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Wir erhielten Hinweise aus Boston, dass das gesamte Police Department auf der Gehaltsliste eines Gangstersyndikats stand. Unser Informant war ein ehemaliger Cop, doch bevor er genauere Angaben machen konnte, wurde er ermordet. Phil und ich begaben uns mit dem gesamten SR-Team nach Boston und stießen auf einen Sumpf von Korruption und Verbrechen, der Gotham City würdig gewesen wäre ...
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2015
Cover
Impressum
Tote haben keine Lobby
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Film: »Mankells Wallander – Vor dem Frost«/ddp-images
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1535-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Tote haben keine Lobby
Der Killer war bereits im Haus, als Sean Flanagan zum Telefonhörer griff. Der pensionierte Cop ahnte nichts von der tödlichen Gefahr, in der er sich befand. Flanagan rief beim FBI-Hauptquartier in Washington an.
»Ich heiße Sean Flanagan und muss ein Verbrechen melden. Es gibt beim Boston Police Department einen unglaublichen Skandal. Der Mob schmiert …«
Der Ex-Cop konnte den Satz nicht mehr beenden. Ihm wurde in den Rücken geschossen, zweimal hintereinander. Sterbend glitt der grauhaarige Mann zu Boden. Er trug seine Gala-Uniform, so wie jedes Jahr am St. Patrick’s Day. Doch diesmal fand die Feiertagsparade ohne Flanagan statt.
Wir hatten gerade einen anderen Fall erfolgreich zum Abschluss gebracht, als der Chef uns zu sich rufen ließ. Phil und ich begaben uns sofort ins Vorzimmer von Assistant Director High.
Dorothy blickte auf und schenkte uns ein freundliches, aber distanziertes Lächeln. Die Sekretärin trug an diesem Morgen ein fliederfarbenes Geschäftskostüm, das sich apart von ihrer dunklen Hautfarbe abhob.
»Was gibt es Neues, Dorothy?«, wollte Phil wissen.
»Das wird der Assistant Director Ihnen gleich selbst erläutern, Phil. Sie können sofort zu ihm durchgehen.«
Wir versorgten uns noch schnell an der Espressomaschine mit Kaffee und betraten dann das Büro von Mr High. Er nickte uns ernst zu und deutete auf den Konferenztisch. Phil und ich nahmen dort Platz.
»Ich habe hier einen Tonbandmitschnitt, Jerry und Phil. Hören Sie ihn sich bitte einmal an.«
Der Chef drückte auf einen Knopf, und gleich darauf war aus dem Lautsprecher eine weibliche Stimme zu hören.
»FBI-Zentrale, was kann ich für Sie tun?«
Dann sprach ein Mann, mit dunkler und rauer Stimme. Er hörte sich an, als ob er unter großem Druck stehen würde. Wir lauschten seinen wenigen Worten, bis ihn laute Schussgeräusche zum Verstummen brachten.
Mr High stoppte den Bandmitschnitt und kam zu uns an den Konferenztisch.
»Dieser Anruf ging heute Morgen hier im Hauptquartier ein, vor ungefähr drei Stunden. Wir haben natürlich sofort mit den Kollegen vom Field Office Boston Kontakt aufgenommen. Der Anrufer, Sean Flanagan, war ein pensionierter Sergeant der Boston Police. Er wurde in seinem eigenen Haus ermordet, während er diesen Anruf tätigte.«
»Gibt es schon Hinweise auf den oder die Täter, Sir?«
»Nein, Jerry. Flanagan lebte in einer ruhigen Wohnstraße. Einige Nachbarn haben sofort die Polizei verständigt, als die beiden Schüsse ertönten. Die Cops sind wenig später eingetroffen, noch vor unseren Agents.«
Phil legte die Stirn in Falten. »Ich sage es nicht gern, aber Flanagans Anruf deutet auf Korruption innerhalb des Boston Police Department hin. Deshalb kann ich mich in diesem Fall nicht darüber freuen, dass die Cops so schnell vor Ort waren.«
Der Chef nickte. »Das sehe ich genauso. Wir müssen damit rechnen, dass Beweismaterial beiseitegeschafft wurde. Flanagan war übrigens selbst ein hochdekorierter Police Sergeant, er ging vor drei Jahren in den Ruhestand. Er kannte das Department also von innen, dadurch bekommt seine Aussage noch ein besonderes Gewicht.«
»Aber ein Cop macht sich während seines Berufslebens viele Feinde. Selbst falls an dem Korruptionsverdacht etwas dran sein sollte, könnte ihn ein Täter ohne Polizeihintergrund auf dem Gewissen haben.«
»Wir müssen selbstverständlich in alle Richtungen ermitteln, Jerry und Phil. Ich möchte Sie bitten, dabei eng mit dem Field Office Boston zusammenzuarbeiten. Ich habe dort schon angerufen. Nehmen Sie auch Ihr SR-Team mit. Es muss sicher sein, dass alle kriminaltechnischen Indizien und Beweise von unabhängigen Spezialisten geprüft werden.«
Phil sah aus, als ob er noch etwas auf dem Herzen hatte. Das entging auch Mr High nicht.
