Jenseits des Scheitelpunkts - Richard Heinberg - E-Book

Jenseits des Scheitelpunkts E-Book

Richard Heinberg

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Beschreibung

Richard Heinberg, einer der weltweit renommiertesten Autoren zum Thema "Peak Oil", wendet sich einem der grundlegendsten Probleme der Menschheit zu – der fast völligen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und der Erschöpfung der wichtigsten lebensnotwendigen Ressourcen. Er läßt keinen Zweifel daran, daß es bei der Lösung dieser Probleme um Sein oder Nichtsein der Menschheit geht. Seine Diagnosen und seine Vorschläge erschüttern unsere gewohnte Lebensform, die davon ausgeht, daß alles jederzeit für jedermann in beliebiger Menge möglichst billig verfügbar ist. Ohne grundlegende Wende im Denken und Handeln, die auch schmerzhafte Einschnitte und Verzicht einschließt, kann es keine Zukunft geben.

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Richard Heinberg

JENSEITS DESSCHEITELPUNKTS

Aufbruch in das Jahrhundert derRessourcenerschöpfung

Aus dem Englischen vonHelmut Dierlamm

Titel der Originalausgabe:

Peak Everything

Waking Up to the Century of Declines

First published in 2007 by New Society Publishers Ltd.,Gabriola Island, British Columbia, Canada

Copyright © 2007 by Richard Heinberg

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliographie;detaillierte bibliographische Daten sind im Internetüber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung inund Verarbeitung durch elektronische Systeme.

ISBN 978-3-937801-88-9eISBN 978-3-948075-76-7

© der deutschen Ausgabe:

Manuscriptum VerlagsbuchhandlungThomas Hoof KG • Waltrop und Leipzig 2012

Einbandgestaltung: www.graphische-konzepte.de

INHALT

Dank

Geleitwort (James Howard Kunstler)

Vorwort

Einleitung: Peak Everything

Über Technik, Landwirtschaft und Kunst

1. Werkzeuge mit Eigenleben

2. Fünfzig Millionen Bauern

3. Ästhetik der (Post-)Kohlenwasserstoffära

Über die Grenzen der Natur und die Conditio humana

4. Fünf Axiome der Nachhaltigkeit

5. Papageien und Völker

6. Bevölkerung, Ressourcen und menschlicher Idealismus

Das Ende einer Ära, der Beginn einer neuen

7. Die Psychologie von Peak Oil und der Klimawandel

8. Der Brückenschlag zwischen Peak-Oil-Bewegung und Klimaschützern

9. Die letzte Chance der Babyboomer?

10. Ein Brief aus der Zukunft

11. Reden bis zum Untergang

Handlungshilfen

Anmerkungen

Personenregister

DANK

Es wäre nicht möglich, allen zu danken, die mir auf irgendeine Art bei diesem Buch geholfen haben. Die einzelnen Kapitel haben sich über viele Monate entwickelt, in denen ich weit reiste und vor großem und kleinem Publikum über das Problem der Ölerschöpfung und seine vermutlichen Folgen sprach. Dabei ging ich auch darauf ein, wie wir unsere Gesellschaft von der kollektiven Sucht nach fossilen Brennstoffen befreien können. Auf diesen Reisen traf ich Hunderte von Menschen, deren Ansichten und bahnbrechende Aktionen sich auf diesen Seiten widerspiegeln.

Wieder einmal schulde ich meiner Frau Janet Barocco größten Dank, weil sie mich auf so viele Arten unterstützt und für mein inneres Gleichgewicht sorgt, wenn ich mein doch recht unausgeglichenes Leben als Schriftsteller und Dozent führe.

Dies ist das vierte Buch, bei dem ich das Vergnügen hatte, mit Chris und Judith Plant von New Society Publishers zusammenzuarbeiten. Große Anerkennung verdienen auch Ingrid Witvoet, die das Buch im Produktionsprozeß betreute, und Murray Reiss, der das Manuskript redigierte.

Ich danke auch Jennifer Bresee für ihre Hilfe bei der Recherche und Susan Williamson für allgemeine Assistenz.

Wie schon bei früheren Projekten verdienen auch meine Studenten und Fakultätskollegen am New College für ihre kontinuierliche Unterstützung besondere Erwähnung, und das gleiche gilt für die Abonnenten meines monatlichen Rundbriefs MuseLetter.

Schließlich möchte ich Julian Darley und Celine Rich-Darley meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen. Als Gründer des Post Carbon Institute wirken sie wie Katalysatoren der weltweiten Reaktion auf die Doppelkrise der fossilen Brennstoffe (Klimawandel und Ressourcenerschöpfung).

GELEITWORT

VON JAMES HOWARD KUNSTLER

Im Jahr 2005 haben Richard Heinberg und ich je ein Buch über Peak Oil und die Folgen veröffentlicht, die das Erreichen des globalen Ölfördermaximums auf das tägliche Leben in technologisch »fortgeschrittenen« Gesellschaften haben kann. Wir hatten eine sehr ähnliche Sicht der allgemeinen Lage, brachten sie aber unterschiedlich zum Ausdruck. Ich hegte große Bewunderung für Richards Version der Geschichte, The Party’s Over, und insbesondere für den prägnanten Titel. Er beschrieb mit enormer kinetischer Klarheit einen Komplex furchterregender Probleme, die die besten Fachleute zuvor mit verwirrenden Grafiken und in schwammiger Prosa dargestellt hatten. Meiner Ansicht nach verfolgten wir beide das Ziel, die lesende Öffentlichkeit durch Tatsachen wachzurütteln, die uns persönlich zutiefst schockiert hatten. Denn wir hatten erkennen müssen, daß das Zeitalter von »Cruisin’ for Burgers«* (etwa: »mit dem Auto Hamburger holen«; Anm. d. Übers.) zu Ende ging.

Leider ließ sich die Öffentlichkeit nicht sonderlich erschüttern durch die Nachricht, daß wir in eine historische Periode des Mangels eintreten, in der viele Gewißheiten unseres Alltags – von der reichlichen Mahlzeit über die tägliche Fahrt zur Arbeit bis zu der Tatsache, daß das Licht angeht, wenn wir einen Schalter drücken – immer mehr dahinschwinden werden. Ich glaube, Richard und ich und viele andere nachdenkliche Beobachter der Entwicklung waren davon ausgegangen, daß die Gesellschaft unsere Botschaft aufnehmen und diese sich mit viraler Geschwindigkeit ausbreiten würde und daß unsere führenden Unternehmer, Politiker, Wissenschaftler und Journalisten die Bevölkerung mobilisieren würden, um den Herausforderungen zu begegnen, und daß sie wenigstens einen gewissen Konsens über die zu ergreifenden Maßnahmen herstellen würden.

