Jerry Cotton 2977 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 2977 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Über Wilma Randers etwas herauszufinden erwies sich als hoffnungslos. Sie hatte keine Verwandten, keine Freunde, und auch ihre Kollegen wussten nichts über sie zu berichten. Ihre Fingerabdrücke fanden sich nicht in unserer riesigen Kartei, sie schien keine Schule besucht zu haben und nie in einem Krankenhaus gewesen zu sein. Eine Frau ohne Vergangenheit und einer ziemlich langweiligen Gegenwart. Und trotzdem hatte jemand es nötig gefunden, sie zu ermorden...

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EPUB
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Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Schweigen der Toten

Jerry Cotton aktuell

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Film: »Eine Frau von Ehre«/ddp images

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-7480-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das Schweigen der Toten

Der Mann schlenderte ohne Hast und ohne Erregung zwischen den Regalen des Supermarkts dahin. Wie immer wunderte er sich, dass Geschäfte dieser Art so kurz vor Mitternacht noch geöffnet waren, obwohl er der einzige Kunde war. Dass ihn außer der Frau an der einzigen offenen Kasse niemand sehen konnte, störte ihn allerdings nicht. Für das, was er vorhatte, brauchte er keine Zeugen.

Vor einem Regal in der Nähe der Kasse blieb er stehen, griff wahllos hinein und nahm ein kleines Glas heraus. Dann ging er die wenigen Schritte weiter bis zur Kasse und schob der Verkäuferin das Glas entgegen.

Die Frau sah ihn verwundert an. »Orangenmarmelade?«, murmelte sie, während sie den Betrag eintippte und die Kasse öffnete.

Noch mehr wunderte sie sich, als der Mann in eine Tasche seines Jacketts griff und eine schwere Pistole zog. Der klobige Schalldämpfer an der Mündung starrte die Frau bedrohlich an.

Viel Zeit zum Erschrecken blieb ihr nicht. Der Mann streckte den Arm mit der Waffe aus und schoss ihr aus kurzer Entfernung in die Stirn.

Die Kassiererin kippte aus ihrem Sitz und stürzte zu Boden. Das Marmeladenglas fiel ihr aus der Hand. Es zerbrach nicht, als es auf dem Boden aufschlug.

Der Mörder gönnte der Toten keine Aufmerksamkeit mehr. Mit einem schnellen Blick in die Runde überzeugte er sich, dass niemand die Tat gesehen hatte. Dann griff er in die Kasse und raffte mit der freien linken Hand alle Geldscheine zusammen. Die Geldscheine stopfte er in die linke Tasche seines Jacketts, die Pistole beförderte er wieder in die rechte. Wenige Sekunden später verließ er den Supermarkt, genauso gelassen wie bisher.

***

Sergeant Casey stieg über das Plastikband hinweg, das den Tatort absperrte. Als Tatort hatten die Polizisten gleich den ganzen Supermarkt gekennzeichnet, nicht nur die paar Quadratmeter rund um die tote Kassiererin. Da es zu dieser späten Stunde sowieso keine Kunden gab, entstand dem Unternehmen dadurch kein Schaden.

Casey erwiderte die Grüße der uniformierten Beamten nur mit einem knappen Kopfnicken. Neben der Kassiererin, die immer noch auf dem Boden lag, blieb er stehen.

In seinen dreißig Jahren bei der Polizei hatte er schon manchen Toten gesehen, darunter auch grässlich verstümmelte, aber bei dem Anblick, der sich ihm jetzt bot, wurde auch ihm fast schlecht. Die Kugel war mitten in die Stirn eingedrungen und hatte den halben Hinterkopf weggesprengt. Eine matschige Masse aus Blut und Gehirn lag neben dem Kopf der Toten.

»Wilma Randers«, sagte sein junger Mitarbeiter John Baker. »32 Jahre alt, weiß …«

»Sehe ich selbst«, brummte der Sergeant.

»Bei der Hautfarbe kann man sich irren«, versuchte Baker ihm zu erklären. »Auch wenn Ihr Vater schwarz wie Schuhcreme war, können Sie trotzdem hellhäutig sein. Alle Leute halten Sie dann für einen Weißen, aber eigentlich sind Sie …«

»Kommen Sie wieder zur Sache!«, drängte Casey.

