Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris - Maria Anna Oberlinner - E-Book

Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris E-Book

Maria Anna Oberlinner

0,0

Beschreibung

Ovids Remedia amoris zeichnen sich durch die produktive Rezeption paradigmatischer Intertexte und literarischer Gattungen (Lehrgedicht, Satire, Jambus) aus. Die Autorin zeigt, wie intertextuell-parodistisch auf Lukrez' Diatribe gegen die Liebesleidenschaft in De rerum natura 4, Horaz' Satiren und Epoden und Catulls Carmina referiert wird. Ferner wird dargestellt, inwiefern diesen Prätexten eine für die inhaltliche und strukturelle Komposition der Remedia werk-konstitutive Funktion zukommt. Der Untersuchung werden bestehende Perspektiven auf Parodie und Intertextualität zugrunde gelegt. Darauf aufbauend entwickelt die Autorin das visualisierende Pyramidenmodell der Intertextualität, das für die Untersuchung der Remedia und für weitere Studien eingesetzt werden kann. Das Buch richtet sich an interessierte Studierende, Dozierende und Literaturwissenschaftler:innen der Latinistik und klassischen Philologie.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 565

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Maria Anna Oberlinner

Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris

Umschlagabbildung: Marmorsphinx als Basis. Neapel, Museo Nazionale, Inv. 6882. Guida Ruesch 1789. H: 91 cm INR 67. 23. 57. Su concessione del Ministero dei Beni e delle Attività Culturali e del Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli.

 

Diss. Ludwig-Maximilians-Universität München 2021

 

DOI: https://www.doi.org/10.24053/9783823395263

 

© 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

 

ISSN 0941-4274

ISBN 978-3-8233-8526-4 (Print)

ISBN 978-3-8233-0355-8 (ePub)

Inhalt

AbkürzungenVorwort1 Einleitung2 Der Aufbau der Remedia amoris3 Der literaturtheoretische Rahmen3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik3.2 Parodie in der Antike und der modernen Literaturkritik3.3 Ein Visualisierungsmodell: Die Pyramidenstruktur der Intertextualität4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht4.1.1 Die Grundkonzeption von De rerum natura liber 4 und die Bedeutung der ‚Bilder‘4.1.2 Die sukzessive Entfernung vom Prätext4.1.3 ‚simulare vs. simulacra‘4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie4.2.1 Ovidische Erneuerungen in einer innovationsfreudigen Gattung4.2.2 Die Funktionalisierung didaktischer Standards für die Remedia amoris4.2.3 Die Demontage der Elegie im Medium des Lehrgedichts4.2.4 Amor schleicht sich ein: Die unmöglichen Remedia amoris4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm der Remedia amoris4.3.1 Eine parodistische ‚aemulatio Horatii‘? Ovids intertextuelle Bezugnahme auf den Augusteer und jambisch-satirische Traditionen4.3.2 Ovid und Catull: Reaktion auf Geschichten eines Rückfalls4.3.3 Resümee zum Umgang mit den satirischen und jambischen Prätexten sowie weiteren carmina der Catull’schen Liebeszyklen5 Zusammenschau und Ausblick auf weitere Forschungsfelder6 Literaturverzeichnis6.1 Textausgaben, Übersetzungen, Kommentare und Konkordanzen6.2 Wörterbücher und Bibliographien6.3 Forschungsliteratur7 Stellenindex

meinen Eltern gewidmet

Abkürzungen

Für antike lateinische und griechische Autoren und Werke verwende ich die Abkürzungen nach dem Neuen Pauly, vgl. Cancik, Hubert/Schneider, Helmuth (2003/2012; Hgg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 1, Stuttgart, XXXIX–XLVII.

 

Für Zeitschriftentitel im Literaturverzeichnis verwende ich die Abkürzungen nach L’ Année Philologique.

 

Zudem kürze ich das Oxford Latin Dictionary mit OLD und den Thesaurus Linguae Latinae mit ThLL ab (für genaue Literaturangaben siehe 6.2).

Vorwort

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die geringfügig überarbeitete und um einen Stellenindex erweiterte Fassung meiner Dissertation, die ich im Wintersemester 2020/2021 an der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht habe. Die Disputation erfolgte am 06.05.2021. Mein Dank gilt mehreren Mentoren und akademischen Weggefährten.

Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Claudia Wiener, für deren unermüdliche Unterstützung meiner Arbeit ich mich aufrichtig bedanken möchte. Sie begegnete meinen Ideen und Ergebnissen stets mit Offenheit und großem Interesse und war als äußerst engagierte Mentorin eine vertrauensvolle Ansprechpartnerin in allen Belangen. Ebenfalls gilt mein herzlicher Dank Prof. Dr. Niklas Holzberg, der mich mit seiner Begeisterung für die griechische und römische Dichtung zur Auseinandersetzung mit Ovid inspiriert und meine Zulassungsarbeit, von der meine Dissertation ihren Ausgangspunkt nahm, betreut sowie das Korreferat für meine Dissertation übernommen hat. Die anregenden Vorträge im Rahmen der von ihm begründeten Petronian Society Munich Section und die dabei geknüpften Kontakte prägten zudem meine Studienzeit und mein Interesse an der wissenschaftlichen Beschäftigung mit lateinischen Texten. Außerdem bedanke ich mich bei Prof. Dr. Markus Janka, der als Drittgutachter meiner Dissertation fungierte und an dessen Arbeitsbereich für Fachdidaktik ich in meiner Studienzeit wertvolle Erfahrungen sammeln konnte. Zudem gilt mein Dank allen Mitgliedern des Forum Didacticum, insbesondere Dr. Rüdiger Bernek, da ich mehrfach an Forschungskolloquien teilnehmen und Thesen präsentieren sowie diskutieren durfte. Ferner bin ich Prof. Dr. Friedrich Vollhardt, der bereitwillig und mit großem Interesse für meine Forschung als Drittprüfer der Disputation agierte, und seinem Lehrstuhl zu großem Dank verpflichtet.

Schließlich möchte ich Prof. Dr. Regina Höschele meinen besonderen Dank aussprechen, da sie aus der Nähe und Ferne meine Studienzeit prägte und mir stets menschlich und fachlich mit wertvoller und präziser Kritik zur Seite stand. Auch Herrn Tillmann Bub, dem Lektoratsteam und Frau Iris Steinmaier vom Narr Francke Attempto Verlag sei für die Unterstützung bei der Publikation ebenso aufrichtig gedankt wie Prof. Dr. Claudia Wiener und Prof. Dr. Martin Hose für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe Classica Monacensia.

Ein spezieller Dank gilt zudem nicht nur allen, die mich auf meinem akademischen Weg und auf Tagungen, in Seminaren, Forschungskolloquien und in fachlichen Gesprächen begleitet haben, sondern vor allem meiner Familie und meinen Freunden, insbesondere meinen Eltern, die mich in der Phase der Promotion unterstützt haben. Ihnen, die mich auf jedem Schritt meines Lebens geleitet haben und denen ich alles verdanke, sei dieses Buch gewidmet.

 

München, im Januar 2022    Maria Anna Oberlinner

1Einleitung1

Zu Beginn des vierten Teils seiner liebesdidaktischen Tetralogie2 inszeniert Ovid Amors Empörung über den Titel des neuen Werkes, da die ovidische Persona remedia amoris in, wie es zunächst scheint, Opposition zum Zuständigkeitsbereich des Liebesgottes ankündigt. Gegen welche Form der Liebe diese Heilmittel gerichtet sind, erläutert der Sprecher im ersten Teil des Proöms (vgl. V. 1–40): eine unglückliche und unerwünschte, deren Bekämpfung auch Amor am Herzen liegen müsse (vgl. at si quis male fert indignae regna puellae, / ne pereat, nostrae sentiat artis opem, V. 15f.). Ovids Schüler soll das Buch lesen und die Regeln und Hilfestellungen beherzigen, bis er schließlich zu lieben verlernt (vgl. donec dediscis amare, V. 211b).

Ein Blick auf aktuellere Publikationen in Sachen Liebesratgeber lässt die Remedia amoris geradezu modern erscheinen. In zahlreichen Büchern, (Lifestyle-)Magazinen und Internetbeiträgen finden sich Hinweise auf verschiedene bewährte Strategien, die zur Befreiung von lästiger Liebe oder Liebeskummer verhelfen.3 Die Nachfrage nach entsprechender Ratgeberliteratur ist offenbar groß.

Aus dem allgemeinen Erfahrungsschatz des Lebens scheinen, den poetologischen Selbstaussagen zufolge,4 auch die Weisungen des ovidischen praeceptor zu stammen, da er in „Wenn-Dann-Szenarien“5 Möglichkeiten zur Heilung von Liebesqualen vorstellt, die u. a. darin bestehen, dass der Schüler sich mit Hobbies oder beruflicher Tätigkeit ablenken oder eine neue erotische Beziehung eingehen solle. Praktikabel, nachvollziehbar, realitätsnah gedacht, wenn man davon ausgeht, dass sich Emotionen durch Planung steuern lassen6 – so könnte ein erster Lektüreeindruck beschrieben werden. Doch zielen die Remedia wie ihre modernen ‚Entsprechungen‘ auf Anwendbarkeit im Alltag ab? Diese Frage ist mit Blick auf die Forschungsergebnisse, die Ovids intertextuelle und postmodernistische7 Referenzen auf literarische Traditionen und seine Ausrichtung auf ein literarisch gebildetes Leserpublikum hervorheben, zu verneinen.8

Es ist ein Verdienst der Forschung klassischer Philologen, besonders seit den 1970er und 1980er Jahren, die selbst-reflexive und auf intra- und intertextuellen Anspielungen basierende Natur der ovidischen Dichtung herausgearbeitet zu haben.9 Auch ich möchte meinen Beitrag dazu leisten und den Remedia amoris die Aufmerksamkeit schenken, die ihnen im Verhältnis zu anderen Werken des Dichters lange versagt war und auch im Grunde noch immer versagt ist. Denn dieses Werk verkörpert ebenfalls die typisch ovidische Poetik der „selbst-bewussten“ und selbstreflexiven Literarizität, die sich aus der Rekurrenz auf literarische Traditionen und konkrete Texte speist.10

