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Sarah und ich befanden uns in der Hand des Feindes und alles sah danach aus, dass es diesmal kein Entkommen gab. Phil hatte noch 72 Stunden zu leben - bis dahin musste er ein Gegenmittel für das Gift in seinem Körper gefunden haben. Schließlich trafen wir zusammen und enttarnten den Mann, der hinter all dem gestanden hatte. Jerry Cotton und Phil Decker - im Tod vereint... Zweiter Teil des packenden Doppelbandes.
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2015
Cover
Impressum
Deckers Rückkehr
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Del Nido/Agt. Norma
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1245-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Deckers Rückkehr
Unsere Lage war brenzlig.
Verdammt brenzlig.
Meine Partnerin Sarah Hunter und ich waren gefangen. In einer Höhle baumelten wir mit dem Kopf nach unten über einem Wasserloch, in dem sich ein halbes Dutzend gefräßiger Alligatoren tummelte – und während die Bestien von allen Seiten herankamen, um nach uns zu schnappen, wurde mir klar, wer unser anonymer Peiniger war, der uns in diese Falle gelockt und von dem ich bislang nur die Stimme gehört hatte …
Jetzt, wo mir die Wahrheit dämmerte, fragte ich mich, weshalb ich nicht gleich darauf gekommen war. Diese Stimme – ich hätte sie im ersten Augenblick erkennen müssen.
Sie gehörte keinem anderen als Jeff Patrick.
Dem ehemaligen CIA-Agenten, der seinem Land den Rücken gekehrt hatte und der jetzt gegen uns arbeitete. Der in Afghanistan ein Drogenkartell geleitet hatte, bis Phil und ich ihm dazwischengefunkt hatten; der im Auftrag des internationalen Terrorismus unzählige Anschläge verübt hatte; der streng geheime Informationen veruntreut hatte; der mit Amerikas gefürchtetsten Feinden gemeinsame Sache machte, um sich an seiner alten Heimat zu rächen.
Das letzte Mal waren wir Jeff Patrick in New Mexico begegnet, wo er unter den Augen von Armee und Geheimdienst ein Trainingscamp für arabische Terroristen unterhalten hatte.1) Es war uns gelungen, Patricks dreistes Spiel aufzudecken. Mit Hilfe unserer Kollegin Lara King von der CIA, die einst Patricks Schülerin gewesen war, hatten wir das Camp zerschlagen. Patrick war geflohen, und es hatte eine dramatische Verfolgungsjagd durch die Canyons New Mexicos gegeben – am Ende jedoch war der Schurke in einer russischen Militärmaschine über die Grenze entkommen.
Während für Lara King immer festgestanden hatte, dass Patrick irgendwann zurückkehren würde, hatte ich geglaubt, dass er nach allem, was geschehen war, die Nase voll haben würde. Aber damit hatte ich mich wohl geirrt.
Ich erkannte ihn an seiner Stimme.
Wie ein Leuchtfeuer aus ferner Vergangenheit flackerte sie auf und machte mir klar, mit wem wir es hier zu tun hatten – und ich muss zugeben, dass mich die Erkenntnis in nackte Panik stürzte.
Jeff Patrick hier?
Wie war das möglich?
War am Ende er es, der hinter allem steckte?
Der dafür verantwortlich war, dass Sarah und ich nach Kolumbien gekommen waren, auf der Suche nach einem Antidot gegen das Gift, das meine Partnerin in den Adern hatte und das sie langsam tötete?
Ich kam nicht dazu, den Namen oder auch nur eine einzige meiner Fragen auszusprechen – denn in diesem Augenblick erreichte mich der erste Alligator.
Unsere Köpfe hingen etwa einen Meter über dem Wasser, also hoch genug, dass die Reptilien uns nicht ohne weiteres erreichen konnten – aber unsere Arme baumelten gerade weit genug auf die Wasseroberfläche herab, um ein bequemer Happen zu sein.
Rasch riss ich die Hände nach oben – keine Sekunde zu früh. Denn fast im selben Augenblick klappte das zähnestarrende Maul des Alligators auf und schnappte dort zu, wo sich eben noch meine Hände befunden hatten.
Das brackige Wasser spritzte, und der stinkende Atem der Bestie schlug mir entgegen.
