1,99 €
Eine unserer FBI-Kolleginnen, Agent Sue Bordoni, war undercover an der Univerity of Southern Mississippi eingesetzt, um dort möglicherweise dem sogenannten Golfküsten-Killer auf die Spur zu kommen. Dann fand man Agent Bordoni bewusstlos, mit einer Mordwaffe in der Hand, in einer Seitengasse von Biloxi. Hatte der Golfküsten-Killer den Spieß umgedreht? Phil und ich begaben uns nach Mississippi, und dort wartete nicht nur ein Killer auf uns ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Mord mit Hindernissen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Film: »Agoraphobia – Die Angst im Kopf«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-3845-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Mord mit Hindernissen
Der Mann trug Schwarz.
In der Finsternis war er fast völlig unsichtbar. Aber Agent Sue Bordoni konnte seine Anwesenheit spüren. Sie hatte ihn verfolgt. Bald würde das Morden ein Ende haben.
Dieser Mann hatte mindestens acht junge Frauen auf dem Gewissen. Und Agent Bordoni wollte gewiss nicht die neunte werden. Sie schlich weiter vorwärts, durch die düstere und unübersichtliche Umgebung. Gerne hätte sie Rückendeckung gehabt, aber dafür war es jetzt zu spät.
Da ertönte ein knackendes Geräusch. Sue Bordoni wirbelte herum. Der Täter hatte sie ausgetrickst. Aber die FBI-Ausbildung machte sich bezahlt. Sie reagierte mit antrainierten Reflexen.
Ein lautes Krachen zerriss die stille Nacht.
»Ein FBI-Agent steht unter Mordanklage.« Mit diesen Worten eröffnete Mr High das Gespräch, zu dem er Phil und mich in sein Büro gebeten hatte.
»Wie konnte das geschehen, Sir?«
Der Assistant Director warf einen Blick auf seine Unterlagen, bevor er meine Frage beantwortete.
»Agent Sue Bordoni ist zurzeit beim Field Office Jacksonville in Mississippi tätig. Sie ist 29 Jahre alt, sieht aber jünger aus. Sie hat sich freiwillig für eine Undercover-Mission gemeldet, um als Studentin getarnt den Golfküsten-Killer zu ermitteln.«
Ich hakte nach.
»Sie sprechen von dem Serienmörder, der bisher mindestens acht junge Frauen in Mississippi, Alabama und Louisiana getötet haben soll?«
»Richtig, Jerry. Die Medien haben dem Verbrecher diesen Namen verpasst. Er ging bisher stets mit teuflischer Raffinesse vor, ließ sich weder von Überwachungskameras noch von der Campus Police abschrecken. Die meisten seiner Opfer waren Studentinnen an unterschiedlichen Hochschulen der Golfküstenregion, sowohl in Louisiana als auch in Mississippi und Alabama. Agent Bordoni hatte sich an der University of Southern Mississippi in Hattiesburg eingeschrieben. Nur die Dekanin kannte ihre wahre Identität.«
»Was ist mit der Person, die Agent Bordoni getötet haben soll?«, wollte Phil wissen.
»Es handelt sich um einen Mann namens Frederic Wilcox. Er besitzt ein mittelständisches Unternehmen in Biloxi, lässt spezielle Fahrzeugteile für die Autoindustrie fertigen. Seine Leiche wurde auf einem Parkplatz in Hattiesburg gefunden, der zum Universitätsareal gehört.«
»Besteht die Möglichkeit, dass Wilcox der Golfküsten-Killer war und Agent Bordoni ihn in Notwehr getötet hat?«
»Diese Frage wird Teil Ihrer Untersuchung sein, Jerry. Allerdings ist Wilcox’ Tochter ebenfalls Studentin an der dortigen Hochschule. Vielleicht wollte er sie nur besuchen? Unsere Ermittlungen stehen noch völlig am Anfang. Fest steht jedenfalls, dass die Mordwaffe bei Agent Bordoni gefunden wurde. Sie hielt die Pistole in der Hand. Es handelt sich nicht um ihre eigene Dienstwaffe, sondern um eine Ruger.«
»Was sagt denn eigentlich die Kollegin zu den Anschuldigungen gegen sie?«
John D. High schüttelte den Kopf.