»Jawohl, Sergeant. Todesursache ist ein Schuss aus nächster Nähe mit einer großkalibrigen Pistole.«

Baker hielt inne, weil er erwartete, der Sergeant würde jetzt wieder »Sehe ich selbst« brummen. Da der Sergeant schwieg, sprach Baker weiter. »Niemand hat einen Schuss gehört. Der Täter hat also offenbar einen Schalldämpfer benutzt.«

»Wer hat die Tote gefunden?«

»Mister Coster. Der ist hier Hausdetektiv, Nachtwächter, Schichtleiter oder irgendetwas in der Art. Genau habe ich das nicht begriffen.«

»Wir haben hier nicht viele Angestellte«, sagte ein Mann mittleren Alters und trat näher. »Besonders nachts versuchen wir mit möglichst wenigen Leuten auszukommen, um Personalkosten zu sparen. Eine Kassiererin genügt. Ich sitze in meinem Büro und verfolge über ein paar Bildschirme alles, was im Verkaufsraum vor sich geht. Meistens geht hier nachts überhaupt nichts vor.«

»Außer dass gelegentlich ein Mensch ermordet wird«, brummte Sergeant Casey. »Da Sie alles beobachten, haben Sie den Täter gesehen, oder?«

Coster wurde rot. »Leider nein«, gestand er dann verlegen. »Wissen Sie, es lief gerade die Übertragung eines Footballspiels in Kalifornien und da …«

»Ist Ihnen vor der Tat irgendetwas Verdächtiges aufgefallen?«

»Nein. Es waren nur wenige Kunden hier, und die haben sich benommen wie alle Kunden. Alle, die ehrliche Absichten haben, meine ich. Leuten, die etwas stehlen wollen, sieht man es häufig an. Sie blicken sich dauernd suchend um, sind nervös …«

»Also lauter ehrliche Kunden mit den besten Absichten«, unterbrach ihn der Sergeant. »Und mit einer riesigen Kanone in der Tasche. Wann ist Ihnen aufgefallen, dass Ihre Kollegin tot ist?«

»Als ich wieder vom Football weg auf die Monitore blickte und die beiden Frauen reglos auf dem Boden liegen sah.«

»Zwei Frauen?«, wunderte sich der Sergeant.

»Ja, die Kassiererin und die Kundin, die sie entdeckte. Mistress Wilson. Eine Stammkundin. Sehr nette Frau. Die hat die Tat sicherlich nicht begangen. Sie trat an die Kasse, um zu bezahlen, entdeckte die Tote und fiel in Ohnmacht.«

»Wo ist sie jetzt?«

»Der Arzt kümmert sich um sie«, antwortete Baker. »Draußen im Krankenwagen. Wollen Sie sie sprechen?«

»Natürlich. Später.« Casey wandte sich wieder an Baker. »Wurde Geld geraubt?«

»Alle Scheine in der Kasse. Rund 300 Dollar. Die Münzen hat der Täter nicht angerührt.«

»Nur 300 Dollar?«

»Vorige Woche hatten wir einen Gemüsehändler, der für 27 Dollar erstochen wurde«, sagte Baker. »Wirklich erschreckend, für wie wenig Geld manche Leute töten.«

»Darüber wundere ich mich schon, seit ich bei der Polizei bin. Aber im Augenblick wundere ich mich, dass es in einem Supermarkt so wenig Geld zu rauben gibt.«

»Die Kassen werden jeden Abend geleert«, sagte der Nachtwächter. »Und in der einen Kasse, die wir offen halten, liegt gerade genug Geld, um …«

»Verstehe«, brummte Casey. »In Ihrem Safe im Büro liegen bestimmt etliche Tausende, aber da kommt ein einzelner Mann nicht dran. Was zum Teufel will denn der hier?«

Die Frage war an keine der umstehenden Personen gerichtet, sondern drückte nur die Verwunderung des Sergeant aus über den Mann, der nach einer kurzen Diskussion mit den uniformierten Polizist über die Absperrung stieg und näher kam. Der Mann war etwa dreißig Jahre alt und sah aus, als sei er eben einer Modezeitschrift entsprungen. Während er entschlossenen Schrittes näher kam, zog er eine winzige Kamera aus der Tasche.

Bevor Baker ihn daran hindern konnte, hatte der Mann bereits mehrere Aufnahmen von der Toten gemacht.