Nichts dergleichen geschah. In manchen Randbereichen wurde die Botschaft wahrgenommen, doch die allgemeine Öffentlichkeit wurde abgelenkt und irregeführt. Wir alle wissen heute, wie Verdrängung als Massenphänomen funktioniert. Es wurde nicht nur die Aussage, daß das Ölfördermaximum erreicht sei, häufig mißverstanden (wie Richard schreibt, ging es niemals nur darum, daß uns das Öl ausgeht), sondern es erschienen auch zahlreiche falsche Propheten auf der Bildfläche, die das Ziel verfolgten, die These vom Erreichen des Ölfördermaximums zu widerlegen. Zu ihnen gehörten zum Beispiel die Anhänger der Theorie vom »abiogenen Öl«, laut der die Erde eine Art Nougatcreme als Kern hat, aus der sich produzierende Ölfelder kontinuierlich wieder auffüllen (wofür es natürlich nicht den geringsten Beweis gibt). Schlimmer noch, Organe einer legitimen Regierung wie das US-amerikanische Energieministerium weigerten sich, auch nur zur Kenntnis zu nehmen, daß wir a) in nicht allzu ferner Zukunft ein großes Problem mit der Ölversorgung haben werden und daß dies b) sehr negative Auswirkungen haben wird.

Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wurden die Vereinigten Staaten die meiste Zeit von der Gang um George W. Bush regiert. Die Mitglieder dieser Regierung vertraten ein merkwürdiges Spießerethos, das auf dem irrationalen Glauben basierte, kreditkartenfinanzierter Massenkonsum und freie Fahrt für freie Bürger seien das Nonplusultra der menschlichen Zivilisation (wobei der ganze Irrweg noch großzügig mit christlichen Gebeten garniert wurde). Mit anderen Worten, sie hatten ein großes persönliches Interesse daran, daß all die traditionellen Geldquellen weitersprudelten: Ausbau der Vorstädte, Handel mit Derivaten, Autobahnbau, Tagebau … Passenderweise brach das so ausgerichtete Betriebssystem auf dem Höhepunkt der Präsidentschaftswahlen des Jahres 2008 völlig zusammen. Das Frankensteinmonster der innovativen Finanzierung an der Wall Street starb am Versagen seines künstlichen Herzens (der Kreditfinanzierung) und riß die Investmentbank Lehman Brothers, die Versicherungsgesellschaft AIG (die das Paralleluniversum der betrügerischen Wertpapierderivate versichert hatte) und die beiden berüchtigten staatlich geförderten Unternehmen Fannie Mae und Freddie Mac, die wesentlich zu der US-amerikanischen Immobilienblase beigetragen hatten, mit in den Tod. Außerdem drohte der Bankrott der innovativen Finanzierung das gesamte globale Finanzsystem radikal zu zerstören. Was für ein Herbst! Billionen Dollar wurden von der amerikanischen Zentralbank quasi mit dem Hubschrauber in die Tresorräume der zusammenbrechenden Banken abgeworfen, und das Finanzsystem wurde gerettet, auch wenn es danach mehr einem schlurfenden Zombie als einem gesunden Organismus glich.

Ein Ergebnis der Krise war natürlich, daß Barack Obama zum neuen US-Präsidenten gewählt wurde. Der attraktive junge Kandidat (für den auch ich stimmte) trat für Veränderung ein und schien fest entschlossen, einen historisch neuen Pfad durch den Dschungel der Trägheit, Dekadenz und schieren Dummheit zu schlagen, der in ein neues Zeitalter realitätsbezogener, hochkonzentrierter kollektiver Anstrengung führen sollte. Tatsächlich jedoch verbrachte Obama die ersten zwei Jahre seiner Amtszeit vor allem damit, die Banken und die kläglichen Überbleibsel der Industrien, die für das Wohnen in den Vorstädten unerläßlich sind: die Autoindustrie, die Autobahnbau-Unternehmen … zu retten. Kurz gesagt, er stützte sämtliche Vertreter des alten Status quo. Nicht einmal eine neue Bahnlinie zwischen Chicago und St. Louis brachte er zustande.

Wie Richard richtig bemerkt, ist das immer noch andauernde Bankenfiasko, das im Jahr 2008 begann, für die allgemeine Öffentlichkeit eine mächtige Ablenkung von allen Problemen der Energie- und Rohstoffversorgung, die im Zusammenhang in einer »fortgeschrittenen« Volkswirtschaft auftreten. Niemand, der in der US-amerikanischen Gesellschaft (sei es in der Geschäftswelt, in der Politik oder als Kommentator der New York Times) wirklich Einfluß hat, scheint auch nur in Erwägung zu ziehen, daß wir eines Tages eine weniger fortgeschrittene Volkswirtschaft haben könnten. Meiner Ansicht nach würden wir jedoch gut daran tun, uns auf einen solchen Zustand vorzubereiten, indem wir eine umfassende Reduktion und Relokalisierung all unserer Aktivitäten vornehmen, kombiniert mit einer Neubewertung der Frage, wie und womit wir diese Aktivitäten betreiben. Dabei meine ich mit »Aktivitäten« alle Systeme, die für unser tägliches Leben eine grundlegende Rolle spielen: Nahrungsmittelproduktion (Landwirtschaft), Handel, Transport usw. All diese Dinge werden wir gezwungenermaßen anders machen müssen, wenn wir ein Absinken in die Barbarei vermeiden wollen.

Die Schrumpfung managen, so lautet das Spiel. Genau das müssen wir tun, und wir sollten es mit aller Intelligenz und Leidenschaft tun, die wir aufbringen können. Dies ist einer der Gründe, warum ich nach der Publikation des Sachbuchs The Long Emergency den Roman World Made By Hand und im Herbst 2010 dessen Fortsetzung The Witch of Hebron geschrieben habe. Ich wollte ein lebendiges Bild von einem künftigen Amerika entwerfen, das sich sehr stark von dem unterscheidet, das wir heute kennen, von einer Gesellschaft, die bereits eine starke Schrumpfung durchgemacht und sie mit Herz und Verstand bewältigt hat.

Richard Heinberg dagegen ist im Schützengraben der aktuellen Auseinandersetzung geblieben und hat in einer Reihe packender Bücher kluge Analysen über das wichtigste Thema unserer Zeit geschrieben. Dabei hat er nie das Ziel aus den Augen verloren, seinen Mitbürgern einen Weg durch die gegenwärtige, höchst bedrohliche historische Periode zu weisen. Ich bin dankbar dafür, daß ich sein Kollege sein darf.

– James Howard Kunstler ist Autor der Sachbücher The Long Emergency und The Geography of Nowhere sowie der Romane World Made by Hand und The Witch of Hebron (2010). Er lebt in Saratoga Springs im Bundesstaat New York.

* Titel eines Songs aus dem Album Uncle Meat von Frank Zappa. – Alle mit * markierten Fußnoten wurden für die deutsche Ausgabe ergänzend eingefügt.

