Jerry Cotton 3091 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3091 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Mr High schickte Phil und mich nach Brüssel. Dort war eine völlig verbrannte Leiche gefunden worden, und der FBI-Ausweis von Agent Gene Morley. Noch war nicht sicher, ob der Tote unser Kollege war, aber es stand fest, dass sich Morley zurzeit auf Urlaub in Belgien befand. Dort angekommen machten wir uns auf den Weg, Morleys Tochter zu besuchen, die in Antwerpen studierte. Als wir in ihre Wohnung kamen, war Ann Morley verschwunden, stattdessen stießen wir auf eine weitere Leiche ...

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Tod hat keinen Wohnsitz

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Film: »Collateral«/ddp-images

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-3605-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Tod hat keinen Wohnsitz

Agent Gene Morleys Reise nahm ein jähes Ende.

Der durchtrainierte Mittfünfziger arbeitete seit vielen Jahren für das FBI. Er war bereits mehrfach im Dienst verwundet worden, hatte viele lebensgefährliche Situationen überstanden. Aber diesmal versagte sein Gefahreninstinkt. Vielleicht lag es daran, dass er im Urlaub war.

Morley hielt auf einem belgischen Autobahn-Parkplatz, um die Toiletten aufzusuchen. Zwei Männer folgten ihm lautlos in den Waschraum. Als der Agent die Gefahr erkannte, war es schon zu spät.

Ein fürchterlicher Schlag auf den Hinterkopf streckte ihn zu Boden. Morley stürzte in eine abgrundtiefe Finsternis.

»Wir haben möglicherweise einen Kollegen verloren.«

Dieser Satz aus dem Mund von Assistant Director High wirkte auf mich wie eine kalte Dusche. Phil ging es genauso. Der Chef hatte uns zu sich gerufen, wir saßen mit ihm am Konferenztisch seines Büros. Zuvor hatten wir uns noch schnell an der Espressomaschine im Vorzimmer mit Kaffee versorgt.

»Um welchen Agent handelt es sich, Sir?«, hakte ich nach. »Und es besteht noch keine Gewissheit über sein Schicksal, wenn ich Sie richtig verstehe?«

Mr High nickte.

»Der Name des Kollegen lautet Gene Morley. Er ist im Field Office Baltimore tätig. Agent Morley hat zurzeit Urlaub, er hält sich in Europa auf.«

»Und wie entstand der Verdacht, dass ihm … etwas zugestoßen sein könnte? Gibt es möglicherweise Zeugen? Oder hat man schon eine Leiche gefunden?«

Phils Stimme war seine Besorgnis deutlich anzuhören.

»Die belgische Polizei hat ein ausgebranntes Autowrack sichergestellt. Die Nummernschilder gehörten zu einem Wagen, der von Agent Morley am Brüsseler Flughafen gemietet wurde. In dem Fahrzeug befand sich eine verkohlte Leiche. Und bei diesem Toten wurde ein Gegenstand sichergestellt, den man unschwer als FBI-Dienstmarke erkennen kann.«

Der Chef öffnete seinen Schnellhefter und zeigte uns ein Foto, das er offenbar von den belgischen Kollegen erhalten hatte. Trotz des Feuerschadens war die Marke mit dem Adler aus brüniertem Messing in der beschädigten Lederhülle immer noch deutlich zu erkennen.

»Und bei der Leiche handelt es sich also um Agent Morley?«, wollte ich wissen, wobei ich meine Gefühle von Trauer und Wut unterdrückte.

»Das steht noch nicht fest, Jerry. Die belgische Föderale Polizei hat sofort Kontakt mit uns aufgenommen, als klar wurde, dass womöglich ein FBI-Agent zu Tode gekommen ist. Sie haben uns jede mögliche Unterstützung angeboten. Es sind auch internationale Verwicklungen denkbar. Momentan haben die Ermittlungen der Belgier gerade erst begonnen. Deshalb möchte ich Sie und Phil bitten, den nächsten Flug nach Brüssel zu nehmen und das Verbrechen aufzuklären.«

»Selbstverständlich, Sir«, gab ich zurück. »Hat Agent Morley zuletzt an einem besonders brisanten Fall gearbeitet, bei dem er auf die Todesliste von Kriminellen geraten sein könnte?«

»Ein Zufallsopfer wird er ja wohl kaum gewesen sein«, ergänzte Phil. Mr High schüttelte den Kopf.

