Islamische Zuwanderung und ihre Folgen - Bassam Tibi - E-Book

Islamische Zuwanderung und ihre Folgen E-Book

Bassam Tibi

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Beschreibung

Die Zuwanderung nach Deutschland hat seit der Grenzöffnung im September 2015 eine neue Dimension erreicht. Aus in Auflösung begriffenen Staaten kommen überwiegend muslimische Migranten als »neue Deutsche« in die Gesellschaft derer, »die schon länger hier leben« (Angela Merkel). Die sich hieraus ergebenden extremen Herausforderungen mit Blick auf eine erfolgreiche Integration sind, wie Bassam Tibi aufzeigt, etwas ganz anderes als ein Zurschaustellen von Fremdenliebe, verbunden mit Unterbringung, Alimentierung und Sprachkursen. Integration erfordert vor allem das Angebot einer inklusiven Bürgeridentität des Aufnahmelandes und einer Annahme dieses Angebots durch Neuankömmlinge – nur so kann sich ein Zugehörigkeitsgefühl und eine Identifizierung mit der Aufnahmegesellschaft und ihren Werten einstellen. Doch spätestens an diesem essentiellen Punkt versagt die deutsche Migrationspolitik vollständig und mit katastrophalen Konsequenzen. Viele hier lebende Muslime haben ein akutes Identitätsproblem – eine der Hauptursachen für religiöse Radikalisierung und Ablehnung der Aufnahmegesellschaft bis hin zu einer offen feindseligen Haltung ihr gegenüber. Bassam Tibi, selbst syrischer Migrant, analysiert scharfsinnig und ohne ideologische Scheuklappen die Situation in Deutschland sowie in den Herkunftsstaaten – und warnt nachdrücklich vor den Gefahren, die mit einem Scheitern des aktuell stattfindenden Großexperiments Zuwanderung verbunden sind. In der vorliegenden, aktualisierten und erneut erweiterten Neuauflage seines Standard-Werks legt Tibi ein besonderes Augenmerk auf ein hierbei viel zu wenig beachtetes Phänomen: Den neuen Antisemitismus in Deutschland. Bassam Tibi, Jahrgang 1944, wuchs in Damaskus auf und kam 1962 nach Deutschland, wo er Sozialwissenschaft, Philosophie und Geschichte studierte – unter anderem bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Mit 28 Jahren wurde er Professor für Internationale Beziehungen in Göttingen. Tibi lehrte und forschte auf allen fünf Kontinenten, u.a. an den Universitäten Harvard, Cornell, Berkeley und Yale, an der American University of Cairo sowie in Dakar, Yaoundé, Khartum, Jakarta und Singapur. 2016 wurde er in den Senat der von Helmut Schmidt ins Leben gerufenen Deutschen Nationalstiftung gewählt. Tibi gilt als Begründer der Islamologie und war und ist stets um die Förderung eines besseren Verständnisses des Islam bemüht, wofür ihm 1995 von Roman Herzog das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen wurde. Er ist Mitinitiator der arabischen Organisation für Menschenrechte und prononcierter Vertreter des Aufklärungs-Islam.

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Seitenzahl: 844

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Der Autor:

Bassam Tibi wurde 1944 in Damaskus in die aristokratische Aschraf-Familie Banu al-Tibi geboren und durchlief dort eine streng islamische Erziehung bis 1962, als er nach Deutschland kam, wo er in Frankfurt bei Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Iring Fetscher studierte und auch promovierte. Die Habilitation erfolgte in Hamburg. Mit 28 Jahren wurde er auf eine Professur für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen berufen, wo er die Islamologie begründete und bis zu seiner Emeritierung 2009 lebte. Parallel zu Göttingen hatte Tibi zwischen 1979 und 2016 insgesamt 19 Gastprofessuren auf allen fünf Kontinenten inne, deren jüngste 2016 (als Cleveland B. Dodge Professor) an der American University of Cairo war. 1982 begann seine Harvard-Karriere in verschiedenen Funktionen, zuletzt 1998-2000 als Bosch Research Professor. Dazu kommen Fellowships in Princeton, Ann Arbor / Michigan, Berkeley, Yale und zum Schluss, 2005-2010, als Andrew D. White Professor-at-Large an der Cornell University. In Afrika lehrte Tibi u.a. in Dakar / Senegal, Yaoundé / Kamerun und Khartum / Sudan. In Asien lehrte er in Jakarta und Singapur. Davor hatte er zwei Gastprofessuren an der Bilkent University in Ankara inne. Von 1999 bis 2001 war er Fellow und Berater am World Economic Forum in Davos. Im Jahre 2016 teilte Bundespräsident a. D. Horst Köhler Tibi mit, dass er »einstimmig und mit Freude« für sieben Jahre zum Mitglied der Deutschen Nationalstiftung zur Pflege der deutschen Identität gewählt worden ist. Bassam Tibi ist Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse und Autor von 30 Büchern in deutscher Sprache (übersetzt in 16 Sprachen) und weiteren elf Büchern, die er in englischer Sprache schrieb, deren letztes Islamism and Islam bei Yale University Press erschienen ist.

Seit 2016 erscheint Tibis deutschsprachiges Werk in erheblich erweiterten und aktualisierten Neuausgaben im ibidem-Verlag. Bisher liegen die folgenden drei Bände vor: Europa ohne Identität? Europäisierung oder Islamisierung (2016), Islamische Zuwanderung und ihre Folgen. Wer sind die neuen Deutschen? (2017) sowie Islamische Geschichte und deutsche Islamwissenschaft. Islamologie und die Orientalismus-Debatte (2017).

 

Inhaltsverzeichnis

Vorrede zur aktualisierten und erweiterten Neuauflage

Vorwort

Einführender Essay 2017

1. Der Ausgang des Erkenntnisprozesses: Islamische Zuwanderung als ein Problem, welches ohne Fremdeneuphorie wahrzunehmen und ohne Tabus zu erkennen ist

2. Worüber reden wir? Festlegung und Abgrenzung des Gegenstandes in der Praxis einer freien Debating Culture

3. Ein Design für die Debatte über Europa und die islamische Zuwanderung

4. Islamische Zuwanderung – Problemfeld 1: In Deutschland erfolgt eine naturwüchsige, von kriminellen Schleuserbanden gesteuerte Zuwanderung, aber keine regulierte Einwanderung

5. Islamische Zuwanderung – Problemfeld 2: Neue illegale Armutsflüchtlinge als »ethnische Unterklasse«, die »ethnische Armut« in Parallelgesellschaften generiert

6. Islamische Zuwanderung – Problemfeld 3: Die Aufnahmegesellschaft bietet keine inklusive Identität; dies bedingt eine Radikalisierung der muslimischen Jugendlichen

7. Empfehlungen für eine mögliche Lösung der Probleme: Nur eine Inklusion in eine europäische Bürger-Identität kann Integration ermöglichen

8. Die Realität des Staatszerfalls und die youth bulges im Lichte des Merkel-Slogans »Bekämpfung von Fluchtursachen« parallel zum Fehlen einer Migrations-Policy und eines Grenzschutzes in Europa

9. Deutsche Widersprüche: Die Gleichzeitigkeit einer Willkommenskultur als Sühne für den NS-Morde und das Schweigen über den Import des neuen Antisemitismus aus Nahost durch die »neuen Deutschen«

10. Konklusionen: Drei Voraussetzungen einer genuinen Integration: Erstens: Teilhabe an einer inklusiven europäischen Citoyen-Identität; zweitens: Eine europäische Leitkultur als ein auf einer Werteorientierung basierender zivilgesellschaftlicher Wertekonsens; und drittens: Förderung eines laizistischen Euro-Islam als Reform-Islam gegen die integrationsunwilligen Islam-Verbände

Einleitung

Muslime im Westen nach der Kriegserklärung vom 11. September: Globalisierung, Migration, Terrorismus und Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert

Neue Erkenntnisse über Migration, Terrorismus und Sicherheit

Anklage gegen »Feindbild Islam« als Aufklärung oder Schutzschild für Islamisten?

Von den europäischen Nachbarn lernen? Der British Terrorism Act gegen die Diaspora-Freiräume für Islamisten

Propaganda der Islamisten gegen Blair und der British Terrorism Act

Der Kalte Krieg der Islamisten

Migration und islamistischer Terrorismus: Warum gerade Europa als Hinterland?

Die Heuchelei: Antisemitische Hetze der Islamisten bei paralleler Gleichsetzung von Antiislamismus und Antisemitismus

Deutschland als Freiraum für den Islamismus

Kampf gegen den Terrorismus: Deutsche Schläfer – Islamisten-»Schläfer«

Integration zwischen Ein- und Zuwanderung

Deutsche Islam-Diaspora, die Kriegserklärung von New York und Washington und die nicht erfolgte Integration

Erster Teil

Von der verordneten Fremdenliebe zur Realpolitik. Verantwortungsethik mit Zuwanderern statt Gesinnungsethik: Grundlagen

Einführung

Kapitel I

Die Turbulenzen der Migration: Eine globale Erscheinung im 21. Jahrhundert und ihre Sicherheitsrisiken

Positive und negative Begleiterscheinungen

Klassische Migration in der Weltgeschichte

Wodurch unterscheidet sich die moderne globale Migration?

Innereuropäische Migration im 19. Jahrhundert

Wie können Migranten integriert werden?

Migration regulieren!

Die Turbulenzen und die sinnstiftende Identität

Multikulturalisten und die Identität Europas

Migration und Ethnizität

Globalisierung und Migration als Naturereignis? Von apolitischen Ansichten zur Politik der Steuerung

Kapitel 2

Was ist Einwanderung? Was ist Zuwanderung? Ernüchterung nach dem 11. September 2001?

Klarheit über Migration schaffen

Zuwanderung und der Transfer von Slums: Importierte »ethnische Armutskultur«

Für eine breite öffentliche Debatte

Das Erfordernis: Einwanderung tabufrei – keine deutschen Sonderwege

Bundespräsident Rau und die Einwanderung

Der Bericht der Süssmuth-Kommission über »Zuwanderung«: Ein radikaler Wandel oder die Paraphrasierung von Selbstverständlichkeiten?

Zweiter Teil

Strategien für den Umgang mit der Integration islamischer Zuwanderer durch die westlichen Aufnahmegesellschaften. Integration statt multikulturell legitimierter Enklaven als Parallelgesellschaften

Einführung

Kapitel 3

Für Integration und gegen Assimilation, aber auch gegen Ghetto-Bildung als Freiraum für den Islamismus. Sind islamische Parallelgesellschaften ein Sicherheitsrisiko?

Erneuter Aufruf: Die Probleme ansprechen, ohne Tabus!

Integration und Interkulturalität

Islam als Religion, Islamismus und Parallelgesellschaften

Anpassung und Abgrenzung

Was ist Identität?

