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**Ein Kuss, so kostbar wie gesponnenes Gold** Die junge Ayjana ist seit dem Tod ihres Vaters stets darauf bedacht, keinem Menschen zu vertrauen. Sie lebt am Rande des Waldes und versucht alles, um ihre Magie vor den Augen anderer zu verbergen. Doch als die Königin erkrankt, kann Ayjana die Bitte des Prinzen nicht ausschlagen und bringt fortan jeden Tag eine heilende Tinktur ins Schloss. Mit jedem Besuch kommt sie nicht nur den Intrigen am Hofe, sondern auch dem Sohn der Königin immer näher. Aber die Geheimnisse von Prinz Nicolas sind gefährlicher als jede Klinge. Und schon bald muss Ayjana feststellen, dass zwischen Freund und Feind nur ein schmaler Pfad liegt, den eine Spindel gesponnenes Gold erschreckend schnell zum Einsturz bringen kann … Eine fantastische Märchenadaption Das Märchen der Brüder Grimm um ein Mädchen, das Stroh zu Gold spinnen muss, auf magische Weise neu erzählt. Seite um Seite wirst du tiefer in eine Welt gezogen, in der das Wissen um einen Namen mehr Macht bedeutet als das Tragen einer Krone. //Dies ist der erste Band der märchenhaft-romantischen Buchserie »Jadewein«. Alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress: -- Jadewein 1: So golden wie Stroh -- Jadewein 2: So silbern wie Tränen//
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Katelyn Erikson
Jadewein 1: So golden wie Stroh
**Ein Kuss, so kostbar wie gesponnenes Gold**Die junge Ayjana ist seit dem Tod ihres Vaters stets darauf bedacht, keinem Menschen zu vertrauen. Sie lebt am Rande des Waldes und versucht alles, um ihre Magie vor den Augen anderer zu verbergen. Doch als die Königin erkrankt, kann Ayjana die Bitte des Prinzen nicht ausschlagen und bringt fortan jeden Tag eine heilende Tinktur ins Schloss. Mit jedem Besuch kommt sie nicht nur den Intrigen am Hofe, sondern auch dem Sohn der Königin immer näher. Aber die Geheimnisse von Prinz Nicolas sind gefährlicher als jede Klinge. Und schon bald muss Ayjana feststellen, dass zwischen Freund und Feind nur ein schmaler Pfad liegt, den eine Spindel gesponnenes Gold erschreckend schnell zum Einsturz bringen kann …
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Vita
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© Foto-Studio Becker
Katelyn Erikson wurde 1995 in Kasachstan geboren und lebt heute gemeinsam mit Mann, Hund und Pferd im ruhigen Rheinland. Sie schreibt seit sie fünf ist. Dabei wurde sie tatkräftig von ihrem Großvater unterstützt. Heute balanciert sie ihren Alltag munter zwischen ihrem Leben als tierische Mama, Ehefrau, Vollzeitberufstätige und Autorin. „Schlaf“ ist für sie ein Fremdwort.
Geliebte Tochter,
Du bist kostbar und voller Kraft.
Drum nutze sie weise und mit Bedacht.
Vergiss nie der Menschen Lügen.
Sie werden dich jagen und Fehler rügen.
Mein Kind, gebe acht und höre zu,
vergiss die Rache und such die Ruh.
Eine letzte Warnung, so lausch genau:
Werde keines Menschen Frau.
Denn die größte Schwäche aller Zeit,
der Liebe Kuss, bis in die Unendlichkeit.
Drei Jahre waren vergangen, seit Vater ums Leben gekommen war. Noch immer vermissten Mutter und ich das tiefe Lachen, das genervte Fluchen oder die spitzen Bemerkungen, die er von sich gegeben hatte, wenn er am Spinnrad saß und Stroh zu Gold spann. Die Stille machte mich traurig und untermalte die Leere, die sein Verlust in meinem Leben hinterlassen hatte.
Die leise Hoffnung, ihn zu sehen, wenn ich nach Hause kam, war nie zur Gänze gewichen. Immer wenn ich mit Beeren und Kräutern, die Mutter für ihre Tinkturen brauchte, heimkam, wartete ich darauf, ihn über einem Buch brütend in seinem alten grauen Sessel vorzufinden. Die Hände voller Tinte, hatte er stundenlang Notizen in eines der Bücher kritzeln können, während er an neuen Tränken und Zaubersprüchen arbeitete.
»Wir müssen nach vorne sehen, Kind.« Ertappt fuhr ich zusammen und sah zu meiner Mutter, die mich mit einem traurigen Lächeln bedachte. Wie jeden Abend saß ich an Vaters Spinnrad, ohne es zu benutzen. Seit seinem Tod hatte ich es nicht mehr über mich gebracht, das trockene Stroh in goldene Fäden zu verwandeln. Stattdessen hatte ich mich der Lehre der Kräuter und Tränke zugewandt, die Mutter mir mit unendlicher Geduld beibrachte.
»Vater hätte gewollt, dass ich seine Arbeit fortsetze.« Seufzend stand ich auf und warf die Laken über das Spinnrad, mit dem er einst zahlreichen Menschen geholfen hatte. Alte, längst vergessene Geschichten lebten selbst nach seinem Tod in uns weiter. Erzählungen, Jahre her und doch wahrer als die Sonne am Himmel. »Selbst jetzt, da er tot ist, schaffe ich es, ihn zu enttäuschen«, flüsterte ich mit erstickter Stimme. »Ich hätte mehr lernen müssen, um so gut zu sein wie er. Im Gegensatz zu ihm habe ich bislang niemandem mithilfe meiner Magie geholfen. Weder habe ich Stroh zu Gold gesponnen noch andere Wünsche erfüllt, mit denen ich Menschen das Leben erleichtert hätte.« Frustriert und verzweifelt zugleich ließ ich die Schultern hängen.
»Dein Vater hätte sich gewünscht, dass du dein Glück findest. Dich so zu sehen hätte ihm das Herz gebrochen. Du weißt, dass er hart darum gekämpft hat, uns ein gutes Leben zu ermöglichen, und dass er dich über alles geliebt hat. Hör auf zu denken, dass er enttäuscht von dir gewesen wäre, denn das ist absoluter Unsinn, und du weißt, dass er nicht immer so gut und freundlich war, wie du ihn kanntest. Niemals hätte er sich gewünscht, dass du den gleichen einsamen Weg antrittst, wie er es einst tat, bevor er sich zum Besseren besann.« Mutter zog mich in die Arme und drückte mir einen liebevollen Kuss auf die Stirn. »Hör auf zu trauern und bewahre sein Andenken in deinem Herzen. Außerdem wird es Zeit, dass du einen Mann findest.«
Entsetzt entzog ich mich ihrer Umarmung und musterte sie irritiert. Es erstaunte mich immer wieder aufs Neue, wie nebensächlich Mutter solche Dinge aussprechen konnte, wie sprunghaft sie die Themen mit einer unbegreiflichen Leichtigkeit wechselte. Als würde sie über das Wetter sprechen und nicht über meine Zukunft. »Das ist nicht dein Ernst«, stieß ich entgeistert aus.
Doch Mutter lächelte mir sanft zu. »Du weißt, dass ich nur das Beste für dich möchte. Irgendwann werde ich nicht mehr für dich da sein können. Allein der Gedanke daran, dich allein zurückzulassen, zerbricht mir das Herz.« Liebevoll glitt sie mit den Fingern durch mein Haar, bevor sie sich abwandte und die Küche verließ.
