Jede Menge Kies - Erwin Kohl - E-Book

Jede Menge Kies E-Book

Erwin Kohl

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Beschreibung

Tod, tödlicher, Niederrhein Humorvolle Krimiunterhaltung mit viel Lokalkolorit und einer Prise Gesellschaftskritik. Eigentlich sollte Privatermittler Lukas Born herausfinden, wer dem Bauern Gerd Heitkamp ans Leder will. Doch kaum hat er den Auftrag angenommen, liegt sein Klient auch schon mausetot auf der Wiese – genau dort, wo Heitkamp am Vorabend gegen die Auskiesung von Ackerland demonstriert hat. Warum wollte er mitten in der Nacht nach Hause laufen? Wem ist er unterwegs begegnet? Und vor allem: Welches Geheimnis hat er mit in den Tod genommen?

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Seitenzahl: 362

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Erwin Kohl wurde 1961 in Alpen am Niederrhein geboren und hat diese herrliche Tiefebene seither nicht verlassen. Als freier Journalist schreibt er für die Rheinische Post und die NRZ/WAZ. Grundlage seiner Geschichten sind zumeist reale Begebenheiten; die Soziologie der Niederrheiner und ihre vielschichtigen Charaktere bilden den Hintergrund.

 

 

 

 

 

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

 

© Emons Verlag GmbH

Cäcilienstraße 48, 50667 Köln

[email protected]

www.emons-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept

von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Christiane Geldmacher, Textsyndikat Bremberg

E-Book-Erstellung: Geethik Technologies Pvt Ltd

ISBN 978-3-98707-302-1

Niederrhein Krimi

Originalausgabe

Dieser Roman wurde vermittelt durch die

Autoren- und Verlagsagentur Peter Molden, Köln.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen

insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß

§ 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

 

Ich lebe von Luft und Niederrhein.

Ich liebe den weiten Himmel,

die langsamen Flüsse,

die kleinen Leute und

das große Schweigen.

Hanns Dieter Hüsch

 

Proteste verraucht,

Argumente verbraucht,

segeln, baden, Sonnenschein

hier an unserem Niederrhein.

Einer denkt, es ist vorbei,

dem anderen ist das einerlei.

Bettina Kohl

1

Montag, 30. Juni, 14.25 Uhr

Manolo säuft die Schüssel in einem Zug leer. War wohl nicht die beste Idee von ihm, bei sonnigen siebenundzwanzig Grad einen Hasen über drei Felder zu jagen. Nach einem ausgiebigen Spaziergang durch den halben Hochwald wohlgemerkt. Brauchen wir beide, meinte zumindest Linda mit Verweis auf meinen Gemütszustand. Zugegeben, die Untätigkeit nagt an mir. Vielleicht hätte ich der freischaffenden Künstlergemeinschaft noch ein wenig länger zusehen sollen, bevor ich der Regional-Bahn-Niederrhein AG steckte, wer die ebenso farbenprächtigen wie unerwünschten Ergüsse an ihre Waggons sprayt. Aber mit den nach zwei Wochen dezent eingestreuten Zweifeln an meiner fachlichen Kompetenz hat mein Auftraggeber einen gewissen Tatendrang eingeleitet. Immerhin versetzt mich die Abschlussrechnung in die Lage, dem weiteren Verlauf des Sommers gelassen entgegenzusehen. Also bis August zumindest. Ich könnte mich also entspannt auf der Gartenliege breitmachen und dem Rasen beim Wachsen zusehen. Kann ich aber nicht, bin ich nicht für gemacht. Zwei Wochen konnte ich mich gefühlsmäßig mit Heimwerken über Wasser halten. Bis Linda sagte, dass unser Mobilheim mehr Regale habe als der Baumarkt. Dann habe ich mir den Teich vorgenommen, in dem es inzwischen selbst Kois zu sauber wäre. Vor einer Stunde hat der Grad der vom Nichtstun hervorgerufenen Verzweiflung seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Gemäß der von meinem Nachbarn einseitig vereinbarten Heckenschnittordnung … allein dieses Wort. Ich muss allmählich zugeben, dass Lindas Sorgen voll und ganz berechtigt sind.

»Das wurde aber auch höchste Zeit. Johannistag war ja schon letzten Dienstag.«

Ich lehne die Heckenschere gegen ihren Aufgabenbereich, drücke das Kreuz durch und massiere mit beiden Händen meine untere Lendenwirbelsäule. Hermann-Josef presst die Lippen, wiegt sanft den Kopf hin und her und sieht mich dabei an wie einen Erstklässler, der sich in die Hose gemacht hat. Vor drei Wochen hat mich mein Nachbar in einem ermüdend langen Monolog darüber aufgeklärt, dass der Pflegeschnitt idealerweise um den 24. Juni zu erfolgen hat, weil eine Hecke, die etwas auf sich hält, am Johannistag mit dem zweiten Austrieb beginnt oder so ähnlich.

»Und hier würde ich an deiner Stelle noch mal drübergehen.« Hermann-Josefs Blick landet mahnend auf einer seichten Erhebung der ansonsten schnurgerade geschnittenen Krone. Der pensionierte Finanzbeamte mit der Vorliebe für Vorschriften aller Art und deren Einhaltung hat es damit geschafft, auf Happy Eiland inzwischen unbeliebter zu sein als Dauerregen oder Verwandtschaftsbesuch am Wochenende.

»Ist meine persönliche Note«, erwidere ich leicht angesäuert mit einem Blick auf die kritisierte Stelle. Meinen rechten Arm drängt es zur Heckenschere, mein Gehirn malt das Bild einer bodennah abgemähten Buchsbaumhecke. Seit zwei Jahren geht der Kerl mir auf den Sack. Einzig Lindas Wunsch nach einer halbwegs guten Nachbarschaft konnte den Ausbruch eines offenen Konfliktes bislang verhindern.

Apropos Linda. Meine Freundin kommt in diesem Augenblick mit einer Tasche in der Linken, einer gelben Rose in der Rechten und einem merkwürdigen Lächeln nach Hause. Ich lasse Hermann-Josef in Ruhe den ordnungsgemäßen Zustand seiner Hecke kontrollieren und folge Linda ins Mobilheim.

Mit einem Schwung stellt sie die Tasche auf die Arbeitsplatte neben dem Kühlschrank, fährt voller Elan herum und wedelt mit der gelben Rose vor meinem verdutzten Gesicht herum. »Und? Wie heißt sie?«

»Rose, würde ich sagen«, entgegne ich lapidar und auf der Suche nach dem Sinn.

»Ich meine deine Verehrerin.« Linda scheint Spaß an der Sache zu haben. Bevor ich antworten kann, bringt sie mich des Rätsels Lösung näher. Das heißt, eigentlich entfernt sie mich eher davon. »Die steckte hinter Emmas Scheibenwischer.«

»Wird von einem meiner Groupies sein. Wieso hat das eigentlich so lange gedauert beim Gesundheitsamt?«

Ihr Lächeln verschwindet schlagartig. »Für das Gesundheitszeugnis habe ich zehn Minuten gebraucht. Die restlichen zwei Stunden stand ich im Stau. Das waren bestimmt hundert Bauern, die mit ihren Treckern zum Kreishaus gefahren sind.«

Stimmt. Kam heute Morgen in den Lokalnachrichten. Die Bauern sind auf der Palme, weil der RVR in seinem Regionalplan Ruhr festgelegt hat, dass über neunhundert Hektar ihrer Felder für den Kiesabbau verschwinden sollen. Uwe schreibt seit Wochen über fast nichts anderes mehr. Beinahe jeden Tag meldet sich eine Bürgerinitiative zu Wort, oder Politiker versprechen weiterhin blühende Landschaften.