Den Remedia wurde zunächst eine etwas ‚stiefmütterliche Behandlung‘ zuteil, was, wie auch Steven Green (2006) in seinem Forschungsbericht im Sammelband „The Art of Love“ erfasst, an der lange verbreiteten Sicht lag, dass sie lediglich eine Inversion der Weisungen aus der Ars darstellten.11 So bezeichnete der klassische Philologe Wilamowitz, wie Lenz (1969) berichtet, in einem seiner Berliner Seminare die Remedia als „matte[n] Aufguß auf die Teeblätter, aus denen der Gewürztrank der ‘Ars’ bereitet worden ist“12. Auch Fränkel hat 1945 noch behauptet: „Ovid […] had been writing on love for the better part of the past twenty-five years. No wonder that the subject had worn thin for him.“13 Mit der Publikation von Kenneys (auch für meine Untersuchungen maßgeblicher) textkritischer Ausgabe im Jahr 1961, die 1994 in zweiter Auflage und 1995 nochmals verbessert erschien,14 kam es jedoch zu einem „immense boost“15 an Forschung zur Ars und (wenngleich weniger ausgeprägt) zu den Remedia, wie sich auch am Entstehen der Kommentare zeigt16 – auch wenn man, im Vergleich etwa zu den Metamorphosen, Fasti, der Exildichtung und teils auch den Amores, nur partiell von einem ‚Boom‘ sprechen kann.17 Forschungsschwerpunkte, die Ars und Remedia gleichermaßen betreffen, waren dabei insbesondere Fragen zur Datierung18 und Struktur und zur Zusammengehörigkeit der Tetralogie19 – Rosati etwa bezeichnet die Remedia als „fourth book of the Ars“20 – sowie zur Gattung des elegisch-didaktischen Hybridprodukts und der damit einhergehenden Mischung verschiedener Diskurse,21 des „almost infinitely flexible genre“22 bzw. „supergenre“23 der ovidischen Elegie und zum Einfluss früherer literarischer Werke sowie Ovids Umgang damit.24 Auch die Rolle der mythologischen Exempel bzw. Exkurse wurde häufig zum Forschungsgegenstand.25 Die drei Bücher der Ars amatoria haben über die Jahrzehnte hinweg zwar deutlich mehr Aufmerksamkeit erfahren.26 Dennoch hat sich auch eine eigenständigere, spezifische Remedia-Forschung entwickelt. Im Zentrum standen dabei neben dem Aufbau und der (rhetorischen) Struktur27 Fragen zur Rolle des praeceptor (sanitatis), auch seiner Selbstpräsentation als Lehrer und Arzt und seiner Herkunft aus didaktischen und elegischen Traditionen,28 und die Rückgriffe auf literarische und philosophische Topoi, die sich mit dem Thema Heilung und Medizin befassen.29 Als ‚Meilenstein‘ und Wegweiser für die weitere Forschung ist m. E. Contes (1989) brillanter Aufsatz „Love without Elegy: The Remedia amoris and the Logic of a Genre“ – italienisch schon 1986 erschienen30 – zu werten. Dieser widmet sich dem Werk aus literaturkritischer Sicht, kontrastiert die der Elegie und Didaktik inhärenten Codes und erfasst das metaliterarische, gattungssprengende Programm der Remedia, die als „remedy against a form of literature“31, und zwar die sie konstituierende Elegie, fungieren. Dadurch erfasst Conte die grundsätzliche Natur von Ovids Heilmitteln gegen die Liebe.

Viele wissenschaftliche Beiträge befassen sich mit dem Problem, ob die Remedia überhaupt funktionieren können. Denn sowohl die metrische Gestaltung als auch die negativen, eher scheiternden exempla und die durch Intertextualität stets durchbrechende elegisch-erotische Welt zeigen, welche Spannungen und Widersprüche durch das paradox wirkende Unterfangen entstehen, in elegischen Distichen eine Lösung von unglücklicher Liebe zu versprechen.32 Christopher Brunelle (2000/2001) zitiert etwa einen Ausspruch des August Graf von Platen, der dieses Problem bereits im 19. Jahrhundert erkannt hat. „Ich zweifle aber, ob so ein Gedicht, das die Liebe zwar abwehrend, aber doch so reizend behandelt, nicht eher zur Liebe lockt, als davon wegschreckt.“33

Es wurde auch erkannt, dass intertextuelle Betrachtungen für das Verständnis der Remedia notwendig sind; besonders oft wurde dabei das Verhältnis zur Ars und den Liebeselegikern sowie dem Genre Elegie in den Blick genommen.34 Auch damit geht das Problem der funktionierenden Remedia einher: So kann man als doctus lector eigentlich nicht gleichzeitig Weisungen zum Vergessen folgen und die intra- und intertextuellen Referenzen wahrnehmen.35 Des Weiteren haben die Verbindungen zu Lukrez und zur Gattung Satire bereits philologisches Interesse geweckt.36 Die Rezeption von Ovids Ars (und, meist weniger stark akzentuiert, auch der Remedia) in Ovids späteren Werken,37 bei späteren lateinischen Dichtern sowie das Nachleben allgemein sind ebenfalls vermehrt aufgegriffen worden.38

Insgesamt wurden die Remedia meist Gegenstand von Analysen in Form von, teils längeren, Aufsätzen. Abgesehen von den Kommentaren, Textausgaben und Übersetzungen, Jones’ (1997) kurzer, 120-seitiger Monographie und Brunelles Dissertation (1997) „Gender and Genre in Ovid’s Remedia Amoris“,39 die sich v. a. mit der paradoxen Gestaltung des poetischen decorum in den Remedia befasst, gibt es jedoch keine Monographien, die sich ausschließlich den Remedia widmen.

Mit dieser Arbeit möchte ich mich grundsätzlich in den Forschungsdiskurs einreihen, der in den Remedia ein humorvolles, „mock-serious [didactic]“40 sieht – ein Werk, das sich dabei durch intra- und intertextuelle Referenzen und eine grundsätzliche ‚Literarizität‘ auszeichnet. Denn durch die produktive und parodistische Auseinandersetzung mit Prätexten und Gattungskonzepten erlangt dieses Werk seinen spezifischen Charakter. Dabei geht es mir konkret darum zu zeigen, dass die Dichtungen des Lukrez, Horaz (die Satiren und Epoden) und Catulls als jeweils modellhafte Referenztexte Pate für den Tonfall und die inhaltliche und strukturelle Gesamtkomposition der Remedia stehen, die Bezugnahme also werk-konstitutive Funktion hat; erst eine Analyse der intertextuell-parodistischen Referenzen und des (meta-)literarischen Dialogs mit den zeitgenössischen literarischen Autoritäten ermöglicht ein umfassendes Verständnis der Remedia amoris. Die fokussierten Werke sind insofern privilegierte Intertexte, als sie für Ovid paradigmatisch sind. Lukrez’ Lehrgedicht ist in Buch 4 methodisch und thematisch mit den Remedia ‚verwandt‘, gleichzeitig aber auch illustres Gegenbild. In dessen parodistischer Negation erhält m. E. der erste Remedia-Teil seine Kontur. Auch Horaz’ Gattungsrevolution im Bereich Satire und Jambus ist für die Remedia wesentlich. So wird dadurch Ovids generisch-destruktives Programm, wie ich argumentiere, erst möglich. Zudem legitimieren die produktive Rezeption der bei Horaz und insbesondere Catull zu findenden Verbindung von Erotik und Jambus und die Präsentation prototypisch rückfallgefährdeter, unglücklich Verliebter Ovids Vorgehen, sich v. a. im zweiten Remedia-Teil als Autorität mit der Propagierung alternativer Verhaltensszenarien an seine Schüler zu wenden. Diese neuen Erkenntnisse und Beobachtungen auszuführen, ist Gegenstand des im Folgenden knapp skizzierten Hauptteils.

Im zweiten Kapitel stelle ich zunächst den Aufbau der Remedia amoris unter Bezug auf bereits bestehende Untersuchungen dar und akzentuiere dessen Analyse insofern neu, als ich die beiden Hälften des Hauptteils, der tractatio,41 in Fortführung der Terminologie der drei Ars amatoria-Bücher als ‚ars agendi‘ und ‚ars vitandi‘ klassifiziere. Diese Makrostruktur ist dabei Grundlage für Untersuchungen zur Mikrostruktur des Textes, die illustriert durch tabellarische Übersichten zum Aufbau im Verlauf der Arbeit durchgeführt werden.

Das dritte Kapitel dient der Erläuterung der literaturwissenschaftlichen Grundlagen und Begriffe, welche die Basis meiner Analysen sind. Dabei versuche ich, moderne literaturkritische Konzepte auf ihre Kompatibilität mit der antiken (Sicht auf) Literatur zu prüfen und so zu verwenden, dass anachronistische Verzerrungen beim Blick auf die antiken Texte vermieden werden. Das betrifft den Begriff ‚Intertextualität‘ und seine Verbindung mit den antiken Termini aemulatio und imitatio und den Begriff ‚Parodie‘, welchen ich unter Bezug auf Margaret Roses (1993) Definition von modernen reduktionistischen Varianten abgrenze und in seiner antiken Fundierung verwende. Für intertextuelle Bezüge differenziere ich in Fortführung der Klassifikationen Ulrich Broichs und Manfred Pfisters (1985) zwischen Einzeltext- und Systemreferenzen, da dies der Konzeption der Referenzen in den Remedia entspricht. Über die Zusammenfassung bestehender Erläuterungen zum Intertextualitätsbegriff hinaus habe ich jedoch ein eigenes Analysemodell, das ‚Pyramidenmodell der Intertextualität‘ entwickelt, das ich für die intertextuellen Untersuchungen, den Schwerpunkt meiner Arbeit, nutze. Der Vorteil ist, dass in dieser dreidimensionalen pyramidalen Darstellung die Hierarchie intertextueller Bezüge, die von einem fokussierten Prätext ausgehen, visualisiert werden kann. Auch lässt sich die Gleichzeitigkeit mehrerer Bezüge, die für die Remedia und auch viele andere lateinische Texte konstitutiv ist, dadurch einfach und übersichtlich abbilden.