Mir war bewusst, wie sehr sie mich liebte und wie groß ihre Sorge um mich war – und doch wollte ich dies alles nicht. Schlagartig kehrte die Erinnerung an Vaters letzte Worte zurück, die sich tief in mein Herz gegraben hatten. Die Warnung, mein Herz nicht zu verlieren und den Menschen kein Vertrauen zu schenken, würde ich beherzigen.
Es waren schließlich ebenjene, die aus Furcht vor Magie die Jagd auf alles Unerklärliche eröffnet hatten. Erst mit Vaters Tod war die Hetze vorläufig abgeklungen. Hätten sie gewusst, dass er eine Familie gegründet hatte, hätten Mutter und ich nicht unbekümmert an den Rand des Dorfes ziehen können, wo wir unseren Unterhalt als Heilerinnen verdienen konnten. Unsere Sorte wurde lediglich geduldet, da wir für die Menschen von Nutzen waren. Blieb die Frage, für wie lange noch.
Bevor ich Mutter folgte, trat ich zu der gewaltigen Vitrine, die Vater einst gebaut hatte, um seine liebsten Schätze darin aufzubewahren. Hinter dem sauberen Glas lagen sie verstaut. Zahlreiche Erinnerungsstücke, darunter ein Knopf, den er als Kind für seinen ersten Handel erhalten hatte, oder die Feder eines Phönixes, die er von einer Hexe in Not für seine Hilfe erhalten hatte. Manches schien wertlos zu sein – und doch gäbe es für mich nicht genug Gold auf der Welt, um es aufzuwiegen. Erinnerungen, so schwer und schön zugleich.
»Ich vermisse dich«, flüsterte ich und spürte die Schwere des Verlustes auf meinem Herzen.
Bevor ich mich abwandte, sah ich zum Halsband und zum Ring der Königin. Beides schimmerte golden. Doch während die schlichte feingliedrige Kette zahlreiche Kratzer aufwies, funkelte das andere Schmuckstück ohne eine einzige Tragespur. Selbst der rote Edelstein in der Mitte wirkte unangetastet. Dies waren die letzten Überreste aus der Zeit, als sie noch eine einfache Müllerstochter gewesen war, mittellos und verzweifelt.
Traurig lächelte ich, als ich an die Geschichten von einst dachte. Eine junge Frau, deren Vater mit ihrer Schönheit geprahlt und im Moment der Unachtsamkeit eine Lüge in die Welt gesetzt hatte, die beinahe ihrer beider Leben beendet hätte.
Damals überwand Vater seine dunkle Seite und beschloss, der armen Frau zu helfen. Für sie spann er Stroh zu Gold, drei Nächte lang. Nur dank ihm war sie noch am Leben. Doch all das Gute, das Vater bezwecken wollte, war vergebens. Selbst der Verzicht auf seinen letzten Lohn, das Erstgeborene der Müllerstochter, führte zu keiner positiven Wendung, denn von dem unschuldigen Mädchen von einst war nichts mehr geblieben.
Unbarmherzig regierte die Königin über das Land Niewedaj. Habgier, Egoismus und Rachsucht trieben sie an. Der Tod des Königs hatte sie zur Alleinherrscherin gemacht. Unter ihrer Regentschaft entbrannte ein jahrelanger Krieg, der zum Tod durch das Schwert und Hunger zahlreicher Bürger führte. Meine Familie hatte sich bis zuletzt im Wald aufgehalten, fernab der Grausamkeit der Menschen.
Vater hatte für unser Wohl gesorgt, bis die Königin von seinem Überleben erfuhr. Wie dies hatte geschehen können, war noch immer ungewiss. Doch im Grunde war es gleichgültig. Es änderte nichts an der Tatsache, dass er nicht mehr bei uns war und sie zum Werkzeug des Untergangs ihres einstigen Retters wurde, gierend nach noch mehr Gold, das Vater ihr verweigerte. Doch wir wussten, dass hinter dem Wandel der Königin mehr verborgen war. Neid um die Magie, die durch unsere Adern floss!
Viele hatten längst verdrängt, was einst gewesen war. Wie das Leben vor der Regentschaft der Königin ausgesehen hatte. Wer mein Vater war und was er für zahlreiche Bürger in der Zeit nach seiner dunklen Phase getan hatte. Aber ich würde nicht vergessen, ich würde nicht verzeihen.
Denn das Leben meines Vaters war vorbei, während das der Königin weiterging. Irgendwann würde ich seinen Tod rächen. Doch bis dahin blieb mir nichts weiter, als das Leben fortzuführen, das wir hatten, meine Mutter zu unterstützen und sein Vermächtnis im Herzen zu tragen. Das war ich ihm schuldig. Denn so, wie er es einst getan hatte, hielt auch ich mich verborgen, meinen wahren Namen für mich behaltend. Niemand durfte ihn erfahren, denn Namen bedeuteten Macht.
»Ach, wie gut, dass niemand weiß«, flüsterte ich und sah aus dem Fenster – und ich spürte ein trauriges Lächeln auf den Lippen.
***
Das Leben verlief wie immer. Es war bestimmt von kurzen Gesprächen über die Kundinnen meiner Mutter, die um Kräutertinkturen baten. Manchmal kauften sie Heiltinkturen gegen Fieber für ihre Kinder, Wundsalben für ihre Männer oder Schlafmittel für sich selbst. In seltenen Fällen kam jemand und verlangte nach einem vergifteten Trank, den wir jedoch nicht verkauften. Kein Mensch sollte die Möglichkeit haben, sich durch unsere Hilfe hinterrücks den Tod eines anderen zu erschleichen, gleichgültig, wie begründet so ein Handeln sein mochte.
Die Dorfbewohner waren schon lange nicht mehr in der Lage, uns mit Gold zu bezahlen, doch das, was sie gaben, war genug, um zu überleben. Eier, Milch, Käse und Brot. Manchmal erhielten wir ein paar Münzen, zwischendurch auch einzelne Schmuckstücke. Und zuweilen bekamen wir sogar ein Huhn oder eine Ziege.
Während Mutter den Hausputz übernahm, war ich für den Stall und die Tiere zuständig, an die wir durch Handel gelangten. Täglich mussten sie gefüttert, die Schlafplätze gereinigt und das Fell gepflegt werden. Die Kuh versorgte ihr Kalb und uns mit Milch, während die Hühner Eier legten. Es kam selten dazu, dass wir ein Tier schlachten mussten. Vielmehr lebten wir aus unserem Garten, dem nahegelegenen Wald oder von den eingetauschten Speisen.
So verstrichen die Tage. Kaum einer unterschied sich vom anderen. Bis eines Morgens Gerüchte aufkamen. Es wurde gemunkelt, dass die Königin erkrankt sei, aber so wirklich wusste niemand etwas darüber.
Gewissheit gab es erst, als nur wenige Wochen vor meinem achtzehnten Geburtstag unerwarteter Besuch erschien. Zwar war ich es gewohnt, dass Burschen und junge Männer uns aufsuchten, wenn es ihren Frauen und Müttern schlecht ging, doch der Norm entsprach dies nicht. Noch seltener begegnete uns eine ganze Reiterschaft, die die Straße entlangritt. Direkt auf uns zu.
