Irren ist menschlich Kapitel 7 - Peter Brieger - E-Book

Irren ist menschlich Kapitel 7 E-Book

Peter Brieger

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Beschreibung

Handliche Häppchen für kluge Köpfe! Kapitel 7: »Der sich und Andere niederschlagende Mensch (Depression)« aus dem sozialpsychiatrischen Standardwerk »Irren ist menschlich« jetzt als preiswerter Einzelband! Das Lehrbuch »Irren ist menschlich« hat mit klaren Positionen die Versorgung psychisch erkrankter Menschen erneuert und geprägt. Die in ihm vertretene Position, dass es für das volle Verständnis von psychischen Beeinträchtigungen und Krankheiten auf die Haltung ankommt, mit der wir uns den Betroffenen und den Phänomenen nähern, hat die nachfolgenden Generationen geprägt.

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Seitenzahl: 118

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Die Herausgeber

Klaus Dörner, em. Prof.Dr. med. Dr. phil., Jahrgang 1933, von 1980 bis 1996 Ärztlicher Leiter der Westfälischen Klinik für Psychiatrie Gütersloh, lehrte Psychiatrie an der Universität Witten-Herdecke. Arbeits- und Interessenschwerpunkte: Psychiatrie, Medizinethik, Geschichte der Moderne.

Ursula Plog, Dr. phil., Dipl.-Psych., Jahrgang 1940. Bis Ende 2000 Leiterin dreier Tageskliniken in Berlin. Vielfältige Lehrtätigkeit, seit 1976 prägende Mitarbeit im Ausschuss Fort- und Weiterbildung der DGSP. Ursula Plog starb am 4. Juli 2002.

Thomas Bock, Prof.Dr., Jahrgang 1954, hat als Psychologischer Psychotherapeut leitende Funktionen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und hat mit Dorothea Buck Psychoseseminare und andere trialogische Projekte initiiert.

Peter Brieger, Prof.Dr. med., Jahrgang 1964, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Seine beruflichen Stationen waren: Fulda, Frankfurt/Main, Universität Halle/Wittenberg und SpDi Stadt Halle/Saale (Leiter). Von 2006 bis 2016 Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Kempten, seit November 2016 des Isar-Amper-Klinikums München-Ost.

Andreas Heinz, Prof.Dr. med. Dr. phil., Jahrgang 1960, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum der Charité, Berlin; stellvertretender Vorsitzender Aktion Psychisch Kranke e.V.

Frank Wendt, Dr. med., Jahrgang 1966, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit DGPPN-Zertifikat Forensische Psychiatrie, arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Forensische Psychiatrie der Charité, ist als Dozent und in eigener Praxis tätig. An »Irren ist menschlich« ist er bereits seit der Bearbeitung von 2002 beteiligt.

Unter Mitarbeit von

Eva-Maria Franck

Uwe Gonther

Susanne Heim

Matthias Heißler

Ulrike Kluge

Susanne Menzel

Christiane Montag

Peter Mrozynski

Sabine Müller

Mechthild Niemann-Mirmehdi

Jens Plag

Sibylle Prins

Ewald Rahn

Michael Rapp

Christian Schanze

Gabriele Schleuning

Andreas Ströhle

Christian Zechert

Klaus Dörner, Ursula Plog, Thomas Bock, Peter Brieger,

Andreas Heinz, Frank Wendt (Hg.)

Irren ist menschlich

Lehrbuch für Psychiatrie und Psychotherapie

Kapitel 7 Der sich und Andere niederschlagende Mensch (Depression)

Peter Brieger

25. Auflage 2019

ISBN-Print: 978-3-88414-986-7

ISBN-PDF: 978-3-88414-987-4

ISBN-EPUB: 978-3-88414-988-1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Psychiatrie Verlag, Köln 1978, 1984, 2002, 2017, 2019

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf ohne Zustimmung des Verlags vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden.