Integration als Alternative zur Assimilation und Parallelgesellschaften

Multikulturalismus und Kulturpluralismus

Kapitel 4

Wie entstehen Parallelgesellschaften? Nachdenken über Multikulturalismus als Ideologie der Balkanisierung

Europäische Identität oder kulturelle Lokalidentitäten von Parallelgesellschaften?

Gemeinwesen oder Balkanisierung?

Eine Veranschaulichung der Problematik am Beispiel einer Parallelgesellschaft außerhalb Europas: Die Mohadjir-Gemeinschaft zwischen Karachi und London

Schlussfolgerungen

Dritter Teil

Die erforderliche Doppelstrategie: Kulturelle Öffnung bei gleichzeitiger Bewahrung der zivilisatorischen Identität Europas

Kapitel 5

Zwischen Kulturpluralismus und multikultureller Wertebeliebigkeit: Kein Raum für antiwestliche Ideologien im Namen der Toleranz

Multikulturelle und westliche Toleranz

Indifferenz ist weder gegenseitige Toleranz, noch zeugt sie von Dialogfähigkeit

Vom Eurozentrismus zum deutschen Gutmenschen

Globalität und Lokalität

Kulturübergreifende Moralität, Leitkultur und Dialog

Was heißt Toleranz im globalen Dorf?

Migration und Toleranz

Kapitel 6

Religiöser Pluralismus erfordert die Akzeptanz von Säkularität/Laizität durch die Migranten: Die islamische Doktrin der Hidjra und die Grenzen der Toleranz für kulturelle Differenz

Die Alternativen: Abschied von der islamischen Doktrin der Hidjra oder islamischer Djihad mit friedlichen Mitteln?

Das religiös Absolute und Hidjra im Islam

Religiöser Pluralismus für die Muslime in Deutschland –Wahleuropäer oder Muhadjirun?

Von der islamischen Expansion zum religiösen Pluralismus

Herausforderungen

Schlussfolgerungen

Vierter Teil

Lösungen für das 21. Jahrhundert – Muslime überwinden ihre Integrations- Unwilligkeit, und Deutsche bewältigen ihre Identitätsprobleme

Einführung

Kapitel 7

Euro-Islam statt Taliban/Bin Laden-Islam. Die Versöhnung von religiösem Glauben und Säkularer Vernunft im Rahmen des Pluralismus: Die kulturelle Grundlage die Integration islamischer Migranten aus Asien und Afrika

Der Platz der Religion in einem kulturellen Pluralismus

Euro-Islam als kulturelle Grundlage: Die Integration islamischer Migranten aus Asien und Afrika

Soll man die Islam-Diaspora den Islamisten überlassen? Islam und Menschenrechte

Konklusion und Zukunftsperspektiven

Kapitel 8

Nicht nur Deutsche, auch Muslime müssen sich verändern: Europäische Leitkultur und Integration für muslimische Migranten als Perspektive nach dem 11. September 2001

Die Leitkulturdebatte »revisited«: Nach dem 11. September 2001

Was ist deutsche Kultur?

Von Sonderwegen zur Normalität ohne Weltfrömmigkeit

Schluss mit der »neurotischen Nation«

Zwischen Operation Sauerkraut und deutscher Gutmensch-Gesinnungsethik – Kein Wertekonsens als Leitkultur?

Fünfter Teil

Zukunftsszenarien islamischer wildwüchsiger illegaler Zuwanderung, die Routen krimineller Schleuserbanden, das linksgrüne Narrativ und die iham-Täuschung der Islam-Funktionäre

Einführung

Kapitel 9

Die geopolitischen Standorte und die Routen der demografischen Völkerwanderungen aus Nahost, Afghanistan und Afrika nach Europa: Libyen, Syrien und die Türkei

Libyen: Staatszerfall, bewaffnetes Chaos und Transit für afrikanische Armutsflüchtlinge

Syrien: ein endloser Krieg und endlose Flüchtlingsströme

Türkei: Die Balkanroute, illegale Zuwanderung und die AKP-Erpressung der EU

Kapitel 10

Illegale Zuwanderung aus der Welt des Islam, Flüchtlinge und ihre Integration sowie Konflikte im Lichte des herrschenden Narrativs – Konklusionen und Zukunftsperspektiven

Das vorherrschende Narrativ und die Problematik der Migration und der Flüchtlinge

Flüchtlinge nach Deutschland – Zwischen Ein- und Zuwanderung im Zivilisationskonflikt

Die organisierten Islamverbände betreiben Täuschung –

iham – Die Verdeckung der Islamisierungspolitik als Dialog

Offene Fragen und Schlussbetrachtungen

Werden muslimische Flüchtlinge »einen Traum für Deutschland, [das] seine besten Zeiten noch vor sich hat« (FAZ), erfüllen in einer Bundesrepublik als »dem besten Deutschland, das wir je hatten« (Joachim Gauck)? – Die postfaktische deutsche Debatte über islamische Zuwanderung.

Abschliessender Essay

Der zugewanderte »new antisemitism« der »neuen Deutschen« aus der Perspektive des erweiterten Sicherheitsbegriffs der Security Studies

1. Europa, islamische Zuwanderung und der »neue Antisemitis­mus«

2. Kann Europa, vor allem Deutschland, die Parallelität von islamischer Zuwanderung und jüdischem Leben ohne Verfolgung auf seinem Territorium in Einklang bringen?

3. Warum die islamische Migration nach Europa die Einfuhr eines antisemitisch gesteigerten zugewanderten Antisemitismus bedingt: Eine Stereotypisierung?

4. Der Widerspruch deutscher Willkommenskultur verstanden als Sühne für die NS-Morde, parallel zur Tabuisierung des zugewanderten neuen Antisemitismus, dessen Träger deutsche Gesinnungsethiker willkommen heißen

5. Kennt jemand noch Max Webers »Objektivität sozialwis­sen­schaft­licher Erkenntnis« und ihre Verantwortungsethik im »Beruf zur Politik«?

6. Vor dem »neuen Antisemitismus« der zugewanderten »neuen Deutschen« zu warnen ist weder Flüchtlingsfeindlichkeit noch Islamophobie

7. Der »neue Antisemitismus« vor dem Hintergrund der islamischen Geschichte und der Zeitgeschichte der Gegenwart

8. Keine Debatte über Migration bei Tabuisierung der Sicherheit: Unregulierte Zuwanderung, Islamismus und Kriminalität als Sicherheitsproblem

Impressum

VORREDE ZUR AKTUALISIERTEN UND ERWEITERTEN NEUAUFLAGE

Ich bin stolz darauf zu sehen, dass mein schon damals, beim ersten Erscheinen 2002, unterdrücktes Buch Islamische Zuwanderung mit dem damaligen Untertitel Die gescheiterte Integration 15 Jahre danach, 2017, nicht nur in einer erheblich erweiterten Neuausgabe, sondern bereits nach wenigen Monaten in einer zweiten, wiederum erweiterten Neuauflage hiervon erscheint. Trotz der sehr auffälligen Ausgrenzung meiner Person und meines Werkes durch Verschweigen konnte meine Studie über islamische Zuwanderung nach Europa ein Erfolg werden. Sowohl die 2002er- als auch die 2017er-Ausgabe erfuhren kurz nach ihrem Erscheinen erweiterte Auflagen. Jedoch beziehe ich den Erfolg – dies betone ich ohne falsche Bescheidenheit – nicht auf mei­ne Person, sondern auf den Bedarf an Büchern zu dieser Thematik, die sowohl mit kritischer Orientierung als auch mit »unbequemen Gedanken« an den Gegenstand von Migration und Integration herangehen und ideologiefrei informieren. »Unbequeme Gedanken« (Adorno in seinem Aufsatz Auf die Frage: Was ist deutsch?) werden in Deutschland trotz Artikel 5 des Grundgesetzes unterdrückt.

Schon im 19. Jahrhundert hat John Stuart Mill in seinem Meisterwerk der Demokratie On Liberty »die Tyrannei« der Opinion Leaders als ein »Übel, gegen welches die Gesellschaft auf der Hut sein muss«, bezeichnet. Unter geistiger Tyrannei versteht Mill eine »Gesinnung«, die versucht, »ihre eigenen Ideen […] Widerstrebenden aufzunötigen«. Diese Gewalt der Bestrafung »unbequemer Ideen« (Adorno) kann zwar in einer Demokratie nicht im Strafrecht verankert werden, doch gibt es – wie J.S. Mill schon im 19. Jahrhundert erkannt hat – »andere Mittel als bürgerliche Strafen«, um diese »Widerstrebenden« als Kritiker zum Schweigen zu bringen. Mit diesen Gedanken von Mill, die mein Leben als kritischer Wissenschaftler getreu wiedergeben, nehme ich den Unterschied zwischen dem formal-demokratischen Deutschland ohne Debating Culture und dem totalitären Syrien, meiner ursprünglichen Heimat, wahr. In Sy­rien wäre ich längst in einem der Folter-Kerker verschwunden, in Deutsch­land bleibt mir dies zwar erspart, aber meine »unbequemen Gedanken« werden in diesem Lande als Abweichung »gereizt geahndet« (Adorno). Durch Ausgrenzung versuchen Vertreter des herrschenden linksgrünen Narrativs – ich verwende hier wieder Mills Worte –, »die Entwicklung jeder eigenen Individualität zu fesseln, wenn möglich zu ersticken«. In der Schweiz bietet mir die Basler Zeitung ein Forum, in dem ich mich seit 2016 kritisch zu Wort melde, unter anderem in meinem Aufsatz Ich werde nicht schweigen. Der kleine ibidem-Verlag veröffentlicht meine vergriffenen Wer­ke in aktualisierten Neuausgaben. Die Groß-Verlage, bei denen ich bisher als Bestseller-Autor willkommen war, tun dies nicht mehr. Rezensionen gibt es auch nicht.

Die Erstausgabe 2002 wie auch die 2017er-Veröffentlichung dieses Buches wurden von Medien, Zeitungen und Zeitschriften auffällig vollständig verschwiegen. Seitdem hat mich die DVA wie andere große deutsche Verlage abgeschrieben, während ich im englischsprachigen Raum ungebrochen von Häusern wir Palgrave Macmillan (2005, 2017), Routledge (2007, 2009, 2012, 2013, 2014), University of California Press (1998, 2002) und Yale University Press (2012) publiziert wurde und werde; meine Beiträge zu Sammelbänden werden neben den o.g. Häusern u.a. auch bei Princeton University Press, Stanford University Press und Cambridge University Press veröffentlicht. Wenn dies kein Beweis für das von mir unermüdlich und wiederholt angemahnte, ja beklagte Fehlen einer demokratischen Debating Culture – im angelsächsischen Sinne, daher behalte ich den Originalbegriff bei – sowie Denkfreiheit in Deutschland ist, dann frage ich: What then?

