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Sergej Bukin hatte sich uns als Kronzeuge gegen Vladimir Gorschkow, dem Boss der Russenmafia in New York, zur Verfügung gestellt.
Wir trafen alle Vorkehrungen um ihn zu schützen, doch dann lief etwas schief. Bukin floh nach Island. Ich folgte ihm in die raue Welt der Insel, doch auch die Killer Gorschkows waren schon auf seinen Fersen ...
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2014
Cover
Impressum
Zeugenjagd bei unter Null
Jerry Cotton aktuell
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Film: »Wild Christmas«/ddp images
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-8387-7482-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Zeugenjagd bei unter Null
Tamara Bukina wusste, dass sie sterben musste, als sie die Pistole in der Hand des Mannes sah, der sich bisher stets als Freund der Familie ausgegeben hatte.
»Du bist ein Verräter. Sergej hatte also recht«, sagte sie mit angsterstickter Stimme, während sie versuchte, die Tür zum Kinderzimmer zu erreichen.
Er lachte nur auf. »Wo ist dein Mann? Ich habe ihm Grüße auszurichten.« Dabei hob er die Pistole.
»Sergej ist nicht hier. Das solltest du doch wissen.«
Verwirrung zeigte sich im Gesicht des Eindringlings. Dann schien er etwas zu begreifen. »Ach so, eine Falle also«, murmelte er. Im selben Moment fing Anna an zu weinen.
»Das tut mir leid, Tamara. Jetzt werden du und deine kleine Tochter eben ohne ihn sterben. Aber ich versichere dir, Sergej wird euch bald folgen. Ich verbürge mich dafür.«
Er hob die Waffe und schoss.
Sergej Bukin hatte keine Zeit zum Trauern. Umso weniger, als er vor wenigen Tagen Gewissheit erhalten hatte: Es war kein Einbrecher gewesen, der ihm das Einzige genommen hatte, das ihm in seinem Leben bisher etwas bedeutet hatte. Sondern ein Kerl aus einer rivalisierenden Gang, jemand, der noch eine Rechnung mit seinem Boss offen gehabt hatte. Betonung auf »gehabt«, denn der Killer konnte jetzt niemandem mehr etwas antun.
Kurz bevor Sergej ihm das Lebenslicht auspustete, hatte er ihm gestanden, wer hinter der Sache steckte. Genau diesem Mann hatte Sergej jetzt Rache geschworen. Nicht mit einer Kugel oder einem Messer, das wäre ein zu schneller Tod. Nein, Sergej Bukin hatte einen anderen Plan. Einen, der einem Vernichtungsfeldzug gleichzusetzen war und der nur einen einzigen Sieger kannte: ihn selbst.
***
»Ihr Mandant möchte uns also Informationen über das Netzwerk von Vladimir Gorschkow anbieten?«
Agent Steve Dillaggio saß in seinem Büro im New Yorker Field Office einem schmalen, blassen Anwalt gegenüber, der ihm in der letzten halben Stunde das Angebot eines noch immer namentlich ungenannt gebliebenen Mannes unterbreitet hatte. Angeblich handelte er dabei im Auftrag eines Insiders, der in der Organisation der russischen Unterweltgröße eine Schlüsselposition innehatte. Um den Wahrheitsgehalt seiner Behauptung abzuklopfen, hatte der FBI-Agent dem Juristen bereits eine Menge Fragen gestellt, die dieser bereitwillig beantwortet hatte.
»Warum sollte jemand, der bisher loyal war, so etwas tun? Jeder, der Gorschkow verrät, gerät in Lebensgefahr.« Dillaggio strich sich über das flachsblonde Haar und lehnte sich zurück, um die Reaktion des Anwalts zu beobachten.
»Mein Mandant hat persönliche Gründe. Diese sind selbst mir nicht bekannt.«
Der große FBI-Mann drehte sich zu seiner Kollegin Sarah Hunter um, die, an die Wand gelehnt, mit verschränkten Armen der gesamten Konversation bisher schweigend gefolgt war. Sie hob die Schultern und zog eine Braue nach oben. »Warum nicht?«, signalisierte sie ihm dadurch.
»Okay. Wir haben Interesse, brauchen aber mehr Details und müssen mit Ihrem Mandanten direkt sprechen.« Er zögerte weiterzusprechen, weil der Anwalt sich bedeutungsvoll räusperte und seine Hände auf einen Umschlag legte, der sich vor ihm auf dem Tisch befand.
