen Ähnlichkeit zwischen den Wörtern als auch auf einer assoziativen Beziehung zwischen Elementen, die zwar keine semantischen oder gestaltlichen Gemeinsamkeiten aufweisen, aber häufig zusammen oder in ähnlichen Kontexten vorkommen, zu beruhen (vgl. z.B. Dijkstra et al. 2010:284 ff). Die starke Beziehung zwischen ähnlichen sprachlichen Informationen führt häufig zu einer falschen Aktivierung bzw. nicht erfolgreichen Unterdrückung von fälschlich aktiviertem sprachlichem Material und zeigt sich in der Kommunikation durch Versprecher. Aitchison (2012:262) sieht das mentale Lexikon gewissermaßen als „evolutionary mish-mash“, wo ein Kompromiss zwischen den Anforderungen an die Sprachproduktion und jenen an die Sprachrezeption getroffen wurde. Der Autor schreibt hierzu: „The lemma side of the coin, then, favors production in its [36]organization, whereas the word-form side is better for recognition“ (Aitchison 2021:263). Bei der Sprachproduktion steht also zunächst die Bedeutung im Vordergrund, weshalb eine Verknüpfung zwischen semantischen Konzepten, die in einer Ähnlichkeitsbeziehung stehen oder miteinander verbunden werden, die Sprachproduktion erleichtert. Der Sprachrezeptionsprozess hingegen startet mit der Lautperzeption, wobei eine komplexe matching and guessing-Operation stattfindet, und daher ähnlich klingende Wörter mitaktiviert werden. Diese Aktivierung formähnlicher Items hat jedoch bei der Sprachproduktion den Nachteil, dass diese unterdrückt werden müssen, um Versprecher zu vermeiden, was nicht immer erfolgreich ist. (Vgl. Aitchison 2012:262 ff.)

Die oben angeführten Erklärungen gelten für das mentale Lexikon generell; bezüglich des Aufbaus und der Struktur des mehrsprachigen mentalen Lexikons, auch häufig bilinguales Lexikon, ist die Forschungslage noch komplexer und uneindeutiger. Die Diskussion, ob bei multilingualen Personen ein sprachenübergreifendes System oder unterschiedliche sprachlich getrennte Systeme vorhanden sind, wurde bereits in den 1960er Jahren in der Linguistik geführt. Die Begriffe ‚verschmolzener‘ (compound) Bilingualismus, wo davon ausgegangen wird, dass ein Konzept existiert, welchem die Wortformen in den beiden Sprachen zugeordnet werden, und ‚koordinierter‘ (coordinate) Bilingualismus, wo angenommen wird, dass sowohl Form als auch Konzept sprachspezifisch sind, wurden von Weinreich (1953) eingebracht, von Ervin/Osgood (1954) formalisiert und seither in zahlreichen Forschungsarbeiten modifiziert. Die unterschiedlichen Studien kamen zu teilweise stark divergierenden Ergebnissen und schon relativ bald wird in der Forschungsliteratur nicht mehr von einer Dichotomie der beiden Begriffe gesprochen, sondern ein Kontinuum angenommen, das von verschiedensten Faktoren wie Erwerbsalter, Art des Spracherwerbs, den jeweiligen Sprachen, Verwendungshäufigkeit etc. abhängt und im Laufe des Lebens Veränderungen unterworfen ist4. (Vgl. Raupach 1997:22 ff.) In einigen Studien konnten empirische Hinweise dafür gefunden werden, dass es Unterschiede zwischen earlybilinguals und late bilinguals gibt und frühe Bilinguale mehr Schwierigkeiten haben, die Einflüsse der anderen Sprache zu unterdrücken, was auch mit dolmetschwissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmt, welche aufzeigen, dass early bilinguals nicht automatisch gut zum Dolmetschen geeignet sind, sondern häufig Probleme haben, die beiden Sprachsysteme zu trennen (vgl. Lambert 1978:138 ff).

