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Agent Sacchi war in den New Yorker Falconetti-Clan eingeschleust worden. Sein Auftrag war so geheim, dass weder das Field Office New York noch das NYPD darüber informiert worden war. Jetzt standen wir vor seiner Leiche, die auf dem Obduktionstisch von Dr. Willson in Quantico lag, und das Ergebnis seiner Untersuchung gab Phil und mir mehr als nur ein Rätsel auf, die wir alle lösen mussten ...
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Zeugen und Opfer
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Film: »Zwei Fäuste des Himmels«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4123-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Zeugen und Opfer
Der Junge verharrte im Schatten verwachsener, knorriger Bäume, deren Wurzelwerk teilweise an dem steilen Hang hervortrat. Er bog ein paar Sträucher zur Seite und blickte auf den See. Männerstimmen drangen zu ihm herüber. Da waren ein paar Kerle, die Kisten trugen.
Plötzlich knackte hinter ihm etwas.
Der Junge schrak zusammen und drehte sich um.
Ein Mann stand dort.
Sein Hut war tief ins Gesicht gezogen. In den Händen hielt er eine Maschinenpistole. Es war eine Tommy Gun mit rundem Magazin. Der Lauf zeigte jetzt in Richtung des Jungen.
»Rühr dich nicht, Kleiner!«
Der Junge wollte etwas sagen, aber er war wie erstarrt. Nicht einmal atmen konnte er. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
»Was machst du hier, Junge?«
»Nichts.« Der Junge schluckte. Seine Augen traten hervor. Sein Gesicht hatte den letzten Rest an Farbe verloren.
Der Mann mit der Tommy Gun kam auf ihn zu und musterte ihn eingehend. »Du wirst nichts darüber erzählen, was du hier gesehen hast, klar?«
»Ja, klar.«
»Andernfalls müsste ich dich erschießen. Hast du das verstanden?«
Der Junge nickte und presste die Lippen aufeinander, damit sie nicht zitterten.
»Ich werde niemandem etwas sagen«, versprach er.
»Wenn du es doch tun solltest, werde ich davon erfahren und dich finden.«
»Ich verstehe«, flüsterte der Junge.
Der Mann hob die Tommy Gun, lud sie einmal durch und legte sich den Lauf mit dem runden Teller-Magazin lässig auf die Schulter.
»Verschwinde jetzt, Junge, und lass dich nicht wieder blicken!«
»Nein, Sir.«
»Los, weg mit dir, bevor ich es mir anders überlege!«
Der Junge wagte es nicht, sich noch einmal umzudrehen, als er ging.
***
New York City …
»Ich bin Special Agent Joe Brandenburg, FBI. Und das ist mein Kollege Special Agent Les Bedell.«
Der NYPD-Officer warf einen kurzen, stirnrunzelnden Blick auf die Dienstausweise der beiden Agents und nickte. »Sie werden schon erwartet.«
»Wo spielt die Musik?«
»Da hinten.« Der Officer gestikulierte mit der Linken. »Hinter dem Gebäude dort sehen Sie das stillgelegte Hafenbecken. Da hat man ihn rausgezogen.«
»Danke«, sagte Joe Brandenburg.
»Der Gerichtsmediziner war übrigens noch nicht hier. Doktor Heinz von der Scientific Research Division hat durchgegeben, dass es noch etwas dauern kann.«
Joe seufzte. »Der übliche Stau um diese Zeit, nehme ich an.«
»Ist eben ein ziemlich weiter Weg von den SRD-Labors in der Bronx bis hierher, zum alten Navy Yard in Brooklyn«, ergänzte Agent Les Bedell.
»Einmal durch den ganzen Big Apple«, sagte der Officer nickend. »Und seit ein paar hochintelligente Bürokraten im Rathaus auf die Idee gekommen sind, die Verbindungen zwischen der Bronx und Manhattan gleichzeitig anstatt nacheinander zu sanieren, steht unsere ›Stadt, die niemals schläft‹ ohnehin immer kurz vor der Komplett-Einschläferung.« Der Officer machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich weiß, wovon ich rede, ich wohne nämlich in Riverdale und bin kurz davor, über New Jersey zum Dienst zu fahren.«
»Ich glaube kaum, dass das wirklich eine gute Idee wäre«, meinte Joe.