Mit dem vierten Kapitel beginnt der eigentliche Hauptteil meiner Arbeit. In Kapitel 4.1 belege ich, wie das Lehrgedicht des Lukrez, insbesondere die Diatribe gegen die Liebesleidenschaft aus dem vierten Buch von De rerum natura, intertextuell aufgerufen und letztlich parodiert wird. So zeige ich auf, dass sich die Ausführungen des Lukrez wie eine ‚Heilmittelklammer‘ um einen Großteil der Weisungen aus der ars agendi legen. Dabei nimmt Ovid den lukrezischen Prätext aber nicht als vorbildhaftes Muster, sondern er entfernt sich im Verlauf seiner Weisungen sukzessive von diesem Bezugstext, bis es zu einem endgültigen Bruch mit diesem kommt. Die Bezugnahme manifestiert sich auch lexikalisch darin, dass die Wiederholung von Formen des Verbs simulare bei Ovid auf die epikureische simulacra-Theorie anspielt. Daraus kann man folgern, dass Ovid durch seine Weisungen zum Verstellen (simulare), welche eine Charakterisierung der ersten tractatio-Hälfte als ars simulandi zulassen, letztlich eine parodistische Inversion des lukrezischen Textes und seiner Philosophie erreicht, die auf einer Vermeidung von Illusion beruht.

Ausgehend von den Erkenntnissen zu diesem spezifischen Lehrgedicht, also der Untersuchung dieser Einzeltextreferenz, und bestehenden Forschungsergebnissen betrachte ich in Kapitel 4.2 Ovids Haltung dem didaktischen Genre allgemein gegenüber. Dabei zeigt sich, dass Ovid die Grenzen dieser grundsätzlich offenen Gattung weiter auslotet und dem Lehrgedicht durch die Verbindung elegischer und didaktischer Elemente seine persönliche Prägung gibt. Auch integriert er andere Lehrgedichte funktional in sein elegisch-didaktisches Hybrid-Projekt der Remedia amoris und ordnet diese seinem eigenen Werk unter. Mit den Instruktionen dazu, wie man sich von unglücklicher Liebe lösen kann, ist zugleich auch die Demontage der Gattung Elegie und ihrer Regeln (dies stellt Contes [1989] zentrale These dar) verbunden, wobei aber die in der Form und metrisch-rhythmischen Gestaltung inhärenten elegischen ‚Obertöne‘ die Ernsthaftigkeit einer Absage an diese Welt konterkarieren. Der letztgenannte Aspekt, der durch einen Forschungskonsens bereits bestätigt ist und so auch in dieser Arbeit referiert werden soll, sei an das Ende des Kapitels gestellt.

Meine darauf folgenden Betrachtungen zu Ovids Referenzen auf Horaz und Catull (Kapitel 4.3) stehen im Kontext einer Analyse der (eroto-)jambischen und satirischen Elemente, die ebenfalls für das Programm der Heilmittel gegen die Liebe funktionalisiert werden. Dabei werden die parodistischen Rekurrenzen auf Horaz vorwiegend als Systemreferenz realisiert, wobei sie jedoch in konkreten intertextuellen Bezugnahmen auf Textpassagen und Motive begründet liegen. Dagegen stehen die Liebesgedichtzyklen des Catull’schen Œuvres als Einzeltextreferenz im Vordergrund. Ausgangspunkte für meine Schlussfolgerungen sind dabei zunächst die Anspielungen auf die Autosuggestionspassage in Horaz’ dritter Satire des ersten Buches und Ovids parodistischer Umgang mit dem moralphilosophischen vitium-Begriff sowie die karikierende Referenz auf die Existenz von Liebessklaven, wie sie Ovid bereits in sat. 2, 3 und 2, 7 begegnet sind. Dabei zeige ich, dass Ovid Horaz, insbesondere seine produktive Gattungsrevolution in den Bereichen Satire und Jambus, teilweise in Form einer ‚aemulatio Horatii‘ nachahmt und teilweise parodiert und so für die eigene ‚destruktive‘ Gattungsrevolution der Remedia nutzt. Denn auch der jambische Tonfall der Epoden und die lineare Entwicklung der Epoden-Persona stehen, wie ich denke, im Hintergrund der parodistischen Aufnahme in den Remedia.

Die parodistische Referenz auf das Verhalten der Epoden-Persona ist vergleichbar damit, wie Ovid mit dem Sprecher-Ich Catulls umgeht. Dabei ist die Bedeutung der Liebesgedichtzyklen um Lesbia und Juventius und das Verhalten des Catull’schen Ich für die Remedia jedoch insofern größer, als sich zeigen lässt, dass die erkennbare emotionale Entwicklung Catulls motivisch und strukturell grundlegend für den zweiten tractatio-Teil, die ars vitandi, ist. Denn Ovid zeigt parodistisch, wie Catull ein Negativbild ist, dessen Fehler man vermeiden muss, um nicht rückfällig in der Liebe zu werden – Catull demonstriert schließlich, wenn man die Carmina einer intentional naiven Lesart unterzieht und in der Reihenfolge ihrer narrativen Präsentation liest, dass er das Prinzip der emotionalen Indifferenz, das Ovid in der zweiten Remedia-Hälfte entfaltet, missachtet. Die sich im wiederkehrenden Motiv des Nebenbuhlers konstituierende ‚Rivalen-Klammer‘, die sich um diesen zweiten tractatio-Teil legt, gründet ebenfalls auf dem ‚Beziehungsnarrativ‘ Catulls und belegt zusätzlich die Bedeutung dieses Prätextes für die Remedia. Diese Beobachtungen liegen auch der Analyse konkreter lexikalischer Anspielungen auf Catull (insbesondere anhand des Verbs desinere und dominanter Wortfelder zu ‚sprechen und schweigen in Liebesangelegenheiten‘) zugrunde, die meiner Ansicht nach eine Bezeichnung des zweiten Remedia-Teil als ‚ars desinendi et tacendi‘ zulassen. Den Ausführungen stelle ich einen Überblick über die Gestaltung der jambischen Gattung bei Catull und eine detaillierte Betrachtung der Liebeszyklen voran. Mit meiner Klassifikation fünf emotionaler Stadien, die das Catull’sche Ich in der linearen Repräsentation der Carmina durchläuft und die für die Betrachtung der Sammlung als ‚Geschichten eines Rückfalls‘ wesentlich sind, leiste ich auch einen Beitrag zur Catull-Forschung. Eine einführende, zusammenfassende Darstellung von Ovids Bezugnahmen auf den früheren Dichter an anderen Stellen seines Werkes dient als zusätzliche Legitimation der Analyse von Catulls Einfluss.

 

Ich möchte meinen Ausführungen noch eine kurze Bemerkung zu meinem Gebrauch von Sprecher-, Persona- und Autorbegriff voranstellen, die teilweise moderner Erzähltheorie entnommen, aber auch auf Werke der Antike anwendbar sind,42 wobei dies in der Forschung aber nicht unumstritten ist.43 Wenn man über die Diegese in literarischen Werken spricht, wird im literaturwissenschaftlichen Diskurs ein Sprecher-Ich angesetzt, das als eine fiktionale Figur innerhalb des aufgespannten literarischen Raumes, innerhalb der intradiegetischen Welt agiert, spricht etc. Die erzählte Welt wird dabei von einem extradiegetischen Erzähler konstituiert, der nicht mit dem historischen Autor gleichzusetzen, sondern eine literarische Persona ist; so erschafft etwa die ovidische Persona die Remedia amoris und nicht der 43 v. Chr. geborene Dichter. In den Remedia wie auch der Ars tritt nun diese Persona als ‚Ich‘ sagende Figur, als Lehrer im Liebeskurs, als magister/praeceptor amoris bzw. sanitatis sichtbar auf. Aus Gründen der Praktikabilität werde ich, etwa auch um bei Detailanalysen eine unnötige terminologische Verkomplizierung zu vermeiden, in folgender Arbeit die Begriffe Sprecher(-Ich), Persona44 und Autorname – Ovid oder auch Lukrez, Catull, Horaz etc. – synonym verwenden, zumal dies in der anglophonen Forschung in der Regel problemlos praktiziert wird.45 Wenn ich den Namen des Autors verwende, beabsichtige ich also keine Gleichsetzung mit der historischen Figur (was ich, in Anbetracht der lange autobiographischen Lesart der Gedichte Catulls und der steten Versuche, Lesbia mit Clodia zu identifizieren, als einen für Catull besonders wichtigen Hinweis erachte); ist bei einer Nennung tatsächlich die Autorfigur gemeint, ist dies explizit markiert. Denn trotz der grundlegenden Trennung von historischer und literarischer Ebene können in diesen antiken Werken auch Realitätsreferenzen möglich sein. In manchen Fällen sind diese sogar wahrscheinlich. In den Epoden etwa, die auch vor dem Hintergrund der Schlacht von Actium geschrieben wurden, kann es zu einer Übereinstimmung von fiktivem Sprecher-Ich und realhistorischem Autor kommen; eine Trennung ist nicht immer sicher bestimmbar oder sinnvoll, etwa wenn bestimmte Passagen oder Texte bewusst mit autobiographischen Angaben aufgeladen sind. So gibt es auch Stimmen, die in den Remedia in der Passage des Literaturexkurses eine Äußerung des Autors Ovid hören.46 Denn es können sich auch in der fiktiven Persona nur vereinzelte, implizierte Referenzen auf autobiographische Aspekte oder Spiegelungen der historischen Realität finden. Bei der Betrachtung der Remedia als literarischer Parodie von Prätexten und Gattungstraditionen, auf die intertextuell Bezug genommen wird, und bei der Analyse der praecepta, die durch die instruierende Persona präsentiert werden, geht es mir jedoch nicht um die reale Figur Ovid und Fragen etwa nach historischen und politischen Implikationen. In dieser Arbeit bleibe ich in der Welt der Literatur und bei ihren Gesetzen, die in den Remedia unter Rückgriff auf andere Intertexte produktiv verhandelt werden.

2Der Aufbau der Remedia amoris

Eine detaillierte und strukturierte Inhaltsangabe und Skizze des Aufbaus liefert bereits Hans Joachim Geisler in seinem Kommentar zur ersten Hälfte der Remedia (1969); seine Analyse wurde durch andere Kommentatoren sowie Barbara Weiden Boyd modifiziert und erweitert,1 weswegen hier nur die Grundzüge der Werkkonzeption angeführt und die bisherigen Forschungsergebnisse mit eigenen Beobachtungen ergänzt werden.