Paradis (1978; 2004) setzt sich eingehender mit den möglichen Hypothesen zur Anordnung der Sprachen bei mehrsprachigen Individuen auseinander. [37]Dabei diskutiert der Autor vier mögliche Hypothesen: Die Extended System Hypothesis entspricht gewissermaßen den Annahmen des compound bilingualism, wonach es ein Sprachsystem gibt, in dem die Einheiten sprachlich markiert sind, aber als Varianten im selben Speicher abgespeichert sind. Die Dual System Hypothesis stimmt mit den Ansichten des coordinate bilingualism überein und nimmt zwei getrennte Sprachsysteme bei bilingualen Personen an, welche wiederum in die Teilbereiche, die auch beim einsprachigen mentalen Lexikon vorhanden sind, gegliedert werden. Anschließend analysiert Paradis noch zwei Hypothesen, die zwischen den beiden genannten stehen. Die sogenannte Tripartite System Hypothesis, die zwar grundsätzlich von zwei getrennten Systemen ausgeht, aber bei ähnlichen Einheiten einen gemeinsamen Speicher vorsieht, was Erklärungen für Interferenzerscheinungen im Spracherwerb bzw. in der bilingualen Kommunikation liefern kann. Die letzte, die in der Wissenschaft häufig als die Theorie mit dem größten Erklärungspotential eingestuft wird und die auch als einzige eine Einordnung unterschiedlicher Stadien des Sprachverlustes bei Aphasie-Patienten ermöglicht (vgl. z.B. De Bot 2004; Raupach 1994:30; Paradis 1978:10), ist die Subset Hypothesis. Diese Hypothese verfolgt einen integrativen Ansatz und geht davon aus, dass alle Sprachen in einem gemeinsamen Speicher repräsentiert sind, aber die Einheiten der einzelnen Sprachen stark miteinander verschmolzen sind, wodurch sie jeweils ein eigenes, bis zu einem gewissen Grad autonomes, Subsystem bilden. Hulstijn (1997:211) spricht diesbezüglich von „separate families within a community“.