»Sue Bordoni kann sich momentan nicht verteidigen. Als sie von einer Polizeistreife in Biloxi mit der Pistole in der Hand gefunden wurde, war sie bewusstlos. Bei einem medizinischen Check stellte sich heraus, dass sie eine gewaltige Menge Drogen im Blut hatte. Sie ist bisher noch nicht vernehmungsfähig.«
Ich überlegte.
»Zwischen Hattiesburg und Biloxi liegen ungefähr siebzig Meilen. Also erschießt Agent Bordoni das Opfer, steigt in den Wagen, fährt nach Biloxi, konsumiert eine Unmenge Drogen und bricht schließlich mit der Mordwaffe in der Hand zusammen? Das klingt für mich nicht sehr plausibel.«
»Für mich auch nicht, Jerry«, erwiderte Mr High. »Der Staatsanwalt argumentiert allerdings, dass Agent Bordoni in Panik verfallen sei, als ihr die Tragweite ihrer Tat bewusst wurde. Daraufhin wäre sie vom Tatort geflohen und hätte sich in das Rauschgift geflüchtet, um ihre Tat zu vergessen.«
»Das ist Schwachsinn!«, stieß Phil hervor. »Bordoni ist FBI-Agent. Sie wurde dazu ausgebildet, auch unter größtem Stress die Nerven zu behalten und überlegt zu handeln.«
Der Assistant Director nickte.
»Darüber bin ich mir im Klaren. Ich möchte Sie bitten, unverzüglich nach Mississippi zu reisen und den Fall aufzuklären. Falls Sue Bordoni schuldig ist, muss sie selbstverständlich vor Gericht gestellt und verurteilt werden.«
***
Up and away hatte für uns schon Flüge gebucht, sodass Phil und ich noch am selben Tag vom Reagan National Airport nach Biloxi Gulfport aufbrechen konnten. Während des ungefähr vierstündigen Fluges befassten wir uns mit der Verdächtigen. Wir hatten die Personalakte von Sue Bordoni auf unsere Reise mitgenommen.
»Ich kann keinen Hinweis auf eine labile Persönlichkeit finden, Jerry. Agent Bordoni hat alle psychologischen Tests mit Bravour bestanden, Jerry. Du weißt selbst, dass Rekruten auf Herz und Nieren geprüft werden. Sue Bordoni ist allenfalls etwas unerfahren, dieser Undercover-Einsatz war offenbar ihr erster. In ihrem Ausbildungsjahrgang in Quantico hat sie jedenfalls sehr gut abgeschnitten.«
»Wir werden SAC Brandon befragen, wie sie sich im Dienstalltag angestellt hat, Phil. Aber für mich ist die entscheidende Frage, ob Frederic Wilcox der Golfküsten-Killer ist oder nicht. Falls Agent Bordoni den wahren Täter vor sich hatte, dann hat sie vielleicht in einer Notwehrlage überreagiert. Schließlich ist sie auch eine junge Frau und passt genau in das Beuteschema dieses Mistkerls.«
»Ja, das müssen wir prüfen. Aber für mich ist gerade die Tatsache, dass Agent Bordoni mit der Waffe in der Hand gefunden wurde, ein Hinweis auf ihre Unschuld. Sie hat in der Ausbildung gelernt, wie Verbrecher Spuren beseitigen und Beweisstücke verschwinden lassen. Das hätte sie auch tun können, nicht wahr? Und die Straße von Hattiesburg nach Biloxi führt durch den De Soto National Park. Das ist ein riesiges unübersichtliches Gelände. Es wäre ein Kinderspiel, dort eine Pistole auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen.«
Phil hatte sein Notebook dabei. Wir nutzten die Flugzeit, um uns auch über das Mordopfer zu informieren. Frederic Wilcox war zum Zeitpunkt seines Todes 55 Jahre alt gewesen. Er war in zweiter Ehe verheiratet und hatte zwei erwachsene Kinder, nämlich Charlene und James. Während sich der Sohn als Navy-Offizier auf See befand, studierte die Tochter Wirtschaftswissenschaften.
Auf den ersten Blick war Wilcox ein unauffälliger Durchschnittsbürger gewesen. Aber dann fiel mir etwas ins Auge.