Ich musste an mein letztes Gespräch mit meinem indianischen Kollegen Zeerookah denken. Er und sein Freund Joe Durango hatten sich vor nicht allzu langer Zeit in einer ähnlichen Situation befunden. Sie waren von Gangstern entführt worden und hatten sich bald darauf auf einer kleinen Insel in einem Sumpfgebiet wiedergefunden, gefesselt und von Alligatoren umringt.2)
Eine bittere Ironie des Schicksals, dass sich Sarah und ich jetzt ebenfalls den gefräßigen Panzerechsen gegenübersahen. Zeery und Joe Durango hatten überlebt – für Sarah und mich sah es jedoch nicht so aus, als hätten wir große Chancen, mit dem Leben davonzukommen.
Wütend warf sich das Tier im Wasser herum – während seine Artgenossen auf Sarah zuhielten, die immer noch ohne Bewusstsein war. Infolge des Giftes und der aufreibenden Verfolgung durch den Dschungel war sie ohnmächtig geworden. Reglos hing sie am Seil und rührte sich nicht – und ihre Hände baumelten reglos über dem Wasser.
»Sarah!«, rief ich ihr zu.
Keine Regung.
»Verdammt, Sarah! Wach auf!« Meine Stimme hallte von der Höhlendecke wider, aber meine Partnerin zeigte keine Regung. Schon war das erste der gefräßigen Tiere heran. Sein riesiges Maul weit aufgerissen, schoss es auf meine Partnerin zu, war ohne weiteres in der Lage, ihre Hände mit einem einzigen Biss abzutrennen.
»SARAH!« Meine Stimme überschlug sich, aber noch immer zeigte meine Partnerin keine Regung – dafür drang vom Höhleneingang her markiges Gelächter.
»Habe ich Ihnen zu viel versprochen, Cotton? Ich habe Ihnen gesagt, dass Ihnen ganz sicher nicht langweilig werden würde. Und wie Sie wissen, pflege ich meine Versprechen stets zu halten …«
***
»Und?«
Phil Deckers Gesichtszüge waren angespannt – und das, obwohl er es gewohnt war, mit Krisensituationen umzugehen. In letzter Zeit hatte das Glück ihn nicht gerade verwöhnt.
Angefangen hatte es vor rund einem Vierteljahr, als Phil noch im aktiven FBI-Dienst gewesen war. Besessen von dem Gedanken, den mutmaßlichen Mädchenmörder Robert Hogg zu schnappen, hatte er sich etwas geleistet, das für einen G-man gefährlich sein konnte: einen Alleingang.
Er hatte Hogg geschnappt, und eine Weile lang hatte es so ausgesehen, als hätte sich Phils eigenmächtiges Handeln bezahlt gemacht: Hogg war rechtskräftig verurteilt und hingerichtet worden. Aber schon kurz darauf waren Beweise aufgetaucht, die besagten, dass in Wahrheit nicht Hogg, sondern ein anderer Gangster namens Frank Delmonico der Serienkiller gewesen war, der New York in Angst und Schrecken versetzt hatte. Als Phil Delmonico dann auch noch in Notwehr erschoss, eskalierte die Sache.
Die Presse, die von der Sache Wind bekommen hatte, behauptete, Phil hätte Delmonico ermordet, um den einzigen Zeugen für sein Versagen aus der Welt zu schaffen, und natürlich ordnete Washington eine genaue Untersuchung des Vorfalls an.
Der Grund, weshalb Phil seinen Dienst beim FBI schließlich quittierte und New York verließ, war jedoch ein anderer.
Weder die Presse noch der Druck der Öffentlichkeit waren dafür verantwortlich gewesen – schließlich hatte Phil nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, und sowohl sein Vorgesetzter John D. High als auch sein langjähriger Freund und Partner Jerry Cotton stärkten ihm den Rücken. Sondern die Erkenntnis, dass er einen schwer wiegenden Fehler begangen hatte und es in seinen eigenen Augen nicht mehr verdiente, ein FBI-Beamter zu sein.
Sosehr Jerry und Mr. High auch versucht hatten, ihn umzustimmen – Phils Entschluss hatte festgestanden. Er hatte Marke, Ausweis und Dienstwaffe abgegeben und der Stadt, in der er die beste Zeit seines Lebens verbracht hatte, den Rücken gekehrt.