»Das ist ein Tatort, Sir!«, fuhr Baker ihn an. »Reporter sind hier nicht zugelassen.«

Sergeant Casey blickte seinen jungen Mitarbeiter missbilligend an. Auch ein Anfänger bei der Polizei sollte eigentlich auf den ersten Blick sehen, dass dieser Mann kein Fotoreporter war. Fotoreporter trugen keine teuren Maßanzüge. Und sie fotografierten nicht mit winzigen Kompaktkameras.

Der Mann im Maßanzug starrte Baker verärgert und beleidigt an.

»Ich bin Flannahan von Pitch, Abercrombie and Woolston«, sagte er. »Kommen Sie mir bloß nicht in die Quere, Mann!«

Dann drehte er sich um und ging grußlos weg.

Baker starrte ihm verblüfft nach.

»Wer sind Pitch, Abercrombie and Woolston?«, wunderte er sich.

»Eine angesehene Anwaltskanzlei in Tampa, Florida«, erklärte ihm Sergeant Casey. »Rechtsanwälte. Lauter Stars auf ihrem Gebiet.«

»So?« Baker war nicht beeindruckt. »Ich war noch nie in Tampa, Florida, und habe deshalb noch nie von den Leuten gehört.«

»Mir scheint, in den nächsten Tagen werden Sie noch des Öfteren von ihnen hören. Die Herren verteidigen nur zahlungskräftige Mandanten. Auch Gangsterbosse. Ich frage mich nur, warum Gangsterbosse in Florida sich für eine erschossene Supermarktkassiererin in New York interessieren …«

***

Ich kann mich nicht erinnern, unseren Chef je mit einer Zeitung in der Hand in seinem Büro gesehen zu haben. Ganz gewiss las er nicht die Sportberichte oder die Kontaktanzeigen.

Er deutete einladend auf die beiden Sessel vor seinem Schreibtisch, als Phil und ich eintraten.

»Erstaunlich flinke Burschen, diese Zeitungsleute«, sagte er, kaum dass wir uns gesetzt hatten. »Der Mord an Wilma Randers geschah kurz vor Mitternacht, und jetzt ist der Bericht darüber schon in der Zeitung. Zu einem Zeitpunkt, an dem viele Leute noch nicht einmal an ihrem Arbeitsplatz sind.«

»Welcher Mord?«, fragte ich. »Sie besitzen doch sicherlich mehr Informationen darüber, als in der Zeitung stehen?«

»Natürlich«, nickte Mr High. »Ich wollte mich nur vergewissern, ob die wirklich interessanten Informationen auch schon in der Zeitung stehen. Auf den ersten Blick sieht die Sache aus wie ein ganz gewöhnlicher Überfall auf die Kassiererin eines Supermarkts. Aber warum interessiert sich die angesehene Anwaltskanzlei Pitch, Abercrombie and Woolston für den Fall?«

»Die Anwälte aus Florida, die so gerne Gangster verteidigen?«, fragte Phil.

Mr High nickte. »Und woher wusste der Mitarbeiter dieser Kanzlei, ein Mister Flannahan, so schnell von dem Mord? Der kam kurz nach der Polizei an den Tatort. Nur ein paar Minuten später.«

»Er muss Informationen gehabt haben«, meinte Phil. »Möglicherweise von der Polizei selbst.«

Mr High nickte. »Aber woher wusste der Informant, dass die Anwälte im fernen Florida sich für diesen Mord an einer völlig unbekannten Frau interessieren? Und warum hat dieser Flannahan die Tote fotografiert?«

»Es scheint fast, als wolle sich jemand vergewissern, dass es sich bei der Toten tatsächlich um Wilma Randers handelt«, vermutete ich.

»Eigentlich geht so ein Raubmord das FBI nichts an. Da aber der Verdacht besteht, dass das organisierte Verbrechen irgendwie in diese Sache verwickelt ist, werden wir uns des Falles annehmen. Ganz diskret natürlich. Die Routinearbeit überlassen wir dem NYPD. Sie beide werden versuchen, herauszufinden …«

»… was diese Wilma Randers für die Unterwelt in Florida so interessant macht«, vollendete Phil den Satz. Er stand auf und ich folgte seinem Beispiel.