»Für diesen Fall hat mir mein Mandant gestattet, Ihnen diese Unterlagen auszuhändigen. Der Inhalt, den ich selbst nicht kenne, soll das FBI von seinen guten Absichten überzeugen. Wenn Sie sich einig werden, ist er bereit, umfassend als Kronzeuge gegen Gorschkow auszusagen. Als Gegenleistung erwartet er Straffreiheit sowie eine neue Identität.«
***
»Steve, Sarah, nehmen Sie doch bitte Platz.« Assistant Director High saß am Schreibtisch und bat die beiden Agents mit einer Handbewegung auf die Stühle davor.
Steve Dillaggio schilderte ihm den Verlauf des Gesprächs.
»Keine Frage, wir sind sehr daran interessiert, mehr über Vladimir Gorschkow und sein Netzwerk zu erfahren. Bisher standen wir jedes Mal mit leeren Händen da, wenn es zur Sache ging. Keiner aus diesem Mafiaclan redet, sie halten zusammen wie Pech und Schwefel.« Er hob den Umschlag, der inzwischen geöffnet war. »Hier drin fanden wir eine exakte Beschreibung eines Waffendeals, den Gorschkow mit alten Armeewaffen ehemaliger Sowjetrepubliken betreibt. Interessant daran ist für uns der Transportweg, das Lager, das er zurzeit nutzt, und der Name eines Beamten beim Zoll des New Yorker Hafens, der bei Gorschkow auf der Lohnliste steht.«
Mr High folgte den Ausführungen konzentriert. Sein markantes Gesicht wirkte unbewegt, die schmalen Hände drehten jedoch versonnen einen Füllfederhalter.
Gorschkow zum Greifen nah, das war etwas, worauf das FBI schon lange wartete. Daher wirkte Steve Dillaggio enttäuscht, als Assistant Director High ihm lediglich verhalten antwortete.
»Dieser Hinweis, den uns der Mann gibt, könnte allerdings auch die einzige Information sein, über die er verfügt. Oder sogar eine Falle, um den Informanten bei uns als vertrauenswürdig einzuführen. Und die persönlichen Gründe für einen Rachefeldzug, die angegeben wurden, das müssen wir natürlich auf Hieb- und Stichfestigkeit abklopfen. Was fordert er als Gegenleistung?«
Steve schilderte die Forderungen, die der Anwalt überbracht hatte.
Das Gesicht des Assistant Director wurde nachdenklich.
»Da hat die Staatsanwaltschaft noch ein Wörtchen mitzureden«, konstatierte er knapp. »Unabhängig davon, was ist Ihre Meinung?« Er schaute Sarah und Steve abwechselnd an.
Sarah antwortete. »Steve und ich sind uns einig. Wir überprüfen die Fakten, die der Anwalt uns gegeben hat. Wenn sie der Wahrheit entsprechen, reden wir mit dem Informanten persönlich. Vorerst ohne konkrete Versprechungen bezüglich seiner Forderungen.«
»Gut, das gibt mir Zeit, die Dinge hinter den Kulissen vorzubereiten«, sagte Mr High, bevor er die Agents verabschiedete.
***
»Morgen, Partner!«, begrüßte mich Phil, als er an diesem angenehmen Junimorgen an der üblichen Ecke zu mir in den Wagen stieg. »Schon gehört? Heute Nacht ist es am Hafen hoch hergegangen. Es wurde eine Lagerhalle mit illegalen Waffen geräumt.«
Auf der Fahrt ins Field Office unterhielten wir uns über die Sache. Sie musste unter größter Geheimhaltung vorbereitet und durchgeführt worden sein. Über die Presse hatte man lediglich verbreiten lassen, es sei ein Zufallsfund, ein Transportfahrzeug habe die Tür der Lagerhalle beschädigt, so sei die Sache aufgeflogen.
»Wenn du mich fragst, gab es einen Informanten, den man nicht gefährden will.«
Phil hatte recht, wie wir beim Eintreffen erfuhren. Auf dem Weg in unser Büro begegneten wir Steve Dillaggio und Sarah Hunter, die gerade aus dem Büro des Chefs kamen. Sie sahen ziemlich zufrieden aus.