Zur Diskussion über ein gemeinsames oder zwei unabhängige Konzepte in den jeweiligen Sprachen gibt es in der aktuellen Forschungsliteratur, zusätzlich zu den bereits besprochenen Speicherhypothesen und den Annahmen, dass unterschiedliche Faktoren einen Einfluss auf die Speicherart haben, Hinweise darauf, dass Wörter, die viele gemeinsame semantische Eigenschaften in beiden Sprachen haben, schneller aktiviert und übersetzt werden können als solche mit wenigen semantischen Übereinstimmungen, was für diese Fälle den Rückschluss auf ein gemeinsames Konzept zulässt. Abstrakte und kulturell geprägte Wörter, die wenig konzeptuelle Eigenschaften mit den möglichen Übersetzungsäquivalenten teilen, benötigen mehr Zeit zur Aktivierung und es scheint hier nur eine teilweise Überschneidung von zwei unterschiedlichen Konzepten zu geben. Dieses ursprünglich nur für die semantischen Beziehungen entworfene Modell (vgl. De Groot 1992), wurde inzwischen auch auf die lexikalische Ebene erweitert (vgl. Van Hell/De Groot 1998). Diesbezüglich konnte empirisch aufgezeigt werden, dass nicht nur konzeptuelle Ähnlichkeiten die Übersetzung von Wörtern erleichtern, sondern auch lexikalische Ähnlichkeitsbeziehungen. (Vgl. Van Hell/De Groot 1998.) Es bestehen also nicht nur Verbindungen zwischen den Elementen einer Sprache untereinander, sondern [38]auch direkt zwischen Items der unterschiedlichen Sprachen auf den unterschiedlichen linguistischen Ebenen. In diesem Zusammenhang kommt es zu Vernetzungen durch Ähnlichkeitsbeziehungen, welche jedoch kein Übersetzungsäquivalent in der anderen Sprache darstellen. Diese ungewollten Beziehungen auf Grund von Form- oder Bedeutungsähnlichkeit liefern unter anderem eine Erklärung für die Entstehung von Interferenzen. (Vgl. Raupach 1997:31; Setton 1999:76 f.) Setton (1999:76) schreibt zur interlingualen Interkonnektion zwischen den Elementen auf den unterschiedlichen Ebenen: „These associations – both useful and ‚parasitic‘ – are morphological, phonological, orthographic, derivational, or semantic: there is no evidence to suggest associations between words through their syntactic similarities“. Die unterschiedlichen Sprachen können, da sie ein eigenes Subsystem bilden, als Ganzes inhibiert bzw. aktiviert werden, was einen Sprachwechsel ermöglicht. Allerdings geht der aktuelle Forschungsstand davon aus, dass eine Sprache, selbst wenn sie nicht aktiv in der Kommunikation gebraucht wird, nicht einfach komplett abgeschaltet werden kann, da auch in diesem Zustand Spuren der anderen Sprachen im Output beobachtbar sind bzw. bei der Sprachverarbeitung konnte empirisch ebenfalls belegt werden, dass die zum Verständnis nicht aktiv gebrauchte Sprache dennoch verfügbar ist (vgl. Cook 1992:564 f). Es bestehen dementsprechend Verbindungen zwischen einzelnen Einheiten innerhalb eines Sprachsystems und auch zwischen unterschiedlichen Sprachsystemen, die in der Sprachproduktion dann zu ungewollten Einflüssen durch dieselbe Sprache, in Form von Sprechfehlern und Versprechern, oder durch eine andere Sprache trotz Inhibition des Subsystems, in Form von Interferenzerscheinungen, führen können, wenn die fälschlich aktivierten Items nicht unterdrückt werden bzw. eine unpassende der aktivierten Einheiten ausgewählt wird (vgl. Kapitel 3.1.5). (Vgl. Paradis 1993:282; Setton 1999:76 f.)

Bezüglich der Aktivierung der unterschiedlichen Sprachsysteme gibt es verschiedene Ansätze. Green (1986) geht davon aus, dass eine Sprache für die Sprachproduktion ausgewählt ist (selected language), eine weitere Sprache aber ebenfalls aktiviert sein kann (active language), obwohl diese nicht aktiv zur Sprachproduktion verwendet wird, wobei diese dann durch Einflüsse im Output erkennbar ist, und weitere erlernte Sprachen deaktiviert sind (dormant language) und somit keinen Einfluss auf den Output haben. Hufeisen (1991) weist jedoch darauf hin, dass bei multilingualen Sprechern häufig Einflüsse von all ihren Sprachen erkennbar sind und somit auch die bei Green als dormant languages bezeichneten Sprachen nicht gänzlich deaktiviert sind. Häufig wird bei der Aktivierung noch zusätzlich zwischen Input und Output unterschieden (vgl. Raupach 1997:33). Welche Sprachen inwieweit aktiviert sind, hängt von unterschiedlichen Faktoren, wie zum Beispiel der typologischen Ähnlichkeit [39]der Sprachen (vgl. z.B. Cenoz 2001), dem sogenannten foreign language effect, also einer Aktivierung von anderen Fremdsprachen, während die Muttersprache eher inaktiv ist und deshalb weniger Einfluss ausübt (vgl. z.B. Williams/Hammarberg 2009), der Sprachkompetenz in den anderen beherrschten Sprachen oder Komponenten wie Verwendungshäufigkeit bzw. letzte Verwendung (vgl. z.B. Dewaele 1998) etc. ab. Die unterschiedlichen Annahmen zum Aktivierungsgrad der Sprachen bei multilingualen Personen beziehen sich häufig auf das Sprachlernsetting und sind somit nur bedingt für vorliegende Arbeit von Relevanz. Grosjean entwirft jedoch ein Language Mode Continuum, das sich speziell mit dem Aktivierungsgrad von Sprachen in bilingualen Kommunikationssettings auseinandersetzt und das er später speziell für das Simultandolmetschen adaptiert. Dieses Modell wird auf Grund der für die Thematik besonders geeigneten Darstellung gesondert im Kapitel 3.1.3 behandelt.