VORWORT

Mit dem Titel Peak Everything, den ich diesem Buch gab, wollte ich ausdrücken, daß die Menschheit in Bezug auf die Bevölkerungsgröße und den Ressourcenverbrauch einen auf Dauer nicht haltbaren Gipfelpunkt erreicht hat und ihr Weg von nun an meistens abwärts führen wird. Dies gilt mindestens für die nächsten Jahrzehnte, bis sie gelernt hat, mit den begrenzten Ressourcen der Erde zu leben. Ich vertrat die Ansicht, daß die industrielle Expansion der vergangenen ein oder zwei Jahrhunderte in erster Linie dem schnell wachsenden Verbrauch konzentrierter Energie in Gestalt billiger fossiler Brennstoffe zu verdanken ist und daß die Weltwirtschaft von einer Phase des Wachstums in eine Phase der Schrumpfung eintreten wird, sobald Kohle, Öl und Erdgas nicht mehr billig verfügbar sind. Ich wies außerdem darauf hin, daß die weltweite Ölproduktion ihren Gipfelpunkt erreicht oder fast erreicht hat und daß das unmittelbar bevorstehende Sinken der Förderraten tiefgreifende Auswirkungen haben wird, weil das globale Transportsystem fast völlig vom Öl abhängig ist. Schließlich legte ich dar, daß sich der Übergang vom Wachstum zur Schrumpfung sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene auf sämtliche Aspekte der menschlichen Existenz (die Finanzsysteme, die Systeme der Nahrungsmittelversorgung, den Welthandel) auswirken und sogar unsere psychischen Bewältigungsmechanismen bedrohen wird.

Nichts ist in den vergangenen drei Jahren passiert, was diese Einschätzung widerlegt hätte, aber vieles ist bekannt geworden, was sie bestätigt.

Heute kann mit einigem Recht gesagt werden, daß das Jahr 2007, als dieses Buch erstmals erschien, tatsächlich das Jahr war, in dem vielleicht nicht »Peak of everything«, aber doch der Gipfelpunkt vieler Dinge erreicht wurde. Seither hat ein beängstigender Abstieg von den schwindelerregenden Höhen des Verbrauchs begonnen, die wir in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts erreicht hatten.

•Die weltweite Wirtschaftsaktivität sinkt seit 2008, und es hat nicht den Anschein, als würde sie in nächster Zeit wieder das Niveau von 2007 erreichen.

•Der weltweite Energieverbrauch erreichte in den Jahren 2005 bis 2007 ebenfalls seinen Höhepunkt; seither ist das Wachstum des Verbrauchs auf asiatische Volkswirtschaften und einige wenige öl- und gasexportierende Länder beschränkt.

•Auch der weltweite Güterversand, ein guter Gradmesser für Welthandel und Weltproduktion, erreichte im Jahr 2007 seinen Höhepunkt.

Natürlich ist es sehr vereinfachend, wenn man sagt, alles habe seinen Höhepunkt erreicht (aber Peak Everything ist nun einmal ein besserer Buchtitel als: Einige Dinge erreichen jetzt ihren Gipfelpunkt, andere werden ihn bald erreichen). Die vielleicht offenkundigste Ausnahme ist die Weltbevölkerung. Sie wächst nach wie vor, und es ist so gut wie sicher, daß sie demnächst die Zahl von sieben Milliarden erreicht (inzwischen – Ende Oktober 2011 – erreicht; Anm. d. Übers.).

Eine weitere Ausnahme ist China: Die chinesische Volkswirtschaft wächst immer noch rapide, und zwar mit der erstaunlichen Rate von acht bis zehn Prozent im Jahr. Dies bedeutet, daß sie sich alle zehn Jahre mehr als verdoppelt. Tatsächlich verbraucht China mehr als doppelt soviel Kohle wie noch vor einem Jahrzehnt, und dasselbe gilt auch für Eisenerz und Öl. Das Land hat heute viermal so viele Fernstraßen und fast fünfmal so viele Autos wie vor zehn Jahren. Wie lange dieses Wachstum noch so weitergeht, läßt sich nur vermuten. Doch der Verbrauch kann sich bestimmt nicht mehr oft verdoppeln, bis China seine wichtigsten Ressourcen aufgezehrt hat.

Ich persönlich glaube, daß der chinesische Boom nicht mehr lange anhalten wird. Wie ich in meinem letzten Buch, Blackout, dargelegt habe, wird die chinesische Kohleförderung schon bald an ihre Grenzen stoßen. (Der weltweite Kohleverbrauch wird innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte seinen Höhepunkt erreichen, China jedoch wird aufgrund seines extremen Verbrauchs, der momentan das Dreifache des US-amerikanischen beträgt, schneller als die meisten anderen Länder an diesen Punkt kommen.) Da das Land kurzfristig keine brauchbaren Alternativen zur Kohle hat, die seine Industrie am Laufen halten könnten, wird es etwa um 2020 (und vielleicht schon viel früher) wie der Rest der Welt in eine Phase der ökonomischen Schrumpfung eintreten, und diese Phase wird so lange dauern, bis das Verbrauchsniveau durch erneuerbare Ressourcen aufrechterhalten werden kann, die nachhaltig gewonnen werden.

Das Wachstum der Weltbevölkerung wird vielleicht auch früher als allgemein erwartet zum Stillstand kommen, da globale Nahrungsmittelproduktion und Wirtschaftsaktivität schon bald ihren Höhepunkt erreichen, da sie immer weniger Energie zur Verfügung haben.

Kurz gesagt, die Welt hat sich in den vergangenen drei Jahren grundlegend verändert, und die dadurch ausgelösten Erschütterungen werden noch Jahrzehnte zu spüren sein. Tatsächlich erleben wir gerade den Beginn einer überwältigenden Veränderung des Lebens, das wir kennen.

Schauen wir uns genauer an, welche konkreten Faktoren diese Veränderung vorantreiben, und beginnen wir mit der Begrenztheit der weltweiten Ölvorräte.

Ölpreishoch löst Wirtschaftskrise aus

Es ist immer noch nicht klar, ob das globale Ölfördermaximum inzwischen erreicht ist. Während ich dies schreibe, war das Rekordjahr der Rohölproduktion das Jahr 2005 und der Rekordmonat der Juli 2008. Die von 2005 bis 2008 abnehmende Ölförderung stand im Kontext stetig steigender Ölpreise. Tatsächlich erreichte der Ölpreis im Juli 2008 ein Niveau, das inflationsbereinigt 50 Prozent höher lag als der letzte Rekordpreis in den 1970er Jahren. Aufgrund des extremen Preishochs kam weltweit die Luftfahrtbranche ins Trudeln, und die US-amerikanische Autoindustrie ist seitdem permanent auf lebenserhaltende Maßnahmen angewiesen.