Bei den in diesem Buch angegebenen therapeutischen Verfahren sowie Hinweisen zur medikamentösen Behandlung haben die Autorinnen und Autoren den aktuellen wissenschaftlichen Stand berücksichtigt und sich um äußerste Sorgfalt bemüht. Autorinnen, Autoren und Verlag können aber keine Garantie für die Vollständigkeit und Wirksamkeit der Inhalte geben. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Bitte lesen Sie dazu den Beipackzettel und konsultieren Sie im Zweifelsfall einen Spezialisten.

Lektorat: Sandra Kieser, Köln

Umschlagkonzeption und -gestaltung: GRAFIKSCHMITZ, Köln, unter Verwendung eines Bildes auf der Grundlage: Topografische Karte 1:25000 – © Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg (www.lgl-bw.de), 08.2016, Az.: 2851.3-A/943.

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019

Einige Kapitel dieses Buchs sind Überarbeitungen der entsprechenden Kapitel dervorigen Auflage. Von dort übernommene Textstellen werden nicht gesondert zitiert.

Für ihre wertvollen Hinweise und Anregungen bedanken wir uns insbesondere bei: Manfred Becker, Stefan Gutwinski, Lieselotte Mahler, Benno Schimmelmann.

Inhalt

Cover

Titel

Die Herausgeber

Unter Mitarbeit von

Impressum

Vorwort

Gebrauchsanweisung

1 Der sich und Anderen helfende Mensch

Thomas Bock, Ulrike Kluge

2 Der sich und Andere behindernde Mensch mit Lernschwierigkeiten

Christian Schanze

3 Der sich und Andere entwickelnde Mensch (Kinder- und Jugendpsychiatrie)

Eva-Maria Franck

4 Der sich und Andere liebende Mensch (Schwierigkeiten mit der Sexualität)

Frank Wendt

5 Der sich und Anderen fremd werdende Mensch (Schizophrenie)

Uwe Gonther

6 Der sich und Andere aufbrechende Mensch (Manie)

Peter Brieger

7 DER SICH UND ANDERE NIEDERSCHLAGENDE MENSCH (DEPRESSION)

Peter Brieger

8 Der sich und Andere versuchende Mensch (Abhängigkeit)

Andreas Heinz

9 Der sich und Andere bemühende Mensch (neurotisches Handeln, Persönlichkeitsstörungen und Psychosomatik)

Jens Plag, Ewald Rahn, Andreas Ströhle

10 Der für sich und Andere ausweglose Mensch (Krisen und Krisenintervention)

Gabriele Schleuning, Susanne Menzel, Peter Brieger

11 Der für sich und Andere gefahrvolle Mensch

Frank Wendt

12 Der sich und Andere körperkränkende Mensch (körperbedingte Psychosyndrome)

Michael Rapp

13 Der für sich und Andere alternde Mensch

Klaus Dörner

14 Wege der Psychiatrie (Psychiatriegeschichte)

Klaus Dörner

15 Recht und Gerechtigkeit

Peter Mrozynski, Sabine Müller

16 Spielräume (Ökologie der Selbst- und Fremdhilfe)

Susanne Heim, Matthias Heißler, Sibylle Prins, Christian Zechert

17 Umwelttherapeutische Techniken

Mechthild Niemann-Mirmehdi, Christiane Montag

18 Körpertherapeutische Techniken

Andreas Heinz

19 Psychotherapeutische Techniken (der systematische Zugang zur Seele)

Thomas Bock

Anhang

Literatur

Register

Autorinnen und Autoren

Gebrauchsanweisung

Klaus Dörner

»Ich bin du, wenn ich ich bin.«Paul Celan, aus dem Gedicht »Lob der Ferne«, 1948

»Das Geschöpf, das gegen seine Umgebung siegt, zerstört sich selbst.«Gregory BATESON 1981, S.632

Beispiel  Geschichte der Frau aus Verl: »Also wissen Sie, wenn es mir schlecht geht, traue ich mich meist nicht, mit jemandem darüber zu sprechen.« – »Warum nicht?« – »Aus Angst, der Andere könnte mir helfen wollen!« – »Was wünschen Sie sich denn stattdessen?« – »Ich wünsche mir einen Anderen, von dem ich sicher sein kann, dass er mir unendlich lange zuhört, damit ich so lange reden kann, bis ich selbst wieder weiß, was los ist und was ich zu tun habe.«

