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Die "Luxury" war ein Schiff für die Superreichen, die sich auch zur Jungfernfahrt auf ihr versammelt hatten. Dann ging eine Bombe hoch und das Schiff begann zu sinken. An Bord befand sich auch ein Terrorist, der drohte, zwei weitere Bomben zu zünden und damit das Ende aller Passagiere zu beschleunigen. Für uns gab es nur eins, das zu verhindern, doch die Chancen dazu standen denkbar schlecht...
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Seitenzahl: 123
Veröffentlichungsjahr: 2015
Cover
Impressum
Die Höllenfahrt der ›Luxury‹
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Johnny Cris
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1228-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Höllenfahrt der ›Luxury‹
Als das Telefon im Büro von Maximus Dome klingelte, war der Chef und Besitzer der weltweit agierenden MediaDome-Gruppe keineswegs überrascht – er hatte den Anruf erwartet.
Maximus Dome gehörte zu jener Sorte Menschen, die alles koordinierten und planten. In seinem Umfeld geschah nichts, was sich seiner Kontrolle entzog. Er war der unumschränkte Herrscher über sein Imperium und bestimmte, was dort geschah.
Und nicht nur dort …
»Sir«, drang die flüsternde Stimme eines Mannes aus dem Hörer. »Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Die Aktion kann beginnen, sobald Sie es anordnen.«
»Sehr gut.« Dome nickte, und sein fleischiges Gesicht verzog sich zu einem feisten Grinsen. »Fangen Sie an, Bodine. Zeit für ein paar schlechte Nachrichten …«
Gelassen legte Dome auf. Dann nahm er erneut ab, rief die Nummer seiner firmeneigenen Nachrichtenagentur aus dem Speicher ab.
»Hier Hamlish, Chefin vom Dienst. Was kann ich für Sie tun?«, meldete sich die Stimme einer jungen Frau.
»Hier Dome«, sagte der Manager und paffte an der dicken Zigarre, die zwischen seinen wulstigen Lippen klemmte.
»Mr. Dome, Sir!« Die Redakteurin der Nachrichtenagentur schien leicht verunsichert. »W-was kann ich für Sie tun, Sir? Ich meine, es ist mir eine Ehre, Sie persönlich …«
»Sparen Sie sich das!«, unterbrach Dome sie barsch. Anbiederungen jeglicher Art konnte der Chef der ›MediaDome Group‹ nicht ausstehen. Jeder dieser kleinen Speichellecker, die für ihn arbeiteten, gehörte ihm, hatte sich mit Leib und Seele der Firma verschrieben …
»Es gibt Arbeit«, erklärte der Medienmogul. »Rufen Sie unsere Zeitungen an und sagen Sie ihnen, dass die Druckwalzen angehalten werden sollen. Sofort!«
»D-die Druckwalzen anhalten, Sir?«
»Ganz Recht. Und sagen Sie den Radio- und Fernsehsendern Bescheid, dass sie sich bereit halten sollen.«
»Aber weswegen, Sir? Es ist doch überhaupt nichts los heute. Den ganzen Tag über ist noch keine interessante Meldung aus dem Ticker gekommen, die wir …«
»Vertrauen Sie mir«, sagte Dome. »Ich bin schon länger im Geschäft als Sie, Schätzchen. Ich kann es fühlen, wenn eine Story in der Luft liegt – und heute Nacht sieht es für mich ganz danach aus.«
»Äh … ja, Sir«, sagte die junge Frau eingeschüchtert. »Natürlich, Sir. Ich werde Ihre Anweisungen sofort weitergeben.«
»Tun Sie das, Schätzchen«, sagte Dome mit breitem Grinsen. »Sie haben Talent für die Medienbranche – wenn Sie so weiter machen, werden Sie es noch zu etwas bringen.«
»Äh – danke, Sir. Vielen Dank. Wenn ich noch etwas für Sie tun kann …«
»Geben Sie nur meine Anordnungen weiter!«, forderte Dome, jetzt wieder barsch und unnahbar. »Das genügt völlig!«
»Ja, Sir.«
Damit hielt Dome das Gespräch für beendet und legte auf. Von plötzlicher Euphorie erfüllt, wirbelte der Manager in seinem ledernen Schreibtischsessel herum und sprang auf, trat an das Panoramafenster, jenseits dessen sich die allmählich in Dunkelheit versinkende Skyline von Manhattan erstreckte.
