Je dunkler die Berge - Rhys Bowen - E-Book
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Je dunkler die Berge E-Book

Rhys Bowen

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Beschreibung

Schillernde Filmwelten und dunkle Machenschaften …
Band 5 der Cosy Crime-Reihe von New York Times Bestseller-Autorin Rhys Bowen

Der gemütliche Constable Evan Evans – einziger Polizist des walisischen Dörfchens Llanfair – soll eine Expedition unterstützen, die einen deutschen Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg bergen will. Dieses Vorhaben wird für eine Dokumentation aufgezeichnet. Doch nicht nur die Dorfbewohner regen sich über die Filmemacher auf, sondern auch Constable Evans, als er von der früheren Beziehung seiner Freundin Bronwen mit einem Mitglied der Filmcrew erfährt. Die Spannungen verstärken sich mehr und mehr … bis einer der Filmemacher verschwindet und schließlich tot aufgefunden wird. Evan muss nicht lange ermitteln, um herauszufinden, wie viele Feinde das Opfer hatte. Doch wer ging so weit ihn umzubringen?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Tod nach Regie.

Alle Bände dieser Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Erste Leser:innenstimmen
„Rhys Bowen schreibt genau so spannend wie humorvoll.“
„Cosy Crime, die ich jedem nur ans Herz legen kann, einfach toll!“
„Nachvollziehbare Charaktere, ein tolles Setting und eine überzeugende Story, alles was ein guter Krimi braucht.“
„Die Spannung hat keine Sekunde nachgelassen!“

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Seitenzahl: 439

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Über dieses E-Book

Der gemütliche Constable Evan Evans – einziger Polizist des walisischen Dörfchens Llanfair – soll eine Expedition unterstützen, die einen deutschen Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg bergen will. Dieses Vorhaben wird für eine Dokumentation aufgezeichnet. Doch nicht nur die Dorfbewohner regen sich über die Filmemacher auf, sondern auch Constable Evans, als er von der früheren Beziehung seiner Freundin Bronwen mit einem Mitglied der Filmcrew erfährt. Die Spannungen verstärken sich mehr und mehr … bis einer der Filmemacher verschwindet und schließlich tot aufgefunden wird. Evan muss nicht lange ermitteln, um herauszufinden, wie viele Feinde das Opfer hatte. Doch wer ging so weit ihn umzubringen?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Tod nach Regie.

Alle Bände dieser Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Erstausgabe 2001 Überarbeitete Neuausgabe September 2022

Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-741-0 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-740-3

Copyright © 2001 by Rhys Bowen Titel des englischen Originals: Evan Can Wait

Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2019, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2019 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Tod nach Regie (ISBN: 978-3-96087-695-3).

Übersetzt von: Lennart Janson Covergestaltung: Miss Ly Design unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Nataliia Melnychuk, © Stephen Bridger, © majeczka Korrektorat: Martin Spieß

E-Book-Version 17.10.2022, 12:57:28.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Je dunkler die Berge

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Je dunkler die Berge
Rhys Bowen
ISBN: 978-3-98637-740-3

Schillernde Filmwelten und dunkle Machenschaften …Band 5 der Cosy Crime-Reihe von New York Times Bestseller-Autorin Rhys Bowen

Das Hörbuch wird gesprochen von Omid-Paul Eftekhari.
Mehr Infos hier

Dieses Buch widme ich als liebevolle Großmutter meinen beiden neuesten Lesern Sam und Elizabeth.

Ich möchte dem Experten der Spurensicherung Mike Bowers für seine Hinweise zur Zersetzung von Leichen danken. Ich danke Susan Davies und Megan Owen, die in Nordwales meine Augen und Ohren sind. Und wie immer vielen Dank an meine Probeleser und erbarmungslose Kritiker – John, Clare, Jane und Tom.

Llanfair existiert mitsamt seinen Einwohnern nur in meiner Fantasie. Der Rest von Nordwales allerdings ist real, ebenso die Hintergrundgeschichten über den Zweiten Weltkrieg. Es ist wahr, dass ein deutscher Bomber dort spurlos verschwand und die Kunstschätze der National Gallery in einer Schiefermine versteckt wurden.

Vorwort des Übersetzers

Liebe Leserin, lieber Leser,

mit diesem Buch aus der Constable-Evans-Reihe hast Du Dir ein Stück spannender Gemütlichkeit ins Haus geholt. Ich freue mich sehr, wenn meine Arbeit als Übersetzer es Dir ermöglicht, diese sympathische Mischung aus der Dorfidylle Llanfairs, den zwischenmenschlichen Beziehungen Constable Evans’ und den spannenden Kriminalfällen zu genießen. Ich habe während der Übersetzung dieser Reihe Rhys Bowens Werke sehr zu schätzen gelernt und bin immer wieder gern in die Welt um Llanfair samt der liebenswert eigenwilligen Bewohner:innen und Bräuche eingetaucht. Ich hoffe, Dir ergeht es ähnlich.

Ich wünsche Dir gute Unterhaltung mit Evan Evans und den Seinen.

Der Übersetzer

Kapitel 1

Ob ich mich an irgendetwas aus dieser Zeit erinnere? So klar, als wäre es gestern gewesen. Ich erinnere mich an den Tag, an dem sie mich zum ersten Mal bemerkte. Das war bei Johnny Morgans Abschiedsparty. Er war gerade den Royal Welch Fusiliers beigetreten und sollte nach Frankreich entsendet werden. Er schien sich in seiner Uniform für etwas Besseres zu halten. Und die jungen Frauen sahen das ähnlich. Sie drängten sich um ihn, gaben ihm ihre Adressen und versprachen, ihm zu schreiben. Dann kam sie ins Zimmer. Ich erkannte sie zuerst nicht. Dann sagte jemand: „Mwfanwy? Das ist nie im Leben Mwfanwy Davies.“

Und sie lachte und sagte: „Du hast recht. Ich bin nicht Mwfanwy Davies. Von heute an heiße ich Ginger, Schätzchen. Ginger, wie Ginger Rogers.“ Dabei legte sie einen ziemlich guten amerikanischen Akzent auf.

All die jungen Frauen drängten sich zu ihr. „Deine Mutter wird dich umbringen“, sagte Gwynneth Morgan.

„Das hat sie schon versucht, aber sie kann nicht viel dagegen tun, oder?“ Sie hob eine Hand zu ihrem platinblonden Haar. „Das kann ich wohl kaum rausbleichen. Sie wird warten müssen, bis es rauswächst. Und überhaupt, mir gefällt es und sie kann mir nicht sagen, was ich mit meinem eigenen Haar machen soll.“ Sie schob sich durch den Ring aus jungen Frauen und ging zur Bowle hinüber. „Wartet nur ab, bis ich es nach Hollywood schaffe, dann wird es ihr leidtun, nicht wahr?“

„Wie willst du denn nach Hollywood kommen?“, fragte einer der Jungen. „Ich glaube nicht, dass aus Blenau ein Zug dorthin fährt.“

Ein paar der anderen Kinder lachten, aber Ginger sah ihn kühl an. „Ich schaffe es schon“, sagte sie. „So oder so. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde es schaffen.“

Dann sah sie mich an. Sie hatte unglaublich klare, blaue Augen, die strahlten, wenn sie lächelte. „Trefor, Schatz, holst du mir eine Zigarette?“

Ich war zu jung zum Rauchen, aber ich rannte den ganzen Weg bis zum Laden an der Ecke und kaufte mit den letzten Resten meines Wochenlohns eine Schachtel Woodbines. Ich hatte gerade als Lehrling in der Mine angefangen und bekam nur ein paar Shillings die Woche. Ich habe nur genug fürs Kino und ein oder zwei Bier behalten. Der Rest ging direkt an meine Mutter.

Dann rannte ich den ganzen Weg vom Laden zurück. Bis ich wieder dort ankam, saß Mwfanwy mit Johnny Morgan auf dem Sofa, rauchte eine seiner Zigaretten und hatte mich völlig vergessen.

So lief es mit Ginger. Ich wusste, dass ich auf Abstand bleiben sollte, aber es war zu spät. Ich hatte mich längst in sie verliebt.

Trefor Thomas, Tonaufnahmen seiner Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg.

