Irrationaler Überschwang - Robert J. Shiller - E-Book

Irrationaler Überschwang E-Book

Robert J. Shiller

4,6

Beschreibung

Er hat die Technologieblase vorhergesagt und vor der Immobilienblase warnte er ebenfalls frühzeitig. Nun analysiert Wirtschafts-Nobelpreisträger Robert Shiller die aktuelle Situation an den Finanzmärkten – und warnt erneut. Mit seiner Theorie des "Irrationalen Überschwangs" zeigt Nobelpreisträger Robert Shiller, dass Euphorie seitens der Akteure die Märkte auf unhaltbare und gefährliche Niveaus treiben kann. So geschehen in den Jahren 2000 bei der Hightechblase und 2007/2008 bei der Subprimeblase, die Shiller präzise vorhergesagt hat. Dies ist die dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage seines Klassikers. Shiller bezieht hier erstmals auch den Anleihenmarkt ein und gibt Empfehlungen, was die Individuen und die Politik im Lichte der aktuellen Situation an den Finanzmärkten tun sollten.

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ROBERT J. SHILLER

WIRTSCHAFTS-NOBELPREISTRÄGER 2013

IRRATIONALER

ÜBERSCHWANG

3. Auflage – erweitert und komplett überarbeitet

PLASSEN

VERLAG

 

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Irrational Exuberance – Revised and expanded third edition

ISBN 978-0-691-16626-1

Copyright der Originalausgabe 2015:

Copyright © 2015 Robert J. Shiller

Nobel lecture copyright © 2013 The Nobel Foundation

Published by Princeton University Press, Princeton, New Jersey. All Rights Reserved.

Copyright der deutschen Ausgabe 2015:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Egbert Neumüller

Gestaltung Cover: Holger Schiffelholz

Gestaltung und Satz: Sabrina Slopek

Bildquelle Umschlag: Getty Images

Herstellung: Daniela Freitag

Lektorat: Claus Rosenkranz

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

ISBN 978-3-86470-253-2

eISBN 978-3-86470-264-8

Bekanntgabe: Neben seiner Stellung als Professor an der Yale University arbeitet der Verfasser momentan in Teilzeit für Standard & Poor’s an der Erstellung von Häuserpreisindizes mit; für die Chicago Mercantile Exchange, die einen Futures-Markt für die S&P/Case-Shiller-Häuserpreisindizes betreibt, als Mitglied des Competitive Markets Advisory Council der CME Group; außerdem für die Barclays Bank und ihre Tochterunternehmen an der Erstellung diverser Anlageprodukte. Nichts in diesem Buch stellt ein Verkaufs- oder Kaufangebot für Wertpapiere dar oder sollte als solches interpretiert werden, auch nicht für Wertpapiere, die zu irgendeinem Zeitpunkt von einer der oben erwähnten juristischen Personen zum Verkauf oder Kauf angeboten werden. In den Vereinigten Staaten dürfen Angebote, Wertpapiere zu verkaufen, oder Aufforderungen, Wertpapiere zu kaufen, nur in Form eines Prospekts (wie im novellierten Securities Act von 1933 definiert) getätigt werden, der an die voraussichtlichen Käufer verteilt wird. In anderen Ländern gelten ähnliche Vorschriften. Dieses Buch enthält mehrere auf die Zukunft bezogene Aussagen, die auf Hochrechnungen, Hypothesen, Vorhersagen, Schätzungen, Überzeugungen und Prognosen des Autors hinsichtlich zukünftiger Ereignisse beruhen. Alle hierin wiedergegebenen auf die Zukunft bezogenen Aussagen geben ausschließlich die Meinung des Autors über solche zukünftigen Ereignisse wieder und beinhalten wesentliche Unsicherheiten. Die tatsächlichen Ereignisse können erheblich von den in solchen zukunftsbezogenen Aussagen beschriebenen Ereignissen abweichen.

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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FÜR BEN UND DEREK

INHALT

Liste der Abbildungen und Tabellen

Vorwort zur dritten Auflage

Vorwort zur zweiten Auflage, 2005

Vorwort zur ersten Auflage, 2000

Danksagungen

1 Ein historischer Blick auf den Aktienmarkt

2 Ein historischer Blick auf den Anleihemarkt

3 Ein historischer Blick auf den Immobilienmarkt

TEIL I

Strukturelle Faktoren

4 Beschleunigungsfaktoren: Das Internet, die Kapitalismus-Explosion und andere Ereignisse

5 Verstärkungsmechanismen: Von allein auftretende Pyramidenprozesse

TEIL II

Kulturelle Faktoren

6 Die Medien

7 Vorstellungen von einer neuen wirtschaftlichen Ära

8 Neue Zeitalter und Blasen in aller Welt

TEIL III

Psychologische Faktoren

9 Psychologische Anker für den Markt

10 Herdenverhalten und Epidemien

TEIL IV

Versuche, den Überschwang zu rationalisieren

11 Effiziente Märkte, Random Walks und Blasen

12 Was Anleger lernen – und wieder verlernen

TEIL V

Aufruf zum Handeln

13 Spekulative Volatilität in einer freien Gesellschaft

Anhang Die Nobelpreis-Rede: Spekulative Wertpapierpreise

Bibliografie Nobelpreis-Rede

Bibliografie „Irrationaler Überschwang“

 

Anmerkungen

ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS

1.1 Aktienkurse und Unternehmensgewinne in den USA 1871 bis 2014

1.2 Reale Aktienkurse in zehn Ländern und der Welt, Januar 1995 bis Juli 2014

1.3 Das zyklenbereinigte KGV (CAPE) und die Zinsen in den USA von 1881 bis 2014

2.1 Langfristige Zinsen und Inflation in den Vereinigten Staaten von 1871 bis 2014

2.2 Die Rendite inflationsindexierter Anleihen in vier Ländern von 1985 bis 2014

3.1 Häuserpreise, Baukosten, Bevölkerung und Zinsen in den Vereinigten Staaten, 1890 bis 2014

3.2 Die Häuserpreise in ausgewählten US-amerikanischen Städten, quartalsweise 1983 bis 2014

3.3 Häuserpreise in einigen Weltstädten und weltweit, quartalsweise 1985 bis 2014

5.1 Aktien als beste Anlage, 1996 bis 2014

5.2 Immobilien als beste Anlage, 2003 bis 2013

5.3 Die Meinung nach einem Börsencrash, 1996 bis 2014

5.4 Valuation Confidence Index, 1989 bis 2014

11.1 Das zyklusbereinigte KGV (CAPE) als Vorhersagefaktor für Renditen über zehn Jahre

11.2 Aktienkurse und aktueller Wert der Dividenden, 1871 bis 2013

A.1 Der reale S&P Composite Stock Price Index sowie zwei Zeitwerte der künftigen realen auf den Index anfallenden Dividenden bei konstantem Abzinsungssatz, 1871 bis 2013

A.2 Realer S&P Composite Stock Price Index und drei Zeitwerte der künftig auf den Index anfallenden Dividenden, 1871 bis 2013

A.3 Aktuelle Werte künftiger Änderungen der Dividenden im Vergleich zum Dividenden-Kurs-Verhältnis von 49 einzelnen US-Aktien, 1926 bis 1976

A.4 Zwei Indizes der US-Häuserpreise, geteilt durch den Verbraucherpreisindex CPI-U, 1987 bis 2013

Tabellenverzeichnis

8.1 Die größten realen Jahresanstiege von Aktienindizes in der jüngeren Vergangenheit

8.2 Die größten realen Jahresrückgänge von Aktienindizes in der jüngeren Vergangenheit

8.3 Die größten realen 5-Jahres-Anstiege von Aktienindizes in der jüngeren Vergangenheit

8.4 Die größten realen 5-Jahres-Rückgänge von Aktienindizes in der jüngeren Vergangenheit

3. AUFLAGE

VORWORT

Man könnte meinen, Jahre nachdem die Spekulationsblasen geplatzt sind, die zu der weltweiten Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009 geführt hatten, müssten wir in einer merklich anderen Welt „nach den Blasen“ leben. Man könnte meinen, die Menschen hätten ihre Lektion gelernt und würden sich nicht mehr auf expandierende Märkte stürzen, wie es so viele vor der Krise taten und dadurch die einsetzenden Blasen verschlimmerten. Doch die Indizien für Blasen häufen sich seit der Krise. An den Aktien- und Anleihemärkten der Vereinigten Staaten und einiger anderer Länder haben die Bewertungen hohe Niveaus erreicht und in vielen Ländern steigen die Preise von Wohnimmobilien rasant. All dies geschah und geschieht, obwohl die Erholung von der Finanzkrise weltweit enttäuschend ausfiel. Es geschieht trotz der zunehmend angespannten internationalen Lage – mit Kriegen im Gazastreifen, im Irak, in Israel, Syrien und der Ukraine – und trotz der Welle möglicherweise disruptiver nationalistischer Gefühle und politischer Polarisierung in den Vereinigten Staaten, in Europa und in Asien.

Während ich dies schreibe, hat der Internationale Währungsfonds gerade eine Warnung ausgegeben, dass die Immobilienmärkte in Asien, Europa, Lateinamerika, Australien, Kanada und Israel überhitzt sind.1 Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich gab eine ähnliche Warnung aus.2

Die blasenträchtige und augenscheinlich instabile Situation bietet Anlass für eine gewisse Besorgnis, wenn auch grundsätzlich nicht so extrem wie damals, als die erste Auflage des vorliegenden Buches vor dem überteuerten und anfälligen Aktienmarkt warnte (siehe das unten abgedruckte Vorwort aus dem Jahr 2000) oder als die zweite Auflage vor dem überteuerten und anfälligen Immobilienmarkt warnte (siehe das unten abgedruckte Vorwort aus dem Jahr 2005).

Bis dieses Buch den Weg in die Hände der Leser findet, könnte die Marktlage schon wieder ganz anders aussehen. Märkte können sich sehr schnell ändern und die optimistischen Preise, die wir derzeit (im Oktober 2014) sehen, machen Prognosen schwer. Im Vergleich zu der Zeit bis zur Veröffentlichung des Buches und bis es auch wirklich gelesen wird, mag die derzeitige Preisbildung nicht lange halten. Aber ich schreibe für künftige Leser, in mehreren Jahren. Wenn sie das Buch lesen werden, ist die Marktlage in der Mitte des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts nur eines von vielen im Buch beschriebenen Beispielen – Beispielen für breiter angelegte Tendenzen und Ungewissheiten.