»Wir sollten uns mit Wilcox’ erster Ehefrau befassen, Phil. Sie heißt Tamara Carter, denn sie hat wieder ihren Mädchennamen angenommen. Die Ex-Frau hat vor Jahren ein Annäherungsverbot gegen Wilcox erwirkt, es dann aber später wieder zurückgezogen. Ich will wissen, was sich zwischen den beiden abgespielt hat.«
»Ja, das kann wichtig sein.«
In Biloxi wurden wir von einem heißen Küstenwind empfangen. Am Airport wartete ein junger Agent vom Field Office Jacksonville auf uns. Wir hatten darum gebeten, dass uns von dort aus ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt wurde. Bevor Phil und ich in den Ford Interceptor stiegen, wechselten wir noch ein paar Worte mit dem Kollegen. Sein Name war Sam Gibbons.
»Hatten Sie dienstlich öfter mit Agent Bordoni zu tun, Agent Gibbons?«
»Eher selten, Inspektor Cotton. Sie arbeitete ja seit Monaten undercover und hielt nur Kontakt zu SAC Brandon. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die Nerven verloren hat. Bevor sie ihre jetzige Aufgabe bekam, führten wir gemeinsam mit anderen Kollegen eine Razzia gegen Menschenhändler durch. Wir befreiten blutjunge Prostituierte aus Guatemala, die von ihren Sklavenhändlern missbraucht worden waren. Man hätte schon einen Hass auf diese Typen bekommen können, aber Agent Bordoni ließ sich zu keinen Tätlichkeiten hinreißen. Sie behandelte die Verhafteten völlig korrekt.«
Diese Aussage bestätigte die Angaben aus der Akte.
»Vielen Dank, Agent Gibbons. Wir werden alles tun, um die Wahrheit ans Licht bringen.«
»Dann hat Agent Bordoni nichts zu befürchten. Da bin ich mir sicher.«
Phil und ich verabschiedeten uns von Agent Gibbons und fuhren zunächst zum Biloxi Police Department in der Porter Avenue. Wir wollten mit den Officers sprechen, die unsere junge Kollegin gefunden hatten. Zum Glück waren Sergeant O’Hara und Officer Leary gerade anwesend. Nachdem ich Phil und mich vorgestellt hatte, kam ich gleich zur Sache.
»Bitte berichten Sie uns, wie Sie Agent Bordoni gefunden haben.«
»Das ist schnell erzählt, Inspektor Cotton«, erwiderte der Sergeant. »In jener Nacht verfolgten Officer Leary und ich einen Dealer, der zu Fuß flüchtete. Wir jagten zunächst mit dem Streifenwagen hinter ihm her. Aber dann lief er in eine schmale Gasse. Wir mussten das Einsatzfahrzeug zurücklassen und rannten hinter ihm her. Es war verflixt dunkel in der Umgebung, wir vermuteten eine Falle. Plötzlich sahen wir eine hilflose Person, die regungslos auf dem Boden lag. Ich vermutete, der Verdächtige wäre gestürzt.«
»Aber im Näherkommen bemerkten wir, dass es eine Frau mit langen blonden Haaren war«, ergänzte Officer Leary. »Der Dealer war hingegen ein junger Kerl mit rasiertem Schädel. Ich verfolgte ihn weiterhin, während sich der Sergeant um die Frau kümmerte.«
O’Hara sprach nun weiter: »Der Puls der Frau war schwach, sie war bewusstlos. Äußere Verletzungen konnte ich nicht erkennen. Im ersten Moment dachte ich, sie hätte sich gegen den flüchtenden Dealer zur Wehr gesetzt. Ich sah nämlich die Pistole in ihrer Hand. Aber wir hatten ja keinen Schuss gehört, und wir waren dicht an dem Kriminellen dran gewesen. Ich rief eine Ambulanz. In der Jackentasche der Verletzten fand ich ihren Studentenausweis.«
Ich überlegte.
»Haben Sie eine Erklärung dafür, wie die Frau dorthin gekommen ist?«, wollte ich von dem Sergeant wissen.
»Wir fanden die Frau in dem Gebiet zwischen Hiller Park und dem Veteranenkrankenhaus. Das ist eine heruntergekommene Gegend, in der es viel Straßenkriminalität und eine offene Drogenszene gibt. Wenn dort eine hilflose Person gefunden wird, tippen wir auf Rauschgiftkonsum und behalten damit in 99 Prozent aller Fälle recht.«
***
Wir bedankten uns bei den Cops und fuhren weiter zum Merit Health Center, in das Sue Bordoni eingeliefert worden war.