Das DomeMedia-Gebäude lag im Herzen von Midtown, nicht weit entfernt von den anderen TV-Sendern, Radiostationen und Medienfirmen, die sich in der Stadt niedergelassen hatten.
Dome starrte hinaus auf das funkelnde Lichtermeer, auf die Ströme von rotem und weißem Licht, die sich durch die Straßenschluchten ergossen, und kam sich dabei vor wie der König der Welt. Großtuerisch paffte er an seiner Zigarre, blies blaue Wölkchen zur Zimmerdecke empor, während er das Gefühl genoss, die ganze glitzernde Welt dort unten würde ihm gehören.
Vielleicht würde sie das ja bald.
Nicht heute, nicht morgen.
Aber vielleicht übermorgen …
Den Grundstein dazu hatte Dome gelegt.
In einer Welt, die täglich kleiner wurde, die von weltweiten Datennetzen umspannt wurde, besaßen diejenigen die Macht, die über Informationen verfügten – und Maximus Dome hatte sich zum Meister der Information aufgeschwungen. Kein Network lieferte Nachrichten so schnell und zuverlässig wie das seine, keine Reporter hatten ihre Hand so nahe am Puls der Zeit wie seine.
Und doch waren dem Wirken seiner Nachrichtenagenturen Grenzen gesetzt, gab es immer wieder Situationen, in denen man sich der Konkurrenz der anderen Networks, Zeitungen und Agenturen geschlagen geben musste. Ein täglicher, knallharter Kampf um Informationen – den Dome nun endgültig für sich entscheiden würde.
Er war es Leid, um jeden Meter Boden gegen die Konkurrenz zu ringen. Wer die Informationen besaß, hatte die Macht – und Dome wollte nicht die zweite oder dritte Geige spielen. Er wollte ganz nach oben, an die Spitze, wollte sich ein Informationsmonopol schaffen, das auf der Welt seinesgleichen suchte.
Der Weg dorthin war einfach.
Nicht der, der die Nachrichten verwaltete, würde letzten Endes den Sieg im Kampf um Einschaltquoten und Auflagenzahlen davon tragen – sondern der, der sie machte!
Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten – diesen Grundsatz des modernen Journalismus hatte sich Dome zu eigen gemacht.
Und in den nächsten Stunden würde es eine ganze Menge schlechter Nachrichten geben – und seine Leute, sein Network, seine Fernsehsender, würden ganz vorn dabei sein …
***
Die ›Luxury‹ war eine Hochseeyacht der neuesten Bauart – ein schnittiges, geräumiges Schiff, das alle Annehmlichkeiten eines Kreuzfahrtschiffes mit den Vorzügen einer hochseetauglichen Yacht verband: Neben einem modernen Antrieb, der es wie ein Geschoss über die Wellen gleiten ließ, verfügte das Schiff über zwanzig luxuriös eingerichtete Kabinen, ein Sonnendeck, einen Gymnastikraum, einen Swimmingpool auf dem Achterdeck, ein Kino und einen großzügigen Speiseraum – ein Traum von Luxus und Behaglichkeit, der das Leben auf hoher See zum reinen Vergnügen machte.
Neuartige Stabilisatoren sorgten dafür, dass die Yacht auch bei starkem Wellengang ruhig auf dem Wasser lag. Zudem war die ›Luxury‹ mit einem neuartigen Kammersystem ausgestattet, das das Schiff gegen Riffs und Untiefen absolut unverwundbar machen sollte. Die ›Luxury‹ war ein wahrer Traum.
Gerard LaMaire, der Besitzer der in Frankreich ansässigen Luxury-Werften, war überzeugt davon, dass die neueste Entwicklung seiner Firma den Markt luxuriöser Hochseeyachten revolutionieren würde – wenn sich erst herumgesprochen hatte, dass die Luxury das beste und sicherste Schiff war, das man für Geld bekommen konnte.