Das heißt, die Themen der ersten Auflage sind – mit einer gewissen Aktualisierung – heute immer noch relevant und werden es wahrscheinlich immer sein. Als die erste Auflage des Buches im Jahr 2000 erschien, versicherte ich nachdrücklich, dass die damalige Aktienblase zwar außerordentlich groß, aber nichts grundlegend Neues sei. Kapitel 8 der vorliegenden Ausgabe, „Neue Zeitalter und Blasen in aller Welt“, beschreibt detailliert, wie oft es an der Börse schon ähnliche, wenn auch kleinere oder örtlich begrenzte, Booms und Crashs gegeben hat. Eines war allerdings wirklich relativ neu: das weltweite Ausmaß des Börsenbooms, von dem wir heute wissen, dass er Anfang 2000 seinen Höhepunkt überschritt. In der ersten Auflage bezeichnete ich ihn als „Millenniumboom“, weil er kurz vor Beginn des neuen Millenniums stattfand. Nachdem er nun vorüber ist, könnten wir auch getrost von der „Millenniumblase“ sprechen. Aber der Boom beziehungsweise die Blase war nicht wirklich größer als ihr Pendant, das 1929 seinen Höhepunkt überschritt. Solche wirklich großen Blasen kommen zwar selten vor, aber einmalig in der Geschichte war die Millenniumblase nicht.

In der zweiten Auflage (2005) legte ich großen Wert darauf, dass der landesweite Aufschwung der Häuserpreise in den Vereinigten Staaten, der Ende der 1990er-Jahre begonnen hatte, der größte aller Zeiten oder zumindest seit 1890 – ab da lagen mir Zahlen vor – gewesen sei. Trotzdem berichtete das neue Kapitel, das in jene Auflage aufgenommen wurde, von früheren Häuserblasen beziehungsweise Blasen der Grundstückspreise in früheren Jahrhunderten. In früheren Jahrhunderten bezogen sich Immobilienspekulationen nämlich eher auf Grundstücke für den Bau von Farmen oder Wohnhäusern. Außerdem änderte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etwas Wesentliches: Die Bedingungen für Hypothekendarlehen auf Wohnhäuser wurden massiv gelockert. Diese Lockerung und das Ausmaß des weltweiten Immobilienbooms (den wir nach dem Zusammenbruch der Immobilienpreise im Jahr 2006 in vielen Regionen getrost als Blase bezeichnen dürfen) waren einzigartig. Wir könnten vom Boom der Besitzergesellschaft sprechen, denn er hing mit einem entsprechenden Slogan zusammen, mit dem George W. Bush im Präsidentschaftswahlkampf 2004 für seine Pläne warb, den verbreiteten Besitz von Eigenheimen, Aktien und sonstigen Geldanlagen zu fördern. (Den derzeitigen Börsenboom, der von 2009 bis zu dem Zeitpunkt im Jahr 2014 reicht, zu dem ich dies schreibe, werde ich in Anlehnung an einen Begriff, den Bill Gross [damals bei PIMCO] im Jahr 2009 populär machte, als „Boom der neuen Normalität“ bezeichnen.)

Aber eigentlich ist an diesen Blasen nichts Neues – nichts grundsätzlich Neues. Sie sind Wiederholungen des ungefähr gleichen Phänomens: Durch Mundpropaganda verbreiten sich Storys von einem neuen Zeitalter und es kommt zur massenhaften Begeisterung für eine bestimmte Art von Geldanlage.

Die verbesserte Informationstechnologie kann die Dynamik dieser Begeisterung beschleunigen. Auch die Veränderung des Anlageverhaltens spielt eine Rolle. In den letzten Jahren machte sich der zunehmende Einfluss internationaler und institutioneller Investoren stark bemerkbar, die in Einfamilienhäuser investieren. Aber das grundsätzliche Phänomen der Blase ist das Gleiche. In Zukunft werden wir bestimmt noch größere Blasen erleben, die jeweils auf eine neue, andere Geschichte von einem neuen Zeitalter aufbauen, und dann müssen wir dafür neue Namen erfinden.

Als ich 2013 Kolumbien bereiste, rechnete ich nicht damit, etwas von Häuserblasen zu hören. Aber immer wieder hörte ich von dem dortigen erstaunlichen Immobilienboom. Während mich ein Chauffeur in einer Limousine durch den Badeort Cartagena fuhr, zeigte er mir mehrere normal aussehende Häuser, die kurz zuvor für Millionen US-Dollar verkauft worden waren.

Die kolumbianische Notenbank Banco de la República gibt auf ihrer Website Häuserpreisindizes für drei Großstädte an: Bogotá, Medellín und Cali. Er zeigt, dass die Häuserpreise seit 2004 real (also inflationsbereinigt) um 69 Prozent gestiegen sind. Das erinnert an das, was die Vereinigten Staaten erlebt haben: Der S&P/Case-Shiller Ten-City Home Price Index steig vom Tiefpunkt 1997 bis zum Höhepunkt 2006 um 131 Prozent.

Die Anfälligkeit für Blasen in Kolumbien und auf der ganzen Welt offenbart, dass wir diese Phänomene immer noch nicht verstanden haben. Was ist eigentlich eine Spekulationsblase? Der „Oxford English Dictionary“ erklärt eine „bubble“ als „etwas Zerbrechliches, Substanzloses, Leeres oder Wertloses; trügerische Vorführung. Wird seit dem 17. Jh. häufig für irreführende geschäftliche oder finanzielle Machenschaften verwendet.“ Das Problem daran ist, dass „Vorführung“ und „Machenschaften“ eher auf bewusste Erzeugung deuten als auf ein verbreitetes gesellschaftliches Phänomen, das nicht von einem einzigen Impresario geleitet wird.

Vielleicht wird das Wort „Blase“ zu leichtsinnig verwendet. Eugene Fama findet das auf jeden Fall. Er ist der bedeutendste Verfechter der Effizienzmarkthypothese und leugnet, dass es Spekulationsblasen gibt. In seiner Nobelpreis-Rede 2014 erklärte er, das Wort „Blase“ beziehe sich auf „einen irrational starken Preisanstieg, der einen vorhersehbaren starken Rückgang impliziert“.3 Wenn das wirklich die Bedeutung von „Blase“ ist und wenn „vorhersehbar“ bedeutet, dass wir den Zeitpunkt angeben können, zu dem eine Blase platzt, stimme ich ihm zu, dass es wohl kaum stichhaltige Belege für die Existenz von Blasen gibt. Aber das ist nicht meine Definition einer Blase, denn so vorhersehbar sind spekulative Märkte nun einmal nicht.

In der zweiten Auflage des vorliegenden Buches versuchte ich, eine bessere Definition von „Blase“ zu liefern, die zu einer aufgeklärteren Verwendung des Begriffs passt. Diese in Kapitel 1 gegebene Definition beschreibt eine Situation, in der die Nachricht von einer Preiserhöhung die Begeisterung von Anlegern im Zuge einer Art psychologischer Epidemie anheizt. Das scheint mir die Kernbedeutung des Wortes in seiner stringentesten Verwendung zu sein.

Diese Definition deutet implizit bereits an, weshalb es dem „Smart Money“ so schwerfällt, aus der Spekulation gegen Blasen Gewinn zu ziehen: Die psychische Ansteckung begünstigt eine Geisteshaltung, die die Preisanstiege rechtfertigt, sodass man die Beteiligung an der Blase als fast rational bezeichnen könnte. Aber sie ist nicht rational.

Die Story lautet in jedem Land anders, sie spiegelt die dortigen Nachrichten wider, die nicht immer mit den Nachrichten in anderen Ländern übereinstimmen. Zum Beispiel besagt die aktuelle Story in Kolumbien offensichtlich, dass die Regierung des Landes unter Führung des angesehenen Präsidenten Juan Manual Santos Calderón die Inflationsrate und die Zinsen auf das Niveau von Industriestaaten gesenkt und die Bedrohung durch die FARC-Rebellen so gut wie beseitigt hat, was für die kolumbianische Wirtschaft eine Vitalitätsspritze bedeutet. Als treibende Kraft einer Häuserblase reicht diese Story aus.

Storys von einem neuen Zeitalter schrauben die Erwartungen an die Anlagerenditen hoch, erzeugen aber nicht unbedingt großes Vertrauen. Die hohen Erwartungen während der Aufschwungphase einer Blase sind wohl eher eine Form von Wunschdenken als ein Ausdruck des Vertrauens und der Zuversicht. Anscheinend besteht in Blasenzeiten eine sozialpsychologische Neigung zur leichtsinnigen Selbstgefälligkeit, obwohl die Menschen nicht individuell zu dem Schluss kommen, es bestehe kein Risiko.

Wenn man die Aufmerksamkeit der Menschen auf die Risiken lenkt, sind sie in der Wachstumsphase von Blasen tatsächlich gar nicht so zuversichtlich. Abbildung 5.4 zeigt, dass der Valuation Confidence Index zum Allzeithoch des US-Aktienmarkts Anfang 2000 sogar außerordentlich niedrig stand. Auf einer gewissen Ebene waren sich die Menschen der Risiken also durchaus bewusst. Im Rahmen einer Studie, die Karl Case und ich schon seit Jahren durchführen, legen wir Menschen, die kürzlich ein Haus gekauft haben, die folgende Frage mit drei Antwortmöglichkeiten vor: „Was bringt es mit sich, heutzutage in dieser Gegend ein Haus zu kaufen? 1. Ein großes Risiko. 2. Ein gewisses Risiko. 3. Ein geringes oder gar kein Risiko.“ Die Antworten sind sehr irritierend. Im Jahr 2004, als der Immobilienmarkt die schnellsten Preisanstiege verzeichnete, antworteten nur 19 Prozent „Ein geringes oder gar kein Risiko“. Es ist also nicht so, dass während der Blase alle gedacht hätten, die Häuserpreise könnten niemals fallen, auch wenn ihnen das häufig vorgeworfen wird. Und im Jahr 2009, am Tiefpunkt der schwersten Rezession seit der Großen Depression der 1930er-Jahre, wählte ein noch geringerer Anteil der Befragten diese Möglichkeit, nämlich 17,2 Prozent.4

Anscheinend herrscht in Blasenzeiten weniger die feste Überzeugung, die Preise könnten niemals fallen, sondern eher ein psychisches Klima, in dem die Öffentlichkeit den Gedanken ausblendet, dass die Preise fallen könnten. Die Storys vom neuen Zeitalter sind keine festen Überzeugungen, sondern nur Gedanken, die im Vordergrund des Denkens stehen und als Rechtfertigungen für das Handeln anderer Menschen und das eigene Handeln fungieren.