Während Jerry mit der ebenso jungen wie draufgängerischen Sarah Hunter eine neue Partnerin bekommen hatte, war Phil nach Westen gegangen. Mit diversen Jobs hatte er sich von Kansas nach Colorado durchgeschlagen und war schließlich in Texas gelandet. In San Antonio hatte er geglaubt, eine neue Heimat zu finden, und hatte einen Neuanfang gewagt.3) Aber gerade, als er geglaubt hatte, dass seine Situation sich bessern und wieder etwas Ruhe einkehren würde, hatte sich alles geändert.
Ein einziger Telefonanruf hatte genügt, um Phil aus seiner Ruhe aufzuschrecken. Der anonyme Anrufer hatte mit hispanischem Akzent gesprochen und ihm eine folgenschwere Mitteilung gemacht.
Fast war es Phil, als könnte er die Stimme noch immer hören. Wie sie davon sprach, dass er Gift in seinen Adern hätte. Ein tödliches Serum, das seine Wirkung bereits entfaltet hätte – und das ihn binnen zweiundsiebzig Stunden töten würde.
Natürlich hatte Phil dem Anrufer zunächst kein Wort geglaubt, hatte das Ganze für einen schlechten Scherz oder einen miesen Werbegag gehalten. Aber dann war ihm klar geworden, dass der Anrufer Recht hatte.
Seit einiger Zeit hatte er tatsächlich Beschwerden wie Schwächeanfälle oder plötzlich auftretende Schweißausbrüche zu beklagen. Auch die Pusteln, von denen der Kerl am Telefon gesprochen hatte, hatte Phil an seinem Körper entdeckt.
Bislang hatte er das alles für Stresssymptome gehalten, für ein deutliches Zeichen dafür, dass es höchste Zeit war, dass sein Lebenswandel sich beruhigte.
Aber wenn es mehr war als das?
Wenn der verdammte Kerl Recht gehabt hatte?
Die Ungewissheit hatte Phil ins nächste Krankenhaus getrieben, wo man eine Blutprobe entnommen und umfassende Untersuchungen vorgenommen hatte.
Jetzt saß Phil dem behandelnden Arzt Dr. Kensington in dessen Sprechzimmer gegenüber. Und die unbewegte Miene des Mediziners verhieß nichts Gutes.
»Und?«, fragte Phil noch einmal und merkte, dass seine Kehle sich völlig ausgedörrt anfühlte. »Was haben Sie herausgefunden, Doktor?«
»Um ehrlich zu sein, Mr. Decker, weiß ich es nicht genau«, gab Kensington zurück und massierte sich die Nasenwurzel.
»Sie haben also etwas in meinem Blut gefunden?«
»Ja, Mr. Decker. Allerdings bin ich mir nicht sicher, was es ist.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Bei der mikroskopischen Untersuchung Ihres Blutbildes haben sich einige Auffälligkeiten ergeben – Auffälligkeiten, die auf einen Zersetzungsvorgang schließen lassen, wie er von bestimmten Viren hervorgerufen wird. Tatsache ist jedoch, dass Ihr Blut keine entsprechenden Antikörper aufweist, was bedeutet, dass Sie nicht mit einem Virus infiziert sind.«
»Dieser Typ am Telefon sagte auch nichts von einem Virus«, erklärte Phil düster. »Er sprach von Gift.«
»Sehen Sie, genau das ist es, was ich nicht verstehe. Die Wirkungsweise weist eindeutig auf einen Virus hin, aber die Ursache scheint ein Gift zu sein. Wenn das stimmt, dann ist es das eigenartigste Gift, das ich je gesehen habe. Es zersetzt Zellen mit wachsender Rate. Ein ausgefeilteres Gift ist kaum denkbar.«
»Wunderbar, Doktor.« Phil schnitt eine Grimasse. »Freut mich, dass es Ihnen gefällt.«
»Bitte entschuldigen Sie, Mr. Decker. Aber vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist dieses Gift eine Sensation. Seine Wirkungsweise übertrifft alles, was ich bislang gesehen habe.«
»Schön. Und gibt es ein Mittel dagegen? Ein Gegengift?«
Kensington schüttelte zögernd den Kopf. »Ich bin kein Spezialist auf diesem Gebiet, Mr. Decker, und ich kann Ihnen darüber keine endgültige Auskunft geben. Aber da sich die Wirkungsweise des Giftes grundlegend von der anderer Toxine unterscheidet, würde ich sagen, dass die Chancen schlecht stehen. Möglicherweise gibt es ein Gegenmittel, aber es wird Zeit brauchen, es zu finden. Und Zeit haben wir nicht.«
»Wie lange noch?«, fragte Phil, der die Anspielung wohl verstanden hatte.