Irritiert sah ich von meiner Arbeit auf und runzelte die Stirn. Die Hände voll Dreck, weil ich das Unkraut gejätet hatte, hielt ich den Unterarm über die Stirn, um nicht von der Sonne geblendet zu werden. Erst begriff ich nicht, was ich da sah, bis die Reiterschaft nah genug war. Dann erkannte ich, wer uns da beehrte. Es waren unverkennbar die Soldaten der Königin.
»Kind!« Stürmisch verließ Mutter das Haus und rannte auf mich zu. Panik war in ihren Augen zu erkennen, aber es war bereits zu spät. Statt den Versuch zu unternehmen, mich zu verstecken, wischte ich die Hände an einem Tuch sauber, das ich daraufhin in einen Eimer warf. »Sag nichts«, mahnte mich Mutter. Schwer atmend blieb sie vor mir stehen, der Körper vor Anspannung zitternd.
»Mutter …«, flüsterte ich, doch sie stieß ein leises Zischen aus, das mich zum Verstummen brachte.
»Kein Wort«, warnte sie mich erneut. »Sie dürfen nicht in das Arbeitszimmer. Gleichgültig, was passiert.« Nervös strich sie die Schürze um ihre Hüften glatt. Wenn die Wachen unser Haus durchsuchen und auf Vaters Spinnrad stoßen würden, wäre es vorbei mit dem Versteckspiel. Jeder würde wissen, dass wir etwas mit ihm zu tun hatten.
Die feine Schnitzerei, die hauchdünne Nadel und die filigranen, in Handarbeit eingefassten Ornamente waren einzigartig. Die Königin kannte unser Spinnrad, hatte sie doch einst dabei zugesehen, wie Vater sie damit gerettet hatte. Gewiss waren auch ihre Soldaten damals, während der Jagd, darüber unterrichtet worden, wie es aussah.
Mühsam zwang ich mich, stehen zu bleiben, statt mich schützend vor meine Mutter zu stellen. Sie mochte heilende Kräfte besitzen, doch in Wahrheit war ich es, die sie zu beschützen bestimmt war. Hätte mich Vater doch besser im Kampf ausgebildet, dann wäre ich jetzt nicht so nervös. Stattdessen konnte ich lediglich mich verteidigen. Besser als nichts.
»Ihr da«, donnerte die Stimme des ersten Reiters quer über den Hof. Er zügelte das Pferd und fixierte uns mit eisigem Blick. Seine strahlend weiße Rüstung wirkte steif und schwer. Das ebenso weiße Ross stieß ein Schnauben aus, während es tänzelnd in unserer Nähe stehen blieb. »Bist du Niara?«
Mutter schob eine blonde Locke unter das Kopftuch, das sie zum Bändigen ihrer langen Haare umgebunden hatte. Doch kaum dass sie die Hand senkte, rutschte ihr die widerspenstige Strähne wieder über die Schulter. »Das bin ich. Wie kann ich Euch zu Diensten sein, meine Herren?«
Der Wachmann musterte uns prüfend, ehe er sich umsah. Akribisch wurde jeder Fleck unseres bescheidenen Hauses begutachtet. Für einen Moment glaubte ich, er würde es durchsuchen wollen, aber das tat er nicht. Grimmig wandte er sich um und winkte den zurückgebliebenen Soldaten zu.
Erst jetzt näherten sich auch die verbliebenen Reiter unserem Heim, ein Dutzend an der Zahl. Alle trugen sie wie der erste Reiter weiße Rüstungen und ritten auf weißen Pferden, die eigens für das Königshaus gezüchtet wurden. Nein, nicht alle. Irritiert runzelte ich die Stirn, als ich jemanden sah, der nicht hätte da sein dürfen.
Von Soldaten flankiert ritt inmitten der Reiterkolonne ein Mann in einer tiefschwarzen Rüstung, die sich jeder seiner Bewegungen anzupassen schien. Dunkles Leder lag eng am Oberkörper des Reiters, darüber ein klirrendes Kettenhemd. Mein Blick glitt weiter zum Pferd, tiefschwarz und größer als seine Artgenossen. Als mir bewusst wurde, um wen es sich da handelte, stieg bittere Galle in mir hoch. Das konnte ja heiter werden!
»Das ist sie, Sire.« Der Sprecher neigte den Kopf, während die Reiter den Weg vor unserem Haus blockierten. Finster beobachtete ich, wie kein Geringerer als der Prinz persönlich abstieg. Feine Goldfäden durchzogen das ebenso schwarze Zaumzeug und den Sattel seines Pferdes. Anscheinend hatte Vater damals mehr als genug Stroh zu Gold gesponnen, damit sich das Königshaus solch teure Spielereien gönnen konnte. Schrecklich, wie verschwenderisch die Königin mit dem wertvollen Gut umging, das so vielen Menschen helfen könnte. »Das sind die Bauerntölpel«, fügte der Ritter hochnäsig hinzu.
Wut kochte in mir auf. Gerade als ich etwas sagen wollte, warf mir Mutter einen warnenden Blick zu. Ich biss mir auf die Zunge, bis mich ein metallischer Geschmack dazu zwang, den verkrampften Kiefer wieder zu entspannen.
»Du bist Niara?« Der Prinz kam auf uns zu. Seine Schritte waren trotz der schweren Rüstung leichtfüßig. Noch im Gehen zog er sich den Helm vom Kopf und offenbarte dunkelbraunes halblanges Haar. »Bitte vergebt die barschen Worte des Hauptmannes. Er vergisst gern seine Manieren.« Entschuldigend lächelte er uns an, wobei der Blick aus rehbraunen Augen einen Wimpernschlag zu lang auf mir ruhte, ehe sich der Prinz meiner Mutter zuwandte.
Dadurch war es mir möglich, ihn ausgiebig zu mustern. Er hatte ebenmäßige Züge, perfekt geschwungene Lippen und ein markantes, aber etwas rundliches Gesicht. Ein erster Bartschatten war zu erkennen, der ihn erwachsener wirken ließ, als er in Wahrheit war. Wenn ich mich nicht täuschte, wurde er diesen Sommer zwanzig Jahre alt.
»Das bin ich, Eure Hoheit.« Mutter beeilte sich und ging in einen tiefen Knicks, den ich nur widerstrebend nachahmte. Am liebsten würde ich dem Hochgeborenen vor die Füße spucken – in Gedanken bei meinem verstorbenen Vater.
»Erhebt euch, Heilerinnen.« Prinz Nicolas musterte uns unschlüssig, als wüsste er nicht, was er mit uns anfangen sollte. Dabei war er derjenige, der uns aufsuchte – und nicht umgekehrt. »Man munkelt, du wärst die Beste in deinem Handwerk, Heilerin Niara.«
Ich musste schwer an mich halten, um nicht laut loszulachen. Heilerin Niara. Aus seinem Mund klang ihre Betitelung lachhaft.
Mutter hingegen war nicht nach Lachen zumute. Das war ihrem verkrampften Schmunzeln anzusehen. »Nun, ich bin nicht schlecht«, antwortete sie ausweichend.