Da Blasen im Prinzip subtile sozialpsychologische Phänomene sind, lassen sie sich gerade aufgrund ihres Charakter nur schwer kontrollieren. Die seit der Finanzkrise getroffenen regulatorischen Maßnahmen könnten zwar zukünftige Blasen abschwächen, doch ob diese Maßnahmen ausreichen, muss sich noch zeigen.

Es gibt keine liquiden Märkte für Häuserpreise, an denen Menschen, die einer Häuserblase skeptisch gegenüberstehen, diese Blase shorten könnten. Wenn dies möglich wäre, könnten ihre Zweifel in die Marktpreise eingepreist werden. Wie wir in Kapitel 11 sehen werden, ist eine wichtige Grundvoraussetzung der Effizienzmarkthypothese nicht erfüllt, wenn es schwierig ist, einen Markt zu shorten. Das sogenannte „Smart Money“ kann zwar seine Investitionen in Immobilien vollständig einstellen, aber danach kann es keine Schritte unternehmen, die verhindern, dass andere die Preise immer weiter in die Höhe treiben. Beispielsweise könnte eine beliebige Gruppe von Investoren irgendwo auf der Welt die Häuserpreise in einer bestimmten Gegend auf irrsinnige Niveaus hinauftreiben, wenn es ihr in den Sinn käme. Oder auch große institutionelle Investoren, die irgendein Spiel treiben. Es gibt keine anerkannte Theorie, die besagen würde, dass sie das nicht tun könnten, wenn Leerverkäufe nicht möglich sind. Zwar haben schon viele versucht, das Shorten von Einfamilienhäusern möglich zu machen, bislang jedoch mit geringem Erfolg.

Vor ein paar Jahren haben einige mit Hightech ausgerüstete institutionelle Akteure wie etwa die Blackstone Group angefangen, in Einfamilienhäuser zu investieren. Die Präsenz dieser Akteure könnte zwar die Dynamik von Blasen am Immobilienmarkt verändern, nämlich die monatlichen Schwankungen dämpfen. Die hohe kurzfristige Dynamik der Häuserpreise wird uns jedoch mit Sicherheit ebenso erhalten bleiben wie längerfristige Immobilienblasen.

Bei dem Wort „Blase“ kommt einem das Bild einer wachsenden Seifenblase in den Sinn, die zwangsläufig ganz plötzlich und unwiderruflich platzt. Doch Spekulationsblasen gehen nicht so einfach zu Ende. Es kann sogar vorkommen, dass sie ein Stück weit schrumpfen, wenn sich die Story ändert, und sich dann wieder aufblähen.

Es dürfte zutreffender sein, solche Episoden als spekulative Epidemien zu bezeichnen. Bekanntlich kann eine neue Epidemie gerade dann ganz plötzlich auftreten, wenn eine frühere abklingt – etwa wenn eine neue Form des Virus auftaucht oder wenn ein Umweltfaktor die Ansteckungsquote erhöht. So etwas kann auch bei Spekulationsblasen passieren: Irgendwo kann eine neue Blase entstehen, wenn eine neue Story über die Wirtschaft auftaucht und genug narrative Kraft besitzt, um im Denken der Anleger eine erneute Ansteckung hervorzurufen.

So war es bei der Hausse der 1920er-Jahre in den Vereinigten Staaten, die 1929 ihren Höhepunkt überschritt. Wir haben diesen Teil der Geschichte verzerrt, weil wir uns Blasen als Phasen dramatisch steigender Preise vorstellen, die an einen Wendepunkt gelangen, ab dem ein plötzlicher, großer und endgültiger Crash stattfindet. Aber in Wirklichkeit ließ ein bedeutender Aufschwung die realen Aktienkurse in den Vereinigten Staaten nach dem Schwarzen Donnerstag bis zum Jahr 1930 wieder die Hälfte des Weges zum Hoch von 1929 steigen. Darauf folgten ein zweiter Crash, ein erneuter Aufschwung von 1932 bis 1937 und ein dritter Crash.

Seit der zweiten Auflage des vorliegenden Buches wird viel über das spezielle Kurs-Gewinn-Verhältnis diskutiert, das John Campbell von der Harvard University und ich entwickelt haben und das bereits in der ersten Auflage vorgestellt wurde: der reale Kurs, geteilt durch den 10-Jahres-Durchschnitt des realen Gewinns. Offenbar hat die Presse den Namen übernommen, den ich gelegentlich dafür benutzte – CAPE (= Cyclically Adjusted Price-Earnings ratio, zyklenbereinigtes Kurs-Gewinn-Verhältnis) –, und daher nenne ich es jetzt auch konsequent so. Dieses Verhältnis erschien zwar in allen Auflagen des Buches in der dritten Abbildung des ersten Kapitels, aber die Bezeichnung „CAPE“ kam in früheren Ausgaben nicht vor. Man kann diese Kennzahl so sehen, dass das übliche Kurs-Gewinn-Verhältnis, das ja auf dem Gewinn eines Jahres basiert, um den Konjunkturzyklus bereinigt wird. Plötzliche Ausschläge des Kurs-Gewinn-Verhältnisses, die nach Rezessionen entstehen können, weil dann der Gewinn möglicherweise sehr niedrig ist, werden durch den Durchschnitt der Gewinne über einen langen Zeitraum korrigiert.

Während ich dies schreibe, beträgt das CAPE in den Vereinigten Staaten 26 und ist damit höher denn je, abgesehen vom Umfeld der bedeutenden Börsenhochs 1929, 2000 und 2007. Im vorliegenden Buch geht es aber nicht in erster Linie um die derzeitige Lage der Kapitalmärkte, sondern darum, ein Gefühl für die wahre Natur und Dynamik dieser Märkte zu bekommen.

Die aktuelle Auflage des Buches wurde zum Teil durch die Arbeit mit George Akerlof an unserem gemeinsamen 2009 erschienenen Buch „Animal Spirits“ angeregt, dessen Titel zu Recht thematische Überschneidungen mit „Irrationaler Überschwang“ vermuten lässt. Der alte Begriff „animalische Instinkte“ (lat. „spiritus animalis“) bezieht sich auf die Schwankungen der grundlegenden Triebkraft menschlichen Handelns. Der Volkswirt John Maynard Keynes, nach dessen Ansicht die Volkswirtschaft grundlegende psychologische Instabilitäten beinhaltet, hat diesen Begriff wiederbelebt. Die Schwankungen des irrationalen Überschwangs und der animalischen Instinkte sind nach wie vor ein wichtiger Teil unseres Lebens. Und wir müssen unser gesamtes Arsenal an Sozialwissenschaften aufbieten, um sie zu verstehen.

Der Aufbau des Buches

Die Vorworte der Ausgaben von 2005 und 2000 sind hier abgedruckt, um ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie sich das Buch über das Auf und Ab der Finanzmärkte hinweg entwickelt hat. Das Vorwort von 2005 kam kurz vor dem Höhepunkt der Blase der Besitzergesellschaft heraus. Das Vorwort 2000 erschien in der ersten Auflage, gerade als der Markt den Höhepunkt der Millenniumblase erreichte.

Das eigentliche Buch beginnt mit drei einleitenden Kapiteln, die das Auf und Ab der drei wichtigsten Anlegermärkte in den historischen Zusammenhang stellen: den Aktienmarkt, den Anleihemarkt und den Immobilienmarkt. Kapitel 2 wurde in die dritte Auflage neu aufgenommen, um den verbreiteten Bedenken vor einer möglichen Blase am Anleihemarkt Rechnung zu tragen. Dank dieser drei Kapitel sehen wir, wie beachtlich die Schwankungen dieser Märkte waren und sind, und können uns ein umfassendes Bild der Trends an diesen Märkten machen.

Teil I behandelt die strukturellen Faktoren, die Marktblasen antreiben. Er beginnt in Kapitel 4 mit einer Diskussion der beschleunigenden und auslösenden Faktoren, die Marktschwankungen hervorrufen: Ereignisse außerhalb der Märkte, zum Beispiel politische, technologische und demografische. Dieses Kapitel zählt die auslösenden Faktoren auf, die vor allem wegen ihrer Auswirkungen auf die Anlegerstimmung letzten Ende hinter drei Börsenbooms der jüngeren Vergangenheit standen: des Millenniumbooms 1982-2000, des Booms der Besitzergesellschaft 2003-2007 und des Booms der Neuen Normalität von 2009 bis heute. Auch heute ist es wichtig, die Beschleunigungsfaktoren früherer Aufschwünge durchzugehen, damit wir die unterschiedlichen Dinge besser bewerten können, die in Zukunft Aufschwünge antreiben könnten.

Teil II betrachtet kulturelle Faktoren, durch die die Struktur einer Spekulationsblase zusätzlich verstärkt wird. Dabei sind die in Kapitel 6 behandelten Nachrichtenmedien von entscheidender Bedeutung, denn sie verstärken Geschichten, die bei den Anlegern ein Echo hervorrufen – und das häufig ungeachtet ihrer Stichhaltigkeit. Kapitel 7 analysiert die Theorien von einem „neuen Zeitalter“, die von Zeit zu Zeit spontan aufkommen. In der vorliegenden Auflage analysiere ich den Aktienmarkt und den Immobilienmarkt. Wir werden sehen, dass die Popularität solcher Theorien von der Aktivität an den Märkten selbst herrührt, nicht von einer unbeeinflussten Analyse des wahren Wertes solcher Geschichten. Kapitel 8 wirft einen Blick auf die wichtigsten Börsenbooms der Welt im vergangenen halben Jahrhundert und beschreibt die Theorien von einem neuen Zeitalter, die im Zusammenhang mit vielen dieser Booms aufkamen.