Hier stehen »unbequeme Gedanken«, die vom Narrativ der deutschen linksgrünen Opinion Leaders abweichen. Abweichung, dies wiederhole ich, wird »gereizt geahndet«, wie Adorno im zitierten Aufsatz den Sachverhalt formulierte. Dies geschieht mit der Keule des Vorwurfs der Islamophobie – neben anderen Mitteln.

In einer politischen Kultur, in der »unbequeme Gedanken« nicht zugelassen werden, wird kritisches Denken durch Erzwingung »einer inneren Zensurinstanz« marginalisiert. Ich berufe mich auf das Grundgesetz, Artikel 5, Absätze 1 und 3, und weiche ab, ohne Angst zu haben vor Sanktionen; es ist leichter, Ausgrenzung als die Folterkammer zu ertragen. Aus diesem Grund bin ich dankbar dafür, in Deutschland mit deutschem Pass und nicht in Syrien zu leben.

Mein erster »unbequemer Gedanke« im vorliegenden Buch über islamische Zuwanderung lautet unzensiert: Wer verändert wen? Fakt ist, dass islamische Zuwanderung Europa verändert; die Meinungsdiktatoren verbieten es jedoch, hierüber frei zu reden; die Bevölkerungsmehrheit reagiert mit Schweigen und Wegducken aus Angst vor Ausgrenzung, etwa auch davor, in die rechte Schmuddelecke verwiesen zu werden. So etwas ist Teil einer Despotie, aber doch nicht einer Demokratie, oder? Daraus ziehen Islamisten unter den muslimischen Zuwanderern Kapital; sie erkennen einen unerwartet großen Handlungsspielraum, gehen in die Offensive und verändern Europa – es geschieht leider nicht umgekehrt, etwa durch eine Europäisierung beinhaltende Integration. Rassismus ist eine Barbarei, Muslime sind aber keine Rasse, sondern eine Religionsgemeinschaft; ihre Weltanschauung zu kritisieren ist alles andere als Rassismus. Zu sagen, sie verweigern die Integration (67 % der bundesrepublikanischen Türken wählen Erdogan), ist eine empirisch solide Feststellung, kein Rassismus.

Nach den vorangestellten allgemeinen Bemerkungen zum Buch und zu den Umständen, unter denen sowohl die 2002er- als auch diese 2017er-Neuausgabe des Buches erschienen sind bzw. erscheinen, möchte ich hinzufügen, dass die organisierten Islam-Verbände jahrelang das Bundesministerium des Inneren gezwungen haben, sich zu beugen und zentrale Themen, die dieses Buch anspricht, zu tabuisieren. So wurde der Wunsch deutscher Politiker, Zuwanderung, Islam und Sicherheit auf die Tagesordnung der Islam-Konferenz zu setzen, verfemt und abgewiesen. Aber etwas verändert sich im Lande.

Ich schätze mich glücklich, als Zeuge dabei gewesen zu sein, als dieses Tabu in einem der schönsten und wichtigsten Räume des Hessischen Ministeriums der Justiz am 18.08.2017 gebrochen wurde. Damals fand die Fachtagung unter dem Arbeitstitel »Migration und Sicherheit« mit meinem Fachreferat »Antisemitismus als Sicherheitsproblem« statt. Ich leitete meine Präsentation mit dem Zitat aus der Wochenzeitung Die Zeit ein, wonach es in Berlin »No-Go-Areas für Juden« gibt. Dann stellte ich die Frage: Wie kann so etwas geschehen? Gerade in dem Land, in dem sechs Millionen Juden in Gaskammern ermordet wurden! Wenn das kein Sicherheitsproblem ist, was dann? Kann sich ein Land mit der Last der NS-Verbrechen der Vergangenheit eine solche Schande leisten?

Ich bin als Fachexperte nach Wiesbaden eingeladen worden, weil ich in den vergangenen 20 Jahren in englischer und deutscher Sprache zahlreiche Arbeiten über den islamistischen Antisemitismus veröffentlicht habe, die international anerkannt, aber in Deutschland ignoriert werden. Zudem habe ich mich in diesem Jahr 2017 als Autor für das englischsprachige Standardwerk Antisemitism Before and Since the Holocaust (2017) mit folgendem Kapitel engagiert: Religion, Prejudice and Annihilation. The Case of Traditional Islamic Judeophobia and Its Transformation into the Modern Islamist Antisemitism (Kapitel 6). Zudem erschien 2017 auch mein Beitrag zum von Oskar Deutsch, dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien herausgegeben Buch Die Zukunft Europas und das Judentum unter dem Titel: Migration aus der Welt des Islam und die Wiedereinführung von Judenhass und Antisemitismus nach Europa.

Die anstehende Frage nach der Auswirkung islamischer Migration auf Staat und Gesellschaft in Europa habe ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten international im Rahmen meiner Mitwirkung an Großprojekten an der University of California in Berkeley, an der Cornell University und an der Stanford University verfolgt. Aus diesen Projekten sind die folgenden, von mir mitverfassten drei Bücher hervorgegangen sind: Euro-Islam or Muslim Europe (Berkeley 2002), Religion in Expanding Europe (Cornell 2006) und Ethnic Europe (Stanford 2010); neben zahlreichen Aufsätzen in amerikanischen und britischen, aber nicht in deutschen Zeitschriften.

Warum tue ich diese Arbeit im Ausland und nicht in Deutschland? Die Neue Zürcher Zeitung gab eine Antwort hierauf in einem wichtigen Artikel mit der Überschrift: Deutschland, die Zensurrepublik. Ich frage: Wann wachen deutsche Demokraten auf? So kann keine Demokratie funktionieren und fortbestehen, nämlich ohne Debating Culture und ohne sie tragende Demokraten.

Ich bin Vorwarner und stelle fest: noch ist es nicht zu spät, der Zug ist noch nicht abgefahren, obwohl die Uhr kurz vor 12 steht und der Vorbereitungsprozess, das heißt die Islamisierung anstelle der Europäisierung, voll im Gange und sogar fortgeschritten ist.

Das vorliegende, zwischen 2002 und 2018 in drei Ausgaben erschienene Buch enthält eine Vorwarnung. Die drei Ausgaben tragen je einen anderen Untertitel: (1.) 2002: Die gescheiterte Integration, (2.) 2017: Wer sind die neuen Deutschen?, (3.) 2018: Der »neue Antisemitismus«, Sicherheitspolitik und die »neuen Deutschen«. Die drei Begriffe der Untertitel sowie ihre Herkunft werden im abschließenden Essay erklärt, der als neuer Anhang am Ende des Buches platziert ist.

Neu an der vorliegenden, korrigierten, ergänzten, aktualisierten und erweiterten Neuauflage, die – wie angemerkt – die dritte Ausgabe/Edi­tion dieses Buches darstellt, ist nicht nur der Untertitel, sondern sind auch zusätzliche Texte; neben dieser Vorrede habe ich einen neuen, umfangreichen, abschießenden Essay verfasst (vgl. Anhang), dazu noch alle Texte aktualisiert.

Die erste Ausgabe von 2002 unterscheidet sich von der 2017er-Neuausgabe durch Teil 5, der zwei neue Kapitel enthält. Dazu kommt der einführende Essay, der in den Abschnitten 1 und 9 Analysen zur Security-Problematik und zur deutschen Duldung des neuen Antisemitismus islamischer Zuwanderer in Deutschland enthält. Dieser Essay handelt im ersten Abschnitt über Security und deutet die islamische Zuwanderung als Sicherheitsproblem; Abschnitt 9 bezieht »deutsche Widersprüche« auf den zugewanderten Antisemitismus. Auch die Abschnitte über youth bulges (5) und ethnische Armut (8) behandeln das Thema Security.

Der Denkprozess im soeben erläuterten einführenden Essay wird in einem abschließenden, umfangreichen, als Anhang untergebrachten Essay fortgesetzt. Darin wird meine neueste Forschung über die anstehende Problematik eingebaut. Zuvor habe ich über den islamistischen Antisemitismus am Center for Advanced Holocaust Studies in Washington D.C. und danach an einem amerikanisch-irischen Forschungsprojekt gearbeitet, woraus das von den jüdischen Historikern Jeffrey Herf und Anthony McElligott herausgegebene, oben zitierte und von mir mitverfasste Buch Antisemitism Before and Since the Holocaust (erschienen 2017 in London und New York bei Palgrave Macmillan) entstanden ist.

Mit diesem Buch lade ich dazu ein, auf Basis meiner Erkenntnisse die an­geführte Wiesbadener Diskussion über Antisemitismus und Security im Kontext islamischer Zuwanderung weiterzuführen. Sollte dies möglich sein, dann wäre ich bereit, meine oben vorgetragene Kritik zu überden­ken; in meinen Jahren in den USA (1982–2010) habe ich Realismus ge­lernt und mich sowohl von arabischem als auch von deutschem Wunsch­­denken befreit.

 

Göttingen, September 2017

Bassam Tibi

 

VORWORT

Die islamische Zuwanderung nach Europa, besonders nach Deutschland, ist sowohl das Thema als auch der Titel des vorliegenden Buches, das hier in einer um aktuelle Texte erweiterten Neuausgabe der ursprünglichen, 2002 bei der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) veröffentlichten Ausgabe vorgelegt wird. Das hier behandelte Thema ist viel älter als die Flüchtlingskrise von 2015/2016. Um das Jahr 1950 lebten rund 800.000 islamische Migranten im gesamten Westeuropa, die überwiegende Mehrzahl von ihnen in Frankreich und Großbritannien; sie stammten aus ehemaligen französischen und britischen Kolonien. Innerhalb von fünfzig Jahren, bis zum Jahr 2000, hat sich diese Zahl verfünfundzwanzigfacht und ist auf 20 Millionen gestiegen. Heute, 2017, weitere 17 Jahre später, leben ungefähr 30 bis 35 Millionen muslimische Menschen mit Migrationshintergrund in den westlichen Ländern der Europäischen Union. Welche Minderheitenrechte fordern sie?

Das ist eine Entwicklung, mit der man sich auseinandersetzen muss.

Dankenswerterweise setzt sich mein neuer Verleger Christian Schön dafür ein, dass meine nicht nur vergriffenen, sondern auch aus politischen Gründen begrabenen 30 Bücher in deutscher Sprache – erschienen zwischen 1969 und 2009 – neu aufgelegt und wieder verfügbar gemacht werden. So konnte 2016 mein zentrales Buch Europa ohne Identität? in einer aktualisierten Neuausgabe mit dem neuen Untertitel Europäisierung oder Islamisierung im ibidem-Verlag erscheinen. Dieses Projekt soll fortgesetzt werden; neben dem vorliegenden Buch sind zwei weitere aktualisierte und erweiterte Neuausgaben von vergriffenen Büchern von mir bereits fest geplant, die auf den hier vorliegenden Band Islamische Zuwanderung folgen sollen.