3.1.3Language Mode

Grosjean geht in der bilingualen Kommunikation davon aus, dass sich mehrsprachige Personen auf einem sogenannten language mode continuum befinden, wobei die Endpunkte der monolinguale Modus und der bilinguale Modus sind, der Sprecher sich aber auch in einem Zwischenstadium befinden kann. Im monolingualen Modus befinden sich Personen zum Beispiel, wenn sie mit Familienmitgliedern oder Freunden in nur einer ihrer Sprachen kommunizieren, ein einsprachiges Buch oder einen Film ansehen. Mehrsprachige Personen sind dann in einem bilingualen Modus, wenn sie mit anderen Bilingualen sprechen oder diesen zuhören und beide Sprachen verwendet werden. Normalerweise ist auch im bilingualen Modus eine Sprache mehr aktiviert, Grosjean spricht von einer sogenannten base language, die je nach Kommunikationssituation die L1 oder eine Lx sein kann, als die andere, die er als guest language bezeichnet. Allerdings gibt es auch Situationen, wie zum Beispiel das Anhören eines Gesprächs mit zwei Personen, bei dem Person 1 eine Sprache spricht und Person 2 in der zweiten Sprache antwortet, oder auch beim Dolmetschen, wo beide Sprachen aktiviert sind. Häufig befinden sich bilinguale Personen jedoch in einem Zwischenmodus, in dem zwar nur eine Sprache aktiv verwendet oder gebraucht wird, die andere aber ebenfalls aktiviert ist, zum Beispiel, wenn sie über Themen in der „falschen“ Sprache sprechen, also Themen, die normalerweise in der anderen Sprache behandelt werden bzw. damit verknüpft sind. Der aktuelle Forschungsstand geht davon aus, dass selbst im monolingualen Modus keine vollständige Deaktivierung der nicht gebrauchten Sprache stattfindet, da empirisch belegt werden konnte, dass auch in diesen Situationen Einflüsse der [40]anderen Sprache bemerkbar sind, und zwar sowohl auf perzeptiver als auch auf produktiver Ebene. (Vgl. Grosjean/Soares 1986:146 ff; Grosjean 2010:39 ff.) Wie groß der Einfluss der gerade nicht aktiv gebrauchten, aber je nach Situation mehr oder weniger aktivierten Sprachen ist, hängt in der bilingualen Kommunikation von unterschiedlichen Faktoren, wie zum Beispiel der Gebrauchshäufigkeit, der Sprachkompetenz, aber auch der Distanz bzw. Ähnlichkeit zwischen den Sprachen, ab (vgl. Raupach 1997:32 f).

Für das Simultandolmetschen entwirft Grosjean ein spezifisches Schema ausgehend von seiner Theorie des language mode continuums bei bilingualen Sprechern, welches die Aktivierung der beiden beteiligten Sprachen im Dolmetschprozess darstellt.

Abb. 1:Visual representation of the interpreter’s position on the language mode continuum when doing simultaneous interpreting (Grosjean 1997:174)

Grosjean geht davon aus, dass beim Dolmetschen beide Sprachen gleichermaßen aktiviert sind, es allerdings einen Unterschied bei der Aktivierung der Sprachverarbeitungsmechanismen gibt. Was die Sprachverarbeitung betrifft, befindet sich der Dolmetscher in einem Zwischenmodus, in dem der Input in beiden Sprachen aktiviert ist, der Output hingegen nur in der Zielsprache. Der Input der Ausgangssprache wird für den Verstehensprozess benötigt und ist wahrscheinlich stärker aktiviert, während der Input der Zielsprache ebenfalls aktiviert sein muss, um Monitoringfunktionen (siehe Kapitel 3.5) wahrzuneh[41]men und den eigenen Output in der Zielsprache mit dem Original in der Ausgangssprache vergleichen zu können. Der Output der Ausgangssprache sollte hingegen deaktiviert sein, da keine aktive Verwendung der Ausgangssprache bei der Sprachproduktion benötigt wird.