Teil III betrachtet psychologische Faktoren, die hinter dem Verhalten von Märkten stehen. Kapitel 9 erklärt, dass die Allgemeinheit den Marktwert vor allem an psychologischen Ankern festmacht, weil die Wirtschafts- und die Finanztheorie den Wert so schlecht definieren und weil er so schwierig zu berechnen ist. Kapitel 10 beschreibt bedeutende Ergebnisse der Sozialpsychologie und der Soziologie, dank deren wir besser verstehen, weshalb so viele verschiedene Menschen zur selben Zeit ihre Meinung ändern.

Teil IV geht den Versuchen von Wissenschaftlern und populärwissenschaftlichen Autoren nach, Marktblasen rational zu erklären. Kapitel 11befasst sich mit der Theorie der Markteffizienz. Kapitel 12 behandelt die häufig im Laufe von Blasen vorgebrachte Theorie, die Allgemeinheit habe eben gerade eine wichtige Tatsache erfahren – obwohl diese „Tatsache“ entweder fragwürdig oder schon seit einiger Zeit allgemein bekannt ist.

Teil V – Kapitel 13 – befasst sich damit, welche Konsequenzen Spekulationsblasen für Privatanleger, institutionelle Anleger und Staaten haben. In dieser Zeit, in der sowohl der Aktienmarkt als auch der Immobilienmarkt verwundbar sind, liefert es mehrere Rezepte für dringend nötige politische Veränderungen und schlägt Möglichkeiten vor, wie man sich als Privatanleger den Konsequenzen einer geplatzten Blase weniger stark aussetzen kann.

Außerdem enthält die vorliegende Ausgabe im Anhang die überarbeitete Version der Nobelpreisrede, die ich im Dezember 2013 in Stockholm gehalten habe. Diese Rede stellt viele Argumente des Buches in einen breiteren Kontext und enthält zusätzliche Verweise auf wissenschaftliche Diskussionen einiger hier gezogener grundsätzlicher Schlüsse.

Ich habe die Website irrationalexuberance.com eingerichtet, die neue Informationen im Zusammenhang mit den Themen des Buches präsentieren sowie einige der Zahlen und Diagramme regelmäßig aktualisieren wird, die in diesem Buch aufgeführt sind.

2. AUFLAGE 2005

VORWORT

Im Vorwort zu ersten Auflage des vorliegenden Buches, die nach diesem Vorwort abgedruckt ist, bezeichnete ich das Buch als Untersuchung des Millenniumbooms am Aktienmarkt, also des Booms, der in den Jahren vor dem Jahr 2000 einen großen Teil der Welt heimsuchte. Einige Leser des Buches sagten mir, ihrer Meinung nach spreche das Buch ein viel breiter angelegtes Thema an. Und sie hatten recht: In Wirklichkeit geht es in dem Buch um alle spekulativen Märkte, um die Anfälligkeit des Menschen für Irrtümer und um die Instabilitäten des kapitalistischen Systems.

Als ich vor allem 1999 die erste Auflage schrieb, schien der Boom des Aktienmarkts unaufhaltsam zu sein. Der S&P 500 Index war 1995 um 34 Prozent gestiegen, 1996 um 20 Prozent, 1997 um 31 Prozent, 1998 um 26 Prozent und 1999 um 20 Prozent. In vielen anderen Ländern gab es ähnliche Serien von Kursanstiegen des Aktienmarkts. So viele Jahre hintereinander mit solchen spektakulären Zuwächsen konnten kein reiner Zufall sein – zumindest schien es vielen Menschen damals so und auch den Experten, die diese Ansicht förderten. Der Boom des Aktienmarkts wurde weithin als Vorbote eines neuen Zeitalters gesehen. Doch mein Buch nahm eine ganz andere, viel trübere Perspektive auf diesen Börsenboom ein.

Als das Buch im März 2000 in die Regale kam, hatte ich mir in Yale ein Sabbatical genommen und brach zu einer ausgedehnten Lesereise durch zehn Länder auf. Natürlich wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand, dass der März 2000 den Höhepunkt der Börse darstellen würde. Die Gespräche mit vielen Menschen über die Fehler, die sie meiner Meinung nach machten, brachten mich auf Ideen, wie ich meine Argumentation untermauern könnte, und jene stelle ich in der vorliegenden neuen Auflage vor.

Manche Erinnerungen an die Art von menschlichen Irrtümern, die mir auf dieser Reise begegneten, finde ich noch heute frappierend. Ich weiß noch, wie ich in einer Radiotalkshow auftrat und mir eine Frau erklärte, sie wisse, dass ich falschliege: Der Aktienmarkt befinde sich in einem ausgeprägten Aufwärtstrend und er müsse grundsätzlich steigen. Ihre Stimme zitterte und ich fragte mich, was für ihre Emotionen verantwortlich war.

Ich erinnere mich auch an einen jungen Mann, der zu zwei meiner Buchvorstellungen kam, jedes Mal hinten saß und hektisch aussah. Warum kam er zum zweiten Mal und was regte ihn so auf?

Einmal trug ich meine bearishe Marktsicht vor einer Gruppe institutioneller Investoren vor und ließ mir danach von einem institutionellen Portfoliomanager erklären, er sei zwar meiner Meinung, aber er werde bei der Verwaltung seines Portfolios trotzdem alles ignorieren, was ich gerade gesagt hatte. Er meinte, die Ansichten, die ich geäußert hatte, besäßen letztlich nicht genug Autorität, damit seine Kunden und Kollegen sie ernst nähmen, und er könne die Zusammensetzung seines Portfolios nicht ausschließlich wegen der offensichtlich eigenwilligen Meinung einer einzigen Person ändern – obwohl er selbst der gleichen Meinung war.

Doch überwiegend erinnere ich mich an Menschen, die fröhlich und mit offensichtlichem Interesse meinem Vortrag lauschten und mir dann unbekümmert eröffneten, sie würden mir nicht unbedingt glauben. Irgendwie war eine kollektive Schlussfolgerung bezüglich des Aktienmarkts gezogen worden und sie hatte das Denken der Menschen voll im Griff.

Nach dem Jahr 2000 endete der Börsenboom abrupt. Die Aktienmärkte in den Vereinigten Staaten und in den Ländern, in denen die Kurse ebenfalls gestiegen waren, fielen weit unter die Hochs des Jahres 2000. Als der S&P 500 im März 2003 den Boden erreichte, hatte er real (inflationsbereinigt) die Hälfte seines Wertes verloren. Dieser Ausgang veränderte die Anlegerpsychologie.

Ich erinnere mich an ein Frühstück mit einer Frau und ihrem Mann Ende 2000, als der Markt schon erheblich gefallen war und die Technologie-Aktien über 50 Prozent im Minus standen. Sie erzählte, sie kümmere sich um die Geldanlage für die Familie und in den 1990er-Jahren sei sie ein Genie gewesen. Er stimmte zu. Doch jetzt, so bekannte sie, sei ihr Selbstwertgefühl angeknackst. Ihre gesamte Wahrnehmung des Marktes sei eine Illusion gewesen, ein Traum. Ihr Mann widersprach ihr nicht.

Doch so tief greifend manche Menschen psychologisch auf den Einbruch des Marktes auch reagiert haben, so scheint die kollektive Begeisterung für Aktien doch ausdauernder zu sein, als man meinen könnte. Insgesamt gesehen scheint der Enthusiasmus noch nicht vorüber zu sein. Der Markt ist noch nicht so schwer eingebrochen, wie man es aufgrund der extremen Überteuerung im Jahr 2000 vorhergesagt hätte – jedenfalls noch nicht –, und die meisten Menschen haben diese intensive psychologische Korrektur noch nicht erfahren.

Der Aktienmarkt ist nicht auf historische Tiefs gefallen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Aktienmarkts in der Definition, die ich in diesem Buch verwende, liegt, während ich dies schreibe, immer noch bei Mitte 20, also weit über dem historischen Durchschnitt. Überdies ist es am Häusermarkt so weit gekommen, dass die medianen Häuserpreise manchmal das Zehnfache des Pro-Kopf-Einkommens der Käufer oder noch mehr betragen. Der irrationale Überschwang bleibt uns also durchaus erhalten.

Grob gesagt wollte ich mithilfe dieses Buches seit der ersten Auflage 2000 die veränderte Denkweise der Menschen verstehen, die letzten Endes die Märkte antreiben. Es handelt von der Psychologie der Spekulation, von dem Rückkopplungsmechanismus, der diese Psychologie verstärkt, vom Herdenverhalten, das auf Millionen oder gar Milliarden von Menschen übergreifen kann, und von den Konsequenzen eines derartigen Verhaltens für die Wirtschaft und für unser Leben. Auch wenn sich das Buch ursprünglich direkt auf das aktuelle Wirtschaftsgeschehen konzentrierte, drehte und dreht es sich noch darum, dass Irrtümer des menschlichen Urteilsvermögens dank Selbstzufriedenheit, mangelnder Beachtung von Details und übertriebenen Vertrauens in das Urteilsvermögen anderer Menschen selbst die klügsten Menschen befallen können, weil sie nicht begreifen, dass die anderen keine unabhängigen Urteile fällen, sondern ihrerseits selbst anderen folgen – dass also Blinde von Blinden geführt werden.

Die angeblich aufgeklärte Meinung, auf die die Menschen ihre wirtschaftlichen Urteile gründen, ähnelt oft eher dem „Mann aus Rauch“ aus Aldo Palazzeschis surrealistischem Roman „Il codice di Perelà“ aus dem Jahr 1911. Der Protagonist besteht nur aus Rauch, also sozusagen aus nichts, erwirbt aber eine öffentliche Anerkennung und Autorität, die Konstrukte der kollektiven Fantasie sind. Dann ändert die Öffentlichkeit ihre Meinung und beschließt, er sei doch nicht der Born der Wahrheit. Daraufhin löst er sich vollständig auf. Ereignisse wie in diesem Roman spielen sich auch in der Wirklichkeit ab: Substanzlose Glaubenssysteme, flüchtige Irrlichter, rufen lang anhaltende Schübe irrationalen Überschwangs hervor und diese Schübe treiben letzten Endes die Weltwirtschaft an.