»Und dann ist auch noch die Klimaanlage ausgefallen, und ich saß in einer rollenden Sauna. Wenn es mal rollte. Apropos: Bist du so lieb und bringst meinen Wagen in die Werkstatt? Die wissen schon Bescheid.«

Linda hat ihren Wagen vor dem Ziegengehege abgestellt. Sie hasst es, mit dem Auto über den Platz zu fahren. Lieber schleppt sie Einkaufstüten. Zumal der Besucherparkplatz zwei Wochen vor den Sommerferien noch genügend freie Stellplätze bereithält. Als ich mich auf den Fahrersitz schwinge, kann ich verstehen, wie sich Stahlarbeiter am Hochofen fühlen müssen. Ich will den Motor gerade starten, als sich mein Handy meldet.

»Gerd Heitkamp hier, guten Tag. Spreche ich mit dem Privatdetektiv Lukas Born?«

»Am Apparat.«

»Ja, also, ich habe Ihre Nummer aus dem Internet. Machen Sie auch Personenschutz?«

»Tut mir leid. Ich bin Privatdetektiv, da müssten Sie sich an jemand anderen wenden. Sind Sie denn in akuter Gefahr?«

Schwerfälliges Atmen dringt an mein Ohr. In einem ersten Reflex bin ich versucht, den Auftrag anzunehmen. Besser als Hecke schneiden oder Emma putzen. Aber zum einen bin ich nicht bewaffnet, und zum anderen fehlt es mir an der nötigen Nahkampfausbildung. Unter anderem.

»Ich habe eine Morddrohung bekommen.«

Oha.

»Waren Sie bei der Polizei?«

Heitkamp zögert. Die Türglocke ertönt. Im Hintergrund bellt ein Hund.

»Das geht nicht.«

»Warum nicht? Mit einer Morddrohung ist nicht zu spaßen.«

»Deshalb rufe ich Sie ja an, verdammt noch mal!« Heitkamps Nerven liegen offensichtlich blank. »Entschuldigung. Ich kann damit nicht zur Polizei gehen, bitte akzeptieren Sie das einfach. Außerdem würden die das sowieso nicht glauben. War ja telefonisch. Vielleicht können Sie mit den Leuten reden.«

»Es sind mehrere?«

»Vermutlich.«

Boah, Kerl, jetzt rede doch endlich.

»Herr Heitkamp, wenn ich Ihnen helfen soll, brauche ich schon etwas mehr als Vermutungen.«

Die Türglocke erklingt ein zweites Mal.

»Ja, doch, ich komme ja schon«, schreit Heitkamp. Der Hund bellt erneut. Heitkamp ruft ihm etwas zu, das Tier verstummt augenblicklich. »Ich werde abgeholt. Können Sie morgen zu mir kommen? Rößweg 43 in Menzelen-Ost. So gegen neun?«

»In Ordnung«, rutscht es mir heraus. Ich meine, man kann es sich ja mal anhören.

2

Dienstag, 1. Juli, 7.15 Uhr

Nebenan rauscht das Duschwasser, während ich den Frühstückstisch eindecke. Kaum röcheln die letzten Tropfen durch die Kaffeemaschine, springt die Fliegenschutztür auf, und Manolo steht mit der Brötchentüte um den Hals und in Erwartung des Botenlohnes vor mir. Ich nehme ihm die Tasche ab, reiße ein Brötchen auseinander, schmiere fingerdick Leberwurst drauf und werfe es in seinen Napf. Mit einer Tasse Kaffee setze ich mich auf die kleine Bank am Teich. Die Morgensonne kriecht langsam über Happy Eiland und bringt angenehme vierundzwanzig Grad mit. Die Gedanken wandern zum anstehenden Treffen mit Heitkamp. Seine Andeutung, dass vermutlich mehrere Personen hinter der Morddrohung stecken, lässt darauf schließen, dass ihm der Grund dafür bekannt ist. Und die Polizei möchte er auf gar keinen Fall einschalten, weil er sich damit selbst belasten würde.

Nach dem Frühstück laufe ich mit meinem knötternden Begleiter zum Parkplatz. Der Junge ist ausgiebige Runden um den Platz gewohnt, und zwar vor dem Frühstück. Mit einem kapitalen Haufen, ausgerechnet auf dem mustergültig gepflegten Rasen unseres Platzwartes, verleiht er seinem Protest Ausdruck. Der breite Hauptweg, der den Bereich der Dauercamper von den touristischen Stellplätzen trennt, wird um diese Zeit zur Brötchenchaussee. Alle paar Meter grüßen mich entgegenkommende Mitcamper mit der Tüte in der Hand. Vor dem Eingang von Lissys Bistro sitzen die üblichen Stammgäste bei einer Tasse Kaffee und winken mir zu. Zwei Minuten später starte ich das Navi, werfe Emma an und erkläre meinem ungeduldigen Beifahrer, dass er gleich zu seiner Morgenrunde kommt.

Ich hatte mir gestern Abend die Route zu Heitkamp aufs Handy geladen und dabei festgestellt, dass in unmittelbarer Nähe ein Freizeitsee liegt, um den ein Rundwanderweg führt.

Dieser ist allerdings länger, als ich vermutet hatte, und so muss ich in Höhe eines Surfclubs in ein strammes Joggingtempo übergehen, um es pünktlich zu schaffen. Mit fünf Minuten Verspätung erreiche ich das Ziel. Eine Ansammlung von drei Häusern, die inmitten von Kornfeldern wie eine Insel aus der Landschaft ragen. Ich parke Emma vor dem großen Haus in der Mitte, das quer zur Fahrbahn errichtet wurde, und kurbele alle Fenster runter.

»Du bleibst im Auto.«

Manolo entgegnet ein müdes Gähnen und macht es sich auf der Rückbank bequem.

Kaum habe ich den Klingelknopf in den Messingteller gedrückt, ertönt ein Bellen. Zwei Sekunden später taucht hinter der Milchglasscheibe schemenhaft ein Schäferhund auf. Sonst niemand. Der Hund beruhigt sich. Ich klingele erneut. Prompt kommt die tierische Antwort.

Sonst nichts.

Nachdem ich zwei Minuten gewartet habe, laufe ich um das Haus herum. Das Anwesen wirkt verlassen.

»Der Opa ist nicht da.«

Ich drehe mich um und blicke in die neugierigen Augen eines kleinen Mädchens.

»Wer bist du denn?«, will es wissen.