Das einzige ernsthafte Argument für die Behauptung, daß die Weltproduktion von Erdöl theoretisch noch länger als ein paar Jahre steigen könnte, wird von interessierten Kreisen vorgebracht, die die Beweise für abnehmende Funde, sich erschöpfende Ölfelder und das Stagnieren der Gesamtproduktion durch die Behauptung zu entkräften suchen, daß die Nachfrage nach Erdöl einen Höhepunkt erreicht habe und nicht das Angebot. Diese Unterscheidung hängt damit zusammen, daß die Ölpreise zur Zeit so hoch sind, daß die Nachfrage gedämpft wird. Da hohe Preise für eine Ware jedoch in aller Regel ein Zeichen für Knappheit sind, ist das Argument, es handle sich nur um ein »Nachfragehoch«, tatsächlich eine Haarspalterei.

Die Lage beim Erdöl ist so ernst, daß sie eigentlich täglich Schlagzeilen machen sollte. Tatsächlich jedoch erregt sie kaum Aufmerksamkeit. Dies liegt daran, daß die fortdauernde und sich verschlimmernde Ölkrise von einer noch dramatischeren und offensichtlicheren Finanzkatastrophe überdeckt ist. Wie wir nur zu genau wissen, erlebten die Banken der Wall Street, nachdem sie in den vergangenen Jahrzehnten ein billiardenschweres Kartenhaus aufgebaut hatten, in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 (unmittelbar nach dem Ölpreishoch) einen so massiven Absturz, daß sie nur noch durch billionenschwere Finanzspritzen und Garantien des Staates vorläufig gerettet werden konnten. Das Ganze war ein atemberaubendes Schauspiel und hätte viele Monate unbeschwerte Unterhaltung bedeutet, wären dabei außer den Banken nicht auch Millionen Arbeitsplätze, Tausende kleine Unternehmen und die Volkswirtschaften mehrerer souveräner Staaten in tödliche Gefahr geraten und wären genug Billionen verfügbar gewesen, um auch sie alle zu retten (es zahlt sich offensichtlich aus, wenn man »zu groß zum Scheitern« ist und Freunde an hoher Stelle hat).

Die finanziellen Aspekte der Krise waren so byzantinisch und die Akteure des Schauspiels waren so dummdreist und abgefeimt, daß man leicht die Binsenweisheit vergaß, daß alles Geld letztlich nur einen Anspruch auf Rohstoffe, Energie und Arbeit darstellt. Ein Finanzsystem, das auf schwindelerregenden Schulden und der doppelten Erwartung unendlichen Wirtschaftswachstums und absurd hoher Investitionserträge beruht, kann nur funktionieren, solange die Arbeit immer billiger wird und das Angebot an Energie und Rohstoffen ständig zunimmt. (Aber selbst dann ist mit gelegentlichen Krisen zu rechnen.)

Diese Bedingungen waren typisch für das 20. Jahrhundert, sind jedoch im 21. Jahrhundert nicht mehr gegeben.

Obwohl die Explosion des Ölpreises kaum der einzige Grund für die anhaltende Krise der Weltwirtschaft sein dürfte, wirkt er effektiv als begrenzender Faktor jeder »Erholung«: Sobald die Wirtschaftsaktivität wieder zunimmt, kommt das nächste Ölpreishoch und verursacht die nächste Finanzkrise.

Das Erreichen des globalen Ölfördermaximums ist also wahrscheinlich der erste Faktor, der das Wachstum begrenzt und nach einem Jahrhundert ökonomischer Expansion eine jahrzehntelange Periode der wirtschaftlichen Schrumpfung einleitet. Weitere Begrenzungsfaktoren sind im Begriff, wirksam zu werden.

Belege für ein Fördermaximum bei nichterneuerbaren Rohstoffen

In der Originalausgabe dieses Buchs wurde die zunehmende Knappheit nichtenergetischer mineralischer Rohstoffe kaum erwähnt. In den drei Jahren seither hat das Thema bei Forschern und Journalisten wachsende Aufmerksamkeit erregt. Im folgenden wird mehrmals aus einem Bericht mit dem Titel »Increasing Global Nonrenewable Natural Resource Scarcity« von Chris Clugston (einem früheren Spitzenmanager in der Elektronikindustrie) zitiert. Clugston analysiert das Produktionsniveau und den Preis von 57 nichterneuerbaren natürlichen Rohstoffen (NNR). Sein Bericht beginnt mit folgender Feststellung:

»Im 20. Jahrhundert nahm das globale Produktionsniveau von 56 der 57 analysierten NNR (98 %) Jahr für Jahr zu, während der Preis bei 45 der 57 analysierten NNR (79 %) jedes Jahr sank. Die allgemein steigende globale Produktion von NNR in Verbindung mit allgemein sinkenden globalen Preisen für NNR lassen für das 20. Jahrhundert auf einen relativen globalen Überfluß an NNR schließen. Insgesamt hielt das Angebot im 20. Jahrhundert mit der stetig wachsenden globalen Nachfrage Schritt.«

So weit, so gut. Doch dies ändert sich.

»Ein allgemein verlangsamtes oder sinkendes Wachstum der globalen Produktion von NNR bei allgemein und global steigenden Preisen in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts läßt auf eine zunehmende NNR-Knappheit schließen […] Das verfügbare globale Angebot an Brom, Gold und Tantal wurde in der Zeit zwischen 2000 und 2008 extrem knapp. Das jährliche globale Produktionsniveau nahm im 20. Jahrhundert zu und im 21. Jahrhundert ab, während die Preise im 20. Jahrhundert jedes Jahr sanken, aber im 21. Jahrhundert stiegen.«

Clugstons Fazit lautet: »Kein einziger NNR ›geht uns aus‹, aber viele werden in nächster Zeit ›bedrohlich knapp‹.«

Den gleichen Tenor hatte auch ein vielbeachteter Artikel, der am 23. Mai 2007 im New Scientist erschien: »Earth’s Natural Wealth: An Audit«. Hier ein interessanter Auszug:

»Nehmen wir zum Beispiel das Metall Gallium, das zusammen mit Indium verwendet wird, um Indiumgalliumarsenid herzustellen. Dieses Halbleitermaterial ist das Herzstück einer neuen Generation von Solarzellen, die doppelt so effizient sein soll wie herkömmliche Modelle. Bei beiden Metallen ist der Umfang der Vorräte umstritten, aber René Kleijn, ein Chemiker der Universität Leiden in den Niederlanden, kam kürzlich in einer Studie zu dem Schluß, daß die heute bekannten Vorräte ›nicht ausreichen würden, damit diese Solarzellen einen wesentlichen Beitrag‹ zur künftigen Versorgung mit Solarstrom leisten könnten. Er schätzt, daß Gallium und Indium vermutlich in weniger als ein Prozent aller künftigen Solarzellen enthalten sein werden – eine Begrenzung, die allein auf der Knappheit dieser Rohstoffe beruht.« (www.science.org.au/nova/newscientist/027ns_005.htm)

Konkrete Zahlen über das Angebot einer Vielzahl von nichterneuerbaren Rohstoffen können mit ein paar Mausklicks auf dem US Minerals Databrowser (mazamascience.com/Minerals/USGS/) abgerufen werden, über den die amerikanische Bundesbehörde United States Geological Survey ihre Daten zugänglich macht.