Bei der Überarbeitung des Buches für die zweite Auflage habe ich versucht, die Argumentation auszubauen, dass Veränderungen, die durch veränderte Einstellungen, irrationale Überzeugungen und veränderte Schwerpunkte der Aufmerksamkeit verursacht werden, eine wichtige Rolle bei der Veränderung unseres Wirtschaftslebens spielen, und ich untersuche in der zweiten Auflage die Folgen für unsere Wirtschaft und unsere Zukunft. Die Beispiele für solche Veränderungen habe ich auf aktuellere Ereignisse umgemünzt. Vor allem habe ich ein Kapitel über den enormen Aufschwung der Immobilienpreise ergänzt, den viele Länder seit Ende der 1990er-Jahre erleben, und ich habe die Diskussion, die sich durch das gesamte Buch zieht, dahingehend erweitert, dass sie auch die Immobilienspekulation berücksichtigt. Darüber hinaus erweitert und verbessert die vorliegende Auflage die grundlegenden Argumente in mehrere Richtungen. Seit der Erstauflage hatte ich fünf zusätzliche Jahre, um über die Themen des Buches nachzudenken, und die Forschungen der Verhaltensökonomie, die ich genau verfolge, haben in dieser Zeit ebenfalls erhebliche Fortschritte gemacht.

Die Themen, die in diesem Buch behandelt werden, sind ernst und bis heute relevant. In weiten Teilen der Welt vertrauen die Menschen immer noch zu sehr darauf, dass der Aktienmarkt – und vielerorts auch der Immobilienmarkt – weiterhin extrem gut laufen wird, und diese überzogene Zuversicht kann zu Instabilität führen. Weitere wesentliche Anstiege dieser Märkte könnten letztlich zu noch wesentlicheren Rückgängen führen. Dies könnte die üble Konsequenz haben, dass durch diese Rückgänge die Zahl der Privatinsolvenzen beträchtlich zunimmt, was wiederum zu einer Bankrottserie unter Finanzinstituten führen könnte. Eine weitere langfristige Konsequenz könnte ein Rückgang des Anleger- und Unternehmensvertrauens sein und vielleicht eine weitere möglicherweise weltweite Rezession. Dieser extreme Ausgang – eine Situation wie in Japan seit den 1990er-Jahren, nur im großen Stil – ist nicht unvermeidlich, aber die Gefahr ist viel ernster als allgemein anerkannt.

Wenn diese Möglichkeiten alarmierend scheinen, sollte man bedenken, dass wir bereits mit einigen Folgen der unangenehmen Auswirkungen früherer überzogener Zuversicht leben. Die Aktienmärkte vieler Länder fielen vom Hoch 2000 bis 2002 um die Hälfte und sind seither nur leicht zurückgefedert. Die vom boomenden Aktienmarkt angeregten überzogenen Investitionen der Unternehmen ließen in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts die Investitionsausgaben einbrechen und verursachten eine weltweite Rezession.

Der Boom in den 1990er-Jahren schuf eine geschäftliche Atmosphäre, die einem Goldrausch ähnelt, und veranlasste viele Menschen zu verzerrten geschäftlichen Entscheidungen, deren Ergebnisse noch viele Jahre auf uns lasten werden. Zur Veränderung der geschäftlichen Atmosphäre gehörten auch eine Senkung der ethischen Maßstäbe sowie ein Schwinden des Glaubens an Integrität, Ehrlichkeit, Geduld und Vertrauen in Unternehmen. Nachdem der Markt gefallen war, kam eine Serie von Skandalen ans Licht, die Verwaltungsräte, Wirtschaftsprüfungsunternehmen und Investmentfonds betrafen.

Letztlich führten diese verschwenderischen Jahre bei Regierungen und Kommunalverwaltungen zu schweren Haushaltsproblemen. Als in den 1990er-Jahren der Aktienmarkt stieg, die Anleger Kapitalerträge ernteten und die Wirtschaft boomte, stiegen die Steuereinnahmen und vielen Regierungen fiel es schwer, die Ausgabensteigerungen einzudämmen. Nach dem Rückgang des Aktienmarkts sanken die Steuereinnahmen wieder und stürzten viele Regierungen in schwere Haushaltskrisen. Im Jahr 2002 belief sich das durchschnittliche Haushaltsdefizit der OECD-Länder auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Haushaltsdefizite führten ihrerseits zu verzweifelten Versuchen, die Ausgaben zu drosseln, was in den jeweiligen Staaten, Provinzen, Ländern und Kommunen unterschiedliche Folgen hatte.

Eine zusätzliche Folge des intensiven Börsenbooms Ende der 1990er-Jahre war der Boom der Immobilienpreise, der um die Jahre 1997 und 1998 begann und sich nach dem Jahr 2000 in vielen Ländern der Welt verschärfte. Offenbar begann der Anstieg der Häuserpreise etwa um die Zeit im Jahr 1997, als der Aktienboom Theorien über ein „neues Zeitalter“ der Wirtschaft aufblühen ließ, und in vielen Städten ziehen die Preise trotz der Korrektur des Aktienmarkts immer noch kräftig an. Die vollständigen Konsequenzen dieser Preisänderungen sind noch nicht sichtbar.

Spekulationsbedingte Instabilität scheint in der Weltwirtschaft eine immer größere Rolle zu spielen. Wir konzentrieren uns immer eifriger auf unberechenbare Märkte. Dabei ist es nicht so, als würden die existierenden Aktienmärkte nachweislich volatiler werden. Es besteht kein offenkundiger Trend zu mehr Volatilität am Aktienmarkt. Es ist vielmehr so, dass die Zahl der Marktteilnehmer an diesen Märkten wächst und dass die Bandbreite der spekulativen Märkte sowie der gehandelten Risiken zunimmt. Jedes Jahr werden mehr elektronische Märkte geschaffen, an denen eine immer breitere Palette von Risiken gehandelt wird, und sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellenländern lassen sich immer mehr Menschen dazu verleiten, an diesen Märkten teilzunehmen.

Die Menschen werden zunehmend befürchten, dass ihr Lebensunterhalt von ihrem Vermögen abhängt – einem Vermögen, das aufgrund der Veränderungen des Marktes immer höchst instabil ist. Auf lange Sicht werden die Menschen daher mehr auf Marktbewegungen achten. Die Auffassung, der Preis von Anlagegütern habe für unser Leben sehr große Bedeutung, gewinnt an Boden. Die Menschen meinen zunehmend, sie müssten ihr Privateigentum verteidigen, und sie bezweifeln, sie könnten sich auf eine Rettung durch soziale Einrichtungen verlassen, wenn sich die Dinge zum Schlechten wenden. In ihren Augen ist gnadenloser Kapitalismus die Welle der Zukunft.

Für ein solches Wirtschaftssystem gibt es einen Namen – „die Besitzergesellschaft“ – und Präsident George W. Bush gehört zu denjenigen, die diesen Begriff gern verwenden. Die Menschen müssen ihre eigene Zukunft in Besitz nehmen und ihre Zukunft in vielerlei Hinsicht wie Grundstückseigentümer planen. Zwar spricht vieles für die Besitzergesellschaft, weil sie das Wirtschaftswachstum fördern kann, aber sie lädt von Natur aus zur Spekulation ein und durch die Launen der menschlichen Psychologie gefiltert erzeugt sie eine Flut von Risiken, die wir irgendwie bewältigen müssen.

Ich kenne die Zukunft nicht und kann das Auf und Ab der Märkte nicht vorhersagen. Ich weiß aber, dass die Menschen – obwohl das Vertrauen seit 2000 wesentlich gelitten hat – immer noch zu viel Vertrauen in die Märkte setzen und zu sehr davon überzeugt sind, wenn sie auf die Schwankungen ihrer Anlagen achten, würde sie das eines Tages reich machen. Deshalb treffen sie keine konservativen Vorbereitungen für den Fall, dass es schlecht ausgeht.

1. AUFLAGE 2000

VORWORT

Das vorliegende Buch ist eine breit angelegte Untersuchung des enormen Börsenbooms der jüngsten Zeit unter Berücksichtigung eines breiten Spektrums an veröffentlichten Forschungsarbeiten und historischen Belegen. Sein Ausgangspunkt ist zwar die aktuelle Situation, aber es stellt diese Situation in den Zusammenhang von Börsenbooms im Allgemeinen und macht außerdem konkrete Vorschläge für politische Veränderungen, die als Reaktion auf diesen und auf andere Booms vorgenommen werden sollten.

Angesichts der verbreiteten und recht grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten über den Aktienmarkt ist ein solches Buch heute besonders dringend nötig. Wenn die Menschen auf einer derart grundlegenden Ebene verschiedener Meinung sind, liegt das gewöhnlich daran, dass sie nur Teile des Gesamtbildes kennen. Ein sinnvoller Konsens kann jedoch nur erzielt werden, wenn man alle verfügbaren Fakten auf den Tisch legt. Deshalb habe ich in diesem Buch versucht, eine viel breitere Palette von Informationen vorzustellen, als in Schriften über die Märkte normalerweise berücksichtigt wird, und ich habe versucht, diese Informationen zu einem detaillierten Bild des heutigen Marktes zusammenzustellen.

Warum erreichte der US-amerikanische Aktienmarkt zur Jahrtausendwende derart hohe Niveaus? Was hat sich geändert, dass der Markt so überteuert wurde? Was bedeuten diese Veränderungen für die Börsenaussichten in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrtausends? Sind starke fundamentale Faktoren am Werk, die den Markt auf dem jetzigen hohen Niveau halten oder die ihn selbst dann noch weiter in die Höhe treiben, wenn es zu einer Abwärtskorrektur kommt? Oder steht der Markt nur wegen eines irrationalen Überschwangs so hoch – wegen Wunschdenkens seitens der Anleger, das sie für die wahre Situation blind macht?