»Das glaube ich auch nicht, obwohl wir auch diese Möglichkeit nicht ausschließen können. Da gibt es noch keine eindeutigen Verdachtsmomente. Was Ihre Frage angeht, Jerry, so habe ich bereits mit Special Agent in Charge Kieran McCoy, dem Leiter des Field Office Baltimore, gesprochen. Die Kollegen dort konzentrieren sich seit einigen Monaten auf die Bekämpfung des Torro-Kartells, da die mexikanische Drogenmafia an der Ostküste expandieren will. Es konnte schon einiges Beweismaterial zusammengetragen werden. Agent Morley war ebenfalls an den Ermittlungen beteiligt, bevor er seinen Jahresurlaub nahm.«

»Das Torro-Kartell«, wiederholte Phil mit galligem Unterton. »Für diese Dreckskerle ist ein Polizistenleben nichts wert, das haben sie schon in ihrer Heimat oft genug bewiesen. Sie kennen keine Gnade, wenn es um ihre Geschäftsinteressen geht. Da machen sie keine Unterschiede zwischen Polizeikräften und verfeindeten Gangs. Obwohl die Torros aus dem Norden Mexikos stammen, expandieren sie seit Jahren weltweit. Es könnte also durchaus sein, dass sie auch in Belgien ihre Handlanger haben. Wir werden sie oder einen anderen Täter für Agent Morleys Tod zur Rechenschaft ziehen.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Solange die Leiche nicht eindeutig identifiziert ist, gehe ich davon aus, dass unser Kollege noch lebt und unsere Hilfe braucht.«

***

Der Flug vom Dulles International Airport nach Brüssel-Zaventem dauerte mehr als sieben Stunden. Es war also mehr als genug Zeit, um uns auf die Ermittlungen vorzubereiten.

»Ich habe Mai-Lin und Concita eine E-Mail geschrieben und sie gebeten, das Privatleben und die Finanzen von Agent Morley zu durchleuchten.«

Phil zog die Augenbrauen hoch. Wir saßen bereits im Flieger und sprachen leise miteinander.

»Hältst du Morley für einen faulen Apfel, Jerry?«

»Nein, aber wir dürfen keine Möglichkeit ausschließen. Es ist denkbar, dass er sich vom Kartell schmieren ließ und seinen Tod inszenieren wollte.«

»Einverstanden, aber Morley kennt die Polizeiarbeit. Er kann sich denken, dass die Leiche obduziert wird und sich spätestens dann herausstellt, dass er es nicht ist.«

»Die Operation könnte aus dem Ruder gelaufen sein, Phil. Ich will mir auch nicht vorstellen, dass Morley mit gezinkten Karten gespielt hat. Womöglich haben die Belgier schon etwas herausgefunden.«

Phil nickte.

»Und es gibt noch eine Variante, die mir überhaupt nicht gefallen will. Wenn nämlich unser Kollege lebend in die Hände des Kartells oder einer anderen Verbrecherorganisation geraten ist, dann werden sie versuchen, ihn über unseren Ermittlungsstand auszuhorchen.« Phil machte eine Pause, bevor er weiterredete. »Und zwar mit allen Mitteln.«

Ich wollte mir nicht vorstellen, was das zu bedeuten hatte. Umso wichtiger war es, dass wir uns auf Morleys Rettung konzentrierten.

Als wir in Brüssel ankamen, wurden wir von einer belgischen Kollegin in Empfang genommen. Es war eine hochgewachsene schlanke Blondine, die fast so groß war wie ich. Sie zeigte uns mit einem kühlen Lächeln ihren Dienstausweis.

»Inspektor Cotton und Inspektor Decker? Ich bin Inspektorin Linda de Haan von der Föderalen Polizei. Seien Sie in Belgien herzlich willkommen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.«

Ihr Englisch war nicht akzentfrei, aber fast perfekt. Wir gaben der Kollegin die Hand und stellten uns vor. Die einheimische Beamtin geleitete uns durch die Sicherheitsschleuse. Dann wurden uns unsere Pistolen ausgehändigt, die während des Fluges in einem Safe eingeschlossen gewesen waren. Aufgrund eines Abkommens mit der hiesigen Regierung durften wir auch in Belgien bewaffnet auftreten.