Prinz Nicolas schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Hab keine Angst vor mir. Ich bin mit einer Bitte gekommen. Wir benötigen Medizin.«
»Eure Hoheit, wir müssen zurück ins Schloss, bevor Eure Mutter etwas von Eurer Abwesenheit bemerkt«, flüsterte der Hauptmann dem Prinzen zu, kaum hörbar und doch laut genug, damit meine empfindlichen Ohren es mitbekamen. Demnach handelte der Prinz aus Eigeninitiative. Neugierig musterte ich ihn, während der Hauptmann uns einen abschätzigen Blick zuwarf. Zu gerne hätte ich ihm die Zunge entgegengestreckt.
»Stimmt.« Der Prinz räusperte sich und wandte sich wieder uns zu. »Bitte, fertigt mir eine Tinktur gegen Fieber und Krämpfe an. Selbstverständlich werdet ihr dafür entlohnt.« Mit einem letzten Blick zu mir drehte sich der Prinz wieder um und marschierte zurück zu seinem Pferd.
Irritiert wechselte ich einen kurzen Blick mit meiner Mutter. »Eure Hoheit, bitte wartet.« Niara beeilte sich und lief zu den Pferden, damit man sie besser hören konnte. »Wir benötigen genauere Angaben über das Krankheitsbild. Gibt es sonst noch Symptome?«, fragte sie sogleich, als sie sich der Aufmerksamkeit des Prinzen sicher war.
Verwundert blieb Nicolas stehen und wandte sich ihr zu. »Noch mehr?«, wiederholte er irritiert. Sorge flammte in seinen Augen auf. So ungern ich es auch zugab, aber ich konnte mit ihm fühlen. »Selbstverständlich«, murmelte er. Er wirkte hilfloser als ein neugeborenes Kalb. Trauer lag in seinem Blick, der mein Herz zum Krampfen brachte, denn auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, berührte mich seine von Leid gezeichnete Ausstrahlung.
Entschieden trat ich vor und ignorierte Mutter, die laut zu husten anfing und mir damit zu signalisieren versuchte, dass ich den Mund zu halten hatte. Wie damals, wenn ich mit Vater eine Diskussion begonnen hatte, die ich nicht gewinnen konnte.
»Wir benötigen noch einige Informationen«, erklärte ich sanft. Während er mich weiterhin anstarrte, als hätte ich mich in einen Ochsen verwandelt, stieß ich kontrolliert die Luft aus. »Für wen ist die Medizin? In welcher Verfassung befindet sich diese Person konkret? Ist sie ansprechbar? Welche Beschwerden liegen seit welchem Zeitraum in welcher Intensität vor? Grundlegende Dinge, Eure Hoheit, die für die Wahl der richtigen Heilpflanzen relevant sind.«
Schlagartig hellte sich die Miene des Prinzen auf. Älter als ich und doch so unerfahren. Lernte man im Schloss denn nichts vom wahren Leben? Wohl kaum. Er schluckte die Medizin, die ihm vom Heiler vorgesetzt wurde, ohne sie zu hinterfragen. Ein Funke Mitleid regte sich in meinem Bauch für die Menschheit.
»Du hast recht«, gab er sichtlich beschämt zu. Obwohl ich tatsächlich im Recht war, klang er dennoch ein klein wenig verärgert. Wohl wissend, dass mein forsches Auftreten Grund für seine Verstimmung war, lächelte ich ihm zu und hob abwartend eine Augenbraue. »Es handelt sich um Königin Luanne«, klärte er uns auf. Weshalb sonst sollte der Prinz persönlich kommen, um mit Nachdruck die Dringlichkeit dieses Auftrages zu beweisen?
Als er mich stumm anstarrte, musste ich schwer an mich halten, um nicht einen frechen Spruch von mir zu geben, wie ich es sonst mit jungen Männern tat, die mich oder eine meiner Freundinnen unverhohlen betrachteten.
»Worunter leidet sie?«, fragte nun auch meine Mutter, wenn auch wesentlich unterwürfiger als ich.
»Fiebrige Krämpfe halten sie in der Nacht und blutiger Husten am Tage wach.« Prinz Nicolas war es anzusehen, dass es ihm nicht behagte, mit uns über das Gebrechen seiner Mutter zu sprechen. »Unser Heiler sagt, es gäbe nur wenige Pflanzen, die helfen würden. Es soll eine geben, die, richtig erhitzt, heilsame Wirkungen hat. Er behauptete, dass ihr diese Pflanze kennen würdet. Selbstverständlich werdet ihr für eure Dienste fürstlich entlohnt, sofern ihr dem Königshaus helfen könnt«, wiederholte er sein Angebot von zuvor.
Charmant lächelte er mir zu, ehe er mich erneut so unauffällig musterte, dass es auffällig war. Dabei trug ich keines der feinen Stöffchen, die den Adelsdamen vorbehalten waren. Doch ich wandte mich ab und sah fragend zu meiner Mutter.
»Selbstverständlich werden wir Euch helfen«, erklärte sie sich bereit. Eine andere Wahl blieb uns ohnehin nicht.
»Gut.« Zufrieden nickend wandte er sich ab und zog sich in den Sattel. Doch bevor er das Pferd in Bewegung setzte, warf er mir einen letzten Blick zu. »Bring mir morgen den ersten Trank, Heilerin …?«
»Gern«, antwortete ich zögernd, ohne ihm meinen Namen zu nennen. Namen bedeuteten Macht. Zumindest, sofern es die echten waren!
»Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun«, mischte sich Mutter ein und trat einen Schritt vor. Damit lenkte sie die Aufmerksamkeit des Prinzen kurzzeitig auf sich.
Er runzelte die Stirn, bevor er sich mir zuwandte. Als ich stumm blieb, sah er mir mit nachdenklicher Miene in die Augen, ehe sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen.
»Gut«, sagte er leise, bevor er sich den Helm überzog und in Begleitung der Wachen zurück zum Schloss ritt.
Kaum dass er außer Hörweite war, wandte ich mich verärgert Mutter zu. »Noch unterwürfiger hättest du nicht sein können?« Obwohl ich wusste, dass anderweitiges Verhalten schwerwiegende Konsequenzen mit sich geführt hätte, missfiel es mir, Mutter so zu sehen. Erst recht gegenüber der Familie, die für Vaters Tod verantwortlich war. Und zu allem Übel verspürte ich wirklich etwas wie Mitleid für den Prinzen. Sosehr ich es versuchte, ich verstand meine seltsame Sympathie diesem Mann gegenüber nicht. Vielmehr ärgerte ich mich darüber.
»Du weißt genauso gut wie ich, dass wir keine andere Wahl haben.« Mit einem Mal war die unsichere Frau verschwunden. Stolz drückte Niara die Schultern durch und erhob anmutig das Kinn, während sie mit funkelnden Augen den Pferden hinterhersah. »Mir ist es zuwider, dieser Frau helfen zu müssen.«
Ich nickte. »Geht mir genauso. Aber vielleicht ist das der Moment, auf den wir gewartet haben.«
Schweigend beobachteten wir die Reiter, bis sie außerhalb unseres Sichtfeldes waren. »Nun, der junge Prinz hingegen schien dir gefallen zu haben.«
Wortlos wandte ich mich Mutter zu, die mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht ansah, doch noch bevor ich die Sprache wiedererlangen konnte, zwinkerte sie mir schelmisch zu und wandte sich ab, um ins Haus zurückzukehren.