Die Antworten auf diese Fragen sind sowohl für private Interessen als auch für das öffentliche Interesse von entscheidender Bedeutung. Die Frage, wie wir den Aktienmarkt heute und in der Zukunft bewerten, beeinflusst bedeutende wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen, die sich nicht nur auf die Anleger, sondern auf die gesamte Gesellschaft, ja sogar die ganze Welt auswirken. Wenn wir den gegenwärtigen und künftigen Wert des Aktienmarkts zu hoch ansetzen, dann investieren wir als Gesellschaft womöglich zu viel in neu gegründete und expandierende Unternehmen und zu wenig in Infrastruktur, Bildung und andere Formen von Humankapital. Wenn wir glauben, der Aktienmarkt sei mehr wert, als er in Wirklichkeit wert ist, werden wir womöglich leichtsinnig, was die Finanzierung unserer Pensionspläne, die Aufrechterhaltung unserer Sparquote, die Gesetzgebung für ein besseres Sozialversicherungssystem und andere Formen der sozialen Absicherung angeht. Wir könnten auch die Chance verpassen, unsere expandierende Finanztechnologie dafür einzusetzen, dass wir uns neue Lösungen für die grundsätzlichen Risiken überlegen, denen wir – unsere Häuser, unsere Städte und unser Lebensunterhalt – ausgesetzt sind.

Um diese Fragen bezüglich der momentanen Lage am Aktienmarkt zu beantworten, ziehe ich Informationen aus vielfältigen und nach Meinung mancher Menschen entlegenen Untersuchungsgebieten heran. Diese Fachgebiete werden von Marktanalysten allzu oft übergangen, aber sie sind nachweislich entscheidend, wenn man ähnliche Marktsituationen im Laufe der gesamten Geschichte oder an anderen Märkten der Welt bestimmen will. Zu diesen Disziplinen gehören unter anderem Wirtschaft, Psychologie, Demografie, Soziologie und Geschichte. Sie liefern wirkmächtige Erkenntnisse zu den erwähnten Fragen, die über die eher konventionellen Methoden der Finanzanalyse hinausgehen. Viele Indizien stammen aus dem aufstrebenden Gebiet der Behavorial Finance oder Verhaltensökonomie, die im Laufe der Jahre immer weniger nach einer kleinen Unterdisziplin der Finanzwissenschaft und immer mehr nach einem Grundpfeiler einer seriösen Finanztheorie aussieht.

Ich führe die wichtigsten Erkenntnisse von Forschern aus diesen Bereichen an. Insgesamt betrachtet legen sie nahe, dass der Aktienmarkt derzeit die klassischen Merkmale einer Spekulationsblase aufweist: einer Situation, in der die vorübergehend hohen Preise vor allem von der Begeisterung der Anleger getragen werden, nicht von einer konsistenten Einschätzung realer Werte. Unter diesen Umständen sind die Aussichten des Aktienmarkts für die nächsten zehn oder 20 Jahre selbst dann, wenn er das derzeitige Kursniveau halten oder gar noch erheblich steigern kann, wohl eher schlecht – und vielleicht sogar gefährlich.

Ich gebe nicht vor, eine völlig neue Konzeption des Verhaltens von Finanzmärkten vorzulegen. Das vorliegende Buch ist weder ein wirtschaftstheoretisches noch ein ökonometrisches Werk, auch wenn es an beiden Disziplinen teilhat. Es ist vielmehr ein Versuch, den komplexen Charakter unserer heutigen realen Märkte zu beschreiben und herauszufinden, ob sie unseren Erwartungen und Modellen entsprechen oder nicht. Ich hoffe, indem ich die relevantesten Hinweise aus der Wirtschaftswissenschaft und anderen Bereichen zum Zustand des Marktes heranziehe, kann ich den meines Erachtens gefahrvollen Weg korrigieren, den die Politiker und die Wirtschaftsbosse mit ihren Maßnahmen einschlagen. Auch hoffe ich, Finanzexperten zur Verbesserung ihrer Theorien anzuregen, indem sie sie anhand der beeindruckenden Belege dafür prüfen, dass die Höhe eines Preises entgegen der derzeitigen allgemeinen Auffassung mehr ist als die Summe der verfügbaren wirtschaftlichen Informationen.

Im Laufe der letzten Generation wurde derjenige Zweig der Finanztheorie, der von der Annahme ausgeht, alle Menschen seien durch und durch rational und berechnend, zum einflussreichsten Analyseinstrument, mit dessen Hilfe wir die Märkte in den Griff bekommen wollen. Diejenigen Finanztheoretiker, die den Marktpreis für eine kluge und effiziente Rechenmaschine halten, die Finanzinformationen verarbeitet, hatten einen tief greifenden Einfluss auf die systematische Verwaltung des gesamten Wohlstands, vom Broker um die Ecke bis zur Notenbank Federal Reserve. Jedoch scheuen sich die meisten dieser Finanz- und Wirtschaftsgelehrten vor öffentlichen Äußerungen über das Niveau des Aktienmarkts (obwohl ihnen die Zunge schon mal lockerer sitzt, wenn sie ihre Meinung beim Essen oder bei einem Bier äußern), denn sie wollen sich nicht dabei ertappen lassen, dass sie öffentlich etwas sagen, das sie nicht beweisen können. Solche Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler hüllen sich in das Gewand der losgelösten Wissenschaft und greifen gerne auf das elegante Modell der Markteffizienz zurück, um ihre professionelle Haltung zu rechtfertigen.

Es birgt jedoch ernste Gefahren, sich zu sehr auf solche makellosen Modelle als Grundlage der Diskussion von Maßnahmen zu verlassen, denn diese Modelle taugen nur für Aufgabenstellungen, die mit wissenschaftlicher Präzision gelöst werden können. Wenn man sich zu sehr um Genauigkeit bemüht, läuft man jedoch Gefahr, so eng vorzugehen, dass es irrelevant wird. Die Indizien, die ich in den folgenden Kapiteln vorlege, deuten darauf hin, dass die Wirklichkeit am heutigen Aktienmarkt alles andere als klinisch rein ist. Wenn die Nützlichkeit der Finanztheorie größer werden soll, werden alle Volkswirte irgendwann diese chaotischeren Aspekte der Marktwirklichkeit in den Griff bekommen müssen. Einstweilen sollten die Beteiligten der öffentlichen Debatte und der Maßnahmengestaltung das Wirrwarr ordnen, bevor es zu spät ist.

Zu den unerwarteten Konsequenzen der heutigen Investmentkultur gehört es, dass sich viele von den zig Millionen Erwachsenen, die derzeit im Aktienmarkt investiert sind, so verhalten, als würde das aktuelle Preisniveau einfach weiterhin im derzeitigen Tempo steigen. Obwohl der Aktienmarkt laut gewissen Kennzahlen ganz offensichtlich höher steht als je zuvor, benehmen sich die Anleger, als könne er nie zu hoch stehen und niemals über längere Zeit fallen. Wie kommt es, dass sie sich so verhalten? Ihre Logik folgt offenbar dem Trittbrettfahrer-Prinzip: Wenn schon Millionen von Analysten und Investoren die Aktienkurse untersuchen und ihren scheinbaren Wert bestätigen, weshalb sollte man dann seine Zeit mit dem Versuch verschwenden, die vernünftigen Preise herauszufinden? Man kann doch genauso gut auf Kosten der anderen – fleißigen und gewissenhaften – Anleger, die die Aktienkurse erforscht haben, auf den Zug aufspringen und das Gleiche machen wie sie – nämlich Aktien kaufen!

Was die meisten Anleger aber nicht wissen: Dem Research, das am Aktienmarkt betrieben wird, mangelt es in besorgniserregender Weise an Glaubwürdigkeit, gar nicht zu reden von der Klarheit und Genauigkeit, mit der es der Allgemeinheit vermittelt wird. Manches sogenannte Research ist genauso gründlich, wie wenn jemand aus dem Kaffeesatz liest. Behauptungen, der Dow Jones werde auf 36.000, auf 40.000 oder gar 100.000 Punkte steigen, flößen wohl kaum Vertrauen ein. Natürlich haben manche Researcher eine realistischere Meinung über die Aussichten des Marktes und kommen bezüglich seiner Zukunft zu besser begründeten Schlüssen, aber nicht ihre Namen sind es, die die Schlagzeilen dominieren und so die Einstellung der Allgemeinheit beeinflussen.

Stattdessen spiegeln die Schlagzeilen den beständigen Fokus der Medien auf banale Halbwahrheiten und die Meinungen von „Prominenten“ über das Preisniveau des Marktes wider. Da ihre Verfasser vor allem um Leser, Hörer und Zuschauer buhlen, sind Medienberichte tendenziell oberflächlich und fördern grundlegende Fehleinschätzungen, was die Börse angeht. Beispielsweise entstand durch Medienberichte, die sich über die scheinbar endlose Lebensdauer von Aktien auslassen, eine Art Binsenweisheit. Die Allgemeinheit hat gelernt, diese – meines Erachtens haltlose – Weisheit zu akzeptieren. Der Gerechtigkeit halber muss allerdings gesagt werden, dass es die Profis von der Wall Street, deren Meinungen in den Medien veröffentlicht werden, schwer haben, diese Binsenweisheit zu korrigieren, denn sie sind durch die Dreizeiler und die kurzen O-Töne, die ihnen gewährt werden, eingeschränkt. Man müsste Bücher schreiben, um diese Dinge zurechtzurücken. Das vorliegende Buch ist ein solches.