„Ist es das?“ Grantley Smith räkelte sich auf dem Rücksitz und streckte den Kopf zwischen den beiden Insassen auf den Vordersitzen hindurch, als der Land Rover langsamer wurde. Regen trommelte so heftig auf die Windschutzscheibe, dass die Scheibenwischer nicht damit fertig wurden, aber ihr verzweifeltes Wischen erlaubte kurze Blicke auf eine steile, schmale Straße, die von Cottages aus grauem Stein gesäumt war. Einige tropfnasse Schafe weideten am Ufer des Baches, als der Land Rover eine bucklige Steinbrücke überquerte. Es war früher Abend und das Licht schwand rasch, doch aus den Fenstern drangen keine einladenden Lichter. Tatsächlich wirkte das Dorf, als habe es zum Winter dicht gemacht.

„Das ist es“, sagte der Fahrer, ohne sich umzublicken. „Auf dem Schild stand ‚Llanfair‘.“

„Du scherzt“, spottete Grantley Smith mit einer Stimme, die schon mit der des jungen Larry Olivier verglichen worden war. Er wandte sich zu der jungen Frau neben ihm auf dem Rücksitz. „Du musst uns eine falsche Wegbeschreibung gegeben haben, Sandie. Ich dachte, ich hätte dir gesagt, die Beschreibung aus dem Internet auszudrucken. Das kann nicht richtig sein.“

„Ich habe einen Ausdruck, ganz ehrlich, Grantley“, sagte die junge Frau und sah ihn aus großen Augen mit flehendem Blick an. „Wir müssen richtig sein. Wir sind die ganze Zeit genau den Anweisungen gefolgt, während du geschlafen hast.“

„Wir müssen irgendwo falsch abgebogen sein“, beharrte Grantley. „Ich meine, ich weiß, dass wir ein Gefühl für den Ort bekommen sollen, weil wir hier oben drehen werden, aber das heißt nicht, dass ich mich nach einem gemeinsamen Bad mit den Schiefer-Kumpel vor dem Küchenfeuer sehne …“

Falls er Gelächter erwartet hatte, wurde er enttäuscht. Die anderen Fahrzeuginsassen hatten sich im strömenden Regen von London aus am Steuer abgewechselt, während Grantley auf der Rückbank ausgestreckt geschlafen hatte.

„Wenn die Stelle hier oben ist, hat es keinen Sinn, irgendwo in der Nähe zu übernachten“, sagte der Fahrer mit abgehackter Stimme. Im Gegensatz zu Grantley, der dafür arbeitete, lebhaft und gepflegt auszusehen wie ein junger Lord Byron, wirkte Edward Ferrers mit seiner roten Farbe und kräftigen Statur wie eine übergroße Putte. „Die einzigen großen Hotels stehen an der Küste, und du willst doch nicht jeden Tag diesen Pass hier hochpendeln, oder? Ich muss vor Ort sein, um die Bergungs-Crew im Auge zu behalten. Ich will nicht, dass irgendetwas angefasst wird, wenn ich nicht dabei bin.“

„Edward und sein kostbares Flugzeug“, murmelte Grantley. „Keiner fasst mein Spielzeug an!“ Er holte eine Schachtel Gitanes heraus und füllte den Wagen mit beißendem, würzigem Rauch. Edward sah genervt nach hinten, als der Rauch zu ihm waberte.

„Mensch, Grantley, dann ist das hier oben eben nicht Beverly Hills“, sagte der Passagier auf dem Beifahrersitz in einem schleppenden Tonfall, der eine Herkunft von jenseits des Atlantiks verriet. „Ich glaube einfach nicht, dass du in einem dieser Hotels an der Küste eine bessere Unterkunft gesehen hättest.“ Er war ein älterer Mann, in kariertem Hemd, alter Jeans, Wildlederweste und einer ausgeblichenen Baskenmütze. Wenn er auf dem Rücken einen Aufdruck mit dem Wort „Filmregisseur“ getragen hätte, wäre sein Beruf dadurch nicht offensichtlicher geworden. „Die Unterkunft hier sollte in Ordnung sein.“

„Howard, wir wissen alle, dass du hier der Unerschütterliche bist.“ Grantley stützte seine Ellenbogen auf den Vordersitzen ab, sodass sein Gesicht sich jetzt zwischen ihnen befand. „Deine Definition von ganz in Ordnung entspricht einer Nacht in der afrikanischen Steppe, solange die Hyänen dir nicht die Zehen abkauen. Ein Häuschen mit fließendem Wasser fällt für dich wahrscheinlich schon unter Luxus.“

„Es wird in Ordnung sein, Grantley. Halt einfach die Klappe“, sagte Edward knapp. „Ich habe die Reservierung gemacht, und wenn es dir nicht gefällt, kannst du dir morgen etwas anderes suchen, okay?“

„Ruhig Blut, Edward“, sagte Grantley. „Wenn ihr zwei dieses Schmuckstück ausfindig gemacht habt, ist es ganz sicher perfekt. Ich frage mich nur: Wo zum Teufel ist es? Wir sind schon fast wieder aus dem Dorf raus.“ Er rutschte zum Seitenfenster hinüber und wischte mit der Hand einen Kreis in das Kondenswasser. „Es sieht nicht so aus, als würde ein vernünftiger Mensch hier ein Luxushotel hinstellen. Wartet … da links ist irgendein Schild. Vor diesem großen, weißen Gebäude …“

Das Schild schwang wild im Wind und sie brauchten eine Weile, um den roten Drachen darauf zu erkennen.

„Das ist nur der örtliche Pub“, sagte Edward.

„Gott sei Dank! Das Gebäude sah echt miserabel aus.“ Grantley seufzte tief und dramatisch. „Eigentlich sieht hier alles miserabel aus. Schaut euch die Läden dort an. R. Evans. G. Evans … man muss offensichtlich Evans heißen, um hier zu leben, und was zum Teufel heißt ‚Cigydd‘?“

„Im Schaufenster liegt jede Menge Fleisch, Grantley. Ich glaube, das kannst sogar du herausbekommen“, murmelte Howard, aber Grantley fuhr fort: „Das hier ist verdammtes Ausland! Wessen verrückte Idee war es überhaupt, mitten im Winter nach Wales zu kommen?“

„Du warst begeistert, als ich dir davon erzählt habe“, sagte Edward. „Du warst derjenige, der meinte, das würde eine tolle Dokumentation abgeben.“

Howard legte eine Hand auf Edwards Arm. „Lass uns anhalten und jemanden fragen.“

Edward lachte. „Und wen? Der Ort pulsiert nicht gerade vor Leben.“

Wie aufs Stichwort öffnete sich eine Tür, ein Lichtschein fiel auf die Straße und ein junger Mann in Uniform erschien. Er trug einen marineblauen Regenmantel und als er den starken Regen bemerkte, blieb er im Eingang stehen und schlug den Kragen hoch, eher er auf die Straße hinaustrat.

Grantley lachte erfreut. „Unglaublich, sie haben an diesem gottverlassenen Ort sogar einen Polizisten. Lass ihn nicht entkommen, Edward“, sagte er, weil der Polizist offensichtlich drauf und dran war, loszurennen, um sich irgendwo unterzustellen. „Lasst uns beten, dass er Englisch spricht. Man spricht hier doch Englisch, oder, Edward?“

„Wir sind nicht in Kasachstan, Grantley, sondern in Wales“, sagte Edward. „Ich gehe davon aus, dass sie dich verstehen werden, wenn du ausreichend mit den Armen wedelst, wie du es üblicherweise in Frankreich tust.“

„Mein Französisch ist verdammt gut“, sagte Grantley. „Los, hol ihn ein.“

Sie stoppten neben dem Polizisten, der gehorsam anhielt. Der Regen hatte ihm sein dunkles Haar ins Gesicht gekleistert. Er war ein junger Mann, breitschultrig, mit einem knabenhaften Lächeln. „Kann ich Ihnen helfen, Gentlemen?“, fragte er. In seiner Stimme schwang nur ein Hauch des walisischen, trällernden Tonfalls mit.

„Wir suchen ein Hotel namens Everest Inn.“ Howard lehnte sich über Edward. „Es soll hier in der Gegend sein, aber wir müssen es wohl irgendwie verpasst haben.“

Der Polizist deutete nach links. „Es ist direkt die Straße rauf, hinter dem Dorf. Sie kommen zu großen, steinernen Torpfosten. Biegen Sie da ab und rechts sehen Sie es dann schon. Sie können es eigentlich gar nicht verfehlen.“

„Ist es gut? Ein anständiger Laden?“ Grantley lehnte sich vom Rücksitz nach vorne.

„Ich habe selbst noch nie dort übernachtet, wissen Sie, aber es ist sehr schick“, sagte der Constable. „Soweit ich weiß, hat es fünf Sterne.“

„Na dann, vielen Dank, Officer“, sagte Edward. „Wir halten Sie nicht länger auf. Sie werden ganz nass.“

„Oh, an so etwas sind wir hier gewöhnt, Sir“, sagte der Constable. „Es regnet recht viel.“

Er grinste ihnen freundlich zu und überquerte dann hinter dem Auto die Straße.