Ein zweigeteiltes Proöm und ein vier Verse umfassender Epilog rahmen die eigentliche, wiederum zweigeteilte tractatio, der eine kurze Erörterung zum richtigen Zeitpunkt für die Heilung vorangeht. Im Dialog mit Amor (V. 1–40) verteidigt die Persona zunächst ihr literarisches Vorhaben, unglücklich Verliebten Hilfe anzubieten (vgl. V. 15f.). Wenngleich die Remedia angeben, an beide Geschlechter gerichtet zu sein (vgl. sed,quaecumque uiris, uobis quoque dicta, puellae, / credite: diuersis partibus arma damus, V. 49f.), liegt der Fokus doch klar auf der Hilfe für Männer.2 Den zweiten Abschnitt, in dem Ovid in Fortführung der Ars amatoria die Rolle des praeceptor einnimmt, kann man als „Lehrgedichts“-Teil des Proöms (V. 41–78)3 bezeichnen. Er endet mit einer Anrufung des Heilgottes Apoll und einer Selbstcharakterisierung der Persona als uates und medens, was auf die Weisungen vorbereitet, die Passagen in medizinischen Schriften4 und philosophischer Konsolationsliteratur zur Heilung von Leidenschaften entsprechen.

Dadurch, dass Ovid zu Beginn der Remedia5 Amor auftreten lässt, verknüpft er dieses Werk mit den Amores, in deren erstem Gedicht ebenso eine Interaktion zwischen Dichter und Amor beschrieben wird,6 und der Ars amatoria, da sich in Buch 1 die Persona zum praeceptor Amoris (ars 1, 17), des Liebesgottes, erhebt. Somit stellt Ovid sein gesamtes elegisches Œuvre in eine gemeinsame Traditionslinie,7 wobei die graduelle Entfernung von der Grammatik der subjektiven Liebeselegie, die bereits in den Amores in brüchiger Form erscheint,8 in den Remedia, welche die elegische Gattung letztlich demontieren,9 ihr Ziel erreicht: Wenn Ovid am Ende seiner Elegiesammlung versucht, sich von der Liebe zu Corinna zu lösen (vgl. am. 3, 11), und schließlich im Vorschlussgedicht der Sammlung seine puella dazu aufruft, ihm elegische Qualen zu ersparen und ihn wenigstens anzulügen, wenn sie ihn mit einem Rivalen betrügt (vgl. am. 3, 14, u. a. 1f.),10 bereitet er die Remedia amoris indirekt schon vor. Denn „[i]m Endstadium ist der amator ein Fall für den medicus“11 im Fachbereich der Liebesheilung. Die an Horaz’ Finale seiner ersten Odensammlung (Exegi monumentum aere perennius, carm. 3, 30, 1) erinnernde Formel hoc opus exegi (rem. 811) setzt einen Schlusspunkt unter Ovids elegische Dichtung.12 Dabei zeigt sich ein anderer Aspekt der Demontage auch in der Verschiebung der Metaphorik. Anstatt wie Horaz im Rahmen seiner Unsterblichkeits­topik eine Bronzestatue13 zu evozieren, welche – trotz ihrer Materialität – dem vollendeten literarischen monumentum nicht an Beständigkeit gleichkommen kann, setzt Ovid sein opus in traditioneller Weise mit einem Schiff gleich,14 das nach der langen poetischen Reise seinen Hafen erreicht hat, und verlangt von seinen Schülern Kranzopfer für die gute Fahrt und die Heilung (vgl. rem. 811f.). Indem Ovid Horaz’ Sphragis15 lexikalisch und somit intertextuell aufruft,16 den Fokus jedoch verändert und das feste Metall durch das trotz seiner momentanen ‚fatigatio‘ mit Schnelligkeit und Beweglichkeit assoziierte Schiff ersetzt, verweist er auf sein Verfahren der intertextuell-parodistischen Transformation. Dieses charakterisiert, wie in den Kapiteln 4.3.1.1–4.3.1.3 erörtert, auch Ovids Umgang mit den horazischen Prätexten im Allgemeinen; konkret könnte man die Verschiebung der Metaphorik an dieser Stelle als Kontrafaktur bezeichnen.17 Ovid verabschiedet sich also in scheinbar horazischer, jedoch künstlerisch produktiv verwandelter Manier und vertraut sein Werk alias Schiff den durch seinen Lehrgang geheilten Schülerinnen und Schülern an (vgl. rem. 811–814).

Im ersten Vers der beiden Schlussdisticha der Remedia, die das Ende der elegischen Traditionslinie Ovids markieren, manifestiert sich ein weiterer Aspekt, der typisch für die Gestaltung dieses opus ist: Wenn die Lehrer-Persona im Anschluss an den Verweis auf Horaz die Bekränzung des ‚Buch-Schiffes‘ fordert, rekurriert Ovid gleichzeitig auf den liebeselegischen Topos des Paraklausithyrons, das meist von der Bekränzung des Türpfostens am Eingang zum Haus der puella begleitet wird; die Junktur date serta alcui rei (carinae in rem. 811) kann als eine intertextuelle Anbindung an Formulierungen der römischen Liebeselegiker gewertet werden (vgl. z. B. Tib. 1, 2, 14).18 Ovid beschreibt zu Beginn der Remedia den Akt des servitiumamoris selbst: effice nocturna frangatur ianua rixa / et tegat ornatas multa corona fores (V. 31f.). Das heißt: Am Ende seiner Tetralogie, die mit der Heilung (vgl. V. 814) der leidenden Rezipienten schließt, fordert der Lehrer seine Schüler zu einer Handlung im Stil der elegisch Liebenden auf, die sie sozusagen wieder zur Ausgangsposition zurückführt; durch die elegischen Obertöne der intertextuellen Referenz wird der Heilungseffekt also gleichzeitig zunichtegemacht. Darin äußert sich die paradox anmutende Doppelnatur der Remedia, die zwar vordergründig eine Lösung von unglücklicher Liebe propagieren, durch ihre Anspielungen aber immer wieder auf die Sphäre der Liebeselegie, von der sie eigentlich Abstand nehmen, verweisen; die mehrdeutige Referentialität Ovids zu interpretieren, ist ein Ziel dieser Arbeit. Festzuhalten ist an diesem Punkt, dass in der Schlusspassage V. 811–814 wesentliche Merkmale der Remedia im Allgemeinen pointiert zum Ausdruck kommen: die intertextuelle Anspielung auf Horaz, der implizite Verweis auf die eigene ovidisch-transformierende Schreibweise, die Rekurrenz auf die Gattung Liebeselegie und die gleichzeitige Darstellung der Grundintentionen und -probleme, die mit dem Heilungsprogramm der Remedia einhergehen.

Trotz der mehrschichtigen Anspielungen des Endes markieren die genannten Metaphern deutlich das Ende des Lehrgangs, das die in Ovids Werkchronologie erkennbare Sequenz der Gattungsstufen fortführt. Die stufenweise Weiterentwicklung von Ovids elegischem Schaffen ist auch zu berücksichtigen, wenn man das Verhältnis zur Ars, wie es sowohl im Dialog-, als auch im Lehrgedichtsproöm19 der Remedia Ausdruck findet, näher beschreibt. Die Remedia sind keine Palinodie der Ars,20 sondern vielmehr eine notwendige Ergänzung und Erweiterung. Denn es geht, wie Katharina Volk betont, nicht darum, dass die Lehren der Ars, also die Anleitung für erfolgreiches Werben um ein Mädchen, rückgängig gemacht werden, sondern darum, die destruktiven Kräfte von amor als emotionaler Kraft zu beseitigen.21 Zudem liegt der Schwerpunkt in der Liebeskunst darauf, wie man bei jemand anderem Liebe hervorrufen kann, während die Remedia einen Schüler inszenieren, der sich selbst von unerwünschter Liebe befreien will.22

Die Ars amatoria wird dabei nicht nur nicht zurückgenommen, sondern ist selbstverständlich als Intertext zu berücksichtigen, da der praeceptor davon ausgeht, dass die Leser der Ars und der Remedia dieselben sind:

discite sanari per quem didicistis amare;

 

una manus uobis uulnus opemque feret.

[…]

Naso legendus erat tum cum didicistis amare;

 

idem nunc uobis Naso legendus erit. (V. 43f.; 71f.)

Des Weiteren stilisiert sich die ovidische Persona zum Meister, der bei allen Belangen der Liebe zu Rate gezogen werden muss und deshalb einerseits als Lehrer der Ars Liebe verursachen und andererseits als Heiler der Liebeswunde in den Remedia gleichermaßen Autorität für sich beanspruchen kann. Dafür greift er in einem Analogieschluss auf das Telephus-Paradigma (vgl. V. 47f.) zurück: So, wie Telephus nach der Verwundung durch Achill nur durch die Berührung mit dessen Lanzenspitze geheilt werden kann, soll sich der Schüler der Remedia auf den ihm wohlvertrauten Lehrer verlassen.23

Zurück zum Aufbau: Der Hauptteil der tractatio gliedert sich in zwei Vorschriften-Gruppen. Die erste besteht vor allem aus Hinweisen auf aktives Tun, mit dem eine akute Liebesleidenschaft behandelt werden kann: Reise, betätige dich juristisch, schlafe mit anderen Mädchen, habe Sex bis zum Überdruss etc. (vgl. V. 135–608); die zweite aus Ratschlägen, was man meiden sollte, um Rückfälle zu verhindern: Meide in Zukunft die Gesellschaft Verliebter, meide Liebesdichter oder Musik, denke nicht mehr an deine Geliebte und ihre Briefe, vermeide Hass (vgl. V. 609–810). Jeweils in der Mitte der ‚ars agendi‘ und der ‚ars vitandi‘24, also der Kunst, durch Handeln bzw. durch das Meiden bestimmter Tätigkeiten den Heilungsprozess zu beschleunigen,25 durchbrechen zwei Exkurse die Reihe der Instruktionen, wodurch eine strukturelle Symmetrie innerhalb des Hauptteils entsteht. Während Ovid in V. 361–396 in der Tradition kallimacheischer Polemik26 die Musa proterua seiner elegischen Dichtung rechtfertigt – es handelt sich dabei um den einzigen expliziten poetologischen Exkurs innerhalb seines elegischen Œuvres –,27 bestätigt er in V. 699–706 seine affirmative Haltung gegenüber Amor,28 weil er nicht gewaltsam gegen ihn vorgeht, sondern durch Beratung heilt, und wendet sich in einer erneuten Apostrophe an Apoll als Heilgott.