Wie gesagt, die vorherrschende Meinung besagt, der Aktienmarkt als solcher sei schon immer die beste Anlage gewesen und werde es immer sein, selbst wenn er nach historischen Maßstäben überteuert ist. Die Kleinanleger verlagern die Investments für ihre Altersvorsorge immer mehr in Richtung Aktien und es wird immer beliebter, das Geld für die Altersvorsorge zu 100 Prozent in Aktien zu investieren. Sie legen ihr Geld dort an, wo ihr Mantra liegt. Diese Einstellung leistet der Ausbeutung durch Unternehmen Vorschub, denen eine unbegrenzte Menge von Aktien zur Verfügung steht, die sie verkaufen können. „Sie wollen Aktien haben? Wir geben Ihnen Aktien.“

Außerdem scheinen die meisten Anleger den Aktienmarkt als eigenständige Naturgewalt zu betrachten. Ihnen ist nicht so ganz klar, dass sie selbst als Gruppe genommen das Niveau des Marktes bestimmen. Und sie unterschätzen die Ähnlichkeit ihres eigenen Denkens mit dem anderer Anleger. Viele Privatanleger meinen, die institutionellen Investoren würden den Markt beherrschen und dieses sogenannte „Smart Money“ habe ausgeklügelte Modelle, dank deren es die Preise durchschaut – einen Informationsvorsprung. Sie wissen nicht, dass die meisten institutionellen Investoren im Großen und Ganzen genauso ratlos wie sie vor dem Niveau des Aktienmarkts stehen. Kurz gesagt wird das Preisniveau zu einem gewissen Grad von einer selbst erfüllenden Prophezeiung bestimmt. Sie beruht darauf, dass der Löwenanteil der großen und kleinen Anleger ein ähnliches „Gefühl“ hat, und sie wird von den Medien verstärkt, denn diese geben sich oft damit zufrieden, die von den Anlegern herbeigeführte vorherrschende Meinung zu bestätigen.

Als der Dow Jones Industrial Average im März 1999 zum ersten Mal über 10.000 Punkte stieg, schaltete Merrill Lynch eine ganzseitige Anzeige mit der Überschrift: „Selbst Leute wie wir, die eine disziplinierte langfristige Strategie verfolgen, können nur dasitzen und ‚wow‘ sagen.“ In der linken unteren Ecke der Seite standen neben einem Kursdiagramm, das mit 10.000 Punkten endete, die Worte: „Eine Leistung der Menschheit.“ Wenn das eine Leistung ist, die Glückwünsche verdient, dann müssten wir jedem Angestellten gratulieren, der eine glänzende Selbstbewertung abgibt.

Im Moment liegen überzogene Erwartungen oder gar irrationaler Überschwang in der Luft. Die Menschen sehen die Börse optimistisch. Es fehlt der nüchterne Blick auf das Abwärtsrisiko und die Folgen, die ein Kursrückgang hätte. Wenn der Dow Jones auf 6.000 Punkte fallen würde, entspräche der Verlust in etwa dem Wert aller Wohnhäuser in den Vereinigten Staaten. Das würde die Privatanleger, die Pensionsfonds, die Stiftungsfonds der Universitäten und die Wohltätigkeitsorganisationen in unterschiedlichem Maße schädigen.

Wir müssen wissen, ob der Stand des Aktienmarkts heute, morgen oder an einem beliebigen anderen Tag die wirtschaftliche Realität auf vernünftige Weise wiedergibt. Das ist genauso wichtig wie den eigenen Kontostand zu kennen. Diese Bewertung ist das Essen, das künftig bei uns auf den Tisch kommt, und die Kleider an unserem Leib. So gut wie alle Entscheidungen, Geld auszugeben, sollten davon beeinflusst werden. Wir müssen die Kräfte besser verstehen, die die langfristigen Aussichten des Marktes gestalten – und dieses Verständnis möchte das vorliegende Buch vermitteln.

DANKSAGUNGEN

Jeremy Siegel, der mit mir eindeutig nicht in allen Punkten einer Meinung ist, drängte mich, meine Ideen in diesem Buch niederzuschreiben. Er ist ein wahrer Anstifter. Jeremy ist ein lebenslanger Freund. Unsere Familien fahren regelmäßig zusammen in Urlaub und ich habe von ihm eine unverwechselbare Herangehensweise an die Finanzwissenschaft gelernt, während wir am Strand entlangwanderten oder unseren Kindern beim Angeln zusahen. In den Jahren seit Erscheinen der ersten Auflage des vorliegenden Buches gerieten er und ich oft in die Rolle von Gegenspielern, er als Bulle und ich als Bär. Doch eigentlich teilen er und ich in großen Teilen die gleiche Weltsicht und sein neues Buch „Überlegen investieren“ ergänzt in vielerlei Hinsicht das vorliegende.

John Campbell war früher mein Student, dann Koautor eines Dutzends wissenschaftlicher Artikel über die Finanzmärkte und inzwischen ist er seit Jahren mein Freund. Bei der Formulierung vieler Gedanken, die zu dem vorliegenden Buch führten, war er meine bessere Hälfte. Meine ersten Arbeiten zur Volatilität an Finanzmärkten wurden durch seine Mitarbeit ausgefeilt und wesentlich vorangetrieben. Auch trug er viele nützliche Ratschläge zum Buch bei und gab Kommentare zum Manuskript ab.

Peter Dougherty, mein Lektor bei Princeton University Press, nahm einen äußerst wichtigen gestalterischen Einfluss auf das Buch und half mir, die grundlegenden Aspekte seiner Struktur festzulegen. Er ist ein großartiger Kollege und noch mehr, eigentlich fast schon ein Mitarbeiter. Peter Strupp und seine Kollegen bei Princeton Editorial Associates waren während des ganzen Herstellungsprozesses immer höchst hilfreich.

Meine Assistentinnen Carol Copeland, Minhua Wan, Sumithra Sudhir und jetzt Bonnie Blake haben mir mit ihrer standhaften Unterstützung geholfen, auch in schwierigen Zeiten durchzuhalten. Ich hatte das Glück, einige ausgezeichnete studentische Forschungsassistenten zu haben, die mir während des Schreibens halfen: Eric Bair, Yigit Bora Bozkurt, Peter Fabrizio, Jon Fougner, Gerardo Garcia Lopez, Michael Gousgounis, William „Drew“ Haluska, Erik Hjalmarsson, Yuanfeng Hou, Murad Jivraj, Leora Kelman, Alston E. Lambert II, Anthony Ling, Luis Mancilla, Steven Pawliczek, Stefan Schneeberger und Kinde Wubneh.

Außerdem bin ich mit einer Reihe von Freunden und Kollegen gesegnet, die Entwürfe des Manuskripts lasen und ausgiebige Kommentare dazu abgaben: Stefano Athanasoulis, John Geanakoplos, William Konigsberg, Stephen Morris, Sharon Oster, Jay Ritter, Martin Shubik und James Tobin.

Meine Kollegen von der Cowles Foundation for Research in Economics an der Yale University – Glena Ames, Donald Brown, Stefan Krieger, Stephen Morris und William Nordhaus – waren mir eine große Hilfe. Auch muss ich diese Gelegenheit wahrnehmen, um meine Dankbarkeit gegenüber unserem verstorbenen Gründer Alfred Cowles III auszudrücken. Er war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Vermögensverwalter und Förderer der mathematischen Ökonomie und er stellte die Zahlen zu Dividenden und Unternehmensgewinnen vor 1926 zusammen, die in diesem Buch verwendet werden.

Dank auch für die Hilfe meiner Kollegen am Yale International Center for Finance – seinen Direktor William Goetzmann sowie Zhiwu Chen, Roger Ibbotson, Eli Levy, Jim Snyder, Ivo Welch und Jeffrey Wurgler. Roger, der im Jahr 2000 Vorträge mit dem Titel „Dow 100.000“ hielt und dem Aktienmarkt eine glänzende Zukunft voraussagte, war eine bereitwillige Folie für meine Ideen. Gerade hat der Dow Jones die Marke von 17.000 Punkten überschritten und daher glaube ich, dass er irgendwann recht behalten wird.

Meine Forschungen mit Kollegen von der Barclays Bank, die an Forschungsprojekten über Sektorindikatoren am Aktienmarkt mitgearbeitet haben, waren eine weitere erhellende Quelle, die zu diesem Buch beitrug. Unter den vielen Mitarbeitern möchte ich Laurence Black, Oliver Bunn, Kenneth Crawford, Anthony Lazanas, Vytautas Martinaitis, Benedict Redmond, Richa Singh, Arne Staal, Cenk Ural und Ji Zhuang namentlich erwähnen.

Auch die Unterstützung von meinem Kollegen Professor Karl E. Case vom Wellesley College war höchst wichtig. Ich lernte ihn kennen, nachdem ich von einem Artikel gehört hatte, den er 1986 geschrieben hatte und in dem er versuchte, die Gründe aufzuzählen, die dazu geführt hatten, dass die Häuserpreise in Boston so sehr gestiegen waren. Seither arbeitet er mit mir daran, die Psychologie der Immobilienmärkte zu verstehen. Case und ich aktualisieren weiterhin mit Unterstützung der Yale School of Management unsere Umfrageergebnisse, seit Neuestem arbeiten wir mit Anne Kinsella Thompson von McGraw Hill Construction zusammen.

Ich danke Bracebridge Capital, Fuller and Thaler Asset Management, LSV Asset Management und der Russell Sage Foundation dafür, dass sie die Seminare über Behavioral Finance sponsern, die Richard Thaler und ich seit 1991 im National Bureau of Economic Research veranstalten, sowie der Russell Sage Foundation und der Federal Reserve Bank of Boston als Sponsoren für die makroökonomischen Seminare, die George Akerlof und ich dort von 1994 bis 2007 veranstalteten. Der Begriff Behavioral Finance bezieht sich auf Forschungen über die Märkte, die detaillierte Aspekte des menschlichen Verhaltens berücksichtigen, unter anderem psychologische und soziologische. Das vorliegende Buch profitiert unschätzbar von der Arbeit vieler Wissenschaftler auf dem aufstrebenden Gebiet der Behavioral Economics oder Verhaltensökonomie, die mittlerweile langsam in den wirtschafts- und finanzwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten ernsthaft Fuß fasst.

Die U.S. National Foundation hat viel von meiner Grundlagenforschung zu den Finanzmärkten gefördert. Ihre fortgesetzte Unterstützung meiner Arbeit über mehr als 20 Jahre hinweg ermöglichte es mir, meine Aufmerksamkeit ohne finanziellen Druck auf bestimmte Themen zu richten. Whitebox Advisors hat unter der Leitung von Andrew Redleaf der Yale University ein Stipendium zur Förderung von Forschungen zur Verhaltensökonomie gestiftet und dieses Stipendium förderte auch die Überarbeitung des vorliegenden Buches für die zweite Auflage.