Bereits im Oktober 2016 – parallel zur Buchmesse und zum Erscheinen meines ersten ibidem-Buches Europa ohne Identität? – ist etwas geschehen, das mich veranlasst hat, die Frage: Wer sind die neuen Deutschen? als neuen Untertitel zu wählen. Im Folgenden möchte ich diese Entscheidung erklären und sie begründen.

Der sachliche Hintergrund ist folgender: Im Oktober 2016 hielt ich mich in meinem Berliner Stammhotel auf, das sich einen Zeitschriftenservice für die Gästezimmer leistet. Als ich dort damals in mein Zimmer eincheckte, lag auf dem Tisch unter den Zeitschriften das Oktober-Heft 2016 der in Washington D.C. erscheinenden US-Zeitschrift National Geographic. Auf dem Cover-Bild des Heftes ist Folgendes zu sehen: eine Kopftuch-Frau, ein alter, bärtiger Wüsten-Araber mit traditioneller Kopf­bedeckung (Igal und Kufiyya), dann zwei junge, halbmodern bekleidete Flüchtlinge mit Kind. Darunter stand als Titelthema des Heftes zu lesen: The New Europeans. How waves of immigrants are reshaping a continent. Die Kombination aus beschriebenem Cover-Bild und diesem Text ist herausfordernd; Europa bekommt neue Bewohner, die stärker islamisch geprägt sind. Sind das die »neuen Deutschen«?

Weiterhin fand ich unter den Zeitschriften die September-Ausgabe der Zeitschrift Cicero mit diesem Titelthema: Merkels Marschbefehl. 4. September 2015: Der Tag, der Deutschland veränderte. Bekanntlich wanderte nach der Öffnung der Grenzen an jenem Stichtag durch eine rein persönliche Entscheidung von Angela Merkel am 04.09.2015 in wenigen darauffolgenden Monaten rund eine Million Muslime aus Nahost, Afrika und Zentralasien nach Deutschland zu. »In den folgenden Wochen kommen Zehntausende ins Land, weithin unkontrolliert und unregistriert. Faktisch verliert der Staat die Kontrolle … die geordnete Registrierung aller Zuwanderer kollabiert nun auch in Deutschland. Erst im Dezember, das wird auch im Kanzleramt heute eingeräumt, gewinnt der Staat die Steuerungsfähigkeit zurück.« – so beschreibt die Zeit (Nr. 35 / 2016) am 18.08.2016 in einer Spezialausgabe zum Jahrestag des 04.09.2015, was an diesem Tag im September 2015 und danach geschah.

Zu diesem Jahrestag befragte mich The Economist (Ausgabe vom 03.09.2016), und ich bewertete die Bilanz des refugee anniversary nicht nur kritisch, sondern argumentierte darüber hinaus, dass Deutschland eine Art failed state ist, weil es seine Grenzen nicht kontrolliert und nicht weiß, wer in sein Territorium eindringt. Im Gegensatz zu Deutschland hat Schweden während der Flüchtlingskrise laut dem oben erwähnten Bericht der Zeit »Grenzkontrollen wieder eingeführt, weil Flüchtlinge eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen«. Die deutsche Regierung hat dies nicht nur nicht getan, sondern in Deutschland wurde eine solche sicherheitspolitische Begründung (»Gefahr für die öffentliche Ordnung«) als populistisch und fremdenfeindlich bezeichnet.

Es gibt Schnellschreiber, und zu ihnen scheint auch das Ehepaar Herfried und Marina Münkler zu gehören, das recht schnellfingrig in wenigen Monaten ein 336 Seiten umfassendes Buch unter dem Titel Die neuen Deutschen verfasste und auf den Markt brachte. Erst im Oktober 2016 bin ich auf dieses Buch durch eine Buchkritik in dem genannten Cicero-Heft aufmerksam geworden. Darin schreibt der Rezensent Konrad Paul Liessmann: »Das Buch kennt den Fremden nicht als selbstverantwortlich handelndes Subjekt, sondern nur als Objekt – Objekt angstbesetzter Emotionen, Objekt einer zivilgesellschaftlichen Willkommenskultur, Objekt einer kühl abwägenden deutschen Politik, Objekt sozialstaatlicher Verwaltungsakte, Objekt von Integrationsmaßnahmen.« Der Rezensent fügt noch kritisch hinzu: »Themen wie Spracherwerb oder der Islam als Integrationshemmnis werden fast vollständig ausgeblendet.« Das Ziel der Familie Münkler im Geiste von Kanzlerin Merkel ist laut Rezensent: »aus Fremden Deutsche machen«. Ich stelle die Frage, wie mit diesem paternalistischen Geist umzugehen ist.

Herfried Münkler hat als junger Wissenschaftler einen meines Erachtens als nicht besonders einfallsreich einzustufenden Aufsatz über Frantz Fanon veröffentlicht. Fanon war bekanntlich ein großer Theoretiker der postkolonialen Revolution, der die Thematik des Verhältnisses von Kolonisierten (colonisé) und Kolonisator (colon) im Hegel’schen Sinne als Knecht-Herr-Verhältnis definiert. In der Terminologie des Münkler-Rezensenten Liessmann sind dies das Subjekt (colon) und Objekt (colonisé) des Herrn Münkler, der diese Thematik beim Abfassen seines Buches verdrängt zu haben scheint. Skrupellos ordnet er in seinen Überlegungen die zugewanderten Muslime als Objekte ein; dieses Verhältnis colon-colonisé gilt eindringlich auch bei mir als betroffenem Syrer. Ich habe mir dies vergegenwärtigt, als ich las, wie Liessmann das Subjekt-Objekt-Verhältnis in Münklers Sichtweise deutlich macht. Ich habe mich unendlich empört.

Diese Empörung steigerte sich, als ich eine weitere Rezension las, die ich im Online-Magazin The European (01.09.2016) fand. Zuvor las ich mit anhaltend ungutem Gefühl das Buch der Münklers; auf dieser Basis gebe ich beiden Rezensenten Recht, weil sie angemessen urteilen.

Der European-Rezensent Ulrich Berls schreibt, das Buch Die neuen Deutschen sei als »Katechismus der Einwanderungsbefürwortung« und als »Apologie auf die Regierung«, in der »alle Andersdenkenden einfach [abgemeiert werden]«, zu bezeichnen. In Münklers Buch werden »Kritiker, die nicht ins Schema passen […] mundtot« gemacht, so schreibt Berls weiter. Dies bestätigt meine Lektüre. Berls wirft den Münklers einen »arroganten Moralismus« und ein Verschließen der Augen »vor islamfaschistischen Tendenzen« vor. Besonders betrifft mich, dass die Münklers, wie Berls es auch sieht, »polemisch [vor] der schändlichen ›Islamisierung der Debatte‹« warnen; sie entfernen also aus der Debatte nicht nur den Islam, sondern alle »kritischen Stimmen«, die »nicht ins Schema« passen, und zwar vollständig.

Am 18.10.2016 wirkte ich mit als Impuls-Referent auf dem Event der Bonner Akademie für Forschung und Lehre der Universität Bonn zum Thema Wie wir leben wollen – Werte, Kultur und Traditionen im Zuwanderungsland Deutschland. Darauf folgte eine Podiumsdiskussion mit Frau Münkler und dem Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Ich argumentierte hierbei in meiner Eigenschaft als Begründer der Islamologie gegen das Ehepaar Münkler, weil beide de facto den Islam aus der Debatte streichen, und wies auf den zentralen Platz des Islam hin. Außer leeren Phrasen – wie beispielsweise: »Sie stereotypisieren« und ähnlichem – hatte Frau Münkler in ihrer Erwiderung auf meine Argumente nichts zu bieten.

Es kommt noch schlimmer: Kritiker werden nicht nur mundtot gemacht und entfernt, wie bereits geschehen, sondern auch mit einem »Pathos des Absoluten« – so Adorno über solche deutsche Denkweise – schnell in die rechte Schmuddelecke abgeschoben. Die Familie Münkler ignoriert weiterhin völlig Max Webers Gegenüberstellung von Verantwortungsethik und Gesinnungsethik und ergeht sich in endlosem Moralisieren. Ich stimme mit dem Münkler-Rezensenten Berls überein, wenn er diesbezüglich weiter schreibt: »In den ersten Sätzen des Buches wird der Ton vorgegeben, der sich bis zum letzten Kapitel durchzieht: Auf der einen Seite sind die Gutwilligen, auf der anderen Seite die Böswilligen […].« Kann man ein solches Buch noch wissenschaftlich nennen? In Münklers Buch ersetzt die ideologische Apologetik der Willkommenskultur der Kanzlerin sämtliche Migrations- und Islamforschung, die bei den Münklers völlig außen vor bleibt.

Herfried Münkler ist ein politischer Theoretiker, seine Frau vertritt die Disziplin der Literaturwissenschaft. Bekanntlich gehört die Migrationsforschung zu keiner der beiden Disziplinen, aber was soll’s – es sollten, wie beim Fußball, nur die Ergebnisse gelten, nicht, wie jemand zu seinem Handwerk gekommen ist. Allerdings gilt für die Bundesliga, dass hier nur professionelle Fußballer spielen dürfen – eine sinnvolle Regel, die in der deutschen Politikwissenschaft kein unmittelbares Pendant findet. Auch ich bin, wie Münkler, als politischer Philosoph ausgebildet worden, zumal bei demselben Philosophen: Iring Fetscher. Doch habe ich im Gegensatz zu Herfried Münkler in den Jahren 1982 bis 2010 in den USA professionell Migration Studies gelernt und in mehreren internationalen Großprojekten betrieben sowie auch an Veröffentlichungen mitgewirkt, die daraus hervorgingen; ich bin also nicht nur syrischer Migrant, sondern auch Profi auf dem Gebiet der Migration Studies. In dieser Eigenschaft staune ich über Die neuen Deutschen des Ehepaars Münkler, ein Buch, dessen Aussagen nicht unwidersprochen stehen bleiben dürfen. Aus dieser Situation heraus habe ich mich entschlossen, meine Fach-Studie Islamische Zuwanderung und ihre Folgen zu einem Widerspruch und Gegenentwurf zum Buch der Münklers umzugestalten. In diesem Zusammenhang stelle ich als Untertitel die Frage: Wer sind die neuen Deutschen? Die Münkler-Erfindung der »neuen Deutschen« hat ihre Parallele in einem früheren Buch (Die neuen Kriege) von Münkler, in welchem er sich als Erfinder des Begriffes der »asymetrischen Kriege« als den neuen Kriegen darstellt. Darin werden andere Wissenschaftler, zu denen Martin van Creveld, Kalevi Holsti und meine Person zählen, die ein Jahrzehnt davor unter Begriffen wie »wars of low intensity«, »wars of the third kind« und »irregular wars« über »new warfare«, also über die »neuen Kriege«, geforscht und publiziert haben, völlig ignoriert. Ähnliches finde ich in dem Buch Die neuen Deutschen.