Der ‚Therapie‘ wird noch die Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt vorangestellt, was mit Blick auf die passende Zeit für Erntearbeiten in Hesiods ἔργα καὶ ἡμέραι als strukturelles Signal für das Lehrgedicht zu werten ist. Auf die beiden Alternativen ‚Wehre den Anfängen‘ und ‚Warte, bis sich ein im Lauf befindlicher Liebesfuror von selbst erschöpft‘ entfallen dabei je 28 Verse (vgl. V. 79–134). Ein Aspekt dieser zeitlichen Differenzierung dürfte dem Leser der Remedia bereits aus der thematisch vielfältigen Konsolationsliteratur und philosophisch-seelentherapeutischen Schriften29 sowie aus medizinischer Literatur30 bekannt sein. So referiert Cicero – als Beispiel für die zweite Variante – in Buch 4 der Tusculanae disputationes Chrysipps Verbot, recentis quasi tumores animi (Cic. Tusc. 4, 63) zu behandeln, bevor er sich explizit zu remedia gegen den Affekt der Liebe äußert.31 Auch in Lukrez’ Lehrgedicht wird nach dem „καιρός“32 für eine mögliche Befreiung aus dem unerwünschten Zustand, in den Fesseln der Liebe gefangen zu sein (vgl. Lucr. 4, 1146–1148), gefragt:33

 

[…] ut melius uigilare sit ante,

qua docui ratione, cauereque ne inliciaris.

[…]

et tamen implicitus quoque possis inque peditus

effugere infestum, nisi tute tibi obuius obstes (Lucr. 4, 1144b–1150).

3Der literaturtheoretische Rahmen

Im folgenden Methodenkapitel wird der theoretische Rahmen für die Analyse der Remedia amoris und ihrer produktiv-reorganisierenden Rezeption literarischer Gattungen und Prätexte erläutert. Dabei bewege ich mich im weiten Feld der Intertextualitätsdiskurse, die seit ihrer Begründung zahlreiche terminologische Differenzierungen erfahren haben und auch zu einem in der klassischen Philologie etablierten1 Messinstrument für die Beziehungen zwischen Texten geworden sind. Meine Absicht ist es nicht, alle Forschungspositionen zu referieren oder darüber hinaus eine neue Definition auf theoretischer Ebene zu liefern. Vielmehr geht es darum – unter besonderem Rückbezug auf die m. E. grundlegenden Thesen Broichs und Pfisters (1985) sowie die neueren, antike-spezifischen Studien von Stephen Hinds (1998) und Lowell Edmunds (2001) –, einen praktikablen Arbeitsbegriff von Intertextualität zu verwenden, der sich für die Analyse lateinischer und griechischer Texte einsetzen lässt, ohne dass dabei anachronistische Überblendungen und eine die historische Situierung der Texte missachtende ‚Theorietreue‘ den Blick für die literarischen Strukturen der Remedia amoris trüben. Das darauf aufbauende und von mir entwickelte Visualisierungsmodell (die Pyramidenstruktur der Intertextualität) steht ebenfalls im Dienst der praktischen Analysearbeit.

Es erscheint mir auch sinnvoll, mit Definitionen zum Konzept der Intertextualität zu beginnen, weil der Terminus der Parodie, der für Ovids Umgang mit literarischen Traditionen wesentlich ist, in das Intertextualitätssystem integriert werden kann. Dieser Ansatz, Überlegungen zu Intertextualität und auch Parodie der Textarbeit voranzustellen, ist nicht neu – bereits Marion Steudel (1992) hat ihrer Untersuchung der Ars amatoria diese Perspektiven zugrunde gelegt und auch Edmunds (2001) zeigt in seiner allgemeinen Intertextualitätstheorie, dass die Parodie ein Weg ist, durch welchen der Kontext eines Bezugstextes aufgerufen werden kann.2 Mein Ziel ist es, beide Termini bzw. Konzepte in ihrer Verbindung zu betrachten3 und dabei, anders als Steudel, die antike Fundierung des Parodiebegriffs, wie sie besonders Rose in ihren Studien herausgearbeitet hat, zu berücksichtigen.4 Dabei distanziere ich mich, wie auch schon beim Intertextualitätsbegriff, von modernen, häufig reduktionistischen und mit dem antiken Verständnis nicht übereinstimmenden, Sichtweisen auf die Parodie und schaffe dadurch eine Ausgangsbasis für die philologische Untersuchung der Remedia amoris.

3.1Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik

Im 1985 erschienenen Sammelband „Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien“ gibt Pfister einen konzisen und umfassenden Forschungsbericht über die Genese und Weiterentwicklung des Konzeptes Intertextualität, an den er Überlegungen zu einem heuristisch nutzbaren Intertextualitätsbegriff anschließt.1

Während der Terminus selbst von Julia Kristeva in den 1960er Jahren2 maßgeblich geprägt wurde, hat er seinen Ausgangspunkt bei Michail Bachtins Definition der „Dialogizität“3 (im Rahmen seiner Dichotomie von Monologizität und Dialogizität), der sowohl eine kulturgeschichtliche/-philosophische als auch eine sprachbezogene Dimension eignet;4 sie ist bei ihm also noch nicht als ein rein literarisches Phänomen zu betrachten.5 Bei Kristeva findet sich in Anknüpfung an und in abgrenzender Fortführung von Bachtin eine erste konkrete Definition des Begriffs Intertextualität, da sie festhält, dass ein Text als „Mosaik von Zitaten“ zu verstehen sei.6 Sie operiert zudem mit einem „total entgrenzte[n] Textbegriff“, unter den sie „jedes kulturelle System und jede kulturelle Struktur“ subsumiert.7 Diese Art von Intertextualität macht alles zu einem lesbaren Text und damit auch alles zu einem intertextuell durchdrungenen Textgewebe.8

In den auf diese Etablierung des Begriffs folgenden Jahrzehnten, in denen sich Kristeva selbst von ihrem Konzept entfernte,9 erfuhr der Intertextualitätsbegriff zahlreiche Modifizierungen, die sich zwischen den Ex­tremen des sehr weiten, poststrukturalistischen und eines engeren, strukturalistischen oder hermeneutischen Verständnisses, „in [dem] der Begriff der Intertextualität auf bewußte, intendierte und markierte Bezüge zwischen einem Text und vorliegenden Texten oder Textgruppen eingeengt wird“10, bewegen. Pfister versucht, einen ‚Weg der Mitte‘ zwischen den beiden Polen zu gehen, indem er einen eigenen Kriterienkatalog „zur Skalierung von Intertextualität […] [und] zur typologischen Differenzierung unterschiedlicher intertextueller Bezüge“11 definiert. Dabei unterscheidet er von den quantitativen Kriterien, welche die Bedeutung von intertextuellen Phänomenen an der numerischen Häufigkeit festmachen,12 sechs qualitative Kriterien. Während die Referentialität (1) die Intensität bezeichnet, mit der sich ein Text ‚aktiv‘ auf einen anderen bezieht, bezeichnet die Kommunikativität (2) den „Grad der Bewußtheit des intertextuellen Bezugs beim Autor wie beim Rezipienten“.13 Beide Aspekte finden sich, wenn man sie auf die Remedia bezieht, beispielsweise in den bereits zitierten Versen 43f. und 71f.: So spricht die ovidische Persona an diesen Stellen direkt an, dass die Kenntnis der Ars beim Leser vorausgesetzt wird.

Ein solches Kommunikativitäts-Merkmal, welches das Subjekt nicht nur beim Lese-, sondern auch beim Schreibprozess in den Mittelpunkt stellt, tritt aber grundsätzlich in Konflikt mit Textuntersuchungsverfahren, die Vermutungen zur Intentionalität eines (historischen) Autors – auch wegen der Unmöglichkeit einer heuristisch gesicherten Aussage – nicht zulassen und sich auf Erkenntnisse, die beim Lektüreprozess gewonnen werden, beschränken.14 Der Nutzen dieses Ansatzes besteht aber darin, dass man intertextuelle Beobachtungen so nicht einer gewissen Beliebigkeit und Willkür anheimgibt und dass Untersuchungen so nicht zur bloßen Suche nach Parallelstellen werden.

Auch Broich geht von bestimmten Markern als „Intertextualitätssignale[n]“15 aus, die auf beabsichtigte, messbare und für den neuen Text relevante und bedeutsame Intertexte hinweisen können, wobei er aber auch die Rolle des Rezipienten und seine Wahrnehmungsfähigkeit berücksichtigt:16 Marker liegen etwa vor, wenn andere literarische Texte „physisc[h]“ oder in Gesprächen o. ä. Gegenstand eines anderen Textes werden oder Figuren aus anderen Texten „leibhaftig auftreten“ („Markierung im inneren Kommunikationssystem“).17 Häufig finden sich aber die Formen von Markern, die in Verbindung mit Pfisters Kommunikationskriterium stehen und die auch für die intertextuelle Untersuchung der Remedia amoris bedeutsam sind, wenn nämlich nicht die Figuren innerhalb eines Werkes, sondern die Rezipienten des Textes die Anspielungen wahrnehmen. Beispielhafte Marker hierfür sind Zitate, explizite Nennung einer Quelle in Fußnoten, die Übernahme eines Titels oder Untertitels im Fall von Parodien oder Travestien, die Adaption von Mottos, Vor- und Nachworten („Markierung in Nebentexten“)18 sowie das Zitieren und Anspielen auf Namen, Stillagen, Handlungen o. ä. nicht in Paratexten, sondern im Haupttext selbst („Markierung im äußeren Kommunikationssystem“).19 Als Markierung im Haupttext kann, wenn man die Terminologie auf Ovids Werke und andere antike Texte anwendet, etwa die transformierende Übernahme des horazischen Exegi monumentum-Bildes gelten, das Ovid als Schlusspunkt in seine Remedia übernimmt; dabei kann Ovid einen Leser annehmen, der diese Anspielung erfasst. Und wenngleich der Beginn von Amores 1, 1 (Arma graui numero) dem Motto nachgestellt ist, können die ersten Worte doch als programmatische Adaption der vergilischen Eposformulierung Arma uirumque cano (Aen. 1, 1) gelten und somit den Broich’schen Markierungstypen zugeordnet werden.