»Unter der Annahme, dass die Zerfallsrate weiter so ansteigt wie bislang, noch achtundvierzig Stunden. Vielleicht auch weniger.«
Phil biss sich auf die Lippen. Also hatte der Typ am Telefon die Wahrheit gesagt. Er war vergiftet worden – und innerhalb von zwei Tagen würde er sterben, wenn er nichts dagegen unternahm.
»Es tut mir Leid, Mr. Decker«, sagte Kensington. »Aber ich versichere Ihnen, dass wir alles unternehmen werden, um Ihnen zu helfen. Ich werde sofort mit einem Studienkollegen telefonieren, der in Denver am Institut für toxikologische Forschung arbeitet. Möglicherweise kann er oder einer seiner Kollegen …«
»Nein danke«, sagte Phil bestimmt.
»Was? Aber …«
»Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen, Doktor«, versicherte Phil, »aber Sie haben mir gerade selbst gesagt, wie meine Chancen stehen. Und wenn Sie erlauben, möchte ich meine eigenen Verbindungen nutzen.«
»Natürlich steht Ihnen das frei. Aber ich sehe es als meine Pflicht an, Sie auf etwas hinzuweisen.«
»Ja?«
»Da Ihr Körper auf das Gift wie auf einen Virus reagiert, allerdings keine Abwehrmechanismen dagegen besitzt, werden Sie vermutlich schon bald hohes Fieber bekommen. Dies wird dazu führen, dass Sie die Kontrolle über sich verlieren. Angstzustände und Wahnvorstellungen werden die Folge sein. Und ich schließe nicht aus, dass …« Der Arzt unterbrach sich, blickte zu Boden.
»Was, Doktor? Ich bin ein großer Junge, also spucken Sie’s aus.«
»Ich nehme an, dass Sie das Ende nicht bei vollem Bewusstsein erleben werden, Mr. Decker. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Wahnvorstellungen bis dahin so weit fortgeschritten sein, dass Sie Schein und Wirklichkeit nicht mehr voneinander zu trennen vermögen.«
»Bevor ich sterbe, werde ich also den Verstand verlieren? Ist es das, was Sie mir sagen wollen?«
Kensington nickte.
»Na schön.« Phil schnaubte. »Wenigstens weiß ich jetzt, woran ich bin.« Er stand auf und ging zur Tür. Seine Knie waren weich und schwammig.
»Mr. Decker?«
»Ja?«
»Was werden Sie jetzt tun?«
»Beten«, gab Phil zurück. »Und telefonieren …«
***
»Patrick!«, brüllte ich. »Sie verdammtes Scheusal!«
Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen sah ich, wie der Alligator auf Sarah zuhielt. Schon hatte er sie erreicht, würde jeden Augenblick nach ihren Händen schnappen.
Hilflos baumelte ich an meinem eigenen Seil hin und her. Ich versuchte, meine Füße zu erreichen, um die der Strick geschlungen war und die ich kaum noch fühlte. Aber was hätte es gebracht, den Knoten zu lösen? Ich wäre in den Pfuhl gestürzt und für die Alligatoren eine willkommene Mahlzeit gewesen …
Jetzt war das gefräßige Reptil bei Sarah, und sein Maul klappte zu. Ich vernahm das scheußliche Mahlen seiner Kiefer und schrie entsetzt auf. Im nächsten Moment begriff ich, dass der Alligator Sarah nicht erwischt hatte.
Im buchstäblich letzten Augenblick war eine Seilwinde angesprungen und hatte sie ein Stück nach oben gerissen, außer Reichweite der mörderischen Beißer.
Vom Höhleneingang her drang höhnisches Gelächter.
»Wirklich, Cotton, Sie lassen nach. Um ein Haar wäre es um Ihre Partnerin geschehen gewesen. Wie gut, dass Sie das Rätsel noch rechtzeitig gelöst haben.«
»Welches Rätsel?«, knurrte ich. Ich hörte das Blut in meinem Kopf rauschen und musste mich zusammennehmen, um klar zu denken.
»Das Rätsel meiner Identität natürlich. Sie haben also erkannt, mit wem Sie es zu tun haben.« Schritte auf nacktem Fels waren zu hören, und ich blickte auf.