„Da habt ihr es. Die ganze Panik für nichts“, sagte Edward, als sie weiterfuhren.

„Panik? Wer war denn hier panisch? Es war nur eine aus Erschöpfung entstandene Sorge.“ Grantley sank wieder in seinen Sitz und zog erneut an seiner Zigarette.

„Das gefällt mir. Du hast die ganze Fahrt über geschlafen.“ Howard lachte trocken.

„Nun, aber wir können nicht alle deine Ausdauer haben, Howard“, sagte Grantley ruhig. „Dieses Durchhaltevermögen, das dir die nächtlichen Märsche durch den Dschungel eingebracht haben, während du Kolibakterien und Cholera trotztest und vermeiden musstest, dass Banden von Kindersoldaten dich mit Macheten zu Tode hacken.“

„Eines Tages gehst du noch zu weit, Grantley“, sagte Howard.

„Oh, das glaube ich nicht“, sagte Grantley. „Ich glaube nicht einen Augenblick daran.“ Er lehnte sich wieder vor und stützte sich auf ihre Schultern, während er durch die Windschutzscheibe blickte. „Schaut mal, da ist es!“

Rechts von ihnen ragte der Umriss eines großen Gebäudes im Regen auf, Lichter funkelten auf dem nassen Asphalt des Parkplatzes. „Ich hatte also offensichtlich recht. Ihr seid irgendwo falsch abgebogen. Wir sind in der verdammten Schweiz gelandet!“

Das Gebäude stellte sich als übergroßes Chalet aus Holz und Stein heraus, mitsamt geschnitzten Holzbalkonen, an denen Kästen mit spätblühenden Geranien prangten.

„Entweder die Schweiz oder Disneyland, da bin ich mir noch nicht sicher“, fuhr er fort und kicherte wie ein Schuljunge. „Es ist erfreulich monströs, oder? Wisst ihr, ich glaube, es wird doch ganz witzig.“

Howard Bauer und Edward Ferres wechselten einen kurzen Blick, den Grantley, der immer noch zur Fassade hinaufblickte, nicht bemerkte.

Kapitel 2

Constable Evan Evans bedauerte häufig, dass das einzige Fenster seiner kleinen Polizei-Nebenstelle auf die Berge blickte und nicht auf die Straße. Erstens konnte er von seinem Schreibtisch aus nicht sehen, was im Dorf vor sich ging – ein Versäumnis, das er bereits mehr als einmal seinen Vorgesetzten gemeldet hatte – und zweitens war es eine ständige Quelle der Ablenkung, zu seinen geliebten Bergen hinaufblicken zu können, wenn er wie heute in Papierkram versank.

Seine vierteljährliche Spesenabrechnung stand aus. Er wusste schon jetzt, dass er eine Rüge dafür erhalten würde, schon Mitte Oktober die Heizung anzustellen, aber seine Vorgesetzten unten in Caernarfon oder im Hauptquartier in Colwyn Bay hatten keine Ahnung, wie kalt es gut dreihundert Meter höher an der Flanke des Mount Snowdon werden konnte. Er blickte aus dem Fenster auf die Berghänge und seufzte. Es war ein strahlend blauer Tag nach fast einer ganzen Woche Regen. Neu entsprungene Bäche stürzten in hellen, parallelen Bändern die Steilhänge hinab. Auf den flacheren Hängen weiter unten leuchtete smaragdgrünes Gras, auf dem Regentropfen wie Diamanten funkelten. Die Schafe sahen aus, als würden sie für ein Bleichmittel werben. Selbst die Felswände leuchteten warm im sanften Novemberlicht.

Ein perfekter Tag zum Wandern oder Klettern, und er saß in seinem Büro fest. Es hatte das ganze Wochenende lang geregnet, sodass er drinnen eingesperrt gewesen war. Er hatte im Fernsehen Rugby geschaut und mit Bronwen Scrabble gespielt. Letzteres war keine schöne Erfahrung gewesen; sie war zu belesen, um ein fairer Gegner für ihn zu sein.

Kaum, dass Bronwen in seine Gedanken trat, glitt sein Blick zu den Mauern des zerstörten Cottages hinauf, das hoch oben über dem Dorf lag. Es hatte einem englischen Paar gehört, bis es von Brandstiftern angezündet worden war. War es ein vergeblicher Traum, zu glauben, dass er es vielleicht wiederaufbauen könnte, um endlich ein eigenes Haus zu haben? Er war sich sicher, dass die englischen Besitzer die Versicherungssumme eingestrichen hatten, und vermutlich nicht mehr zurückkommen würden. Sie wären bestimmt zufrieden damit, es für einen Spottpreis zu verkaufen, aber er bräuchte immer noch die Erlaubnis der Nationalpark-Verwaltung, um es wiederaufzubauen. Dort war man sehr streng, wenn es um Baugenehmigungen ging, aber einen Versuch war es wert. Er zeichnete den Umriss eines Cottages an den Rand seines Notizblockes – mit soliden Mauern und Rauch, der aus dem Schornstein aufstieg –, bis das Klingeln des Telefons ihn zusammenzucken ließ.

„Constable Evans?“ Eine Frauenstimme. „Police Constable Jones hier, aus dem Hauptquartier. Chief Inspector Meredith möchte Sie umgehend sehen.“

„Verdammt“, murmelte Evan beim Aufstehen. Es bedeutete nie etwas Gutes, wenn der Alte ihn umgehend sehen wollte. Als er in seinen Wagen stieg und durch Llanfair, den Pass hinunter und Richtung Caernarfon fuhr, versuchte er herauszubekommen, was er wohl dieses Mal falsch gemacht hatte. Ihm fiel allerdings nichts ein. Der Chief hatte sich bislang eigentlich nur beschwert, wenn er seine Nase in Mordermittlungen gesteckt hatte. Und selbst da konnte er keinen großen Aufstand machen, weil Evan elementar zur Aufklärung mehrerer Schwerverbrechen beigetragen hatte.

Es hatte Zeiten gegeben, dass seine Vorgesetzten ihm nahegelegt hatten, eine Versetzung zu den Zivilfahndern zu beantragen. Doch als er endlich den Sprung gewagt und seinen Antrag eingereicht hatte, war er abgelehnt worden. Oh, sie hatten es ihm sehr freundlich beigebracht. Es habe nichts mit seinen Fähigkeiten oder einem Mangel derselben zu tun, hatte man ihm gesagt. Aber aus Colwyn Bay sei die Anweisung gekommen, mehr weibliche Detectives einzustellen, ehe wieder Männer in Betracht gezogen würden.

Er bog mit seinem Wagen auf den Parkplatz der Polizeistation in Caernarfon ein und atmete tief durch. Er brachte das Ganze besser so schnell wie möglich hinter sich. Gerade als er sich der Tür näherte, trat ein schmächtiger Mann mit sandfarbenem Haar in einem beigefarbenen Regenmantel heraus.

„Hallo, Junge, schön Sie zu sehen“, rief Sergeant Watkins Evan entgegen. „Sagen Sie mir nicht, dass Sie schon wieder eine Leiche gefunden haben – ich habe mein ruhiges Leben der vergangenen Wochen genossen.“

Evan grinste. „Keine Leiche, Sarge. Mein Chief will mich sprechen.“

„Waren Sie wieder ein böser Junge, ja? Haben Sie bei der Spesenabrechnung geschwindelt?“

„Nicht, dass ich wüsste“, sagte Evan. „Ich gehe besser rein und finde es heraus. Die Spannung bringt mich um.“

„Und ich muss zu meiner spannenden Observierung bei Tesco’s zurück.“

„Tesco’s? Plant jemand, Supermärkte zu überfallen?“

„Nichts so Glanzvolles. Jemand hat wiederholt Weihnachtspudding und Geschenkpapier mitgehen lassen – unverderbliche Sachen, die eine Woche später an Marktständen aufgetaucht sind. Wir glauben, dass es die hiesige Gang ist, aber sie stellen sich ganz gut an. Die Überwachungskameras haben sie noch nicht erwischt.“ Er rollte mit den Augen. „Manchmal glaube ich, das ruhige Leben ist überbewertet.“

Evan betrat das Gebäude und war überrascht von der angenehmen Wärme. Die Heizung lief hier auf jeden Fall, da konnten sie ihm doch kaum seinen kleinen Gasofen missgönnen.