Über die genannten Aspekte der Referentialität und Kommunikativität hinaus definiert Pfister vier weitere Kriterien für die Skalierung von Intertextualität. Dazu zählen die Autoreflexivität (3), wenn also die Intertextualität selbst auf einer Metaebene innerhalb des Textes reflektiert wird, und die Strukturalität (4), welche die „syntagmatische Integration der Prätexte in den Text“ bezeichnet.20 Hierzu kann man m. E. etwa rechnen, dass die didaktische Strukturierung aus ἔργα καὶ ἡμέραι, des hesiodischen Archetyps, als Folie für Lehrgedichte im Allgemeinen und wie auch für Vergils Georgica für Ovids Remedia im Speziellen dient.21 Auch die Selektivität (5), welche beschreibt, wie „pointiert“ ein Prätext einbezogen wird, und letztlich die Dialogizität (6), der zufolge bei „stärker[er] […] semantischer und ideologischer Spannung“ zwischen Text und Prätext Intertextualität deutlicher erfahrbar wird, werden von Pfister angeführt.22 Besonders der letzte Aspekt verweist bereits darauf, dass die Parodie ein der Intertextualität verwandtes Phänomen ist, da eine Spannung, wie Pfister sie aufgebaut sieht, auch als Merkmal für parodierende Texte gelten kann.

Als prominenter Systematisierungsversuch ist zudem Gérard Genettes Ausdifferenzierung der „Transtextualität“ zu nennen.23 Dabei berücksichtigt er in seinen fünf Unterkategorien24 sowohl die Bezüge eines Textes auf einzelne Texte als auch diejenigen auf Genres, was als Unterscheidung von „Einzeltext- und Systemreferenz“ auch für Pfister und Broich bei der Beschreibung von Intertextualitätsphänomenen zentral ist. Denn die intertextuelle Referenz auf einen konkreten Prätext, sei es vom selben oder von einem anderen Autor,25 ist grundsätzlich vom Verweis auf ganze Gattungen, auf „Textkollektiva […] und sie strukturierenden textbildenden Systemen“26 zu unterscheiden, auch wenn beide Phänomene zugleich in einem Text präsent sein können. Diese Differenzierung ist für die aktive Textarbeit an Ovids Remedia ebenfalls wichtig, da ich die intertextuelle Bezugnahme Ovids auf einzelne Texte und dabei gleichzeitig auch auf Gattungsvorbilder, etwa diejenigen der (horazischen) Satire oder des Lehrgedichts im Allgemeinen, untersuche. Auch für die Frage, welche Mechanismen zur Konstituierung einer Gattung beitragen, können – je nach Perspektive einer literarischen Epoche – Überlegungen zur Intertextualität herangezogen werden. Wenngleich aus moderner Sicht Genres oft hauptsächlich auf „eine[m] Code, eine[m] Satz von Regeln und Konventionen, eine[r] Gattungsgrammatik“ basieren und keine „feingesponnene[n] Netze von Beziehungen“27 darstellen, ist die Bedeutung intertextueller Phänomene, wie Ulrich Suerbaum (1985) betont, stärker hervorzuheben. Im Rahmen seiner „[g]eneralisierende[n] Hypothesen“, die er für reihenbildende Detektivgeschichten formuliert, hält er fest, dass erst durch „lineare Intertextualität“, die Anknüpfung an eigene Texte sowie Werke fremder Autoren, oder auch „perspektivierende Intertextualität“, bei der es weniger um konkrete Zitate als um globale Referenzen auf ein ganzes ‚Textsystem‘ geht, Gattungen geschaffen würden.28 Dabei nähmen aber die Bedeutung und der Umfang der expliziten intertextuellen Bezüge auf Einzeltextebene ab, je weiter sich eine Gattung bereits etabliert habe.29

Wenngleich diese Hypothesen für Texte des 18. und 19. Jahrhunderts aufgestellt sind, lassen sie sich doch mit der antiken Sicht auf Gattungen und der Frage nach ihrer Konstituierung verknüpfen.30 Für grundsätzliche Überlegungen, was Gattungen überhaupt sind und welchen Problemen man bei einer allgemeingültigen Definition begegnet, kann ich exemplarisch auf Volks (2002) Monographie verweisen, in der sie die Themen Gattung im Allgemeinen und in der Antike sowie besonders die didaktische Poesie ausführlich erörtert.31 Ich referiere im Folgenden einige ihrer Beobachtungen hierzu knapp und gehe dabei auf die Verbindung von Intertextualität und Genre im Fall des Lehrgedichts, das einen der wichtigsten generischen Ankerpunkte der Remedia amoris ausmacht, ein.

Auch in der Antike gab es, wie Volk ausführt, ein Bewusstsein für literarische Gattungen, wenngleich diese oft mehr in einer „common sense“-Form verstanden und weniger intensiv theoretisch fundiert wurden.32 Dabei teilte man sie vor allem nach metrischen Gesichtspunkten ein; es gab aber auch Unterscheidungen nach dem Primat des Inhalts und des ‚Prototypen‘.33 Gattungs-Reflexionen fänden sich zudem in metapoetischen Textpassagen, welche die (Nicht-)Zugehörigkeit eines poetischen Textes zu bestimmten Genres thematisieren können,34 oder bei den Theoretikern Platon und Aristoteles35 (der anknüpfend an seinen Lehrer besonders stark formalistische Kriterien ablehnt).36 Am Beispiel der didaktischen Poesie offenbare sich dabei „[t]he difference between the communis opinio about genre and the methods of distinguishing different types of poetry employed by such theorists as Plato and Aristotle […]“37. Während durch die hexametrische Gestaltung allgemein eine Zuordnung zur Epik vorgenommen wurde, artikulierte, so Volk, Aristoteles – via negationis – insofern einen Unterschied zu dieser Gattung, als das Lehrgedicht nicht nur des Mimesis-Kriteriums für das Epos entbehre, sondern nicht einmal Poesie darstelle.38 Die sich hier bereits abzeichnende Wahrnehmung der didaktischen Poesie als einer eigenen Gattung erfuhr Konkretisierungen etwa im Tractatus Coislinianus, der „direkt auf Aristoteles reagiert“39, und später in Diomedes’ Ars grammatica (4./5. Jd. n. Chr.), die in der platonischen Tradition zu verorten ist.40

Sieht man von den spärlichen theoretischen Zeugnissen ab, kann man jedoch durch konkrete Textarbeit an didaktischen Werken ‚implizite Poetiken‘ herausarbeiten.41 Denn diese weisen, wie Volk zeigt, gemeinsame, für die Gattung Lehrgedicht als konstitutiv zu betrachtende Merkmale auf – „(1) explicit didactic intent; (2) teacher-student constellation; (3) poetic self-consciousness; and (4) poetic simultaneity“.42 Dass sich das didaktische Genre sukzessive aus einem „didactic mode“ heraus entwickelt hat43 und von Hesiod und Empedokles bis hin zu Manilius ein offensichtlich immer konkreteres Gefüge aus didaktischen Bausteinen aufzuweisen beginnt, bestätigt den von Suerbaum beschriebenen Intertextualitätsprozess einer Gattungsgenese im Allgemeinen. Im weiteren Sinne intertextuelle Prozesse spielten demnach auch für das Lehrgedicht als Genre eine wichtige Rolle.

Hier soll Intertextualität aber nicht zur Erklärung der Gattungsgenese eingesetzt werden, sondern zur Untersuchung, welchen Einfluss Gattungssysteme – auch in der Konkretisierung durch bestimmte Textkorpora – und Einzeltexte auf die Remedia amoris haben. Bevor ich meinen Arbeitsbegriff von Intertextualität konturiere, ergänze ich meine Ausführungen noch um die zentralen Ergebnisse der aufschlussreichen Studien von Hinds (1998) und Edmunds (2001), da sie ihre Ausführungen mit lateinischen Textstellen illustrieren und sich kritisch-reflektiert mit intertextuellen Theorien klassischer Philologen (etwa Barchiesis, Contes, Farrells, Thomas’) auseinandersetzen.44

Bei Hinds und Edmunds bilden zwei Themenbereiche einen Schwerpunkt, die Edmunds als die zwei grundlegenden Probleme der Intertextualitätsdiskurse sieht: Diese betreffen sowohl die Frage nach der Autorintentionalität – von Hinds als „fundamentalism“45 bezeichnet – und die Frage nach dem Status des Textes an sich als auch die Rolle, welche der Leser für die Konstitution des Textes spielt.46 Hinds versucht, was ihn mit Pfister vergleichbar macht, einen Mittelweg zu finden, der zwischen dem vielen Lesern intrinsischen Verlangen danach, vom Autor bewusst gesetzte Anspielungen zu entdecken, und einem weiten Begriff der Intertextualität zu verorten ist; letzterer besteht in einer Annäherung an den Bereich der „zero-interpretability“47, der praktisch aber kaum vorhanden sei48 und das Feld für weitere Beobachtungen zu bisher vernachlässigten Anspielungen öffne.49 Aus einer Erweiterung der Bezugstexte ergibt sich aber die Problematik, die darin besteht, dass die Unterscheidung von allusion, quasi ‚Einzeltextreferenzen‘, und Topoi, die eine „intertextual tradition as a collectivity“50 hervorrufen (Hinds bezieht sich auf Contes Gegenüberstellung von modello-esemplare und modello-codice),51 zwangsläufig verschwimmt.52 Hinds zeigt jedoch, dass ein Topos und eine Anspielung auf einen konkreten Text gleichzeitig möglich sein können53 – eine Beobachtung, die auch für Ovids intertextuelles Vorgehen zutreffend ist. So ruft Ovid bei seinen Hinweisen darauf, dass langes klagendes Sprechen über die Geliebte und mangelndes Schweigen zu vermeiden sei (siehe meine Ausführungen in Kapitel 4.3.2.4), den Topos „that an angry tongue is a proof of love“54 auf. Gleichzeitig spielt er aber in einer Allusion, einer markierten Einzeltextreferenz, auch auf Catull. 83 und 92 an, in denen die Verbindung aus dicere, tacere und mangelnder emotionaler Indifferenz paradigmatisch repräsentiert wird. Letztlich verbindet Hinds eine die Autorsubjektivität (und die Ausrichtung auf einen impliziten Leser) berücksichtigende mit der für ihn zentralen leserorientierten Perspektive, bei der durch den Akt der Rezeption erst die Bedeutung des Textes konstituiert wird.55 Für die Analyse der Remedia ist der auf den Leser ausgerichtete Ansatz beispielsweise insofern wichtig und anwendbar, als Ovid durch die intentional primär-naive Lesart der Lesbia- und Juventius-Zyklen die instabile Haltung der Catull’schen Persona sichtbar macht. In der Art, mit der diese Figur zu einem Negativbeispiel für die Schüler der Remedia wird, verleiht Ovid dem Intertext der Carmina somit neue Bedeutung.