Außerdem bin ich Brad Barber, Scott Boorman, David Colander, Robert Ellickson, Ray Fair, Peter Garber, Jeffrey Garten, Christian Gollier, Sunil Gottipati, Trevor Greetham, Stanley Hamilton, Anne Laferrere, Jonathan Laing, Ricky Lam, Xindan Li, Yan Li, Justin Yifu Lin, Benoit Mercereau, John Rey, Colin Robertson, Tsur Somerville, Nassim Taleb, Philippe Trainar, Mark Warshawsky, Oleg Zamulin, Yong Zhang und Ning Zhu für hilfreiche Diskussionen dankbar. Yoshiro Tsutsui von der Universität Osaka und Fumiko Kon-Ya vom Japanese Securities Research Institute arbeiten seit vielen Jahren mit mir an den Umfrage-Forschungen zusammen, mit denen wir die Einstellungen von Anlegern in Japan und in den Vereinigten Staaten erforschen. Die Hilfe von Josephine Rinaldi und Walt Smietana von CompuMail weiß ich sehr zu schätzen. Auf jeden Fall muss ich auch den zahlreichen Anlegern danken, die sich die Zeit genommen haben, für mich Fragebögen auszufüllen.

Meiner Frau Virginia Shiller, die als klinische Psychologin am Yale Child Study Center arbeitet, schulde ich tiefe Dankbarkeit dafür, dass sie bei mir ein echtes Interesse an Psychologie geweckt und mich von ihrer Bedeutung für die Ökonomie überzeugt hat. Sie hat das gesamte Buch äußerst sorgfältig gelesen und kritisiert und sie hat mir bei der Formulierung meiner Gedanken sehr geholfen. Außerdem hielt sie daheim den Laden am Laufen, während ich lange Tage und Nächte daran arbeitete.

KAPITEL

1

EIN HISTORISCHER BLICK AUF DEN AKTIENMARKT

Als Alan Greenspan, der damalige Vorsitzende des Federal Reserve Board, den Begriff irrationaler Überschwang verwendete, um das Verhalten von Anlegern am Aktienmarkt zu beschreiben, fixierte sich alle Welt auf diese Worte.1 Er sprach am 5. Dezember 1996 bei einem edlen Dinner in Washington und diese im Fernsehen übertragene Rede wurde auf der ganzen Welt verfolgt. Sobald er diese Worte geäußert hatte, sackten die Aktienmärkte rapide ab. Der japanische Nikkei Index fiel um 3,2 Prozent, der Hang Seng in Hongkong um 2,9 Prozent, der DAX in Deutschland um vier Prozent, der Londoner FTSE 100 im Laufe des Tages einmal um vier Prozent und in den Vereinigten Staaten stand der Dow Jones Industrial Average kurz vor Handelsbeginn mit 2,3 Prozent im Minus. Es schien absurd, dass Märkte in aller Welt so scharf auf diese beiden Wörter inmitten einer bedächtigen und wenig bemerkenswerten Rede reagierten. Dieses Ereignis warf eine amüsante Story über die Verrücktheit der Märkte ab, die eine Weile rund um die Welt erzählt wurde.

Die amüsante Story wurde im Laufe der Zeit wieder vergessen, nicht aber der irrationale Überschwang, auf den immer und immer wieder Bezug genommen wurde. Greenspan hat die Formulierung irrationaler Überschwang nicht geprägt, aber dafür gesorgt, dass sie mit einer gewissen Ansicht über die Instabilität spekulativer Märkte verbunden wurde. Dank der Ereigniskette, die seine Äußerung dieser Wörter am Aktienmarkt ausgelöst hatte, schienen sie eine wesentliche Realität zu beschreiben. Nach und nach wurden sie zum berühmtesten Greenspan-Zitat – ein Schlagwort für alle, die den Markt beobachten.

Warum beziehen sich die Menschen Jahre später immer noch so oft auf den irrationalen Überschwang? Ich glaube, diese Wörter sind zu einer nützlichen Bezeichnung für das gesellschaftliche Phänomen geworden, das die Menschen in den 1990er-Jahren mit ihren eigenen Augen geschehen sahen und das offensichtlich in der Geschichte immer wieder geschehen ist, wenn Märkte unter dem Einfluss der Marktpsychologie ungewöhnlich und unhaltbar weit in die Höhe getrieben wurden.

Als sich der große Anstieg des Marktes aus den 1990er-Jahren fortsetzte, merkten viele scharfsinnige Menschen an, es liege etwas greifbar Irrationales in der Luft, und doch sei diese Irrationalität subtiler Natur. Es herrschte nicht die Art von Euphorie oder Wahnsinn der Anleger, die von manchen Chronisten früherer spekulativer Exzesse beschrieben worden war, zum Beispiel des Börsenbooms der 1920er-Jahre. Doch vielleicht haben diese Chronisten ja ihre Geschichten ausgeschmückt. Der irrationale Überschwang ist nicht derart verrückt. Die früher beliebten Begriffe Spekulationsfieber oder Spekulationsorgie erschienen zu stark zu sein, um das zu beschreiben, was wir in den 1990er-Jahren erlebten. Sie waren eher wie die Fehlurteile, die wir alle schon irgendwann in unserem Leben getroffen haben, wenn die Begeisterung mit uns durchgegangen ist. Irrationaler Überschwang scheint sehr gut zu beschreiben, was an Märkten passiert, wenn sie aus dem Ruder laufen.

Irrationaler Überschwang ist die psychologische Grundlage einer Spekulationsblase. Ich definiere eine Spekulationsblase als Situation, in der Meldungen über Preisanstiege die Begeisterung der Anleger anheizen, die sich dann über psychologische Ansteckung von Mensch zu Mensch überträgt. Dabei verstärkt sie Geschichten, die den Preisanstieg rechtfertigen könnten, und bringt eine immer größere Klasse von Anlegern ins Spiel, die sich trotz ihrer Zweifel am wahren Wert der Anlage hineinziehen lassen, teils weil sie die anderen um ihren Erfolg beneiden, teils wegen der Begeisterung von Glücksspielern. Wir werden im Laufe dieses Buches die verschiedenen Bestandteile dieser Definition einer Blase erkunden.

Greenspan hielt seine Rede über den „irrationalen Überschwang“ im Jahr 1996 während des bislang größten historischen Beispiels für einen spekulationsbedingten Anstieg des US-Aktienmarkts. Der Dow Jones Industrial Average (ab jetzt nur noch als „Dow Jones“ bezeichnet) stand Anfang 1994 bei rund 3.600 Punkten. Im März 1999 überschritt er zum ersten Mal die 10.000 Punkte. Seinen Höhepunkt überschritt der Dow Jones am 14. Januar 2000, zwei Wochen nach Beginn des neuen Jahrtausends, bei 11.722,98 Punkten. Der Markt hatte sich innerhalb von fünf Jahren verdreifacht. Andere Aktienindizes überschritten ein paar Monate später Höhepunkte. Der reale (inflationsbereinigte) Dow Jones erreichte dieses Niveau erst wieder 2014 und der reale S&P 500 ist, während ich dies schreibe, immer noch nicht ganz auf den Stand von 2000 zurückgekehrt. Es ist schon seltsam, dass dieses Hoch des Dow Jones (und anderer Indizes) nicht lange nach den Feiern zum neuen Jahrtausend auftrat – es war, als seien die Feiern an sich Teil dessen, was den Markt in die Höhe katapultiert hatte, und als hätte der Kater danach sie wieder heruntergezogen.

Abbildung 1.1 zeigt die monatlichen realen (anhand des Verbraucherpreisindex inflationsbereinigten) Stände des Standard & Poor’s (S&P) Composite Stock Price Index, der mit 500 Aktien den Aktienmarkt umfassender wiedergibt als der Dow Jones mit 30 Aktien, seit 1957.2 Die Inflationsbereinigung wurde hier deshalb verwendet, weil das allgemeine Preisniveau in Teilen dieses Zeitraums sehr instabil war (der Staat druckte viel Geld und das trieb die Preise in die Höhe) und die nicht bereinigten Zahlen einen irreführenden Eindruck vom tatsächlichen Kursanstieg des Aktienmarkts vermitteln würden. Die Aktienkurse werden von 1871 bis 2014 dargestellt (obere Linie) und darunter die gesamten Gewinne (Unternehmensgewinn je Aktie), die von den Unternehmen, aus denen der Index besteht, in denselben Jahren erwirtschaftet wurden (untere Linie).3

Abbildung 1.1Aktienkurse und Unternehmensgewinne in den USA 1871 bis 2014

Realer (inflationsbereinigter) S&P Composite Stock Price Index, Monatschart, Januar 1971 bis Juni 2014 (obere Linie) und reale Gewinne des S&P Composite (untere Linie) von Januar 1871 bis März 2014.

Quelle: Berechnungen des Autors anhand von Zahlen des S&P Statistical Service, des U.S. Bureau of Labor Statistics, Cowles & Associates: Common Stock Indexes und Warren und Pearson: Gold and Prices. Siehe auch Anmerkung 3.

Dieses Aktienkurs-Diagramm ist ungewöhnlich: Die meisten langfristigen Darstellungen von Aktienkursen sind nicht so langfristig wie diese und die meisten sind nominal, nicht inflationsbereinigt. In diesem Chart tritt das Ausmaß des Booms, der 1982 begann und 2000 seinen Höhepunkt überschritt, besonders gut zutage. Er war ein historisch einzigartiges Ereignis.

Auf den Höhepunkt der Aktienkurse am Ende des Millenniumbooms im Jahr 2000 folgte der Boom der Besitzergesellschaft von 2003 bis 2007, den ich nach einem Slogan benannt habe, den George Bush in seinem Präsidentschaftswahlkampf 2004 verwendete. Auf dieses Hoch folgte die Weltfinanzkrise 2008/2009. Nachdem die Krise im Jahr 2009 abgeflaut war, begann ein erneuter bedeutender weltweiter Aufschwung der Aktienkurse, den ich nach einer Formulierung, die vom damaligen PIMCO-Chef Bill Gross 2009 populär gemacht wurde, als Boom der neuen Normalität bezeichnen werde.4