»Ich bin der Lukas. Wo ist der Opa denn?«

Das Mädchen hebt die Schultern, dreht sich mit einem Ruck herum und rennt auf eine Schaukel zu, die von einer alten Eiche baumelt. »Schubst du mich an?«

»Lina, wo bleibst du denn? Wir müssen los.«

Eine schlanke rothaarige Frau, deren Alter ich auf Ende vierzig schätzen würde, kommt auf uns zu. Sie trägt ein farbenfrohes Sommerkleid. Um ihre Schulter hängt eine fliederfarbene Handtasche. Als sie mich sieht, legt sich eine Falte auf ihre Stirn.

»Kann ich Ihnen helfen?«

»Lukas Born. Ich war mit Gerd Heitkamp verabredet.«

Sie hebt die Schultern. Scheint in der Familie zu liegen. »Mein Schwiegervater ist nicht zu Hause.«

»Das hat mir Ihre Enkeltochter schon gesagt. Wissen Sie vielleicht, wo er ist?«

»Meine Tochter, und nein, das weiß ich nicht. Kommst du jetzt bitte, Lina?«

Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, marschiert sie mit dem Mädchen an mir vorbei zu einem kleinen roten Japaner, steigt ein und braust los.

Auf dem Weg zum Auto bleibe ich an der Haustür stehen. Mein Arm wandert automatisch zum Klingelknopf, mein Verstand sagt mir, dass das sinnlos ist, und sendet das Gespräch von gestern Nachmittag in mein Bewusstsein. Er habe eine Morddrohung erhalten, sagte Heitkamp. Wenige Sekunden später klingelte es an der Tür. Heitkamp sagte, dass er abgeholt werde. Wurde er das? Oder hat er seinen Mörder ins Haus gelassen? Das würde bedeuten … Meine Hand wandert automatisch in die Hosentasche und holt das Pickset raus. Bevor ich den Spanner ins Türschloss schiebe, drehe ich mich instinktiv um und erkenne die Kamera am Haus gegenüber. Weitwinkel mit bestem Überblick. Mist. Die Polizei anrufen? Dann dürfte es erst mal vorbei sein für mich. Anrufen ist aber kein schlechter Gedanke, hätte ich auch eher draufkommen können. Heitkamps Nummer steht in der Anrufliste immer noch ganz oben.

Nach dem sechsten Freizeichen, ich will gerade auflegen, meldet sich eine nur allzu vertraute Stimme.

»Hallo, mit wem spreche ich?«

»Julia?«

»Lukas! Wie kommst du an diese Nummer?«

»Gegenfrage: Wie kommst du an das Handy meines Klienten?«

»Dein Klient?«, schießt es lautstark in mein Ohr.

»Na ja, fast. Ich nehme mal an, Herr Heitkamp befindet sich auf dem Weg in die Rechtsmedizin.«

Ich kann die Gedanken meiner Noch-Gattin und Ex-Kollegin förmlich rattern hören. Plötzlich spüre ich einen Schmerz in der Magengegend. Verdammt, warum habe ich nicht darauf bestanden, dass wir uns sofort treffen? Heitkamp könnte womöglich noch leben.

»Woher weißt du, dass dein Klient ermordet wurde?«

»Er hat es mir gesagt.«

»WAS? Du kommst sofort hierher!«

3

Dienstag, 1. Juli, 9.40 Uhr

In Höhe eines Angelteichs läuft die Wohnbebauung aus, und die gepflasterte Straße geht in einen asphaltierten Feldweg über. Vor der Unterführung einer Umgehungsstraße, die den Osten Alpens wie eine moderne Stadtmauer umschließt, stehen zwei Hundehalterinnen und unterhalten sich angeregt. Als sie mich sehen, gehen sie entspannt zur Seite. Nachdem ich im Schritttempo zwei weitere Gassigänger passiert habe, gelange ich vorbei an einem kleinen Wäldchen ans Ende der Straße, wo mich prompt zwei pflichtbewusst guckende Uniformierte in die dem Tatort entgegengesetzte Richtung leiten.

Ich kurbele das Seitenfenster herunter. Der jüngere der beiden mustert erst Emma, dann mich. Die zwei Sterne auf seiner Schulterklappe deuten auf eine durchaus noch ausbaufähige Karriere.

»Lukas Born, ich bin mit Hauptkommissarin Julia Born verabredet.«

Er sieht an mir vorbei, als suche er nach einer Butterbrotdose, die der Gatte seiner Frau bringen soll. Dann geht er drei Schritte zurück und nuschelt in sein Funkgerät. Eine halbe Minute später winkt er mich durch. Vorbei an Streuobstwiesen und ehemaligen Höfen öffnet sich schon bald der Blick auf den Tatort. Halb im Feld geparkt, erkenne ich den Transporter der KTU. Flatterband riegelt den Bereich großflächig ab. Auf einem von zwei großen Findlingen rechts und links des Weges hockt Tom und telefoniert. Ich setze zurück und stelle Emma in einer Hofauffahrt ab. Alle Scheiben heruntergelassen, mache ich Manolo klar, dass er bei Spurenermittlern nicht sonderlich beliebt ist. Mit einem mürrischen Knurren vergräbt er den Kopf ins Polster und schließt die Augen.

Drei Minuten später stakse ich durch tiefes Geläuf am Rande einer Pfütze, die die gesamte Kreuzung einnimmt. Schließlich stehe ich vor einer dreieckigen Wiese mit einer Größe von vielleicht zweitausend Quadratmetern. Darauf verstreut befinden sich im vorderen Bereich einige Biertischgarnituren, eingerollte Sonnenschirme, zwei Pavillons, ein erloschenes Lagerfeuer und mittendrin Nummerntafeln der KTU. Daneben Wim Schrievers. Der Kriminaltechniker richtet sich schwerfällig auf, massiert den unteren Bereich seines Rückens und schüttelt dabei den Kopf. Ist ein Markenzeichen von meinem Freund und Tankwart, kenne ich noch aus meiner aktiven Zeit bei der Krefelder Kripo. Immer erst mal Kopfschütteln, damit ja keiner auf die Idee kommt, nervige Fragen zu stellen.

»Dann erzähl mal. Wieso hast du deine Nase schon wieder dadrin?«

Ich hatte Julia nicht bemerkt, die jetzt neben mir steht und mir einen misstrauischen Blick schenkt.

»Der Tote hat mich gestern angerufen und mich um Personenschutz gebeten …«

»Ach was, hast du dein Geschäftsfeld erweitert? Und warum wollte er Personenschutz haben?«, fällt sie mir ins Wort.

»Er hat eine Morddrohung bekommen. Ich habe ihm gesagt, dass er sich an die Polizei wenden soll. Er sagte, das geht nicht und ob ich mit den Leuten sprechen könne.«

»Es waren mehrere?«

»Vermutlich.«

Julia verdreht die Augen.

»So hat er sich ausgedrückt. Ich habe dann für heute Morgen einen Termin mit ihm vereinbart. Leider zu spät.« Ich deute auf die Wiese, von der Wim mich mit einem erstaunten Gesichtsausdruck begrüßt. »Was wollte Heitkamp hier?«

»Er ist der Vorsitzende von dem Verein.«

Wie auf Kommando heben zwei von Schrievers Leuten ein durchnässtes Banner auf und ziehen es auseinander.