Noch stärker auf den Leser ist Edmunds fixiert, der in ihm die Intertextualität überhaupt erst lokalisiert:56 Intertextuelle Anspielungen würden erst beim Lesen erschaffen, ohne dass sie vorher ‚a priori‘ bestünden oder eine „linguistische oder semiotische Basis“ hätten“57; es gebe also auch keine im Text zu lokalisierenden Marker.58 Auch wenn Edmunds grundsätzliche Autorintentionen, besonders in lateinischer Dichtung, nicht verneint, problematisiert er die Sicht, Anspielungen auf die Dichterfigur zurückzuführen.59 Vielmehr werde Intertextualität durch den Sprecher bzw. die Persona eines Gedichts „aktiviert“, und zwar im Leser selbst.60 Das Problem, das sein leserbasierter Ansatz mit sich bringt – so führe es zu Unsicherheit bei der Bestimmung intertextueller Bezüge –, löst Edmunds dadurch, dass er die Entscheidungshoheit über die „validity of a reading“ bei der zuständigen, kritischen „interpretive community“, bei lateinischer Dichtung den klassischen Philologen, sieht.61 Obwohl ich die Rolle des Lesers z. B. für die genannte Catullrezeption ebenfalls als wichtig erachte, erscheint mir Edmunds’ Position teils zu extrem. Denn die Referenz Ovids manifestiert sich deutlich in lexikalisch markierten Anspielungen, die zugleich einen überprüfbaren Beleg für den intertextuellen Bezug darstellen.

Edmunds’ Definition von Intertextualität besteht darin, dass sich in einem target text (T1) quotations62 (Q1, mit Q2 als Quelle) von Wörtern eines source text (T2) finden, wodurch der context des quoted text (C2) einen neuen context (C1) erhält.63 Es gebe drei Arten, auf die eine quotation (Q1) den Kontext des ursprünglichen Textes (C2) hervorrufen könne: Durch die Erweiterung des Kontextes in C1, durch eine „continuous relation between C1 and C2“ und durch Parodie, „in which T1 repeats or closely follows a particular T2“.64 In dieser Hinsicht ist Edmunds für meine Untersuchung wesentlich, da Parodie als intertextuelles Phänomen für Ovids Umgang mit Lukrez, Horaz und Catull in seinen Remedia amoris zentral ist.

 

Die moderne Intertextualitätstheorie ist jedoch nicht der einzige literaturtheoretische Rahmen für die Textarbeit. Da für die Beschreibung der Beziehung eines Textes zu Prätexten, auch für die Bezugnahme späterer Autoren auf Werke ihrer Vorgänger (etwa in der „Sukzessionsreihe Ennius – Lukrez – Vergil – Ovid – Lukan – Statius“)65 bereits Begriffe wie Imitation, Anspielung, Adaption und ae­mulatio etabliert sind,66 muss nach dem spezifischen Nutzen der Intertextualitätsforschung, die grundsätzlich mit diesen traditionellen philologischen Analyseinstrumentarien vereinbar ist, gefragt werden.67 Ihr Vorteil besteht nun darin, dass bestimmte Assoziationen mit den aus der antiken Rhetorik und Poetik überlieferten und angewandten68 Termini imitatio und aemulatio keine Gültigkeit haben. Denn sie implizieren in der Rezeption durch moderne Literaturkritik oft eine als vorbildlich geltende Textvorlage und können dazu führen, dass man literarische „Nachahmer“ tendentiell zu „Epigonen“69 herabsetzt, während bei der Intertextualitätsforschung verstärkt die Selbstständigkeit der Textproduktion und ihre neue Interpretation der bestehenden literarischen Tradition akzentuiert und untersucht werden.70 Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass sich aus antiker Sicht Originalität und die formale und stoffliche Nachahmung mit folgender ‚nacheifernder Überbietung‘, die auf eine bewusst eigene Leistung verweist,71 nicht ausschließen.72 Römische Literaturproduktion fußte auch im Selbstverständnis der Zeit auf der „kreative[n] m[imesis] (imitatio) der Autoren“, bei der „schöpfendes Nacheifern […] bis zum Wettstreit gesteigert wird (aemulatio).“73 Die explizit in der Antike reflektierten Begriffe imitatio und aemulatio sind also insofern nicht zu übergehen, als sie fundamentale intertextuelle Phänomene beschreiben.74 Der modernere Begriff der Intertextualität denotiert dabei die Bezugnahme eines Textes auf einen anderen, oder sogar den Dialog, in den ein Text mit einem zweiten treten kann. Imitatio und aemulatio bezeichnen die konkreten Formen dieser Referenzen, etwa die (überbietende) Nachahmung einzelner Worte, Motive, Topoi, Strukturen etc.75 Die Ergänzung und Erweiterung der antiken Termini mit dem neueren literaturkritischen Begriff bringt – neben der grundsätzlichen ‚Offenheit‘ der Intertextualitätsforschung – zusätzlich den Vorteil, dass parodietheoretische Überlegungen in diese Forschungsperspektive eingegliedert werden können. Eine Arbeitsdefinition von Parodie ist meinen Ausführungen deshalb vorangestellt.

3.2Parodie in der Antike und der modernen Literaturkritik

Als ‚neuere‘ und zugleich grundlegende Untersuchung parodistischer Verfahrensweisen kann Roses Monographie (1993) gelten, da Rose in ihrer diachronen Betrachtungsweise, die Texte und Konzepte von der Antike bis zur Gegenwart umfasst, die spezifische, historische Verankerung antiker Texte berücksichtigt.1 Die von ihr vorgeschlagene Begriffsbestimmung sei aber ergänzend mit den Parodiedefinitionen von Verweyen/Witting und Stocker abgeglichen, wobei ich vorab auf die grundsätzliche Übereinstimmung der Forscher hinweisen möchte.

Rose definiert Parodie allgemeingültig als „the comic refunctioning of preformed linguistic or artistic material“2, was sich auch mit den Ausführungen bei Verweyen/Witting deckt. Ihnen zufolge werden „charakteristische Merkmale eines Stils übernommen […], [damit] die jeweils gewählte(n) Vorlage(n) durch Komisierungsstrategien wie Unterfüllung und/oder Überfüllung herab[gesetzt werden]“3. Der Aspekt der Komik findet in Aussagen zeitgenössischer antiker Kritiker oder Scholiasten Bestätigung, da diese darauf hindeuten, dass parodistischen Texten grundsätzlich komische Effekte zugesprochen wurden und dass ‚schärfere‘ Formen des Humors wie „ridicule or mockery“ nur als Zusatzcharakteristika spezifischer Einzeltexte wahrgenommen worden seien.4 Der zweite Aspekt, die Umwandlung bestehenden sprachlichen Materials, beschreibt das Verhältnis des parodierenden Textes zu seinem Ausgangs- bzw. Zieltext, der quasi per definitionem Teil der Parodie und eng mit dieser verbunden ist.5 Dabei entstehe eine „comic incongruity“ zwischen Parodie und Original, wobei ein grundsätzlich ambivalentes Verhältnis zur Vorlage – Wertschätzung/Achtung des Ausgangstextes und gleichzeitig parodierende Erneuerung – zu erkennen sei, das je individuell von Kritik, von Sympathie oder kreativer Erweiterung geprägt sein könne.6 Wichtig ist Rose zufolge – worin ich ihr auch zustimme –, dass die Herabsetzung des parodierten Textes keineswegs als Prämisse für die Bezeichnung eines Textes als Parodie zu gelten habe. Damit verweist Rose auf moderne Reduktionen des Begriffs, denen zufolge Parodie in negativer Manier ein Typus des Burlesken sei, der destruktiven Charakter habe und mit Spott angereichert sei7 – also auf Verkürzungen, die in der Mehrdeutigkeit der Präposition παρά begründet liegen. Denn je nachdem, ob man παρά mit „nach dem Vorbild von“ oder „wider, im Gegensatz zu“ übersetzt, verschiebt sich die Bedeutung des terminus technicus, wie Verweyen/Witting betonen.8

Als Beispiel für die Verengung des Begriffs auf ein polemisches Verhältnis zwischen Parodie und Ausgangstext nennt Rose vor allem Michael Bachtin in dessen Fortführung von Ansätzen russischer Formalisten, die aufgrund ihrer Prominenz in (post-)moderner Rede über Parodie hier zumindest kurz zu berücksichtigen sind:9 Erachte Viktor Šklovskij die Parodie in einer „formalistischen Reduktion“ zunächst als „Verfremdungseffekt für das Aufdecken“10 künstlerischer Verfahrensweisen,11 trenne Jurij Tynjanov, radikaler als sein Vorgänger, das Element der Komik ganz vom Wesen der Parodie.12 Darüber hinaus bestimme er als „the very essence of parody […] its dual planes“, also die Ambiguität, die darin besteht, dass die Parodie den Zieltext schätzen und ihn gleichzeitig parodieren könne.13 Michail Bachtin wiederum beschreibt einen formalistischen und einen karnevalistischen Parodiebegriff, wobei er für ersteren komische Elemente nicht einmal erwähnt und hinter dem zweistimmigen Sprechen, wie man es in Stilisierung und Parodie finde,14 eine feindselige Haltung dem parodierten Text gegenüber sieht;15 zweiteren reduziert er, trotz der Berücksichtigung von Komik, auf das Burleske und Groteske.16 Neben der Fokussierung auf den Aspekt der Feindseligkeit und Destruktivität dem „target“-Text gegenüber – als Abbild der weitestgehend negativen modernen Perspektive auf die Parodie – ist im Hinblick auf Bachtin und die Formalisten, wie Rose treffend herausarbeitet, vor allem problematisch, dass sie den Status des parodierten Textes, der ja wegen der oben genannten Doppelstruktur der Parodie erhalten bleibt und notwendigerweise Teil der Parodie wird, nicht hinreichend berücksichtigten.17 Eben diese Einbeziehung des Ursprungstextes in die Parodie und die Frage nach dem spezifischen ‚Tonfall‘, der den Umgang mit dem Prätext charakterisiert, sind aber die Kriterien, die bei der bewussten Anspielung Ovids auf seinen literarischen Vorgänger mit im Zentrum stehen.