Bis dahin musste LeMaire jeden Tag zittern, dass die Banken seiner Firma und dem kostspieligen Luxury-Projekt nicht den Geldhahn zudrehten. Was er dringend brauchte, war ein Absatz-Erfolg. Hatte er erst drei, vier Schiffe verkauft, würde sich in den Kreisen der Schönen und Reichen rasch herumsprechen, was für ein außergewöhnliches Gefährt die ›Luxury‹ war – bis dahin musste er alles daran setzen, die reichen Idioten, die an Bord waren, so gut es ging bei Laune zu halten …
Er hatte sie eingeladen, bei der ersten offiziellen Atlantiküberquerung, die mit der ›Luxury‹ durchgeführt wurde, seine Gäste zu sein – Angehörige einige der wohlhabendsten Familien Europas. Ein englischer Lord war darunter, dessen Reichtum nicht aus Schlössern und Ländereien, sondern aus Mikrochip-Aktien bestand, ein französischer Reeder mit seiner Familie und der Vorstand eines deutschen Automobilkonzerns mit seiner Frau. Außerdem ein italienischer Schlagerstar mit seiner Freundin, ein Ölscheich aus Kuwait, ein entfernter Verwandter des spanischen Königshauses sowie ein schottischer Großunternehmer mit Frau und Tochter.
Alles einwandfreie Namen, jeder davon millionenschwer. Zu Beginn hatte keiner dieser reichen Idioten Interesse daran gehabt, an der Überfahrt teilzunehmen – zuletzt hatten sie sich jedoch darum geschlagen, weil es geheißen hatte, auch ein Kamerateam des US-Senders ›DomeNet‹ sei mit an Bord. Denn egal, was diese Leute behaupten mochten, im Grunde waren sie alle geradezu versessen darauf, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen, sich in ihrem eigenen Glanz zu sonnen und ihren Reichtum zu präsentieren.
Hinter den Kulissen der Etikette und der gezierten Höflichkeit, das wusste LeMaire nur zu genau, lief ein gnadenloser Kampf ab – der Kampf um mehr Geld, um mehr Macht, um mehr Ansehen und Einfluss. Und eine Yacht, auch das wusste der Franzose, war in diesem Kampf ein wichtiges Statussymbol. Er musste die obersten Zehntausend nur dazu bringen, bei ihm zu kaufen.
Dem überschuldeten Eigner der Luxury-Werften wurde schwindlig, wenn er daran dachte, was die Austern gekostet hatten, die seinen Gästen gerade vorgesetzt wurden – aber es gab nur diese eine, letzte Möglichkeit. Wenn es ihm nicht gelangt, mindestens die Hälfte seiner Gäste davon zu überzeugen, dass sie seine Yacht kauften, war er finanziell erledigt. Die Million für die Übertragungsrechte, die DomeNet ihm bezahlt hatte, waren nur ein Tropfen Wasser auf den heißen Stein. Es ging um alles oder nichts …
»Ich muss sagen, Gerard, dass Sie uns ausgezeichnet zu bewirten wissen«, meinte Jacques Simian, der Reeder aus Marseille, mit anerkennendem Lächeln. »Sowohl Ihre Austern als auch Ihr Wein sind von erstklassiger Qualität.«
»Danke, Monsieur«, erwiderte LeMaire höflich und bemühte sich redlich, sich den Druck nicht anmerken zu lassen, unter dem er stand. »Natürlich hoffe ich, dass Sie alle den Aufenthalt an Bord der ›Luxury‹ genießen – mein Personal und ich sind bemüht, Ihnen einige Tage der Sorglosigkeit und der Erholung zuteil werden zu lassen.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, meinte Lord Rodney und hob sein Glas. »Auf Mr. LeMaire und die ›Luxury‹ – das schönste Schiff, das je gebaut wurde.«
»Auf Mr. LeMaire«, echoten die anderen – und alle erhoben ihr Glas.