»Wollen Sie noch etwas fragen, Phil?«
»Ja, Sir. Ich überlege, aus welchem Grund Flanagan hier im Hauptquartier angerufen hat. Er hätte sich auch mit dem Field Office Boston in Verbindung setzen können.«
»Ja, da haben Sie recht. Worauf wollen Sie hinaus?«
Phil atmete tief durch, bevor er antwortete.
»Falls es wirklich einen Korruptionsskandal in Boston gibt, dann ist darin womöglich nicht nur das Police Department verwickelt, sondern auch das FBI Field Office.«
***
Wir beendeten die Besprechung und trafen unsere Vorbereitungen, damit wir noch am selben Tag nach Boston reisen konnten. Dorothy Taylor hatte über die Reiseabteilung bereits für Phil und mich sowie unsere Teammitglieder Flüge gebucht. Die Tickets lagen am Reagan National Airport abholbereit.
Ich rief in Quantico an und informierte Dr. Willson über unseren neuesten Auftrag. Der Mediziner und Forensiker seufzte tief, als er Einzelheiten hörte.
»Ein toter Ex-Cop? Das ist immer mies, und am St. Patrick’s Day ganz besonders. Diese Nachricht wird wohl vielen Officers in Boston den Tag vermiesen. Ich gebe den anderen Bescheid, dann treffen wir uns am Flughafen, okay?«
Ich bedankte mich und beendete das Gespräch. Da der Lautsprecher eingeschaltet war, hatte Phil alles gehört.
»Stimmt, heute ist ja St. Patrick’s Day. Es würde mich nicht wundern, wenn Flanagan an der Parade teilnehmen wollte. Da sind doch zahlreiche Veteranen des Police Department vertreten, jedenfalls war das in New York City immer so.«
Ich nickte. St. Patrick ist ein irischer Nationalheiliger. Und da in früheren Zeiten viele Cops irischstämmig waren, hat dieser Festtag für viele Police Departments überall in den Staaten eine besondere Bedeutung.
Aber in Boston würde der diesjährige St. Patrick’s Day garantiert ein schwarzer Tag werden, jedenfalls für die Cops. Und das nicht nur wegen Flanagans Ermordung. Der Korruptionsverdacht musste auf jeden ehrlichen Police Officer wie ein Schlag ins Gesicht wirken.
Da unser Flug erst für den späten Nachmittag gebucht war, konnten die Teammitglieder rechtzeitig von Quantico aus zum Domestic Airport von Washington gelangen. Phil und ich trafen Willson, Mai-Lin, Fortesque und Concita Mendez beim Check-in.
Da die Kollegen vom Boston Field Office über unsere Ankunft informiert waren, holten uns zwei junge Agents vom Flughafen ab. Agent Raoul Garcia übernahm es, Phil und mich zum Field Office zu chauffieren. Dr. Willson und seine Kollegen fuhren in einem anderen Wagen.
»Sie kommen wegen des ermordeten Ex-Cops, nicht wahr?«, wollte Agent Garcia wissen. »Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte man die St.-Patrick’s-Day-Parade abgesagt. Diese Volksbelustigung kommt mir jetzt etwas pietätlos vor. Aber als wir die Leiche gefunden haben, hatte sich der Festzug am Gillette Park wohl schon in Bewegung gesetzt. Und Sie sehen ja selbst, was hier los ist.«
In Boston herrschte wirklich ein beachtliches Verkehrschaos. Offenbar war die Stadt von auswärtigen Besuchern überschwemmt, die sich das Spektakel anschauen wollten. Wie wir von dem jungen Kollegen erfuhren, marschierten die Parade-Teilnehmer vom Gillette Park bis hinunter zum Boston Main Channel.