Die Rohstoffpyramide

Skeptiker erheben immer noch folgenden Einwand, wenn sie mit den Beweisen für das Schwinden der Vorräte an fossilen Brennstoffen und Erzen konfrontiert werden: Neue Technologien werden uns befähigen, die Menge an verfügbarer Energie auch weiterhin zu steigern. Und wenn wir genug Energie haben, können wir auch alle anderen Versorgungsprobleme lösen: Wir können Meerwasser entsalzen, Feldfrüchte in mehrstöckigen Gewächshäusern anbauen und nahezu unbegrenzte Mengen Fisch in Anlagen züchten. Wir können dann auch aus sehr minderwertigem Erz mineralische Ressourcen gewinnen. Wir können Gold und Uran aus dem Meerwasser holen. Und wir können auf anderen Planeten Minerale fördern und sie zurück auf die Erde bringen. Mit genügend Energie ist alles möglich!

Ein gutes Beispiel für das mit neuen technologischen Mitteln Erreichbare ist die Entwicklung, die in den letzten Jahren in der Erdgasindustrie stattgefunden hat: Durch horizontale Bohrungen und »Frakking« (das Aufbrechen festen gashaltigen Gesteins durch Chemikalien) wurden die US-amerikanischen Reserven und Fördermengen in einer Zeit weiter vergrößert, für die Pessimisten bereits einen Zusammenbruch des Angebots vorausgesagt hatten. Das neue »unkonventionelle« Gas wiegt die abnehmenden Fördermengen beim konventionellen Erdgas mehr als auf.

Tatsächlich ist die Situation beim Erdgas ein gutes Beispiel dafür, was bei der Erschöpfung eines Rohstoffs passiert. Die allmähliche Erschöpfung von Öl, Gas, Kohle und anderen nichterneuerbaren Ressourcen wird oft damit verwechselt, daß sie »ausgehen«, also völlig verschwinden würden. Hier ist jedoch nur von den unvermeidlichen Folgen der Tatsache die Rede, daß bei der Förderung von Rohstoffen zuerst die Früchte geerntet werden, die am niedrigsten hängen. Schwer zu erschließende, teure, qualitativ minderwertige und umweltzerstörende Ressourcen werden dagegen für die spätere Gewinnung übriggelassen. Unkonventionelles Erdgas ist teuerer als konventionelles, und seine Förderung hat schlimmere Folgen für die Umwelt (weil zum Aufbrechen des Gesteins ein Gebräu giftiger Chemikalien in den Boden gespritzt werden muß). Das heißt, durch die Technologie des »Fracking« hat sich die Industrie zwar neue Gasquellen erschlossen, doch die Erdgaspreise müssen erheblich steigen, damit die Produktion des neuen Gases langfristig Gewinn abwirft. Außerdem weiß niemand, wie lange »langfristig« angesichts der schnellen Erschöpfung der meisten unkonventionellen Gasquellen eigentlich sein wird.

Geologen und andere Experten, die regelmäßig mit Erzen und fossilen Brennstoffen zu tun haben, sprechen gewöhnlich von einer »Rohstoffpyramide«: Ihre Spitze steht für den leicht und billig zu gewinnenden Teil eines Rohstoffs; die darunterliegende Schicht ist der Teil des Gesamtvorkommens, der schwieriger, das heißt mit höherem finanziellen Aufwand und schlimmeren Folgen für die Umwelt zu gewinnen ist; und ihre Basis steht für den Großteil des Gesamtvorkommens, der vermutlich niemals zu vertretbaren Preisen abgebaut werden kann. Die optimistische Annahme, daß irgendwann vielleicht doch die ganze Pyramide verwertbar sein könnte, ist einfach nicht realistisch. Wir haben unsere Gesellschaft auf der Grundlage billiger Energie und billiger Rohstoffe aufgebaut. Wenn wir immer tiefere Schichten der Pyramide erschließen, werden irgendwann steigende Verbrauchsgüterpreise und wachsende Kosten für die Beseitigung von Umweltschäden (man denke nur an die Katastrophe mit der Ölbohrplattform Deepwater Horizon) sowohl die Nachfrage nach Rohstoffen als auch die Wirtschaftsaktivität generell beeinträchtigen. Wenn das passiert, werden wir nicht nur steigende Preise, sondern auch starke Preisschwankungen erleben.

Genau dies war der Fall, als der Ölpreis 2008 sein Allzeithoch erreichte. Viele Kommentatoren, die das Peak-Oil-Dilemma im Prinzip verstanden hatten, nahmen an, daß die Preise für Öl und andere Ressourcen bei zunehmender Knappheit einfach linear steigen würden. Stattdessen kam es jedoch zu einem explosionsartigen Preisanstieg (angetrieben durch wachsende Nachfrage und sinkendes Angebot und zusätzlich durch Spekulation verschärft), der einen schweren wirtschaftlichen Einbruch auslöste. Dieser Einbruch zog wiederum einen Absturz der Ölpreise und eine Reduktion der Investitionen in die Exploration neuer Quellen nach sich, was natürlich zu gegebener Zeit wieder einen extremen Preisanstieg auslösen wird. Mit jeder Wiederholung wird dieser Zyklus vermutlich schlimmere Auswirkungen haben.

Dasselbe geschieht auch beim Erdgas, wenn das konventionelle Gas knapp wird und die Industrie gezwungen ist, Schiefergas zu fördern, dessen Lagerstätten sich schnell erschöpfen und dessen Produktion teuer ist; auch bei Kupfer, Uran, Indium und den Metallen der seltenen Erden könnten solche Mechanismen greifen. Unterdessen werden wir uns darüber wundern, daß die Wirtschaft offenbar einfach nicht mehr so funktioniert, wie sie früher funktioniert hat. Statt mit einem Überfluß an Energie Gold aus Meerwasser zu gewinnen, werden wir nicht mehr genug billigen Treibstoff haben, um die Flugzeuge der Airlines in der Luft zu halten. Alternative nichtfossile Energiequellen werden durchaus erschlossen werden, aber nicht schnell genug, um die Erschöpfung von Öl, Kohle und Gas auszugleichen. Die Preise für Energie und Rohstoffe werden extrem schwanken, während die tatsächlich verbrauchten Mengen abnehmen werden. Insgesamt werden die Arbeitskosten sinken und die Rohstoffpreise steigen – das genaue Gegenteil der Entwicklung im 20. Jahrhundert; doch diese Änderungen werden alles andere als sanft verlaufen.