Natürlich zogen wir nicht los, ohne erst herauszufinden, was das NYPD über den Mordfall wusste. Das war nicht schwer, da die Behörden ja im Allgemeinen mit uns zusammenarbeiten. Allerdings durften wir unsere Neugier nicht zu offen zeigen. Wenn es bei der Polizei tatsächlich einen Informanten der Unterwelt gab, durften wir diesen nicht misstrauisch machen.

Viel erfuhren wir allerdings nicht über Wilma Randers, kaum mehr als ihre Adresse und dass sie seit drei Monaten in dem Supermarkt gearbeitet hatte. Eine freundliche, bei Kollegen und Kunden beliebte Angestellte. Sie schien keine Freunde gehabt zu haben. Aber weshalb interessierte sich dann dieser Flannahan von Pitch, Abercrombie and Woolston so sehr für sie, dass er die Tote sogar fotografierte? Und wem wollte er die Fotos zeigen?

Es hatte wenig Sinn, Fragen beantworten zu wollen, für die es beim besten Willen keine Antworten gab. Also mussten wir uns vorerst damit begnügen, Fakten zu sammeln. Und damit wollten wir in ihrer Wohnung beginnen.

***

Es gibt Tageszeiten, an denen man in New York nur äußerst langsam vorwärts kommt. Wir gerieten in die allmorgendliche Rushhour und hatten das Gefühl, länger zu stehen als zu fahren. Erst als wir die Brooklyn Bridge überquert hatten, kamen wir schneller voran.

Wilma Randers’ Wohnung lag in einer ruhigen Straße nicht weit von der Brooklyn Bridge entfernt. Die Straße wurde gesäumt von zwei Reihen eng aneinandergebauter Häuser, die offenbar alle zur gleichen Zeit errichtet worden waren, alle mit einer Außentreppe vor der Haustür und daneben einer Treppe hinunter zum Keller. Gerade die richtige Gegend für eine kleine Angestellte, die sich keine teure Wohnung leisten konnte.

Ich hatte Glück und fand für meinen Wagen einen freien Platz fast genau vor dem Hauseingang. Ein Mann kam gerade aus der Haustür die Treppe herunter. Ich achtete nicht auf ihn, als ich um den Wagen herumging. Erst als Phil stehen blieb und nachdenklich hinter dem Mann herblickte, wurde auch ich aufmerksam.

»Kennst du den Burschen?«, fragte ich.

»Ich kann mich nicht erinnern, ihn schon jemals gesehen zu haben«, antwortete Phil. »Aber ich hatte den Eindruck, dass er überrascht war, mich zu sehen. Na ja, wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein. In unserem Beruf neigt man dazu, misstrauisch zu werden.«

Wir stiegen die Treppe hinauf. Die Haustür stand weit offen. Auf unserem Weg zu der Wohnung im ersten Stockwerk begegneten wir niemandem.

Zwei Wohnungen gab es hier oben, eine links und eine rechts. An der Wohnungstür links prangte ein ziemlich neues Messingschild mit der Aufschrift Wilma Randers.

Ich streckte gerade die Hand aus, um auf den Klingelknopf zu drücken, als ich bemerkte, dass Phil den Kopf schüttelte. Erst als er die linke Hand auf den Türknauf legte und die Tür nach innen aufschwang, wurde mir bewusst, dass die Tür nur angelehnt gewesen war.

Sofort trat ich einen schnellen Schritt zur Seite, nach links, weg von der offenen Tür. Gleichzeitig zog ich meine Dienstpistole. Phil ging nach der anderen Seite in Deckung.

Kein Schuss fiel. Nicht der geringste Laut kam aus dem Inneren der Wohnung. Nach einigen Sekunden wagte ich es, durch die Tür hineinzublicken.

Der Raum erinnerte mich an eine Junggesellenbude nach einer langen Party. Nur das Fehlen leerer Bierflaschen verriet, dass hier keine Party stattgefunden hatte.

Mit der Pistole schussbereit im Anschlag trat ich ein.

Kein Mensch war zu sehen. Das Einzige, was hier zu sehen war, war die Unordnung, die im ganzen Raum herrschte. Jemand hatte hier offenbar hastig alle Schubladen und Regale durchwühlt und den Inhalt achtlos auf den Boden geworfen. Was dieser Jemand gesucht hatte, war im Augenblick nicht zu erkennen.