Chief Inspector Meredith war ein dicker, rotgesichtiger Mann mit Hängebacken und hochgerollten Hemdsärmeln. Er sah auf, als Evan in sein Büro trat. „Ah, Evans. Guter Mann. Schön, dass Sie so schnell hergekommen sind.“ Er deutete auf einen Stuhl. „Setzen Sie sich.“

„Stimmt etwas nicht, Sir?“ Die Frage konnte Evan sich nicht verkneifen.

„Nichts dergleichen. Ich habe Sie hierher bestellt, weil ich einen kleinen Auftrag für Sie habe, streng geheim fürs Erste.“ Er lehnte sich vertraulich nach vorne, obwohl sie in dem Zimmer alleine waren. „Das Verteidigungsministerium hat mich um polizeiliche Unterstützung gebeten.“

„Oh, ist das so, Sir?“ Evans Gedanken rasten. Terroristen der IRA oder Libyer könnten just in diesem Moment über die Berge einsickern und er war gerufen worden, um bei ihrer Ergreifung zu helfen …

„Soweit ich weiß, hat es etwas mit der Bergung eines deutschen Bombers aus dem Llyn Llydaw zu tun.“

„Ein deutscher Bomber, Sir?“ Evan war sich nicht sicher, ob er das richtig verstanden hatte. „Sie meinen ein Flugzeug?“

„Natürlich meine ich ein Flugzeug. Ein deutscher Bomber, der im Zweiten Weltkrieg in den See gestürzt ist. Wie ich hörte, versucht man, ihn zu bergen. Fragen Sie mich nicht, wie man nach all der Zeit darauf kommt. Ich vermute, es ist mal wieder eine verdammte Verschwendung von Steuergeldern. Oh, und eine Filmcrew wird die ganze Sache begleiten, die wollen natürlich nicht, dass ihnen Einheimische in die Quere kommen.“ Er hielt inne. „Ihre Aufgabe wird es sein, die Gaffer fernzuhalten, und dafür zu sorgen, dass bei der Crew alles glatt läuft. Verstanden?“

„Ja, Sir.“ Evan war ernüchtert. Auf einen Schlag vom Terroristenjäger zum Sicherheitsmann degradiert.

„Die Crew wohnt oben im Everest Inn“, fuhr der Chief Inspector fort. „Sie wünschen, dass Sie sich mit ihnen in Verbindung setzen.“

„Ich habe sie schon kennengelernt, Sir“, sagte Evan.

„Wie zum Teufel haben Sie das hinbekommen? Wie ich hörte, haben sie sich ohne großes Tamtam eingeschlichen. Der verdammte Buschfunk von Llanfair, nehme ich an.“

„Nein, reiner Zufall“, sagte Evan. „Sie hielten vor ein paar Tagen an, um mich nach dem Weg zu fragen. Sie sahen wie Leute vom Film aus. Einer trug sogar eine Baskenmütze.“

„Sehr aufmerksam, Constable.“ Der Chief Inspector lächelte Evan herablassend an. Evan erwiderte das Lächeln mit zusammengebissenen Zähnen.

Er stand auf. „Wäre das alles, Sir?“

„Ja, ich denke schon. Gehen Sie zu ihnen, stellen Sie sich vor und bieten Sie Ihre Unterstützung an, wenn sie von Nöten sein sollte. Ich sagte ihnen, dass Sie die Gegend wie Ihre Westentasche kennen. Sie sollten ihnen vielleicht den besten Weg zum See zeigen, sie haben schwere Ausrüstung zu transportieren.“

„Ich hoffe, dass sie gut in Form sind, Sir“, sagte Evan trocken. „Es ist ein recht steiler Aufstieg.“

„Ich denke, sie werden dort hochfahren – mit Land Rovers oder so. Es wird ja wohl irgendeine Strecke geben, über die man mit einem Fahrzeug hinaufkommt, oder?“

„Ich würde da nicht hochfahren wollen“, sagte Evan. „Aber ich schätze, es wäre möglich.“

Der Chief Inspector lächelte Evan an. „Geben Sie Ihr Bestes, Constable. Wir wollen keine Beschwerden hören. Ich hörte, das seien hochkarätige Leute, und Menschen vom Film können temperamentvoll sein.“

„Sehr wohl, Sir“, sagte Evan. „Werden Sie eine Vertretung schicken, die sich um das Dorf kümmert, wenn ich den ganzen Tag in den Bergen unterwegs bin?“

„Ich werde ab und zu einen Streifenwagen vorbeischicken“, sagte der Inspector. „Ich glaube kaum, dass es in Llanfair genug Verbrechen gibt, um dort oben eine zweite Vollzeitstelle zu rechtfertigen.“ Er blickte auf seine Unterlagen. „Ab mit Ihnen.“

Rausgeschickt – wie ein Schüler aus dem Büro des Direktors. „Sehr aufmerksam, Constable.“ Die Worte hallten durch seine Gedanken.

Er ging den Flur entlang und dachte nur daran, in sein Auto zu steigen und so schnell wie möglich nach Llanfair zurückzufahren.

„Sprechen Sie jetzt nicht mehr mit mir, Constable Evans?“

Evan drehte sich zu ihrer Stimme um. „Oh, hallo Glynis, oder sollte ich Detective Constable Davies sagen?“ Sie sah sogar anders aus. Ihr rotes Haar war zu einem glatten Bob geschnitten und sie trug einen sehr maskulinen, grauen Nadelstreifenanzug, der an ihr doch irgendwie weiblich wirkte. „Was machen Sie hier? Ich dachte, Sie wären noch zur Ausbildung im Hauptquartier.“

„Oh, das bin ich auch.“ Sie schenkte ihm ein fröhliches Lächeln. „Ich folge diese Woche Detective Inspector Johnson, und er hat einen Fall, den er mit unserem Detective Inspector Hughes besprechen möchte. Es ist schön, wieder in meinem alten Revier zu sein. Ich hoffe, dass man mich hier einsetzen wird, wenn ich die Ausbildung beendet habe.“

„Dann haben Sie Spaß?“, fragte er.

„Absolut.“ Ein weiteres, breites Lächeln. „Ich hatte die Sorge, dass man sich daran stören würde, dass ich eine Frau bin, aber bisher waren alle sehr hilfsbereit. Sie sind alle unglaublich nett zu mir.“

Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass du mit dem Neffen des Chief Constables ausgehst, dachte Evan.

„Nun, schön Sie wiederzusehen, Glynis“, fügte er hinzu. „Ich muss jetzt wieder an die Arbeit.“

„Dieser Detective-Kram macht wirklich Spaß, Evan“, rief sie ihm nach. „Sie sollten sich bewerben. Sie wären gut darin.“

Er hatte den Anstand, sich mit einem leichten Lächeln zu ihr zu wenden, als er die Tür öffnete. Ihre Worte hallten durch seinen Kopf, als er die Passstraße wieder hinauffuhr. Und sie hatte ihn Constable Evans genannt. Er dachte daran, dass er mal geglaubt hatte, sie würde auf ihn stehen. Er war verdammt noch mal zu naiv, das war sein Problem.

Es war nicht ihre Schuld, sagte er sich, als er ruhiger wurde. Sie war zu gut, um lange ein besseres Büromädchen zu bleiben. Sie war intelligent, oder nicht? Sie kam von der Universität und war clever im Umgang mit Computern. Sie würde vermutlich einen verdammt guten Detective abgeben. Und es war nicht ihre Schuld, dass sie umwerfend aussah.

Die Straße wurde steiler, als das Dorf Llanberis mit seinem langgezogenen, funkelnden See zu seiner Linken vorüberzog. Er kurbelte das Fenster herunter und kühle Bergluft strömte ihm entgegen. Sie roch nach dem frischen Grün wachsender Pflanzen. Ein Möwenschwarm ließ sich herabsinken, um auf dem See zu landen. Der Wind trug das entfernte Blöken der Schafe herüber.

Er hatte Bronwen, rief er sich ins Gedächtnis. Er war ein glücklicher Mann. Auch sie war schlau und gutaussehend. Was könnte ein Kerl mehr wollen? Er wusste die Antwort sofort – er wollte ihr mehr bieten können als nur ein bescheidener Streifenpolizist zu sein. Na ja, es hatte keinen Zweck, sich länger damit aufzuhalten. Er hatte seine Chancen bekommen, und er hatte sie abgelehnt. Er sorgte besser dafür, dass er seine Arbeit machte, und zwar verdammt gut.