Philosophie und Aufbau des Buches

Da Menschen zunächst immer in Beziehungen leben, noch bevor sie handeln, ist Psychiatrie die Begegnung nicht von zwei, sondern von mindestens drei Menschen: dem psychisch Kranken, dem Angehörigen (Nachbarn) und dem psychiatrisch Tätigen. Wo einer von ihnen real fehlt, muss er hinzufantasiert werden, damit der Trialog zustande kommt.

Ein psychisch Kranker ist ein Mensch, der bei der Lösung einer altersgemäßen Lebensaufgabe in eine Krise und Sackgasse geraten ist, weil seine Verletzbarkeit und damit sein Schutzbedürfnis und sein Bedürfnis, Nichterklärbares zu erklären, für ihn zu groß und zu schmerzhaft geworden sind (BLEULER 1987). Das Ergebnis nennen wir Krankheit, Kränkung, Störung, Leiden, Abweichung, Schicksal; was es genau ist, wissen wir nicht. Weil so etwas jedem von uns jeden Tag widerfahren kann oder, zumindest in Ansätzen, schon passiert ist, ist uns unser Schutzbedürfnis als Selbsthilfeweg innerlich zugänglich, wozu (paradox) die Achtung der Andersheit des Anderen gehört.

Ein Angehöriger ist ein Mensch, der der Störung des psychisch Kranken ausgesetzt, in sie verstrickt ist, sich mit – grundsätzlich unsinnigen – Schuldgefühlen herumschlägt, nicht unterscheiden kann, ob der psychisch Kranke böse oder krank (»bad or mad«) ist, und darunter mindestens so sehr leidet wie der psychisch Kranke, zumal er (gerade auch gegenüber den Vorwürfen Dritter) keinen Schutz durch Symptombildung hat. Er bedarf dringend des kritischen Beistands anderer Angehöriger, um seinen eigenen Standort wiederzufinden. Nur so kann er hilfreich für den psychisch Kranken sein. Das gilt auch für Freunde, Nachbarn; denn: Nachbarschaft ist die Lebendigkeit des Sozialraums.

Ein psychiatrisch Tätiger ist ein Mensch, der dafür bezahlt wird, so auf der Beziehungsebene zu sein und auf der Handlungsebene sich um die Grundbedürfnisse von psychisch Kranken zu sorgen und ihre Störung so zu stören, dass psychisch Kranke ihren Sinn erfassen können und die Störung dadurch überflüssig werden kann. Wir erinnern an die Frau aus Verl vom Anfang dieses Kapitels. Entscheidend ist zunächst die Beziehung, nicht das Handeln. Sie findet – wie alle Beziehungen – immer auf zwei Ebenen statt. Zunächst bin ich dem Anderen gegenüber Objekt, er das Subjekt: Ich setze mich ihm aus, bin empfänglich für ihn. Sein nacktes, ungeschütztes, leidendes Antlitz spricht, noch bevor Worte gefallen sind: »Du sollst mich nicht töten, du sollst mich dir nicht aneignen, mich dir nicht angleichen« (LEVINAS 1992). Ich spüre die Versuchung, aber indem ich mich dem Anderen öffne, auch mich riskiere, antworte ich auf seine Forderung mit »Ver-antwortung«, entsteht Nähe zum Anderen im Schutz des unendlichen Abstands zwischen mir und ihm. Hier nehmen Abstand und Nähe gleichsinnig zu. Das von oben nach unten wohlmeinende, aber selbstgefällige, angleichende, nicht selbstlose »Ich-verstehe-dich« ist hier ausgeschlossen.