Stoppt den Kiesabbau

»Hat er irgendwelche Andeutungen gemacht, um wen es sich handeln könnte?«

»Nee. Die Drohung kam telefonisch. Mehr hat er dazu nicht gesagt. Ich gehe davon aus, dass er den Anrufer kannte. Wir sollten herausfinden, warum er sich nicht an die Polizei wenden konnte.«

»Ja. Allerdings ohne dich. Wie ich das sehe, hast du keinen Klienten mehr und kannst uns ausnahmsweise in Ruhe unsere Arbeit machen lassen.«

Wo sie recht hat, hat sie recht. Es ist wie verhext. Da lockt nach Monaten mal wieder ein Auftrag, und dann stirbt einem der Auftraggeber weg, bevor es losgeht.

»Dann noch viel Spaß bei der Arbeit.« Von einem flüchtigen Abschiedsgruß begleitet trete ich den Rückzug an.

Ich schaffe es gerade bis zu den Findlingen, da vernehme ich die andere, die sanfte und überaus freundliche Stimme Julias. Sekunden später steht sie mit einem gequält wirkenden Lächeln vor mir.

»Bastian hat vorhin angerufen. Die letzten Stunden fallen aus, der Lehrer ist krank, und ich …« Sie schickt einen Blick zu der Wiese und hebt hilflos die Arme.

Die Schule, die unser Sohn besucht, ist nur einen Steinwurf von ihrer Dienststelle entfernt, deswegen und weil es mit den Öffis Stunden dauern würde, fahren die beiden immer gemeinsam.

»Kein Problem, ich hole ihn ab.«

Die Autobahn 57 ist um diese Zeit relativ leer. Weil ich Zeit habe, verzichte ich darauf, einen Stau zu organisieren, und reihe Emma zwischen einer Lkw-Kolonne ein. Nach einer knappen Stunde in gemäßigtem Tempo erreiche ich das Ricarda-Huch-Gymnasium, welches mir direkt am Schulhof einen freien Parkplatz bereithält. Ich bin immer noch gut zwanzig Minuten zu früh. Mehr aus Langeweile suche ich im Internet nach Hintergründen zum Mordfall und werde als Erstes auf der Seite einer Alpener Bürgerinitiative gegen den Kiesabbau fündig. Im aktuellen Interesse ihres Fokus liegt eine rund sechsundsiebzig Hektar große Fläche zwischen Rheinberg und Alpen, die in naher Zukunft ausgebaggert werden soll. Ich vergrößere den Kartenausschnitt, auf dem die Fläche vorausschauend in Marineblau ausgemalt ist, und stelle fest, dass ich mich vorhin nur einen knappen Kilometer vom Ufer eines künftigen Baggersees entfernt befunden habe. Mit einer medial und auch sonst groß angekündigten Mahnwache wollte die Bürgerinitiative noch einmal jeden und alles in Bewegung setzen, um das zu verhindern. Der Landrat hatte sich angekündigt, der Bürgermeister und Vertreter der örtlichen Parteien sowieso, dazu die Delegation einer kreisweiten Bürgerinitiative mit demselben Anliegen. Es folgt eine ellenlange Auflistung von Argumenten, die gegen diese Art der Rohstoffgewinnung am Niederrhein sprechen. Ich überfliege die Aspekte gedanklich, als die Beifahrertür aufgerissen wird und ich zusammenzucke.

»Was machst du denn hier?«

»Dich abholen. Deine Mutter kann heute nicht. Die Arbeit.«

Bastian presst die Lippen aufeinander und nickt routiniert.

Ich starte Emma und fädele sie kurz darauf in den Verkehrsstrom der Moerser Straße ein.

»Wie lief es?«, will ich das Gespräch in Gang bringen.

»Wir hatten heute ’ne Matheklausur.«

»Und?«

»Passt schon.« Sein Handy piepst mehrmals hintereinander. Drei Sekunden später hangelt Bastian sich durch diverse Chats.

Kurz vor Aldekerk führt mein Weg an zwei Baggerseen vorbei, die durch eine Landzunge getrennt sind, auf der die Stendener Mühle sich erfolgreich gegen den Kiesabbau gewehrt zu haben scheint. Wir streifen die Bauernschaft Kengen, als mein Sohn mich wieder mit seiner Aufmerksamkeit bedenkt.

»’tschuldigung. Die Jungs planen für Samstag eine Fete, und jeder soll was mitbringen.«

»Schon gut. Und sonst alles in Ordnung bei euch?«

»Jo, alles tutti. Mama hat übrigens einen Liebhaber.«

»Was?« Ich muss zugeben, dass mich die betont beiläufig eingestreute Nachricht überrascht. Wieso weiß ich da nichts von? »Wer ist es denn?«, hake ich nach.

Der verschmitzte Gesichtsausdruck deutet darauf hin, dass mein Sprössling genau darauf gewartet hat, um seine Pointe unterzubringen. »Keine Ahnung. Sie will da nichts von wissen. Aber die Beweislage ist eindeutig. Ich tippe auf unseren Postboten.« Mein Sohn lacht lauthals los. Ich glaube, er will seinen Vater mal wieder veräppeln.

»Was für eine Beweislage? Wieso der Postbote?«

»Hinter ihrem Scheibenwischer steckte heute Morgen eine gelbe Rose.«

4

Dienstag, 1. Juli, 14.20 Uhr

»Was ist los mit dir?«, will Linda wissen.

»Was soll sein?«

»Du schweigst mich seit einer halben Stunde an. Woran denkst du?«

An gelbe Rosen, möchte ich sagen, belasse es aber bei Floskeln. Seit ich Bastian abgesetzt habe, denke ich darüber nach. Hundertmal waren meine Gedanken in die Vergangenheit gereist und hundertmal mit dem Ergebnis zurückgekehrt, dass ich mich nicht verrückt machen soll. Bei Licht betrachtet dürfte das auch stimmen. Ich brauche dringend Ablenkung, und Manolo liegt schon viel zu lange dösend in der Sonne. Mein Vorhaben endet an der Parzellengrenze.

»Guten Tag. Können Sie mir sagen, wo Herr Born wohnt?« Vor mir steht ein hagerer Mann um die fünfzig. Sein schmales Gesicht ist mit Bartstoppeln übersät. Er scheint Hard Rock Cafes und Hamburg zu lieben, wenn man seinem T-Shirt glauben kann.

»Steht vor Ihnen. Wie kann ich helfen?«

»Ja, also …« Er sieht sich um.

Ich bitte ihn in den Garten. Wir setzen uns an den Tisch am Teich.

»Mein Name ist Martin Schöps. Ich bin zweiter Vorsitzender der Bürgerinitiative gegen Kiesabbau in Alpen.«

»Mit dem ersten Vorsitzenden war ich heute Morgen verabredet«, stelle ich fest.

»Ich weiß. Ich habe Sie ihm ja empfohlen. Weil … man hat schon so viel von Ihnen gehört, und da dachte ich …«

»Warum haben Sie mich Herrn Heitkamp empfohlen?«, grätsche ich dazwischen. Am Telefon hat sich mein werdender Klient nicht so angehört, als wenn er mit seinem Anliegen hausieren ginge.