Die beiden Agents vom FBI Field Office New York gingen den Weg, den der Officer ihnen gezeigt hatte, und erreichten wenig später das stillgelegte Hafenbecken, in dem die Leiche gefunden worden war.
Mehrere Taucher sprangen gerade in das dunkle Wasser, offenbar, um weitere Spuren zu sichern. Kollegen der Homicide Squad des zuständigen Polizeireviers standen an der Kaimauer.
Joe und Les gingen auf die Gruppe zu und präsentierten erneut ihre Ausweise. Ein stark übergewichtiger Mann mit gelockten Haaren schien die Einsatzleitung zu haben.
»Lieutenant Kozinsky, Homicide Squad«, stellte er sich vor. »Sie müssen Brandenburg und Bedell sein.«
»Sind wir«, bestätigte Joe.
»Einem Obdachlosen, der hier in der Gegend haust, ist der Tote aufgefallen. Er trieb im Hafenbecken. Wir warten noch auf die Gerichtsmedizin und die Spurensicherung von der Scientific Research Division, deshalb ist das, was ich Ihnen jetzt sage, nicht offiziell.«
»Und das wäre?«, fragte Joe.
»Ich glaube nicht, dass der Kerl mehr als vierundzwanzig Stunden im Wasser gewesen ist. Das ist meine Einschätzung. Ist schließlich nicht die erste Wasserleiche für mich, und ich weiß, wie jemand aussieht, der länger in dieser Brühe geschwommen ist.«
»Also Erfahrungswissen«, sagte Joe. »Sollte man nie unterschätzen.«
»Sehe ich auch so. Die fachlich korrekte Version kriegen Sie ohnehin noch. Kommen Sie!«
Kozinsky führte Joe und Les zu der Bahre, auf die der Tote gebettet worden war. Man hatte die Leiche komplett abgedeckt. Kozinsky bückte sich und zog das Tuch zur Seite.
»Er war nackt?«, fragte Joe.
»Kleidung haben wir nirgends gefunden. Vielleicht entdecken die Taucher noch was.«
Joe deutete auf die nicht zu übersehende Verletzung am Oberkörper. »Sieht aus wie eine Schusswunde, würde ich sagen.«
»Sieht ganz danach aus«, bestätigte Kozinsky. »Dass wir die Identität bereits festgestellt haben, hat man Ihnen schon mitgeteilt, oder?«
»Nein, man hat uns nur informiert, dass wir herkommen und den Fall übernehmen sollen. Es war noch keine Zeit, um Einzelheiten zu besprechen«, sagte Joe.
Kozinsky verdrehte die Augen. »Das ist mal wieder eine Super-Koordination. Na ja, egal.«
»Um wen handelt es sich?«, fragte Joe.
»Wir haben sein Foto durch die Gesichtserkennungssoftware laufen lassen. Es hat einen Treffer gegeben. Der Kerl heißt Edward Santini und gehört zur Falconetti-Familie hier aus New York.«
»Mafia«, murmelte Les Bedell.
»Damit dürfte auch klar sein, weswegen das ein Fall fürs FBI ist«, sagte Joe.
»Nach dem, was man so hört, soll die Organisation von Michael Falconetti überall auf dem aufsteigenden Ast sein«, meinte Kozinsky. »Vielleicht gefällt das nicht jedem.«
Joe nickte. »Oder da hat jemand am großen Paten vorbei in die eigene Tasche gewirtschaftet … Ich nehme an, dass uns die Ergebnisse des ballistischen Berichts weiteren Aufschluss geben.«
»Schon möglich.«
»Sie sprachen von einem Obdachlosen, der die Leiche gefunden hat.«
Lieutenant Kozinsky kratzte sich am Kinn. »Wenn Sie mit Ihm sprechen wollen … Er sitzt gerade bei den Kollegen im Wagen und bekommt einen warmen Kaffee.«
***
Kyle Donovan war ein hagerer, hohlwangiger Mann mit dunklen Augen. Er saß in einem Van aus dem Fuhrpark des NYPD und ließ sich den mittlerweile dritten Becher mit Kaffee einschütten.
Ein Officer war bei ihm. Joe und Les stiegen dazu und zeigten dem Zeugen ihre Ausweise.