Beispiel  »Ich habe mal gezählt: In den letzten drei Jahren hatte ich wegen meiner psychischen Erkrankung Kontakte mit zehn Ärzten und Therapeuten. Alle haben immer wieder betont, wie gut sie mich verstehen. Nur einer hat das nie gesagt: Er ist der Einzige, mit dem eine wirkliche Beziehung zustande gekommen ist.«

Fredi SAAL (1992), körperbehindert, hat sein Leben lang gegen die wütenden Versuche der Nichtbehinderten gekämpft, stets irgendetwas an ihm ändern zu wollen, bevor sie ihn in seinem Sosein anerkannt haben. Daher gab er seiner Autobiografie den Titel: »Warum sollte ich jemand anderes sein wollen?«. Die Beziehung zwischen dem Anderen und mir ist zunächst also asymmetrisch, der Andere erwählt mich zur Verantwortung. Zuspitzung der Asymmetrie dieser Beziehung durch LEVINAS (1992): »Ich kann auch Gott auf keine andere Weise als nur im anderen Menschen begegnen. Sekundär kann natürlich daraus auch eine wechselseitige Beziehung, eine Ich-Du-Beziehung (Buber), werden.«

In Anerkennung dieses atemberaubenden Andersseins und der Würde des Anderen möchten wir daran erinnern, dass das Wort »verstehen« ursprünglich aus der Handwerkersprache kommt und reflexiv gebraucht wurde: »Ich verstehe mich auf etwas … auf dich.« Wenn man nun noch bedenkt, dass das Wort »Begegnung« in allen europäischen Sprachen mit »kontra« und »Gegnerschaft« zu tun hat, also der Satz »In der Begegnung begegnen sich Gegner« seine Berechtigung hat, ergibt sich als hilfreiche Denkfigur für die Grundhaltung der Beziehung zwischen mir als psychiatrisch Tätigem und dem psychisch Kranken – mit Worten und ohne Worte: Wenn ich meine neue, noch unbekannte Begegnung mit dir zwar nicht als feindlich, wohl aber erst mal als gegnerschaftlich auffasse, bringe ich damit meine Achtung vor deiner Fremdheit und Würde zum Ausdruck. Dies ermöglicht uns zugleich, uns gegenseitig gegensätzliche Interessen zu gestatten, wie das unter Fremden üblich ist. Also kein Dankbarkeitszwang für Helferwillen. Vor allem anerkennen wir, dass wir kein gemeinsames Maß haben, nicht Gleiche, sondern »Unver-gleichliche« sind. Dessen müssen beide sich sicher sein. Wenn ich jetzt, angesichts dieses Abstands zwischen uns, mich an die Aufgabe des Verstehens deines Problems mache, kann es gut sein, dass ich dich nicht verstehe. Vielleicht gelingt es mir aber, mich selbst im Hinblick auf dein Problem besser zu verstehen. Das muss dir zwar nichts nutzen, da es ja meine Sicht der Dinge ist, aber vielleicht macht dir meine Suchhaltung, mich einer neuen Sicht zu öffnen, Mut, vielleicht steckt sie dich an, sodass du dich selbst deiner dir verloren gegangenen Suchhaltung wieder öffnest und selbst zu einer neuen Sicht deines Problems kommst. LEVINAS: »Die Freiheit des Anderen kann niemals in der meinen ihren Anfang haben« (1992, S. 40). Oder: »Sich finden, indem man sich verliert« (S. 42). Ich als Profi habe gar nicht die Aufgabe, den Anderen zu verstehen, sondern ich habe mich so zu verhalten, dass der Andere sich selbst (wieder) versteht.