Als Herfried Münkler aus dem Hessischen Friedberg, wo er geboren wurde, aufwuchs und das Abitur ablegte, in die große Welt nach Frankfurt kam, um bei Iring Fetscher zu studieren, hatte ich gerade beim selben Professor promoviert, wurde Assistent an seinem Institut und zwei Jahre später selbst Professor für Internationale Beziehungen in Göttingen und dann ab 1982 parallel in Harvard bis 2000. Nach seinen Frankfurter Jahren wurde Münkler auf seine jetzige Professur nach Berlin berufen, wo er seitdem weilt. Wenn die Wikipedia-Angaben stimmen, war Münkler nie weit außerhalb von Friedberg, Frankfurt und Berlin. Er hat das Nest der deutschen Heimat nie verlassen, er war auch nie heimatlos. Dennoch maßt er sich in seinem Buch an, nicht nur den Platz des Islam als Religion, sondern auch die Bedeutung der Heimat für Migranten schlechthin herunterspielen, ja sogar abschaffen zu können. Mit welcher Legitimation?

Im Gegensatz zu Münkler bin ich als Syrer nicht nur tatsächlich heimatlos, sondern leide auch sehr darunter. Obwohl ich an 18 Universitäten auf vier Kontinenten gelebt, gelehrt und geforscht habe, gelang es mir nie, eine Ersatzheimat für die orientalische Metropole Damaskus – im Sinne eines sense of belonging – zu finden. Damaskus war und bleibt meine Heimat, die ich verlassen habe. Wie alle islamischen Zuwanderer leide ich schmerzvoll unter dem Verlust der Heimat. Als ich 2014 siebzig Jahre alt wurde und die deutsche Universität mir die Ehrung verweigerte, die ethnisch-deutschen Professoren in der Regel zuteil wird, erkrankte ich massiv. Ich werfe vielen Deutschen einen Mangel an Empathie vor. Im Stil von J’accuse schrieb ich in diesem Kontext den autobiografischen Text Heimatlos zwischen den Kulturen (im Netz nachzulesen). Das ist nicht die Welt der Münklers. Trotz 55 Jahren Leben in Deutschland mit der Produktion von 30 deutschsprachigen Büchern (mein in den USA entstandenes englischsprachiges Werk umfasst weitere elf Bücher), einer deutschen verbeamteten Professur und dem Erhalt des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse ist es mir nicht gelungen, als ein »neuer Deutscher« anerkannt zu werden. Ich galt stets als »Syrer mit deutschem Pass« – mit diesen Worten wurde ich beispielsweise 1991 als Redner in der Paulskirche offiziell vorgestellt. Ich bin also kein deutscher citoyen. Gibt es so etwas in Deutschland? Mein Leben und meine Erfahrungen in Deutschland widersprechen allem, was die Münklers schreiben, und lassen ihre Worte nicht nur zu Makulatur werden, sondern geradezu als Hohn erscheinen.

Dennoch frage ich: Sind Münklers »neue Deutsche« nun europäische citoyens? Münkler hat, wie bereits erwähnt, bei Iring Fetscher politische Philosophie studiert, wie auch ich. Fetscher hat 1960 das großartige Werk Rousseaus politische Philosophie veröffentlicht. Von Jean-Jacques Rousseau stammt die philosophisch-demokratie­theo­re­tische Bestimmung des Bürgers als citoyen. Fetscher schreibt dazu, dass Rousseau den Menschen als ein Individuum sieht, das »Freiheit als unaufgebbares Recht, ja, als seine Wesensbestimmung« genießt und als solches am Gemeinwesen Teilhabe hat. Die volonté générale, der Gemeinwille – ein Inhalt, für den ich den deutschen Begriff Leitkultur geprägt habe, welcher diese Individuen miteinander verbindet – hat mit Religion und Ethnizität nichts zu tun. Rousseau wird von Fetcher zitiert: »Der fromme Christ als solcher ist nicht der ideal-freiheitlich gesinnte Citoyen«. Gleiches muss auch für islamische Zuwanderer in einer säkularen Zivilgesellschaft gelten. Fakt ist aber: Die »neuen Deutschen« der Münklers sind strenggläubige Muslime und treten für eine islamische Gesellschaftsordnung ein. Fakt ist auch, dass die deutliche Mehrheit der Muslime die Anwendung der Scharia wünscht – im Schnitt 63 % der Muslime, so das Ergebnis einer aufwendigen Studie des Pew Research Center von 2013.

Äußerlich ähneln die »neuen Deutschen« der Münklers eher dem Cover-Bild des oben zitierten National Geographic als den Rousseau’schen citoyens. Ich wurde 1944 in Damaskus geboren und lebte dort bis zum französischen Baccalauréat-Abitur 1962; niemals sah ich während dieser 18 Jahre dort solche Menschen wie die, die auf dem Cover des National Geographic abgebildet sind. Denn die Wohnbevölkerung der Stadt Damaskus war früher urban geprägt. Viele der heutigen neuen Bewohner von Damaskus und Aleppo kommen vom Land und sind ungebildete Bauern; sie kommen heute nach Deutschland, und deutsche Medien machen aus ihnen Ärzte und Ingenieure, und aus ihnen macht Prof. Münkler die »neuen Deutschen«.

Auf die Frage: Wie sollen die hinzugekommenen Flüchtlinge aus Nahost, Zentralasien und Afrika »neue Deutsche« werden, also integriert werden, bieten die Münklers keine Antwort. Im amerikanischen Englisch kommentiert man solche Phantastereien, die eine Formel wie Die neuen Deutschen zum Ausdruck bringt, mit der sarkastische Wendung: »Are you kidding me, are you joking?«

Ich möchte seriös bleiben und stelle stattdessen folgende Frage ernsthaft und ohne »kidding«: Wer sind die neuen Deutschen? Sind das die Menschen, die auf dem Cover des National Geographic abgebildet sind? Ich ziehe diese Frage heran als Untertitel für das vorliegende Buch, und sie wird alle neuen Texte dieser Neuausgabe begleiten. Die Neuausgabe enthält (abgesehen vom Entnehmen der alten Vorrede und des Nachworts zur zweiten Auflage) die alte Einleitung sowie alle vier Teile und die darin enthaltenen acht Kapitel unverändert. Neu sind außer diesem Vorwort ein einführender Essay, der völlig neue fünfte Teil mit den Kapiteln 9 und 10 sowie ein abschließender Essay.

Ich möchte dieses Vorwort nicht abschließen, ohne mich im Sinne der von mir immer adoptierten und gepflegten US-Tradition des acknowledgement zu bedanken bei drei Personen, die mir nach einer jahrelangen Abwesenheit vom deutschen Buchmarkt, also von 2009 bis 2016, Kraft, Mut und Assistenz bei der Rückkehr gaben. Diese sind: mein Verleger Christian Schön, der meine Arbeit gefördert hat und mit dem ich wertvolle Gespräche über dieses Buch sowie den Vorgänger Europa ohne Identität? geführt habe, mein Mitarbeiter Tom Pflicke, der alle Computerarbeiten mit Enthusiasmus und großem Engagement erfüllte und bei den Formulierungen sehr wertvolle stilistische Ratschläge zur Verbesserung der Qualität des Textes gab. Die dritte Person ist meine Ehefrau Ursula aus Göttingen; seitdem ich sie kenne (sie hat mich in den letzten 41 Jahren als meine Lebenspartnerin begleitet), habe ich von ihr in den vergangenen vier Dekaden unentwegt eine emotionale Unterstützung erfahren, ohne die ich in Deutschland nicht hätte fortexistieren können. Wir haben in Göttingen, aber auch in Harvard, Princeton, Berkeley und Cornell zusammen gelebt; sie besuchte mich in Westafrika, Kairo und Kalkutta. Wäre sie nicht in meinem Leben, dann wäre ich ganz gewiss heute nicht in Deutschland. In allen Interviews der vergangenen Monate nach meiner Rückkehr in Presse und Fernsehen habe ich klargemacht: Nur drei Motivationen binden mich an Deutschland: meine deutsche Ehefrau Ulla, die Sprache von Immanuel Kant und das deutsche Grundgesetz (bis auf dessen mangelnde Laizität). Alle drei Motive gelten auch für dieses Buch, in dem ich zur islamischen Zuwanderung verantwortungsethisch im Sinne Max Webers mit Analysen Stellung beziehe. Meine »unbequemen Gedanken« werden bestimmte Deutsche herausfordern, die meine »Abweichung« vom herrschenden Narrativ und meine Weigerung, mir eine »innere Zensurinstanz« aufzuzwingen, »gereizt ahnden«; alles Zitate von Theodor W. Adorno. Diese damit gemeinten gewissen Deutschen werden vorliegendes Buch nicht mögen. Deshalb rate ich diesem Kreis von der Lektüre ab. In der Basler Zeitung habe ich das Gelübde Ich weigere mich, zu schweigen als Überschrift eines Artikels publik gemacht. In der Bibel der Demokratie On Liberty von John Stuart Mill wird vor der »Tyrannei der herrschenden Meinung und Gesinnung« und vor der Neigung der Gesellschaft, »ihre eigenen Ideen … den Widerstrebenden aufzuzwingen«, gewarnt. Nach Mill gehört diese Neigung allgemein zu den Übeln, vor welchen die Demokratie »auf der Hut sein muss«. Die Worte Adornos und Mills begründen mein Credo, und ich habe ihnen nichts hinzuzufügen – bis auf dies: Wer diese Gefahr für die Freiheit nicht sieht, der ist – mit den Worten Max Webers – »in der Tat politisch ein Kind«.