»Ich habe einen Teil meiner Ausbildung bei Ihnen in den Staaten absolviert, in Quantico«, erzählte die Inspektorin. »Das Verbrechen hat in Amerika natürlich andere Dimensionen als bei uns. Doch Belgien wird zunehmend zu einer Drehscheibe für Terrorismus und organisierte Kriminalität. Deshalb versuchen wir, durch staatenübergreifende Ermittlungen gegenzusteuern.«

»Agent Morley war als Privatmann auf Europareise«, betonte ich. »Mir ist nicht bekannt, dass er sich mit Ihrer Dienststelle in Verbindung gesetzt hätte.«

»Nein, davon weiß ich auch nichts.«

Wir stiegen zu Linda de Haan in ihren Dienst-BMW.

»Wollen Sie gleich die Stelle anschauen, wo das Autowrack gefunden wurde?«

»Ja, wir sollten keine Zeit verlieren.«

»Das ist ganz in meinem Sinne, Inspektor Cotton.«

Linda de Haan drückte kräftig auf die Tube. Während der Fahrt brachte sie uns auf den neuesten Stand der Ermittlungen.

»Ihr Kollege Gene Morley hatte bei der Autovermietung Speedcar Belgium per Internet einen Wagen reserviert und mit Kreditkarte bezahlt. Es handelte sich um einen silbermetallicfarbenen Mercedes C Coupé. Mit diesem Fahrzeug verließ er Brüssel am Montag gegen Mittag. Offenbar brach er direkt nach seiner Ankunft aus den Staaten auf. Die Angestellte in der Autovermietung konnte sich daran erinnern, dass er sich nach der ungefähren Fahrzeit nach Antwerpen erkundigte.«

»Das war also sein Ziel?«

»Richtig, Inspektor Cotton. Dafür spricht auch, dass das Autowrack am Montagabend von einer Polizeistreife auf einem Feldweg bei Hombeek gefunden wurde. Das ist ein Dorf, aber von dort aus sind es nur wenige Kilometer bis zur E 19, die Brüssel mit Antwerpen verbindet.«

»Wie wurden Ihre Kollegen auf den Wagen aufmerksam? Brannte er noch?«

»Ja, Inspektor Decker. Ein Anwohner meldete die Rauchsäule. Der Streifenwagen sowie die Feuerwehr trafen zehn Minuten nach dem Beginn des Brandes am Einsatzort ein. Während die Feuerwehr mit dem Löschen begann, leiteten die Polizisten eine Nahbereichsfahndung ein. Aber weit und breit war kein Mensch zu sehen. Da in dem Auto nur eine Leiche gefunden wurde, gingen sie zunächst von Suizid aus. Oder von einem Unfall ohne weitere Personenbeteiligung.«

»Es war also nicht sofort ersichtlich, ob Brandstiftung vorlag?«, fragte ich.

»Nein, das war es nicht.«

»Jemand zündet sein gemietetes Auto an und setzt sich dann hinein, um bei lebendigem Leib zu verbrennen?«

Phils Stimme klang skeptisch.

»Das kommt mir auch sehr unwahrscheinlich vor«, bestätigte Linda de Haan. »Aber die Kollegen mussten von dieser Möglichkeit ausgehen, da keine anderen Beteiligten zu sehen waren.«

»Was ist mit Reifenspuren?«, fragte ich. »Wenn die Polizei zehn Minuten bis zu dem Autowrack benötigt hat, könnten die Täter doch während dieser Zeitspanne mit einem zweiten Wagen in eine andere Richtung weggefahren sein, ohne bemerkt zu werden. Oder gibt es dort keine anderen Straßen?«

»Doch, das werden Sie gleich selbst sehen. Der Streifenwagen kam von der Polizeistation in Mechelen. Wenn die Täter beispielsweise in Richtung Willebroek geflohen sind, werden sie dem Einsatzfahrzeug nicht begegnet sein. Aber was die Reifenspuren angeht, muss ich Sie enttäuschen. Es hat so stark geregnet, dass nichts davon brauchbar ist.«

»Und was ist mit Zeugen, Inspektorin de Haan? Könnte jemand etwas bemerkt haben?«

»Die Polizei vor Ort befragt die Anwohner, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen. Der Mercedes wurde weitab vom nächsten Wohnhaus angezündet. Es gibt nur einige vereinzelte Bauernhöfe in der Nähe, aber die Menschen dort werden natürlich alle vernommen.«

***

Inzwischen hatten wir unser Ziel schon fast erreicht. Linda de Haan fuhr an der Abfahrt Mechelen-Zuid von der Autobahn herunter. Wenig später rumpelte das Dienstfahrzeug bereits über den nicht befestigten Feldweg. Die Kollegin hatte nicht übertrieben. Die Fahrt entwickelte sich zur Schlammschlacht. Die Umgebung war ländlich geprägt.