Innerhalb dieser Grundhaltung macht natürlich jedes Subjekt den Anderen auch zum Objekt, macht ihn oder sie zum Gegenstand von Beobachtung, Fremdwahrnehmung, beschreibt, erforscht, diagnostiziert und therapiert ihn oder sie, bildet Theorien über die Person. Das ist die andere Beziehungsebene, die Subjekt-Objekt-Ebene. Der Schutz meiner Grundhaltung ist aber bitter nötig, damit die Objektivierung des Anderen nicht eigengesetzlich wird, den Anderen nicht angleicht, aneignet, vergewaltigt, vernichtet. Um das erlebnisfähig zu machen, handelt das erste Kapitel des Buches sehr bewusst von den psychiatrisch Tätigen (Kap. 1, ab S. 31), zeigt den Weg des Menschen mit »sozialem Beruf« ins psychiatrische Arbeiten, wobei das Professionelle daran nicht im Helfen besteht; denn dieses ist allgemein menschlich. Das Kapitel ist genauso gegliedert wie die Patientenkapitel. Das soll zeigen, wie viel Gemeinsames der »Weg in die Psychiatrie« für werdende Patienten und für werdende psychiatrisch Tätige hat. Es zeigt sich ferner, dass sich die Begegnungen von psychiatrisch Tätigen mit Kollegen, mit einem Patient, einer Patientin oder mit Angehörigen im Grundsatz nicht unterscheiden. Weil in diesem Kapitel die Anwesenheit des Anderen so viel Gewicht hat, haben wir hier auch die transkulturellen Begegnungen mit Migranten beschrieben, um ihrer Würde gerecht zu werden.

Kapitel 2 bis 13 sind die Patientenkapitel, beschreiben die verschiedenen Typen von Situationen, in denen Menschen sich psychiatrierelevant ausdrücken. »Krank« ist von uns nur konventionell gemeint, etwa orientiert an der sozialen Wirklichkeit des Patienten, der »krankgeschrieben« und dessen Therapie von der »Krankenkasse« getragen wird. Im Übrigen sprechen wir lieber von »Kränkung«. Das kann man körperlich, seelisch oder sozial auffassen. Vielseitig genug ist vielleicht auch das Wort »Störung«. Man kann sagen: Jemand hat eine Störung, wird gestört, stört sich selbst, stört Andere, kann eine »Betriebsstörung« sein; auch Beziehungen und Entwicklungen können gestört sein.

Zur Krankheitssystematik (Nosologie) haben wir in diesem Lehrbuch eine biografische Ordnung gewählt: Wer die Patientenkapitel der Reihe nach durchliest, verfolgt damit den Lebensweg eines Menschen von der Geburt bis zum Tod, wobei er ihn (und sich selbst) durch die verschiedenen aufeinander folgenden Altersstufen mit ihren altersspezifischen Lebensaufgaben und Krisen und mit seinen unterschiedlichen, gelingenden oder scheiternden Problemlösungen begleitet. Logischerweise wird dadurch der »geistig sich und Andere behindernde Mensch« zum ersten Patientenkapitel – »mit Lernschwierigkeiten«, wie wir heute etwa sagen. Dann geht es durch die Kindheit und Jugend zu den Problemen der Liebe, der Ablösung von der Familie, dem Autoritätskonflikt, dem Erwachsenwerden und den vielfältigen Partner- und Arbeitsproblemen.

Es folgen die eher lebenszeitunabhängigen Situationen des Umgangs mit Krisen und mit dem Strafrecht (Kapitel 10 und 11), bevor es in Kapitel 12 und 13 an die Lebensaufgaben des Trennens, Verlierens, Abschiednehmens und Sterbens geht. Im Übrigen haben wir in den jeweiligen Kapiteln gegenüber den akuten Krisen den chronisch Kranken und der besonderen Bedeutung ihrer Begleitung durch Nachbarn und Bürgerhelfer im Sozialraum mehr Gewicht gegeben, womit wir der »Handwerksregel« folgen, dass für das Helfen die Techniken der Profis und die Zeit der Bürger gleich wichtig sind.

Eine andere Einteilung der Störungen betrifft die unterschiedlichen Bedingungen oder Kontexte. Statt von Ursachen (»Ätiologie«) sprechen wir gemäß der größeren Bescheidenheit der heutigen Wissenschaft lieber von Bedingungen, die die Entstehung eines Leidens fördern (Pathogenese). Wir unterscheiden körperliche und psychosoziale Bedingungen. In früheren Zeiten wurde oft von einer »endogenen«, d.