Göttingen, Januar 2017

Bassam Tibi

 

EINFÜHRENDER ESSAY 2017

Wie die islamische Zuwanderung Europa verändert, worin ihre tabuisierten Problemfelder bestehen und welche Optionen dieses Buch vorschlägt

Die Veröffentlichung des Buches Islamische Zuwanderung in der vorliegenden Neuausgabe von 2017 enthält neu nicht nur diese umfangreiche Einführung und zum Abschluss einen zwei zusätzliche Kapitel umfassenden fünften Teil; sie trägt auch den neuen Untertitel Wer sind die neuen Deutschen? Ich wiederhole darin den Befund der Erstausgabe mit dem Untertitel Die gescheiterte Integration und behaupte, dass die Integration der Flüchtlinge in Deutschland weiterhin misslingen wird. Mit dem Hinweis auf wuchernde Parallelgesellschaften will ich die 2016 begonnene Diskussion über dieses Thema fortsetzen. Im jenem Jahr erschien die Neuausgabe meines Buches Europa ohne Identität? ebenfalls im ibidem-Verlag. Dort habe ich das zentrale Thema der Diskussion angesprochen, nämlich, dass Europa und der Islam im Kontext der Flüchtlingskrise von 2015/2016 stehen. Die Problematik hat im Verlauf dieser Krise eine solche Dimension erlangt, dass es sich verbietet, über sie zu schweigen. Denn die absolute Mehrheit der Newcomer nach Europa besteht aus Muslimen aus Nahost, Zentralasien und Afrika, die bildungs- und berufsmäßig nicht über das verfügen, was Europa an qualitativen Arbeitskräften benötigt; zudem sind sie in einem Wertesystem sozialisiert worden, das nicht integrationskompatibel ist; sie bringen deshalb mit sich nicht nur neue Herausforderungen, sondern auch neue Probleme und Risiken. Diese dürfen nicht mit moralisierenden Floskeln abgetan oder gar tabuisiert werden. Ich lehne die deutsche Unart ab, Menschen, die vom herrschenden Narrativ abweichen, in die rechte Schmuddelecke zu schieben. Ulrich Berls, der das Buch Die neuen Deutschen im Online-Magazin The European rezensierte, stellte diese Neigung auch bei dessen Autoren, Marina und Herfried Münkler, fest. Wer dies tut, erweist sich als Gegner der offenen Gesellschaft und schadet der Demokratie, die Meinungsfreiheit garantiert.

Bei der Untersuchung der islamischen Zuwanderung nach Europa lasse ich mich von zwei Errungenschaften der westeuropäischen Zivilisation leiten, die nicht verhandelbar sind:

1. Rationalität, die Kant in seiner Bestimmung des Menschen als vernunftbegabtes Individuum für diesen zugrunde legt.

2. Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, wie sie in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschrieben sind.

Ich bin besorgt darüber, dass beide Errungenschaften heute nicht mehr als Selbstverständlichkeit gelten; sie werden nicht nur von den Newcomern missachtet, die aus vormodernen Kulturen kommen und mit sich eine Weltanschauung des ethnisch-religiösen Neo-Absolutismus nach Europa bringen, sondern auch von postmodernen Europäern, die auf diese Weltanschauung mit kulturrelativistischer Selbstverleugnung reagieren und dafür sogar auch noch um Verständnis werben. Im Unterschied dazu aber sind sie kompromisslos gegenüber Kritikern, denen sie mit Worten wie »Stereotypisierung«, »Populismus« oder »Rassismus« diffamierend entgegentreten. Europäer wie der Cicero-Redakteur Alexander Kissler mit seinem Buch Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss befinden sich in der Defensive gegen linksgrüne Zerstörer der europäischen Identität. Als ethnischer Westasiate aus Damaskus schließe ich mich Kissler an und trete ein für ein Europa der Laizität, Aufklärung und individueller Freiheit gegen Neo-Absolutisten und ihre linken Verbündeten. Wie nun erklärt sich das Verhalten und Denken solcher Deutscher?

Georg Lukács hat dieses Phänomen in seinem Buch Die Zerstörung der Vernunft in dem Kapitel »Einige Eigentümlichkeiten der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands« untersucht, die Max Horkheimer als »eclipse of reason« bezeichnet und aufzeigt, wohin Geistesumnachtung führt. Ich möchte den Irrsinn des deutschen Sonderweges und seine Irrationalität in diese deutsche Tradition einordnen. Dazu gehört die manichäische Zweiteilung der Welt in »hell« (links) und »dunkel« (rechts), wie der Pastor a. D. und bis 2017 amtierende Bundespräsident Gauck dies in Bezug auf Deutschland tat. Wer »hell« und Kulturprotestant ist, gehört zu den Bessermenschen; die »dunklen« (ist das nicht Rassismus?) gehören in die rechte Schmuddelecke und werden aus der Gesellschaft der Gutmenschen ausgegrenzt.

Ich bin ein syrischer Muslim aus Damaskus, also ein Fremder, und bekomme keine Luft zum Atmen, wenn diese deutschen Gutmenschen in ihrer Fremdeneuphorie versuchen, mich zu umarmen. Es fällt auf, dass es diesen Gesinnungsethikern gar nicht um den Schutz der Fremden, auch nicht der Juden vor Antisemitismus (vgl. Abschnitt 9) geht, sondern schlicht um die eigene »Selbstgefälligkeit« (Heinrich August Winkler) dieser deutschen Bessermenschen; wir Fremde dienen dazu nur als Vorwand bei dem gefährlichen links-grünen Unternehmen, Rationalität, Denkfreiheit und Wissenschaft abzuschaffen oder zumindest kulturprotestantisch-gesinnungsethisch zu beschädigen.

Vom beschriebenen Irrsinn der links-grünen sowie kulturprotestantischen Ideologie distanziere ich mein in diesem Buch entfaltetes Denken und meine Analysen über islamische Zuwanderung nach Europa. Mir gelten nur zwei Leitlinien: Wissenschaft im Weber’schen Sinne von Objektivität und Verallgemeinerung von Erkenntnissen im Rahmen von Comparative Studies sowie Wissenschafts- und Meinungsfreiheit. Ich bitte die deutschen Leser, mir zu erlauben, dies an einem Beispiel zu erläutern.

Ich möchte gleich zu Beginn die wissenschaftliche Maxime der allgemeinen Gültigkeit wissenschaftlicher Beobachtungen und Erkenntnisse vergegenwärtigen. Ich stehe in Opposition zum herrschenden Narrativ, das generelle Aussagen und Verallgemeinerungen als »Pauschalisierungen« verbietet, alles als »Einzelfälle« einstuft und die Beschäftigung mit Phänomenen als »Stereotypisierung« ächtet. Meine Position möchte ich anhand eines Beispiels begründen, das keiner verleugnen kann, ohne als Holocaust-Leugner verurteilt zu werden.

Der NS-Mord an Juden war ein Phänomen mit Wurzeln, kein Einzelfall. Die Feststellung, dass dieser Mord von Deutschen begangen worden ist, impliziert keine Stereotypisierung der Deutschen. Dies gilt auch für das Studium anderer Phänomene. Es gehört zum Handwerk der Sozialwissenschaften, Tatsachen zu studieren und sie als ein Phänomen im Sinne sozialer Erscheinungen einzuordnen. Wenn man dies nicht darf, negiert man praktisch die Existenzberechtigung der Sozialwissenschaften schlechthin und läuft Gefahr, sich reinem Nihilismus zu verschreiben, wofür auch die den Zeitgeist zum Ausdruck bringenden 44. Römerberggespräche beispielhaft angeführt werden können. Hierauf werde ich in Kapitel 9, Abschnitt 1, noch eingehen. Diese Besorgnis muss laut ausgesprochen werden. Ich finde die Leisetreterei in Merkels Deutschland unerträglich.

Die Methode, die ich auf den NS-Mord an Juden anwende, ist so allgemein wie die Sozialwissenschaft selbst. Sie gilt für das Studieren aller anderen sozialen Erscheinungen. Natürlich gibt es Einzelfälle, aber der Sozialwissenschaftler interessiert sich nicht sonderlich dafür. Selbst der Psychologe, der sich mit Einzelfällen befasst, ist ein Sozialwissenschaftler, weil das Studium und die Behandlung psychischer Einzelfälle oft in einen generellen Kontext allgemeiner Krankheiten (wie beispielsweise Neurosen) eingeordnet wird; Einzelfälle indizieren stets etwas Allgemeines.

Der Untertitel der alten Ausgabe von 2002 – Gescheiterte Integration – bezieht sich auf das Vorhandensein von Parallelgesellschaften; diese sind als eine allgemeine soziale Erscheinung einzuordnen. Es handelt sich also nicht um Einzelfälle.

Das Scheitern der Integration hat nicht nur mit dem Islam und der Unwilligkeit gläubiger Muslime zu tun, sich in eine säkulare Gesellschaft zu integrieren, sondern auch mit der Unfähigkeit der Deutschen, über das Moralisieren hinaus Fremde als Bürger zu integrieren und ihnen eine Bürgeridentität zu geben. Das ist eine wissenschaftliche Erkenntnis, keine Polemik. In meinem Beitrag zum Forschungsprojekt der Stanford University 2007–2010 Ethnicity in Europe (erschienen 2010 als Buch unter dem Titel Ethnic Europe bei Stanford University Press) habe ich den Nachweis erbracht, dass in der deutschen Tradition der Bürger als ein stofflich-ethnischer Mensch und nicht als citoyen bestimmt wird. Das ist eine Eigenschaft, die nicht auf Nicht-Deutsche übertragen werden kann. »Sie sind deutscher Staatsbürger, kein Deutscher«, sagt man mir. Meine Biografie in Deutschland ist ein Beleg hierfür. Ich weiß also ehrlich nicht, was mit den »neuen Deutschen« gemeint ist und kann die Logik des Ehepaars Münkler nicht nachvollziehen.

1. Der Ausgang des Erkenntnisprozesses: Islamische Zuwanderung als ein Problem, welches ohne Fremdeneuphorie wahrzunehmen und ohne Tabus zu erkennen ist

Die islamische Zuwanderung nach Europa ist nicht neu, denn sie begann bereits im 19. Jahrhundert, wenn auch in einem kolonialen Kontext, der fast ausschließlich Frankreich und Großbritannien betraf. Dann haben europäische Staaten im Zuge des wirtschaftlichen Aufbaus Europas nach 1945 damit begonnen, ihren Bedarf an Arbeitskräften durch ausländische Gastarbeiter zu decken. Deutschland hat sich diesem europäischen Prozess Anfang der 1960er Jahre angeschlossen. Was jedoch seit 2015/2016 geschieht, ist ein völlig neuer Prozess. Diese Neuartigkeit lässt sich durch vier Gründe erklären:

1. Das Volumen der Zuwanderung: Es kommen nun nicht Individuen, sondern ganze Großfamilien, ja sogar ganze Clans aus Nahost, Zentralasien und Afrika. Das ist eine Völkerwanderung, keine individuelle Migration.

2. Europäische Zivilisationskrise: Die neue Zuwanderung erfolgt parallel zu einer zivilisatorischen Krise im Selbstverständnis Europas, bei der Europäer an ihrer eigenen Identität zweifeln. Araber und Afrikaner, die eine stärkere Identität haben, werden zu den »neuen Europäern« bzw. zu »neuen Deutschen« erklärt, wie im Vorwort erläutert.