Am Ziel zeugte nur noch verbranntes Gras von dem Feuer. Wir stiegen aus, und ich schaute mich um. In der Nähe grasten Kühe, die uns neugierig anschauten. Am Horizont war ein kleines Haus zu sehen, ansonsten nur flaches Land. In einiger Entfernung rauschte der Verkehr auf der E 19 an uns vorbei.

»Die Täter haben diesen Ort mit Bedacht gewählt«, stellte ich fest. »Sie wollten kein Risiko eingehen. Ihnen muss bekannt gewesen sein, aus welcher Richtung die Polizei anrücken würde.«

»Ich denke auch, dass sie ortskundig gewesen sind«, bestätigte Linda. »Es ist kein Geheimnis, zu welchem Polizeibezirk diese Gegend gehört. Die Täter wussten zwar nicht, wie lange der Streifenwagen benötigen würde. Aber für sie stand fest, aus welcher Richtung sie ihn zu erwarten hatten.«

Nun schaltete Phil sich ein.

»Ich nehme an, der Mercedes wird kriminaltechnisch untersucht? Wann können wir mit dem Ergebnis rechnen?«

»Spätestens morgen früh, aber ich werde noch ein wenig Dampf machen«, versprach Linda de Haan. »Ich gehe davon aus, dass Brandbeschleuniger benutzt wurde. Die sterblichen Überreste aus dem Mercedes wurden ins gerichtsmedizinische Institut nach Brüssel geschafft. Außer der FBI-Marke konnten bei der Leiche keine Gegenstände gefunden werden, mit denen sie identifiziert werden konnte. Ich hoffe auf den Zahnstatus des Toten. Hatte Gene Morley eventuell unveränderliche Kennzeichen, beispielsweise genagelte Knochen oder …«

Die Belgierin verstummte, denn nun klingelte mein Handy. Es war Mai-Lin. Ich machte eine entschuldigende Geste und schaltete den Lautsprecher ein.

Unsere chinesischstämmige Informatikerin hatte ihren Arbeitstag sofort damit begonnen, Agent Morleys Leben zu durchleuchten. Phil und ich waren mit einem Nachtflug nach Europa gereist, daher hatte unsere Kollegin in Quantico ihre Mail erst jetzt gelesen. Aber die Neuigkeiten kamen genau zum richtigen Zeitpunkt, wie sich nun zeigte.

»Agent Morley wurde vor sieben Jahren geschieden, Jerry. Seine Tochter Ann ist 22 Jahre alt und studiert Geschichte in Antwerpen. Sie ist sein einziges Kind.«

Die Informatikerin gab uns auch gleich die Adresse der jungen Frau, eine Telefonnummer hatte sie ebenfalls.

»Vermutlich wollte Agent Morley seinen Europa-Trip nutzen, um seine Tochter zu besuchen, Mai-Lin. Haben Sie die Studentin ebenfalls schon durchleuchtet?«

»Selbstverständlich, Jerry. In den Staaten liegt strafrechtlich nichts gegen sie vor. Wie es in Belgien aussieht, konnte ich noch nicht überprüfen.«

»Das werden wir gleich haben«, warf Linda de Haan ein und griff nun ihrerseits zu ihrem Smartphone.

Mai-Lin fuhr fort: »Concita lässt Ihnen ausrichten, dass Agent Morleys Finanzen unauffällig sind. Es gibt keine verdächtigen Summen, die auf seinem Konto landen. Auch die Kreditkartenabrechnungen sind völlig normal. Falls er wirklich bestechlich sein sollte, wird er natürlich ein geheimes Gelddepot haben. Aber es dauert etwas länger, so etwas herauszufinden, wie Sie wissen. Concita bleibt jedenfalls am Ball. Damit will ich nicht sagen, dass sie mit Bällen spielt, sondern …«

»Wir haben verstanden, Sie meinten das sinnbildlich. Melden Sie sich bitte wieder, wenn es noch mehr Informationen gibt.«

Mit diesen Worten beendete ich das Gespräch. Währenddessen hatte auch Linda de Haan kurz telefoniert.

»Ann Morley hat vor ein paar Monaten eine Nacht in der Ausnüchterungszelle bei den Antwerpener Kollegen verbracht, aber sonst ist sie nicht in Erscheinung getreten. Vermutlich hat sie einfach über den Durst getrunken, wie es bei Studenten gelegentlich üblich ist.«

»Weiß sie schon vom Verschwinden ihres Vaters?«

Die Inspektorin schüttelte den Kopf.