Die meisten Leute werden eine Weile brauchen, um die einfache Tatsache zu begreifen, daß das herkömmliche Wirtschaftswachstum ein für allemal zu Ende ist.

Das Ende des Wachstums – und was danach kommt

Der Wirtschaftscrash von 2008 wird allgemein als eine weitere Rezession in einer langen Reihe von Rezessionen wahrgenommen, auf die unweigerlich eine Erholung folgen wird. Rezessionen enden immer mit einem Konjunkturaufschwung, und das wird natürlich auch diesmal wieder so sein – sagt man uns.

Doch heute ist die Lage anders. Angesichts des erreichten Ölfördermaximums, des Klimawandels und der mit alarmierender Geschwindigkeit abnehmenden Ressourcen Frischwasser, Boden, Fisch und Minerale scheinen sich die computergestützten Szenarios der Studie Die Grenzen des Wachstums von 1972 voll und ganz und beängstigend zu bewahrheiten. Die Jahrzehnte der durch Verbrauch und Verschuldung getriebenen Expansion gehen zu Ende; es ist an der Zeit, die Rechnungen zu zahlen, den Gürtel enger zu schnallen und sich auf eine Zukunft wirtschaftlicher Schrumpfung vorzubereiten.

Hin und wieder wird es in den USA noch ein Jahr geben, in dem die Wirtschaftsaktivität größer ist als im Jahr zuvor. Aber wir werden wahrscheinlich nie mehr eine höhere Gesamtaktivität erleben als im Jahr 2007. Die Volkswirtschaften Chinas und Indiens werden sich noch eine Zeitlang gegen den allgemeinen Trend entwickeln; da jedoch die Kohlereserven in diesem Teil der Welt knapp werden, werden auch diese beiden Staaten schon bald an Grenzen des Wachstums stoßen.

Daß wir heute mit dem Ende des Wachstums nicht als theoretischer Möglichkeit, sondern als vollendeter, größtenteils selbstverschuldeter Tatsache konfrontiert sind, ist natürlich schon ziemlich deprimierend. Das 20. Jahrhundert war eine einzige Welle der Expansion, unterbrochen nur durch zwei schreckliche Weltkriege und eine Weltwirtschaftskrise. Zu Beginn jenes Jahrhunderts umfaßte die Weltbevölkerung etwas mehr als 1,5 Milliarden Menschen, an seinem Ende bestand sie aus 6 Milliarden. Im industrialisierten Westen wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von durchschnittlich 5 000 auf beinahe 30 000 Dollar (in inflationsbereinigten Zahlen). Wir alle glaubten irgendwann, daß der »Fortschritt« im großen und ganzen für immer so weitergehen werde. Wir würden Kolonien auf dem Mond, auf anderen Planeten, ja vielleicht sogar in anderen Sonnensystemen gründen, würden Hunger und Krankheit besiegen – alles nur eine Frage der Zeit.

Aber während wir unser Utopia planten, bereiteten wir in Wirklichkeit den Zusammenbruch vor. Wir verbrauchten die verwertbaren Ressourcen unseres Planeten und veränderten die Zusammensetzung der Erdatmosphäre. Und wir bauten ein globales Finanzsystem auf, das auf der Annahme ständig steigenden Verbrauchs und ständig wachsender Verschuldung beruhte – ein System, das in einem Zustand des Stillstands oder der Schrumpfung nur noch um den Preis schwerer Schuldenkrisen, Insolvenzen und Zusammenbrüche funktionieren konnte.

Statt im 21. Jahrhundert die Aufwärtsbewegung fortzusetzen, an die wir uns alle so sehr gewöhnt haben, ist es uns leider bestimmt, einen langwierigen Niedergang zu erleben, der immer wieder durch Momente der finanzwirtschaftlichen, politischen und geopolitischen Panik gekennzeichnet sein wird. Und im Rückblick werden wir uns vermutlich alle darüber einig sein, daß dieser Niedergang im Jahr 2008 begann.

Wir haben wirklich Peak Everything, den Gipfel von allem, erreicht … aber wir haben kaum Zeit gehabt, den Ausblick zu genießen, so kurz war der Moment an der Spitze! Und jetzt geht es abwärts, in einer langen, holprigen Achterbahnfahrt.

Was soll das Ganze?

Warum behellige ich Sie überhaupt mit all den schlechten Nachrichten? Macht es mir vielleicht einfach nur Spaß, den Zyniker zu spielen? Natürlich kann der Sinn meines Buches nur darin bestehen, irgendwie unsere gemeinsamen Aussichten zu verbessern. Ein weiteres Wirtschaftswachstum wird für die Weltgesellschaft kaum möglich sein, aber das muß nicht unbedingt das Ende der Welt bedeuten. Tatsächlich kann die Zukunft, die uns erwartet, immer noch sehr unterschiedlich ausfallen, kann alles umfassen zwischen einem sanften industriellen Niedergang (am einen Ende des Spektrums der Möglichkeiten), der zu einer reifen, überlebensfähigen Weltgemeinschaft mit relokalisierten Kulturen führt, und (am anderen Ende) dem Aussterben der Menschheit oder etwas, was dem sehr nahe kommt.

Es ist gar nicht so schwer zu erkennen, was zur Katastrophe führen könnte. Wenn wir alle weiter auf Expansion setzen und diese nicht eintritt, werden sich wahrscheinlich viele erbosen und nach Schuldigen suchen. Politiker, die diese Schuld nicht auf sich nehmen wollen und den Zorn der Bürger für ihre Karriere nutzen, werden andere zu Sündenböcken machen. Einige der Sündenböcke werden Einheimische, andere Ausländer sein. Wenn ganze Länder, Religionen und ethnische Gruppen zu Sündenböcken gemacht werden, führt dies zu weltweiter Gewalt. Unterdessen wird den ursächlichen Problemen der Ressourcenerschöpfung und Umweltzerstörung (dem Absterben der Meere, dem Zusammenbruch der landwirtschaftlichen Produktion aufgrund von Klimaerwärmung und Wüstenbildung usw.), die durch Kriegführung nur verschärft werden, kaum mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Man füge dem ganzen noch Atomwaffen hinzu, rühre einmal kräftig um, und schon hat man das Rezept für totale Zerstörung.

Es muß nicht so ausgehen.

Wenn wir das Wesen der Grenzen verstehen, mit denen wir es zu tun haben, ist es immer noch möglich, umzukehren und aus der Sackgasse herauszukommen, in die wir durch Bevölkerungswachstum und Ressourcenverbrauch geraten sind. Mit anderen Worten, wenn wir die Schrumpfung planen, gelingt es uns wahrscheinlich viel besser, wieder ein dauerhaft erträgliches Niveau von Bevölkerungsgröße und Verbrauch zu erreichen, als wenn wir weiterhin auf Wachstum setzen und dabei permanent scheitern.