»Haben Sie Sean Flanagan persönlich gekannt, Agent Garcia?«
»Nein, Inspektor Cotton. Ich habe meine Ausbildung in Quantico erst vor einem Jahr beendet. Und Flanagan war ja wohl schon seit einigen Jahren im Ruhestand. Außerdem habe ich bei meinen Einsätzen wenig mit dem Police Department zu tun. Ich weiß nur, dass die dienstälteren Kollegen Flanagan immer als ›Eisenschädel‹ bezeichneten.«
Phil hob die Augenbrauen.
»Und woher hatte der Ermordete diesen Spitznamen?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
Agent Garcia versuchte, die Parade weiträumig zu umfahren. Trotzdem standen wir eine Zeit lang im Stau. Der Wind wehte Geräuschfetzen zu uns herüber. Dudelsackmusik erklang, man hörte Lachen und den Applaus einer großen Menschenmenge.
»Dass ein Ex-Cop ausgerechnet am St. Patrick’s Day ermordet wird, ist natürlich ein gefundenes Fressen für die Medien«, stellte Phil fest. »Und wenn erst der Korruptionsverdacht durchsickert, werden wir keine ruhige Minute mehr haben.«
Ich warf Agent Garcia einen Seitenblick zu. Es war ein mieses Gefühl, keinem der hiesigen Agents trauen zu können. Und doch mussten wir davon ausgehen, dass das lokale FBI in kriminelle Machenschaften verwickelt sein konnte.
»Haben Sie auch von Verbindungen zwischen Cops und Verbrechern gehört, Agent Garcia?«
Der junge Kollege schüttelte den Kopf. »Ich gebe nichts auf Gerüchte, Inspektor Cotton. Aber ich nehme an, dass Sie gekommen sind, um die faulen Eier auszusortieren.«
»Falls es überhaupt faule Eier gibt«, warf Phil ein.
Endlich erreichten wir das Field Office, wo wir bereits von Special Agent in Charge Norman Galston erwartet wurden. Nachdem wir Platz genommen hatten und wir mit Kaffee versorgt worden waren, fasste er den bisherigen Ermittlungsstand für uns zusammen. Willson und seine Kollegen waren ebenfalls im Besprechungsraum anwesend.
»Das Mordopfer lebte in Charlestown, eine traditionell sehr irisch geprägte Gegend. Die Cops haben die Ermittlungen mittlerweile an uns übergeben, nachdem sich die Nachricht von Flanagans Anruf beim FBI-Hauptquartier verbreitet hat.«
»Konnten Sie schon herausfinden, ob Flanagan Feinde hatte? Wurde er von Personen bedroht, die er während seiner aktiven Jahre hinter Gitter gebracht hat?«, wollte ich wissen.
»Diese Fragen haben wir uns auch schon gestellt. Aber Ihnen ist ja bekannt, wie verhasst Cops und Agents bei den Verbrechern sind. Und wer so lange bei der Truppe war wie Flanagan, der hat sich sehr viele Feinde gemacht. Noch konnten wir nicht herausfinden, ob er von jemandem konkret bedroht wurde.«
»Und es gibt keine Hinweise auf den flüchtigen Killer? Konnten Sie klären, ob er per Auto oder Motorrad geflohen ist? Oder türmte er zu Fuß?«
»Meine Agents fragen in der Nachbarschaft herum, Inspektor Cotton. Sobald es konkrete Ergebnisse gibt, lassen wir es Sie wissen. Mit dem Police Commissioner habe ich schon gesprochen. Er ist natürlich nicht begeistert davon, dass ein Korruptionsverdacht im Raum steht. Aber gerade deshalb findet er es wichtig, dass Sie die Ermittlungen leiten. Es soll nichts vertuscht werden, Sie können mit jedem Cop in Boston sprechen.«
Ich nickte. »Das werden wir tun, falls es nötig ist.«
»Und ich möchte mir den Tatort gern heute noch anschauen, um mir ein genaues Bild zu machen«, bat Fortesque.
»Das geht uns gewiss allen so«, sagte ich.