»Hat er Ihnen das nicht gesagt? Er hat eine Morddrohung erhalten.«

»Hat er. Wer wusste noch davon?«

Schöps sieht mich zögerlich an. Dann zieht er eine Zigarettenschachtel aus der Hosentasche. »Darf ich?«

Ich nicke und stelle ihm einen leeren Blumentopf hin, der neben mir an der Beetkante stand.

»Ich musste Gerd hoch und heilig versprechen, mit niemandem darüber zu reden. Hätte ich doch bloß nicht auf ihn gehört, verfluchte Scheiße.« Er führt die Zigarette zum Mund und zieht hastig dran. »Ich glaube, er hatte einen von uns in Verdacht. Aber warum … ich meine, kann doch nicht sein, oder?«

»Herr Heitkamp sagte mir, er habe die Drohung telefonisch erhalten.«

»Ja, eben. Er kennt doch jeden von uns. Ich verstehe das nicht.« Immer wieder wandert sein Blick auf den Weg. Er wirkt dabei äußerst unruhig.

»Werden Sie verfolgt?«

»Sie suchen nach mir. Hat Nicole mir gerade gesagt, die Frau von Dieter.«

Ist klar. Ich sehe ihn fragend an.

»Die Polizei. Sie haben Hannes, Tonne … also den Dieter und Oschi mitgenommen. Wir vier waren zuletzt dort, hatten Feuerwache. Nicole sagt, die hätten schon überall nach mir gefragt. Ich glaub, die wollen uns das in die Schuhe schieben. Deshalb bin ich ja hier, ich meine, können Sie da was machen? Guten Tag. Schöps, Martin Schöps.« Er springt hoch und schmeißt dabei den Stuhl um.

Ich hatte Linda gar nicht bemerkt, die jetzt zwischen uns steht und ihm die Hand reicht.

»Linda Wagner. Hast du deinem Gast nichts angeboten?«

»Schon gut, machen Sie sich keine Umstände.«

»Ich wollte nur sagen, dass ich noch mal kurz in die Stadt fahre.«

Wir sehen ihr noch einige Meter hinterher. Schöps steckt sich die nächste Zigarette an. Kerl, ist der nervös.

»Wenn ich Sie richtig verstehe, möchten Sie mich engagieren.«

Schöps nickt. Ich nenne ihm mein Honorar. Er ist einverstanden.

»Okay. Warum glauben Sie, dass man Ihnen den Mord an Ihrem Kameraden anhängen will?«

Schöps’ Augen wandern erneut zum Weg, wenn auch deutlich unauffälliger. »Als wir heute Morgen da ankamen, um aufzuräumen, war ja schon alles abgesperrt, und der Gerd … ja, und dann stand da so eine komische Frau. Um ihren Hals war Stacheldraht tätowiert …« Schöps legt die Stirn in Falten.

Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit der Rechtsmedizinerin Kristina Wegmann. Sie hatte mich mit einem auffordernden Lächeln zum Essen eingeladen, während sie eine Made aus dem Mundraum des Mordopfers zog.

»Na, jedenfalls hat die sich mit einer Polizistin unterhalten«, fährt Schöps fort, »und dabei habe ich mitbekommen, dass sie von vier Messerstichen sprach.« Schöps schaut mich an, als hätte er mir soeben die ultimative Erklärung für all seine Sorgen und Nöte geschildert.

»Und weiter?«

Schöps lässt sich in den Sitz fallen und breitet die Arme aus. »Vier Messerstiche, vier Männer, und drei davon sind verhaftet.«

»Wissen Sie, ob die Polizei das Messer gefunden hat?«

»Welches Messer?« Er wirkt für einen Augenblick irritiert. »Ach so, Sie denken … Quatsch. Wir gehen doch nicht mit Messern in der Tasche zu einer Mahnwache. Das sollte ein friedlicher Protest werden.«

Ich gehe ins Mobilheim, um mir Block und Stift zu holen. Manolo kümmert sich inzwischen um meinen Gast, indem er sich ordentlich durchkraulen lässt. Scheint beruhigend auf Schöps zu wirken, zumindest steckt er die nächste Zigarette wieder in die Schachtel zurück.

»Sie sagten, Sie hätten zu viert auf das Feuer aufgepasst. War Gerd Heitkamp nicht dabei?«

»Nä, der war schon gegen halb elf oder so verschwunden. Musste früh raus, sagte er.«

Und taucht morgens als Leiche wieder auf? Das ist ungewöhnlich.

»Wie lange ging denn Ihre Feuerwache?«

Schöps verzieht das Gesicht. »Also eigentlich war bis sechs Uhr vereinbart. Dann wollte Uli mit dem großen Hänger und ein paar Leuten zum Aufräumen kommen.«

»Eigentlich?«

Schöps atmet theatralisch aus. »Ja. Das Grundstück gehört doch der Kirche. Und die haben zur Bedingung gemacht, dass kein Feuer unbeaufsichtigt bleiben darf, wegen Funkenflug und so. Aber dann fing das gegen halb drei so richtig an zu schütten. Ein Gewitter vom Feinsten. Da war das Feuer natürlich aus. Und Bier war auch keines mehr da, dann hat Hannes seine Frau angerufen, und die hat uns kurz danach abgeholt. Der Oschi hatte zwar sein Auto dabei, aber es konnte ja keiner mehr fahren.«

»Wann war das?«

»Muss so gegen drei gewesen sein.«

Viertel vor zehn war ich dort, die Polizei dürfte nach dem Stand der Spurensicherung mindestens eine Stunde vorher da gewesen sein. Zählt man die Zeit der Alarmierung bis zum Eintreffen hinzu, muss Heitkamp zwischen drei Uhr fünfzehn und sieben Uhr dreißig dorthin gekommen sein.

»Können Sie sich irgendeinen Grund vorstellen, weshalb Herr Heitkamp noch einmal zurückkommen musste? Wollte er vielleicht nach dem Rechten sehen?«

Schöps macht ein ratloses Gesicht. »Warum sollte er? Nä, so war der nicht. Der hat zwar alles an sich gerissen, Pressearbeit, Orga und so, muss ja auch einer machen, und der Gerd hat echt Ahnung von der Materie. Aber der würde jetzt nicht gucken kommen, ob das Feuer aus ist. Und die Biertischgarnituren wollten Tonne und Hannes dem ja heute Morgen zurückbringen.«

Ich erspare mir die Frage, ob das Quartett ihn über den Abbruch der Feuerwache informiert hat, und rufe mir stattdessen das Bild vom Tatort ins Gedächtnis. Ich werde das Gefühl nicht los, irgendetwas übersehen zu haben.

Also: Es regnet in Strömen. Vier Männer stehen unter dem Pavillon und trinken den letzten Rest Bier. Gegen drei Uhr fährt ein Wagen vor, die Männer steigen ein. Irgendwann danach taucht Heitkamp dort auf. Warum? Er kommt über die Römerstraße, biegt in den schmalen Feldweg ein. Das Scheinwerferlicht dürfte von Weitem zu sehen sein. Er hält an der Wiese und trifft auf seinen Mörder, mit dem er sich verabredet haben muss. Alles andere ergibt keinen Sinn. Er steigt also aus seinem Wagen und … Moment.