3. Die Newcomer kommen mit dem Anspruch, Geltung für den Islam in Europa – gleichsam Islamisierung – zu verlangen. Das haben frühere islamische Migranten nie getan.

4. Migration, »security« und kriminelle Schleuserbanden: Nicht der Rechtsstaat, sondern die kriminellen Schleuserbanden bestimmen, wer nach Europa kommen darf, und sie kassieren hierfür sehr viel Geld. Diese Banden erzielen hierdurch jährliche Einnahmen im geschätzt mittleren zweistelligen Milliardenbereich. Das ist weit mehr als das, was kriminelle Banden mit Drogen, Prostitution und Schmuggel verdienen.

In der Neuausgabe dieses in seiner alten Fassung zuerst 2002 veröffentlichten Buches benenne ich die neuen Probleme ohne Zensur und ohne Polarisierung. Ich denke als ein Muslim, der stets für den Brückenbau zwischen dem Islam und dem Westen eintritt, über mögliche Lösungen nach. Wie ich schon im Jahre 2012, lange vor der Flüchtlingskrise, im Untertitel meines in London und New York erschienenen Buches Islam and Global Politics, nämlich Conflict and Cross-Civilizational Bridging, argumentiert habe, hat es nur dann Sinn, über eine Vermittlung im Sinne einer Mediation zwischen den Zivilisationen zu reden, wenn man bereit ist, über den Zivilisationskonflikt als Wertekonflikt zu reden. Ich benenne drei höchst zentrale Bereiche der Konfliktlösung in Bezug auf islamische Migranten, die nach Europa kommen:

1. Teilhabe an europäischer Identität als citoyenneté,

2. Europäisierung des Islam durch religiöse Reformen,

3. Bildung eines interzivilisatorischen Wertekonsenses, den ich Leitkultur nenne.

Diese Agenda erfordert nicht nur harte Arbeit, sondern die Bereitschaft zum Wandel auf beiden Seiten. Man kann diese Menschen verantwortungslos mit einem Federstrich zu »neuen Deutschen« erklären und über Realitäten hinwegblicken. Wer dies tut und dabei die benannte Problematik ausblendet, ist dann doch besser beraten, das aufgezeigte Projekt, den Dialog, conflict resolution und mediation ganz aufzugeben. Es hat dann schlicht gar keinen Sinn.

Die Urfassung dieses Buches lag schon vor 9/11, also 2001, im Manuskript vor; ich fertigte es damals mit der im Untertitel formulierten Grundthese Die gescheiterte Integration an, aber es war noch nicht veröffentlicht. Mein damaliger Verlag, die DVA, bat mich im Lichte der Erfahrung von 9/11, den Zusammenhang von Sicherheit und Einwanderung noch stärker zu beleuchten als bereits geschehen. Dieser Topos war schon im Text enthalten. Nach meiner Rückkehr aus den USA habe ich daraufhin 2002 eine weitere Post-9/11-Fassung des Textes angefertigt, die dann auch im selben Jahr als die Buchfassung erschienen ist. Darin stand die Sicherheitsproblematik gleichrangig mit der »Integration« im Mittelpunkt; dieser Schwerpunkt bleibt auch aufgrund der Zentralität der Security in dieser neuen Ausgabe erhalten.

Gleich hier zu Beginn möchte ich die Tatsache nicht unerwähnt lassen, dass Funktionäre des organisierten Islam in Deutschland sich bis heute stur und unbelehrbar weigern, die Problematik der Sicherheit in ihrem Dialog mit dem Staat zuzulassen; sie täuschen (iham) den deutschen Staat durch Manöver und Spielchen, um ihre Islamisierungspolitik zu verdecken (siehe hierzu meinen Artikel Die verdeckte Islamisierung Europas in der Basler Zeitung vom 11.10.2016). Es ist peinlich, zu sehen, wie sich deutsche Politiker an der Nase herumführen lassen und sich ducken vor den Islam-Funktionären, wenn diese die Keule »Islamophobie« schwenken. In Deutschland ist das Wort »Sicherheit« geradezu verpönt. Dagegen wird in Frankreich der Begriff Sicherheit gleichwertig mit Integration verwendet (vgl. auch den Leitartikel von Michaela Wiegel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung[FAZ] vom 08.04.2016). Anders als in Deutschland stimmen französische Imame dieser französischen Sicherheitspolitik zu; ähnlich verhält sich die Islamgemeinde in den USA. Das deutsche Sonderweg-Denken wird opportun von Islam-Funktionären in Deutschland übernommen.

Als dann 2016 die Terroranschläge stattfanden, an denen Islamisten, die als Flüchtlinge kamen, beteiligt waren, blieben Politiker zunächst stumm und reagierten dann in Begleitung der Medien mit dümmlichen Phrasen wie »kein Generalverdacht«, »keine Stereotypisierung«, »das sind Einzelfälle«, »das hat mit Islam nichts zu tun«, »man darf die Flüchtlinge nicht verteufeln« usw. Es ist aber geboten, gemeinsam verantwortungsethisch über Probleme nachzudenken und frei darüber zu sprechen, nicht propagandistisch zu moralisieren. Nicht anders als mit »Verantwortungsgefühl« denke ich über das Thema Sicherheit nach, das eines der großen Probleme Europas ist.

Wenn man über den Tellerrand blickt, also über Deutschland hinaus schaut, dann sieht man, welchen Rang die Sicherheits-Problematik in der Migrationsforschung hat. Myron Weiner hat pionierhaft in seinem 1995 erschienenen Standardwerk The Global Migration Crisis die Probleme dargelegt; er widmet dieser Problematik das ganze sechste Kapitel (S. 131–149). Darin steht an zentraler Stelle die Erkenntnis: »A large influx of refugees or unwanted migrants can strain the economy, upset a precarious ethnic balance, generate internal violence or threaten a political upheaval at the national or local level … immigration has become recognized as affecting a country’s security and stability« (S. 131). Dies sind die Realitäten in Deutschland seit 2015. Wer so redet wie die MIT-Autorität Myron Weiner (selbst jüdischer Migrant aus dem Baltikum), riskiert den Vorwurf des Populismus. Die Forschung erkennt, dass Migrationsschübe »have generated conflicts« (ebd.).

In diesem Sinne erkennt die internationale Forschung, wie Myron Weiner ausführt, vier Bedrohungen in folgenden Bereichen:

1. Missbrauch der Aufnahmegesellschaft zur Logistik für Opposition gegen home regimes. Ich kann aus meiner eigenen Forschung dieses Beispiel anführen: Islamistische Bewegungen, die in ihren eigenen Ländern verfolgt werden, kämpfen von Deutschland aus für einen Scharia-Staat, den sie in ihren Ländern errichten wollen; sie missbrauchen Europa für ihre Logistik auf allen Ebenen.

2. Eine Gegnerschaft zum Gastland (host country), etwa durch antiwestliche Islamisten in Europa. Sie nehmen das europäische Asylrecht in Anspruch, um gegen die »Ungläubigen« in Europa zu kämpfen.

3. Bedrohung der kulturellen Identität (threat to cultural identities, Weiner, S. 140–142). In Deutschland ist dieses Thema tatsächlich tabu, und wer dieses Tabu bricht, gilt als »rechtsradikal«.

4. Soziale und wirtschaftliche Belastungen (social and economic burdens), d.h. die Belastungen für den Sozialstaat (die Flüchtlinge kosten Deutschland jährlich 28–30 Milliarden Euro).

Ich möchte zu diesen vier Bedrohungen ergänzend noch folgende Informationen geben: Zu Punkt (1): Nach einem Bericht der Zeitung Die Welt vom 17.12.2016 haben Afghanen ihre Mitgliedschaft bei den Taliban, also einer Terrororganisation, als Asylgrund angegeben. Es ist ein Irrsinn, dass Deutschland militärische Truppen nach Afghanistan schickt, um die Taliban-Terroristen zu bekämpfen, diesen aber parallel Asyl in Deutschland gewährt. Zu Punkt (3): Zum Thema Identität möchte ich die Diskussion auf die 44. Römerberggespräche lenken, bei denen jeder, der von Identität redete, als »identitärer Populist« beschimpft wurde.

Generell führen Migrationsschübe, so Weiner, als »unwanted and uncontrollable flows of migrants and refugees« zu Gewaltförmigkeit und Destabilisierung. »Liberal Democracies« sollten nach Weiner das Recht haben, »to determine which migrants will be permitted to enter«, und auch verhindern dürfen, dass bestimmte »refugees and unwanted immigrants«, die ein Sicherheitsrisiko darstellen, einreisen. Von diesem Recht macht die demokratisch gewählte britische Regierung heute 2016/2017 in Calais Gebrauch bei der Verweigerung der Einreise von 10.000 afrikanischen, in Frankreich nicht verfolgten Flüchtlingen und wird deshalb von »Pro Asyl« verfemt. Die Antwort dieser Flüchtlinge ist abscheuliche Gewalt, von Brandstiftung bis zu gewalttätigen Angriffen auf die Polizei. Das darf nicht sein. Was das demokratische Großbritannien tut, müssen auch anderen europäische Länder tun dürfen.

Nach den Terroranschlägen Anfang 2016 in Frankreich und Belgien und im Juli auch in Deutschland konnte das Thema Sicherheit nicht mehr ausgeblendet werden. Bei einer weiteren Einhaltung von Tabus kann keine Diskussion über die Probleme, die mit der Zuwanderung aus der Welt des Islam sowie mit der Integration zusammenhängen, rational geführt werden. Ich beuge mich nicht der deutschen Tradition der »inneren Zensurinstanz«, die Adorno anprangert, weil sie nicht nur die Äußerung »unbequemer Gedanken«, sondern auch das Denken »selbst verhindert« (Adorno). Das deutsche Grundgesetz gewährt Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, und hiervon mache ich beim Verfassen dieses Buches Gebrauch. Ich weiß bestens, dass die Verfassungswirklichkeit, die durch eine Form von Meinungstyrannei des vorherrschenden Narrativs bestimmt wird, nicht in Einklang mit der Verfassungsnorm steht. In meinem letzten ibidem-Buch Europa ohne Identität? (erschienen 2016) habe ich diese Problematik sachlich erläutert und ausgeführt, dass es in Deutschland keine Debating Culture gibt; dies ist das große Manko der deutschen Post-1945-Demokratie.