Grosjean geht in seinem language mode continuum für das Simultandolmetschen ebenfalls auf die für das vorliegende Forschungsprojekt besonders relevante Fragestellung ein, inwieweit die Output-Mechanismen beim Dolmetschen tatsächlich deaktiviert sind und ob Übertragungen von Sprachstrukturen der Ausgangssprache auf die Zielsprache durch eine fälschliche Aktivierung des Outputs der Ausgangssprache oder schon früher im Sprachverarbeitungsprozess entstehen. Er nimmt diesbezüglich an, dass Phänomene wie eine Übernahme der Sprachstruktur oder eine Übertragung eines Wortes durch eine Wort-für-Wort-Übersetzung bzw. eine Übernahme eines Wortes aus der Ausgangssprache, welches an die morphologischen oder phonologischen Regeln der Zielsprache angepasst wird, wahrscheinlich nicht durch eine Aktivierung des Output-Mechanismus der Ausgangssprache entstehen, sondern schon früher im Verarbeitungsprozess durch fälschliche Aktivierung und insuffiziente Unterdrückung von Items. Es kommt jedoch beim Simultandolmetschen auch immer wieder zu einer vollständigen Übernahme von ausgangssprachlichem Material, ohne dass dieses morphologisch oder phonetisch an die Zielsprache angepasst wird, wobei Grosjean in diesem Fall von code-switching spricht. Die Auslöser für dieses Phänomen beim Simultandolmetschen sind nicht eindeutig geklärt; es ist jedoch anzunehmen, dass es sich dabei um eine kurzzeitige Aktivierung des eigentlich deaktivierten Output-Mechanismus der Ausgangssprache handelt. (Vgl. Grosjean 1997:174 ff.)

Grosjeans Darstellungen zum language mode beim Simultandolmetschen stellen für die Thematik von Interferenzerscheinungen ein interessantes theoretisches Erklärungsmodell dar, das eine generelle Aktivierung der beiden im Dolmetschprozess involvierten Sprachen sowie eine separate Aktivierung bzw. Deaktivierung der Sprachverarbeitungsprozesse in den beiden Sprachen annimmt. Auf Grund der generellen Aktivierung der beiden Sprachen ist die Gefahr von Interferenzen in allen Momenten des Sprachverarbeitungsprozesses gegeben und diese können sowohl bereits beim Verstehens- und Umwandlungsprozess durch Aktivierung und insuffiziente Unterdrückung einzelner inkorrekter Elemente sowie auch später beim Sprachproduktionsprozess durch eine fälschliche Aktivierung des Outputs in der Ausgangssprache entstehen.

[42]3.1.4Besonderheiten der gemittelten Kommunikation

„Simultaneous interpretation is like driving a car that has a steering wheel but no brakes and no reverse.“ (Preter Pyotr Avaliani, Russischdolmetscher bei der UNO, zit. in Endrst 1991)

Im Gegensatz zur ungemittelten oder direkten Kommunikation zeichnet sich die gemittelte Kommunikation dadurch aus, dass der Dolmetscher oder Übersetzer sozusagen als drittes Bindeglied zwischen Sender und Empfänger steht, aber weder vom Redner als Hörer eingeplant ist noch selbst als eigenständiger Redner agieren darf. Zusätzlich vollzieht der Translator Sprachverstehens- und Sprachproduktionsprozesse in unterschiedlichen Sprachen, wie es auch in bilingualen Kommunikationssituationen der Fall ist, wobei aber beim Simultandolmetschen noch hinzukommt, dass der Dolmetscher mit dem Produktionsprozess schon während des Verstehensprozesses einsetzen muss, weshalb er auch nur über einen eingeschränkten Kontext verfügt, und auf Grund der gleichzeitig ablaufenden mentalen Prozesse nur beschränkte kognitive Ressourcen zur Verfügung hat. (Vgl. Setton 1999:8 ff.)