»Wir haben gehört, dass Sie den Toten gefunden haben.«
»Ja, Sir, so war es«, nickte Donovan mit Bestimmtheit. »Er schwamm im Wasser. Und da habe ich mir gedacht, ich rufe besser die Polizei.«
»Von welchem Anschluss aus haben Sie angerufen?«
»Mit meinem Handy.«
»Sie haben ein Handy?«
»Ist das verboten?« Der Mann zog die Nase hoch.
»Nein, natürlich nicht.«
»Es ist ein Prepaid-Handy. In den Toiletten der Subway lade ich es auf. Da gibt es Steckdosen. Und es gibt eine Menge Orte mit freiem WLAN, wo man ins Internet kann.«
»Es heißt, Sie seien öfter hier am alten Navy Yard« mischte sich Les ein.
»Ja, ich weiß, das ist nicht gestattet. Eigentlich darf niemand auf dem Gelände sein. Aber hier habe ich meine Ruhe. Und niemand belästigt mich.«
»Meine Frage zielte in eine andere Richtung, Mister Donovan«, sagte Les.
»Und in welche?«
»Haben Sie vielleicht mitbekommen, wie der Tote …?«
»Meinen Sie, wie er umgebracht wurde?«, unterbrach Donovan den G-Man.
»Oder wie jemand die Leiche hierhergebracht hat. Ich meine, wir wissen ja noch nicht, ob er wirklich hier gestorben ist.«
Donovan wich Les Bedells Blick aus. »Nein«, sagte er. »Ich habe keine Ahnung.«
»Der Mann starb höchstwahrscheinlich durch einen Schuss.«
»Ich habe keinen gehört.«
»Und der Kollege nimmt an, dass er nicht sehr lange im Wasser gelegen hat. Maximal vierundzwanzig Stunden, bevor Sie ihn gefunden haben.«
»Was diesen Zeitraum betrifft: Da war ich zum größten Teil gar nicht hier.«
»Wo waren Sie dann?«
»Im Central Park. Man will ja auch mal was anderes zu Gesicht bekommen. Außerdem sehe ich immer zu, dass ich die Mülleimer abklappere, um zu schauen, ob dort irgendetwas weggeworfen wurde, was ich noch gebrauchen könnte.«
In diesem Augenblick klingelte das Smartphone von Joe Brandenburg. Er nahm das Gespräch an. Das Display hatte Joe bereits angezeigt, wer ihn sprechen wollte.
Es war Special Agent in Charge Steve Dillaggio, der Chef des FBI Field Office New York und Joes direkter Vorgesetzter.
»Was gibt es, Steve?«, fragte Joe. Da Dillaggio, Brandenburg und Bedell lange Jahre Seite an Seite als Kollegen zusammengearbeitet hatten, bevor Dillaggio schließlich die Leitung des Field Office übernahm, verzichteten sie auch heute noch auf jegliche Förmlichkeiten.
»Der Fall ist unserem Field Office gerade wieder entzogen worden«, erklärte Dillaggio.
Joe glaubte schon, sich verhört zu haben. »Wieso das denn? Gehören Mafiamorde neuerdings nicht mehr zum Ermittlungsbereich organisiertes Verbrechen?«
»Das schon, aber der Tote ist nicht der, für den wir ihn gehalten haben.«
»Edward Santini, Mitglied der Falconetti-Familie. Kozinsky von der Homicide Squad sagte uns, dass die Bilderkennungssoftware ihn eindeutig identifiziert hat!«
»Edward Santini ist in Wirklichkeit Special Agent James Sacchi, ein Kollege, der von der Zentrale in Washington als Undercover-Agent in die Santini-Familie eingeschleust und dort aufgebaut wurde. Das habe ich gerade erst erfahren.«
»Und weshalb wussten wir davon bisher nichts?«
»Weil wir davon nichts wissen sollten. Sacchis Mission war hochgeheim. Und jetzt werden die Ermittlungen von Washington übernommen.«
»Sag bloß, dass wir mal wieder mit Jerry und Phil zusammenarbeiten werden!«
»Ist keineswegs ausgeschlossen, Joe«, meinte Steve Dillaggio.