Kapitel 3

Evan traf die Filmemacher alleine in der eichengetäfelten Bar des Everest Inn an. Sie saßen an einem Tisch in der Nähe des Feuers, das in einem riesigen, mit Flusssteinen verkleideten Kamin prasselte. Vor ihnen stand eine Teekanne und eine zur Hälfte geleerte Platte mit Teegebäck. Der Rest des Tisches war unter Zetteln und Karten begraben, und einem Aschenbecher voller Zigarettenstummel. Zwei junge Männer saßen in den beiden Sesseln am Feuer, einer dunkelhaarig, der andere blond. Evan erkannte den blonden, dicklichen als den Fahrer, der ihn nach dem Weg gefragt hatte. Er trug Jeans und Jeanshemd und schien sich zwischen den getäfelten Wänden und den Jagdtrophäen zu Hause zu fühlen.

In dem anderen Sessel saß ein schlanker, dunkelhaariger, junger Mann. Er lag ausgestreckt im Sessel und hatte ein Bein über eine Armlehne geworfen, während seine Hand mit einer Zigarette zwischen den Fingern an der Seite baumelte.

Sie waren exakte Gegensätze, fand Evan, Gestalten aus einem allegorischen, romantischen Gemälde von Gut und Böse; Kain und Abel; Tag und Nacht.

Der ältere Mann, der die Baskenmütze getragen hatte, saß aufrecht auf einem roten Lederstuhl, mit einem Notizblock in der einen und einem Glas Whisky in der anderen Hand. Evan sah jetzt, warum er die Baskenmütze trug. Dünne Strähnen waren über eine ausgeprägte, kahle Stelle gekämmt.

Das vierte Mitglied der Gruppe, das Evan zuvor nicht gesehen hatte, war eine blasse, schmale, junge Frau, die auf der Kante eines Stuhls mit gerader Rückenlehne saß. Ihre Hand ruhte mit einem Stift über einem Klemmbrett. Sie war zu dünn, dachte Evan, als er sie näher betrachtete. Nicht unattraktiv, aber definitiv zu dünn. Er machte sich nichts aus molligen Frauen, aber sie sah aus, als könnte eine starke Böe sie davontragen.

Sie alle blickten auf, als seine Schritte auf dem Boden aus Schieferplatten widerhallten.

„Oh, unser hilfsbereiter Polizist“, sagte der dunkelhaarige, junge Mann. Seine Stimme hatte einen gelangweilten Oberschicht-Tonfall. Er schenkte Evan ein charmantes Lächeln und deutete auf den Tisch. „Schnappen Sie sich einen Stuhl und bedienen Sie sich am Tee. Ich glaube, er hat noch nicht zu lange gezogen. Da sollte auch noch eine saubere Tasse sein, weil Howard schon beim Scotch angekommen ist. Ich bin übrigens Grantley Smith.“ Er streckte eine Hand aus. „Ich bin der Produzent von unserem kleinen Epos. Howard hier bedarf natürlich keiner Vorstellung. Weltberühmter, Oscar-prämierter Hollywood-Regisseur …“

Er ließ die Worte in der Luft hängen. Evan nickte dem älteren Mann zu. „Ich fürchte, ich bin bei Filmen nicht auf dem Laufenden“, sagte er.

„Ich bezweifle ohnehin, dass Sie von mir gehört hätten“, sagte der ältere Mann. „Ich habe einen Oscar in der Kategorie Dokumentation bekommen.“

„Das Herz der Dunkelheit. Über den Genozid in einem afrikanischen Bürgerkrieg. Sehr dramatische Geschichte. Er ist in unserem Metier hochangesehen, stimmt doch, oder, Howard?“ Grantley Smith schenkte ihm ein bewunderndes Lächeln.

Evan verspürte eine angespannte Stimmung. Er zog sich einen weiteren Stuhl mit gerader Lehne heran und setzte sich. „Sir, ich bin Constable Evans“, sagte er. „Mein Chief Inspector hat mir aufgetragen, Ihnen zu helfen. Wie ich hörte, planen Sie, einen Film über ein deutsches Flugzeug zu drehen?“

Der blonde Mann lehnte sich vor. „Tatsächlich ist es das oberste Ziel dieser Expedition, das Flugzeug zu bergen“, sagte er in einem Akzent, der ursprünglich aus Yorkshire stammen mochte, aber im Kontakt mit dem Süden geglättet worden war. „Ich bin übrigens Edward Ferrers.“

„Er ist unser erfahrener Expeditionsleiter – Enthusiast für die Flugzeuge des Zweiten Weltkrieges“, schaltete sich Grantley ein. „Manche Männer gehen Züge beobachten. Edward fängt bei alten Flugzeugen an zu sabbern. Chacun à son goût, schätze ich.“

Edward warf ihm kurz einen genervten Blick zu. „Ich leite die ganze Angelegenheit“, sagte er. „Es ist eine sehr heikle Unternehmung. Deshalb brauchen wir Sie in der Nähe, Constable – um sicherzugehen, dass sich niemand an der Ausrüstung zu schaffen macht oder uns generell in die Quere kommt.“

„Niemand verfolgt die Absicht, sich an deiner Ausrüstung zu vergreifen, Edward.“ Grantley Smith stieß seine Zigarette erbittert im Aschenbecher aus und zog eine neue aus der Schachtel. „Und bei dir klingt es, als wäre der Dreh völlig nebensächlich.“

„Na ja, ist er ja auch. Ich könnte das Flugzeug mit oder ohne euch bergen. Es ist bloß schön, wenn es fürs Museum dokumentiert wird. Und musst du diese widerlichen Dinger rauchen, Grantley?“

„Verlang nicht, dass ich meine Gitanes aufgebe, Edward. Man hat ohnehin nicht viele Freuden im Leben, findest du nicht?“

Evan verspürte einen kalten Schauer. Er räusperte sich.

„Wie ich hörte, liegt das Flugzeug im Llyn Llydaw“, sagte er. „Das wissen Sie mit Sicherheit, ja? Ich bin schon hundertmal an dem See vorbeigekommen und habe darin nie irgendetwas gesehen, das wie ein Flugzeug aussieht.“

Edward Ferrers lächelte herablassend. „Es ist ein tiefer See, Constable. Man könnte das Flugzeug von der Oberfläche aus gar nicht sehen. Wir haben Unterwasserkameras hinuntergelassen und es im vergangenen Sommer gefunden. Vielleicht ist Ihnen unser Kamerateam aufgefallen.“

Evan erwiderte das Lächeln. „Nicht wirklich, Sir. Im Sommer sind hier alle möglichen, seltsamen Leute auf dem Berg – und die meisten von Ihnen haben Kameras dabei.“

Edward räusperte sich. „Das wäre schon eine etwas größere Kamera als die durchschnittliche Sony gewesen, und zum Glück konnten wir damit bestätigen, was ich vermutet hatte. Ich habe eine Historie der in Snowdonia abgestürzten Militärflugzeuge geschrieben. Wie Sie vermutlich wissen, sind hier im Krieg etliche Flugzeuge verschollen, sowohl Flieger von der Royal Air Force, als auch feindliche Bomber. Die Berge und die Wolken stellten sich als tödliche Kombination heraus. Diese spezielle Dornier-17 wird in den deutschen Aufzeichnungen als verschollen geführt. Wir wissen, dass sie am 11. Oktober 1940 an einem Bombardement beteiligt war. Sie wurde von Spitfires angegriffen und fing Feuer. Aber dann verschwand sie. Der Flugroute nach zu urteilen, die sie genommen haben musste, und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nie irgendwelche Wrackteile gefunden wurden, nahm ich an, dass sie in einen der tiefen Seen hier oben gerutscht sein musste. Schließlich haben wir sie aufgespürt, in mehreren hundert Metern Tiefe und fast vollständig intakt. Deshalb hoffen wir, sie in einem Stück bergen zu können, vielleicht sogar zusammen mit den Insassen.“

„Sie meinen, die Männer könnten noch immer darin sein?“

„Oh ja, ich hoffe es. Sie hatte eine dreiköpfige Crew. Ich hoffe, dass ihre Uniformen noch identifizierbar sind.“

„Ich finde das gruselig.“ Zum ersten Mal meldete sich die junge Frau zu Wort. Eine kultivierte, leise Stimme. „Ich will nicht dabei zusehen, wenn ihr die Leichen da rausangelt.“

„Du bist unbeschreiblich feinfühlig, Sandie, Liebes.“ Grantley lehnte sich zu ihr und tätschelte ihr Knie. Sie lächelte ihn schüchtern an.