»Von uns kann sie es nicht erfahren haben. Ich wusste ja bis eben gar nicht, dass Ihr Kollege eine Tochter hat.«

Ich versuchte, die Mobilnummer anzurufen, die mir Mai-Lin gegeben hatte. Aber das Telefon von Ann Morley war ausgeschaltet.

»Lassen Sie uns nach Antwerpen fahren«, schlug ich vor. »Ist es sehr weit?«

Linda de Haan grinste.

»Wir sind hier nicht in Amerika, Inspektor Cotton. In Belgien ist kein Ort sehr weit von einem anderen entfernt.«

Die Kollegin hatte nicht übertrieben. Wir gelangten im Handumdrehen in die Randbezirke der großen Hafenstadt Antwerpen, was allerdings auch an Lindas Fahrstil liegen konnte.

Da wir inzwischen auch die Adresse der Tochter hatten, fuhren wir direkt dorthin.

»Ann Morley wohnt in der Nähe des Hauptbahnhofs«, erklärte Linda de Haan. »Das ist nicht gerade die beste Gegend der Stadt.«

***

Es war deutlich zu erkennen, was die belgische Kollegin damit meinte. Wir bewegten uns durch schmale schäbige Straßen, in denen es zahlreiche billige Läden und kleine Restaurants gab. Vor den Häusern lungerten zwielichtige Gestalten herum, die unser Auto misstrauisch beäugten. Sie schienen genau zu wissen, dass sie mit uns Ärger bekommen konnten.

»Wir könnten hier genauso gut mit einem Streifenwagen aufkreuzen«, meinte Linda de Haan. »Diese Typen scheinen einen sechsten Sinn für Polizeifahrzeuge zu haben. Aber wenigstens wird unser Auto dann nicht gestohlen. Die Alltagskriminalität ist in dieser Gegend ein echtes Problem.«

Wir parkten in der Dambrugge Straat. Die Belgierin klappte die Sonnenblende herunter, auf der in großen Buchstaben die Worte POLITIE/POLICE standen. Das war in einem zweisprachigen Land wie Belgien offenbar üblich.

Das zweistöckige Wohnhaus war vermutlich im 19. Jahrhundert errichtet und seitdem nicht mehr nennenswert renoviert worden. Im Flur roch es nach exotischen Speisen, in einer Wohnung schimpfte jemand in einer Sprache, die wie Chinesisch oder Japanisch klang.

Die schwere Kassettentür von Ann Morleys Apartment war nur angelehnt. Linda de Haan klopfte mit der Faust dagegen.

»Miss Morley? Hier ist die Föderale Polizei. Wir müssen mit Ihnen sprechen«, rief sie laut auf Englisch.

In der Wohnung rührte sich nichts. Aber eine alte Asiatin steckte den Kopf aus der Nachbartür und krächzte etwas auf Flämisch.

Daraufhin zog die Inspektorin ihre Dienstwaffe.

»Sie sagt, es hätte bei der Amerikanerin schlimmen Streit gegeben, mit Krach und Geschrei. Da stimmt etwas nicht.«

Auch Phil und ich hielten nun unsere Pistolen in den Händen. Ich trat gegen die Tür, im nächsten Moment sprang ich in den schmalen Flur. Phil und Linda gaben mir Deckung.

Aber schnell zeigte sich, dass in Ann Morleys Behausung keine Bedrohung lauerte. Es war dort überhaupt kein lebender Mensch zu sehen.

Nur eine männliche Leiche auf dem Fußboden.

»Das ist nicht Agent Gene Morley.« Phils Stimme war die Erleichterung anzuhören. Ich nickte. Während der vermisste Kollege Mitte fünfzig war, musste der Tote ungefähr zwanzig Jahre jünger sein. Ich kniete mich neben ihn und tastete nach der Halsschlagader. Linda de Haan forderte inzwischen per Funk Verstärkung an.

»Der Mann hat keinen Puls mehr«, stellte ich fest. Es gab jede Menge Blut auf seiner Kleidung und auf dem billigen Teppichboden.

Das Opfer war ein Weißer, glattrasiert und mit hellbraunen Haaren. Der Tote trug Jeans, Turnschuhe und eine Windjacke. Er wirkte so unscheinbar, dass es beinahe schon wieder auffällig war.

Linda de Haan hatte sich Einweghandschuhe übergestreift. Sie begann die Taschen des Mannes zu durchsuchen.