»Es freut mich, dass die ›Luxury‹ Ihren Zuspruch findet«, sagte LeMaire, nachdem alle in zurückhaltender Höflichkeit an ihren Gläsern genippt hatten. »Sollten Sie irgendwelche Fragen zur Konstruktion oder den Eigenschaften des Schiffes haben, wird Monsieur Strasser hier Sie Ihnen gerne beantworten. Er ist der Konstrukteur der ›Luxury‹ und für ihr neuartiges Design verantwortlich.«
»Ah, ein Landsmann«, meinte Glitzmann, der Deutsche, mit anerkennendem Nicken. »Das bürgt für Qualität …«
»Danke für das Kompliment, Mr. Glitzmann«, antwortete Strasser auf Englisch, um die anderen Passagiere, die an der langen Tafel im Speisesaal saßen, nicht vor den Kopf zu stoßen. »Tatsächlich sind wir sehr stolz auf die ›Luxury‹ – sie ist das modernste und beste Schiff, das derzeit auf dem Markt zu haben ist.«
»Und entsprechend teuer«, versetzte Liam McGovern, der Unternehmer aus Edinburgh. Einige der anderen Gäste lachten.
»Nicht, wenn sie die Standards nehmen, an denen die ›Luxury‹ gemessen wird«, erklärte LeMaire schnell – die Richtung, in die sich das Gespräch zu entwickeln drohte, gefiel ihm nicht. »Die ›Luxury‹ ist nicht nur das mit Abstand geräumigste und luxuriöseste Schiff seiner Klasse, es ist auch bei weitem das Sicherste.«
»Das ist richtig«, bestätigte Strasser. »Durch eine neuartige Kombination von Schotts und Kammern im Bug- sowie im Hecksektor des Schiffes ist es uns gelungen, eine physikalische Konstellation zu schaffen, die bislang weltweit einzigartig ist – und die die ›Luxury‹ zu einer schwimmenden Insel macht, die geradezu unsinkbar ist.«
»Unsinkbar?«, fragte Chelsea McGovern, die sechzehnjährige Tochter des schottischen Unternehmers, mit ungläubigem Augenaufschlag. In einem dunkelroten Seidenkleidchen saß sie am Tisch und fühlte sich sichtlich unwohl unter all den Smokings und Abendkleidern – dennoch konnte ihre verdrießliche Miene nicht darüber hinweg täuschen, dass das Mädchen eine Schönheit war. »Sagten Sie unsinkbar, Sir?«
»Sí, inaffondabile«, sagte Arrigo Azzuro, der italienische Schlagerstar. »Unsinkbar. Das waren seine Worte.«
»Unsinkbar, mein werter Herr, ist nichts, was aus Metall gebaut wurde«, versetzte Chelsea bissig. »Das sollte spätestens seit der ›Titanic‹ allgemein bekannt sein – oder gehen Sie nicht ins Kino?«
»Chelsea!«, wies Mrs. McGovern ihre Tochter mit tadelnden Blicken zurecht – doch Strasser und sein Arbeitgeber lachten nur.
»Lassen Sie nur, Mrs. McGovern«, meinte LeMaire. »Ihre Tochter kann nicht wissen, dass sich in den vergangenen neun Jahrzehnten in Sachen Schiffsbau und Material einiges geändert hat.«
»Ach ja?«, konterte Chelsea bissig. »Und in Sachen Physik – hat sich da auch etwas geändert? Metall sinkt doch noch immer, oder nicht?«
LeMaire lachte gönnerhaft – während er innerlich brodelte. Er hätte der vorlauten, verwöhnten Göre am liebsten das Maul gestopft. Ihm stand das Wasser bis zum Hals, und dieses verdammte Balg redete ihn um Kopf und Kragen …
Schon begannen die anderen am Tisch amüsiert zu lachen. Lediglich Glitzmann sah es offenbar nicht gern, wenn deutsche Ingenieurs-Tugenden verunglimpft wurden. LeMaire ärgerte sich maßlos, ohne es zu zeigen. Wer war er, dass er sich vor einer verwöhnten Göre rechtfertigten musste?