Um die Schrumpfung erfolgreich zu planen, müssen wir zunächst einmal erreichbare Ziele setzen, indem wir mit vernünftigen Indikatoren arbeiten. Wir müssen damit aufhören, für fast alle materiellen Parameter der Volkswirtschaft Zuwächse an Größe, Umfang und Geschwindigkeit anzustreben. Stattdessen müssen wir darauf abzielen, die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft zu erhöhen, das heißt ihre Fähigkeit, Schläge zu absorbieren und trotzdem weiter zu funktionieren. Dies geht nur, wenn wir einen großen Teil der Wirtschaftsaktivität relokalisieren. Außerdem sollten wir grundlegende Dienstleistungen, Bildungswesen und Kultur fördern und solchen wirtschaftlichen Aktivitäten, die einen nicht unbedingt notwendigen Ressourcenverbrauch bedeuten, einen geringeren Stellenwert einräumen.

Diese Ziele sind viel leichter erreichbar, wenn wir die richtigen Meßgrößen verwenden. Heutzutage benutzen fast alle Länder das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als wichtigsten Wirtschaftsindikator. Das BIP steht für den gesamten Marktwert aller Güter und Dienstleistungen, die innerhalb eines Jahres in einem Land produziert werden und dem Endverbrauch dienen. Ein steigendes BIP wird allgemein als Anzeichen für Fortschritt gewertet. Wenn sich das BIP jedoch in einer nicht mehr vom Wachstum geprägten Welt unerbittlich verringern wird, brauchen wir eine Möglichkeit, unsere kollektive Aufmerksamkeit auf verbrauchsunabhängige Aspekte unseres wirtschaftlichen und zivilen Lebens zu konzentrieren. Nur so können wir unser Handeln auf Gebiete orientieren, in denen Fortschritt immer noch möglich ist.

Zum Glück werden viele Städte und Länder rund um den Erdball zur Zeit auf alternative ökonomische Meßgrößen aufmerksam. Ich behandle auf Seite 43 der Einleitung zu diesem Buch den Genuine Progress Indicator (GPI), aber auch die Meßgröße Bruttonationalglück (BNG) muß hier erwähnt werden. Dieser Begriff wurde 1972 von Jigme Singye Wangchuck, dem damaligen König von Bhutan, geprägt, um zu bekunden, daß er eine Wirtschaft aufbauen wollte, die die buddhistische Kultur Bhutans bewahrt, während sich das Land für den Handel mit dem Westen öffnete. Der kanadische Epidemiologe Michael Pennock war an der Entwicklung der Meßgröße BNG beteiligt und befürwortet die Anwendung einer »entbhutanisierten« Version in seiner Heimatstadt Victoria in British Columbia. Kürzlich hat auch Seattle Interesse an einer Verwendung dieser Meßgröße geäußert.

Med Jones, Präsident des International Institute of Management in Las Vegas, hat eine Metrik für das BNG ausgearbeitet, mit der sich die sozioökonomische Entwicklung in sieben Bereichen messen läßt, darunter auch die geistige und emotionale Gesundheit eines Volkes:

1. Wirtschaftliches Wohlbefinden: Ermittelt durch direkte Erhebung und statistische Messung von Verbraucherverschuldung, Verhältnis von Durchschnittseinkommen zu Verbraucherpreisindex und Einkommensverteilung.

2. Ökologisches Wohlbefinden: ermittelt durch direkte Erhebung und statistische Messung ökologischer Parameter wie Umweltverschmutzung, Lärm und Verkehr.

3. Körperliches Wohlbefinden: ermittelt durch statistische Messung von Parametern der körperlichen Gesundheit wie zum Beispiel schweren Krankheiten.

4. Geistiges Wohlbefinden: ermittelt durch direkte Erhebung und statistische Messung von Parametern der geistigen Gesundheit wie zum Beispiel Verwendung von Antidepressiva und steigende oder sinkende Zahl psychotherapeutisch zu behandelnder Personen.

5. Wohlbefinden am Arbeitsplatz: ermittelt durch direkte Erhebung und statistische Messung von Parametern der Arbeitswelt wie Zahl der als arbeitslos Gemeldeten, Häufigkeit des Arbeitsplatzwechsels, Beschwerden und Klagen in Bezug auf den Arbeitsplatz.

6. Soziales Wohlbefinden: ermittelt durch direkte Erhebung und statistische Messung sozialer Parameter wie Diskriminierung, Sicherheit, Scheidungshäufigkeit, Beschwerden über häusliche Konflikte und Klagen gegen Familienmitglieder, öffentliche Gerichtsverfahren und Verbrechensraten.

7. Politisches Wohlbefinden: ermittelt durch direkte Erhebung und statistische Messung von politischen Parametern wie Qualität der lokalen Demokratie, individuelle Freiheit und Konflikte mit dem Ausland.

Schrumpfung von Bevölkerung und Verbrauch hört sich nicht gerade erfreulich an, aber eine Verbesserung des Bruttonationalglücks über mehrere Jahrzehnte, wie sie auch unter den heute gegebenen materiellen Umständen erreichbar wäre, wäre vermutlich für die meisten ein attraktiver Gedanke.

Die damit verbundene Idee, daß ein Leben ohne fossile Brennstoffe sogar besser sein könnte, ist ein zentraler Grundsatz des Transition Town Movement, einer Bewegung, die 2005 in England gegründet wurde (ich beziehe mich auf ihren Gründer Rob Hopkins auf Seite 155 f. dieses Buches). Initiativen zur Gestaltung des Übergangs (engl.: transition; Anm. d. Übers.) sind Basisbewegungen, die Gemeinden von der Abhängigkeit von Öl und anderen fossilen Brennstoffen befreien wollen, indem sie (etwa durch die Entwicklung lokaler Systeme der Nahrungsmittelversorgung und die systematische Organisation von Fahrgemeinschaften) die lokale Widerstandsfähigkeit fördern. Die Mitglieder der Bewegung haben erkannt, daß es wahrscheinlich zwecklos ist, darauf zu warten, daß gewählte Volksvertreter bei der Planung der großen Energiewende die Führung übernehmen, da nur wenige Politiker überhaupt begriffen haben, in welcher mißlichen Lage wir uns befinden. Außerdem wären die Maßnahmen, die solche Politiker vorschlagen würden, extrem unpopulär, wenn die Bevölkerung nicht zuvor über die Grenzen des auffossile Brennstoffe gestützten Wachstums aufgeklärt worden wäre. Der geniale Schachzug des Transition Town Movement besteht darin, daß es sich zuerst an die Bürger wendet. Seine Übergangsinitiativen verbreiten sich offenbar mit imposanter Geschwindigkeit; Mitte 2010 waren weltweit fast 300 Gemeinden und Städte offizielle Transition Towns, davon mehr als 70 in den USA.*