»Bis auf mich«, meinte Willson. »Ich verabschiede mich Richtung Pathologie, wo die Leiche gewiss schon auf einem Stahltisch auf mich wartet. Es wird sich zeigen, welche Informationen ich aus dem Toten herauskitzeln kann.«
Auch der SAC kannte schon den schwarzen Humor des Mediziners, mit dem er seine oftmals grausige Tätigkeit besser verarbeiten konnte. Ein junger Agent brachte Willson zum gerichtsmedizinischen Institut.
Wir anderen verabschiedeten uns ebenfalls von Norman Galston, um zum Tatort zu fahren. Doch zuvor hatte ich noch eine Frage an den SAC.
»Ich habe gehört, dass Sean Flanagan ›Eisenschädel‹ genannt wurde. Können Sie mir sagen, wie er zu diesem Spitznamen kam?«
»Der Ermordete war ein typisch irischer Dickkopf. Wenn er sich etwas vorgenommen hatte, dann war er nicht davon abzubringen. Er konnte sich ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen. Ich hatte vor seiner Pensionierung einige Male mit Flanagan zu tun. Mir hat er keine Schwierigkeiten gemacht. Aber er war definitiv kein Mann, den ich zum Feind haben möchte.«
»Wer so unbeugsam ist, kann nur durch den Tod gebrochen werden«, meinte Phil.
***
Sean Flanagan hatte in der Pearl Street gelebt, einer ruhigen Wohnstraße in Charlestown. Wir fuhren in einem Ford Interceptor des Field Office dorthin. Während der Fahrt öffnete Phil sein Notebook und schaute sich die Personalakte des pensionierten Cops an.
»Flanagan war verwitwet, seine Frau ist vor Jahren an Krebs gestorben. Von Kindern oder Enkeln steht hier nichts. Auf jeden Fall muss der Ermordete ein guter Polizist gewesen sein. Hier sind mehrere Belobigungen wegen Tapferkeit im Dienst verzeichnet, keine Abmahnungen, kaum Krankheitstage.«
»Okay, aber andererseits hat Flanagan es während seines langen Berufslebens nur bis zum Sergeant gebracht. Andere Kollegen sind auf der Karriereleiter weitaus höher geklettert.«
»Das stimmt, Jerry. Doch wenn Flanagan wirklich so ein Dickschädel gewesen ist, dann war diese Eigenschaft seiner Laufbahn nicht gerade förderlich. Und genau diese Charaktereigenschaft könnte sogar zu seinem gewaltsamen Tod geführt haben, wenn er sich nämlich mit den falschen Leuten angelegt hat.«
Die Kollegen vom SRT waren bereits vor uns eingetroffen. Das Mordopfer hatte in einem schlichten Bungalow gelebt, der meiner Schätzung nach ungefähr dreißig Jahre alt war. In der Nähe des Hauses gab es keine Versteckmöglichkeiten.
»Es war bereits hell, als Flanagan erschossen wurde, Jerry. Sollte der Mörder wirklich vor den Augen aller Nachbarn zum Haus gegangen sein?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Es wäre ja auch möglich, dass er sich schon nachts hineingeschlichen hatte und erst das Feuer eröffnete, als Flanagan zum Telefon griff. Wenn es ein gewaltsames Eindringen gegeben hat, dann werden die Kollegen es herausfinden.«
Die Cops hatten das Grundstück mit gelbem Trassierband abgesperrt. Das Police Department sorgte draußen für Ordnung, während im Haus das FBI ermittelte. Nachdem ich geparkt hatte, drängten wir uns zwischen den Schaulustigen hindurch. Unsere FBI-Marken hatten wir an den Revers befestigt. Ein rothaariger Officer hob das Absperrband für uns. Er warf uns einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte.
»Danke, Officer«, sagte ich. »Haben Sie das Opfer gekannt?«
»Sean Flanagan wurde von einem Verbrecher getötet«, lautete die Antwort. Das Gesicht des Cops war wie versteinert.
»Selbstverständlich wurde er das«, erwiderte ich. »Wer andere Menschen umbringt, ist auf jeden Fall ein Krimineller.«
Der Officer öffnete den Mund, er wollte antworten. Aber dann überlegte er es sich offenbar anders, denn unser kurzer Wortwechsel hatte bereits das Interesse der Presseleute erregt. Der Cop deutete mit einer Kopfbewegung auf das Haus.
Ich nickte ihm zu, Phil und ich gingen zum Gebäude hinüber.
»Der Rothaarige schnitt ein Gesicht, als ob wir seine Mutter beleidigt hätten«, raunte Phil mir zu.