In diesem Punkt zeigt sich also die Verbindung parodie- und intertextualitätstheoretischer Diskurse:

Die literarische Parodie kann als ‚intertextuell‘ beschrieben werden; sie ist jedoch mehr als Intertextualität, weil sie die Nachahmung anderer Texte dazu benutzt, aus einer älteren zitierten oder nachgeahmten Vorlage und ihren veralteten Traditionen einen neuen – von dem nachgeahmten Werk differenzierten – Text durch die komische Umfunktionierung des alten Werkes zu schaffen.18

Parodie sei, so Rose weiter, wegen der „komische[n] Umfunktionierung“ vorgegebenen Textmaterials, als eine ‚Spezialform‘ der Intertextualität zu betrachten.19 Entsprechend definiert auch Stocker Parodie „im engen Sinn [als] eine spezifische literarische Schreibweise, die im wesentlichen durch zwei Merkmale gekennzeichnet ist: Sie ist (a) intertextuell auf eine Vorlage bezogen und (b) komisch.“20

Die Erkenntnis zum Zusammenhang zwischen Parodie und Komik einerseits und dialogischen Intertextualitätsphänomenen andererseits kann wiederum auf antike Überlegungen rückbezogen werden. Quintilian äußert sich im sechsten und im neunten Buch seiner institutio oratoria zur Parodie und führt zwei Begriffsbestimmungen und Einsatzmöglichkeiten von Parodie an: erstens im Kontext seiner Abhandlung zu Komik, Witz (urbanitas), welcher durch Umdichtung bzw. Umwandlung eines bekannten Verses entsteht, und Lachen in der Rede (inst. 6, 3); zweitens unter den Stilfiguren im Rahmen der elocutio (inst. 9, 2). Dabei wird das Phänomen der Parodie einmal umschrieben mit: seu ficti notis uersibus similes quae παρῳδία dicitur (inst. 6, 3, 97).21 Hier geht es also um den den Bezug auf vorgegebenes Wortmaterial. In inst. 9, 2 schreibt Quintilian zudem:

incipit esse quodam modo παρῳδή, quod nomen ductum a canticis ad aliorum similitudinem modulatis abusiue etiam in uersificationis ac sermonum imitatione seruatur (inst. 9, 2, 35).

Der Terminus wird also aus seiner ursprünglich engeren Anwendung auf das Epos, wie ihn Aristoteles für die Homerparodien des Hegemon oder Nikochares22 gebrauchte, und als Begriff für Rhapsoden in den Bereich der Prosa übertragen.23 Auch wenn der antike Rhetoriker nicht von ‚Intertextualität‘ spricht, beschreibt er dieses Phänomen doch im Wesentlichen. Die Themen Prosopopöie und fiktiver Dialog stellen dabei den Rahmen dar, in dem Quintilian die letztgenannte Äußerung zur Parodie tätigt.24 Und der Dialog eines Textes mit einem anderen und die Umfunktionierung bereits existierenden textuellen Materials, die Verbindung beider quintilianischer Parodieaspekte, kann schließlich mit dem modernen Begriff der Literaturkritik gleichgesetzt werden.

 

Das Ziel dieses Methodenkapitels ist die Etablierung eines für die Textarbeit ‚antike-kompatiblen‘ Arbeitsbegriffs von Intertextualität und Parodie. Die Verbindung zwischen beiden Phänomenen hervorzuheben und auch den Aspekt der Komik, der im antiken Verständnis des Begriffes fußt, zu exponieren, ist deshalb ein zentrales Anliegen. Ich denke, dass man bei der Analyse parodistischer Effekte die Suche nach einem gewissen intentionalen, absichtsvollen Moment, das beim Verfassen vorhanden war, nicht vermeiden kann.25 Den Aspekt der Autorintention für Intertextualitätsstudien zu nutzen, ist aber, wie Hinds und Edmunds demonstriert haben, äußerst problematisch. Ich beabsichtige auch nicht, einen forschungsgeschichtlichen Rückschritt zu machen und einer letztlich unerfüllbaren Suche nach der Absicht des Verfassers das Wort zu reden. Auch ich nehme in dieser Arbeit die Rolle des Lesers ein, der bei der Lektüre versucht, intertextuelle Referenzen wahrzunehmen, und diese beim Lektüreakt möglicherweise erst konstituiert. Das von Edmunds relativierte Problem der analytischen Beliebigkeit erachte ich jedoch als nicht unwichtig. Ich denke, dass eine die Grundkonzeption der antiken Remedia adäquat würdigende Analyse auch beachten sollte, welche Referenzen auf literarische Vorgänger durchaus bewusst von der ovidischen Dichter-Persona (Edmunds Kategorie „poet as persona“26 scheint mir hier am besten zu passen) im Text angelegt wurden und welche Entdeckungen vom antiken Leser erwartet und entschlüsselt werden konnten; eine Berücksichtigung der zeitgenössischen Produktions- und Rezeptionssituation sollte man nicht gänzlich übergehen. Damit beachte ich Pfisters Kommunikativitätsaspekt, den ich auch in Contes Definition des ‚reader-addressee‘, der als antizipierter Leser Teil des Textes ist, gespiegelt sehe.27 Dass nicht alles, was möglicherweise ‚intendiert‘ war, entdeckt wird und dass aber auch Erkenntnisse, die erst im modernen Rezeptionsakt gewonnen werden und deren Entstehung nicht beabsichtigt ist, vom Text unterstützt und im Leser bei der Rezeption aktiviert werden, sind dabei natürliche Konsequenzen und gleichermaßen mögliche Fälle von Intertextualität.

Das Intertextualitätskonzept, das ich aus der bestehenden Forschung gewinne, lässt sich folgendermaßen konturieren: So erachte ich die wörtlichen, paraphrasierten oder kontextuellen und konzeptuellen Referenzen auf Einzeltexte und auch auf Systeme (etwa Gattungen, Untergattungen, bestimmte Topoi etc.), die aufgrund von metapoetischen Reflexionen, Zitaten, ‚Pointiertheit‘ o. ä. markiert sind und so legitim als intertextuelle Referenz interpretiert werden können, als grundlegend für intertextuelle Bezugnahmen. Dabei ist aber auch die Wahrnehmung durch den Leser entscheidend.

Wenngleich ich somit keinen eigenen Intertextualitätsbegriff entwickle, leiste ich mit dem von mir entwickelten Modell einen eigenen Beitrag zur Analyse intertextueller Bezüge: Die ‚Pyramidenstruktur der Intertextualität‘ repräsentiert ausgehend von einem fokussierten Text die systematische intertextuelle Bezugnahme auf mehrere Texte und Gattungen. Dabei handelt es sich um ein Visualisierungsmodell, dessen Vorteil darin liegt, dass es eine funktional perspektivierte hierarchische Struktur bei der Intertextualitätsanalyse veranschaulicht. Grundsätzlich hat es zudem das Potenzial, nicht nur für die Untersuchung der Remedia amoris, sondern auch für andere Intertextualitätsstudien eingesetzt zu werden.

3.3Ein Visualisierungsmodell: Die Pyramidenstruktur der Intertextualität

In der klassischen Philologie finden sich verschiedene Termini, mit denen ‚Intertextualitätsgefüge‘ abstrahiert beschrieben werden. So ist in der anglophonen Forschung des Öfteren von einer „window reference“ die Rede, wenn ein Text A, vermittelt durch einen auf Text C anspielenden Text B, auf C rekurriert1 – was für die Fälle, in denen es um die diachron-mehrstufige Rückführung zu einem Ursprungstext geht, hilfreich ist. Janka (2013) analysiert wiederum, als Erweiterung eines häufig zu findenden „binären [Modells] zum triangulären Modell“2 „Dreiecksbeziehungen zwischen Texten“3 und spricht so von „Intertextualitätsdreiecken“4. Ich erachte dieses Bild und den damit einhergehenden Rückgriff auf geometrische Metaphorik als grundsätzlich hilfreich für Untersuchungen, wenn ein Text gleichzeitig auf zwei Intertexte rekurriert oder aber Vorbild für zwei andere Texte darstellt und drei Texte miteinander „in einen vielschichtigen Dialog treten“5. Doch werden meiner Meinung nach dabei hierarchische Strukturen im Intertextualitätsgefüge, die im Gespräch über Intertextualität dadurch entstehen können, dass man einen Text zur Beobachtungsgrundlage erklärt und von dort ausgehend die Beziehung zu anderen Prätexten untersucht, teils missachtet. Zudem wird die Referentialität auf eine Dreieckskonstellation beschränkt, was in Einzelfällen zutreffend sein mag, dem komplexen Intertextualitätsgefüge besonders von Ovids Texten jedoch oft nicht gerecht wird.

Ich schlage daher vor, eine andere geometrische Figur als anschauliches Modell für „Text-Text-“ und „Text-Gattungs-Beziehungen“6 zu verwenden: die Pyramide, deren Grundfläche ein Polygon darstellt. An ihrer Spitze steht der Text, der sich im Zentrum der Analyse befindet, in diesem Fall Ovids Remedia amoris