***
Der Geruch von frischen Kräutern kitzelte in der Nase, als ich die Tür zu unserem Heim öffnete. Sie köchelten bereits seit einigen Stunden über dem Feuer in der Stube.
Tief in mir versunken überlegte ich, was vor mir lag. Zu gern würde ich der Königin unsere Hilfe verweigern und sie sterben lassen – und doch verspürte ich bei dem Gedanken eine schreckliche Enge in der Brust. Schwer schluckte ich die Zweifel hinunter, ob ich überhaupt in der Lage war, Vaters Tod zu rächen … Alles zu seiner Zeit.
Zuerst musste ich die Heiltinktur zusammenbrauen und mich im Schoss umsehen. Danach würde es sich zeigen, ob ich zu solchen Taten fähig war, die mir bereits jetzt schlaflose Nächte bereiteten, während die unstillbare Trauer in mir mich an den Rand des Wahnsinns trieb.
Langsam wandte ich mich ab und ich spürte das allgegenwärtige traurige Lächeln auf den Lippen. Die Königin würde noch den Tag bereuen, an dem sie Vater hintergangen hatte. Geduld war eine Tugend, die mir Vater immer wieder gepredigt hatte. Bald würde sich das Warten lohnen und die langersehnte Vergeltung bringen.
Blieb nur die Frage, ob ich bereit dazu war.
Während Mutter die trockenen Kräuter aus dem Vorratsschrank holte, war ich auf der Suche nach wildem Jadewein. In unseren Regionen war er schwer zu finden, da er üblicherweise in ganz anderen Gegenden beheimatet war. Man müsste meinen, dass er mit seiner türkisgrünen Farbe auffällig und somit leicht zu finden war, aber da er nicht in großen Mengen an einem Ort wuchs, sondern überall wild verstreut, musste man wachsam danach suchen. Oder aber, wie Mutter und ich es seit Jahren taten, man sammelte die Samen und pflanzte sie am Rande einer Lichtung, tief verborgen im Wald, sodass man sie jederzeit wiederfinden konnte.
Obwohl ich den Weg zur Lichtung und den ungefähren Ort von Jadewein kannte, dauerte es eine Weile, bis ich eine der über einen Meter langen Pflanze fand. Summend erntete ich eine hohe Strebe und legte sie in den Korb, den ich mitgebracht hatte.
Sanft berührte ich dabei die Blüten und achtete penibel darauf, sie nicht zu zerstören. Nur zu gern ließ ich mir die Zeit, um die Blütenpracht zu bestaunen. Selten und wunderschön. Immer wieder aufs Neue verlor ich mich in der Anmut der Natur. Einst hatte ich die Blüten mit Vater gesammelt. Noch immer überkam mich manchmal das Gefühl, er wäre bei mir und würde mich leiten. Es gab Zeiten, da glaubte ich zu hören, wie er mir alte Weisheiten erzählte, deren Bedeutung mir teilweise erst Jahre später bewusst wurde.
Schau, Kleine. Bewundere und ehre die Pflanzen, denn sie sind das Leben, die Seele und das Licht der Welt. Doch vergiss nicht, meine Blüte, so kostbar und selten der Jadewein auch sein mag, du bist es noch viel mehr.
Ein plötzliches Knacken ließ mich zusammenfahren. Vorbei waren die Harmonie und das Schwelgen in Erinnerungen. Ich drehte mich um und war sofort in Verteidigungsposition. Wachsam musterte ich die Sträucher und spürte, wie mir die Magie durch den Körper glitt, elektrisierend und lebendig. Bereit, mich gegen einen Angriff zur Wehr zu setzen, verharrte ich, bis ich erst das stolze Geweih eines Hirsches, dann auch seinen Kopf hinter den Blättern hervorschauen sah. Neugierig musterte er mich und blickte durch das Geäst, bevor er sich abwandte und davonsprang.
Mit rasendem Herzschlag sah ich ihm kopfschüttelnd nach, noch immer vor Anspannung zitternd. Nur langsam richtete ich mich wieder auf und schüttelte die steifen Glieder. »Du hast mich aber erschreckt«, murmelte ich noch, bevor ich den Jadewein mit einem Tuch überdeckte und mich wieder auf den Heimweg machte. Sosehr ich mich auch im Wald zu Hause fühlte, wusste ich dennoch, dass ich ihn niemals unterschätzen durfte. Obwohl ich magisch begabt war, war ich keineswegs unsterblich.
Gerade dieser Wald barg mehr Gefahren, als sich die Menschen auch nur vorstellen konnten. Fabelhafte Tiergestalten und gefährliche Pflanzen waren hier zu Hause. Wunderschöne Vögel, die dir die Augen auspickten, flauschige Häschen, deren Zähne rasiermesserscharf waren, oder auch Igel, die ihre giftigen Stacheln wie Pfeile abschießen konnten. Selbst eine einfache Efeuranke konnte hier schnell zum Erstickungstod führen. Sie ernährte sich von Blut, an das sie gelangte, indem sie ihr Opfer dermaßen fest umfasste, dass es zu tiefen blutigen Schnittwunden kam. Ich würde niemals das widerliche Geräusch vergessen, als sich eine der Efeuranken einen Geier gefasst und sich so fest um den breiten Leib geschlungen hatte, dass die Knochen knackend brachen.
Schnell verdrängte ich die Erinnerung und konzentrierte mich auf den dicht bewachsenen Weg vor mir. Geschickt schob ich mich zwischen eng aneinandergereihten Bäumen hindurch und vorbei an giftigen Dornenbüschen und süßlich riechenden Blumen. Das trügerisch fröhliche Zwitschern der Vögel begleitete mich, doch ich beging nicht den Fehler, zu stark auf den Gesang zu achten. Schneller, als man ahnte, konnte sich der fröhliche Tonfall in ein lautes Stakkato verwandeln, das so lange anschwoll, bis es einem das Trommelfell zum Platzen brachte. Der einzige Weg, den gefährlichen Lauten zu entkommen, waren Ohrenschützer aus Kaninchenwolle.
Das Problematische daran war, dass die Kaninchen ihre Wolle freiwillig geben mussten, da sie sonst ihre magischen Kräfte verlor. Dadurch brachte es den naiven menschlichen Jägern nichts, die Kaninchen zu fangen und ihnen die Wolle mit Gewalt zu rauben. Spätestens, wenn sie den vermeintlichen Schutz nutzend durch den Wald marschierten und dem Gesang der Paradiesvögel erlagen, wussten sie, dass es vorbei war. Der Gesang sorgte nicht nur für ein geplatztes Trommelfell, sondern raubte den Opfern obendrein die Orientierungsmöglichkeit. Als wäre das nicht schlimm genug, griffen die Vögel in Scharen an, um ihr Opfer bei lebendigem Leibe zu zerhacken.
Ein unschöner Tod, den ich bereits mehrfach beobachten durfte. Er lehrte mich eines: Unterschätze nie die Natur, so unscheinbar und harmlos sie auch aussehen mochte.
Die Vögel sind deine Freunde, so gefährlich sie auch sind.
Vaters Worte waren mir wie immer ein Rätsel. Aber seit ich den Vögeln im Frühjahr Wolle für ihre Nester brachte, sangen sie in den schönsten Tönen für mich. Und doch lief es mir bei ihrem Anblick eiskalt den Rücken hinunter. Wenn sie mich aus ihren schwarzen Murmelaugen ansahen, intelligent und wachsam, wurde mir ganz anders.