***
Mein Kollege Phil Decker und ich waren an diesem trüben, regnerischen Morgen nach Quantico, Virginia, gefahren. Von unseren Büros im J. Edgar Hoover Building in Washington war Quantico ungefähr eine Stunde entfernt. Abgesehen von der bekannten FBI-Akademie befanden sich dort auch die Labors des Scientific Research Team, dessen Dienste Phil und mir in unserer Eigenschaft als FBI-Inspektoren zur Verfügung standen.
Nachdem wir meinen Jaguar auf einem der zum Akademie-Gelände gehörenden Parkplätze abgestellt hatten, begaben wir uns zu den Räumlichkeiten von Dr. Gerold M. Willson, dem Gerichtsmediziner des Teams.
»Guten Morgen, Jerry«, begrüßte er mich. »Und Ihnen natürlich auch einen guten Morgen, Phil – nicht, dass Sie sich am Ende diskriminiert oder gemobbt fühlen.«
»Ich habe eine robuste positive Grundstimmung, Gerold«, meinte Phil. »Die ist von solchen Kleinigkeiten nicht zu erschüttern.«
»Das freut mich zu hören«, sagte Willson. »Und ich gehe davon aus, dass Sie gut gefrühstückt haben. Wenn Sie trotzdem meinen, dass Sie im Angesicht einer aufgeschnittenen Wasserleiche vielleicht doch lieber einen Kotzbeutel haben möchten, sagen Sie es bitte gleich. Ich kann Ihnen da weiterhelfen.«
»Wir kommen schon klar«, sagte ich.
»Gut. Niemand soll mir nachsagen, ich sei nicht sensibel gegenüber fachfremden Laien.« Er hob die Hände mit den Schutzhandschuhen, an denen offensichtlich jede Menge Blut klebte. »Das tropft ein bisschen. Sie geben mir bitte ein paar Sekunden, um das abzuwaschen, dann bin ich voll und ganz für Sie da.«
»Sicher«, sagte ich.
Der Akzent, mit dem Willson sprach, ließ keinen Zweifel an seiner texanischen Herkunft. Wenn man ihm zum ersten Mal begegnete, konnte man denken, dass er das Gemüt eines Schlachtergesellen hatte. Aber das war eine Täuschung. In Wahrheit konnte Dr. Willson viel sensibler sein, als es den Anschein hatte.
Nachdem Willson seine Hände gereinigt hatte, führte er uns zu einem Seziertisch. Auf dem lag der Mann, dessen Tod wir aufklären sollten.
»James Sacchi, sechsunddreißig Jahre alt, Special Agent des FBI und von der Zentrale hier in Washington mit einer Sondermission betraut«, resümierte Willson. »Wenn ich mir das richtig gemerkt habe, war er als verdeckter Ermittler in die New Yorker Falconetti-Familie eingeschleust worden.«
»Und jetzt hat man ihn aus einem stillgelegten Hafenbecken im alten Navy Yard gefischt«, ergänzte ich.
Willson nickte. »Todesursache ist der Schuss. Die Kugel steckte im Körper, und unser geschätzter Kollege Fortesque hatte eigentlich versprochen, pünktlich zu Ihrem Besuch mit den ballistischen Tests fertig zu sein …«
Der aus Großbritannien stammende Dr. Frederik G. Fortesque – von uns allen einfach nur »FGF« genannt – war der Naturwissenschaftler und Ballistiker unseres Scientific Research Team.
»Wir werden uns noch mit FGF unterhalten«, kündigte Phil an.
Willson atmete tief durch. »Tja, womit fange ich jetzt an? Der Fall strotzt vor Merkwürdigkeiten. Zunächst mal: Der Tote hat nur etwa vierundzwanzig Stunden im Wasser gelegen. Laut den Unterlagen hier war das bereits die als Vermerk hinterlegte Schätzung des zuständigen Lieutenant der Homicide Squad in Brooklyn. Guter Mann. Hat vielleicht den falschen Job und hätte besser die altehrwürdige Wissenschaft der Pathologie für seinen beruflichen Werdegang in Betracht ziehen sollen. Für den Umgang mit Leichen muss man schließlich Talent haben.«
»Es wird Gründe dafür geben«, meinte ich.