„Es werden ohnehin keine Leichen sein“, fuhr Edward fort. „Sie werden mittlerweile Skelette sein. Wenn sie sich noch in ihren jeweiligen Sitzen befinden, können wir sie identifizieren.“

„Das könnte ein bewegender Moment sein, wenn der Bruder herkommt.“ Grantley wandte sich an Howard.

„Der Bruder?“, fragte Evan.

Grantley richtete sich leicht aus seiner liegenden Haltung auf. „Wir versuchen eine Geschichte aus dem echten Leben mit hineinzubringen“, sagte er. „Ein fünfzig Jahre altes Flugzeug, das aus den Tiefen heraufkommt, mag für einige Menschen wie Edward aufregend sein, aber die BBC wird den Film deshalb noch nicht kaufen. Als Edward wegen des Projektes zu mir kam, habe ich beschlossen, dass wir das Konzept ausweiten müssen, um es zu verkaufen. Ich nenne meine Dokumentation Wales im Krieg. Wir haben eine Frau ausfindig gemacht, die als junges Mädchen hierher evakuiert wurde, und wir holen Gerhart Eichner her, den Bruder des Flugzeugpiloten.“

Howard blickte von der Liste auf, die er studiert hatte. „Und dabei könnten Sie uns vielleicht helfen, Constable. Würden Sie sich für uns im Dorf umhören?“

„Tolle Idee, Howard“, schloss sich Grantley an. „Wir könnten ein paar der alten Klatschtanten dazu bringen, ihre Kriegserinnerungen mit uns zu teilen – ihr wisst schon: ‚Ich weiß noch, wie wir drei Tage für einen Kabeljaukopf anstehen mussten, den wir kochen konnten um damit eine zehnköpfige Familie satt zu bekommen, und wir waren dankbar‘, solche Sachen. Die Leute hören sich begierig die Strapazen anderer an, oder?“

„Ich lebe noch nicht sehr lange in dem Dorf.“ Evan zögerte. Üblicherweise war er mehr als gewillt, zu helfen – Bronwen beschrieb ihn als zu groß geratenen Pfadfinder –, aber er hatte sich noch nicht wirklich für diese Leute erwärmt. Er hatte das Gefühl, dass er schnell ihr Mädchen für alles werden konnte, wenn er nicht vorsichtig war. „Ich könnte mich für Sie umhören“, sagte er langsam. „Oder noch besser, warum kommen Sie nicht für einen Abend runter in den Pub? Einige der älteren Männer wie etwa Charlie Hopkins wissen alles, was man über die Menschen von hier wissen kann.“

„Ich glaube nicht, dass wir es allgemein bekanntmachen wollen, dass wir hier oben filmen.“ Grantley Smith senkte die Stimme. „Ich würde unsere Anwesenheit nur ungern im Pub verkünden. Tatsächlich wäre es mir viel lieber, wenn Sie sich diskret umhören und uns berichten, bei wem sich ein Interview lohnen könnte. Wenn alle davon wissen, latschen uns die Schaulustigen überall auf dem Set herum und ruinieren die Aufnahmen.“

„Ich glaube nicht, dass Sie vor den Einheimischen verbergen können, was Sie hier tun“, sagte Evan. „In so einem Dorf kennt jeder jeden, und alles was passiert, macht die Runde.“

„Dann ist es Ihre Aufgabe, sie fernzuhalten, Constable“, sagte Grantley, immer noch mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. „Zeit ist Geld, wenn es ums Filmen geht.“

„In dem Fall sollten wir nicht zu viel Film mit den Interviews von alten Klatschtanten und Lokalkolorit verschwenden, Grantley“, warnte Edward. „Es wird nur eine sechzigminütige Dokumentation, keine sechsteilige Serie.“

„Das ist doch eine gute Idee.“ Grantley wandte sich wieder an Howard. „Wir könnten es zu einem Sechsteiler machen, wenn wir ausreichend Material bekommen. Wales im Krieg – die Miniserie.“

„Wir haben schon Glück, wenn wir genug Material für die sechzig Minuten bekommen“, sagte Howard trocken. „Ich weiß nicht, wie sehr sich die Leute noch für die Vergangenheit interessieren. Wir brauchen aktuelles Zeug …“

„Wie Kinder, die in Afrika in Stücke gehackt werden“, beendete Grantley den Satz für ihn. „Na ja, du kennst dich damit aus, nicht wahr, Howard?“

„Wann genau wollen Sie denn anfangen?“, fragte Evan, der sich mit den für ihn unverständlichen Schwingungen unwohl fühlte.

„Sofort“, sagte Edward. „Wir haben Bergungsausrüstung und Arbeiter an der Hand. Wenn wir morgen zum See hinaufgehen, können wir abschätzen, ob wir die Ausrüstung hochfahren können oder mit dem Hubschrauber einfliegen lassen müssen.“

Eine finanziell gut ausgestattete Expedition, dachte Evan. Wo kam das Geld her? Und welcher dieser Männer kontrollierte den Geldfluss?

Als er über die Passstraße vom Everest Inn herunterkam, und sich auf Höhe der beiden Kapellen befand, sah er, dass auf den beiden Anschlagtafeln neue Texte angebracht worden waren. Die Bethel-Kapelle zu seiner Linken hatte heute „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“ als Spruch gewählt, Psalm 121. Die Beulah-Kapelle zu seiner Rechten hatte mit „Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge sollen erniedrigt werden“ geantwortet, Jesaja. So führten die Hochwürden Parry Davies und Powell-Jones höflich, aber ausdauernd Krieg.

Als er anhielt, um die Tafeln zu belächeln, öffnete sich die Seitentür der Beulah-Kapelle und eine Gruppe von Schulkindern kam herausgestürmt. Sie grinsten Evan im Vorbeirennen zu.

„Hallo, Mr. Evans. Suchen Sie Miss Price?“, rief Terry Jenkins ihm zu. „Sie kommt gleich raus, glaube ich.“

„Sie trägt heute so ein hübsches Kleid, Mr. Evans“, fügte die junge Megan Hopkins verschlagen hinzu. „Ich finde, sie sieht toll aus.“

Evan war sich sehr wohl bewusst, dass die Schülerinnen und Schüler versuchten, ihn mit ihrer Lehrerin zu verheiraten und fanden, dass er sich viel zu viel Zeit damit ließ. Manchmal glaubte er auch, dass er sich zu viel Zeit ließ. Aber er genoss die Dinge so, wie sie im Augenblick waren – die mütterliche Mrs. William kümmerte sich um seine Bedürfnisse, an den Wochenenden hatte er Freizeit, um wandern oder klettern zu gehen, und Bronwen wohnte gleich die Straße hinauf in einem kleinen Haus, das mit dem Schulgebäude zusammenhing.

Während Evan so dastand, trat Bronwen aus der Tür der Kapelle. Die steife Brise fing sich in den Strähnen ihres aschblonden Haares und wehte es wie einen Heiligenschein um ihr Gesicht. Sie trug wieder ihr blaues Jeanskleid – das so gut zu ihren Augen passte – und hatte ihren Rotkäppchen-Umhang darüber geworfen. Der Umhang wirbelte im Wind, als hätte er ein Eigenleben. Evan schloss sich nur zu gerne der Einschätzung an, dass sie sehr hübsch aussah.

„Hallo, was machst du hier?“, fragte er, als sie auf ihn zueilte. „Ich wusste nicht, dass du dich der gegnerischen Kapelle angeschlossen hast. Unterichtest du jetzt in der Sonntagsschule?“

„Nein, danke.“ Sie rümpfte die Nase. „Ich mag meine Sonntage als kinderfreie Zeit. Mrs. Powell-Jones hat mich genötigt, ihr dieses Jahr beim Krippenspiel zu helfen. Du weißt, wie schwer es ist, bei ihr nein zu sagen.“

Evan nickte. Das wusste er sehr wohl. „Wie läuft es bisher?“

„Wir hatten gerade unser erstes Treffen und schon jetzt gibt es große Probleme. Mrs. Powell-Jones besteht darauf, dass der Engel Gabriel männlich ist, und keiner meiner besten Jungs will freiwillig ein weißes Nachthemd tragen.“

Evan lachte. „Mrs. Powell-Jones hat natürlich die Regie.“

„Sie macht die Regie, die Kostüme, das Bühnenbild und vermutlich auch die Sandwiches für den anschließenden Tee. Ich bin nur da um das Klemmbrett zu halten und ‚Ja, Ma’am‘ zu sagen.“

„Klingt ganz wie die Leute, die ich oben im Everest Inn getroffen habe“, sagte Evan.