In den letzten Jahren ging der Verkauf von Autos zurück, während der von Fahrrädern stark zunahm; die Zahl der jungen Leute, die als Landwirte zu arbeiten beginnen, ist erstmals seit Jahrzehnten gewachsen; und den Herstellern von Biosaatgut fiel es schwer, mit der explodierenden Nachfrage von Hobbygärtnern Schritt zu halten. Diese Trends zeigen, daß höhere Brennstoffpreise und mehr öffentliche Aufmerksamkeit tatsächlich zu Verhaltensänderungen führen. Doch der Weg ist noch sehr weit, bis wir uns weltweit aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen befreit, die Verwendung anderer Ressourcen zurückgeschraubt und unsere Einwirkung auf die natürlichen Systeme genügend reduziert haben. In der Zwischenzeit sind öffentliche Bildung und Bürgerinitiativen (wie zum Beispiel das Transition Town Movement) sehr wichtig, um die Widerstandsfähigkeit der Gemeinden zu steigern, damit sie die zu erwartenden wirtschaftlichen und ökologischen Schicksalsschläge besser verkraften, und um dafür zu sorgen, daß wir alle uns besser an das Leben nach dem Wachstum anpassen können.

Der Gipfel ist überschritten. Finden wir uns damit ab und gehen wir an die Arbeit.

* Im August 2011 gehörten bereits über 450 Städte und Gemeinden der Bewegung an, vor allem in der westlichen Industriewelt. (http://de.wikipedia.org/wiki/Transition_Towns).

EINLEITUNG: PEAK EVERYTHING

In den letzten Jahren ist der Begriff Peak Oil Bestandteil des Weltwortschatzes geworden. Er bezeichnet den Zeitpunkt, an dem das globale Ölfördermaximum erreicht ist. Danach beginnt, meist aus Gründen, die mit der Geologie zu tun haben, die Menge an Erdöl, die der Weltgesellschaft täglich oder auch jährlich zur Verfügung steht, zu sinken. Die meisten gut informierten Analytiker sind sich darüber einig, daß dies in den nächsten zwei oder drei Jahrzehnten geschehen wird; eine wachsende Anzahl glaubt sogar, daß es heute schon passiert. Sie vertreten die Ansicht, daß die Produktion von konventionellem Erdöl schon 2005/06 ihren Höhepunkt erreichte und daß die Gesamtmenge aller flüssigen Kohlenwasserstoffe, die auf den Markt kommt, ab etwa 2010 abnehmen wird.1 Die kumulativen Folgen dieser Entwicklung werden vermutlich ernst sein: Transportwesen, Landwirtschaft, Kunststoffproduktion und Chemieindustrie der ganzen Welt sind extrem abhängig vom Erdöl, folglich wird ein langer Anpassungsprozeß notwendig sein. Laut einer neueren, von der US-Regierung finanzierten Studie ist es unwahrscheinlich, daß im Falle des baldigen Erreichens des Fördermaximums schnell genug Ersatzstoffe in ausreichender Menge zur Verfügung stehen werden, um, wie es heißt, »beispiellose« soziale, politische und wirtschaftliche Auswirkungen zu vermeiden.2

Dieses Buch ist keine Einführung in das Thema Peak Oil. Diese Funktion wird schon von mehreren anderen Büchern erfüllt (auch von meinem eigenen Buch, The Party’s Over: Das Ende der Ölvorräte und die Zukunft der industrialisierten Welt).3 Vielmehr befaßt es sich mit dem sozialen und historischen Kontext, in dem Peak Oil stattfindet, und es untersucht, wie wir unser Denken und Handeln in verschiedenen kritischen Bereichen so umorganisieren können, daß wir die gefährliche Zeit nach dem Höhepunkt der Ölförderung besser zu bewältigen vermögen.

Es erfordert einiges an Zeit und Hintergrundwissen, wenn man unseren soziohistorischen Kontext richtig verstehen will. Wenn die Leute zum erstenmal mit dem Thema Peak Oil konfrontiert sind, nehmen die meisten an, daß es sich dabei lediglich um ein einziges isoliertes Problem mit einer einfachen Lösung handelt. Diese Lösung kann entweder umweltfreundlich (mehr erneuerbare Energie) oder nicht umweltfreundlich (mehr Kohle) sein. Bei genauerer Überlegung und besserer Information entstehen jedoch erhebliche Zweifel an der Machbarkeit solcher »Lösungen«. Wer sich ansieht, wie schnell die Menschheit von der billigen, konzentrierten Energie des Öls und anderer fossiler Brennstoffe abhängig geworden ist, kann sich der Erkenntnis kaum erwehren, daß sie sich in das universale ökologische Dilemma schlechthin verstrickt hat, das aus den miteinander verknüpften Elementen Bevölkerungsdruck, Ressourcenschwund und Lebensraumzerstörung entsteht, wobei alle drei Faktoren in historisch beispiellosem Umfang auftreten.

Das Erdöl ist nicht der einzige wichtige Rohstoff, der sich schnell erschöpft. Leser, die bereits mit der Literatur zum Thema Peak Oil vertraut sind, wissen, daß auch beim Erdgas schon regionale Förderhöchstmengen erreicht sind und daß die wirtschaftlichen Folgen der Gasknappheit für Europäer und Nordamerikaner in naher Zukunft vermutlich sogar noch schlimmer sein werden als beim Öl. Die Kohle dagegen wird oft als reichlich vorhandener Rohstoff bezeichnet mit Reserven, die bei den gegenwärtigen Verbrauchsraten ausreichen würden, um die Welt noch 200 Jahre zu versorgen. Neue Studien zur Aktualisierung der globalen Voraussagen über die vorhandenen Reserven und ihren Abbau kommen jedoch zu dem Schluß, daß die globale Kohleproduktion schon in zehn bis zwanzig Jahren ihr Maximum erreichen und danach sinken wird.4 Da etwa 85 Prozent des Weltenergieverbrauchs durch fossile Brennstoffe abgedeckt werden, bedeutet das Erreichen ihres Fördermaximums praktisch, daß das Weltenergieangebot in den nächsten Jahren schrumpfen wird, gleichgültig welche Anstrengungen zur Erschließung neuer Quellen unternommen werden.

Profile der Öl- und Gasproduktion

Mittlere Schätzung 2006

Grafik 1: Profile der weltweiten Öl- und Gasproduktion, Geschichte und Prognose.

Und das Problem beschränkt sich keineswegs nur auf Gas und Kohle. Wer über den engen Horizont des täglichen Überlebenskampfs hinausblickt, ist mit einer erschreckenden Reihe weiterer Gipfel konfrontiert. Noch in diesem Jahrhundert werden wir auch in folgenden Bereichen das Ende des Wachstums und den Beginn des Niedergangs erleben:

Mögliche Kohleproduktion weltweit