Aus diesem Grund hatten wir tief im Wald, wo mein Geburtshaus stand, eine unterirdische Höhle geschaffen, in der eigens gezüchtete Kaninchen leben und sich mit den Wildtieren paaren konnten. Da wir ihnen Schutz und Ruhe boten, ließen sie sich alle paar Monate freiwillig von uns scheren. Nicht ganz uneigennützig, schließlich konnten sie dank unserer Hilfe viel leichter der Hitze der wuchernden Wolle und damit dem drohenden Erstickungstod entgehen.
Die Kaninchen, Vögel und andere Tiere hinter mir lassend, kehrte ich summend in das Haus zurück, in dem Mutter und ich seit etwas mehr als zwei Jahren lebten. Allmählich bezweifelte ich, dass ich mich an die Anwesenheit der Normalsterblichen gewöhnen würde, denn noch immer fühlte ich mich auf den Straßen der Dörfer und Städte unwohl.
***
»Hast du es?« Mutter hob nicht einmal den Blick und starrte angestrengt in die kochende Brühe, die sie mit einem großen Holzlöffel umrührte.
»Natürlich.« Unaufgefordert stellte ich den Korb mit dem Jadewein ab, schnitt einen Teil des Stiels ab und begann damit, die ersten Schmetterlingsblüten abzuzupfen. Mystisch strahlendes Türkis fing in meinen Händen zu leuchten an, als ich etwas Magie hineinfließen ließ. In den Fingern spürte ich ein Prickeln, während ich meinen Geist nach den Blüten ausstreckte und ihnen einen Teil meiner Selbst schenkte.
Kraft, Liebe und die Möglichkeit, die komplette heilende Macht zu entfalten, die tief in den Blüten verborgen lag. Eine leuchtende Blüte nach der anderen warf ich in die kochende Flüssigkeit, bis sich dreizehn türkisfarbene Punkte aus dem sonst tristen Gebräu herauskristallisierten. Schweigend beobachtete ich Mutter, wie sie bunte Kräuter in den Topf warf und skeptisch die Tinktur beäugte.
»Warum helfen wir ihnen?« Widerstrebend rümpfte ich die Nase, während Mutter Reste pürierter Wurzeln aus einer Schale kratzte. »Wir könnten die Königin sterben lassen. Sie hätte es verdient –nach allem, was sie uns angetan hat. Das wäre die einfachste Art, uns ihrer zu entledigen. Wir müssten uns keinen waghalsigen Plan ausdenken oder sie selbst ermorden.« Die letzten Worte kamen als Flüstern über meine Lippen.
Es fröstelte mich. Die Arme um mich selbst geschlungen beobachtete ich, wie Mutter Mohnblumen in den Kessel gab. Sie mochte zwar als Heilerin betitelt werden, aber in Wahrheit war sie eine Hexe, die sich nicht davor scheute, jemanden für seine Vergehen leiden zu lassen. Doch ungeachtet ihrer Herkunft war sie eine friedliebende Person, doch wenn es jemand wagte, ihre Familie zu bedrohen, wurde sie zur Furie. Wieso machte sie dieses Mal eine Ausnahme? Wo war die Frau hin, die ihr Gewand aus Freundlichkeit und Liebe zum Wohle ihrer Familie gegen das der Kämpferin eingetauscht hatte?
Mutter warf mir einen traurigen Blick zu, ehe sie sich wieder dem Trank zuwandte. »Du weißt, wie sehr ich deinen Vater geliebt habe. Genauso gut weißt du, dass Nichtstun keine Lösung ist. Man würde uns ohnehin dazu zwingen, dieser Frau zu helfen. Womöglich könnten sie noch auf die Idee kommen, dich zu entführen und mich zu erpressen. Damit wäre uns nicht gedient.« Noch ehe ich widersprechen konnte, hob sie die Hand und schnitt mir das Wort ab. »Mir ist bewusst, dass du dich gut selbst verteidigen kannst, aber deine Ausbildung hatte erst begonnen, als uns dein Vater genommen wurde. Glaub mir, sie haben Möglichkeiten, deine Magie zu blockieren. Was dann? Willst du sie mit einem bösen Blick davon abhalten, dir etwas anzutun?«
Widerstrebend musste ich mir eingestehen, dass sie recht hatte. Ohne meine Magie würde ich nicht weit kommen. Dennoch bedeutete es nicht, dass ich damit einverstanden war, dass wir der Königin so einfach halfen. »Wir könnten uns verstecken«, schlug ich vor. »Tief im Wald, wo uns niemand finden wird.«
»Dann findet sie einen anderen Heiler und überlebt am Ende doch. Nein, wir müssen ihr Vertrauen gewinnen«, entschied Mutter. »Außerdem ist das noch nicht alles«, fuhr sie fort. Ich spürte, wie Übelkeit in mir aufstieg und sich mein Magen zusammenzog, als ich den Ausdruck in ihren Augen sah. Lächelnd neigte sie den Kopf zur Seite. »Es gibt weit Schlimmeres als den Tod.«
Eine unangenehme Gänsehaut glitt mir über den Körper, als ich erkannte, wie Mutters Augen zu glühen anfingen. Dunkelblaue Punkte bildeten sich in ihren sonst blassgrauen Iriden. Ein Zeichen der aufkeimenden Magie. Noch immer widerstrebte es mir, mich in die Gefilde der Königin zu begeben.
Natürlich wollte ich Vaters Tod rächen. Zumindest war es ein Gedanke gewesen, der mich all die Zeit über vorangetrieben hatte. Ein Lichtblick, dass irgendwann Gerechtigkeit eintreten würde. Doch jetzt, wo die Gelegenheit zum Greifen nah war, überkam mich eine seltsame Furcht. Angst, ins Böse abzudriften. »Du hast einen Plan«, flüsterte ich und rieb mir über die Arme, um das schreckliche Gefühl der Vorahnung loszuwerden. Erfolglos.
»Das habe ich in der Tat, aber alles zu seiner Zeit.«
Mit einer Handbewegung sprühte ein Funke aus Mutters Fingern, der zum Kessel schwebte. Dieser glitt daraufhin wie von selbst vom Feuer und schwebte zum Steintisch, auf dem er sich abstellte.
»Erst einmal müssen wir die verehrte Frau Königin dazu bewegen, uns zu vertrauen. Du wirst ihr täglich den Trank bringen müssen. Ich habe die heilsame Wirkung des magischen Jadeweins gestreckt, sodass wir genügend Zeit haben, um unsere Vergeltung vorzubereiten. Unterdessen hältst du dich von diesem Nicolas fern. Er hat etwas an sich, was mir nicht gefällt.«
Kopfschüttelnd wandte sie sich mir zu.