Ich ging, die Pistole immer noch in der Hand, auf eine der offenen Türen zu, die in die Nebenräume führten. Es war das Badezimmer, glänzend sauber, aber total in Unordnung: Handtücher lagen auf dem Fußboden, Zahnpastatuben in der Wanne, Seifen, aus der Verpackung gerissen, im Waschbecken.

Das, was der Einbrecher gesucht hatte, war also so klein, dass es in der Verpackung eines Stücks Seife Platz hatte.

»Im Schlafzimmer ist kein Mensch«, hörte ich Phil nebenan sagen.

»Hast du auch unter dem Bett und im Kleiderschrank nachgesehen?«, fragte ich.

»Klar«, antwortete Phil.

Er steckte seine Pistole wieder ein, als er in den Wohnraum zurückkam. »Ich wette, das war der Kerl auf der Straße, der so überrascht war, mich zu sehen«, sagte er. »Was hat er wohl gesucht?«

»Irgendetwas Kleines«, antwortete ich. »Nicht größer als ein Stück Seife.«

»Und er hatte es sehr eilig mit seiner Suche«, überlegte Phil. »Diese Unordnung hier beweist, dass er sehr hastig vorgegangen ist.«

»Und dass er die Wohnungstür nicht hinter sich zugezogen hat, als er ging, beweist, dass er jedes Geräusch vermeiden wollte.«

»Er konnte sich denken, dass die Polizei bald hier auftauchen würde. Vielleicht hat er uns für Polizisten gehalten.«

»Wie konnte er nur so danebenliegen«, grinste ich. Auch ich hatte meine Waffe inzwischen eingesteckt und ließ nun meinen Blick über das heillose Durcheinander schweifen.

»Er hat sogar hinter den Bildern an der Wand gesucht«, sagte ich. »Dabei fällt mir auf, dass hier keine Fotos zu sehen sind, nicht einmal unter den weggeworfenen Dingen auf dem Fußboden. Ich kann auch kein Fotoalbum entdecken. Kannst du dir eine Frau vorstellen, die keine Fotos von Mann und Kindern aufhebt?«

Phil kramte inzwischen in irgendwelchen Papieren.

»Keine Briefe«, sagte er. »Jedenfalls keine privaten. Keinerlei persönliche Erinnerungen. Nichts, was irgendwelche Rückschlüsse auf ihre Vergangenheit zulässt. Ich habe schon etliche solcher Wohnungen gesehen. Sie alle gehörten Menschen, die auf der Flucht waren. Vor dem Gesetz – oder vor der Unterwelt.«

***

Der Mann, der bei unserer Ankunft aus dem Haus gekommen war, schlenderte ohne Hast weiter. An der nächsten Kreuzung blieb er stehen und schaute sich um.

Dann zog er mit seiner freien rechten Hand ein winziges Mobiltelefon aus der Tasche. Er tippte eine Nummer ein.

»Ja?«, meldete sich eine Männerstimme.

»Miller hier. Ich möchte Bericht erstatten.«

»Mann, arbeiten Sie immer so langsam? Ich erwarte Ihren Anruf schon seit …«

»Man kann eine ganze Wohnung nicht in fünf Minuten durchsuchen. Schon gar nicht, wenn man allein ist.«

»Haben Sie es gefunden?«

»Nein. Ich bin überzeugt, es ist überhaupt nicht da.«

Einige Sekunden herrschte Stille. »Ich hoffe, Sie haben recht. Wenn jemand es finden würde …«

»Da können Sie ganz beruhigt sein, Sir«, sagte der angebliche Miller mit breitem Grinsen. »Niemand wird es finden, wenn es wirklich da sein sollte. Dafür habe ich gesorgt.«

Er schaltete das Handy aus, schob es in die Tasche und blickte auf seine Armbanduhr. Drei Minuten hatte er noch Zeit. Dann ertönte eine heftige Explosion.

***

»Diese Wohnung gibt uns herzlich wenig Auskunft über die Mieterin«, sagte Phil. Seine Stimme klang nicht sehr enttäuscht. »Vielleicht nicht genug, um etwas über ihr Vorleben zu erfahren und über ihre Feinde. Aber vielleicht finden wir heraus, was der Einbrecher hier gesucht hat.«