»Die Sache stinkt doch zum Himmel, Jerry! Da will jemand einen FBI-Agent als Sündenbock aufbauen. Ausgerechnet in einem Drogenslum bricht sie auf offener Straße zusammen? Wer soll das denn glauben?«
»Der Täter hat sich schon etwas dabei gedacht, Phil. Er wollte, dass unsere Kollegin zeitnah gefunden wird. Und wo patrouilliert die Polizei nachts verstärkt? In Gegenden mit hoher Kriminalitätsrate.«
»Und wenn Sue Bordoni in ihrem hilflosen Zustand nicht von den Cops, sondern von irgendwelchen Schurken entdeckt worden wäre? Das will ich mir gar nicht ausmalen.«
»Das geht mir genauso. Aber auch in dem Fall wäre der Täter unsere Kollegin losgeworden, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen oder den Verdacht auf sich zu lenken. Ich vermute, dass Sue Bordoni dem Golfküsten-Killer dicht auf den Fersen war. Und er will sie beseitigen, indem er ihr entweder einen Mord in die Schuhe schiebt oder sie der Gewalt anderer Verbrecher überlässt.«
Bereits von Washington aus hatte ich SAC Brandon gebeten, einen Agent vor dem Krankenzimmer der verletzten Kollegin zu postieren. Womöglich würde der Killer sie endgültig aus dem Weg räumen wollen. Es war ja möglich, dass sie ihn erkannt hatte. Wenn sie wieder aus der Bewusstlosigkeit erwachte, würde es dann für den Mörder sehr eng werden.
Wir zeigten in dem Krankenhaus unsere Dienstmarken und wurden von einem Pfleger zu dem Arzt gebracht, der Sue Bordoni untersucht hatte. Sein Name war Dr. Richard Newman.
»Ihre Kollegin hat unglaubliches Glück gehabt«, sagte der hagere Mediziner mit der dicken Hornbrille. »Ihnen ist wahrscheinlich bekannt, dass sich chemische Modedrogen sehr schwer dosieren lassen. Wenn der Konsument Pech hat, führen sie zu irreparablen Hirnschäden oder zum Tod. Miss Bordoni hätte an den Substanzen, die wir in ihrem Blut nachgewiesen haben, auch sterben können.«
»Können Sie einschätzen, ob Agent Bordoni wieder vollständig genesen wird, Dr. Newman?«
»Momentan gibt es keine Anzeichen, die dagegensprechen, Inspektor Cotton. Allerdings befindet sie sich immer noch in einer tiefen Bewusstlosigkeit. Wir verabreichen ihr Infusionen, um möglichst alle Restbestände der schädlichen Substanzen aus ihrem Körper zu spülen. Aber sehr viel mehr können wir momentan nicht tun.«
»Also lässt sich nicht vorhersagen, wann sie wieder aufwachen wird?«
Der Mediziner beantwortete Phils Frage mit einem Kopfschütteln.
»Nein, das nicht. Allerdings wird es Sie interessieren, dass wir bei der Untersuchung auch eine Prellung am Hinterkopf festgestellt haben. Ihre Kollegin muss einen Schlag auf den Kopf bekommen haben. Dieser kann allerdings nicht so stark gewesen sein, dass sie dadurch das Bewusstsein verloren hätte. Für ihre Ohnmacht sind eindeutig die Drogen verantwortlich. Am linken Unterarm hatte sie außerdem kleine Schnittwunden, wie sie zum Beispiel durch Glassplitter verursacht worden sein könnten.«
Ich hakte nach.
»Könnten ihr die betäubenden Substanzen von einer anderen Person verabreicht worden sein oder hat sie das Rauschmittel selbst eingenommen?«
»Die Drogen wurden wahrscheinlich in Form von kleinen Pillen konsumiert. Es ist vorstellbar, dass Ihre Kollegin zur Einnahme gezwungen wurde. Jedenfalls legen Sue Bordonis Leberwerte keinen Rauschgiftkonsum in der Vergangenheit nahe.«
Wir baten darum, einen Blick auf Sue Bordoni werfen zu dürfen. Der Arzt führte uns in einen Nebenraum des Patientenzimmers. Von dort aus konnten wir durch eine Glasscheibe hindurch unsere Kollegin sehen.
Sie war totenbleich, ihre Vitalfunktionen wurden durch mehrere Maschinen kontrolliert. Es ließ sich unmöglich einschätzen, ob sie noch einmal aus ihrer tiefen Bewusstlosigkeit erwachen würde. Als Phil und ich gerade gehen wollten, führte eine Krankenschwester ein älteres Paar herein. Es waren die Eltern von Agent Bordoni.