Ebenso wie in anderen bilingualen Kommunikationssituationen ist der Dolmetscher mit der Schwierigkeit des Umschaltens zwischen zwei Sprachen konfrontiert, die als gesamtes Subsystem aktiviert sind, jedoch bei ihrem Aktivierungsgrad je nach In- und Output variieren. In monolingualen Gesprächssituationen hingegen versuchen bilinguale Personen die Aktivierung des nicht benötigten Sprachsystems zu verhindern bzw. dessen Inhibition aufrechtzuhalten, um Interferenzen zu vermeiden (vgl. Paradis 1994:322). Die Aktivierung beider Sprachsysteme unter gleichzeitiger Unterdrückung des Outputs der Ausgangssprache sowie fälschlich mitaktivierter Items scheint auch einer der Schlüsselprozesse beim Simultandolmetschen zu sein (vgl. Kapitel 3.1.5). Im Gegensatz zur einsprachigen Kommunikation, wo der Sprecher im Sprachverstehensprozess den genauen Wortlaut nur so lange aufrechterhält, bis die Bedeutung erfasst wurde, ist es beim Übersetzen notwendig, diesen bis nach der erfolgreichen Textproduktion ständig präsent zu haben, selbst wenn der eigentliche Verstehensprozess schon abgeschlossen ist. Kohn (1990b:111) schreibt hierzu: „The words and structures of the source text do not fade away with successful comprehension; in fact, they are kept alive and are needed for continual checks. ln the course of the production of the target text, translators have to create appropriate expressions while, at the same time, being forced to focus their attention on the source text.“ Diese starke Präsenz der beiden Sprachen birgt an sich schon die Gefahr von „Sprachkontamination“, wird aber beim Simultandolmetschen noch durch die Überlappung des Sprach[43]rezeptions- und des Sprachproduktionsprozesses zusätzlich erschwert. Der Dolmetscher muss also in zweifacher Hinsicht widersprüchliche Handlungen vollziehen: Simultaneität von Rezeption und Produktion sowie Aktivierung der Ausgangssprache für den Verständnisprozess und Unterdrückung derselben für den Produktionsprozess, unter gleichzeitigem Behalten von Spuren des Originalinputs zu Monitoringzwecken. Mögliche Interferenzfehler, die auf eine Überschneidung der beiden Tätigkeit bzw. eine fälschliche Aktivierung von Elementen in der Ausgangssprache zurückgehen, haben nichts mit mangelnder Sprachkompetenz an sich zu tun, sondern vielmehr mit einer Kapazitätsüberlastung auf Grund von erhöhter benötigter Konzentrationsfähigkeit bzw. Schwierigkeiten bei der Aufmerksamkeitsverteilung. (Vgl. Chabasse 2009:88 ff.) In der kognitiven Psychologie schreibt Neisser bezüglich der Kapazitätsgrenzen bei der Informationsverarbeitung, dass „[…] Schwierigkeiten [dann] [auf]tauchen […], wenn Menschen zwei Dinge aufs Mal zu tun versuchen“ (Neisser 1979:83) und dass es zu Überlagerungen von zwei Handlungen kommt, „[…] wenn wir versuchen, für zwei unvereinbare Vorhaben dieselben Wahrnehmungsschemata zu benutzen“ (Neisser 1979:83.). Diese generellen Feststellungen können auch auf das Simultandolmetschen übertragen werden, wo auf Grund der Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen ablaufenden Prozessen und der Präsenz von zwei verschiedenen Sprachen schon ein gewisses Interferenzpotential besteht. Dieses kann sich allerdings durch gewisse Umstände, welche die kognitiven Ressourcen im Dolmetschprozess zusätzlich beanspruchen (vgl. Kapitel 3.2 und 3.3.1