Der Schatten löste sich aus dem Eingang und trat ins nüchterne Licht der Scheinwerfer, die die Höhle beleuchteten und von dem Generator gespeist wurden, den ich irgendwo wummern hörte.
Tatsächlich.
Es war Jeff Patrick, genau wie ich ihn in Erinnerung hatte.
Eine große, athletische Gestalt mit kurz geschnittenem Haar und energischen, unnachgiebigen Zügen. Eines allerdings war seltsam: Patrick zeigte sich mir nicht von vorn, sondern nur im Profil, und er blickte mich auch nicht direkt an.
»Was ist los, Patrick?«, krächzte ich. »Sind Sie zu feige, mir ins Gesicht zu sehen nach allem, was Sie sich geleistet haben?«
»Sie wollen also, dass ich Ihnen ins Gesicht sehe, Cotton?«, fragte der Schurke spitz. »Sind Sie ganz sicher?«
»Warum nicht? Ich kenne Ihre Visage schon. Also was soll die Geheimniskrämerei?«
»Was Sie kennen, Cotton, ist der alte Jeff Patrick«, gab der Verräter zurück. »Den neuen hingegen kennen Sie noch nicht. Aber wenn Sie es wünschen, mache ich Sie gern mit ihm bekannt.«
Damit drehte er sich zu mir um – und ich sog scharf die Luft ein.
Jeff Patrick war nicht mehr er selbst.
Er war grässlich entstellt.
Während die eine Hälfte seines Gesichts, die er mir zuerst gezeigt hatte, nahezu ohne Makel war, war die andere Hälfte eine vernarbte Fratze, haarlos und von schweren Verbrennungen gezeichnet. Das Auge, das mir daraus entgegenblitzte, leuchtete vor Hass, während mich das andere kalt zu taxieren schien. Natürlich wusste ich, dass es unmöglich war – aber fast sah es so aus, als blickten mir aus Jeff Patricks entstelltem Gesicht zwei verschiedene Personen entgegen.
»Was ist passiert, Patrick?«, fragte ich ungerührt. »Haben Sie einmal zu oft mit dem Feuer gespielt?«
»Sie sollten nicht über mein Aussehen spotten, Cotton. Gerade Sie nicht. Denn Sie tragen Schuld daran. Sie ganz allein.«
»Ich?«
»Erinnern Sie sich an unsere letzte Begegnung?«
»Wie könnte ich das vergessen? Sie waren so dreist, ein Trainingscamp für ausländische Terroristen auf amerikanischem Boden einzurichten.«
»Das Sie zerschlagen haben. Zusammen mit Ihrem Partner Phil Decker und mit Lara King. Am Ende gelang es mir zu fliehen, aber Sie wollten mich nicht entkommen lassen. Nur mit Mühe konnte ich über die Grenze flüchten. Dort ist meine Maschine abgestürzt und explodiert, und ich erlitt schwerste Verbrennungen.«
»Schade, Patrick.« Ich schnitt eine Grimasse. »Sehen Sie’s mir nach, wenn sich mein Mitleid in Grenzen hält, okay?«
Der Schurke überhörte meine Bemerkung. »Nur guten Freunden habe ich es zu verdanken, dass ich heute hier stehe«, fuhr er ungerührt fort. »Freunden, die mich aus dem brennenden Wrack geborgen und die besten Ärzte ihres Landes dafür bezahlt haben, mein Leben zu retten.«
»Rausgeschmissenes Geld, wenn Sie mich fragen.«
»Aber es fragt Sie niemand, Cotton. Nur diesen Menschen habe ich es zu verdanken, dass ich noch am Leben bin. Einmal mehr hat Uncle Sam mich verraten, und mehr als je zuvor brenne ich darauf, mich an ihm zu rächen.«
Die Stimme des Schurken bebte. Bislang hatte ich Patrick als jemanden gekannt, der zwar jenseits jeder Moral und nur nach eigenem Nutzen handelte, aber er war ein kühler Taktiker gewesen, ein Mann mit messerscharfem Verstand und einem Hang zur Genialität.
Das schien sich geändert zu haben.
Der entstellte Mann, der mir gegenüberstand, war tatsächlich ein neuer Jeff Patrick. Einer, der endgültig den Verstand verloren hatte und aus dessen Augen unverhohlener Wahnsinn sprach. Das machte ihn nur noch unberechenbarer und gefährlicher.