»Herr Schöps, als Sie heute Morgen an der Wiese eintrafen, stand da irgendwo das Auto von Heitkamp?«

Schöps wirkt nachdenklich. Es dauert eine halbe Minute, bis er zur Antwort ansetzt. »Jetzt, wo Sie es sagen. Es hat ja die ganze Nacht geregnet, da wird er wohl kaum gelaufen sein.«

»Zumal das sowieso ein bisschen weit ist …«

Schöps winkt ab. »Das hätte den nicht gestört. Der ist ja gestern Abend auch nach Hause gelaufen.«

»Er war nicht mit seinem Auto da?«

»Nä. Tonne und Hannes haben gestern Nachmittag die Klamotten abgeholt und ihn gleich mitgenommen. Nicole hatte sich noch angeboten, ihn nach Hause zu fahren. Aber er meinte, dass er noch frische Luft brauche. Dabei waren wir doch den ganzen Abend an der Luft.« Schöps schüttelt den Kopf.

»Okay.« Ich notiere mir seine Handynummer und auf der nächsten Seite die Nummer von Julias Diensttelefon, reiße sie ab und lege sie vor ihm auf den Tisch. »Das ist die Nummer der leitenden Ermittlerin. Sie rufen bitte sofort da an und stellen sich als Zeuge zur Verfügung.«

»Was? Das ist nicht Ihr Ernst. Die verdächtigen uns doch jetzt schon.«

»Verdächtig machen Sie sich, wenn Sie sich nicht melden. Herr Schöps, das ist eine reine Zeugenbefragung. Wie ich das sehe, liegt nichts gegen Sie vor. Es sei denn, Sie verheimlichen mir etwas.«

»Nein, Quatsch.«

Ich deute auf den Zettel.

Schöps greift widerwillig zum Handy. Ein kurzes Telefonat. »Dann mache ich mich mal auf den Weg.«

Ich nicke. »Sagen Sie mal …«

Schöps ist bereits an der Parzellengrenze.

»… haben Sie eigentlich alle Urlaub?«

»Wir wollen Freitag für ein paar Tage mit den Motorrädern durch die Eifel. Deshalb haben wir vier die Feuerwache übernommen. Ich weiß sowieso nicht, warum der Gerd das nicht am Wochenende gemacht hat.«

5

Dienstag, 1. Juli, 18.10 Uhr

»Wenn du in dem Tempo weitermachst, verwelkt der Salat beim Putzen. Geh schon raus und kümmere dich um den Grill. Auf dem Weg dahin darfst du gerne Geschirr mitnehmen.«

Lindas Versuch, streng zu wirken, scheitert kläglich. Sie hatte sich kurzfristig dafür entschieden, die angedachten Flammkuchen auf morgen zu verschieben. Grund dafür war, dass ihr Vater jede Menge Grillfleisch eingekauft hatte. Seitdem Lindas Mutter im Heim lebt, essen wir oft zu dritt. Mal bei ihm, mal bei uns. Meistens bei uns. Jetzt wollte er sich revanchieren, und weil Linda lieber in ihrer eigenen Küche arbeitet, hat sie ihn kurzerhand zu uns eingeladen. Ich setze mich pflichtgemäß neben den Grill und beobachte die dezent aufsteigenden Rauchschwaden.

Meine Gedanken wandern zu dem Gespräch mit meinem neuen Klienten. Heitkamp sei nach Hause gelaufen, sagte dieser. Ich nehme das Handy vom Tisch. Heitkamps Adresse befindet sich im Navi an oberster Stelle. Ich suche mir eine Anschrift in der Nähe des Tatortes aus und lasse mir die Route anzeigen. Sechs Komma sieben Kilometer. Ich klicke auf das Fußgängersymbol. Immer noch sechs Komma zwei Kilometer. Benötigte Zeit: eine Stunde und vierundzwanzig Minuten. Gegen halb elf sei Heitkamp gegangen, sagte Schöps. Demnach wäre er kurz vor Mitternacht zu Hause eingetroffen. Okay, Heitkamp hat einen großen Hund. Da läuft man gerne schon mal den einen oder anderen Kilometer. Aber mitten in der Nacht? Warum? Ich lasse die Gedanken auslaufen, komme ich jetzt sowieso nicht mehr hinter.

Die obere Schicht der Kohlen glüht inzwischen, da springt Manolo plötzlich hoch und rennt zur Parzellengrenze.

»Hallo, Lukas«, begrüßt mich Lindas Vater fast im selben Augenblick. Er hält eine Kühltasche in der Hand, an der eine Hundeschnauze klebt.

Ich nehme sie ihm ab, bringe sie in die Küche und komme mit zwei Flaschen Bier zurück. »Wie geht’s deiner Frau?« Linda hat mir erzählt, dass er am Nachmittag ihre demenzkranke Mutter besucht hat.

»›Da sind Sie ja endlich. Dass man immer stundenlang warten muss, bis die Polizei kommt‹«, macht Thomas Wagner die Stimme seiner Frau nach. »Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, sie von Tag zu Tag mehr zu verlieren. Manchmal wünsche ich mir, sie hätte einen Herzinfarkt gehabt und …«

Ich lege einen Arm um seine Schulter.

Er gibt sich einen Ruck. »Nutzt ja nichts, prost.«

Ich bin gerade damit beschäftigt, Koteletts und Hähnchenbrust zu verteilen, als Uwe auf uns zukommt. Der Redakteur vom Boten auf dem flachen Land scheint ein feines Näschen zu haben.

»Hallo, Leute, ihr werdet auch langsam alt, was? Da habt ihr doch tatsächlich vergessen, mich einzuladen. Aber ist ja noch mal gut gegangen.«

»Setz dich doch. Möchtest du vielleicht mitessen?«

Lindas Mundwinkel sacken leicht nach unten. Sie mag ihn einfach nicht, unseren Uwe. Mit einem Blick schickt sie mich in die Küche, ein weiteres Gedeck holen.

»Ist ein Ding mit dem ollen Heitkamp, was? Haste schon gehört?«, will Uwe mit einer halben Bratwurst im Mund von mir wissen.

Ich nicke erst mal nur.

»Gestern Abend habe ich noch mit dem gequatscht, und heute Morgen liegt der mausetot auf der Wiese.«

»Wer macht so was?«, hake ich nicht ohne berufliche Hintergedanken nach.

Uwe wischt sich den Mund ab und nimmt einen kräftigen Schluck Bier, bevor er zur Antwort ansetzt. »Das ist die große Frage. Ich meine, dass der halbe Niederrhein auf links gedreht werden soll, um den Kies an die Sonne zu fördern, gefällt nicht jedem. Aber dann bringt man doch keinen um, der genau das verhindern will. Ist das Kotelett fertig?« Uwe deutet auf den Grill.

Ich reiche ihm den Fleischlappen. Von der Morddrohung gegen Heitkamp scheint er nichts mitbekommen zu haben. Ich verschweige den Kontakt zum Opfer, will Linda nicht unnötig nervös machen. Macht sie dann aber selbst.

»Sag mal, dein Besucher heute Mittag, war das nicht einer der Kiesgegner? Ich habe mitbekommen, dass ihr über eine Bürgerinitiative gesprochen habt.«

Uwe hat die Gabel kurz vor dem Mund, lässt sie langsam zurückgleiten.