»Die Officers sind wahrscheinlich nervös, weil einer von ihnen getötet wurde. Da spielt es auch keine Rolle, dass Flanagan schon pensioniert war. Du weißt ja, wie das läuft.«
»Ja, es ist wie beim FBI. Man bleibt immer Agent, auch wenn man schon im Ruhestand ist.«
Das Haus machte einen sauberen Eindruck, es war gemütlich eingerichtet. Eine Umrisszeichnung mitten im Wohnraum zeugte davon, wo Flanagan tödlich getroffen zusammengebrochen war. Auch Blut war reichlich vorhanden.
Auf dem Tisch lagen Abzüge von Fotos, die ein FBI-Fotograf von der Leiche gemacht hatte. Flanagan war in seiner Paradeuniform gestorben, vollständig bekleidet.
Fortesque kniete neben einer Wand, die sich eine Armeslänge von den Leichenumrissen entfernt befand.
»Zwei Geschosse haben den Körper des Opfers durchschlagen und sind in die Wand eingedrungen. Es handelt sich um Kaliber .45, das sehe ich schon auf den ersten Blick. Weitere Details kann ich Ihnen nach der Laboranalyse liefern.«
Ich nickte dem Chemiker und Physiker zu. Weiter hinten im Raum waren Concita Mendez und Mai-Lin beschäftigt. Die Finanzexpertin checkte gerade Flanagans Kontoauszüge, während sich die chinesischstämmige Informatikerin den Telefonanschluss des Ermordeten vorgenommen hatte.
»Falls Sean Flanagan ein Mobiltelefon besaß, gibt es keine Hinweise darauf«, sagte die Informatikerin. »Ich konzentriere mich auf seinen Festnetzanschluss. Wenn ich die Gesprächsnachweise der letzten Wochen ausgewertet habe, kann ich Ihnen weitere Einzelheiten nennen.«
»Ja, das ist gut«, sagte ich. »Flanagan hat allein gelebt. Wir müssen herausfinden, mit wem er regelmäßigen Kontakt gehabt hat. Wie sieht es mit Freunden aus, mit ehemaligen Polizeikollegen?«
Während das SRT weiterarbeitete, schauten Phil und ich uns ebenfalls um. Fortesque blickte noch einmal von seiner Arbeit auf.
»Übrigens ist der Killer vermutlich durch die Hintertür ins Haus gekommen. Das Schloss wurde geknackt, die Einbruchspuren sind aber nur minimal. Wer das getan hat, verstand sein Handwerk.«
»Gibt es eine Alarmanlage?«
»Negativ, Jerry.«
Phil und ich durchquerten das Haus. Vom Hintereingang gelangte man direkt in die Küche. Links davon befand sich ein Zimmer, das aber nicht benutzt wurde und als Abstellraum diente. Die Tür zum Schlafzimmer war ein Stück weiter vorn, genau wie die Badtür. Das weitläufige Wohnzimmer war der größte Raum des Hauses.
»Flanagan muss doch gehört haben, wenn jemand hereinkommt, Jerry. Der Fußboden besteht überall aus Parkett, darauf hört man jeden Schritt.«
»Es sei denn, der Täter trug Schuhe mit Gummisohlen, Turnschuhe oder Ähnliches. Es gibt auch noch eine andere Variante.«
Ich ging zurück zur halb offenstehenden Hintertür.
»Siehst du diese Schuhabdrücke, Phil? Hier hat sich jemand länger aufgehalten. Wir sollten überprüfen, ob die Schuhgröße mit der des Opfers übereinstimmt. Aber ich bezweifle es. Dann hat der Killer seine Schuhe ausgezogen und ist auf Socken lautlos ins Haus geschlichen.«
»Auf Socken? Wie kommst du darauf?«
Ich deutete auf einige Krümel Gartenerde, die auf dem Parkett lagen. Die Spur führte Richtung Wandschrank. Ich öffnete die Tür. Dort war genug freier Platz, damit sich ein durchschnittlich großer Mann halbwegs bequem hineinkauern konnte. In einer Ecke sah ich noch mehr Erde, die vermutlich aus den Profilsohlen der Schuhe gefallen war.
»Meiner Meinung nach ist der Killer im Schutz der Dunkelheit eingedrungen, Phil. Das hatte ich ja schon vermutet. Er zog die Schuhe aus, schlich sich bis zum Wandschrank und versteckte sich dort.«