»Euer Fall, die Sache am Hafen?«, fragte ich Sarah.
Sie lächelte mich kumpelhaft an und flüsterte: »Kleiner Fisch, da kommt noch was Großes nach«, bevor sie weiterging.
***
Sergej Bukin war durch ein ausgeklügeltes System ins New Yorker Field Office gebracht worden. Er hatte mehrfach den Wagen gewechselt und war schließlich an der letzten Station, einer Tiefgarage in der Nähe seines Ziels, von einem Wagen des FBI abgeholt worden.
In einem karg eingerichteten Befragungsraum erwarteten ihn die FBI-Agents Dillaggio und Hunter sowie sein Anwalt.
Sarah Hunter betrachtete den Mann, der ihnen zwar bereits brisante Informationen geliefert hatte, den sie aber noch nicht einschätzen konnten. Bukin war groß und breitschultrig. Er wirkte wie jemand, der regelmäßig in einem Sportstudio trainierte. Sie tippte auf Boxen, da seine Nase aussah, als sei sie einmal gebrochen worden.
Bukins Haar war so kurz geschoren, dass es farblos wirkte. Seine hellen, blaugrauen Augen checkten den Raum und die darin befindlichen Personen sofort bei Eintritt routiniert ab. Er wirkte vorsichtig auf eine Art, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Der Anwalt stellte sie einander vor. Sarah blieb an die Wand gelehnt stehen, während die drei Männer am Tisch Platz nahmen.
»Die Informationen, die Sie uns bezüglich der ausgedienten Armeewaffen gegeben haben, haben sich als korrekt erwiesen«, begann Steve das Gespräch. »Wir wollen nun von Ihnen wissen, in welchem Umfang Sie uns weitere Interna aus Gorschkows Organisation liefern können.«
In der darauf folgenden Stunde machte Sergej Bukin eine Reihe von Angaben. Sie erfuhren etwas über Geschäftszweige, Partner, Bankverbindungen, eine Schmiergeldliste und einige Gewohnheiten Gorschkows. Ohne Details zu nennen, mit denen das FBI sofort hätte arbeiten können, machte Bukin dadurch klar, wie gut er informiert war.
Er schien ein echter Insider zu sein, da er bereits viele Jahre für den Unterweltboss arbeitete – was Sarah, die der bisherigen Konversation aufmerksam, aber schweigend gefolgt war, zu der Frage veranlasste, was genau der Grund für den Mann war, auf einmal mit dem FBI gemeinsame Sache machen zu wollen.
Alle im Raum bemerkten daraufhin eine erstaunliche Wandlung in Bukins Gesichtsausdruck. Hatte der Mann bisher fast schon unbeteiligt und kühl gewirkt, legte er nach dieser Frage seine breite Stirn in Falten, die Augen zogen sich voll unterdrückter Wut zusammen.
»Gorschkow ist schuld am Tod meiner Frau und meiner Tochter. Anna war erst ein Jahr alt, als man sie erschoss. Ich hielt es für die Tat eines Einbrechers, bis ich herausfand, dass der Täter jemand aus einer rivalisierenden Gruppe war. Ein Verräter, den man bei uns eingeschleust hatte. Gorschkow hatte ihn mit einem falschen Tipp zu meiner Wohnung geschickt. Eigentlich hatte der Mörder meinen Boss und mich dort erwartet. Ganz offensichtlich wollte er uns töten, aber es traf meine Familie. Gorschkow wusste, was der Mann plante, er konnte sich selbst so in Sicherheit wiegen und gleichzeitig den Verräter enttarnen. Dass er das Leben meiner Familie geopfert hat, war ihm egal. Das verzeihe ich ihm nie.«
Steve hob irritiert die Brauen. »Woher wissen Sie, dass Gorschkow dahintersteckt?«
»Weil ich den anderen Kerl bereits vorher als Spion in Verdacht hatte, ihn schon seit geraumer Zeit auf eigene Faust verfolgte und ihm, als ich ihn fand, das Licht ausblies. Bevor er starb, befragte ich ihn zu einigen Dingen. Dabei wurde ich ohne jede Vorwarnung damit konfrontiert, was er getan hatte.«
Sarah gab einen dumpfen Laut von sich. »Sie haben den Mann vor seinem Tod gefoltert«, stellte sie kalt fest.