Sie rangen sichtlich um Fassung, als sie ihre Tochter in diesem hilflosen Zustand erblickten. Wir stellten uns ihnen vor und versicherten unsere Anteilnahme.
Sue Bordonis Mutter kämpfte mit den Tränen.
»Sue war immer so stolz darauf, dass sie vom FBI angenommen wurde. Wir haben von diesem Mordverdacht gehört, Inspektor Cotton. Aber Sue würde niemals etwas Kriminelles tun.«
»Wir werden die Wahrheit ans Licht bringen«, versicherte ich ihr.
***
Phil und ich hatten uns Motelzimmer in Biloxi reservieren lassen. Am nächsten Morgen fuhren wir nach Hattiesburg.
Auf dem weitläufigen Gelände der University of Southern Mississippi angekommen, zeigten Phil und ich unsere Dienstmarken und fragten uns zu Charlene Wilcox durch.
Eigentlich hatte ich nicht angenommen, dass die junge Frau so kurze Zeit nach der Ermordung ihres Vaters weiterstudieren würde. Doch wir trafen sie im betriebswirtschaftlichen Institut an, wo sie gerade eine Vorlesung hinter sich gebracht hatte.
Charlene Wilcox war blass, aber gefasst. Nur ein kleiner Trauerflor an ihrem Blusenkragen wies auf den Tod eines nahen Angehörigen hin. Die dunkelhaarige junge Frau mit der Model-Figur zuckte zusammen, als wir sie ansprachen.
Ich stellte Phil und mich vor.
»FBI«, wiederholte sie nach einem Blick auf meinen Dienstausweis. »Natürlich, Sie müssen Dads Tod untersuchen. Kommen Sie, wir unterhalten uns in der Cafeteria.«
Wir nahmen in dem nahe gelegenen Erfrischungsraum Platz, und Phil besorgte Kaffee für uns alle. Dann legte ich der Studentin ein Foto von Sue Bordoni vor, das ich aus der FBI-Personalakte entnommen hatte.
»Haben Sie diese Frau schon einmal gesehen, Miss Wilcox?«
»Ja, natürlich. Sie heißt Sue Bordoni und studiert ebenfalls Betriebswirtschaft hier in Hattiesburg. Wir haben uns ein wenig angefreundet, wir leben im selben Wohnheim.«
Ich beschloss, der Tochter des Mordopfers die Wahrheit zu sagen.
»Sue Bordonis Studium ist nur Tarnung, Miss Wilcox. In Wirklichkeit arbeitet sie als Agent für das FBI und wurde auf den Mörder angesetzt, der mindestens acht junge Frauen auf dem Gewissen hat. Die Presse nennt ihn den Golfküsten-Killer.«
»Und Agent Bordoni wird nun beschuldigt, Ihren Vater getötet zu haben«, ergänzte Phil. »Inspektor Cotton und ich wollen herausfinden, was in der Mordnacht wirklich geschehen ist.«
Wir warteten einige Minuten. Die Tochter des Toten benötigte offensichtlich Zeit, um diese Informationen zu verarbeiten.
»Ich hatte von den Cops schon gehört, dass eine Verdächtige verhaftet worden sei. Aber es hieß, das FBI würde die Ermittlungen weiterführen. Nie wäre ich darauf gekommen, dass Sue eine Kollegin von Ihnen ist. Ich hielt sie wirklich für eine ganz normale Studentin. Aber weshalb hätte sie meinen Vater erschießen sollen?«
»Wir hatten gehofft, von Ihnen mehr Informationen zu bekommen«, erwiderte ich. Charlene Wilcox nippte an ihrem Kaffeebecher und starrte auf die Tischplatte. Sie schien innerlich um die richtigen Worte zu ringen. Mir war bereits aufgefallen, dass sie mit dem Tod von Frederic Wilcox recht kühl umging. Gewiss, jeder Mensch trauert anders. Aber es kam mir so vor, als ob sie der Verlust nicht sonderlich hart treffen würde. Oder täuschte ich mich?
»Ich will Ihnen Informationen geben, Inspektor Cotton, auch wenn es mir schwerfällt. Mein Dad war kein Unschuldsengel, wenn Sie verstehen, was ich meine.«