Ist Integration unter solchen Bedingungen möglich? Ist sie die Zauberlösung? In den Jahren 2000–2002, als ich an der ursprünglichen Fassung dieses Buches arbeitete, stelle ich mit dem Untertitel Die gescheiterte Integration nicht eine Behauptung, sondern eine soziale Tatsachefest. Damals war die Sachlage der islamischen Migration nach Europa mit allen konfliktbeladenen Folgen zwar besorgniserregend genug, aber in ihrem Ausmaß bei weitem nicht so dramatisch, wie sie sich heute, 2017, darstellt. Damals, 2002, gehörten nur rund 4 Millionen Muslime zur Wohnbevölkerung Deutschlands. Mehr als 60 % davon waren damals Türken, der Rest kam aus der ganzen Welt, jedoch vor allem aus Nahost und Afrika. In dem folgenden Jahrzehnt und bis zum Beginn der Flüchtlingskrise stieg diese Zahl auf 5 Millionen. Etwa ein Jahr nach der Krise beträgt die islamische Wohnbevölkerung Deutschlands heute rund 6,5 Mio. Ich räume ein, dass diese Zahlen auf Schätzungen beruhen. Denn die Zahlen, die uns Behörden und Presse präsentieren, sind ungenau bis zur Unbrauchbarkeit; oft frisiert, ja, manchmal sogar leider bewusst gefälscht. Ich bringe ein Beispiel für die einander widersprechenden Zahlen der Libyen-Route afrikanischer Flüchtlinge: Die Süddeutsche Zeitung spricht am 07.10.2016 von 160.000 Flüchtlingen, dann, am 08./09.10.2016, jedoch plötzlich von 280.000; der Spiegel gibt am 24.09.2016 nur 130.000 Flüchtlinge an. Diese Zahlen stimmen alle nicht. Die FAZ-Journalistin Karen Krüger gibt in ihrem Buch Eine Reise durch das islamische Deutschland die Zahl der Muslime in Deutschland mit 4 Millionen an; es sind aber um die 6,5 Millionen. Weiß sie das nicht?

Warum dieses Spiel mit den Statistiken? Der einfache Grund hierfür ist die Gutmenschen-Intention, Migranten vor Vorurteilen zu schützen und gegenüber der Bevölkerung alles herunterzuspielen, um sie nicht zu beunruhigen, statt sie über steigende Flüchtlingszahlen zu informieren; es soll keine Angst vor der steigenden Präsenz des Islam und den damit verbundenen Problemen entstehen. Alles, was als »bad news« einzustufen ist, wird nach dieser »Logik« in Deutschland gleichsam verboten oder ausgeblendet. Die Medien sind von einer Maxime der Priorität für »good news« geleitet, wie etwa Berichte über gelungene Integration zu verbreiten, und wenn es keine »good news« gibt, werden sie eben erfunden. Wer widerspricht, wird des Populismus bezichtigt, mithilfe der Keule »Rechtspopulismus« inkriminiert und dann ausgegrenzt. Zu den Opfern dieses eher totalitären als islamfreundlichen bzw. demokratischen Zeitgeistes gehörte auch über Jahre hinweg das vorliegende Buch über Islamische Zuwanderung. Zu der Tatsache, dass ich damals im Untertitel empirisch korrekt eine gescheiterte Integration feststellte, kam noch eine weitere Tatsache hinzu, nämlich der Irak-Krieg, der mich Deutschland erheblich entfremdete.

Nachweislich gehörte ich nicht zu den Befürwortern des Irak-Krieges (s. beispielsweise auch mein Kapitel über den Irak-Krieg in der Festschrift Politik als Wissenschaft für Wilfried Röhrich [S. 571–594]), aber damals war ich nicht bereit, den dominierenden, von mir als äußerst widerlich empfundenen deutschen Anti-Amerikanismus mitzumachen; ich lehnte diesen Hang vehement ab. Der Preis hierfür war Ausgrenzung. Beide Umstände – mein Buch über gescheiterte Integration und meine ablehnende Haltung zum Irak-Krieg – haben zu einer über Nacht vollzogenen totalen Verbannung meiner Person aus allen deutschen Medien geführt, die bis 2016 anhielt. In meinem Artikel in der Basler Zeitung Ich weigere mich, zu schweigen (auf meiner Homepage zu finden) habe ich diese Geschichte erzählt. Alle großen deutschen Verlage, die mich zwischen 1973–2002 veröffentlichten, verschlossen mir ihre Türen. Die DVA, die 2002 die erste Fassung dieses Buches herausbrachte, war der letzte große deutsche Verlag, der mich veröffentlichte. Danach und bis 2009 verblieb einzig und allein die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG), die mir die Tür offen hielt und hierfür meine Ehrerbietung erhält. Es war ein Glück, dass ich Anfang 2016 den Verleger Christian Schön kennenlernte, der mich seitdem als Autor auf den deutschen Buchmarkt zurück bringt, zuerst mit Europa ohne Identität? (2016), dann zum zweiten Mal mit dem vorliegenden Buch. Wir beide planen, dieses Unternehmen fortzusetzen.

Die vorliegende Neuausgabe erscheint also im Rahmen meiner Rückkehr auf die öffentliche Bühne als ein Aufklärungs-Muslim, der sich zum Europa der Aufklärung von Kant bekennt. Wie Europa ohne Identität? erfuhr auch dieses Buch durch die Flüchtlingskrise eine Umgestaltung. Ich stelle empirisch eine Gleichzeitigkeit fest: nämlich die einer millionenstarken Zuwanderung aus der Welt des Islam parallel zur Unfähigkeit von Staat und Gesellschaft in Deutschland, diese Muslime als Bürger im Sinne von citoyens einzugliedern, d.h. zu integrieren. Ich wiederhole meinen »Unglauben« in Bezug auf das Märchen von den »neuen Deutschen«, das vom Ehepaar Münkler im »Geiste ihrer Kanzlerin« (so The European, s.o.) geschriebene Buch, das unter auffälliger medialer Steuerung so gut von Staatsjournalisten propagiert und vermarktetet wird, dass es auf die Spiegel-Bestseller-Liste befördert wurde. Ich begründe diesen »Unglauben« an die Münkler-Botschaft wie folgt:

In einem Gespräch mit dem britischen Magazin The Economist, das in der Ausgabe vom 03.09.2016 anlässlich von Germany’s refugee anniversary veröffentlich wurde, habe ich, ohne Münklers Buch über Die neuen Deutschen zu kennen, eine entgegengesetzte Position im europäischen Ausland vertreten (nachlesbar auf meiner Homepage). Gegenüber The Economist habe ich argumentiert, dass die deutsche Integrationspolitik auch weiterhin scheitern wird. Die ursprüngliche Ausgabe dieses Buches trug den Untertitel Die gescheiterte Integration. Integration kann nicht durch Alimentierung und Unterbringung und erst recht nicht durch »teaching refugees German and getting them jobs« erreicht werden, »it is really about identity«, sagte ich und fügte hinzu: »This is where German society fails.« Hier versagt die deutsche Gesellschaft. Das ist zugleich die Wahrheit und die Art von »bad news«, die Vertreter des herrschenden Narrativs absolut nicht hören wollen und sie deshalb unterdrücken.

In meiner gesamten Laufbahn als deutscher Professor für Politikwissenschaft seit 1973 habe ich es nicht erlebt, dass ein Buch wie das der Münklers auf so aggressive und gelenkte Weise von den Hauptmedien dermaßen befördert wurde, dass es zum Spiegel-Bestseller avanciert. Wie kommt dies zustande? Es ist nicht seine Qualität; der Grund ist, dass das Buch dem herrschenden Narrativ entspricht und die Autoren ihr Pamphlet »im Geiste ihrer Kanzlerin« geschrieben haben. Im Gegensatz hierzu wurde mein Buch über islamische Zuwanderung von 2002 von den Leit-Medien total verschwiegen, weil es in seinem Untertitel die Tatsache einer gescheiterten Integration verlautbart.

Im Gegensatz zur Naivität von Merkels Willkommenskultur und zu ihren Anhängern bin ich laut The Economist »less sanguine«. Gegenüber The Economist habe ich die Befürchtung geäußert, dass Merkels Willkommenskultur von 2015 »could even turn Germany into a ›failed state‹«. The Economist zitiert mein Konzept vom Euro-Islam als Integrationskonzept sowie meine Zweifel an der Umsetzbarkeit dieser Vision in eine policy. Im 7. Kapitel unten erläutere ich den »Euro-Islam« als »kulturelle Grundlage für die Integration islamischer Migranten aus Asien und Afrika«. Das darauf folgende 8. Kapitel hat »Europäische Leitkultur und Integration für muslimische Migranten als Perspektive« zum Inhalt. Beide Kapitel schrieb ich vor 15 Jahren, also 2002, und stehe heute, 2017, unverändert und felsenfest zu jeder Zeile und zu jedem Wort von damals. Deswegen wiederhole ich hier meine Auffassung: Ohne Bürger-Identität und zivilgesellschaftliche Leitkultur kann es keine Integration islamischer Zuwanderer als citoyens geben.

Die Probleme der islamischen Zuwanderung nach Europa sind heute wie gestern dieselben geblieben, so, wie sie in der Erstausgabe dieses Buches von 2002 im Einzelnen dargestellt und analysiert werden. In dieser Einführung werde ich die neue Sachlage nach der millionenstarken »demografischen Lawine« von 2015/2016 sowie die daraus resultierenden Probleme näher berücksichtigen. In diesem Kontext fallen mir zehn Problemfelder auf, die ich im Folgenden aufliste. In dieser Einführung kann ich jedoch nur die allerwichtigsten fünf hiervon in je einem Abschnitt einer genaueren Analyse unterwerfen (Abschnitte 4–6, 8 und 10). Die anderen fünf Problemfelder wurden bereits in der Erstausgabe von 2002 untersucht. So wird der Unterschied zwischen Ein- und Zuwanderung in Kapitel 2, Integration in Kapitel 3, Parallelgesellschaft in Kapitel 4 usw. untersucht. Die anstehenden zehn Problemfelder sind die folgenden:

1. Die fehlende Unterscheidung zwischen Ein- und Zuwanderung: Diese Differenz erkläre ich in Kapitel 2; sie muss jedoch im Lichte der Flüchtlingskrise neu erläutert werden. Einwanderung basiert auf einem Verfahren mit einem gesellschaftlichen Konzept bzw. einer policy, so, wie dies in den traditionellen Einwanderungsländern USA, Kanada und Australien praktiziert wird. Zuwanderung ist dagegen unreguliert und naturwüchsig. Die USA gelten demnach als ein Einwanderungsland, wohingegen Deutschland ein Zuwanderungsland ist; beide Begriffe dürfen nicht synonym verwendet werden, wie dies in der öffentlichen deutschen Diskussion getan wird. Obwohl diese begriffliche Differenzierung alles andere als neu ist, wurde sie in der aktuellen Debatte nicht beachtet, weil viele wie die Münklers Bücher schreiben, ohne die einschlägige Forschung zu berücksichtigen; sie ignorieren, was andere zuvor gedacht und veröffentlicht haben.