Bukin schaute nur einen Moment zu der attraktiven Frau auf. Er zuckte die Schultern, als sei das normal und nicht der Rede wert.
»Wieso hat Gorschkow ihn denn nicht erledigt?«, wollte Steve ungläubig wissen.
»Wollte er doch. Er hat jemanden geschickt, den Kerl zu liquidieren. Nachdem der Maulwurf Gorschkow durch die getürkte Sache in die Falle gegangen war, wollte er ihn loswerden. Aber ich war schneller als der Killer, den mein Boss losschickte.«
»Das ist verdammt kaltblütig«, murmelte Sarah. »Der einzige Mann, der Ihnen gegenüber hätte aussagen können, dass Gorschkow hinter der Sache steckt!«
»Wenn ich nicht selbst misstrauisch geworden wäre, wüsste ich bis heute nicht, was wirklich geschehen ist.«
Bukins Hände lagen, zu Fäusten geballt, auf dem Tisch.
»Prüfen Sie es nach«, stieß er hervor. »Ihre Namen waren Tamara und Anna.«
***
»Und, wie sieht es aus?« Steve beugte sich über Sarah, die eingeloggt in die Datenbank des NYPD am PC saß.
»Tamara Bukina und Töchterchen Anna«, antwortete sie halblaut, noch auf ihre Recherche konzentriert. »Die Untersuchung durch das NYPD ergab, dass die beiden bei einem Einbruchversuch erschossen wurden. Die Tür hatte jemand gewaltsam geöffnet, sonst gab es praktisch keine Spuren. Sergej Bukin hat damals zu Protokoll gegeben, dass ein Laptop, etwas Familienschmuck und Bargeld verschwunden waren.«
»Der Mann ist der Polizeibehörde unbekannt?« Steves Stimme klang ungläubig.
»Bisher ist er sauber. Geriet nicht ins Visier der Cops. Ist auch bei uns ein unbeschriebenes Blatt. Allerdings …«, sie hieb ein paar Mal auf die Tastatur und rief ein als »streng vertraulich« deklariertes Dokument auf, »… haben wir hier ein paar Fotos von Gorschkow und einigen seiner Mitarbeiter. Der hier könnte Bukin sein.« Sie zeigte auf einen unscharf getroffenen Mann, der eine tief ins Gesicht gezogene Wollmütze trug.
»Dieser Gorschkow ist verdammt vorsichtig.«
»Ja, Steve. Ein alter Fuchs, der uns bereits seit Jahren an der Nase herumführt. Ich hätte nichts dagegen, ihm endlich das Handwerk zu legen.«
Steve Dillaggio ließ sich mit einem lauten Stoßseufzer in seinen Bürostuhl fallen.
»Bukin wollte nicht in eine sichere Unterkunft gebracht werden. Er meinte, es sei noch zu früh, er würde lieber so lange dicht an Gorschkow dranbleiben, wie er noch kann.«
Sarah sah nachdenklich aus dem Fenster. »Glaubst du ihm?«
Steve blies kurz die Wangen auf. »Die Geschichte mit seiner Familie stimmt, er war sichtlich aufgewühlt, als das Thema aufkam. Ich denke, wir müssen es riskieren, ihm ein Angebot unterbreiten und dann hoffentlich Gorschkow und seinen Mafialaden hochnehmen.«
»Gut, wenn das so ist, protokolliere ich jetzt das Gespräch, damit alles seinen Gang gehen kann.«
***
Sergej Bukin war nach den Morden nicht wieder in die Wohnung zurückgekehrt, in der seine Familie umgebracht worden war. Zwar wohnte er offiziell noch dort, in Wahrheit hatte er, ohne seinen Boss zu informieren, ein kleines Apartment in Little Italy gemietet. Aus diesem Grund erstaunte es ihn, dort in der Straße einen Mann herumlungern zu sehen, den er kannte.
Bukin war vorsichtig gewesen bei seiner Kontaktaufnahme zum FBI, aber als er Alexej sah, schrillten bei ihm alle Alarmglocken. Der junge Russe war erst kürzlich zu ihnen gestoßen. Er kam direkt aus einem der berüchtigtsten Gefängnisse in Russland, galt als extrem brutal und skrupellos. Und Bukin, der einmal Alexejs Tätowierungen auf dem Rücken gesehen hatte, wusste, was die Spezialität des Jüngeren war: einen anderen schnell und lautlos zu töten. Er benutzte dafür eine Drahtschlinge.