»Ja. Er und seine Freunde haben Angst, dass sie in Verdacht geraten. Deshalb hat er mich engagiert.«

Linda entgleiten die Gesichtszüge.

Ich hebe abwehrend die Hände. »Es geht nur darum, sie aus der Schusslinie zu nehmen, mehr nicht. Und ich denke, das bekomme ich schnell und gefahrlos hin.«

Lindas Vater steht auf, um mich am Grill abzulösen. Es tut mir leid, dass wir ihn in die Zuhörerrolle gedrängt haben. Thomas Wagner erkennt meine Gefühlslage und nickt mir sanft zu.

»Du vertrittst die Kiesgegner? In einem Mordfall?«, nimmt Uwe den Faden wieder auf.

»Die Mordermittlung ist Sache der Polizei, damit habe ich nichts zu tun. Sobald ein eventueller Verdacht gegen meinen Klienten entkräftet ist, schreibe ich die Rechnung.«

Uwe lässt ein Stück vom Kotelett in seinem Mund verschwinden und grinst mich dabei zweideutig an.

»Was?«

»Ich mein ja nur. So eindeutig, wie du denkst, scheint die Lage nicht zu sein. Heitkamp hat gestern bei der Bauerndemo vor dem Kreishaus eine lange Rede geschwungen und mächtig gegen Politik und Kiesindustrie ausgeteilt. Als er von der Bühne ging, rief jemand: ›Was geht dich das überhaupt an?‹ Hatte er nicht ganz unrecht mit.«

Einen fragenden Blick und einen Happen Kotelett später liefert der Journalist die Antwort. »Das war eine Demo der niederrheinischen Landwirte. Heitkamp ist aber keiner mehr, der hat den Betrieb schon vor zwei Jahren aufgegeben. Könnte dem also am Allerwertesten vorbeigehen.«

Lindas Vater, der bis dahin nur zugehört hatte, geht das zu weit. »Ist das nicht zu einfach gedacht? Der Kiesabbau betrifft uns doch alle, das verändert den Niederrhein doch enorm. Bei den Kiesgegnern sind ja auch nicht nur Bauern.«

»Bei der Demo aber schon«, kontert Uwe.

Und einer von ihnen bekam eine Morddrohung.

6

Mittwoch, 2. Juli, 6.45 Uhr

»Mama duscht gerade. Soll sie dich zurückrufen?«

»Ja, das wäre schön.«

Nach einem Small Talk über die Erfolgsaussichten der anstehenden Deutschklausur beende ich das Gespräch mit Bastian. Manolo steht neben mir und schlabbert Dreckwasser aus einer Pfütze auf dem Waldweg. Ich habe in der Nacht kaum ein Auge zugekriegt. Man kann sich aber auch in Sachen reinsteigern. Dabei hatte ich es schon geschafft, die Rose hinter dem Scheibenwischer als einen puren Zufall beiseitezuschieben. In der Nacht kamen die Erinnerungen zurück. Verbunden mit der Frage, ob die Farbe der Rosen wirklich zufällig gewählt war. Ich gehe eng an einem Busch vorbei, um mir in einer Schlammlache nicht die Schuhe zu versauen. Kleine Äste kratzen im Gesicht, Manolo stapft durch den Morast und scheint auch noch Spaß daran zu haben. In meiner Gesäßtasche vibriert das Handy. Es ist Julia.

»Was gibt es denn so Wichtiges am frühen Morgen?«

»Es geht um die gelbe Rose.«

»Welche …? Nicht dein Ernst, oder?«

»Doch, es …«

»Boah, Lukas, was ist los mit dir? Hast du Langeweile, oder was? Ich glaub es nicht.«

»Hinter Emmas Scheibenwischer steckte vorgestern auch eine gelbe Rose.«

Die einsetzende Stille wird nur durch leises Rascheln im Unterholz überlagert. Sie macht Angst. Sie könnte bedeuten, dass Julias Gedanken in dieselbe Zeit zurückwandern wie meine in der vergangenen Nacht.

»Du denkst an … Wie hieß der noch? Gehlen, Gehling oder … Das ist doch absurd.«

»Winand Geenen. Wieso absurd? Er hatte zwei gelbe Rosen auf die Leiche seiner Frau gelegt.«

Den »Rosenmörder aus Wachtendonk« hatten die Medien ihn genannt. Es war der erste Mordfall, den Julia und ich gemeinsam bearbeitet haben. Als ein zufällig vorbeilaufender Hundebesitzer die Leiche einer Frau am Ufer eines Baggersees entdeckte, saß Geenen zwei Meter daneben im Sand und starrte auf den blutverschmierten Hammer in seiner rechten Hand. Seine Frau lag auf dem Rücken, ihre Hände waren auf dem Bauch gefaltet. Darin steckten zwei gelbe Rosen.

»Geenen sitzt. Das Urteil war ein halbes Jahr vor Bastians Geburt. Er hat also noch keine sechzehn Jahre verbüßt. Der hat doch erst vor vier Jahren vergeblich eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Eine vorzeitige Haftentlassung dürfte ausgeschlossen sein, weil er die Schuld immer noch abstreitet. Und ohne Reue kein Rabatt. Das muss ich dir doch nicht erzählen. Lukas, es gibt bestimmt eine simple Erklärung dafür. Vielleicht hat sich jemand einen makabren Scherz mit uns erlaubt.« Ihrer Stimme fehlt die gewohnte Sicherheit. Zwischen den Worten vernehme ich eine leichte Nervosität.

Geenen hatte vehement behauptet, unschuldig zu sein. Er hat uns in jedem Verhör aufgefordert, ihn laufen zu lassen und endlich unsere Arbeit zu erledigen. Im Grunde genommen war es nur seine absolute Überzeugung, die noch kleinste Restzweifel im Team der Mordkommission hervorrief. Doch die Beweislast war einfach erdrückend. Geenen hatte herausgefunden, dass seine Frau ein Verhältnis hatte. Das Haus, in dem sie mit den beiden Töchtern lebten, gehörte ihren Eltern. Geenen hatte gegenüber Freunden des Öfteren damit gedroht, sie zu töten, falls sie nicht zur Vernunft kommen würde. Genauso hatten Zeugen es zu Protokoll gegeben. Dass er dann am Tatort gesehen wurde, mit der Tatwaffe in der Hand, hatte das Schwurgericht endgültig überzeugt. Lebenslänglich. Geenen war zu diesem Zeitpunkt auf der Überholspur unterwegs. Die Baubranche boomte. Seine Idee, Baumaschinen zu verleihen, war ein absoluter Volltreffer. Sein Zug fuhr geradewegs Richtung Sonne, bis der Richter ihn auf das Abstellgleis schickte. Ein dreiundzwanzig Jahre langes Abstellgleis.