»Bald wird dein Vater die Rache erhalten, die ihm gebührt, du wirst schon sehen. Wir haben noch viel zu tun und dürfen keinen Verdacht auf uns lenken. Wenn die Königin stirbt, darf man das nicht auf uns zurückführen. Es genügt, dass ich meinen Mann verloren habe; das Gleiche wird mir nicht bei meiner Tochter passieren.« Mutter schlug die Hände klatschend zusammen und sah mich voll Tatendrang an. »Jetzt ruft die Arbeit. Maria bekommt bald das Kind und Lukas hat sich schon wieder die Wunde am Bein aufgerissen. Hast du die Tücher bereits ausgekocht?«
Seufzend begab ich mich an die Arbeit. Während ich darüber nachdachte, welchen Plan Mutter hatte, um die Königin leiden zu lassen, besorgte ich alles, was für eine Geburt notwendig war. Tücher, ein Eimer mit Wasser, eine Schale und die Tasche, in der alle weiteren Utensilien waren, darunter beispielsweise ein scharfes Messer oder eine Flasche mit reinigender Flüssigkeit darin.
Zugleich dachte ich an die Königin. Womit könnte man eine Frau mit einem Herzen aus Stein verletzen? Denn Mutter hatte recht, der Tod war zu schnell. Zumal es mir noch immer nicht behagen wollte, jemanden umzubringen. Es glich einer Art Begnadigung, wenn man ihr ein schnelles Ableben gewähren würde, während sie Vater gefoltert und mit der Zurschaustellung seiner Leiche noch im Tod entehrt hatte. Es bedurfte etwas, was sie von innen heraus zerstörte. Etwas wie der Verlust einer geliebten Person.
Beinahe hätte ich mich verbrannt, als ich die Verbände losließ, die ich aus dem kochenden Wasser gefischt hatte. Teils fielen sie wieder platschend in das kochende Wasser, teils auf den Boden. »Mutter!« Ich fuhr in dem Moment herum, als sie wieder das Haus betrat. Stirnrunzelnd musterte sie erst mich, dann die auf dem Boden liegenden Tücher. »Ich glaube, ich weiß, wie wir die Königin zerstören können.«
Ernst sah ich sie an, während mein Herz schnell in der Brust schlug. Es würde niemand zu Schaden kommen – und doch musste die Königin für ihre Taten bezahlen. Ich brauchte nichts zu sagen, Mutter wusste auch ohne Worte, welcher Gedanke mir gekommen war.
»Das ist zu gefährlich.« Entschieden schüttelte sie den Kopf. »Auf keinen Fall. Ich verbiete es dir.«
Irritiert spürte ich, wie die aufkommende Euphorie abklang. Stumm beobachtete ich, wie sie auf mich zuging und die Verbände aufhob. Entschieden drückte sie mir die feuchten Stoffe in die Hände, die sich heiß an meine Haut klebten. Sofort legte ich sie auf die Anrichte und wischte mir die brennenden Wassertropfen mit einem Tuch ab.
»Wasch die hier aus und zerbrich nicht dein hübsches Köpfchen mit solchen Dingen. Übe dich in Geduld, Kind. Mir wird etwas einfallen, womit wir die Königin zur Rechenschaft ziehen können, aber nicht so.«
Langsam ballte ich die Hände zu zitternden Fäusten. Meine Haut war rosig geworden. »Aber …«
»Wir machen es auf meine Art, nicht auf deine. Du bist noch grün hinter den Ohren und weißt nicht, was deine Idee für eine Tragweite haben könnte. Außerdem« – jetzt besah sie mich mit einem sanfteren Ausdruck in den Augen – »solltest du nicht zu viel Zeit mit diesem Prinzen verbringen. Das würde dir nicht guttun, vertrau mir.«
Erst begriff ich nicht, was sie mit diesen Worten meinte, bis ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss. »Das war nicht der Gedanke dahinter«, versicherte ich sofort, doch Mutter hob entschieden die Hand.
»Das tut nichts zur Sache. Ich verbiete es dir und jetzt ist Schluss mit der Diskussion.« Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab und verließ das Haus.
Unwillig starrte ich auf die Tür, die leise ins Schloss gefallen war. Woher wollte sie wissen, welche Idee mir gekommen war? Doch viel wichtiger war noch, warum hatte sie kein Vertrauen in mich? Enttäuscht drehte ich mich um, griff nach den mittlerweile abgekühlten Verbänden und ließ sie vorsichtig zurück in das noch immer heiße Wasser gleiten. Ein Funke meiner Magie genügte, um es zum Kochen zu bringen. Fast genauso schlimm war das Gefühl, dass sie mir nicht genug Vertrauen entgegenbrachte, um den Prinzen zu umgarnen und dennoch mein Herz zu behalten.
»Was willst du, Waldmädchen?«, blaffte mich die Wache am Tor an.
Unbeeindruckt sah ich zu dem Mann in der weißen Rüstung hoch. »Die Königin erwartet mich mit der Medizin.« Ich deutete auf den Korb, den ich dabeihatte. »Selbstverständlich kann ich wieder gehen. Doch lasst mich Euer Gesicht genau betrachten, damit ich es später identifizieren und dem Prinzen benennen kann, damit der Zorn der Königin den Richtigen trifft.«
Liebenswürdig lächelnd klimperte ich mit den Wimpern, ehe ich mich theatralisch seufzend umdrehte und die Andeutung machte, wieder zu gehen. Kaum dass er mein Gesicht nicht mehr sehen konnte, verzog ich es. Ich verabscheute es, so geschwollen reden zu müssen, aber das hinterließ meist einen besseren Eindruck als die Bauernzunge.
»Halt.«
Ich hörte die Nervosität in der Stimme der Wache.
Langsam drehte ich mich wieder um und sah ihn mit einem unschuldigen Augenaufschlag an. »Ja?«
Er wechselte einen fragenden Blick mit der zweiten Wache, ehe er widerstrebend nickte. »Warte hier.«
Ungeduldig sah ich ihm nach. So schnell, wie er trotz Rüstung davoneilte, überkam mich der Eindruck, es ginge um sein Leben. Ganz verkehrt war es wohl nicht. Die Königin war bekannt für ihre Grausamkeit. Allein der Gedanke an manch grausamen Tag bereitete mir Unbehagen. Öffentliche Hinrichtungen, Folterungen oder zur Schau gestellte Gefangene, denen man kaum mehr ansehen konnte, dass es sich dabei um Menschen handelte, hatten das Volk paralysiert. Immerhin erzielte es die gewünschte Wirkung: Es gab kaum noch sträfliche Handlungen der Krone gegenüber. Steuerhinterziehung? Eher noch würde man fliehen und sein ganzes Hab und Gut hinter sich lassen.
Während der Mann fort war, betrachtete ich das gigantische weiße Tor und die noch imposantere weiße Mauer, die vor mir emporragten. Das Schloss machte der Sonne alle Ehre und strahlte mit ihr um die Wette. Insbesondere die eingearbeiteten goldenen Elemente erweckten den Eindruck, es handle sich hierbei um die Heimat des Sonnengottes.
Der Schlossgarten ließ sich zwischen den Gittern erahnen und wirkte gepflegt. Kein Grashalm war zu hoch, kein Blatt lag auf dem Boden, kein Wildwuchs oder falsch drapierte Pflanzen waren auszumachen. Es war perfekt. Zu perfekt. Langweilig und geplant. Trotz all der Blumen wirkte es tot. Einem Gemälde gleichkommend, fernab des wirklichen Lebens. Ernüchternd, wenn man in solch einem Luxus aufwuchs und nicht den Wert des Lebens zu schätzen wusste. Oder, wie im Falle der Königin, den Wert schnell dank des Reichtums wieder vergaß.