»Dieses Schiff«, erklärte er mit zuckersüßer Stimme, »ist das sicherste und luxuriöseste Fortbewegungsmittel, das derzeit auf dem Markt existiert, kleine Lady. Kein anderer Anbieter kann mit einem vergleichbaren Standard aufwarten. Wir planen sogar, eine Variante für die Jugend herauszubringen – mit Internet-Café auf dem Vorderdeck und einer Disco statt des Speisesaals.«
»Na?«, meinte McGovern, dem die launischen Eskapaden seiner Tochter offenbar nicht neu waren. »Ist das nichts, Chelsea? Du könntest mit deinen Freunden zu Onkel Jonathan auf die Bahamas fahren und …«
»Ich bin beeindruckt«, murrte Chelsea missmutig.
»Kann es sein, junge Dame, dass Ihnen etwas an Bord nicht gefällt?«, erkundigte sich LeMaire zuvorkommend. »Wenn es irgendetwas gibt, das wir für Sie tun können … Wir haben eine ganze Sammlung der neuesten Kinofilme an Bord. Und wir sind in der Lage, via Satellit alle US-Kabelprogramme zu empfangen. Wir …«
»Sparen Sie sich den ganzen Müll«, unterbrach ihn Chelsea. »Ehrlich, Leute – wenn ich euch alle hier sitzen sehe, mit fetten Bäuchen vor Austern und Champagner, dann kommt mir das kalte Kotzen.«
»Chelsea!« Mrs. McGovern wurde kreidebleich. »Was ist denn nur in dich gefahren?«
»Ihr sitzt hier alle rum und kommt euch vor, als würde euch die Welt gehören – dabei gibt es viele Menschen, die nicht mal genug zu essen haben! Aber ihr …«
»Jetzt ist es genug, Chelsea!«, sprach Liam McGovern ein Machtwort. »Du wirst dich sofort bei Mr. LeMaire und seinen Gästen entschuldigen. Und danach wirst du in deine Kabine gehen!«
»Aber gern«, zischte das Mädchen, das offenbar nur darauf gewartet hatte, die Gesellschaft verlassen zu können. Sie sprang auf. »’tschuldigung«, sagte sie halbherzig – und noch ehe ihre Eltern noch etwas sagen konnte, war sie auch schon aus dem Speisesaal gerauscht.
»Kinder«, sagte LeMaire nur und zerknitterte sein kantiges Gesicht zu einem unbeholfenen Lächeln.
»Das … tut mir sehr leid«, meinte Liam McGovern, verlegene Röte im Gesicht. »Chelsea macht gerade eine schwierige Phase durch. Sie meint, gegen alles rebellieren zu müssen.«
»Das kenne ich«, sagte Glitzmann grinsend. »War bei meiner Tochter genau dasselbe. Jetzt sitzt sie selbst im Vorstand der Firma. Lassen Sie nur, McGovern – das legt sich, glauben Sie mir …«
***
Weinend rannte Chelsea über das Achterdeck. Es war kühl, und der rauhe Wind des Abends zerrte an ihrem Seidenkleid.
Sie wusste nicht zu sagen, was in ihr vorging – alles, was sie wusste, war, dass sie schreckliche Wut empfand. Wut auf das öde Schiff, auf dem sie gefangen war. Auf die bornierte Gesellschaft, in der sie lebte. Auf diesen Arschkriecher LeMaire, dem es offenbar nur darum ging, das Geschäft seines Lebens zu machen. Und schließlich auf ihre Eltern, die sie noch immer wie ein kleines Mädchen behandelten – dabei war sie schon eine Frau!
Die letzten Tage an Bord der ›Luxury‹ waren für Chelsea sehr verwirrend gewesen. Verwirrend nicht nur, weil das Leben auf dem Schiff so ganz anders war als die strenge Umgebung des Internats, in der sie sonst lebte. Verwirrend auch, weil sie jemanden kennen gelernt hatte.
Jemanden, der ihr Herz dazu brachte, wie wild zu schlagen, und dessen Anwesenheit ihr wohlige Schauer über den Rücken jagte.
Sein Name war Marty.
Marty Tamlyn.
Und er war Matrose auf dem Schiff …