Das Urteil war einstimmig gefällt worden, wie mir ein Schöffe hinter vorgehaltener Hand sagte. Winand Geenen, dem das Schlusswort gehörte, schwieg zunächst fassungslos. Dann sagte er nur einen Satz: »Sie haben einen Unschuldigen verurteilt.«

Den hasserfüllten Blick, als er auf dem Gerichtsflur an Julia und mir vorbeigeführt wurde, hatte ich noch viele Wochen im Gedächtnis. Heute Nacht klang mir wieder der Satz in den Ohren, den er uns mit brüchiger Stimme zuflüsterte: »Eines Tages komme ich wieder raus, und glaubt mir: Diesen Tag werdet ihr verfluchen.«

7

Mittwoch, 2. Juli, 8.50 Uhr

Julia geht nicht ans Telefon. Das macht mich bekloppt. Sie dachte sofort an Geenen. Nur anders als ich. Also nicht so wirklich … sorgenvoll.

Es gibt bestimmt eine simple Erklärung.

Was sollte das sein? Der Fleurop-Bote hat sich vertan? Jemand will uns ein Zeichen geben, dass wir zusammengehören? Blödsinn alles.

Ich muss mich dringend ablenken und rufe meinen Klienten an. Schöps geht nach dem zweiten Freizeichen dran.

»Wollte nachfragen, wie es gelaufen ist.«

»Ich wollte Sie gerade anrufen. Die haben uns bis Viertel nach sieben ausgefragt. Immer wieder den gleichen Blödsinn. Wann der Gerd zurückgekommen ist und warum es Streit gab und so was. Dann durften wir gehen. Aber wir sollen uns zur Verfügung halten. Was ist denn jetzt mit unserer Tour, können wir die trotzdem machen?«

»Würde ich verschieben. Von was für einem Streit sprechen Sie?«

Sein Atem rauscht durchs Telefon. »Boah, nichts Besonderes. Gab ’nen kleinen Krach zwischen Gerd und Oschi. Na ja, und dann hat Oschi dem Prügel angedroht. Hat er aber nicht gemacht. Wie gesagt, nichts Besonderes.«

Außer dass der Bedrohte am nächsten Morgen tot aufgefunden wurde. Ich stelle mir die Situation im Vernehmungszimmer vor. Von den angedrohten Prügeln bis zum Mord im Affekt ist es für viele Ermittler nur ein gedanklicher Katzensprung. Einzig dem Wissen, dass das alleine keinem Untersuchungsrichter reicht, verdanken die Jungs ihre Freiheit. Was sich schnell ändern kann. Sollte die kleinste verwertbare Spur auftauchen oder das Obduktionsergebnis einen Hinweis darauf liefern, dass es nicht bei der Drohung geblieben ist, werden aus Zeugen Beschuldigte. Spätestens dann sind meine Mittel stark eingeschränkt.

»Wo sind Sie gerade?«

»Wir sitzen beim Hannes in der Küche …«

»Wo?«

Er nennt mir eine Adresse.

»Sie bleiben dort, ich bin in zwanzig Minuten da.«

Das Navi führt mich über die Grenzdycker Straße, deren Anwohnerschaft aus Alpener, Xantener und Sonsbecker Bürgern besteht, und das auf gerade einmal zweieinhalb Kilometern. Man sagt, dass im Winter nur eine Hälfte der Straße schneefrei ist, weil nur eine der anliegenden Kommunen einen Räumdienst unterhält. Vorbei an Lindas Lieblings-Milchtankstelle biege ich einen Steinwurf von der ehemaligen Gaststätte Schrammshof nach rechts Richtung Veen ab. Wenige Minuten später erreiche ich das Haus an der Dorfstraße. Der Vorgarten besteht aus einer gepflasterten Fläche, auf der ein Golf steht, der seine besten Tage längst hinter sich hat. Ich setze Emma wie empfohlen auf die Garageneinfahrt. Unter mir knirscht der Kies. In einem bierkastenbreiten Beet an der Wand neben der Haustür ist ein Schild eingepflockt. Aufschrift: »Stoppt den Kiesabbau am Niederrhein«. Hier bin ich also richtig. Noch bevor mein Zeigefinger den Klingelknopf berührt, wird die Haustür aufgerissen, und vor mir steht ein gertenschlanker Mann um die fünfzig. Eine Strähne seiner gräulichen Haare hat sich dreist vor die Stirn fallen lassen. Mit einer fahrigen Bewegung wird sie wieder an Ort und Stelle gelegt. Kleine zurückliegende Augen in einem verwaschenen Blauton mustern mich nur kurz.

»Sie müssen der Detektiv sein. Hannes.« Mit einem Ausfallschritt und einer einladenden Armbewegung bittet Hannes mich in sein Reich. »Zweite links.«

Ich folge der Anweisung und gelange in eine geräumige Wohnküche mit einer Fensterfront zum Garten. Eine Geruchsmischung aus Kaffee und Zigarettenqualm dominiert das Raumklima.

Ein Mann mit ausuferndem Bauch steht auf und begrüßt mich. »Tach, ich bin der Dieter. Meine Freunde nennen mich Tonne«, fügt er fast ein wenig überflüssig an. »Der Kleine da ist Oschi, der Hannes hat Sie ja gerade reingelassen, und den Martin kennen Sie ja schon.«

Mein Klient hebt müde die Hand zum Gruß. Ich setze mich neben ihn.

Hannes stellt einen Kaffeepott vor mir ab. Aufschrift: »Werner … Beinhart«.

»Milch, Zucker, Asbach?«

Ich lehne die Zutaten in Gänze ab und komme zur Sache. »Wie war das mit dem kleinen Streit? Was war der Grund?«

Oschi krault sich verlegen den Dreitagebart. Dann wandert sein Blick genervt zur vertäfelten Decke, als hätte da jemand die Antwort hingekritzelt. Über seinen linken Arm schlängelt sich eine Kobra, die sich am Unterarm aufrichtet und den Betrachter anfunkelt.

»Und?«, hake ich ungeduldig nach.

»Weiß ich gar nicht mehr so genau«, druckst er schließlich rum.

»Die Polizei aber schon. Woher?«

»Einer der Anwohner stand wohl in der Nähe und hat das später ausgesagt.«

»Verdammt, jetzt reicht’s.« Ich erhebe die Stimme.

Hannes zuckt kurz.

»Wenn ich euch helfen soll, muss ich wissen, was Sache ist, und das am besten nicht erst von der Polizei. Also: Butter bei die Fische oder macht euren Krempel alleine!«

Oschi beißt sich auf die Lippen, die anderen sehen ihm dabei zu.

»Der Gerd … also der wollte die Kiesfuzzis zu unserem nächsten Treffen einladen. Er meinte, man solle noch mal mit denen reden und so. Dabei haben die uns nach Strich und Faden verarscht, denen krieche ich doch nicht mehr hinten rein. Na ja, ein Wort kam zum anderen, und irgendwann habe ich gesagt: ›Wenn du das machst, mache ich dich fertig.‹«

In der Runde breitet sich eine seltsame Erleichterung aus. Verstehe ich nicht.

»Und wenige Stunden später liegt euer Vorsitzender tot auf der Wiese. Ermordet. Mit der Drohung im Vorfeld habt ihr euch nicht gerade unverdächtiger gemacht. Ich brauche eure Handys, ihr bekommt sie morgen zurück.«

»Was?«, entfährt es Hannes. »Das geht nicht.«

Die anderen machen mir lautstark klar, dass sie mit meiner Forderung ebenfalls nicht einverstanden sind.