Bukin überlegte. Er konnte unmöglich auf direktem Weg in sein geheimes Apartment gehen, solange der Junge in Sichtweite blieb. War es womöglich nur ein dummer Zufall, dass er sich dort aufhielt? Außer den beiden FBI-Agents und seinem Anwalt kannte niemand diese neue Adresse. Er wartete, hinter einem Lieferwagen verborgen, ab. Alexej, der in einem Hauseingang gegenüber stand, ließ den Zugang zu Bukins neuem Zuhause nicht aus den Augen.
Bukin drehte um und lief in die nächste Querstraße, denn von dort führte ein Durchgang zur Rückseite seines Hauses. Vorbei an Mülltonnen, benutzte er den Hintereingang. So schnell es ging, hastete er die Treppen hinauf und atmete tief durch, als er in seinem Apartment angekommen war. Er trat vorsichtig ans Fenster und sah Alexej noch immer im Eingang des Hauses gegenüber stehen. Es war eindeutig, er wartete auf ihn!
Nun machte es sich bezahlt, dass Sergej sich in seinem neuen Domizil noch gar nicht eingerichtet hatte. Er griff nach einer Reisetasche, in der er Geld, ein paar Drogerieartikel und ein bisschen Kleidung aufbewahrte. Ausweispapiere und Kreditkarten trug er wie immer bei sich. Er warf noch einen letzten Blick auf das Apartment, um sicherzugehen, dass nichts Persönliches mehr herumlag. Dann riss er die Tür auf und hastete die Treppe hinunter, um das Haus auf demselben Weg zu verlassen, auf dem er es betreten hatte.
Alexej wartete am Hinterausgang und sprang sein Opfer an, sobald es an ihm vorbeigegangen war. Bukin verdankte es seinen geschulten Reflexen, dass er sofort reagierte, indem er den linken Arm hochriss, noch bevor sich die Schlinge um seinen Hals legen konnte. Der feine Draht bohrte sich in seinen Unterarm, und trotz der Jacke schoss der Schmerz durch seinen Körper wie eine Stichflamme.
Bukin holte mit der Rechten aus und schlug mit der Tasche nach hinten. Sein Angreifer schnappte kurz nach Luft, als das schwere Leder gegen sein Schienbein knallte, mehr aber auch nicht. Seinerseits versuchte nun er, sein Opfer zu Boden zu drücken, indem er sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn warf. Bukin ging in die Knie und versuchte zeitgleich, den Draht loszuwerden.
Alexej war jünger, fitter und womöglich auch stärker als er und er hatte das Überraschungsmoment auf seiner Seite gehabt. Es war die Angst vor dem sicheren Tod, die Bukin die Kräfte verlieh, seinen Peiniger abzuschütteln, indem er sich plötzlich wieder hochdrückte und mit einer schnellen Drehung nach vorn bewegte. Diese rasche Bewegung überrumpelte seinen Angreifer, der den Griff der Schlinge loslassen musste.
Bukin schleuderte das Ding weg, war mit zwei Schritten wieder bei Alexej und schlug sofort und gnadenlos zu. Eine Linke gegen die Schläfe, eine Rechte aufs Ohr und danach mit der Handkante gegen den Kehlkopf. Der Junge war stark, aber nicht besonders schnell, er hatte wohl nur dann einen Vorteil, wenn er jemanden von hinten überfiel.
Bukins Blick wanderte kurz über die Fassade der beiden Häuser, zwischen denen sie sich aufhielten. An keinem der Fenster war jemand zu sehen. Kurz entschlossen schulterte er den Jüngeren und trug ihn ins Haus und in sein Apartment. Alexej lebte noch. Bukin zögerte einige Momente lang. Noch nie hatte er jemanden umgelegt, der sich nicht mehr wehren konnte.
Noch während er überlegte, kam der Bewusstlose wieder zu sich. Alexej sprang, kaum dass er eines seiner Augen geöffnet hatte, auf, bereit, sich erneut auf sein Opfer zu stürzen. Auf einmal hielt er auch noch ein Jagdmesser in der Hand. Bukin fluchte. Warum hatte er den Kerl nicht durchsucht? Er griff neben sich, griff nach etwas, das auf dem niedrigen Tischchen stand.