»Es ist nie zu spät, den richtigen Weg einzuschlagen«, meinte Willson. »Aber zurück zu diesem bedauernswerten FBI-Kollegen, dessen hochgefährliche Geheimmission offenbar ein ziemlich abruptes Ende gefunden hat. Die erste Merkwürdigkeit an der Sache ist schon mal, dass es überhaupt ein Projektil gibt, beziehungsweise dass es im Körper des Toten gefunden wurde.« Er drehte den Körper um, sodass wir den Rücken sehen konnten, und klopfte dann mit dem Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle.
Phil sah Willson fragend an.
»Eigentlich hätte hier eine Austrittswunde sein müssen, die etwa die Größe einer Kinderfaust hat. Aber da ist nichts.« Der Forensiker drehte den Leichnam mit einer kraftvollen, aber geschickten Bewegung wieder um und deutete auf die Brust. »Von der Eintrittswunde können Sie jetzt nichts mehr sehen, weil ich den Köper dort aufschneiden musste. Aber natürlich ist alles sorgfältig dokumentiert worden.«
Ich kratzte mich am Kinn. »Verstehe.«
»Die spezielle Form der Eintrittswunde lässt Rückschlüsse auf den Abstand zu, den der Schütze gehabt haben muss. Durch das Projektil kennen wir den Waffentyp. Es war eine Pistole, eine Kurzwaffe also. Die sind auf lange Distanzen nicht mehr treffsicher. Mit anderen Worten: Wir kennen einen minimalen und einen maximalen Abstand, den der Schütze hatte.«
»Was ist mit Schmauchspuren?«, wollte Phil wissen.
»Die gibt es nicht, sonst wäre eine präzisere Aussage möglich. Aber fest steht, dass James Sacchi von der Kugel eigentlich hätte durchschlagen werden müssen, es sei denn, es wäre ein Teilmantelgeschoss verwendet worden.«
»Und?«, fragte ich.
»FGF hat mir bestätigt, dass es keines war. Das konnte sogar ich erkennen. Dazu muss man kein Ballistiker sein. Teilmantelgeschosse verformen sich beim Eintritt und werden auf diese Weise gebremst. Aber dieses Projektil war nicht verformt.«
Willson zeigte uns ein paar Röntgenaufnahmen. Ich muss gestehen, dass ich darauf nicht viel zu erkennen vermochte. Für unseren Pathologen schienen sie aber außerordentlich aussagekräftig zu sein.
»Sie sehen hier die Position, wo das Projektil steckte«, erklärte er und schüttelte den Kopf. »Es befand sich inmitten von weichem Organgewebe! Es kann vorkommen, dass ein Geschoss durch einen Knochen aufgehalten wird. Das Rückgrat und oder die Rippen kämen in diesem Fall dafür infrage. Je nachdem, wie das Projektil auftrifft, wird der Knochen entweder durchschlagen oder das Geschoss bleibt stecken. Aber bis dahin ist das Ding ja nicht gekommen! Verstehen Sie jetzt, was ich meine?«
»Sie haben wirklich keine Erklärung?«, wunderte ich mich. Denn das kam bei Willson wirklich selten vor.
»Vielleicht findet unser englischer Teebeutel ja eine«, knurrte er, womit er Fortesque meinte. »Er hat schließlich zwei Doktortitel und ich nur einen. Für irgendwas muss das ja gut sein.« Er deutete noch einmal auf die Stelle, an der die Kugel gesessen hatte. »Es gibt einfach keinen physikalischen oder sonst einen Grund dafür, weshalb das Geschoss seinen Weg nicht fortgesetzt hat. Bei der Geschwindigkeit, die die Dinger heute haben …« Er schüttelte den Kopf.
Phil trat näher an das Röntgenbild.
»Da war nichts, was einen nennenswerten Widerstand hätte leisten können!« Willson wandte den Blick in meine Richtung. »Tut mir leid, aber im Moment kann ich Ihnen dazu nur Folgendes sagen: Die bisherigen Untersuchungsergebnisse lassen sich bislang nicht auf eine einigermaßen stimmige Weise auf einen Nenner bringen. Sie passen schlicht nicht zusammen.«
»Der Mann war nackt«, sagte Phil und sprach damit einen anderen wichtigen Aspekt an.
Willson hob die Augenbrauen. »Ja, aber zu diesem Punkt kann ich Ihnen glücklicherweise mehr sagen.«
»So?«, fragte Phil.