Mich von dem Anblick losreißend, sah ich zu der ersten Wache, die wieder angelaufen kam. Keuchend blieb der Mann vor mir stehen. Schweiß rann ihm das Gesicht hinab und lief tröpfchenweise unter die Rüstung, wo er ihn nicht wegwischen konnte. Allein der Gedanke daran, wie er darunter schwitzen musste, ließ mich erschaudern.
»Die Königin verlangt nach euch«, bestätigte er, noch immer nach Atem ringend.
»Wie ich es Euch gesagt habe.« Ein nervöses Lachen unterdrückend, schenkte ich beiden Männern ein Lächeln, das in dem Augenblick verschwand, in dem ich an ihnen vorbeigegangen war. Schnellen Schrittes brachte ich den gepflasterten Weg zum eindrucksvollen Eingang hinter mich. Ich trug mein schönstes Sonntagskleid in einem sanften Grün mit engem Mieder und knöchellangem Rock. Das hellbraune Haar hatte ich offen gelassen, sodass es mir lockig über den Rücken fiel. Aufgrund der durch die Gartenarbeit gebräunten Haut wirkten meine bernsteinfarbenen Augen noch heller als sonst.
Beim Anblick der Damen, die unter gigantischen aufgespannten Tüchern saßen und tuschelnd zu mir sahen, wusste ich, dass ich selbst in einem teuren Kleid auffallen würde. Während diese Frauen feingliedrig waren, eine vornehm blasse, makellose Haut aufwiesen, wirkte ich wie eine Wilde. Weißliche Narben zierten meine Hände und Arme.
Zwar war ich schlank, doch das Rennen, Klettern und die harte körperliche Arbeit sorgten dafür, dass ich neben den weiblichen Rundungen auch Muskeln besaß. Nicht übertrieben, dennoch war ich nicht so weich, wie es manche Adelstochter war. Hinzu kam, dass das Jagen und der lange Aufenthalt im Wald dafür Sorge trugen, dass ich mich nicht weiblich bewegte. Vielmehr bewegte ich mich lauernd, einem Raubtier gleichkommend. Welcher Mann würde noch Interesse an mir haben, wenn er eine sinnlichere Frau haben konnte? Insbesondere dann, wenn er herausfand, wer ich wirklich war?
Den schmerzhaften Gedanken verdrängend, konzentrierte ich mich auf meine Aufgabe. Achtsam passierte ich einige weitere Wachposten, die mich argwöhnisch musterten, bis ich endlich von einem Boten empfangen und ins Schlossinnere geführt wurde.
***
Wir passierten lange Gänge aus hellem Marmor und Wänden, die mit unzähligen Gemälden bestückt waren. Silberne Kronleuchter, besetzt mit Dutzenden von weißen Kerzen, beleuchteten den Weg. Während wir immer wieder patrouillierenden Wachen begegneten, versuchte ich mir so viel wie möglich zu merken.
Nachdem wir unzählige Male abgebogen und durch ein halbes Dutzend Türen geschritten waren, erreichten wir einen der hinteren Flügel. Da ich eine unsichtbare magische Spur hinter mir zurückließ, wusste ich, dass der Bote einen ziemlichen Umweg gemacht hatte, um hierherzukommen. Gewiss, um mich zu verwirren, damit ich mir nicht den Weg zur Königin merken konnte.
»Warte hier«, forderte mich der Bote auf und huschte durch eine große Tür, die er lautlos wieder hinter sich schloss.
Ungeduldig verlagerte ich das Gewicht von einem Bein auf das andere, schob den Korbgriff in die Armbeuge und dachte über meinen Plan nach. Während ich die weiße Holztür anstarrte, wurde mir bewusst, wie sehr mir dieser Anblick auf die Nerven ging. Sollte das eine Erinnerung an ihr einstiges Heim sein? Das Leben einer Müllerstochter, umgeben von Mehl.
Insgeheim glaubte ich, dass ihre Umwelt die tiefschwarze Seele und das dunkle Loch in ihrer Brust aufwiegen sollte. Weshalb sonst legte sie so viel Wert darauf, dass alles in leuchtendem Weiß erstrahlte, während früher doch die Farbe des Königs das Türkis des Jadeweins war? Selbst das Wappen war angepasst worden und erstrahlte nun in Weiß- und Goldtönen.
»Hoffentlich können du und deine Mutter ihr helfen.«
Ertappt fuhr ich zusammen und drehte mich um. Prinz Nicolas stand in der Tür, durch die ich gerade gekommen war.
»Eure Hoheit.« Schnell vollführte ich einen Hofknicks und neigte ehrerbietend den Kopf. Dieses Mal fiel es mir leichter als noch am Tag zuvor.
»Das brauchst du nicht zu machen.« Nicolas schenkte mir ein zaghaftes Lächeln. Leichte Schatten lagen ihm unter den Augen. Ein Anzeichen dafür, dass er zu wenig Schlaf fand. »Nenn mich einfach nur Nicolas. Und du bist?«
»Ich … ich heiße … Ayjana«, antwortete ich.
»Ein sehr schöner Name.« Er fuhr sich durch das Haar, während ich den Boden anstarrte. Es mochte für ihn schüchtern wirken, doch in Wahrheit versuchte ich lediglich, meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Aber es fiel mir schwer, meine Abneigung zu verbergen. Den Zorn, die Verzweiflung, aber auch die Furcht, welche mich seit dem Tod meines Vaters nicht mehr verlassen wollten. »Du glaubst, dass ihr besser seid als der königliche Heiler?«
Bei der herablassenden Frage hob ich schlagartig den Blick und fixierte finster den Thronfolger. »Natürlich sind wir das. Wir sind bereits in der siebten Generation Heiler. Wenn es eine Möglichkeit gibt, eine Krankheit zu bezwingen, dann kennen wir sie.« Wohl eine Spur zu überheblich reckte ich das Kinn und spürte, wie mir gleichzeitig Hitze ins Gesicht schoss. Sonst war ich nicht so stark darauf bedacht, unser Können hervorzuheben, aber jetzt gerade wollte ich uns nicht kleiner machen, als wir waren.
Amüsiert musterte mich Nicolas. »Ach? Seid ihr das? Da ist aber jemand sehr von sich selbst überzeugt.«
War es verboten, dem Prinzen eine zu verpassen, wenn er provozierte? Vermutlich. Mir zuckte die Hand, doch ich widerstand dem Drang, sie zur Faust zu ballen und zuzuschlagen. Stattdessen umklammerte ich den Korb und drückte diesen gegen die Brust. Auch damit könnte ich ihm Schmerzen zufügen … Kaum merklich schüttelte ich den Kopf, um den Gedanken zu verbannen.
»Wie habt ihr diesen Trank hergestellt?«, fragte Nicolas neugierig, kam mir aber nicht näher. Ein wenig fühlte ich mich, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.
»Alles, was wir brauchen, befindet sich im Wald«, erklärte ich gereizt. Das und eine Prise Magie, um Fähigkeiten bestimmter Pflanzen aktivieren zu können. Natürlich behielt ich diese winzige Information wohlwissend für mich. Nicht jeder Trick musste verraten werden. Insbesondere der nicht, der einen in den Kerker, wenn nicht sogar an den Galgen bringen konnte.
»Wie lange wird es brauchen, bis die Königin wieder genesen ist?« Prinz Nicolas’ Lächeln verschwand und wich einer ernsten Miene.