„Oh, die Filmcrew? Dann hatten die Kinder recht. Hier in der Gegend wird ein Film gedreht.“

„Wie zum Teufel haben sie das so schnell herausbekommen?“, fragte Evan. „Ich glaube wirklich, dass die Bewohner von Llanfair sich beim Secret Service verdingen könnten.“

„Glynis Rees’ Cousin arbeitet als Hotelpage im Everest Inn. Er hat ihre Taschen aufs Zimmer gebracht und Kameras und Filmrollen gesehen. Und der alte Mann trug eine Baskenmütze. Und sie fragten, wie weit es bis zum Llyn Llydaw sei. Werden sie einen neuen König-Artus-Epos drehen? Soll Excalibur nicht aus der Mitte des Llyn Llydaw gekommen sein?“

„Nichts derart Spannendes, fürchte ich. Sie drehen eine Dokumentation über ein Flugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg, das aus dem See geborgen wird – aber erzähl das bitte nicht weiter. Sie wollen es geheim halten.“

„Na, damit haben sie hier tolle Aussichten.“ Bronwen lachte. „Jedes Kind im Dorf wird am Wochenende bei ihnen auftauchen und Hilfe anbieten.“

Evan runzelte die Stirn. „Mir wurde aufgetragen, Schaulustige fernzuhalten. Und ich freue mich nicht darauf, das kann ich dir sagen. Das scheint ein temperamentvoller Haufen zu sein.“

„Eine Schande, dass ich nicht mehr verheiratet bin“, sagte Bronwen.

Evan wirbelte herum und starrte sie an.

Sie lächelte. „So meinte ich das nicht. Es ist wundervoll, dass ich nicht mehr verheiratet bin. Was ich sagen wollte, ist, dass mein Ehemann im siebten Himmel gewesen wäre, wenn in der Nähe ein Flugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg geborgen worden wäre. Er wäre da oben gewesen, und hätte ihnen freiwillig die Taschen getragen und Tee gemacht. Er war besessen von alten Flugzeugen, besonders von denen aus dem Zweiten Weltkrieg.“

Sie liefen gemeinsam die verwaiste Straße hinab. Der Wind blies ihnen kräftig ins Gesicht.

„Ganz schön langweilig“, sagte sie und erschauderte. „Ich kann nicht glauben, dass ich ihn je geheiratet habe.“

Sie gingen in unbehaglicher Stille weiter. Evan hatte Fragen, doch er stellte sie nicht. Sie hatten jetzt schon so lange Rücksicht auf ihre gegenseitige Privatsphäre genommen. Er wusste, dass sie ihm mehr sagen würde, wenn sie dafür bereit war.

„Wie auch immer, es war auf jeden Fall ein großartiger Tag“, sagte Evan. „Zu schade, dass es ein Wochentag ist. Das letzte Wochenende war so nass und düster.“

„Für dich war es nur düster, weil du zweimal beim Scrabble verloren hast.“ Sie warf ihm ein herausforderndes Lächeln zu.

„Reite nicht darauf herum. Ich bin mir meiner intellektuellen Unzulänglichkeiten bewusst.“

„Red keinen Quatsch. Ich musste in der Universität etliche langweilige Bücher lesen und habe mir reichlich unnützes Wissen angeeignet.“ Sie hatten das Tor zum Schulhof erreicht. Aus dem Schornstein des Schulgebäudes stieg Rauch auf. „Sollen wir am Wochenende etwas unternehmen, wenn dieses schöne Wetter anhält?“, fragte sie.

„Es ist nicht allzu wahrscheinlich, dass ich am Wochenende frei haben werde“, sagte Evan. „Ich vermute, die Filmcrew wird dann arbeiten, wenn das Wetter gut ist.“

„Das ist nicht fair“, sagte Bronwen. „Sie lassen dich ständig am Wochenende arbeiten.“

„Das geht allen Polizisten so. Wenn es Arbeit gibt, dann arbeiten wir. Detectives nehmen sich auch keinen freien Tag, wenn sie in einem Mordfall ermitteln, oder?“

„Alte Flugzeuge im Auge zu behalten ist wohl kaum das Gleiche wie Mordverdächtige zu jagen“, sagte Bronwen. „Wie auch immer. An den Abenden hast du frei, oder? Vielleicht versuche ich mich an einem dieser französischen Rezepte, die ich gelernt habe.“

„Vielleicht könntest du es mir beibringen“, sagte Evan.

Sie wirkte überrascht.

„Ich muss lernen zu kochen, wenn ich irgendwann mal alleine leben möchte.“

„Na, das ist mal ein gutes Zeichen“, sagte sie.

„Ein Zeichen wofür?“, stocherte er.

„Dafür, dass du endlich erwachsen wirst“, erwiderte sie. Dann legte sie ihre Finger sanft auf seinem Arm ab. „Denkst du immer noch über das Cottage vom alten Rhodri nach?“

Er nickte. „Ich hatte noch nicht genug Zeit, um herauszufinden, welche Wege ich gehen müsste, um es zu erwerben. Ich kann mir vorstellen, dass diese Engländer es nur zu gerne verkaufen würden, aber es steht im Nationalpark, oder? Und alle Pläne zum Wiederaufbau müsste ich dann mit denen abklären. Und wie ich hörte, geht da nichts einfach. Aber trotzdem denke ich noch darüber nach.“

„Ich halte es für eine schöne Idee.“ Bronwen lächelte zu ihm herauf. „Und groß genug, wäre es, oder?“

Groß genug für zwei, dachte Evan, als er allein nach Hause ging. Hatte Bronwen das gemeint? Und Bronwen gefiel die Idee. Er war beeindruckt davon, wie glücklich ihn diese Tatsache machte. Natürlich plante er, eines Tages zu heiraten. Und er war sich ziemlich sicher, dass er den Rest seines Lebens mit Bronwen verbringen wollte. Na dann, auf geht’s, Junge, sagte er sich. Du kannst doch nicht dein Leben lang darunter leiden, kalte Füße bekommen zu haben.

Kapitel 4

Ein angenehmes Summen aus Unterhaltungen empfing Evan, als er an diesem Abend die schwere Eichentür zum Red Dragon öffnete. Ausnahmsweise konnte er sich nicht auf einen Abend mit Bier und angenehmer Gesellschaft freuen. Es würde nicht leicht werden, einen Mittelweg zwischen der Neugierde der Einheimischen über das neue Projekt und seiner Anweisung zu finden, alles geheim zu halten. Er ging davon aus, dass jeder Mann im Pub beinahe genauso viel über die kürzlich eingetroffenen Filmemacher wusste wie er und nur darauf wartete, ihn nach weiteren Einzelheiten auszuquetschen.

„Da ist er ja!“ Charlie Hopkins sah auf, während er ein volles Glas von der Bar hob. „Die junge Betsy fragt sich schon, was Sie aufgehalten hat, Evan bach. Sie fürchtet, dass Sie mit den ganzen Filmstars schon auf du und du sind!“

Betsy, die Barfrau, richtete ihre großen, blauen Augen auf ihn. Ihr Haar war in dieser Woche leuchtend rot und damit sah sie der Kleinen Waise Annie erschreckend ähnlich. Seit sie einmal beinahe von einem berühmten Opernsänger verführt worden war, der vorgeschlagen hatte, sie solle ihre Haare färben, experimentierte sie damit herum. In letzter Zeit schien sie sich auf Rottöne eingeschossen zuhaben.

„Ich wüsste nicht, warum Filmstars mir vorzuziehen sein sollten“, sagte Betsy, während sie Evans Blick hielt. „Ich habe von allem reichlich, und genau an den richtigen Stellen, nicht wahr, Evan bach?“

Evan war aufgefallen, dass Betsy etwas trug, was eigentlich ein sittsamer Pullover hätte sein können. Ein weißer, flauschiger Rollkragenpullover. Unglücklicherweise war er ihr etwa drei Nummern zu klein und betonte jede ihrer Kurven. Evan vermutete, dass sie zudem eine Art gefütterten BH trug. Er hatte ihre Brüste nicht ganz so groß in Erinnerung. Als sein Blick nach unten glitt, stellte er verdutzt fest, dass der Pullover keine zehn Zentimeter unterhalb ihrer Brüste endete und den Blick auf verlockende, glatte, weiße Haut freigab.

Er schluckte schwer. „Du siehst genauso gut aus wie ein Filmstar, Betsy“, sagte er.

„Seht ihr.“ Betsy lehnte sich zu der Gruppe von Männern an der Bar herüber. „Ich hab euch doch gesagt, dass er eigentlich auf mich steht, oder? Diese Bronwen Price mag eine recht nette Wanderbegleitung in den Bergen sein, aber schlussendlich gibt es nur eine Sache, die Männer glücklich macht, nicht wahr? Und das hat nichts mit Wandern zu tun!“

Während sie sprach, wich ihr Blick nicht aus seinem Gesicht. Der Raum kam ihm plötzlich sehr warm vor.

„Was dieser Mann hier jetzt gerade will, ist ein Pint Guinness, bitte, Betsy“, sagte er.

„Und manche von uns warten schon so lange auf ihre nächste Runde, dass wir verdursten“, beschwerte sich Eimer-Barry. „Ich verstehe nicht, warum du deine Zeit damit verschwendest, darauf zu warten, dass Evan nachgibt, wenn es hier doch viele gutaussehende, starke Kerle gibt, die wissen, wie man dir Vergnügen bereitet.“

Betsy wandte sich zu dem jungen Planierraupen-Fahrer. „Du kannst mich gerne einem von ihnen vorstellen, Barry“, sagte sie lieblich.

Die anderen Männer im Pub brachen in schallendes Gelächter aus.

„Du kannst sie nicht austricksen, Junge“, gluckste Charlie Hopkins. „Unsere Betsy ist gerissen, nicht wahr, Betsy fach?“

Barry stieg die Schamesröte ins Gesicht. „Wenn sie wüsste, was gut für sie ist, würde sie auf mein Angebot eingehen und glücklich werden“, sagte er. „In einem Kaff wie diesem hat ein Mädchen nicht allzu viel Auswahl, oder?“

Betsy strich sich mit der Hand durch ihre strahlend roten Locken. „Und wer sagt, dass ich beabsichtige, in einem Kaff wie diesem zu bleiben? Ich warte nur auf den richtigen Augenblick, verstehst du, darauf, dass das Schicksal mich an die Hand nimmt.“ Der Blick aus ihren großen, unschuldigen Augen richtete sich auf Evan. „Und wer weiß – vielleicht hat das Schicksal gerade an meine Tür geklopft.“

„Das war ich, der auf die Bar hämmert, weil ich ein neues Pint will“, knurrte Fleischer-Evans. „Hör auf, deine Zeit zu vertun und mach weiter, Betsy. Hier verdursten Männer.“

Betsy lächelte gelassen, als sie das Pint zapfte und das schäumende Glas vor dem Metzger abstellte. „Sie sollten meine Anwesenheit besser genießen, solange ich noch hier bin, Mr. Evans. Vielleicht muss ich das hier bald nicht mehr tun.“

„Warum, wohin gehst du denn?“, fragte Milchmann-Evans.

Betsy lächelte geheimnisvoll in Evans Richtung. „Ich hatte gehofft, dass Evan Evans mich den Regisseuren vorstellen würde. Sie brauchen bestimmt Statisten für ihren Film und vielleicht werde ich dabei entdeckt und gehe nach Hollywood.“

„Moment mal, Betsy“, sagte Evan eilig. „Du hast das falsch verstanden. Sie kommen nicht aus Hollywood …“

„Das ist mir egal. Britische Filme sind genauso gut. Ich hätte nichts dagegen, neben Hugh Grant auf der Leinwand zu erscheinen – ich finde ihn einfach hinreißend. Und was ist mit Ieuan Griffith? Gegen eine Liebesszene mit ihm hätte ich auch nichts einzuwenden – und wir könnten sie sogar auf Walisisch spielen.“

„Betsy!“ Evan war lauter geworden, als er es beabsichtigt hatte. Plötzlich herrschte Stille im Pub. „Sie sind nicht hier, um einen Spielfilm zu drehen.“

„Wofür ist dann der ganze Kram?“, wollte Pumpen-Roberts wissen, der Besitzer der örtlichen Tankstelle. „Mrs. Rees aus Nummer dreiundzwanzig hat mir erzählt, dass ihr Neffe Johnny, der im Gasthof arbeitet, ihr Gepäck hochtragen musste. Er sagte, sie hätten lauter Schließkassetten mit Film und große Kameras dabeigehabt. Und sie haben ihm ein lausiges Trinkgeld von einem Pfund gegeben …“

„Verdammte Ausländer“, murmelte Fleischer-Evans.

„Und Sie sprachen über Szenen und Drehs“, fuhr Pumpen-Roberts fort. „Wenn das nichts mit einem Filmdreh zu tun hat, was dann?“ Er lehnte sich über die Bar zu Betsy. „Ich wette, sie wollen es geheim halten, weil sie ein paar große Stars herbringen, die nicht belagert werden wollen.“

„Oh, ich hoffe, es ist Mel Gibson“, sagte Betsy. „Bei ihm läuft es mir heiß und kalt den Rücken hinunter. Er erinnert mich ein wenig an dich, Evan bach!“

„Oh ja. Der gleiche, großartige Körper, nicht wahr?“ Barry kicherte.

Evan lachte, um sein Unbehagen zu verbergen. „Manchmal sagst du die verrücktesten Dinge, Betsy.“

Die anderen Männer lachten ebenfalls. „Vielleicht könnten Sie anbieten, sein Double zu sein, Junge. Wenn er von der Spitze des Yr Wyddfa stürzen muss, könnten Sie das für ihn übernehmen.“

„Einen Moment.“ Evan hob die Hand. „Ihr liegt völlig falsch. Sie drehen wirklich keinen Spielfilm. Das sind nur ein paar Leute, die hergekommen sind, um ein altes, deutsches Flugzeug aus dem Llyn Llydaw zu ziehen, und sie werden das für irgendein Museum filmen. Das ist alles.“

„Mehr nicht?“, fragte Betsy, dann zeigte sich Enttäuschung auf ihrem Gesicht. „Dann kommen keine Hollywood-Stars?“

„Keine Stars. Nur ein altes Flugzeug.“

„Aus dem Llyn Llydaw, sagten Sie?“ Charlie Hopkins stellte sein Glas ab und war plötzlich hellwach.

„Ganz richtig. Ein deutscher Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg.“

Charlie stieß ein erfreutes Glucksen aus. „Dann hatten wir die ganze Zeit recht. Das Flugzeug ist tatsächlich abgestürzt.“

„Sie wissen davon, Charlie?“

„Ja, natürlich. Mein Vater und ich haben es gesehen. Ich war damals noch ein junger Bursche, gerade mit der Schule fertig und als Lehrling in der Schiefermine angestellt. Wir lauschten eines Abends im Wohnzimmer dem Radio, als wir das Flugzeug hörten. Wir wussten gleich, dass es eines von ihren war … na ja, damals wusste man das eben, nicht wahr? Wir rannten raus und sahen es das Tal heraufkommen, sehr niedrig über unseren Köpfen. Die Triebwerke klangen, als gäbe es Probleme. Mein alter Herr rollte die Ärmel hoch und sagte: ‚Die kommen besser nicht auf die Idee, hier zu landen, sonst kriegen sie’s mit mir zu tun.‘ Oh, wir haben gelacht; die Vorstellung, mein alter Herr würde es mit blanken Fäusten mit deutschen Soldaten aufnehmen. Wobei, wenn ich darüber nachdenke, er hätte es ihnen durchaus zeigen können. War fit wie ein Turnschuh, der Mann. Man hat bei der Arbeit in der Schiefermine ordentlich Muskeln aufgebaut, nicht wahr, Jungs?“

Mehrere Köpfe nickten.

„Ich wünschte, ich wäre dagewesen, um es diesen Deutschen zu zeigen“, murmelte Betsys Vater, Sam Edwards, von seinem üblichen Tisch in der Ecke aus, wo er mit seinem Whisky saß.

„Du hättest nicht mal gerade genug gucken können, um sie zu treffen, Sam“, kommentierte Charlie.

Betsys Vater nahm das freundlich hin. „Diese verdammten Deutschen. Nichts Gutes kam je für uns dabei heraus, seit wir uns mit ihnen angefreundet haben, oder? Wir haben uns dem verdammten gemeinsamen Markt angeschlossen, und was ist passiert? Die Schiefermine wurde geschlossen und wir haben unsere Arbeitsplätze verloren. Deutsche wollen keinen Schiefer auf ihren Dächern, was?“

„Ach, hör schon auf, solche dummen Sachen zu sagen, Tad. Du hast deine Arbeit nicht wegen der Deutschen verloren.“ Betsy wies ihn mit einer Handbewegung ab. „Erzähl weiter, Charlie. Was ist mit dem Flugzeug passiert? Ist es abgestürzt?“